Legenden der Mitternacht von xBlackwolfx (Phönixschwinge) ================================================================================ Kapitel 2: Der Alchemist ------------------------ Kapitel 2: Der Alchemist Ich will wie ein Falke fliegen Fort von eurer grauen Welt Keiner soll mich mehr noch kriegen Nichts was mich am Boden hält Der Wind in meinem Federkleid Streicht eine süße Melodie Die Wolken sind nicht weit Mit dem Flügel streif ich sie ("Falkenruf", Bardenlied aus Nasfír) Als er ihn fand, war aus dem jungen Knaben nicht mehr als ein kleines, durchnässtes Häuflein Elend geworden. Mitten im Lichterwald zur denkbar ungünstigsten Zeit hatte sich der Junge vor dem Sturm und dem Regen verkrochen, der den Wind wie eine Peitsche durch die Stämme knallen ließ. Von der Kälte und Nässe wie ein Straßenköter zerlumpt und den Anstrengungen der letzten Tage zerfressen blickte er den Fremden aus glasigen Augen an, die sowohl Angst als auch Hoffnung verrieten. „Keine Sorge, Junge, ich tue dir nichts“, versprach der Fremde und streckte seine Hand nach dem Jungen aus. Seine Stimme hatte etwas sehr Feines, Gehobenes. Sie hätte sicher einem jungen Edelmann oder einem Prinzen gestanden, doch vor dem Knaben stand nur einer jener Schwarzkünstler aus den Steppen. Zumindest glaubte der Junge so jemanden vor sich zu haben, denn vor solchen Leuten hatte ihn sein Vater immer gewarnt. Und solchen Menschen durfte man nicht trauen, das war es, was sich die Leute in seinem Dorf erzählten. War dieser Ketzer in der Stunde seiner Not gekommen, um seine bösen Spiele mit ihm zu treiben? Wie ein verlaustes Tier schüttelte er nur den Kopf und wünschte sich und den dunklen Zauberer fort, weg von diesem Sturm und wieder zurück in sein Dorf. Er hätte weinen können, wenn er nicht zu stolz dafür gewesen wäre. Doch der Zauberer schien sich nicht so schnell damit zufrieden geben zu wollen. „Beruhige dich erstmal. Wenn du hier bleibst, holst du dir noch den Tod“, sprach er mit sanfter Stimme weiter. Seine hellgrünen Augen musterten den Knaben eine Weile und erweckten selbst in dem Gelehrten noch reges Mitleid. Der Junge saß zusammengekauert unter einem umgeworfenen Baumstamm, die langen, dunkelblonden Haare von Wind und Wetter zerzaust, das Gesicht von Dreck und Hunger entstellt. Auch seine Kleidung war stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dennoch konnte der Zauberer noch gut ihre Bedeutung erkennen. Es war ein grüner Wappenrock, der ein Rotkehlchen zeigte, das einen Pfeil im Schnabel trug. Ansonsten war der junge sehr einfach und praktisch gekleidet: Feste Stiefel und fingerlose Lederhandschuhe und eine einfache Wollhose und Hemd aus grünem Stoff. Auch ließ sich an seinem Gürtel ein Köcher und ein Dolch ausmachen. Es war die Uniform eines Fängers, einer Gilde von Spähern, Kundschaftern und Kämpfer in diesem Land. Eigentlich waren solche Menschen hervorragende Überlebenskünstler in der Natur, doch der Junge schien vielmehr überfordert, wenn nicht gar hilflos unter diesen Umständen. Doch wusste er nicht so recht, ob nun Wut oder Trauer aus den Augen des Knaben sprach, vielleicht auch beides. Normalerweise war der Zauberer sicher nicht sonderlich gut im Umgang mit Kindern -und als solches schätzte er den jungen Knaben noch ein -, doch gab er sich Mühe feinfühlige genug zu sein, um ihn nicht zu verschrecken. „Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Ich will dir nur helfen“, versicherte er erneut und auch wenn der Junge ihm nicht wirklich zu glauben schien, blickte er auf. Vermutlich wiegte er gerade ab, ob die Hilfe von einem Zauberer anzunehmen angesichts seiner Situation vielleicht das geringere Übel wäre. Auch er betrachtete sein Gegenüber genau, denn selbst wenn er sich in einer solch hoffnungslosen Lage befand, wollte er nicht jedem dahergelaufenen Schurken die Möglichkeit bieten sie noch zu verschlimmern. Der Zauberer selbst war ein großer, stattlicher Mann mittleren Alters. Seine dunkelbraunen Haare waren glatt und gepflegt zu einem Scheitel gekämmt und zudem lang genug, dass sie ihm bis zur Hüfte reichten. Seine Gesichtszüge passten zu seiner Stimme und ähnelten eher einem Aristokraten als einem typischen Zauberer, nur die kleine eckige Brille mochte nicht so recht dazu passen. Als Kleidung diente ihm ein dunkelbrauner, halboffener Gehrock, der hier und da ein paar Flecken zeigte. Zudem trug er lange, lederne Gamaschen und einen besonders auffallenden, breiten Gürtel, dessen Silberschnalle wie ein Ahornblatt geformt war. Viele kleine, geheimnisvolle Flaschen und Beutel klimperten an seinem Gürtel. „Seid ihr ein echter Zauberer?“, fragte der Junge unsicher, nur um sicher zu gehen. Der Fremde zögerte einen Moment und wiegte seine Antwort gut ab. „Ja, das bin ich“, antwortete er ihm schließlich wahrheitsgetreu. Zwar schien das den Knaben zu verschrecken, nachdem sich seine Befürchtung bestätigt hatten, aber zumindest war er froh, dass sein Gegenüber immerhin nicht log um sein Vertrauen zu gewinnen. Die plötzliche und unverhoffte Hilfe eines Zauberer anzunehmen klang für ihn durchaus verlockend, zumal er sich in einer wirklich mehr als erbärmlichen Lage befand, dennoch bissen ihn die Zweifel wie lästige Käfer in seiner Brust. „Was wollt ihr von mir?