Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 7: Der Clan der Kondorgeister ------------------------------------- Der Tag, an dem der Sommer endgültig nach Lyrien kam, war der Tag für Nalanis Reise nach Tuhuli. Das Mädchen wusste es schon in der Nacht davor, weil sie von der Stadt träumte. Und sie wachte im Morgengrauen auf und der Sommer war plötzlich da. In einem heißen, glühend roten feuer ergoss er sich hell über den blassgrünen Himmel des Morgens in der Richtung der aufgehenden Sonne, und das Sommerlicht überflutete das Hügelland und die Wiesen von Vikhara, der Region von Lyrien, in der das Schloss stand. Nalani setzte sich im Bett auf und starrte mit großen, blauen Augen zum Fenster und direkt in das Licht des Sommertages. Es ist soweit. Heute ist der Tag gekommen! Neben ihr im Bett drehte ihr Mann sich verpennt auf den Rücken, zuvor hatte er ihr den Rücken gekehrt. Er wagte nicht, sie nachts anzusehen, während er neben ihr lag, aus Angst, er könnte auf die Idee kommen, mit ihr zu schlafen, denn dann würde sie ihn beim bloßen Versuch eigenhändig erwürgen oder Schlimmeres. Jetzt schlug er blinzelnd die Augen auf und sah seine hübsche Frau neben sich im Bett sitzen und hinaus starren. „Was ist los?“ nuschelte er, „Wieso bist du schon auf?“ Sie antwortete ihm nicht – das tat sie selten, er war es gewohnt, dass sie nicht mit ihm sprach. Er sah auch aus dem Fenster in der Hoffnung, sie verstehen zu können. Das Licht draußen war hell und flammend. „Es wird heiß werden heute…“ erklärte er langsam, „Der Sommer ist da!“ „Ja…“ sagte Nalani jetzt, und er sah sie blinzelnd an, als sie sich aus dem Bett schälte und statt sich umzuziehen einen Sack unter ihrem Kopfkissen hervorzog, in den sie Dinge zu stopfen begann. Kleider, Haarnadeln… Tabari setzte sich auf und kratzte sich am Kopf. „Was… soll das?“ wunderte er sich. Sie hielt inne, als sie gerade das Erbstück ihrer Familie gegriffen hatte, den Dolch Kadhúrem, den sie gut verwahrt hatte. Dann drehte sie sich zu ihm um. „Heute ist der erste Sommertag,“ meinte sie, „Der Tag, an dem ich nach Tuhuli gehen werde.“ Er sah sie verblüfft an und sein Blick wanderte auf ihren Dolch. „Du bist dir so sicher, dass du tatsächlich gehen wirst?“ fragte er, „Ich werde mich dir nicht in den Weg stellen, aber mein Vater garantiert.“ Sie warf ihm einen kalten Blick zu und stopfte dann den Dolch in den Sack. „Wenn ich nach Tuhuli gehen will, werde ich gehen,“ erklärte sie kühl. „Dieser Dolch ist ein Erbstück meiner Familie, des Kandaya-Clans, sie nannten ihn Kadhúrem. Es ist eine Ehre für mich, ihn tragen zu dürfen, und ich will dieser Ehre würdig sein und eine gute Magierin werden. Genau wie du möchte ich, dass mein Vater im Geisterreich stolz auf mich ist.“ Er starrte sie an, als sie sich umdrehte und jetzt damit begann, ihr Nachthemd auszuziehen und sich ein schlichtes Kleid für den Tag anzuziehen. Sie hatte keine Probleme, sich vor ihm umzuziehen; er hatte mit ihr geschlafen beim Blutritual, er kannte sie nackt, warum sollte sie sich schämen? Tabari senkte verlegen den Kopf weg und sah ihr nicht weiter beim Umziehen zu. Er konnte sich ja beherrschen, aber er kam sich albern und widerlich vor, sie dabei so anzugaffen, als wäre sie eine Attraktion im Zirkus. Und Zirkus war ein grausames Spiel, um die Leute in Städten zu unterhalten, hatte er gelernt auf seiner Reise. Sie wollte ihre Eltern stolz machen… im Grunde waren sie und er gar nicht so verschieden. Warum verabscheuten sie sich dann gegenseitig, fragte er sich… das Schicksal hatte sie nicht auf besonders gutem Wege zusammen geführt. Plötzlich fiel ihm auf, dass er gar keine Abscheu oder Panik vor Unheil in ihrer Nähe empfand, und wie sie so mit ihm sprach und wie sie unbedingt diese Lehre wollte, war irgendwie rührend und so ganz anders als die kalte Nalani, die sonst immer bei ihm war. Er konnte verstehen, warum sie kalt war… niemand außer vielleicht seiner Mutter oder Kiuk war besonders nett zu ihr gewesen, weder er noch sein Vater, der schon gar nicht. Sie hatte ihre Eltern früh verloren und hatte damals keine zeit zum Trauern bekommen… Zeit, die man aber brauchte, wenn man so klein war, Zeit um zu begreifen, was geschehen war. Mit einem Mal fühlte er sich grausam und mies, weil er sie mit Füßen getreten hatte und weil er darüber nachgedacht hatte, sie mit Gewalt zu nehmen, wie sein Vater es ihm geraten hatte. Sie war ein Mensch und kein Spielzeug, mit dem er tun und lassen konnte, was er wollte… und das war etwas, was sein Vater ihm nicht beigebracht hatte. Man musste die Lebensgeister respektieren, in höchstem Maße. Nalani hatte einen Lebensgeist, einen Namen, sie war ein Mensch, der lebte, und kein Ding. Es war eine Offenbarung gewesen, die die Himmelsgeister ihm einst beschert hatten, und er war etwas verwirrt gewesen, dass sein Vater darüber nie gesprochen hatte während der Lehre. Sein Vater mochte viel recht haben, aber die Geister irrten sich auf keinen Fall. „Wir werden uns lange nicht sehen, Tabari,“ bemerkte Nalani dann, als sie angezogen war und sich wieder zu ihm umdrehte, und er hob langsam den Kopf. Er hätte gerne etwas zu ihr gesagt… aber ihm fiel nichts Passendes ein. Es gab nichts passendes, was man ihr sagen konnte. Es war eine stumme Absprache zwischen Salihah und Nalani gewesen, dass sie am ersten Tag des Sommers – am ersten heißen Tag des Jahres – nach Tuhuli gehen würde. Sie hatten nie darüber gesprochen, weil Kelars Ohren überall sein konnten. Sie mussten schnell und plötzlich handeln, wenn sie ihn austricksen wollten, bevor er eine Chance hatte, sich etwas Grausames auszudenken, um die Reise nach Tuhuli zu verhindern. Salihah hatte sich mit Nomboh Chimalis nur kurz darüber beraten und er würde ihnen entgegen kommen und Nalani abholen. Er war Geisterjäger, Salihah hatte keine Zweifel, dass das Mädchen bei ihm in Sicherheit wäre. Nalani nutzte am Nachmittag die Gelegenheit, dass Salihah ihren Mann mit Diskussionen beschäftigte, um sich von Kiuk und Sukutai zu verabschieden, die gemeinsam trainierten. Sie kannte sich zu wenig aus mit der Seelenmagie, um das fair beurteilen zu können, aber sie glaubte, die beiden würden gute Fortschritte machen. „Ihr geht fort, junge Herrin? Oh je, hättet Ihr früher etwas gesagt, hätte ich einen Kuchen gebacken für Euch zum Abschied! Ich backe unheimlich gern Kuchen, meine Frau Mutter hat mir viel beigebracht in Tasdyna und-…“ Sie plapperte schon wieder und Nalani starrte sie entsetzt an – wenn sie so viel redete, würde Kelar es doch noch mitbekommen! Kiuk begriff zum Glück und hielt seiner Trainingspartnerin etwas unsanft die Hand auf den Mund, worauf sie sich schüttelte und zurückfuhr, ihn erschrocken anstarrend. „Du liebe Zeit, Kiuk, so weit sind wir aber noch nicht, dass du mir auf den Mund fassen solltest, du Schlingelchen!“ Er hustete und errötete über und über, bevor er verlegen zischte: „S-so war das doch gar nicht gemeint! D-du sollst nur still sein, bitte… verzeih mir, aber mein Vater darf nicht wissen, dass Nalani fort geht! – Warum redest du mich eigentlich nicht im Plural an als Einzigen hier?“ Sie sah ihn aus ihren grünen Augen an und schien einen Moment lang völlig aus der Bahn gerissen – dann lächelte sie glücklich. „Na, deine Eltern sind Respektspersonen und dein Bruder ist auch als Erbe deines Vaters ein hohes Tier, ebenso seine Frau – aber wir beide sind doch Freunde, die duzen sich doch, oder?“ Jetzt hatte sie ihn komplett rot anlaufen lassen und mit einem hastigen keuchen drehte er sich um, um ihr Lächeln nicht länger sehen zu müssen. Nalani musste leise kichern über das Verhalten der beiden, während Sukutai energisch versuchte, Kiuk wieder umzudrehen, aber er wollte sie weder ansehen noch weiter reden. Das braunhaarige Telepathenmädchen hatte offenbar keine Ahnung und Kiuk war zu schüchtern, um es zuzugeben, aber Nalani wusste genau, was sich aus den beiden offensichtlich entwickeln würde, wenn das so weiterging. „Ich wollte mich also ganz inoffiziell von euch verabschieden,“ unterbrach sie die beiden Turteltäubchen dann, worauf beide sie wieder ansahen, wobei Kiuk sein flammendes Gesicht zu verbergen versuchte und Sukutai strahlte und überhaupt nichts kapierte. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Sukutai, auch wenn du deine Lehre sicher vor meiner fertig hast werden wir uns garantiert wiedersehen, dann kannst du mir ja immer noch einen Kuchen backen.“ „Wirklich? Ihr würdet einen haben wollen von mir, Herrin? Das ist eine überaus große Ehre für mich, die ich doch…“ „Ja, ja, schon gut,“ wimmelte die Schwarzhaarige sie mit verdrehten Augen ab. „natürlich würde ich einen haben wollen, es würde mich ehren. Für mich hat noch niemand einen Kuchen gebacken. Und hör bitte auf, Herrin zu mir zu sagen, ich bin bloß ein Jahr älter als du und keine Königin.“ „Ich werde versuchen, es zu berücksichtigen, und verzeiht bitte, wenn ich Euch auf die Nerven fallen, He-… ähm, ich meine, Nalani,“ machte Sukutai mit tausend Verneigungen, und Nalani musste kurz grinsen. Dieses Mädchen war unverbesserlich. „Ich wünsche dir alles Gute,“ murmelte Kiuk noch immer etwas verlegen und lächelte auch, „Du wirst mir fehlen, Schwester.“ Nalani lächelte gerührt zurück. Schwester… „Ich danke dir, Kiuk,“ flüsterte sie, „Du… bist für mich auch wie ein Bruder.“ Es dämmerte, als Nalani in ihrem Schlafzimmer saß, auf ihrem Schoß der Beutel mit ihren gepackten Sachen. Sie sah aus dem Fenster in das Licht des Abends, das den Himmel stärker noch als am Morgen in Flammen setzte. Es sah wunderschön aus und Nalani betrachtete gern den Himmel in seinem Farbfeuer. Es war, als wären es die Himmelsgeister, die die Farbschlieren über den Himmel zogen… so musste es sein! Ja, sie konnte sie sehen, wie sie flogen in dieser Welt zwischen den Lebenden und den Toten… Es war in diesem Moment, dass Salihah zu ihr ins Zimmer kam. Sie war sehr in Eile. „Rasch, auf!“ forderte sie und zog das Mädchen auf die Beine, „Wir brechen umgehend auf. Ich bringe dich bis Zur Straße von Danril, dort wird Nomboh auf uns warten und dich abholen. Rasche, beeil dich!“ „Was ist mit Kelar?“ keuchte Nalani und nahm ihre Sachen, bevor sie sich einen Umhang überwarf und sie die Treppen hinab und zum Tor eilten. Salihah trug einen schwarzen Mantel mit Kapuze, die sie sich jetzt überschlug. Im Hof vor dem Haupttor hatten die Diener zwei Pferde vorbereitet. „Der schläft, ich habe ihm Schlafpulver in den Wein gekippt beim Abendbrot, ich bin mir aber sicher, dass es nicht allzu lange halten wird, weil Schlafmittel bei ihm noch nie wirklich gewirkt haben,“ entgegnete die Frau prompt, und Nalani hustete. „Aber es wird uns einen annehmbaren Vorsprung verschaffen. Rasch, steig auf!“ Damit sprang sie behände auf eines der Pferde und Nalani nahm das andere, ehe ihre Schwiegermutter mit einer Handbewegung mittels Telekinese das Tor öffnete. Sie ließ Nalani vor sich reiten, folgte ihr und schloss das Tor hinter sich wieder. Dann galoppierten sie den Weg hinab bis zur Straße, die nach Tuhuli führte. Auf der Straße waren sie zwar leicht zu finden, aber es war der schnellste Weg bis nach Danril. „Du nimmst ein zu großes Risiko auf ich, wenn Kelar weiß, dass du mir dabei hilfst, Salihah!“ keuchte Nalani und sah über die Schulter, „Er wird dich töten dafür!“ „Besser mich als dich!“ zischte die Frau hinter ihr, und Nalani starrte sie an – das konnte sie doch nicht ernst meinen… „K-kehr um! Ich finde den Weg nach Danril schon alleine, es geht doch immer nur geradeaus! Wenn du jetzt umkehrst, kann ich noch sagen, ich wäre alleine abgehauen…“ „Das wird Kelar nie glauben, er weiß, dass ich dich wegbringe,“ machte Salihah, „Er mag wahnsinnig sein, aber dumm ist er deshalb noch lange nicht. Und er kennt mich… quasi mein Leben lang, er weiß ganz genau, was ich wagen würde und was nicht. Ich werde dich nicht alleine lassen, denn wenn er wach wird, wird er uns beide töten wollen, wenn ich bei dir bin, kann ich zumindest dein Leben vor ihm beschützen. – Mach dir keine Sorgen, so weit wird es nicht kommen.“ Sie sah in den Himmel und plötzlich schlich ein seltsames Lächeln in ihr Gesicht, das von der Kapuze halb verborgen wurde. „Sieh… es wird dunkel.“ Nalani war verschwunden. Tabari, der noch in der Küche seine Jagdmesser geschliffen hatte, kam ins Schlafzimmer und fand es leer vor. Dann ist sie jetzt also weg… und was ist mit Vater? Er drehte sich hastig um, als er plötzlich wütendes Gezeter von unten hörte, es folgte lautes Poltern und dann kreischte ein Dienstmädchen. Tabari riss entsetzt die Augen auf und stürzte zur Treppe, um hinunter zu sehen. Er sah seinen Vater, der in der Halle stand und leicht taumelte, vor ihm am Boden lag das Küchenmädchen, aus ihrer Nase rann Blut. „B-bitte, Herr! S-seid gnädig, ich weiß wirklich nichts!