Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 13: Königin der Schamanen --------------------------------- „Nalani!“ Tabari stand in der Halle und rief nach seiner Frau, die aber nicht antwortete. Der blonde Mann verdrehte nach einer Weile die Augen. Irgendwie war sie mitunter taub für seine Stimme. Er rief sie noch einmal, jetzt lauter, ehe er leicht gereizt an seinem schwarzen Umhang zupfte, bis er oben plötzlich Schritte hörte. „Du brauchst nicht zu schreien, Tabari, ich höre dich sehr gut!“ Das war seine Frau, und er seufzte, immerhin kam sie. Sie erschien am oberen Ende der Treppe, an ihrer Hand hielt sie ihren drei Jahre alten Sohn, der offenbar gerade versuchte, seine eigene Hand zu essen, jedenfalls stopfte er sie so weit wie möglich in seinen Mund. „Na endlich,“ war Tabaris Begrüßung, als seine Frau langsam Stufe für Stufe mit dem Kleinen hinunter kam. Puran konnte noch nicht besonders schnell Treppen gehen, daher dauerte es, bis sie endlich unten waren. „Ich fahre nach Yiara, wir haben Ratssitzung. Ich habe mir etwas überlegt und wollte das erst mit dir besprechen, bevor ich damit vor den Rat trete.“ „Ich mag auch Yiara gehen, Vati!“ verkündete sein Sohn und als Tabari ihn verblüfft ansah, versteckte das Kind sich kichernd unter Nalanis Rock. „Komm da raus, Puranchen…“ machte Nalani lachend und schob ihn wieder etwas von sich weg, „Nein, du bleibst hier, du kannst nicht nach Yiara. Dafür bist du noch viel zu klein.“ Sie sah zu Tabari. „Was wolltest du besprechen?“ „Als ich letztes Mal oben in Tuhuli war, hat Nomboh mich gefragt, ob du denn nicht endlich mal deine Geisterjäger-Prüfung machen willst,“ offenbarte er ihr, „Du hast einmal zu mir gesagt, du machst es, sobald Puran groß genug ist, um drei Tage ohne dich zu überleben. Ich denke, das wird er, meinst du nicht?“ Nalani sah auf ihren Sohn, der immer noch ihre Hand hielt und mit der freien Hand am Treppengeländer neben sich herumzupulen begann. „Er ist erst drei,“ meinte sie, „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“ „Jedes Kind kann in dem Alter drei Tage ohne Mutter überleben, er hat ja noch mich und Kiuk und Sukutai oder meine Mutter! Du verhätschelst ihn viel zu sehr, es wird Zeit, dass er lernt, sich zu lösen. Und ich denke, es wird Zeit, dass du den Geistern die Ehre erweist und zeigst, wozu du fähig bist.“ „Und das muss jetzt sofort sein?“ „Wenn du eigentlich fähig bist, diese Prüfung zu bestehen, und das warst du schon vor Jahren, wenn ich Nomboh da richtig verstanden habe, und sie verweigerst, beleidigst du die Geister,“ erklärte er, „Es wird Zeit, Nalani. Puran wird es auch bei uns gut haben, es sind nur drei Tage, die du isoliert sein musst.“ „Sind die Geister böse, Mutti?“ fragte der Kleine und sah mit großen Augen hinauf. Nalani seufzte und hob ihn sanft hoch, um ihn auf ihre Arme zu setzen. Sie lächelte und rieb ihre Nase an seiner, worauf er kicherte. „Nein, sind sie nicht. Keine Angst.“ „Fahren wir jetzt nach Yiara?“ „Nein, mein Sohn, Vati wird alleine fahren. Wir bleiben hier.“ Sie sah zu Tabari und wippte den Kleinen auf ihren Armen sanft auf und ab. „Ist gut, du hast vermutlich recht. Dann sag dem Rat, wenn sie einverstanden sind, mache ich die Prüfung. Muss dein Vater das nicht absegnen? Der wird das sicherlich nicht gut heißen.