“, fragte dann leise. „Dir helfen. Wenn du hier bleibst, frisst dich noch ein wildes Tier oder du wirst krank und stirbst. Das kann ich doch nicht zulassen, nicht einmal als Zauberer“, antwortete ihm der Gelehrte sogleich und lächelte freundlich. Schließlich seufzte der Knabe, biss sich von Zweifeln geplagt auf die Lippen, streckte aber dennoch seine Hand aus, um die des Zauberer zu greifen und sich von ihm aufzuhelfen. Zu seiner Überraschung war die Haut des Fremden trocken, als hätte der Regen keine Wirkung auf ihn. Erst jetzt fiel dem Jungen auf, dass die Wassertropfen tatsächlich verdampften, bevor sie den Körper des Zauberers berühren konnten. Mit großen Augen betrachtete er das Schauspiel, wie sich so rasch aus dem Regen mit einem leisen Zischen silbriger Dampf bildete und sich auflöste. Der Zauberer bemerkte das offenbare Interesse daran und lachte leise. „Glaub mir, das ist nichts weiter als ein kleiner Taschenspielertrick von mir. Wie ist dein Name, Junge?“, sagte er, nachdem der Knabe nun aufrecht vor ihm stand. Der Wind wehte ihm immer wieder zerzauste Strähnen seines Haares in das dreckige Gesicht aus dem nur seine blauen Augen klar erstrahlten. Doch auch diese waren getränkt in Unsicherheit und Angst. Zumindest war der Zorn aus seinen Gesichtszügen gewichen. „Mein Name ist Daramos aus Amunglad, Sohn des Rokar“, stellte er sich vor und wischte sich die Haare aus dem Gesicht, die wegen der Nässe wie braune Striemen auf seiner Haut klebten. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Sohn des Rokar. Meine Name ist Nathaniel“, erwiderte der Zauberer, „Ich fürchte die Umstände dieser Bekanntschaft sind für dich denkbar schlecht.“ Leicht verschämt blickte Daramos zu Boden. Dass ihn wirklich jemand in diesem erbarmungswürdigen Zustand fand, war für einen Fänger wirklich mehr als erniedrigend. „Mach dir nichts daraus, dies kann selbst noch den Besten zustoßen. Die Natur ist unser aller Herr“, gab Nathaniel zu verstehen, als hätte dieser seine Gedanken erraten, „Folg mir einfach, meine Kutsche steht hier in der Nähe. Dort ist es auch wenigstens trocken“ Der Knabe blickte hoffnungsvoll auf und nickte leicht. „Habt Dank, werter Herr“, sagte er, doch der Zauberer winkte ab. „Dank deinen Göttern für diese Zusammenkunft, junger Fänger“, antwortete Nathaniel. Doch wie so oft, blieben die wahren Gründe für diese scheinbar zufällige Begegnung im Verborgenen wie flüchte Schatten. Die Kutsche des Zauberers stand tatsächlich nicht weit von ihrer Position weg, doch immer noch weit genug, dass sich Daramos wunderte wie Nathaniel ihn so fern des Weges bemerkt haben konnte, um ihm seine Hilfe anzubieten. Doch dieser Gedanke verschwand ebenso wie alle anderen als er dem seltsamen Gefährt des Zauberers gewahr wurde und wandelte sich schlagartig in Verblüffung um. Nathaniels Kutsche war etwas größer als die der üblichen Adeligen und mit einem tiefblauen Holz verkleidet. Die zwei Achsen, sämtliche Räder und der große Teil der schlichten Rahmen um Tür und Karosserie waren jedoch vollkommen Schwarz und wirkten eher so als hätte ein Maler das Gefährt mit einem dicken Pinsel nachgezeichnet. Jedoch war es schwer zu sagen, ob die Kutsche nur durch den schweren Regen und die Nässe so dunkel wirkte oder ob das seltsame Gefährt immer eine derartige Aura von Mystik und Geheimnis umgab. Das, was Daramos' Neugier jedoch am meisten fesselte, war jedoch das Gespann vor dem Wagen. Dieser fehlte nämlich sonderlicherweise. Kein Pferd, kein Esel oder sonst irgendein Tier war an die Kutsche gespannt und ebenso leer wirkte der Platz davor. Doch trotz fehlender Zugtiere saß ein Kutscher im nachtblauen Mantel auf dem Bocksitz, doch ein schwarzer Umhang und Kapuze, die er tief in das Gesicht gezogen hatte, verdeckten jeden genaueren Blick auf ihn. „Wie wird die Kutsche denn gezogen?“, entglitt es dem jungen Fänger als er sich an den Zauberer neben sich wand. Dieser, ein wenig überrascht davon, dass man ihm überhaupt eine Frage stellte, blickte Daramos so an als hätte er erst jetzt bemerkt, dass er da war. „Die Kutsche? Sie wird doch nicht gezogen, sie ist doch immerhin kein Ochsenkarren. Die Traumfeder ist ein arkanes Gefährt und bewegt sich allein auf den Strömen kontrollierter Flechtbahnen fort“, sagte dieser und rückte sich mit einer kurzen Geste die eckige Brille zurecht. Aus den Augenwinkeln bemerkte er jedoch noch das reichlich verwirrte Gesicht des jungen Knaben, der offenbar nicht ein einziges Wort verstanden hatte. Mit einem leichten Seufzen wandte er sich ihm zu und hob die Stimme etwas an als er zur erneuten Erklärung ansetzte. „Stellt euch die Magie als eine Art Rohstoff vor so wie Stein, Eisen oder Holz. Der Kutscher macht in dem Fall nichts anderes als aus magischer Rohenergie Schienen zu bauen, wenn ihr so wollt. Auf diesen bewegt sich das Gefährt fort. Wir beide sehen davon natürlich nichts, wir sehen nur wie sich die Kutsche bewegt. Diese rohe Art der Magie nennen wir Zauberer Arkanie“, sagte dieser geduldig wie ein Lehrer zu seinem Schüler. Daramos legte den Kopf schief und betrachtete Nathaniel aus zusammengekniffenen Augen. Ihm gefiel die Art nicht wie ihn der ältere Mann belehrte, doch nahm er die Umstände zunächst einmal hin. „Ihr treibt also die Kutsche allein durch eure Magie an?