“ „Du dreckige Hure!“ brüllte Kelar wutentbrannt und trat nach der Frau, die aufschrie und sich wie ein Wurm zusammenkrümmte, „Du Schlampe, wo ist meine Frau?! Wo ist sie?! Sie ist mit der Wachtel fort nach Tuhuli, du hättest sie nicht gehen lassen dürfen! Niemand hätte sie gehen lassen dürfen! Verdammt, warum finde ich mich wie betrunken auf dem Sofa in der Stube und erinnere mich an nichts?! JETZT ANTWORTE, du mieses Stück Dreck!“ Er trat abermals nach der Frau und sie schrie und wimmerte, als er immer wütender wurde, bis er mit dem Fuß unter ihr Kinn trat und ihr Kopf mit einem Ruck zurückgeworfen wurde. Es knackte unschön und das Mädchen lag leblos am Boden. Tabari hechtete jetzt entsetzt die Treppe hinab, während hinter ihm Kiuk auftauchte, der sich aber hütete, in die Nähe des tobenden Vaters zu kommen. „Vater!“ schrie der Blonde, „W-was hast du getan, du hast das Küchenmädchen getötet!“ „Geh aus dem Weg, du Nichtsnutz!“ brüllte Kelar ihn an, und Tabari, der noch sinnloserweise nach dem Puls der Frau fasste, erhob sich sehr schnell wieder, weil er fürchtete, sein Genick würde als nächstes brechen, würde er am Boden hocken bleiben. „Was ist in dich gefahren, Vater? Woher soll das Mädchen denn wissen, wo Mutter und Nalani sein mögen?!“ Kelar schnappte nach Luft und Kiuk oben traute seinen Ohren nicht – was tat sein Bruder da? Er tadelte den Vater? Seit wann denn das? Kelars Ausdruck wurde grimmiger, als er schnaubend den blonden Sohn fixierte und seine Hände wutentbrannt zu Fäusten ballte. „Du…“ keuchte er bebend vor Zorn, „Du hast deine Frau ziehen lassen… du warst einverstanden… habe ich recht?! Und lüg mich nicht an, wage es ja nicht, Tabari… es wäre das Letzte, das du tust…!“ Tabari keuchte und starrte ihn an – aber ehe er sich eine Ausrede überlegen konnte, wechselte sein Vater prompt das Thema und sprach plötzlich mit sich selbst: „Oh, Salihah, du Närrin, du elende Verräterin… was immer du mir für eine Droge ins Essen gemischt haben magst, du wirst dafür bezahlen… das ist dein Werk, ich spüre es mit jeder Faser meines Körpers! Und vorhin in der Stube hast du scheinheilig getan, du Schlange, du widerwärtige Sadistin…! Das wirst du bitter bezahlen!“ „Vater, warte…!“ keuchte Tabari und trat zurück, da fuhr Kelar plötzlich wütend zu ihm herum und schlug nach ihm – der Sohn war flink genug, auszuweichen und sprang zurück in Richtung Treppe. Nun nicht mehr in des Vaters Weg stürmte dieser fluchend aus der Tür, hinaus aus dem Schloss. Als die Tür ins Schloss knallte, standen die beiden Söhne heftig atmend einfach nur da. Dann sprach Kiuk. „W-was ist hier nur los?! Ist er jetzt wirklich nur wegen Nalanis Lehre so außer sich?! W-was machen wir denn jetzt?! Er wird in seinem Wahnsinn das Schloss in Brand stecken oder so…“ „Fasel nicht, Kiuk!“ blaffte Tabari den Jüngeren an, „Entsorg die Leiche, ich versuche, ihn zu beruhigen!“ „Was, du?! Du kannst das nicht!“ schrie Kiuk panisch, als der ältere Bruder aus der Tür und dem Vater nachjagte, „Tabari, nicht! E-er bringt dich um!“ Doch Tabari war bereits weg und Kiuk sank am oberen Treppenende stöhnend zu Boden. Er zitterte und fühlte sich plötzlich erschöpft, als wäre er den ganzen Tag gerannt. Ein Schatten der Dunkelheit wehte über das Land. Salihah spürte die Warnung der Geister wie einen kaum merklichen Stich in ihrem Kopf, und sie fuhr herum, während sie das Dorf Gahti passierten und weiter nach Norden rannten. Kelar ist hinter uns her… das hat ja noch kürzer gewirkt als ich gedacht habe… verflucht! „Rascher!“ befahl sie Nalani vor sich, „Beeil dich, wir müssen Nomboh bei Danril erreichen, bevor Kelar uns einholt!“ „Er ist schon hinter uns her?!“ fragte die Jüngere entsetzt und gab dem Pferd die Sporen. Sie rasten so schnell die Pferde sie tragen konnten über das nächtliche Land und die leere Straße. Sie hatten Gahti hinter sich gelassen, da war es noch etwas anderes, was Salihah wahrnahm. Plötzlich verringerte sie das Tempo etwas und Nalani bremste ebenfalls und sah sie verwirrt an. „Was ist?“ „Ich weiß es nicht genau…“ murmelte die Frau, „Aber irgendwie… scheinen die Geister dieser Nacht es gut mit uns zu meinen…“ „Was meinst du?!“ „Irgendetwas hat Kelar gerade angehalten.“ Der Herr der Geister stoppte in eben diesem Moment einige Meilen weiter südlich, als er gerade den Weg nach Norden eingeschlagen hatte und ihm direkt vor dem kleinen Wäldchen, das die Straße durchquerte, plötzlich der Weg versperrt wurde. Kelar Lyra schnaubte wütend und hob herrisch den Kopf, als er sein gegenüber schließlich erkannte. „Das hätte ich mir wohl denken sollen, oder wie? Geh mir aus dem Weg, oder ich reiße dich in Stücke, Chimalis.“ Zoras Chimalis fürchtete sich nicht im Geringsten vor dem Älteren. „Ich weiß, was du vorhast… aber deine abenteuerliche Reise endet hier. Da wirst du mich wohl… in Stücke reißen müssen, wenn du deiner Frau nachjagen willst!“ Kelar Lyra schnaubte wütend und hob drohend den Speer, den er mitgenommen hatte, während das Pferd, auf dem er saß, unruhig hin und her tänzelte. „Du forderst mich offen heraus, Chimalis? Das ist entweder sehr mutig oder sehr dumm! Du kennst diesen goldenen Speer, er hat dich… schon einmal beinahe getötet! Ich könnte es wieder tun und es dieses Mal beenden…“ „Ja, das könntest du,“ machte der andere kalt, „Das hier ist kein Wettkampf um den Titel des Herrn der Geister, Kelar. Ich fürchte weder Tod noch Schmerz, das solltest du aber langsam mal wissen!“ „Du elender…! Du wagst es, dich über mich lustig zu machen…“ zischte der Herr der Geister, „Du solltest vor mir knien, Zoras Chimalis, du solltest dich verneigen und knien vor dem Herrscher Lyriens, du Made…“ Zoras Chimalis seufzte. „Mit dem Knien hab ich's nicht so, ich hab's momentan mit dem Rücken, weißt du…?“ „Eigentlich gehörst du sogar gevierteilt für deine Frechheit… für die Schweinereien, die du mit meiner Frau getrieben hast, du elender Dreckshund…“ „Wir können auch um das Recht auf Salihah kämpfen, wenn dir das lieber ist, aber ich glaube nicht, dass die Gute das gerne sehen würde…“ „ICH ZERFLEISCHE DICH, CHIMALIS!“ brüllte der Mann und wollte gerade sein Pferd antreiben, um den Mann vor sich einfach umzunieten, da ertönte ein Schrei hinter ihm und er fuhr schnaubend herum. Tabari tauchte bei ihnen auf, der den Hügel herab gerannt war. „Vater, halt ein mit dem Wahnsinn!“ keuchte er, „Wir können das doch friedlich klä-… Zoras Chimalis?!“ „Geh mir aus dem Weg!“ warnte Kelar seinen Kollegen, „Ein letztes Mal sage ich das jetzt! Oder ich schicke dich gemeinsam mit deiner Hure und der Wachtel in die ewigen Jagdgründe!“ „Du kannst Nalanis Lehre nicht verhindern, sieh es ein,“ entgegnete der Geisterjäger ungerührt und zog seelenruhig eine schwarze Feder aus seiner Tasche, „Es ist zu spät, du weißt das selbst. Und du weißt, wer sie ist… sie ist Thono Kandayas Tochter, das Kind eines Geisterjägers! Du fürchtest dich davor, sie könnte mehr Macht erlangen als du, wenn sie sich fortbilden darf… du kannst es nicht verhindern.“ „Niemand hat mehr Macht als ich!“ brüllte der Mann zornig und riss den goldenen Speer wütend in die Luft. Mit einem Krachen aus dem dunklen Himmel schlug ein gleißender Blitz in die Spitze ein und es entstand eine grell leuchtende Kugel aus wirbelnder Energie. „Niemand beherrscht mich, Chimalis! Weder diese Wachtel… noch meine Frau… und am wenigsten du!“ „VATER, NICHT!“ brüllte Tabari fassungslos über die Tatsache, dass er offenbar wirklich seinen Kollegen angreifen wollte – aber Zoras war schneller und ehe Kelars Blitzkugel die Stelle krachend erreichte, wo er eben noch gestanden hatte, war der Mann plötzlich hinter Kelars Pferd und hob seine Feder in die Höhe. Der Himmel grollte. „Nalani wird nach Tuhuli kommen… und wenn du es wagen solltest, meiner Familie zu nahe zu kommen, Kelar, du grausamer Dämon… dann wirst du es sein, der kniet und um Gnade winselt, das schwöre ich dir! Denn ich kann grausamer sein, als du dir vorstellen magst… ich bin der Clanführer des Chimalis-Clans, der Herr über die Geister der Todesvögel! Und du solltest mich fürchten lernen, wenn du nicht vollkommen dumm sein willst… und das sage ich auch nur einmal, Kelar.“ An der Kreuzung der Hauptstraße mit dem kleinen Sandweg, der zum Dorf Danril führte, wartete Nomboh mit einer kleinen Kutsche bewaffnet, als Salihah und Nalani ankamen. Die Ältere zog sich rasch die Kapuze vom Kopf, um sich zu erkennen zu geben, als der Geisterjäger aus der Kutsche kletterte. „Ihr seid pünktlich, alle Achtung,“ meinte er nickend, doch Salihah hatte keine Zeit für Späße. „Nalani, rasch, steig in den Wagen. Nomboh wird dich auf schnellstem Weg nach Tuhuli bringen, ich werde zurückgehen und versuchen, Kelar davon abzuhalten, alles nördlich unseres Schlosses in Brand zu stecken.“ „Pass bitte auf dich auf!“ machte Nalani besorgt, die brav von ihrem Pferd sprang und Nomboh sie in die Kutsche schob. „Ja, tu das, das Volk hat schon genug Ärger,“ machte er dabei zu Salihah, „Was Kelar so treibt, ist sicher nicht die Arbeit eines Gouverneurs sondern eher die eines Tyrannen.“ „Ich dachte, er hätte angehalten…?“ murmelte das Mädchen in der Kutsche, und Salihah setzte die Kapuze wieder auf und wendete ihr Pferd, Nalanis nun reiterloses Tier nahm sie am Zügel. „Ja, aber ich traue der Ruhe nicht… irgendetwas passiert, ich habe ein ungutes Gefühl. – Nomboh, beeil dich! Ich überlasse dir Nalani reinen Gewissens… gib gut auf sie acht, wehe, ihr fehlt ein Körperteil, wenn ich sie nächstes Mal sehe.“ Das waren die letzten Worte der Seherin an das Mädchen, und sie wandte sich ab und trieb das Pferd zurück in die Finsternis. Nalani blickte ihr heftig atmend nach, ehe Nomboh sich zu ihr in die Kutsche setzte und der Wagen rasch losfuhr. Lange starrte Nalani noch immer etwas nervös aus dem Fenster der Kutsche hinaus in die Dunkelheit. Nomboh neben ihr lehnte sich zurück und gluckste. „Keine Bange, jetzt bist du quasi gerettet,“ erklärte er ihr zuversichtlich, „Entschuldige meine Unhöflichkeit, wir waren zeitlich leicht angespannt. Du weißt ja ohnehin, wer ich bin, aber nur zur Sicherheit, mein Name ist Nomboh Chimalis. Ich werde dich bis zum kommenden Sommer unterweisen, Nalani. Solange wirst du im Anwesen meiner Familie in Tuhuli wohnen.“ „Ja, Meister,“ sagte sie gehorsam und riss sich jetzt erst vom Fenster los, um ihn sich genauer anzusehen. Nomboh grinste. „Du denkst an deine Schwiegermutter, hmm? Hab keine Angst… du wirst sie wiedersehen.“ „Wie könnt Ihr das wissen? Kelar ist ein böser Geist, ich traue ihm das Schlimmste zu.“ „Ich weiß, das tun wir alle. Die Geister würden mich nicht anlügen und mir verschweigen, wenn etwas passieren würde. Und Salihah ist… eine sehr starke Frau.“ Das Mädchen sah wieder aus dem Fenster. „Wie stark?“ murmelte sie dumpf, und der Geisterjäger klopfte ihr kameradschaftlich auf den Rücken. „Stark genug, kleine Nalani.“ Salihah war sich definitiv nicht sicher, ob sie stark genug war für das, was ihr bevorstand, als sie zum Schloss zurückkehrte. Sie war Kelar nicht begegnet; entweder hatte er einen anderen Weg genommen oder er war umgekehrt… ihre Augen verweigerten ihren Dienst, wie es aussah. Im Anwesen war es düster und ruhig. Salihah zündete kein Licht an, als sie in der Halle stand und eine Weile einfach schweigend da blieb und sich nicht rührte. Auf dem Boden waren kleine Blutflecken. Sie fragte sich gerade, was hier geschehen war, da hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme direkt hinter sich. „Ah, du kommst also freiwillig zurück, statt dich zu deinem Liebhaber nach Tuhuli zu verkriechen, Salihah… wie aufmerksam von dir.“ Sie fuhr zu ihrem Mann herum, der plötzlich hinter ihr stand, dann schlug er ihr mit solcher Kraft ins Gesicht, dass sie zu Boden stürzte. Sie hustete und spürte, dass etwas in ihrem Mund zu bluten begann, bevor sie keuchend vor Schmerz zu Kelar hinaufsah. Da stand er, mit seinem schwarzen Geisterjägerumhang und dem goldenen Speer in der Hand war er eine imposante und grauenhaft furchteinflößende Erscheinung, wie er mit Augen voller Wahnsinn und Zorn auf sie herunter starrte, bereit, sie umzubringen. „Du hast deine Grenze weit überschritten, Weibsbild…“ zischte der Herr der Geister und trat langsam auf sie zu, „Nicht nur, dass du wie eine Hure die Betten wechselst und mich verrätst… du widersetzt dich meinem Willen absichtlich und du hast versucht, mich umzubringen… nenn mir einen… Grund, dich am Leben zu lassen, du notgeile Schlampe…“ Er spuckte vor ihr auf den Boden und schlug dann mit dem stumpfen Ende des Speers nach ihr, dem sie im letzten Moment noch auswich, ehe sie sich keuchend auf die Beine rappelte. „Es war ein harmloses Schlafmittel, ich habe nicht versucht, dich umzubringen,“ korrigierte sie ihn kühl und widerstand der Versuchung, nach ihrem brennend schmerzenden Gesicht zu fassen. Ihre Nase blutete ebenfalls und sie spürte es warm über ihre Lippen rennen und bekam den widerlichen, salzigen Geschmack in den Mund. „Und ich handle so, wie die Geister es mir sagen, Kelar. Du kannst mich töten, wenn du willst, du wirst nicht die ganze Welt beherrschen.