“ „Wenn alle anderen einstimmig dafür sind, und dessen bin ich recht überzeugt, hat Vater nichts zu melden. Er mag Herr der Geister sein, aber er kann sich nicht dem ganzen rat widersetzen. Oder sagen wir, wenn er es kann, können wir es auch, wenn er Nein sagt, machen wir es trotzdem.“ Nalani zog eine Braue hoch und er grinste. „Keine Sorge, das Schiff schaukeln wir schon irgendwie!“ „Irgendwie?“ schnaubte sie, „Tabari, so geht das nicht, es funktioniert nicht alles irgendwie.“ „Irgendwie, irgendwo, irgendwann, irgendwas, irgendwer…“ plapperte Puran und lachte dabei blöd vor sich hin. „Ich mag auch irgendwie, Mutti!“ „Ja, war mir klar, du magst das alles,“ machte sie leicht entrüstet, und Tabari wandte sich um Gehen. „Dann werde ich das dem Rat ausrichten. Wenn ich zurückkomme, sage ich dir Bescheid, wann es losgeht. Und, Puranchen?“ Er sah grinsend zu seinem Sohn, und Puran strahlte. „Jaahaa?“ „Pass brav auf deine Mutter auf, wenn ich weg bin, hörst du?“ Nalani lachte leise, dann verließ ihr Mann das Schloss. Der Mond der Stürme war angebrochen, der Winter stand vor der Tür. In Dokahsan war es kalt geworden und es hatte sogar schon den ersten Schnee gegeben. Nalani hatte zusammen mit ihrem Kind und Sukutai viele Schneemänner im Garten gebaut, Puran zuliebe, weil er so gern im Schnee hatte spielen wollen; dann hatte er allen Schneemännern Namen gegeben und eine Schneefamilie daraus gemacht: „Das ist Mutti und das Vati, der da ist Onkel Kiuk und das ist Tante Sukutai. Der kleine bin ich und das hier ist Großmutter.“ „Und was ist mit dem?“ hatte Sukutai gelacht und auf einen übrigen Schneemann gezeigt, „Das ist dann Großvater, den hast du vergessen.“ Puran hatte sich unter Nalani Rock versteckt, als hätte seine Tante ihn geschlagen. „Das ist nicht Großvater! Ich mag nicht, ich hab Angst vor dem!“ Das war das erste Mal gewesen, dass er das offenbart hatte, obwohl es offensichtlich war, wenn Kelar im Schloss war. In einer großen Familie war es schwer zu vermeiden, dass einer dem anderen begegnete, aber wenn Kelar in einen Raum kam, in dem das Kind war, versteckte Puran sich wie automatisch bei oder hinter seiner Mutter, meistens unter ihrem Rock, denn da sah ihn keiner, Mutti trug nämlich nur lange Röcke bis zum Fußboden. Nalani verübelte ihrem Kind nicht, dass es Kelar fürchtete, obwohl Kelar wirklich erstaunlich nett und höflich zu Puran war und ihm immer noch Spielsachen schenkte. Sie hatte Puran beigebracht, dass er ihr immer alles erst zeigen musste, was er geschenkt bekam, und sie fragen musste, ob er es behalten durfte; nicht, dass Kelar ihm irgendwas gab, was er nicht haben sollte. Und wenn die Mutter ein Geschenk für überflüssig oder nutzlos hielt, verwehrte sie es ihrem Sohn. „Nein,“ sagte sie dann streng, „Das darfst du nicht haben, das ist Firlefanz, Puran. Das brauchst du nicht, du hast genug!