“, bohrte er nach. Diese Frage schien den Zauberer jedoch mehr als zu überraschen. Verwundert blickte er den Jungen über beide Brillengläser hinweg an. „Ich? Wie könnte ich? Nein, ich kann so etwas nicht. Ich habe keinerlei magische Kräfte. Waktu übernimmt diese Arbeit für mich“, sagte Nathaniel abwehrend und deutete auf den Kutscher im dunkelblauen Mantel. „Keine magischen Kräfte? Aber ihr seid doch...?“, erwiderte Daramos sofort, doch wurde sogleich durch die einschneidende, doch sanfte Stimme des Gelehrten unterbrochen. „Ein Zauberer? Ja, bin ich. Es ist aber ein alberner Irrglaube, dass alle Zauberer gezwungenermaßen magische Kräfte haben müssen. Ich bin ohne die Gabe der Magie geboren, so wie ihr, junger Fänger.“ Daramos gab sich jedoch damit noch lange nicht zufrieden. „Aber...“ „Genug jetzt, junger Herr“, unterbrach ihn Nathaniel erneut, „Wir können unser Gespräch auch in der Traumfeder weiterführen. Dort zerzaust euch der Wind immerhin nicht wie herrenloser Straßenhund.“ Der Zauberer wandte sich mit diesen Worten auch sogleich ab und schritt auf die blau-schwarze Kutsche zu. Der durchnässte Fänger eilte ihm hinterher, denn trotz seiner Zweifel und Abneigung gegen die Magie freute er sich auf einen trockenen Platz zum Erholen. Bald erreichten sie auch die Kutsche, die trotz aufgeschwemmter Erde und tiefen Schlammfurchen auf dem Weg ihnen einige Meter entgegen gerollt kam. Tatsächlich schienen die Räder nicht einmal den Boden zu berühren, sondern ein kleines Stück darüber zu schweben als würden sie auf unsichtbaren Schienen liegen. Auch konnte Daramos einen kurzen Blick auf das Gesicht des Kutschers erhaschen, dessen schmächtiger Körperbau ihm erst jetzt aufgefallen war. Einige blonde Haarsträhnen fielen ihm ins schmale Gesicht, welches teilweise noch sehr jung wirkte. Seine Augen jedoch strahlten eine Art der tiefen Melancholie aus, die zu dem kindlichen Äußeren kaum passen mochte. Er hatte eine kurze Nase und verschwindend dünne Lippen, welche von einer hellen Haut umspannt waren. Doch die Haut um sein linkes Auge war schwarz gefärbt wie dunkler Teer, ganz so als hätten sich dunkle Tränen in seinem traurigen Gesicht gesammelt. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, doch der starre Kummer seiner Augen ließ Daramos unwillkürlich erschauern. Hastig eilte er Nathaniel hinterher, um diesem unheimlichen Schmerz seines Blickes zu entkommen. Der Gelehrte wartete bereits auf ihn als die Tür zur Kutsche wie von Geisterhand bewegt aufschwang. Mit einer leichten Geste gab er ihm zu verstehen, dass er eintreten sollte. Zwar zögerte der junge Fänger etwas, doch er hatte sich ohnehin schon längst entschieden auf das zu zuschreiten, was ihn erwarten solle. Im Inneren war die Traumfeder mit zwei roten, gepolsterte Sitzbänken ausgestattet, die jedoch noch genug Platz für ein kleines Schränkchen boten, welches sich an der Seite der Kutsche befand, wo vielleicht eine zweite Tür hätte sein sollen. Von der Decke hing eine kleine, gläserne Kugel herunter, die mit einer seltsamen bläulich leuchtenden Flüssigkeit gefüllt war, die das gesamte Wageninnere erhellte. Der junge Knabe musterte die Ausstattung misstrauisch, ließ sich schließlich aber auf eine der Sitzbänke nieder. Nathaniel schloss die Tür hinter sich und mit einem leichten Ruck setzte sich die Traumfeder sogleich in Bewegung. „Ich nehme an, euch verschlägt es in die Hauptstadt?“, fragte der Zauberer beiläufig als er ihm gegenüber Platz nahm. Daramos blickte verwundert auf. „Woher...?“ „Woher ich das weiß?“, unterbrach ihn Nathaniel erneut, „Jeden jungen Mann zieht es einmal nach Garandír, die Stadt der silbernen Türme. Das Schloss des Königs, die Hallen der Paladine und die Kaserne der Hüterarmeen. Dieser Ort verspricht für jeden Jungen doch Ruhm und Abenteuer, nicht wahr? Ist es nicht das, was dein junges Herz bewegt? Abenteuerlust?“ Mit diesen Worten beugte sich der Gelehrte mit einem spöttischen Lächeln vor und stützte sein Kinn mit beiden Händen. Seine Augen musterten den Fänger gönnerhaft, da dieser sich ziemlich sicher war den Jungen in wenigen Minuten ihrer Begegnung bereits durchschaut zu haben. Daramos wandte sich mit einem leichten Schnaufen an die Wand zu seiner rechten und starrte sie missmutig an. „Das geht euch wohl kaum etwas an“, sagte er leise. „Oh? Also liege ich richtig?“, lachte Nathaniel leise und rückte sich erneut die eckige Brille zurecht.„Mit welchem Recht befragt ihr mich überhaupt?“, entfuhr es Daramos. „Ich habe euch das Leben gerettet“, gab ihm der Zauberer als Antwort. „Ihr übertreibt.