“ Er gab ihr eine schallende Ohrfeige und hätte sie mit der Schlagkraft beinahe gegen die Wand geschleudert. Sie schrie nicht. Sie schrie nie, wenn er sie schlug, und in dem Moment ärgerte es ihn enorm. Er wollte, dass sie schrie und wimmerte und um Gnade bettelte… aber sie stand kaltherzig vor ihm wie eine Statue und rührte sich nicht, zeigte mit keinem einzigen Zucken, dass sie Schmerzen hatte. „Dass du es überhaupt wagst, mir ins Gesicht zu sehen, du verfluchte, elende…!“ brüllte er sie wutentbrannt an, „Ich bringe dich um für deinen Verrat! Ich habe verboten, dass die Wachtel diese Lehre bekommt, und du schmuggelst sie hinter meinem Rücken hinaus! Und nicht nur das… deine verräterischen Kumpels, die Chimalis‘, werden genauso dafür bezahlen wie du… jeder einzelne von ihnen wird bluten und bitter bezahlen für diese Schande… du sagst, du handelst im Sinne der Geister, pah! Ich bin der Sinn der Geister, Salihah! SIEH MICH AN, DU HURE!“ Er schlug sie erneut, dann stieß er mit dem stumpfen Ende des Speers in ihre Seite und schlug sie abermals zu Boden, und sie wich keuchend zurück, als er wütend nach ihr trat und ihr damit um ein Haar das Genick gebrochen hätte. Während seiner wütenden Rede war er immer lauter und zorniger geworden und jetzt tobte er wie eine Sturmwolke vor ihr und stierte auf sie herab, als könnten seine Augen Blitze verteilen und sie in Flammen aufgehen lassen. „Dein Liebling Chimalis hat tapfer versucht, mich aufzuhalten, damit du in Ruhe die Wachtel nach Tuhuli schaffen kannst… es ist wahrlich ein Jammer… dass er es gewagt hat, sich mir in den Weg zu stellen, dieser Narr…“ Salihah erstarrte bei seinen Worten. Zoras war da gewesen? Wieso hatte sie nichts davon gesehen? Dann ist er deshalb aufgehalten worden…?! Und was ist dann mit…?! Sie starrte jetzt fassungslos zu ihm hoch und wagte nicht mehr, sich zu rühren, als er zornig seinen Speer erhob und die Spitze auf sie richtete. „Hast du ihn getötet?!“ japste sie und wurde weiß, ihn anstarrend. Kelar Lyra hielt inne und sah auf sie herunter, badete in seiner Überlegenheit und ihrer Panik, der Blässe in ihrem Gesicht. Er antwortete nicht. „Ist er tot, Kelar?!“ wiederholte sie lauter und energischer, und er lehnte lachend den Kopf in den Nacken. Sein Lachen wurde immer lauter und dämonischer, bis er mit einem Mal den Kopf herunter riss und damit auch den Speer herabstieß. Sie kniff zwar die Augen zu, schrie aber nicht und verdarb ihm damit seine Freude, während der Speer den untersten saum ihres Kleides durchbohrte und es neben ihrem Fuß an den Boden pinnte, ohne sie zu verletzen. Als Salihah die Augen öffnete, stützte er sich schnaubend auf seinen Speer und funkelte sie diabolisch an. „Nein…“ raunte er, „Ich werde ihn nur töten, wenn du zusiehst, wie er stirbt… und wenn der Tag gekommen ist, werde ich dich zwingen, hinzusehen… wie das wohl ist, hmm? Zuzusehen, wie dein Geliebter brutal geschlachtet wird? Das ist… der wahre Wille der Geister! Das Blut der Verräter wird fließen… und du wirst knien und meine Sklavin sein… du bist mir zu schade zum Töten… noch.“ Damit zog er seinen Speer aus ihrem Kleid und sie keuchte heftig, während er jetzt wieder ruhig ein paar Schritte zurücktrat, um sie zu betrachten, seine stolze, kalte Frau, wie sie am Boden vor ihm lag. Das Bild gefiel ihm und ihr hasserfüllter Blick erregte ihn, sodass er zischte und sich dagegen sträuben musste, als ihn plötzlich das Verlangen überkam, sie hier und jetzt auf eine brutale und für sie schmerzhafte Weise zu nehmen, dass sie schrie und wimmerte und ihn anflehte, aufzuhören… aber er konnte sich beherrschen und auf abstruse Weise widerte es ihn plötzlich an, daran gedacht zu haben. Er kehrte ihr wütend auf sie und sich selbst den Rücken. „Nein, Salihah,“ knurrte er, „Du wirst leben und dir wünschen, ich hätte dich getötet. Du wirst leben und leiden und ich werde… Spaß daran haben, dass du Schmerzen hast.“ Dann stampfte er davon und aus der Tür hinaus. Salihah setzte sich zitternd auf und fasste als erstes stöhnend nach ihrer höllisch schmerzenden Seite, die er geschlagen hatte mit seinem Speer. Er musste ihr mindestens eine Rippe gebrochen haben, da war sie sicher. Keuchend rappelte sie sich langsam auf; dann kamen Tabari und Kiuk aus der Küche. „Du bist wohlauf…“ seufzte der jüngere erleichtert, „Ich hatte Angst, er würde dich töten, a-aber Tabari hat gesagt, er würde es nicht tun und wir sollten warten, bis er weg ist…“ „Das war klug…“ stöhnte sie und hielt sich japsend die Seite, „Wäret ihr gekommen, hätte Kelar euch vielleicht mit aufgespießt… ah…“ „Bist du verletzt?“ wollte Tabari besorgt wissen, und sie stützte sich an der Wand ab, als der Schmerz sie schwindelig machte. „Es geht schon… ich werde es überleben…“ „Ich habe versucht, Vater aufzuhalten, als er weggerannt ist,“ berichtete der Blonde dann murmelnd, „Zoras Chimalis ist mir zuvor gekommen, aber im Nachhinein denke ich auch, ich hätte ohnehin weniger Chancen gehabt… Vater war außer sich vor Wut, ich habe ihn nicht mehr wiedererkannt…“ „Dann kennst du ja jetzt… das wahre Wesen deines Vaters, Tabari…“ keuchte sie, „Es tut mir leid… dass ihr beide da hineingezogen werdet… ich wünschte, ich… hätte das vermeiden können. Wenn du deinem Vater je gegenüberstehen können willst, Tabari, musst du noch viel lernen…“ Der Sohn senkte den Kopf und tat plötzlich etwas, was Salihah ihn nie zuvor tun gesehen hatte – er verneigte sich vor ihr. „Ich werde in diesem Jahr, in dem meine Frau fort ist, nach dem wahren Wesen der Geister suchen… ich werde stärker werden und würdig sein, Lyra zu heißen, würdig sein, Nalanis Mann zu sein, Mutter! Noch einmal wird es nicht geschehen, dass ist nutzlos daneben stehe, während andere Probleme haben.“ Sie blickte ihn verblüfft an und auch Kiuk war überrascht. „Das tu,“ stimmte die Mutter ihm dann dumpf zu, „Alles, was dein Vater dir nicht hat beibringen können, wirst du jetzt selbst lernen müssen. Du willst es wirklich auf dich nehmen?“ „Das bin ich denen schuldig, denen ich Unrecht getan habe…“ murmelte er, und Salihah seufzte schmerzhaft. „Auch, wenn dein Vater… nie zufrieden war mit dir… ich… meinerseits bin gerade ziemlich stolz auf meinen ältesten Sohn, der offenbar langsam wirklich zum Mann heranreift.“ Nalani bekam von der Stadt Tuhuli bei der Ankunft nichts mit, weil es dunkel war. Das Anwesen des Chimalis-Clans lag am Rand der Kleinstadt. Es war kleiner als das Lyra-Schloss und hatte auch keine Türme, dafür aber einen großen Garten, das war das erste, was Nalani auffiel, als sie nach einer unruhigen ersten Nacht in dem fremden Haus umgeben von fremden Leuten in dem Zimmer aufwachte, das man ihr hergerichtet hatte. Von ihrem Zimmerfenster aus hatte sie einen schönen Blick auf den Garten und auf die Klippen in einiger Entfernung, unter denen das Meer rauschte. Da Dokahsan eine Halbinsel war, war man eigentlich überall von Meer umgeben, auch vom Lyra-Schloss aus konnte man das Meer sehen, sogar noch besser, es lag näher an den Klippen. Nalani zog sich rasch um und fragte sich, ob sie jemand wecken würde oder ob man erwartete, dass sie von alleine aus ihrem Zimmer kam. Es geschah irgendwie beides, denn als sie sich gerade entschloss, das Zimmer zu verlassen und Nomboh zu suchen, öffnete sich die Tür einen kleinen Spalt weit und Nalani erkannte erst ein Paar Augen in dem Spalt, dann tauchte noch ein zweites darüber auf. „Oh, sie ist schon auf!“ wurde sie dann grölend begrüßt und ehe sie sich versah, war die Tür ganz aufgeschoben und vor ihr hüpfte ein blondes Mädchen auf und ab und versuchte offenbar, wenigstens im Hüpfen auf ihrer Augenhöhe zu sein. Hinter dem Mädchen war ein etwas älterer Junge aufgekreuzt, der die Kleine energisch an den Schultern griff. „Du sollst die Schülerin nicht nerven, Enola!“ tadelte er es dabei wichtigtuerisch, „Du solltest auf das hören, was meine Mutter dir gesagt hat!“ „Guten Morgen,“ grüßte Nalani die beiden Kinder vor sich perplex, und das Mädchen hörte auf zu hüpfen und beide sahen sie groß an. „Guten Morgen!“ grinste der Junge sie dann an und neigte höflich den Kopf, „Du bist also Nalani! Mein Vater hat schon viel von dir erzählt, du bist die Frau aus Onkels Traum!“ „Onkels Traum?“ fragte Nalani verdutzt und fragte sich, was er meinte, da fuhr er fort: „Wir sind uns noch gar nicht vorgestellt worden, ich bin Meoran, Nombohs Sohn. Das hier ist meine Cousine Enola, die Tochter des Bruders meines Vaters!“ „Ich bin neun!“ erklärte die Kleine stolz und zeigte neun Finger mit ihren Händen. „Und ich werde noch zehn am Ende des Sommers!“ „Tatsache?“ machte Nalani mehr oder minder beeindruckt, dann lächelte sie und neigte auch den Kopf. „Ja, ich bin Nalani, das ist wohl wahr. Freut mich, euch kennenzulernen, Meoran und Enola.“ „Stimmt es, dass du schon eine Braut bist?“ strahlte Enola sie an, und Nalani zog eine Braue hoch. „Ich habe einen Ehemann, ja. Er heißt Tabari, aber ihr kennt ihn doch bestimmt.“ „Zumindest seinen Namen,“ bestätigte Meoran, „Richtig kennen tun wir ihn eigentlich nicht. Onkel sagt, der Herr der Geister und sein Sohn hätten Besseres zu tun, als sich mit uns Gesindel abzugeben.“ „Tatsache…?“ machte Nalani jetzt perplex und war erstaunt darüber, dass sich die Leute des Chimalis-Clans selbst als Gesindel bezeichneten – sie waren doch ein sehr anerkannter und mächtiger Clan! In dem Moment tauchte in der Tür der Onkel auf, von dem alle sprach, Zoras. Er musterte Nalani wortlos und sagte dann zu Meoran: „Das mit dem Gesindel war Ironie, du Depp. Du sprichst das falsch aus, so verstehen es alle falsch. Und statt die Frau mit Fragen zu überschütten, hättet ihr sie einfach hinunter bringen können, deine Mutter ist fuchsteufelswild, weil niemand ihr Frühstück isst, sie hat mit einer Teekanne nach mir geworfen und ich habe die Nase voll.“ Während seiner für den Inhalt verhältnismäßig gelassenen Rede weitete Nalani immer mehr die Augen. Fliegende Teekannen? Fuchsteufelswild? Sie kam nicht dazu, weiter zudenken, weil der Clanführer seine Tochter und seinen Neffen aus der Tür schob und Nalani aufforderte, mitzukommen. „Wir sind uns gestern nicht richtig begegnet,“ sagte er, „Willkommen in Tuhuli, Nalani. deine Reise hierher war ja etwas umständlich, aber da alle noch leben ist ja alles gut.“ „Ihr seid Zoras Chimalis…“ murmelte Nalani und sah ihn eine Weile an, „Salihah spricht ab und zu von Euch.“ „Nichts Gutes, hoffe ich doch,“ grinste er verhalten, sagte aber nichts weiter dazu, als sie ihn verwirrt ansah. Sie kamen jetzt hinunter in die Küche. Dort waren die Kinder und auch Nomboh, der sich offenbar prächtig amüsierte, während zwei Frauen auf dem Boden hockten und eine Lache aus Tee aufwischten und Scherben einsammelten. Eine dritte frau rannte wild schreiend und meckernd im Kreis. „Aah, da sind ja alle!“ grüßte Nomboh die beiden letzten, die hereinkamen, „Keisha, hör auf zu toben, benimm dich vor der Frau des Lyra-Prinzen Tabari!“ „Ach, du!“ meckerte Keisha und schnappte dem Hausmädchen den Lappen voller Tee aus der Hand, um ihm ihrem Mann auf den Kopf zu klatschen. Die Kinder fingen laut an zu lachen und Nomboh hustete. „Du sitzt da und lachst dich scheckig, Nomboh, während der Tee auf dem Boden liegt!“ „Na, wer hat denn mit der Teekanne geworfen?“ fragte Zoras sie, „Hättest du nicht versucht, mir mit der guten Kanne den Kopf zu zerdeppern, würde ich mich jetzt auch scheckig lachen!“ „Barbarenbande!“ jammerte Nombohs Frau und raufte sich die Haare, „Das war die Kanne meiner Mutter!“ „Wenn du damit wirfst…“ wiederholte der Mann nur ratlos, und sie stampfte fluchend und jammernd aus der Küche. „Erzieh deine Frau mal, Nomboh, am frühen Morgen dieses Gezeter lässt meine Ohren klingeln, ich bin schon fast taub.“ „Frag mich mal, sie liegt nachts in meinem Bett und ist da nicht leiser.“ „Keine schmutzigen Geschichten beim Frühstück…“ Nalani hatte sich die Szene entzückt und empört gleichzeitig angesehen und stand jetzt da, während das Hausmädchen und die zweite Frau ihre Putzaktion beendeten, erstere aus der Küche eilte und zweitere sich an den Tisch zu den anderen setzte. Nomboh bot Nalani einen Stuhl an. „Setz dich! Iss was, und halt dich nicht zurück, sonst fällst du mir vom Fleisch und du wirst Kraft brauchen für dein Training.