“ Das Kind gehorchte sehr artig und schmollte nie, wenn es etwas nicht behalten durfte. Am Ende des Sommers hatte Kiuk sich endlich getraut, bei Sukutais Vater um ihre Hand anzuhalten. Wie Nalani es prophezeit hatte, waren sowohl Sukutai als auch ihr Vater einverstanden gewesen, letzterer hatte sich geehrt gefühlt, seinen bescheidenen Clan mit dem Sohn der mächtigen Seherin Salihah verbinden zu können, womit er sowohl Salihah als auch Kiuk sehr geschmeichelt und seine eigene Familie höflich wie eh und je hinunter gestuft hatte. Die Hochzeit war abgehalten worden im etwas größeren Kreis als Tabaris und Nalanis; immerhin war Sukutais Familie dabei gewesen und da sie in Tasdyna gefeiert hatte auch das ganze Dorf. Sukutais Familie war in Tasdyna sehr beliebt und dort mochte jeder jeden. Und die einfachen Dorfmenschen waren stolz gewesen, die Hochzeit von so wichtigen Persönlichkeiten miterleben zu können. Kelar war nicht dabei gewesen. Kiuk interessierte ihn nicht und Sukutai erst recht nicht. „Undankbarer Schweinehund,“ hatte Nalani über ihn geschimpft, „Wie kann man seinen eigenen Sohn nur so hassen?!“ „Ach, dann verpasst er eben das gute Essen,“ hatte Tabari erwidert, „Hat er Pech gehabt!“ Fast unmittelbar nach der Hochzeit, seit der Sukutai auch im Lyra-Schloss lebte, waren sowohl sie als auch Kiuk dem Tele-Orden, dem obersten Rat der Seelenmagier, beigetreten. Tabari war völlig verwirrt gewesen. „Wieso können die da einfach mitmachen und bei uns Geisterjägern muss man voll die anstrengende Prüfung machen und um Leben und Tod kämpfen?“ „Telepathen sind keine Schwarzmagier, bei uns ist das eben anders,“ hatte Salihah gemeint, „Es muss auch nicht, anders als bei euch, unbedingt der besten und mächtigste Magier der Ratsvorstand sein, jeder, der vom versammelten Rat mehrheitlich gewählt wird, kann Vorstand werden. Und wenn jemand zutreten will, wird abgestimmt, und wenn alle einverstanden sind, ist das erledigt.“ „Ihr Telepathen seid ja voll die Diplomaten,“ hatte Tabari gebrummt, „Und wir müssen immer diesen mühseligen Quatsch mit Ehre und Stolz machen…“ „Entehre nicht die Geister, du Unhold!“ hatte Nalani sich empört und ihm auf den Kopf gehauen, Salihah hatte gelacht. Puran hatte eine Mutter unterstützt: „Vati ist ein Unhold, Großmutter!“ Leider war kurz nach dem Beitritt in den Rat der beiden Jüngeren Telepathenratsoberhaupt Dotai, Sukutais Vater, verstorben. Dabei war er gar nicht so alt gewesen, das hatte alle ziemlich mitgenommen, vor allem natürlich die arme Sukutai. Aber sie war sehr tapfer. Jetzt, wo der Winter da und ihr Vater schon ein Vierteljahr tot war, musste sie sich mit ihren Schwestern und ihrer Mutter mit dem Erbe auseinander setzen, was sie extrem aufregte und ärgerte. „Einer muss Oberhaupt der Familie werden und wir sind aber nur Frauen, es kann also bloß eine Oberhäuptin geben – gibt es so ein Wort überhaupt, frage ich mich? Nun, wie dem auch sei, jedenfalls einigen sie sich nicht, die ältere meiner jüngeren Schwestern müsste jetzt das Anwesen verwalten, weil ich verheiratet bin und damit raus aus der Verantwortung, und meine Mutter ist so tüdelig im Kopf, die kann keine Familie führen! Aber meine Schwester ist erst sechzehn und vor allem, das Schlimme ist, sie kann mit dem Vermögen meines Vaters nicht umgehen, sie denkt gerade, sie könne jetzt umher laufen und das Geld sinnlos verschwenden, sie kauft sich Zigaretten und Kleider und – hört euch das an, es ist so grauenhaft – sie hat sich einen Sklaven aus Yatoret gekauft, der ihr jetzt die Fußnägel lackiert, und er spricht nicht mal unsere Sprache, das ist irgend so ein Spaßvogel aus Kadoh, der ist auf einem Berg aufgewachsen und kann nichts außer Fußnägel lackieren, und dafür gibt sie Geld aus, und…“ „Sukutai!