“ „Vielleicht ein klein wenig“, gab dieser zu. Eine Zeit verstrich in der keiner der beiden etwas sagte und wieder Stille einkehrte. „Nun?“, sagte der Zauberer dann. „Nun was?“, stutzte Daramos und blickte auf. Allerdings schaute er dabei in das deutlich ungeduldige Gesicht des Zauberers. „Konzentration ist nicht eure Stärke, junger Herr, das steht schon einmal fest“, meinte dieser sogleich. Der junge Fänger, der tatsächlich nicht wirklich mitbekam von was der Gelehrte plötzlich redete, blickte ihm nur etwas ratlos entgegen. „Haben wir nicht eben über eure Ziele geredet?“ Der Junge brummte kurz und zuckte mit den Schultern, gab aber keine Antwort. Nathaniel wartete eine Weile, doch als auch nach einigen Momenten nur das Rauschen des Windes an der Kutschentür zu hören war, fuhr er einfach fort. „Wisst ihr, ich kenne da jemanden, der euch eventuell helfen könnte, falls ihr euch der Armee in Garandír anschließen wollt.“ Daramos wurde auf einen Schlag hellhörig. Mit großen Augen blickte er dem Gelehrten entgegen, der offenbar zufrieden mit seiner Reaktion war und sich mit einem leichten Grinsen über die Haare fuhr. „Ich hab den Punkt getroffen, nicht wahr? Ihr wollt Soldat bei den Hütern werden! Der Traum von Macht und Gold ist so anziehend für das junge Herz“, sagte er. Auch wenn es ihm wenig gefiel, dass ihn dieser Zauberer wie ein offenes Buch las, so war ihm doch der Gedanke wichtiger, dass er ihm tatsächlich helfen konnte in die Armee der Hüter aufgenommen zu werden. „Würdet ihr das tatsächlich tun? Aber warum solltet ihr irgendeinem Fänger helfen? Was verlangt ihr als Gegenleistung?“, fragte der Junge sofort und fixierte den Zauberer mit seinen Augen als würde er ihn mit seinem Blick an die Wand nageln wollen. Dieser gab sich von der direkten Art des Knaben mehr als überrascht. „Ihr seid mir aber einer der besonders misstrauischen Sorte“, stellte er fest und runzelte die Stirn. „Ihr seid... ein Zauberer“, warf Daramos in den Raum als würde diese Feststellung einfach alles erklären. „Wie scharfsinnig von euch“, meinte Nathaniel ironisch. Mit einem leisen Seufzen lehnte der Gelehrte sich zurück und fuhr mit seiner Hand über das kleine Schränkchen zu seiner Seite. Dann, ohne auch nur ein Wort zu sagen, beugte er sich vor, öffnete es und zog mehrere Flaschen heraus, die sich alle in Form, Farbe und Größe vollkommen unterschieden. Wie eine Armee kleiner, gläserner Soldaten stellte er sie dann in Reihe und Glied auf dem Schrank auf bis sich dort kein Platz mehr fand. Daramos' Blick verfolgte jeden seiner Handgriffe genau, doch ihm blieb schleierhaft, was Nathaniel damit bezweckte. Was sollten alle die Gefäße dort? Wollte er etwas zusammenbrauen? „Seht her, junger Fänger“, erhob sich dann wieder die sanfte Stimme des Zauberers, „Ein Zauberer ist ein Mann praktischer Dinge. Wir sind zielgerichtet und alles was wir zu tun pflegen muss einen logischen Zweck haben.“ „Wie meine Rettung“, vermutete Daramos. Nathaniel nickte. „Genau das.“ „Nun denn, Herr Zauberer“, fuhr er dann spöttisch fort, „Was für einen logischen Zweck hätte es denn, einen jungen Fänger zu retten und nach Garandír zu bringen?“ „Ihr seid kein Zauberer“, meinte sein Gegenüber lächelnd. Über diesen Ausspruch gab sich Daramos jedoch mehr als verwundert, doch bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte, fuhr er bereits fort. „Wir Zauberer haben seither einen schlechten Ruf und sind daher in manchen Situationen etwas verdächtiger als andere Menschen. Aus dem Grund allein...“ „... braucht ihr jemanden der eure dunklen Geschäfte erledigt ohne aufzufallen?“, brummte der Fänger ungehalten und schüttelte den Kopf, „Ganz sicher nicht. Ich knüpfe mich eher selbst auf, bevor ich diesem Ketzerpack helfe.“ Verblüfft zuckte Nathaniel zusammen und blickte den Jungen einen Moment aus großen Augen an. Mit einer derart heftigen Reaktion hätte er nicht gerechnet. Dafür dass er eben noch wie ein Häuflein Elend im Wald gesessen hatte, schien er sich schnell erholt zu haben. „Nun beruhigt erst einmal euer kochendes Blut wieder, junger Herr. Es ist ein Gefallen, um das euch der Feuerfürst persönlich bittet. Dieser Bitte wollt ihr doch als angehender Hüter nicht abschlagen?“, antwortete Nathaniel schmeichelnd. Daramos horchte sofort auf und blickte den Zauberer aus großen Augen an. „Der Feuerfürst? Armeegeneral der zehnten Kompanie und der ehemalige Botschafter der Phönixkönigin? Dieser Mann ist eine wahre Legende“, stellte der Fänger erstaunt fest und schüttelte fassungslos den Kopf, „Woher sollte ein Schwarzkünstler wie ihr so einen ehrenwerten Mann kennen? Ich glaube euch kein Wort.“ „So?“, gab der Zauberer amüsiert zurück, „Und was ist, wenn ich euch sage, dass dem Herrn General unsere Zauberkunst nicht fremd ist?“ „Dann lügt ihr“, meinte Daramos zischend. „Aber nicht doch.“ Nathaniel lächelte triumphierend und griff sich einige Flaschen von dem Schrank als hätte er nur auf ein Stichwort des Jungen gewartet. Ebenfalls aus dem Schrank nahm er sich auch eine kleine Metallschüssel und hielt sie zwischen sich und Daramos. „Isarn, halte!