“ „Guten Morgen im übrigen,“ machte Nalani höflich und setzte sich hin. Man gab ihr von den Speisen auf dem Tisch und der kleine Meoran, der neben ihr saß, grinste sie an: „Sag ja nichts Falsches über das Essen, das hat meine Mutter gemacht! Wenn man ihr sagt, dass sie nicht kochen kann, wird sie sauer, und so schlecht ist es auch gar nicht…“ „Oh… danke…“ murmelte die Schwarzhaarige verwirrt und sah auf ihren Teller, auf dem lauter eigenartige Dinge waren, die sie nie gesehen hatte. In der Küche war ein seltsamer, aber angenehmer Geruch, den Nalani nicht kannte. „Frag auch lieber nicht, was das ist…“ murmelte Nomboh verhalten und spießte mit der Gabel ein seltsames Röllchen aus gelb-brauner Masse auf, um es ausgiebig zu betrachten, „Es sieht aus wie ein Eierröllchen, ist aber irgendetwas anderes…“ Nalani blinzelte. Zoras wandte sich zu ihr, griff dabei eine heile Kanne vom Tisch und schenkte sich selbst daraus einen seltsamen Tee in eine Tasse. Es war der Tee, nach dem es roch, fiel dem Mädchen verdutzt auf. „Die Furie, die eben hinaus gerauscht ist, ist Keisha, sie ist Nombohs Frau und Meorans Mutter,“ erklärte der Schwarzhaarige ihr dann. „In Wahrheit ist sie die Herrin des Hauses, du wirst sehen, denn alle haben Angst vor ihr. Dies wiederum,“ Er zeigte auf die übrige Frau, die lächelnd am Tisch saß, „Ist meine Frau, Tehya, Enolas Mutter. Das wären fürs Erste alle, die du kennen solltest, Nalani. Lass dich nicht erschrecken von unserem Umgang miteinander, bei dir daheim geht es anders zu, ich weiß.“ „Ja… kälter irgendwie,“ machte Nalani dumpf und dachte an das Lyra-Schloss und an die verbissenen, stummen Essen mit der Familie, bei denen Kelar den Braten teilte und alle anderen sich mit dem zufriedengeben mussten, was sie bekamen. Hier nahm sich jeder, was er wollte. Enola legte ein angebissenes Röllchen zurück in die Mitte, weil sie es nicht mochte, aber da wurde ihre Mutter energisch und erklärte ihr, dass man angebissenes nicht zurücklegen durfte. Nalani schwieg während des Essens; sie war es erstens gewohnt und zweitens prasselten so viele neue Eindrücke und Personen auf sie ein, dass es ihr die Sprache verschlug. Die Leute vom Chimalis-Clan verstanden das offenbar und nötigten sie nicht zum Sprechen, sie unterhielten sich miteinander und boten dem Mädchen von allen Seiten ab und zu Essen an. Sie war ihnen sehr dankbar für das Verständnis. Die beiden Kinder waren offensichtlich extrem begeistert von Nalanis Aufenthalt in Tuhuli. Sie wollten sie gleich nach dem Frühstück beschlagnahmen und ihr das Anwesen zeigen, doch Meorans Vater machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Schließlich war Nalani nicht zum Spaß hier, sie hatte viel zu tun. Und so begann er ohne große Umschweife nach dem Essen damit, sie zu unterweisen. Die erste Übung, die Nalani in Tuhuli machte, verwirrte sie zutiefst. „Was soll ich hier machen?“ fragte sie ihren Meister perplex und sah auf das schmale Holzbrett, auf dem sie stand, das wiederum auf zwei Steinen lag, einer stützte es in der Mitte und einer am rechten Ende. Nomboh, der vor ihr stand, warf ihr einen Apfel in die Hände. „Leg dir den auf den Kopf,“ verlangte er grinsend, „Und wenn er runterfällt, hast du verloren!“ Das Mädchen zog eine Braue hoch, betrachtete den Apfel und tat dann seufzend, wie ihr geheißen, obwohl sie nicht verstand, was das bringen sollte. Sie stand ganz ruhig und der Apfel bewegte sich nicht auf ihrem Kopf. „Und was soll… WAAH!“ Sie schrie entsetzt auf, als der Mann plötzlich den äußeren Stein mit dem Fuß unter dem Brett wegschob, worauf das Brett plötzlich mächtig zu schwanken begann wie eine Wippe, Nalani ruderte mit den Armen und verlor das Gleichgewicht. Der Apfel kullerte gefolgt von dem Mädchen auf den Boden vor Nombohs Füße. Keuchend rappelte sich die Schwarzhaarige auf und sah ihren Lehrmeister empört und verwirrt zugleich an, während er gluckste und sich offenbar sehr amüsierte. „Das… ist nicht witzig, bei allem Respekt, meister!“ schnappte sie dann gezwungen gefasst, und er kicherte. „Nein, in der Tat nicht! Entschuldige, Nalani. Gleichgewicht, verstehst du? Du wirst als allererstes lernen, dein Gleichgewicht zu halten, du wirst sogar auf einem Bein auf dem Wackelbrett stehen können mit zwei Äpfeln auf dem Kopf.“ „Ich wollte aber keine Ausbildung zur Akrobatin…“ murmelte sie und sah zu dem Brett. „Darum geht es auch nicht. Um die Geister beherrschen zu können, brauchst du inneres Gleichgewicht, Nalani. Und wenn du nicht einmal körperliches Gleichgewicht hast… kannst du auch keine Geister lenken! Reg dich niemals auf, Wut zerstört alles. Sei ganz ruhig… konzentrier dich auf deinen Geist, Nalani, bring die Wellen ins Gleichgewicht.“ Er hob den Apfel auf und hielt ihn ihr hin, und sie sah ihn kurz an. „Könnt Ihr auf einem Bein zwei Äpfel auf dem Kopf balancieren?“ fragte sie dann, und Nomboh grinste. Er kletterte wortlos auf das Wackelbrett und brachte es in kurzer Zeit dazu, auf dem halb runden Stein ganz ruhig zu liegen, bevor er ein Bein anhob und sich den Apfel auf den Kopf legte; dabei wackelte er kein bisschen und Nalani beobachtete fasziniert, wie er einen zweiten Apfel aus seiner Manteltasche zog und ihn auf den ersten Apfel legte, sodass er jetzt ein kleines Türmchen auf seinem Kopf trug. Da stand er dann seelenruhig und sah wieder zu seiner Schülerin. „Überzeugt, Nalani?“ Und sie übte. Sie übte tagelang, aber egal, wie sehr sie sich zu konzentrieren versuchte, nach einer Weile fiel sie immer wieder herunter oder verlor zumindest den Apfel vom Kopf. Nomboh Chimalis beobachtete sie wochenlang stumm beim Üben und Nalani ärgerte sich ein wenig, dass er ihr nicht irgendeinen Trick verriet oder ihr sagte, was sie besser machen konnte – er stand oder saß einfach nur da und sagte gar nichts. Wenigstens beölte er sich nicht mehr, wenn sie das Gleichgewicht wieder verlor. Zoras kam zu seinem Bruder und leistete ihm beim Beobachten des Mädchens Gesellschaft, das sich immer noch mürrisch mit dem Wackelbrett auseinandersetzte. „Sie ist aufgewühlt,“ machte er dumpf und verengte nachdenklich die Augen. „Wie lange übt sie schon daran?“ „Überdurchschnittlich lange,“ murmelte Nomboh ebenfalls nachdenklich. „Ihre geistige Kraft ist zu groß für sie, viel zu groß, deswegen kann sie sie noch nicht kontrollieren… vielleicht sollte ich versuchen, ihr zuerst die unerschütterliche Seele beizubringen, obwohl das eigentlich nie als erstes kommt, es wird nicht leicht.“ „Aber es ist das einzige, was du machen kannst,“ entgegnete der Bruder, „Zu viele Gefühle in ihr, Nomboh. Schalt sie ab, mach sie kalt und dumpf, dann wird sie ihr Gleichgewicht finden. Sie ärgert sich über Kelar, vielleicht auch über Tabari, sie sorgt sich um Salihah und Kiuk. Sie muss sich mehr konzentrieren und alles äußere liegen lassen.“ „Ja, ich weiß… ich werde es einfach versuchen. – Nalani!“ rief er sie und erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Nalani fiel gerade wieder vom Brett und kam dann keuchend zu ihm und Zoras herüber, wo sie artig den Kopf neigte. „Ja, Meister? Ich bemühe mich nach allen Kräften, aber es funktioniert einfach nicht… vielleicht bin ich unfähiger, als man glaubt.“ „Nein, dein Problem ist ein anderes, du bist zu fähig,“ korrigierte Zoras sie und musterte sie, „Du hast jetzt am Anfang Probleme mit dem inneren Gleichgewicht – aber glaub mir, sobald du das geschafft hast, wird alles andere für dich ein Kinderspiel sein. Elementare Zerstörer kannst du schon, wie ich gehört habe.“ Sie starrte ihn an und dachte flüchtig an den Tag, an dem sie mit Kiuk geübt und ihn beinahe ermordet hatte. Sie senkte den Kopf. „Wieso… schenken die Geister mir so mächtige Gaben, wenn ich sie nicht beherrschen kann…?“ „Dazu bist du ja hier,“ munterte der Meister sie auf und lächelte, „Ich zeige dir, wie du sie kontrollieren kannst, und du wirst es können, besser als ich, besser als Zoras… vielleicht sogar besser als Kelar, wer weiß?“ Dann nahm er sie zur Seite und begann, zu erklären, während sie ihn ansah. „Um die Schwarzmagie anwenden zu können, brauchst du dreierlei Dinge. Zum einen einen Körper, der stark genug ist, die gewaltige Macht der Geisterwinde zu tragen und zu lenken. An deinem Körper müssen wir kaum arbeiten, ich werde dich mit Meoran Laufen schicken, das trainiert deine Ausdauer ungemein und Meoran ist in zwei Jahren auch dran mit der Lehre, der kann sich also auch schon mal nützlich machen. Zum zweiten bedarf es tadellosen Instinkten. Instinkte sind das, was wir Schamanen den meisten Menschen voraus haben, der sogenannte sechste Sinn, der uns Gefahren oder diverses andere spüren und vorhersagen lässt. Die mächtigsten Instinkte sind die seltenen Sehensgaben und das Talent des Rufens. Du weißt ja, dass Salihah eine mächtige Sehensgabe besitzt, die Telepathen sind allgemein meistens gut im Sehen. Aber wir Schwarzmagier können beides haben, sowohl das Sehen als auch das Rufen. Deine Instinkte brauchen wir nicht groß zu testen, ich weiß, dass sie tadellos funktionieren. Du hattest als Kind bereits Visionen vom Tode deiner Eltern, das ist ungewöhnlich früh für solche Träume.“ Nalani nickte langsam, um zu zeigen, dass sie registrierte, was er sagte. „Und als drittes brauchst du eine unerschütterliche, starke Seele… und an der hapert es im Moment, das ist dein Problem.“ „Unerschütterliche Seele?“ fragte sie jetzt. „Ja, genau. Das bedeutet, dass du deine Emotionen verschließen musst. Wenn du den Trancezustand halten willst, und den brauchst du für die mächtigen Zauber, musst du alle Gefühle verschließen können, sei es Zorn, Trauer oder Freude oder etwas anderes. Ein Schamane, der sich von seinen Gefühlen überschwemmen lässt, hat sich selbst nicht unter Kontrolle. Im Rausch der Gefühle tut der Körper nicht immer das, was er soll und der Geist verliert deutlich an Ausdauer und Stärke. Und Voraussetzung für das Gelingen eines Zaubers ist ein perfektes Zusammenspiel von Körper und Geist. Der Geist wird sich auf den Körper konzentrieren und der Körper sich auf den Geist, mit dieser Einheit hast du die perfekte Kontrolle und das nennen wir Trance. Aber dafür darfst du dich nicht deinen Gefühlen hingeben.“ Nalani blinzelte. Nomboh sah sie eine Weile an und fuhr fort: „Das ist die schwerste Lektion der Schwarzmagie… und die meisten Schüler, die ich hatte, haben sich damit am schwersten getan. Aber wenn man es beherrscht, kann einen weder Hass noch Liebe noch Schmerz beeindrucken. Das gilt nur für den Moment, in dem du Magie benutzen willst… diese Lehre soll nicht heißen, du dürftest nicht fühlen, Nalani. Natürlich sollst du das und bis zu einem gewissen Grad kann es den Instinkten sogar helfen, auf seine Gefühle zu hören… solange du dich nicht einnehmen lässt. Wir werden jetzt zuerst daran arbeiten.“ Das Mädchen schwieg. Alle Gefühle loswerden? Sie fragte sich, ob das ging. „Versuch es!“ forderte der Mann sie auf und machte eine Handbewegung, „Befrei deinen Geist von allen Gefühlen. Schließ die Augen und versuche, an nichts zu denken. An gar nichts, konzentriere dich einzig und allein auf deinen Geist. Er muss so frei sein, dass du denkst, du würdest davonfliegen in ein Land der Träume.“ Sie tat wie ihr geheißen und schloss die Augen, versuchte, sich aller Gedanken und Emotionen zu entledigen. Es dauerte eine Weile, bis sich tatsächlich eine seltsame Stille in ihr ausbreitete und sie spürte, wie der Ärger von ihr abließ, wie die Sorge um Salihah verschwand… und mit einem mal spürte sie ihren eigenen Geist, ihren Lebensgeist, der in ihr war und existierte… und nur das. „Du kannst es, Nalani,“ kommentierte Nomboh vor ihr ihr Tun, aber sie hörte ihm nicht zu… sie war plötzlich nicht mehr in Tuhuli, sondern flog gemeinsam mit den Geistern über die farbenfrohen Schlieren des morgendlichen Sommerhimmels, sie spürte ihre Gegenwart… sie war ein Teil von ihnen… Plötzlich wurde sie von Nomboh gepackt und zurück auf die Erde gerissen, und sie öffnete keuchend die Augen und starrte ihn an mit einem fernen, apathischen Blick aus ihren blauen Augen, sodass der Mann ein verdutztes Gesicht machte und ebenfalls keuchte. „Du liebe Zeit!“ machte er, „Sie hat das Gesicht, Bruder… es ist, wie du gesagt hast… komm zu dir, Nalani, um Himmels Willen.“ Er rüttelte das Mädchen und der seltsame Blick in ihrem Gesicht verflüchtigte sich, als sie plötzlich heftig zu atmen begann und Nomboh verwirrt ansah. „W-was ist geschehen?“ fragte sie. Nur langsam registrierte sie ihre Umgebung wieder und fand sich im Garten des Chimalis-Anwesens. Zoras im Hintergrund sah zu ihnen herüber, sagte aber kein Wort. „Du machst das… ähm… sehr gut mit der unerschütterlichen Seele!“ keuchte Nomboh, „Du hast deinen geist tatsächlich befreit, du… warst völlig weg, es war eine richtige Trance…“ „Kann ich jetzt auf dem Brett stehen?