“ fiel Kiuk ihr jetzt endlich ins Wort – alle hatten, verblüfft am Abendbrottisch sitzend, nur darauf gewartet, dass jemand diesen Redefluss unterbrach, und im Chor atmeten Nalani, Salihah und selbst der Esel züchtende Küchenjunge im Hintergrund auf, als die junge Frau schwieg. Puran rümpfte theatralisch die kleine Nase. „Ich hab kein Wort verstanden, was du quasselst!“ sagte er, und Kiuk hustete entrüstet, Nalani gab dem Kind einen leichten Klaps. „Sowas sagt man nicht, Puran.“ „Das sagt Vati auch immer,“ sagte Puran unschuldig. Nalani entschuldigte sich bei Kiuk und Sukutai. „Ja, er zitiert neuerdings gern seinen Vater. Tabari hat einen schlechten Einfluss auf sein Mundwerk, ich sollte dem mal die Zunge zähmen.“ „Ist doch schon gut!“ strahlte Sukutai jedoch, „Ich finde es niedlich, wenn er so ehrlich ist! Er hat ja recht, ich rede zu viel, aber ich rege mich gerade so über diese verplanten Menschen in Tasdyna auf, ich bin wohl durch eure zwanghafte Ordnung hier verwöhnt worden – ach, jemine, ich fange ja schon wieder an!“ Alle lachten leicht und die Braunhaarige kratzte sich verwirrt kichernd am Kopf. Dann klopfte sie sich sanft auf den Bauch. „Das liegt sicher alles an dem Kind in meinem Bauch, das macht mich ganz hibbelig.“ Sukutai erwartete ihr erstes Kind im kommenden Sommer. Über die Nachricht ihrer Schwangerschaft waren alle glücklich gewesen, vor allem so kurz nach dem Tod ihres Vaters war das ein gutes Zeichen. Kiuk hatte ihr versprochen, wenn es ein Junge würde, würden sie es nach ihrem Vater benennen, den er im Übrigen hoch verehrt und geschätzt hatte. Sukutai hatte darauf nur gesagt: „Das wird sicherlich ein Mädchen! In meiner Familie gebären alle Frauen nur Mädchen, meine Mutter hat drei Mädchen bekommen, ihre Mutter zwei, ihre Schwester hat auch zwei Mädchen! Ich bekomme sicher auch ein Mädchen, du wirst sehen.“ „Was immer es wird,“ hatte er entgegnet, „Ich werde mit Stolz sein Vater sein und es lieben bis zu dem Tag, an dem meine Seele im Wind wehen wird.“ „Und wer wird jetzt Familienoberhaupt?“ fragte Nalani dann verblüfft, und die Schwägerin blinzelte. „Ja, keine Ahnung!“ war die erstaunlich kurze Antwort, „Vermutlich der Fußnägellackierer aus Kadoh, haha!“ „Macht es doch wie im Telepathenrat und stimmt einfach ab,“ feixte Nalani weiter, und Sukutai machte ein erstauntes Gesicht. „Was sollen wir da abstimmen, wer Clanoberhaupt wird? Wenn es doch so einfach wäre mit meiner tüdeligen Mutter, meine Schwester, die sich einen Sklaven zum Fußnägel lackieren kauft und meiner anderen Schwester, die noch zu jung ist, um überhaupt Ahnung zu haben, was ein Familienoberhaupt für eine Verantwortung hat… eigentlich müsste nur jemand meine Schwester erziehen, also die größere der beiden, damit sie sorgsam spart und sich nicht aufführt wie die Königin von Intario!“ „Die Königin von Intario?“ gackerte Puran, „Wer ist denn das?!