“, rief er laut und ließ die Schüssel los. In Erwartung, dass ihm das Blech auf die Füße fallen würde, zuckte der Fänger zurück, doch sie blieb wie durch Geisterhand gehalten in der Luft hängen. Mit einem misstrauischen Blick musterte der Knabe sie und den Zauberer. „Keine magischen Kräfte, hm?“, fragte er nach. Nathaniel lächelte nur. Mit einem Handstreich öffnete er gleich mehrere Flaschen und goss sie in die schwebende Schüssel, wo sie sich mit einem blechernen Geräusch verteilten. Leise brodelte die Flüssigkeit in ihrem Inneren und nahm kurz nacheinander verschiedene Farben an bis sie bei einem dunklen Lilaton stehen blieb. Langsam stieg leichter Dampf auf und Daramos drückte sich unwillkürlich gegen die Wand um nichts davon einzuatmen. „Junger Herr, vielleicht seit ihr euch dessen nicht bewusst, aber Tha'Rakan, der Feuerfürst, ist mein Gönner und Herr. In seinem Auftrag handle ich in diesen Landen“, sprach er leise und stellte die Flaschen nacheinander wieder hin. „Beweist es mir!“, forderte Daramos ungeduldig und blickte den Zauberer böse an, der sich wieder einmal genug Zeit für eine Antwort ließ. „Junger Herr, ich bitte euch. Ihr werdet noch dem Feuerfürsten selbst begegnen, wenn ihr uns einfach eine Weile begleitet“, sagte Nathaniel und griff in seine Jackentasche. Er tastete eine Weile darin herum, ehe er einen kleinen ledernen Beutel hervor zog. „Sicher fragt ihr euch, warum wir euch überhaupt brauchen, wenn wir doch im Auftrag von Tha'Rakan persönlich handeln.“ Der Knabe brummte leicht verärgert und starrte wieder zur Wand. Seine Augen funkelten leicht vor Ärger wie zwei flackernde Fackeln. „Ihr werdet es mir ohnehin gleich sagen, nicht wahr? Ihr habt doch Spaß an diesem Spiel mich im Ungewissen zu lassen.“ Der Zauberer lachte laut und schüttelte den Kopf. Ohne Vorwarnung warf er ihm den Beutel zu, doch dieser wäre Daramos um ein Haar aus der Hand gefallen, als dieser ihn überrascht auffing. Fragen blickte er in das lächelnde Gesicht seines Gegenübers, doch dieser machte keine Anstalten ihm seine Tat zu erklären. Schließlich legte der Fänger den kleinen Beutel auf seinen Schoß und machte sich selbst daran ihn zu öffnen. Zu seiner Überraschung legte er nur einen kleinen, roten Stein frei in etwa der Größe eines Hühnereis. Ein tiefroter Schimmer ging von ihm aus fast wie ein Stück getrocknetes Blut. Im Inneren hatte es einen Art Kern; eine ovale, schwarze Scheibe in der Länge seines Fingers. Unschlüssig wandte er den Stein in seiner Hand hin und her bis Daramos schließlich leise seufzte. „Ich verstehe“, murmelte er kleinlaut. Der Zauberer gab sich mit der Antwort mehr als zufrieden und nickte bestimmend. „Dann ist dir klar, was das ist?“. Der Junge nickte bedrückt. „Ihr seid jener Alchemist, der mein Dorf vor vielen Jahren besucht hat, nicht wahr? Ihr habt mit meinem Vater gesprochen.“ „Und du hast uns beide belauscht, nicht wahr?“, sagte der Zauberer zwinkernd. Der Junge zuckte zusammen. „Woher...?“, fing er an, doch Nathaniel unterbrach ihn einfach mit einer leichten Handbewegung. „Wenn ich damals nicht gewollt hätte, dass ihr es erfährt, junger Herr, dann hätte ich auch auffliegen lassen.“ Verwirrt schüttelte der Fänger doch nur den Kopf. „Dieser Stein gehörte meinem Vater. Und ich...“, erzählte Daramos, doch Nathaniel unterbrach ihn erneut. „Euer Vater, junger Herr, bat mich diese Waffe an mich zu nehmen. Aus Sicherheit für seinen eigenen Sohn. Für euch“, stellte dieser dann fest. Fragend schaute der Knabe ihn an, doch bevor dieser etwas sagen konnte, fuhr Nathaniel fort. „Euer Herr Vater hat Jahre lang in der Zehnten Kompanie der Armeen gedient. Nicht nur als einfacher Soldat, wie er euch vielleicht Glauben lassen wollte. Er war der Vertraute des Feuerfürsten persönlich. Dieser Stein ist so etwas wie eine deaktivierte Waffe der Dämonen aus den Zeiten der Stille. Tha'Rakan gab es eurem Vater persönlich zur Aufbewahrung als dieser die Armee verließ. Tief im Herzen der Königreiche, am äußersten Rand von Assyrál sollte versteckt bleiben für unsere Feinde, junge Herr. In eurer Heimatstadt Amunglad.“ Dem Knaben gingen förmlich die Augen über als er das hörte. „Mein Vater? Das kann nicht sein. Warum hat er mir nie etwas davon erzählt?“, flüsterte er leise und blickte den Stein in seinen Händen an als wäre es etwas Lebendiges, „Eine Waffe aus der Zeit der Stille? Aber das muss über tausende Jahre her sein.“ „Sechstausend. Um genau zu sein. Die Zeit der Stille ist der Anfang unserer Zeitrechnung, junger Herr,“ erklärte der Alchemist und fuhr sich dabei über die Brillengläser. Misstrauisch hob der Knabe den Blick und zog die Stirn kraus. „Damals als ihr mit meinem Vater gesprochen habt, verstand ich kein Wort von dem, über das ihr euch beide unterhieltet. Aber ich habe meinen Namen deutlich gehört. Was habe ich mit all dem zu tun? Warum hat euch mein Vater den Stein zu 'meiner' Sicherheit gegeben?