“ wunderte Nalani sich. Nomboh sah seinen Bruder ratlos an, der sich immer noch nicht bewegte und nur das Mädchen musterte. „Ihre Instinkte sind unglaublich,“ murmelte er dann doch nach einer langen Pause und fuhr sich mit den Fingern nachdenklich durch die schwarzen Haare, „Sie hat es instinktiv richtig gemacht, ohne wirklich zu wissen, wie und warum. Deine Gaben sind wahrlich groß, Tochter des Kandaya-Clans.“ „Jetzt… musst du nur noch lernen, sie aktiv zu beherrschen… du wirst es nicht mehr instinktiv machen, sondern aus freiem Willen heraus,“ bemerkte Nomboh, „Versuch noch einmal, den Apfel zu balancieren.“ Sie tat es. Und sie konzentrierte sich erneut auf ihren Geist, darauf, nichts anderes zu spüren oder zu denken. Dann stand sie auf zwei Beinen, das Brett unter ihr war ganz ruhig, ebenso wie jede Faser ihres Körpers, ausgeglichen, und auf ihrem Kopf trug sie ohne das kleinste Wackeln den Apfel. Die Lehre umfasste noch sehr viel mehr als nur zu lernen, inneres Gleichgewicht und die perfekte Einheit von Körper und Geist zu beherrschen, stellte Nalani im Laufe der Monde fest. Je öfter sie es übte, desto weniger Zeit brauchte sie, um es zu schaffen. Nach einem Mond konnte sie auf einem Bein stehen, nach einem weiteren konnte sie wie Nomboh zwei Äpfel balancieren. Es war wie eine Gewohnheit, die man nie wieder verlernte, wenn man es einmal beherrschte, das innere Gleichgewicht, die Vorstufe zum richtigen Trancezustand. Es war wie Laufen lernen – konnte man es einmal, verlernte man es nie wieder und tat es, ohne darüber nachdenken zu müssen. Genauso war es für sie mit der perfekten Einheit. Es war, wenn sie es tat, als würde sie die passende Arbeitskleidung anziehen und erst danach richtig arbeiten können, denn für alles, was sie übte, brauchte sie diese Übung. Der Sommer war vorüber. In Dokahsan waren die Sommer kurz und die Winter lang und hart. Jetzt ging es wieder auf die Dunkelheit zu. Obwohl sie es gewohnt waren, fürchteten die Menschen in Dokahsan die Winter und ihre lange Dunkelheit. Im Wintermond kam die Sonne sogar einige Tage lang gar nicht zum Vorschein, um den Erdtag herum, den Tag der Wintersonnenwende. Aber dieser Winter würde besonders hart werden, die Geisterjäger spürten das schon lange vor seiner Ankunft im Land. Und es lag nicht am Wetter. „Das Land ist im Aufruhr,“ bemerkte Nomboh dumpf, als er eines Tages im Mond der Stürme im Salon stand mit seinem Bruder und Minar Emo, der aus Emdyn angereist war. Bei ihm war sein kleiner Enkelsohn, den er nach dem Tod seines Sohnes und seiner Schwiegertochter jetzt erzog. Das Kind klammerte sich an die Hand seines Großvaters und drückte schweigend das Gesicht gegen sein Bein, als hätte es Angst, Nomboh und Zoras zu lange anzusehen. „Ich habe von Salihah lange nichts gehört, aber ich fürchte mit unserer Aktion wegen Nalanis Lehre haben wir den Dämon in Kelar komplett entfesselt. Die Ernte war grauenhaft dieses Jahr, die Menschen hungern bereits überall und ich habe von Bauern aus den Dörfern jenseits des Flusses gehört, dass Kelar inzwischen überall Angst und Schrecken verbreitet.“ „Das hören wir sogar oben in Emdyn,“ bestätigte Minar Emo beunruhigt, „Er versucht jetzt nicht mehr, sie von sich und seinem Recht auf Herrschaft zu überzeugen, er bedroht sie jetzt und sagt, er würde Unheil und Tod über das Land schicken, wenn die Leute ihn nicht ehren würden, und er würden die Himmelsgeister jeden köpfen lassen, der sich widersetzt. Und das alles läuft zurück in den Senat von Yiara, denen wird dann alles in die Schuhe geschoben. Ich fürchte, wir haben verloren, Freunde… inzwischen erscheint es tatsächlich sinnvoller, den Senat aufzulösen, denn er hat keinerlei Einfluss mehr und wird nur noch gehasst.“ „Nein!“ zischte Zoras Chimalis ungewohnt heftig und begann, nervös hin und her zu gehen, „Wir dürfen das nicht zulassen, Minar! Wir können nicht zulassen, dass Kelar die Macht über das ganze Land an sich reißt! Er… er zerstört doch alles, dieser Wahnsinnige! Er wird noch die Menschheit ausrotten oder so!“ „Ich weiß, was du meinst,“ machte Minar Emo langsam, „Aber denk doch…“ „Hast du das von Enmoria nicht gehört, dem Dorf knapp südlich des Lyra-Schlosses am Fluss?!“ fragte Zoras ihn und funkelte ihn beunruhigt an. Der andere zog die Brauen hoch und sein kleiner Enkel versteckte sich jetzt komplett hinter seinem Großvater und dessen schwarzem Umhang. „Was war in Enmoria?“ „Da haben die Leute, alles einfache Bauern und Handwerker, ihm widersprochen, weil er ihnen ihre Ziegenherden beschlagnahmen wollte. Du… kannst dir ja denken, was geschehen ist, es war grauenhaft.“ Minar Emo erstarrte und Nomboh wandte den Blick ebenfalls an. „Du warst dort…?“ fragte der Älteste, und Zoras nickte. „Ich komme viel herum, das weißt du. Die Geister warnten mich vor dem Drama, aber ich war zu spät… es war keiner mehr am Leben, und auch keine Ziege. Nicht mal ein Zicklein, das Dorf war wie ausgerottet.“ „Es sterben wieder alle, oder, Großvater?“ fragte der kleine Enkel hinter Minar Emo, und der Großvater sah auf ihn herunter. „Shhh, misch dich nicht ein.“ Er wandte sich wieder an Zoras. „Das ist furchtbar, ich wusste nichts davon.“ „Verstehst du, wenn er erst mal offiziell die Gewalt über Dokahsan hat, wird es nur noch solche Massaker geben,“ murmelte er, „Wir müssen mit allen Mitteln versuchen, ihn aufzuhalten. Was zum Geier ist eigentlich mit den Heilern geworden, Nomboh?! Schon den ganzen Sommer rennst du doch hinter denen her, haben sie mal was Nützliches gesagt, damit wir die drei Räte versammeln können?!“ Nomboh schnaubte. „Ich habe mich mit zweien von denen mal unterhalten. Der eine sagte mir, ich müsse mit dem Ratsvorsitzenden sprechen, dann habe ich das getan und der hat mir gesagt, er würde mit antworten, sobald er etwas arrangiert hätte… und das war vor drei Monden!“ „Diese Heiler,“ brummte Zoras, „Unzuverlässige, naive Bande, pah! Denen ist das offenbar egal, wer noch alles seinen Kopf verlieren muss, weil wir uns nicht einigen können! – Wir müssen irgendwie probieren, den Senat wieder zu stärken… ich will, dass du am besten samt deiner Familie nach Yiara zu Hakopa gehst, Minar, er kann sich nicht länger alleine um den Kram kümmern, es eskaliert langsam wirklich. Wenigstens für die Zeit, bis das alles wieder im Lot ist, meinst du, du schaffst das?“ „Das werden wir schon schaukeln,“ machte der Ältere und nickte, „Schickt Hakopa eine Nachricht, dass ich vorbeikomme, wir brechen sofort auf.“ „Du wirst dich noch mal mit diesem Heilerspasti treffen, Nomboh,“ zischte Zoras seinem Bruder mürrisch zu, „Nimm deine Frau mit, sie ist selbst Heilerin und ihr wagt niemand nicht zuzuhören. Es ist wichtig, Nalanis Unterricht kann ich auch solange beobachten. – Warte, Minar, ich lasse euch einen Wagen fertig machen.“ Nalani hatte schlechte Träume in der Zeit. Wenn sie aufwachte, atmete sie heftig und spürte noch das Grauen aus ihrem Traum in ihrem Nacken sitzen. Sie träumte von Blut und Tod, sie sah wieder die Morde an ihren Eltern vor ihren Augen, die Morde an anderen Menschen, die sie nicht kannte, sie sah brennende Dörfer und einen Himmel der vor Zorn grollte. Die Geister sind wütend… etwas Schreckliches geschieht… fuhr es ihr durch den Kopf, als sie nach einem weiteren Alptraum mitten in der Nacht erwachte. Sie spürte ihr Herz noch vor Schreck rasen. Als sie versuchte, wieder einzuschlafen, konnte sie nicht, und nachdem sie lange wach gelegen hatte, beschloss sie, in die Küche zu gehen, um etwas zu trinken. Inzwischen war sie fast ein halbes Jahr in Tuhuli und kannte sowohl das Anwesen als auch die Stadt ganz gut. Mit dem Training ging es gut voran. Aber auch, wenn sie ihren eigenen Geist inzwischen sehr gut unter Kontrolle hatte, war sie doch immer noch aufgewühlt nach den grausamen Träumen, die die Geister ihr bescherten. Als sie die Küche erreichte, war sie erstaunt, als dort Licht brannte. Zuerst fragte sie sich, wieso, doch dann erkannte sie in der Ecke auf der Bank Zoras Chimalis sitzen, die Beine überschlagen und mit einer Tasse in der Hand. Er trank diesen merkwürdigen Tee, es roch in der Küche wieder danach. „Ihr seid auf…?“ begrüßte sie ihn verhalten und neigte den Kopf, und Zoras blinzelte. „Na, du doch auch!“ entgegnete er und seufzte dann. „Du hast schlecht geträumt, Nalani…“ „Darf ich mich hinsetzen?“ fragte sie dumpf, und er nickte und bot ihr einen Stuhl an. „Natürlich. Willst du was trinken? Nimm dir, was du möchtest.“ Sie überlegte und sah zu ihm herüber. „Was ist das für ein seltsamer Tee, den Ihr trinkt? Er riecht ganz anders als normaler Tee.“ Zoras lachte leise. „Das ist auch kein Tee,“ erwiderte er, „Dieses Getränk wird aus braunen Bohnen einer merkwürdigen Pflanze und Wasser gemacht, es kommt aus dem Süden Tharrs. Sie nennen es Kaffee, ich habe es zum ersten Mal im Reich Fann gesehen. Inzwischen hat sich das aber bis nach Vialla verbreitet, von dort habe ich inzwischen das Pulver. Willst du mal probieren?“ „Ja, gern,“ machte sie überrascht, und er erhob sich, um ihr eine Tasse zu holen und ihr ein wenig aus der Kanne einzuschenken. Sie probierte das warme Getränk. Es schmeckte ein wenig bitter, aber angenehm. Sie nickte anerkennend. „Das ist ein sehr gutes Getränk. Wie kommt es, dass Ihr in Fann gewesen seid? Das ist ja beinahe am anderen Ende der Welt!“ „Ja, in der Tat. Na ja, ich reise viel durch die Gegend und mache mich über den Rest der Welt schlau. Ich war schon in vielen Ländern und habe seltsame Dinge gesehen. Natürlich nicht die ganze Welt… aber ich denke, es macht einen klüger, herumzukommen und neue Länder und Menschen kennenzulernen. Die Menschen in Fann sind anders als hier, das ganze System läuft anders.“ Nalani nickte. Eine Weile saßen sie stumm da und tranken ihren Kaffee. „Nomboh ist übrigens abgereist für ein paar Tage,“ fiel Zoras dann ein, und das Mädchen sah ihn groß an. „Wie? Warum?“ „Es passieren schlimme Dinge, Keisha und er müssen sich mit dem Vorstand des Heilerrates treffen. Während er weg ist, übst du das, was er dir gezeigt hat, ich werde dich im Auge behalten.“ Nalani stockte und dachte an ihre Alpträume. Sie erzitterte plötzlich und er schien zu wissen, was sie bedrückte. „Was… hast du geträumt, Nalani?“ Sie stellte die leere Tasse weg. „Ich träume vom Ende der Welt,“ murmelte sie, „Ich sehe Tod und Schatten und einen brennenden Himmel… was… was ist es, das hier im Land passiert? Es ist wie eine Klaue, dieser Traum, die mich nicht loslässt… ich muss immerzu daran denken…“ Der Geisterjäger seufzte. „Dein Blick reicht sehr weit für dein Alter,“ murmelte er, „Auch ich träume oft vom Ende der Welt. Es sieht nicht gut aus für das Land und das Volk im Moment. Wir… haben Probleme mit deinem Schwiegervater, das weißt du ja sicher.“ Nalani stand abrupt auf. „Hat er etwas angerichtet?!“ wollte sie panisch wissen, „Ist er Schuld an allem Übel?“ „Sicher nicht an allem Übel der Welt,“ machte Zoras perplex, „Aber an allem Übel im Dokahsan zumindest, nehme ich an. Er ist ein Dämon, ein alles vernichtendes Monster lauert in ihm, und jetzt ist es dabei, auszubrechen. Seine Wahnsinnsgeister, wie Salihah es nennt… ich weiß nicht, was er abgekriegt hat, aber irgendetwas ist in seinem Kopf kaputt gegangen, fürchte ich… oder es ist eine Krankheit, die sich erst jetzt bemerkbar macht, niemand weiß es. Du musst vorsichtig sein, wenn du ihm wieder begegnest, ich habe ein ungutes Gefühl bei allem, was hier geschieht.“ „Er hat meine Eltern getötet…“ murmelte sie, und er sah sie groß an, als sie verbittert den Kopf senkte und die Fäuste fest ballte. Er spürte ihren Zorn, der wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte, und er verengte nachdenklich die Augen zu Schlitzen. Sie ist eine Tochter des Schattenclans Kandaya… und ihre Aura ist mächtiger als die ihres Vaters, soweit ich mich entsinnen kann… sie ist wahrlich ein Kind der Geister. „Er hat sie getötet und ich hasse ihn dafür… ich werde ihm niemals vergeben. Wenn ihr irgendetwas gegen ihn tun wollt, zählt auf meine Unterstützung, sofern ihr sie gebrauchen könnt. Wenn ich erst mal ausgebildet bin, werde ich diesem Kerl zeigen, wo die Musik spielt.“ „Nicht so hastig,“ warf er ein und sah sie energisch an, „Kelar Lyra ist kein ungefährlicher Gegner, ich weiß, wovon ich spreche. Von allen Geisterjägern war ich immer derjenige, der noch die besten Chancen gegen ihn hatte, und auch mich hätte er einmal beinahe getötet. Sein Geisterspeer ist eine tödliche Waffe und er ist wahnsinnig mächtig damit. Du kannst nicht einfach auf ihn zu rennen und ihn umnieten wollen, Nalani.“ „Ein Speer?“ fragte sie verblüfft, „Und… er hätte Euch fast getötet?“ Die Nachricht war ernüchternd. Natürlich war es erschreckend genug, dass Kelar ihren Vater hatte töten können, der auch Geisterjäger gewesen war… aber von Zoras hätte sie das nicht erwartet. „Ja, er besitzt einen goldenen Speer, mit dem er den Wind und die Himmelsgeister vom Himmel ziehen und lenken kann,“ erklärte der Mann. Als der alte Herr der Geister, sein Vater, gestorben ist, mussten wir übrigen um den Titel des neuen kämpfen, jeder gegen jeden, und wer die meisten besiegen konnte, sollte der neue Herr der Geister sein.“ Er sah, wie Nalani die Augen weitete. „Sein Speer durchbohrte meine Schulter… ich habe es Nombohs Frau Keisha zu verdanken, dass ich nicht am Blutverlust verreckt bin. Du verstehst also, dass ich vor ihr den Hut ziehe, weil ich ihr mein Leben verdanke… sie mag eine Furie sein, aber sie ist eine gute Heilerin.“ Das Mädchen senkte den Kopf. „Kelar ist grausam,“ meinte sie dumpf, „Er hätte niemanden mit dem Speer durchbohren müssen, um zu gewinnen, oder?“ „Nein, aber er hat, ähm, eine persönliche Abneigung gegen mich. Dieses Knobeln um den Titel des Herrn der Geister gibt es alle fünf Jahre, es sei denn, der Herr der Geister stirbt. Wenn er nicht gestorben ist, wird durch diese Kämpfe alle fünf Jahre getestet, ob er es wirklich noch würdig ist, als höchster Vertreter der Geister zu amtieren, oder ob einer der anderen inzwischen stärker ist als er, es geht also normalerweise darum, den amtierenden Herrn der Geister zu besiegen. Seit Kelar an seines Vaters Stelle getreten ist, sind acht Jahre vergangen, es gab also noch einmal so eine Auseinandersetzung, bei der hat er mich allerdings nicht beinahe getötet. Aber beide Male, die ich je gegen ihm gekämpft habe, ist er bei mir komplett durchgedreht.“ „Was hat er denn für ein Problem?“ wollte Nalani wissen, und er räusperte sich. „Das ist nicht weiter wichtig für dich zu wissen, glaub mir. – Überdies ist es besser, wenn du jetzt wieder zu Bett gehst… oder machen dich die Träume noch fertig?“ „Ich bin nicht müde…“ „Na ja, das liegt am Kaffee, aber das wird schon, sobald du im Bett liegst. Zwing deinen Geist, zu schlafen, da kannst du gleich üben, dich zu kontrollieren. Morgen wird weiter trainiert, glaub ja nicht, du hättest Urlaub, nur, weil mein Bruder weg ist.“ „Nein, sicher nicht,“ entgegnete sie artig, verneigte sich und ging zur Tür, „Ich… danke für das Gespräch. Gute Nacht, Herr.“ „Gute Nacht, Nalani. Und sag nicht Herr.“ „Was denn sonst, Herrin vielleicht?“ scherzte sie, und er musste unverhofft lachen. „Untersteh dich, geh nicht zu weit…“ Nomboh und Keisha kamen nicht zurück. Die anderen im Anwesen sorgten sich, als sie nach fünf Tagen immer noch fort waren und nicht mal eine Nachricht gekommen war. Meoran tat so, als wäre er tapfer und hätte keine Angst um seine Eltern. Er war schließlich schon zwölf und durfte nicht wie ein kleiner Junge nach seiner Mutter weinen, sagte er selbst, aber sein Onkel und seine Tante und auch Nalani merkten dem Jungen deutlich an, dass er große Angst hatte. Nicht mal seine so unbeschwerte kleine Cousine konnte ihn aufmuntern. „Spiel mit mir, Meoran, bitte!“ nölte sie am frühen Abend, als er in der Stube vor dem Kamin saß und ins Feuer starrte. „Nicht jetzt,“ wimmelte er sie nervös ab, „Ich denke gerade nach.“ „Das machst du schon den ganzen Tag! Manno, Vati, sag ihm, er soll mit mir spielen!“ „Lass ihn, Enola,“ sagte ihr Vater zu ihrer Enttäuschung, der auf einem Sessel saß und auch ins Feuer starrte, als gäbe es dort etwas Spannendes. Seine Frau und Nalani saßen auf dem Sofa. Enola schmollte und Meoran warf dem Onkel einen dankbaren Blick zu. Er hatte seine Cousine wirklich gern, aber er war einfach zu nervös und hatte keine Lust, zu spielen. Nalani verstand seine Sorge nur zu gut und seufzte leise, während Enola sich schmollend in den Schoß ihrer Mutter kuschelte. Es war der Erdtag, der Tag der Wintersonnenwende. Die Sonne war den ganzen Tag nicht aufgegangen. Enola mochte die Dunkelheit nicht und war den ganzen Tag schon maulig. Nalani dachte plötzlich an Tabari, der heute Geburtstag hatte. Er war jetzt achtzehn geworden. Sie fragte sich kurz, was er wohl machte. Seinem Vater nachrennen und versuchen, ein so großer Mistkerl zu werden wie er? Aber vor ihrer Abreise hatte Tabaris Verhalten sie leicht verwundert; plötzlich war er ihr gar nicht mehr so widerlich vorgekommen, das hatte sie verwirrt. Plötzlich klopfte es an der Tür und die ganze Familie schreckte hoch. „Vater und Mutter!“ keuchte Meoran und sprang auf die Beine, sein Onkel erhob sich. Das Hausmädchen eilte schon aus der Küche zur Tür, man hörte in der Stube ein überraschtes „Oh!“, und alle sahen sich an. Doch ehe sie sich fragen konnten, was das wohl zu bedeuten hatte, war Meoran zur Stubentür gerannt, um nachzusehen, und war verwundert; denn im Flur standen gar nicht seine Eltern, sondern Salihah, und sie war offenbar sehr in Eile. „Dein Onkel!“ verlangte sie keuchend, „Rasch, Meoran!“ „Wa-… was…?“ stammelte der Junge verwirrt, zum Glück kam Zoras gefolgt von allen anderen schon von selbst an. „Was ist passiert?“ war seine Begrüßung, und sie schnappte nach Luft. „Wir können uns das Treffen der Räte an den Hut stecken!“ meldete sie, „Kelar muss irgendwie davon erfahren haben, jedenfalls hat er jetzt erfolgreich dafür gesorgt dass der Heilerrat keinem Schwarzmagier mehr zuhören und schon gar nicht vertrauen wird. Nomboh und Keisha werden gleich zurückkommen und dasselbe erzählen. Kelar ist spurlos verschwunden und ich fürchtete, er würde hierher kommen und alles plattwalzen wie in Enmoria…“ „Meinen Eltern geht es gut?“ freute sich Meoran, und Zoras bat Salihah herein und nahm ihr ihren Mantel und ihren Schal ab, ehe er sie mit den anderen wieder in die Stube schickte. „Ja, deine Eltern sind wohlauf. – Schick die Kinder rauf, Tehya, jetzt gleich.“ Tehya, Zoras‘ Frau, nickte erschrocken mit dem Kopf, ehe sie Enola und Meoran zur Tür schob. „geht hinauf!“ verlangte sie leise, „Wir müssen wichtige Sachen besprechen.“ „Aber was ist mit meinen Eltern?!“ nölte Meoran, aber seine Tante schob energisch die Tür vor seiner Nase zu. Energisch blieb er samt Enola vor der Tür stehen und bewegte sich nicht, während die Erwachsenen drinnen sprachen. „Ich habe plötzlich unsichtbare Dinge gesehen,“ erzählte Salihah, „Er hat den Vorstand des Heilerrates samt seiner gesamten Familie in deren Anwesen getötet. Die anderen Heiler wissen, dass er es war, es war ein Blutbad wie in Enmoria, grauenhaft. Selbst die kleinen Kinder hat es erwischt. Den anderen Ratsmännern hat er gedroht, ihren Familien dasselbe anzutun, wenn sie sich nicht unterwerfen, die ganzen heiler sind also raus. Und es wird so weitergehen, wenn wir nicht aufpassen… ich bin unfähig, ihn weiter festzuhalten, der Dämon ist zu stark.“ „Salihah, Salihah…“ unterbrach Zoras sie keuchend, „Das ist nicht deine Schuld, es war abzusehen, dass es so kommen würde…“ „E-er hat die ganze Familie getötet?!“ japste Tehya, und Nalani erbleichte. „Wie grauenhaft…“ „Er verhindert gezielt, dass wir uns gegen ihn versammeln oder den Senat stützen können,“ schnaubte ihr Mann grantig, „Dieser Mistkerl, die Geister sollen ihn bestrafen! Was ist mit Nomboh und Keisha? Mich schweigen die Geister an, ich habe nichts gesehen…“ „Sie waren da, aber erst, als Kelar längst weg war. Ich habe Federn gesehen… vermutlich haben sie versucht, euch Botschaften zu senden… Kelar beherrscht den Wind, er hat die Feder vielleicht abgefangen…“ „Und wohin ist er jetzt?“ fragte Nalani entsetzt, „Können wir nicht irgendetwas tun?“ „Solange wir nicht wissen, wo er ist, nicht…“ seufzte Salihah und sah sie kurz an. „Ich habe keine Ahnung.“ „Und was wird aus Nomboh und-…?!“ fing Tehya an, in dem Moment flog die Stubentür wieder auf und Nomboh und Keisha standen gemantelt und gestiefelt in der Stube. „Du liebe Güte!“ schrie Keisha los, „E-er ist tot und die ganze Familie! Die ganzen Heiler halten uns jetzt für grausame Massenmörder und sie haben, sie haben, du liebe Zeit! Sie haben eine Mistgabel auf uns geworfen!“ „Eine Mistgabel!“ empörte Nomboh sich ebenfalls, „Die fette Frau des einen Ratsherren der Heiler, den wir aufgesucht haben, hat wirklich eine Mistgabel nach uns geworfen! Kelar, dieser grauenhafte, scheußliche Dämon, wenn ich den erwische, reiße ich ihn in tausende und abertausende Stücke! Ich wette, er hat meine Federn in der Luft zerfetzt, die ich geschickt habe, tse!“ Er geriet richtig in Rage und Nalani war entsetzt; der sonst so freundliche Mann war noch nie so zornig gewesen, solange sie ihn kannte. „Was ist geschehen?“ fragte Zoras seinen Bruder knapp, „Rasch, Nomboh! Wir wissen von dem Tod des Mannes. Was war, als ihr bei dem Haus ankamt?“ „Das ganze Anwesen stank nach Blut und Tod, auf den Boden lagen Hände und Füße in allen Größen! Ich, entsetzt, sofort mit Keisha wieder hinaus, es war unverkennbar Kelars Werk, irgendein Dämon muss ihm von unserem Plan mit den Räten erzählt haben. Ich habe die erste Feder zu euch geschickt mit der Nachricht, dass wir noch zu den anderen Ratsmännern gehen um sie zu warnen… aber Kelar war wohl vor uns da, er muss sie bedroht haben, und sie denken, wir alle würden am selben Strang ziehen und genauso krank im Kopf sein wie Kelar, er ist schließlich unser Anführer, rein theoretisch. Da habe ich die zweite Feder geschickt, weil wir die Heiler lieber in Ruhe gelassen haben und ich eigentlich umgehend nach Yiara wollte, aber auf halbem Weg sind wir umgekehrt, weil keine Antwort von euch kam und ich das Gefühl hatte, da wäre was faul mit der Post!“ „Du liebe Güte!“ machte Tehya, „Was machen wir jetzt?“ „Kelar ist… ein Dämon,“ bemerkte Salihah da, und alle drehten sich zu ihr um. Sie sah verbittert auf den Boden und plötzlich wurde es still in der Stube, als sie alle ansahen. Nalani bemerkte beunruhigt den bitteren Klang ihrer Stimme. Sie sah müde aus, als hätte sie Wochenlang nicht geschlafen. Es war lange her, seit sie Salihah zum letzten Mal gesehen hatte… gebessert hatte sich offenbar nichts, seit sie in Tuhuli war. „Er ist ein Gegner, gegen den ihr nichts ausrichten könnt.“ Die anderen sahen sie bedrückt schweigend an. Nomboh und Keisha zogen jetzt auch endlich ihre Mäntel und Schuhe aus und beruhigten sich allmählich wieder, obwohl Keisha noch eine Weile über die Mistgabel schimpfte. „Eine Mistgabel, Nomboh! Ich bin eine Frau von Rang und Würde, und man bewirft mich mit einer dreckigen Mistgabel, mit der diese fette Schlampe in ihrem Schweinescheiß rumgewühlt hat! Pfui!“ meckerte sie immer wieder und sparte dabei auch nicht an obszönen Flüchen und Beschimpfungen, was Nalani verwunderte, wo sie doch eine Frau von Rang und Würde sein wollte. „Was ist mit Tabari und Kiuk?“ wollte Nomboh von Salihah wissen, und sie seufzte erschöpft. „Sie sind daheim, Kelar wird ihnen schon nichts tun, ich machte mir um euch oder die Leute in Yiara mehr Sorgen.“ „Hakopa und Minar bewachen den Senat,“ erklärte Zoras ihr dumpf, „Heute Nacht in dieser Finsternis werden wir nichts erreichen, wenn wir kopflos losrennen und ihn fangen wollen. Bleibst du heute Nacht hier, Salihah? Vielleicht sagen dir die Träume… wo er ist.“ Er sah die Frau an und sie erstarrte für einen Moment, als sich ihre Blicke trafen, ehe sie sich wieder abwandte. Er durfte sie nicht so ansehen… verdammt, seine Frau war im selben Raum! Sie zwang ihren Geist mit aller Macht, sie jetzt nicht verräterisch erröten zu lassen, und murmelte: „Nein, ich sollte besser gehen…“ Es war Nomboh, der ihr nichtsahnend einen Strich durch die Rechnung machte. „Quatsch, du bleibst,“ entschied er, „Zoras hat recht, wenn wir gemeinsam was unternehmen wollen morgen, ist es sinnvoll, wenn du bleibst! Ich kann ja versuchen, Tabari eine Nachricht zu schicken, damit er sich nicht sorgt, vielleicht kommt sie ja mal an.“ „Auf keinen Fall, wenn Kelar sie doch abfängt und weiß, dass Salihah hier ist, wird er ganz Tuhuli dem Erdboden gleich machen!“ machte sein Bruder entsetzt. Salihah lachte bitter. „Ach… als ob der nicht wüsste, dass ich hier bin, wenn ich nicht zu Hause bin. Wo sollte ich sonst sein, etwa in Yiara bei Hakopa? Ich bin hier mehr eine Gefahr für euch als eine Hilfe. Außerdem sollte Nalani ihre Isolation behalten, ich bin Teil ihrer Familie, sie dürfte mich jetzt gar nicht sehen.“ Nalani drehte wie auf Knopfdruck den Kopf weg, als würde das es ungeschehen machen. „Ich bitte dich aber,“ machte Nomboh murmelnd, und sie sah ihn eine Weile an, während Zoras sich raushielt. Salihah hätte sich gerne etwas einfallen lassen, um nicht bleiben zu müssen… sie konnte hier nicht übernachten, das war nicht gut. Aber etwas in ihr sträubte sich auch, Nein zu sagen… etwas in ihr weigerte sich, zu gehen, erst recht jetzt, wo man sie bat, zu bleiben. Was sollte sie zu Hause? Da war es kalt… hier war es wärmer bei den Menschen, die sie im Gegensatz zu ihrem Mann nicht verabscheuten und die sie nicht verletzen würden… Sie hatte es so satt, verletzt zu werden… sie konnte das nicht mehr länger. „Ist gut…“ murmelte sie dann und gab sich geschlagen, „Ich bleibe. Aber nur eine Nacht… ich werde sowieso kein Auge zutun.