“, hakte er nach, bekam aber zur Antwort zunächst nur ein Schulterzucken. „Euer Vater glaubte, dass dieser Stein einen gewissen Einfluss auf euch hegt“, gestand der Alchemist schließlich. „Was meint ihr damit?“ „Ich weiß es selbst nicht genau, aber er bat mich ihn wieder mitzunehmen. Aber nachdem ihr diese Waffe in Händen haltet, weiß ich was er meinte. Tatsächlich scheint der Stein euch beeinflusst zu haben. Das ist höchst interessant. Die Jahre in der ihr in der Nähe der Waffe aufgewachsen seid, müsst ihr immun geworden sein“, stellte der Zauberer sachlich fest. „Immun? Gegen was?“, fragte Daramos noch, doch schließlich schüttelte er nur wütend den Kopf und fuhr in einem deutlich schärferen Ton fort, „Nun sprecht nur einmal im deutlichen Ton, verdammter Zauberer. Ich bin es Leid mir eure Worte erst zusammenreimen zu müssen!“ „Du müsstest tot sein, nachdem du den Stein mit bloßen Händen berührt hast“, sagte Nathaniel locker. Der Stein knallte auf den Boden, während sich Daramos panisch an die Wand drängte. „WAS?“, krächzte er panisch, „Das sagt ihr mir erst jetzt?“ Ein wenig besorgt von der heftigen Reaktion des Knaben ließ der Alchemist die dampfende Blechschüssel zwischen ihnen mit einem Handstreich ein wenig zur Seite schweben. „Nun beruhigt euch wieder. Ich habe diesen Umstand natürlich vorher in Erfahrung gebracht, bevor ich euch suchte und euch den Stein in die Hand gab“, erklärte er sanft. Wieder hatte Nathaniel seine schmeichelnde Seite zum Vorschein geholt und seine Stimme erneut in Sanftheit und Milde geölt. Doch diesmal ließ sich Daramos nicht so einfach davon beeinflussen. „Und was wenn ihr Unrecht gehabt hättet?“, fragte er immer noch leicht ängstlich. Einen Moment betrachtete der Alchemist die Decke und seufzte leicht. „Dann wärt ihr nun mausetot“, stellte er dann sachlich fest. „Ihr spinnt doch!“, schrie der Fänger außer sich. „Aber, aber, junger Herr. Aber nun wisst ihr wenigstens, warum ausgerechnet ihr für uns interessant seid. Das Wissen um die Existenz dieser Waffe ist nur einigen Wenigen vorbehalten. Dadurch, dass sie offenbar keine Wirkung auf euch hat und euer Vater zu diesen wenigen Eingeweihten gehört, ist es nun an der Zeit, dass ihr den Platz eures Vaters in unserer Mitte einnehmt.“ Eine Weile blickte Daramos den Zauberer an, die Fassungslosigkeit im Blick wie ein Schleier, doch zögerlich fiel auch dieser nieder. Gemächlich löste sich der Knabe von der Wand und griff nach dem Stein auf dem Boden. Mittlerweile mutete er wie ein Auge an, dass den seinen Blick musternd erwiderte. „Mein Vater wollte verhindern, dass ich das tue“, flüsterte Daramos leise. Es war keine Frage, er wusste einfach das es so war. „Gewiss. Er ist sehr vorsichtig auf seinen alten Jahren geworden. Er wollte mit dieser Sache nichts mehr zu tun haben. Doch die Vergangenheit kann man nicht so leicht abschütteln wie ein ungeliebtes Kleidungsstück“, erklärte der Zauberer sanft als würde er mit der Situation des Jünglings mitfühlen, „Ich weiß, dies mag alles sehr plötzlich für euch sein, aber wir hatten schon lange vor, euch für diese Sache zu gewinnen. Es ist zum Wohl des Königreichs, junger Herr.“ Fast wie unter Trance blickte Daramos zu dem Gelehrten, halb unsicher, halb ängstlich. „Zum Wohle des Königreichs“, wiederholte er leise. Der Zauberer lächelte milde und griff nach der Hand des Knaben. „Nun hört zu, junger Herr. Ich sagte doch, ich tue euch nichts. Ihr wollt zur Armee, wolltet eure Abenteuerlust stillen wie ein jeder Jüngling in eurem Alter. Ich gebe euch also das, was ihr euch wünscht, nicht mehr und nicht weniger. Oder zieht er das harte Training und den Drill der Hüter diesem hier vor?“ Daramos schüttelte leicht den Kopf und blickte Nathaniel nur wie ein geprügelter Hund an. „Vertraut mir, Daramos. Sohn des Rokar. Ihr werdet nach und nach schon verstehen lernen“, sprach der Zauberer mit sanftem Klang. Eine Weile blickte der Knabe ihn an und nickte schließlich leicht. „Es ist alles ein wenig verwirrend“, gestand er und schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete fiel sein Blick auf die dampfende Blechschüssel, die noch munter vor sich herschwebte. „Ah! Das hab ich ja total vergessen“, sagte der Alchemist plötzlich und ließ seine Hand los. Nur eine kurze Handbewegung des Gelehrten ließ die Schüssel bereits wieder zwischen ihnen beiden schweben. „Was macht ihr da?“, fragte der Knabe, doch der Zauberer gab keine Antwort. Fordernd blickte er den Jüngling dann über die Brille hinweg an als er ihm schließlich einen kleinen, tiefschwarzen Flakon reichte, den er eilig aus dem Schrank zog. Nur zögernd nahm er diese an und betrachtete ihn. Eine Weile wand er es in seinen Fingern, konnte aber nicht so recht herausfinden, auf was Nathaniel nun hinaus wollte. „Wisst ihr was das ist?“, fragte dieser dann lächelnd. Der Fänger schüttelte den Kopf und blickte sein Gegenüber fragend an. „Es ist Dämonenblut, junger Herr.“ Unwillkürlich schreckte Daramos angeekelt zusammen und hätte die Flasche fast fallen lassen. „Wieso gebt ihr mir ein derartiges Teufelszeug in die Hand?