“ „Wir alle werden nach den Träumen jagen, die uns sagen, was wir wissen wollen,“ meinte Zoras und kehrte ihr und dem Rest der Versammlung den Rücken, „Wir sollten zu Bett gehen, dann sind wir morgen früher auf den Beinen. Ich kümmere mich um Kelars Auftauchen… Nomboh, du kümmerst dich um deine Schülerin, wenn ich morgen gehe.“ Ohne eine Antwort abzuwarten ging er aus der Stube, seine Frau folgte ihm verwundert und in größter Eile. Nomboh seufzte tief und sein Blick schweifte von Salihah zu Nalani, die schweigend auf dem Sofa saß. „Ah,“ machte er nickend, „Verzeih diesen Ärger, Nalani. Ab morgen bin ich wieder für dich da – jetzt gehe ich erst mal schlafen und träume von Mistgabeln, wetten.“ Es wurde still im Anwesen. Salihah blieb als Letzte in der Stube sitzen und starrte in die Reste des herunter gebrannten Feuers im Kamin, obwohl das Hausmädchen ihr extra ein kleines Gästezimmer vorbereitet hatte, wollte sie nicht hinaufgehen. Sie würde kein Auge zudrücken, das wusste sie, daher konnte sie auch unten sitzen bleiben. Vor dem Kamin lag das Fell eines Bären, auf dem sie saß und sich an der Glut wärmte, dabei schloss sie die Augen und versuchte, die Dinge zu sehen, die sie sehen musste. Doch alles, was sie wahrnahm, war ein Schatten, ein bösartiges Unheil, das über dem Land schwebte wie ein Schwarm Bienen. Und sie sah das Blut jener, die ihr Mann ermordet hatte, wie es auf dem Erdboden klebte und in Mutter Erdes Fleisch sickerte. Mutter Erde bebte vor Zorn und Vater Himmel grollte über ihr, und die beiden Monde Ghia und Zuyya strahlten bedrohlich in der Finsternis; es war kein hoffnungsvolles, schönes Licht, es war kalt und grausam und tat ihr in den Augen weh, als sie es ansah, aber sie konnte sich nicht abwenden vom grünlichen Schimmer der Ghia, der näher und näher kam, während unter ihr die Erde mit einem Brüllen aus der Tiefe aufbrach und sie zu verschlingen drohte. Sie sah Kelars Gesicht vor der untergehenden Sonne, und er hatte den Kopf in den Nacken und die Arme in den Himmel geworfen. „Fürchtet die Geisterwinde, die meiner Macht gehorchen! Sie kommen und gehen mit den Worten und Befehlen dieses Mannes!“ rief er laut, und seine Stimme klang grausam und hart, härter als sie sie kannte. „Vater Himmel und Mutter Erde knien vor mir… ihr Toren solltet es ebenso tun!“ Dann riss er die Arme herunter, fuhr zu ihr herum und starrte sie aus blitzenden, bestialischen Augen an, packte seinen goldenen Speer und stieß ihn mit aller Macht in die Erde unter sich. Und Mutter Erde blutete und ihr Blut ergoss sich wie eine Flutwelle über das Land… Salihah wurde aus ihrer Finsternis gezerrt und sah sich gegenüber plötzlich ein Gesicht, während sie geschüttelt wurde und ihr Kopf plötzlich höllisch zu schmerzen begann. Zuerst glaubte sie, es wäre ein Geist, der sie anstarrte und zu ihr sprach… war sie gerade gestorben? War sie in der Geisterwelt…? Dann erkannte sie plötzlich Zoras Chimalis, der vor ihr am Boden hockte und sie energisch rüttelte. „Verdammt, komm zu dir!“ keuchte er, „Kannst du mich hören, Salihah?!“ Sie hielt inne, als er aufhörte, sie zu schütteln, und wusste plötzlich wieder, wo sie war. Sie war auf dem Bärenfell vor dem Kamin in der Stube von Chimalis‘ Anwesen… die Geisterbilder, die sie gesehen hatte, hatten sie wohl völlig eingenommen. In ihrem Kopf pochte und schmerzte es. Sie stöhnte erschöpft und versuchte, sich aus Zoras‘ Griff zu befreien, aber sie hatte nicht genug Kraft, sank in sich zusammen und fiel ihm in die Arme. Er seufzte erleichtert darüber, dass sie wieder bei Bewusstsein war. „Ich kam noch einmal herunter und hörte dich seltsame Geräusche machen, ich dachte, du verreckst oder so, du lagst auf dem Boden und hast dich wie ein Fisch im Netz hin und her geworfen, da habe ich dich aus der Traumwelt gerissen…“ erklärte er, „Hast du etwas Spannendes gesehen? Wo ist Kelar?“ „Quäl mich nicht mit diesen Dingen…“ murmelte sie zu seiner Überraschung, und er sah sie an, als sie keuchend den Kopf hob und ihn aus glasigen Augen ansah. Sie sah nicht gut aus, er machte sich jedes Mal mehr Sorgen, wenn er sie sah. „Ich will… nicht an Kelar denken…“ stöhnte sie da weiter, „Ich… er ist wahnsinnig, Zoras…“ Sie verzog schmerzhaft das Gesicht und fasste japsend nach ihren Schläfen, als das Pochen so laut wurde, dass sie seine Stimme nicht hörte, als er sprach. „Du liebe Güte, hast du Schmerzen?! Soll ich dir was holen…? Himmel…“ Er schnappte rasch ein weiches Kissen vom Sofa, legte es auf das Fell und Salihahs Kopf darauf, ehe er aufstand und den Raum verließ. Sie lag da mit dem Kopf auf dem Kissen in dem schwach erleuchteten Zimmer und konnte eine Weile nicht oben von unten unterscheiden. Sie nahm nur das spärliche Licht wahr und den Schmerz, der in ihrem Kopf hämmerte und ihren Kopf zerplatzen lassen wollte. Jede Bewegung, selbst das Atmen schmerzte, und sie keuchte leise, als Zoras plötzlich wieder neben ihr war, sie vorsichtig aufsetzte und ihr ein Glas an die Lippen hielt. „Trink, rasch,“ machte er, „Das wird deine Schmerzen verjagen.“ „Nein… nein…!“ japste sie, „Ich kann… ich werde krank von Laudanum…“ „Das ist kein Laudanum,“ beruhigte er sie, „Es ist ein Heilmittel, das Keisha erfunden hat, sie ist Heilerin, vergessen? Trink, es wirkt Wunder.“ Nach dieser Ansage trank sie. Und wie er versprochen hatte wirkte es Wunder; schon eine kurze Weile später spürte sie den Schmerz bereits abflauen. Als sie wieder klar denken konnte, lag sie in seinen Armen auf dem Fell, er hatte sich nicht gerührt. Sie sah ihm ins Gesicht und setzte sich leicht errötend auf, als ihr klar wurde, was sie da tat. „Entschuldige,“ machte sie verhalten und kehrte ihm dann den Rücken, indem sie sich auf dem Fell herum schob, „Ich bereite euch nur Ärger, Zoras. Du kannst jetzt wieder schlafen gehen… Tehya wartet sicher schon…“ Er schob das leere Glas weg und krabbelte wieder zu ihr herüber, bis er sie von der Seite ansehen konnte. „Tehya schläft schon,“ sagte er, „Ich wollte nach Träumen jagen, nach Geisterstimmen, die mir sagen, was ich tun soll, wenn alles schlimmer wird. Sie erwartet nicht, dass ich vor dem Morgengrauen zurückkehre. Bevor du mir wieder halb ohnmächtig hier herumliegst, bleibe ich besser hier, Salihahchen.“ Sie hatte wieder genug Energie, um schnaubend den Kopf wegzudrehen. „Da ist schon wieder dieses Salihahchen,“ zischte sie, „Zoras, bitte… du weißt genau, dass wir das… nicht sollten.“ Ihre Stimme wurde immer leiser, als sie unsicherer wurde. Wenn sie mit ihm alleine war, spielten ihr ihre Gefühle immerzu Streiche und sie war machtlos gegen die Wellen aus Wärme, die plötzlich in ihr empor stiegen. Ein Gefühl, das sie bei Kelar seit Jahren nicht mehr verspürte… Er war plötzlich direkt hinter ihr und sie spürte, wie er den Kopf vorbeugte und mit dem Gesicht neben ihrem rechten Ohr innehielt. „Dann hältst du mich für einen notgeilen Sack, hmm?“ flüsterte er, und sie errötete abermals und senkte das Gesicht. „Du sträubst dich dagegen…“ „Einer von uns muss es ja versuchen…“ murmelte sie ebenfalls gedämpft, als hätte sie Angst, jemand könnte sie hören. „Wenn ich nicht gegen meine Gefühle ankämpfen würde, würde ich jetzt über dich herfallen wie ein wildes Tier…“ Er musste lächeln. „Ach… tatsächlich?“ Salihah drehte sich abrupt zu ihm um und sah ihn eine Weile an… und in ihren Augen war dieser eine Blick, den er lange nicht gesehen hatte bei ihr, ein Blick, der ihn kurz erstarren ließ. Dann erwiderte er ihren Blick… aber nur für eine kurze Weile. Sie schnellte nach vorne, ergriff plötzlich seine Wangen und küsste ihn. Er gab sofort nach und drückte seine Lippen ebenfalls energisch gegen ihre, als sie den Kuss intensivierte und mit der Zunge in seinen Mund eindrang, um nach seiner Zunge zu suchen. Als sie sich keuchend voneinander lösten, fasste er heftig atmend nach ihren Hüften, während sie sich vor ihm hinkniete, die Hände noch immer an seinen warmen Wangen. „Ich liebe dich!“ stöhnte sie und sah ihm ins Gesicht, „Immer noch… und ich träume nachts von dir, wenn ich alleine bin…“ Er starrte sie an und sie erzitterte, während ihre Hände hastig über sein Gesicht zu streicheln begannen. Er packte ihre Hüften fester und zog sie an sich heran, bis sie ihm wieder halbwegs in den Armen lag und ihre Gesichter kaum einen Zoll voneinander entfernt waren. „Shh…“ murmelte er dann, und sie schloss zitternd die Augen. „Sprich nicht, Salihahchen…“ „Nenn… mich nicht so…“ Das war ihr letzter Versuch, sich zu wehren. Als er sie dann wieder leidenschaftlich küsste, gab sie es auf. Sie zog sich selbst dichter an seinen Körper heran und setzte sich schließlich auf seinen Schoß. Ihre Zungen umspielten einander und sie spürte, wie er mit den Händen von ihren Hüften abließ und ihr stattdessen über den Rücken und durch die langen, schwarzen Haare strich. Salihah erschauderte und fuhr mit den Händen über seine Brust, ihre Finger öffneten behände die Knöpfe seines Oberteils. Keuchend beendeten sie einen weiteren Kuss und er lehnte sich leicht zurück, als sie sein Hemd ganz geöffnet hatte und es ihm sanft von den Schultern streifte. Dann sah er ihr ins Gesicht und zog die Hände langsam über ihre Schultern nach vorn, strich mit den Fingern über ihr Schlüsselbein und wanderte danach hinab zu ihren Brüsten. „Ich sollte das nicht begehren, Liebster…“ stöhnte sie und lehnte den Kopf in den Nacken, als sie ein Schauer aus Hitze überkam beim Gefühl seiner Hände, die ihren Busen berührten. „Ich bin egoistisch…“ „Wir sind es beide…“ korrigierte er sie, beugte sich wieder vor und biss ihr sanft in den Hals, um danach mit der Zunge über ihre Haut zu fahren bis hin zu ihrem Dekolletee. Sie stöhnte jetzt lauter und schloss hingebungsvoll die Augen, bebend glitten ihre Finger in geübten Bewegungen über seinen nackten Oberkörper, weiter hinab bis hin zum Bund seiner Hose. Indessen hatten seine Hände begonnen, ihr Kleid auf ihrem Rücken aufzuschnüren. Als es locker von ihren Schultern und ihrer Brust rutschte, hob er den Kopf und betrachtete sie. Ihm entfuhr ein verlangendes Keuchen beim Anblick ihres darunter nackten Oberkörpers. Als sie den Blick zu seinem Gesicht wandte, ließ sie kurz lächelnd von seiner Brust ab und nahm seine Unterarme, um seine Hände wieder nach vorne auf ihre Brüste zu legen. „Berühr mich, Liebster…“ keuchte sie erregt, und er stöhnte und kam ihrer Forderung umgehend nach, legte seine Hände auf ihr weibliches Fleisch und streichelte sie. Und sie warf den Kopf abermals mit einem enthusiastischen Stöhnen in den Nacken und bewegte sich in vertrauten, kreisenden Bewegungen auf seinem Schoß, während er fester zudrückte und spürte, wie ihr bloßer Anblick das Feuer in seinen Lenden stärker und heißer machte. Das Feuer, das er auch in ihrem Körper entzündet hatte… er spürte es, er spürte es in jeder Ader ihres schönen, blassen Körpers pulsieren, das Feuer des Verlangens, des Lebens, das sie so lange nicht mehr gehabt hatte… Er würde sie leben lassen, seine schöne geliebte, er würde sie wieder zum Leben bringen, nachdem ihr Mann sie beinahe getötet hatte… Mit einem fordernden Lächeln hob er den Kopf, ließ ihre Brüste los und zog sie näher an sich heran, bis ihre Oberkörper sich gegeneinander drückten und sie stöhnend wieder herunter in sein Gesicht blickte. „Komm, küss mich,“ verlangte er sanft, und sie keuchte, ehe sie sich willig herabbeugte und seinem Befehl mit größter Hingabe nachkam und sich ihrem eigenen Verlangen gänzlich hingab. Nalani fuhr aus dem Schlaf hoch. Es war mitten in der Nacht. Das Mädchen fragte sich, warum sie aufgewacht war… sie konnte sich an keinen beängstigenden Traum erinnern, der sie hatte aufschrecken lassen… das war normalerweise der Grund für ihr nächtliches Aufwachen, daher war sie verwirrt, dass es jetzt etwas anderes gewesen war. Sie setzte sich auf und lauschte; aber es war kein Geräusch zu hören. Mach dich nicht verrückt… schalt sie sich genervt und legte sich wieder hin, um weiterzuschlafen. Dann dachte sie plötzlich an Kelar; was, wenn er nach Tuhuli kam? Was, wenn er vorhatte, das Anwesen zu vernichten mit allen, die darin waren? Jetzt reiß dich zusammen… Doch egal, wie sehr sie sich bemühte, sie bekam die Gedanken nicht mehr aus dem Kopf, bis sie aufstand und sich mit klopfendem Herzen ans Fenster stellte. Draußen war alles ruhig und sie spürte auch beim besten Willen kein Übel über der Stadt. Kelar ist nicht in Tuhuli… warum mache ich mich so nervös? fragte sie sich dumpf, schob den Vorhang wieder zu und beschloss dann, sich ein Glas Wasser zu machen. Vielleicht konnte sie danach besser einschlafen… oder sie fand wieder Zoras in der Küche und erfuhr eigenartige Sachen von ihm. Zoras war nicht in der Küche. Da war niemand, als das Mädchen sich ein Glas mit Wasser füllte und trank. Aus der Stube hörte sie leise Stimmen und verwirrt horchte sie auf. Es war doch noch jemand wach? Das Glas zurückgestellt schlich sie lautlos wieder in den Flur und in Richtung der zugeschobenen Stubentür, um einige Fuß davor stehen zubleiben. Drinnen brannte Licht und warf Schatten auf das dünne Papier der Schiebetür. Im flackernden Schein des Feuers nahm sie die Schatten zweier Menschen auf dem Boden wahr, und mehr an den Stimmen als an den schemenhaften Schatten auf der Tür erkannte sie Zoras und Salihah. Er lag auf dem Boden und sie saß über ihm und bewegte sich, als würde sie auf ihm tanzen. Nalani errötete unwillkürlich, als sie an ihr Blutritual dachte, während sie Salihah beobachtete, sie den Kopf in den Nacken warf und den Rücken dabei nach hinten bog, während die Hände des Mannes unter ihr nach ihren fliegenden, langen Haaren angelten. Das Mädchen räusperte sich verhalten und kehrte der Tür dann den Rücken, während sie plötzlich wusste, was Zoras damit gemeint hatte, dass Kelar eine persönliche Abneigung gegen ihn hatte. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass sie so etwas zu sehen bekäme, nur, weil sie zur Stube gegangen war. Sie beschloss weise, nie darüber zu sprechen… es wäre für alle Beteiligten besser, wenn niemand wüsste, was sie wusste. Salihah spürte das Feuer in ihrem Inneren und es verbrannte sie. Es war schmerzhaft und gleichzeitig aufregend, und sie wusste, dass sie das Gefühl vermisst hatte. Sie stöhnte laut und bewegte sich auf ihm, sich mit den Händen zitternd an seinem Bauch abstützend, und seine Hände fuhren hastig durch ihre Haare und legten sich dann auf ihre Oberschenkel, mit denen sie seinen Rumpf in die Zange nahm. „Du hast gelogen…“ stöhnte Zoras unter ihr und lehnte keuchend den Kopf zurück auf das Fell, auf dem er lag, während er sich mit ihr bewegte und ihre Hitze über sich spürte, die Flamme ihres Körpers, die nicht nur sie verbrennen wollte. Seine Hände fuhren auf ihren weichen Schenkeln auf und ab und er spürte, wie sie vor Ekstase erbebte und hörte sie wieder stöhnen. Dann riss sie plötzlich in ihrem rausch den Kopf herunter und starrte ihn an mit einem Blick voller Wildheit, voller Lust und voller Feuer, dass er ebenfalls stöhnte, als ihre Visage alleine seine Erregung steigerte. Keuchend warf sie sich mit einer Hand energisch ein paar Haare aus dem Gesicht. „Gelogen?“ zischte sie ihn an, „Warum?“ „Du hast gesagt, du hättest dich verändert…“ seufzte er und grinste triumphierend, „Aber das hast du nicht… du bist immer noch so ungezügelt wie damals…“ Sie stützte sich wieder an seinem Oberkörper ab, ehe sie sich herunterbeugte und mit der Zunge über seine Brust fuhr, worauf er zusammenfuhr und ebenfalls lauter stöhnte. „Hast du damit ein Problem?“ fragte sie dann, setzte sich wieder auf und begann, sich heftiger zu bewegen. Sie drängte ihn ungeduldig, schneller zu machen, und er folgte ihrer Forderung artig, er packte ihre Hüften und stieß tief in sie hinein, worauf sie schrie und den Kopf wieder zurückwarf. Ihre Haare tanzten in der warmen Luft des Zimmers, als sie sich noch intensiver bewegte. „Ich liebe es…“ raunte er dann, und jetzt senkte sie das Gesicht abermals, um ihn mit einem diabolischen Grinsen anzusehen in dem Moment, in dem die Flamme in ihrem Unterleib erneut ausschlug und ihren Körper erzittern ließ. Und sie tanzten ihren wilden, leidenschaftlichen Tanz auf dem Bärenfell vor dem Kamin, bis sie die andere Seite des Himmels erreichten, ehe Salihah keuchend und völlig benebelt von der berauschenden Welle der Erfüllung auf ihm zusammensank. Er hielt sie stöhnend in seinen Armen und atmete tief ihren angenehmen Geruch ein, spürte ihr leichtes, wohliges Zittern über sich, noch immer mit ihr vereint, als ihr Kopf auf seiner Brust lag. Sie war erstaunt, dass sie nicht erschöpf war von der Vereinigung, sondern mehr belebt, als hätte er sie mit dem Tanz, der Leben machen konnte, tatsächlich zum Leben erweckt. Als sie zu Atem gekommen war, erhob sie sich vorsichtig von ihm und rollte sich dann von ihm herunter, um sich neben ihn zu setzen. Mit einer Hand strich sie über seinen Kopf und durch seine schwarzen Haare, als wäre er ein Kind, das sie ins Bett brachte. Er rollte sich mit einem zufriedenen Seufzen auf die Seite in ihre Richtung und fuhr sich ein paar Mal mit den Händen über das verschwitzte Gesicht. „Nein… du hast dich tatsächlich kaum verändert,“ machte er dann und betrachtete sie, als sie begann, sich gedankenverloren durch die schwarzen Haare zu streichen. „Du musst es ja wissen, Liebster,“ neckte sie ihn verhalten lächelnd und senkte das Gesicht in liebevoller Weise. Er streckte eine Hand nach ihr aus und berührte zärtlich ihren rechten Oberschenkel, an den er am einfachsten herankam. „Du bist wunderschön, Salihahchen…“ Nalani sparte sich einen Kommentar und zwang sich, sich keine weiteren Gedanken zu machen, wenn Salihah öfter nach Tuhuli kam – und das tat sie tatsächlich, obwohl sie sich eigentlich nicht sehen sollten. Aber es gab wichtige Dinge zu besprechen, die mit dem Land zu tun hatten, das konnte die Frau nicht einfach ignorieren. Nalani konnte nicht ignorieren, dass ihre Schwiegermutter mit Zoras Chimalis vermutlich in der Nacht ganz andere wichtige Dinge zu besprechen hatte. Ihr sollte es gleich sein; dass Kelar ein liebevoller mann war, konnte sie sich nicht vorstellen, sie konnte es also, so glaubte sie, verstehen; sie fragte sich aber, ob Zoras‘ Frau Tehya das gar nicht mitbekam. Aber offenbar ging es entweder wirklich an ihr vorbei oder sie nahm es lächelnd hin, sie beschwerte sich zumindest nicht. „Wegen des ganzen Ärgers um Kelar und der Mistgabeln hat sich dein Unterricht verzögert,“ sagte Nomboh eines Tages am Ende des Hungermondes bedauernd, „Aber das, was ich mit dir vorhabe, Nalani, wird kaum Kraft in Anspruch nehmen, davon bin ich überzeugt.“ Nalani sah ihn erstaunt an, in der Küche sitzend mit einer Tasse Kaffee – seit sei das komische Getränk einmal probiert hatte, war sie ihm verfallen und Zoras Chimalis freute sich diebisch, einen Mittrinker gefunden zu haben, weil eine Restfamilie nur Tee trank. „Und was soll das sein, Meister?“ Nomboh hob theatralisch einen Zeigefinger. „Das einzig materielle unserer höheren Magie… die elementaren Zerstörer!“ Das Mädchen war ganz und gar hellhörig, als sie wieder mit ihm im Garten stand. Es war eiskalt und sie waren dick eingepackt in Mäntel, Schals und Mützen. Obwohl er mit dem Schal vor dem Gesicht etwas nuschelte, verstand sie ihn sehr gut. „Ich betone elementare Zerstörer, weil es auch nicht-elementare gibt,“ erklärte der Meister, „Mit den geisterwinden, den höchsten Mächten des Himmels und der Erde, kann ein Schamane auch sehr viel zerstören, und das hat mit den Elementen nichts zu tun. – An Elementen gibt es beinahe alles, was du greifen oder zumindest benennen kannst. Ich habe gehört, du wärst sehr gut mit dem Wasser.“ „Ja, ich denke schon,“ nickte sie langsam und leicht bescheiden. „Bei diesem Klima hast du mit Wasser ein ganz großes Problem,“ grinste Nomboh sie an, allerdings sah sie das Grinsen unter seinem Schal nicht. „Denn sobald du versuchst, Alara zu zaubern, passiert wenn du dich nicht anstrengst das hier…“ Er machte eine unscheinbare Handbewegung und ließ in seiner Hand einen kleinen Wasserstrudel entstehen, der augenblicklich zu Eis gefror und zu Boden stürzte, wo er zerschellte. Nalani zog eine Braue hoch. „Und wenn ich mich anstrenge, geht es?“ wunderte sie sich. „Inneres Gleichgewicht,“ riet er ihr nickend, „Gleich die Temperatur der Energie an die Außentemperatur an. Du wirst mehr Wärme investieren müssen, um eine nicht gefrierende Alara zu zaubern… siehst du?“ Er wiederholte seinen Zauber und dieses Mal blieb das Wasser in seiner Hand Wasser, bis er es verschwinden ließ und Nalani wieder ansah. „Ich kann das nicht so lange, Wasser ist nicht unbedingt meine stärkste Seite und Wärme auch nicht wirklich,“ lachte er, „Die meisten Schwarzmagier haben von Geburt an ein Element, das ihnen am meisten zusagt, das sie am besten beherrschen. Das zeigt sich meistens schon bei den ersten Grundzaubern, denn das stärkste Element beherrschen sie dann natürlich am besten. Wichtig ist bei den Elementen, sich auf die Umgebung einzustellen! Dann zeig mir mal… deine Alara!“ Während Nalani und Nomboh draußen trainierten, stand Meoran drinnen und sah gespannt dabei zu, wie Nalani einen gewaltigen, donnernden Wasserstrudel erschuf und seinen Vater damit beinahe aufspießte, der sich aber mit Hilfe einer unscheinbaren schwarzen Feder zu wehren wusste. „Nalani ist ein sehr guter Schamane, habe ich recht, Onkel?“ fragte er Zoras perplex, der neben ihm stand und ebenfalls hinaus starrte. „Sie ist grandios,“ bestätigte Zoras murmelnd. Sie brauchte in der Tat wenig Übung, um einen richtigen, gefährlichen Zerstörer zu rufen, in ihrem Falle ein gigantischer Wasserzauber, der jeden durchbohren würde, auf den sie ihn losließe. Und die elementaren Zerstörer sind nie die mächtigste Waffe eines Geisterjägers… sie beherrscht ihre eigene Technik noch nicht, das Erbe ihres Clans, Kadhúrem… wenn sie mit der Schattenklinge umgehen kann, sollte sie besser sein als Nomboh, sogar besser als ich… sie ist ein Naturtalent, größer als ihr Vater… mit der Schattenmagie könnte sie unsere einzige Hoffnung sein… Kelar zu erledigen. Alle dachten es, aber keiner wagte, es auszusprechen. Die Geister könnten die Hoffnungen hören und sie gegen die Menschen verwenden, man sprach Dinge, die passieren sollten, nie aus, ob sie schlecht oder gut waren. Zoras dachte unwillkürlich an Salihah, mit der er oft über das schwarzhaarige Mädchen des Kandaya-Clans sprach. Dass Kelar ausgerechnet sie als Braut für Tabari gewählt hatte war ein Geschenk der Geister gewesen, da waren beide sich einig. Und Kelar hatte sich damit selbst abgeschossen, ohne es zu wissen – oder er ahnte es inzwischen und würde mit allen Mitteln zu unterbinden versuchen, dass sie mehr Macht bekam. Aber dieses Mädchen war ein Geisterkind, sie war von den Geistern des Schicksals erwählt worden, Herrin über Nacht und Schatten zu werden. Das letzte Kind des Kandaya-Clans… Er beobachtete angestrengt, wie das Mädchen erneut einen riesigen Strudel aus spritzendem Wasser heraufbeschwor und ihn zwischen ihren Händen hielt, während Nomboh vor ihr herumging mit seiner Feder und ihr Anweisungen zu geben schien. Das dauert zu lange… das kostet alles zu viel Zeit… Zeit, die wir nicht haben! fuhr es dem Oberhaupt mürrisch durch den Kopf, und kurzer Hand schob er seinen Neffen zur Seite und riss die Terrassentür auf, als Nalani ihren Zerstörer mit aller Kraft nach ihrem Meister warf, wie er ihr befohlen hatte. In dem Moment, in dem Zoras aus der Tür hechtete, ertönte von oben ein düsteres Grollen. „Hört auf, jetzt gleich!“ brüllte der Schwarzhaarige gegen das Donnern an, und Nomboh reagierte perplex, aber umgehend, zückte seine Feder und ließ Nalanis Wasserstrudel mit einem lauten Krachen in tausende Tropfen zerspringen. Sie keuchte und fuhr herum während Nomboh seinen Bruder verwundert ansah. „Was ist denn jetzt los?!“ wollte er wissen. „Das verschwendet nur Zeit, sie kann die Zerstörer mit links,“ entgegnete Zoras und sah Nalani skeptisch an, „Sie soll ihren Dolch holen, jetzt sofort. Ich will ihr zeigen, wie sie damit umzugehen hat… je eher sie es lernt, desto besser ist es.“ „Das ist zu früh!“ entschied der Lehrmeister nicht ganz überzeugt, „Sie kann noch nicht mal die Winde rufen, wie soll sie da Kadhúrem beherrschen?“ „Was ist mit dem Dolch?“ fragte Nalani, „Was ist denn überhaupt los?“ „Gar nichts,“ machte Nomboh und linste seinen Bruder an, „Ich bin ihr Lehrmeister, Zoras, und nicht du. Wir machen das erst mit der Frühlingssonne.“ „Und ich bin Clanoberhaupt,“ widersprach Zoras ihm prompt, „Hol dein Kadhúrem, Nalani! Jetzt sofort!“ Nalani machte unsicher einen Schritt auf ihn zu; wieso stritten die zwei sich jetzt wegen des Dolches…? „Was soll ich damit machen…?“ fragte sie dann, und Nomboh gab sich offenbar geschlagen und seufzte, während Zoras den Kopf hob und sie auf eine merkwürdig zufriedene Art angrinste. „Du wirst versuchen, mich damit umzubringen!“ ________________________ booyah o.o langes Kapi o.o Kelar ist böse und yay, es gab Tote, auch wenn sie unwichtig waren... XD UND es gab Kaffee XDD Irgendwo muss alles seinen Anfang haben Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)