“, rief er ungehalten und hielt es ihm wieder hin, doch der Zauberer legte seine Hand um die seine und schob diese wieder zu dem jungen Mann hin. „Ihr müsst davor keine Angst haben. Es würde mir mehr schaden als euch.“ „Was meint ihr damit nun wieder?“, fragte Daramos. „Nun denn, seht selbst. Gießt das Blut hinein in die Schale“, forderte Nathaniel schließlich. Doch der junge Fänger verzog nur das Gesicht. „Macht es doch selbst“, gab er trotzig von sich. Der Zauberer dagegen lachte nur wieder amüsiert. „Aber nein, ihr wollt doch sicher Gewissheit haben. Nun, dann erblickt sie bei ihrer wahren Natur.“ Unsicher schwang der Blick des Knaben zwischen der Flasche in seinen Händen und der Schüssel hin und her. „Ich werde es bereuen, da bin ich mir ganz sicher“, seufzte er schließlich, öffnete die Flasche und kippte den gesamten Inhalt in die Schüssel. Wie aus dem Nichts schoss dicker, schwarzer Rauch wie eine Flutwelle aus dem Gefäß hervor und breitete sich blitzschnell um ihn herum aus. Panisch sprang Daramos auf, doch die dunkle Masse schob sich schon wie eine Wand um ihn herum auf. Rasch versuchte der Knabe nach dem Alchemisten zu rufen, doch ehe er die Lippen öffnete, stieg ihm der Rauch wie ein gieriges Tier in den Rachen und füllte seine Lunge. Schwer hustend schlug der Fänger um sich, doch die Finsternis um ihn ließ sich nicht vertreiben. Sie blieb dicker Tinte gleich um ihn herum stehen, zog sich um ihn wie eine Schlinge. Immer wieder knallte seine Hand gegen die Wand der Kutsche als er sich zu orientieren versuchte, doch trotz aller dumpfen Schläge schien ihm keiner zur Hilfe zu kommen. Die Angst stieg wie eine eisige Kälte seine Brust hinauf, krallte sich um seinen Hals und grub sich durch seinen Verstand. Ohne auch nur etwas sehen zu können außer der tiefen Schwärze, versuchte er aus der Kutsche zu kommen, doch er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Er spürte einen harten Schlag als er gegen die Schüssel lief und sie mit einem gewaltigen Klirren mit sich zu Boden riss. Bald verteilte sich die Flüssigkeit zäh über sein Körper, während er sich vor Schmerz krümmte. Seine Lungen brannten bereits von dem Rauch wie Feuer als würde er tausende Nadeln einatmen. Doch die Dunkelheit um ihn herum lichtete sich als sich der Nebel wie ein Schleier auseinander schob. Kurze Zeit herrschte nun eiserne Stille um ihn. Daramos lag nun auf einem schwarzen Felsen, inmitten eines regungslosen Sees. Irritiert blickte er sich um und ließ seine wachsamen Augen über das Meer schweifen. Wo war er? Hatte er diesen Ort nicht schon einmal gesehen? Langsam richtete er sich auf und stockte, als er spürte wie sich eine Regung durch das Gewässer zog. Ein Zucken, ein Beben glitt durch die dunkle Welt und zerschlugen das Gewässer mit einem jähen Aufprall. Um ihn herum türmte sogleich die gewaltige Massen aus Dunkelheit auf, aus dem Wasser peitschend wie dunkle Krallen. Es hatte nichts mit der Abendschwärze einer dunklen Nacht zu tun, nichts von den Schatten, die sich im Schutz des Mondes warfen. Es war intensiv. Und lebendig. Als der Junge hineinblickte, spürte er, wie es seinen Blick erwiderte, aus ebenso schwarzen, kalten Augen. Es pulsierte, regte sich. Er hörte den Herzschlag in der Finsternis, der durch seinen Kopf dröhnte. Oder war es sein eigener? Machte das noch einen Unterschied? Schnell stand er auf und blickte sich gehetzt um. Das Hämmern wurde schneller, zitterte durch seinen Körper, als ob dieses Knäuel aus vollkommener Schwärze unsichtbare Fäden um sein Herz schlingen würde. Angst, welche tief aus seinem Innerem wuchs wie eine dornige Pflanze, dunkler und tiefer als jede andere, grub sich in ihn hinein und zerfetzte die Wände seiner eigenen Selbstsicherheit. Nicht mehr als sein nacktes, bloßes Innere blieb ungeschützt offen. Das Meer aus Finsternis wog hin und her und schlug gewaltige Wellen. Augen, Stimmen, Stille. Es war alles eins. Er fürchtete fast den Halt zu verlieren und in die namenlose Tiefe gerissen zu werden, als er eine Stimme hörte. Sie war ganz plötzlich da. Eine hohe, wunderschöne Frauenstimme wie der Klang einer Harfe. Und sie sang. Daramos lauschte ihr, konnte ihren Sinn aber nicht vernehmen, als ob die Worte sich seinem Geist entzogen. Ein Lichtschein, ein kleiner Funke trennte die Wogen aus Dunkelheit und offenbarte einen silbernen Weg. Keuchend blickte Daramos auf und bewegte sich wie unter Trance darauf zu, fort von dem schwarzen Felsen. Ganz langsam und bedächtig schritt er auf das helle Licht zu. Wütend und Eifersüchtig schlug die Masse aus Schatten um sich und versuchte ihn, ihre Beute, zu erreichen, doch sie fand auf dem Weg des Lichtscheins keinen Halt. Die Stimmen flüsterten leise, versprachen ihm die schönsten Dinge, bettelten und flehten wie eine verlorene Geliebte und drohten ihm zugleich. Daramos blickte tief in den Dunst dieses schwarzen Nebels und sah grausame Gesichter, verzerrt vor Leid und Wut. Sie streckten ihre Hände mit dürren klauenartigen Gliedern nach ihm aus und versuchten ihn zu erreichen. Immer mehr Fratzen schälten sich aus der Finsternis und immer mehr Krallen schlugen sich in den Weg, der bereits schmaler wurde. Gehetzt Blickte sich Daramos um. Es wurden immer mehr und ihr Flüstern wurde zu einem schrecklichen Schreien und Kreischen, das sich wie ein Sturm um ihn mit der Finsternis mischte. Rasch griff er zu seinem Gürtel, doch an der Stelle wo er seine Waffen trug, klaffte die Leere. Der Schreck kroch langsam wie tausend Spinnen aus seinem Herzen und breitete sich wie dunkler Nebel in seinem ganze Körper aus. Keine Sekunde später regte sich das dornige Gewächs in seinem Inneren wieder. Voller Angst begann er den Weg hinauf zu rennen, doch das Licht versiegte bereits und die grässliche Masse aus schwarzen Fratzen kam näher. Sein Herz raste und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er begann zu zittern und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen um. Er war eingeschlossen. Nun streckten sie ihre dünnen Hände aus und ihre Gesichter verzehrten sich zu gehässigen, abscheulichen Monstern. Er hörte ihre boshaften Schreie, ihr Gekicher. Die Schwarzen Augen blickten ihn hämisch an, durchblickten seine Seele. Schnell türmten sie sich vor ihm auf, schossen auf Daramos zu, schienen ihn völlig zu umschließen. Heiße Tränen liefen ihm von dem Gesicht und er schrie, schrie so laut er konnte. Dann sank er auf die Knie und ergab sich der Dunkelheit, verlassen, gebrochen, aufgegeben. Doch plötzlich erschien ein heller Stern, der schnell zu einer gewaltigen Lichtflut anschwoll. Sie richtete sich auf ihn und fegte die Schatten beiseite, die sich vor Schmerzen krümmten und zurückwichen. „Hast du so wenig Vertrauen zu mir, Daramos?“, sprach eine helle Frauenstimme ohne jeden Vorwurf. Sie klang eher erheitert. Schwer atmend blickte sich der Knabe um. „Wer bist du?“, fragte er das Licht. Sie lachte glockenhell und begann von neuem leise zu singen. Daramos stand auf und eilte dem Weg aus Licht herauf. Bald ließ er das dunkle Meer hinter sich und stand vor dornigen Gewächsen und Sträuchern. Ohne Furcht sich zu verletzten und von dem lieblichen Gesang angelockt griff er hinein und kämpfte sich durch das Geäst. Die Stimme wurde lauter und klarer, dennoch vermochte er den Sinn ihrer Worte nicht zu verstehen. Immer dichter stellten sich die Pflanzen ihm in den Weg, aber er schritt ohne Unterlass hindurch. Dann befand er sich vor einem Brunnen, der auf einer Waldlichtung stand. Er war wunderschön mit steinernen Vögel verziert, so winzig und fein, das Daramos fast glaubte, dass sich ihre marmorweißen Flügel bewegten. Rote Schwingen stießen zu beiden Seiten in die Höhe und umsäumten den Brunnen mit den feurigen Federn. Hunderte tanzende Waldlichter flogen um ihn herum und tauchten ihn in ein gleißendes Licht. In seinem Wasser stand eine Frau mit langen, weichen Haaren, die so weiß wie frischer, unberührter Schnee waren. Das Mädchen dagegen war fein und wunderschön und so anmutig, als wäre sie aus dem selben Marmor gehauen wie die zierlichen Vögel am Brunnenrand. Sie war gänzlich nackt, nur das Wasser benetzte hier und da ihre zarte Haut wie Tau. Ihre Augen funkelten in einem so flammenden Rot, dass sie aussahen als würde in ihnen ein lebendiges Feuer brennen. Sie erhob die Arme, sang weiter und lächelte ihn an. Das Licht der Freien Nur Silber reiner glänzt Nur der Schimmer weilen Weil's keiner mehr erkennt Leise bebt mein Leben Nur jeder Schritt allein Alles dafür hergegeben Nur um frei zu sein Doch dunkel dann umfängt Den Funken mit sich ein In der Schlinge hängt Wird wahrlich Schatten sein Sie schloss die Augen und wiegte ein wenig ihren Kopf hin und her und summte dabei die Melodie. Sie wirkte ein wenig wie ein kleines Mädchen, obwohl ihr Körper der einer Frau war. „Das Lied ist wunderschön“, sagte Daramos. „Danke. Ich habe es für dich geschrieben“, sprach sie und kicherte leise. Verwundert sah er sie an. Ihr Stimme zog ihn in ihren Bann, ohne zu wissen warum. Sie war wie ein erster warmer Sonnenstrahl nach einem unendlich langen Winter. „Was bedeutet es?“, fragte er. „Was?“, erklang ihre helle Stimme. „Das Lied. Ich verstehe es nicht.“ Wieder lachte sie leise. „Du wirst es wissen, Daramos. Du wirst es sehen, es hören und es begreifen. Aber bis es soweit ist, wirst du suchen.“ „W-Was soll ich suchen?“, stotterte der Junge. Sie schien nur in Rätseln zu sprechen und leise ob seiner Verständnislosigkeit zu lachen. „Mich, natürlich“, flüsterte sie. „Aber wie?“, fragte er verzweifelt. Sie kicherte munter und hob die Hände. „Verschließe deine Augen vor der blinden Wut. Die Verdorbene wird dein Jäger sein. Im einst reinen Blut wirst du mehr Wahrheit finden als in den Worten deiner Vertrauten. Suche mich und ich befreie dich von den Ketten“ Daramos sagte nichts mehr. Es gab auch nichts mehr, was er hätte mehr sagen können. So sang sie weiter ihr Lied und Daramos stimmte mit ein. Gemeinsam sangen sie dem Tag entgegen, der Daramos aus seinen Träumen reißen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)