“ Sukutai sah ihn lächelnd an. „Was, das weißt du nicht? Vor langer Zeit gab es im Land Intario eine Königin, die hat immer gemacht, was sie wollte und wozu sie Lust hatte, bis der König sie eines Tages bestraft hat, sie hat riesigen Ärger bekommen. Wenn man immer nur das tut, wozu man Lust hat, tanzen einem die Leute auf der Nase herum!“ Nalani nickte dankbar für die Lektion – wenn das Kind das früh lernte, umso besser. „War das noch mehr lange her als, als gestern?“ grübelte das Kind, und Kiuk fing an zu lachen. „Sehr viel länger her!“ „Noch länger her als du alt bist,“ lachte Nalani auch, „Diese Königin hat vor mehreren hundert Jahren gelebt, mein Schatz.“ Puran konnte nicht zählen und hatte keine Vorstellung für Zeiten, die so lange her waren. Er verstand also kaum etwas von dem, was man ihm sagte, aber er merkte sich immer gewissenhaft, was seine Mutter ihm sagte. Tabari langweilte der Weg nach Yiara inzwischen. Er war so oft in seinem Leben dort hin geritten und von dort zurück geritten, dass er die halbe Strecke schlafend auf dem Rücken des Pferdes verbrachte und das Tier ihn dennoch zielstrebig in die Hauptstadt der Provinz Dokahsan brachte. Wenn er schon sonst nie zum Schlafen kam, weil entweder sein Vater oder die anderen Geisterjäger irgendetwas von ihm wollten oder seine Frau mit seinem Kind irgendetwas von ihm wollte… Die Stadt hatte sich nicht verändert, was er auch nicht anders erwartet hatte. Die Menschen wichen dem Pferd ehrfürchtig aus und neigten demütig die Köpfe, wenn er durch das Tor kam, wenn er durch die Straßen ritt und am Senatsgebäude ankam. Er fragte sich manchmal, was sein Vater diesem Volk eingebläut hatte, dass sie selbst vor ihm als Kelars Sohn so demütig waren. Außerdem wunderte ihn, dass sein Vater ihn nicht schlecht gemacht hatte vor dem Volk, wo er sich doch einst vor Nalani gestellt und sie und ihr ungeborenes Kind beschützt hatte… sein Vater war eigenartig. Der Verein der Geisterjäger hatte im Senatsgebäude einen eigenen Tagungsraum von Kelar geliehen bekommen, wieder Herr der Geister es nannte, was an sich schon eine große Ehre war. Als Tabari den Raum betrat, waren schon alle da und sahen jetzt mehr oder minder geschlossen zu ihm auf, als er sich räusperte und die Tür schloss. „Du bist zu spät,“ war die Begrüßung seines Vaters, „Wo hast du gesteckt, Tabari?“ Er kratzte sich am Kopf. „Da war ein großes Loch in der Straße und ich musste Meilen darum herum gehen, das hat Zeit gekostet…“ Die anderen sahen ihn verwundert an und niemand sagte etwas zu seiner dämlichen Ausrede. Tabari hielt sich nicht länger an Förmlichkeiten auf und setzte sich zu den anderen an den Tisch, an dessen Stirnseite natürlich Kelar saß. Der Rat der Geisterjäger war im vergangenen Jahr gleich um zwei Mitglieder gewachsen, denn Hakopa Kohdars Söhne hatten alle beide kurz hintereinander die Prüfung bestanden. Tare, der jüngere der Kohdar-Söhne, war mit seinen damals fünfzehn Jahren der jüngste Mann gewesen, der jemals diese Prüfung bestanden hatte, was alle sehr gefreut und sowohl Tare als auch seinen Vater sehr stolz gemacht hatte. Jetzt sechzehn Jahre alt, saß der Junge neben seinem zwei Jahre älteren Bruder Barak, strahlte in die Runde und sagte kein Wort. „Jetzt haben wir drei Kohdars im Rat, zwei Lyras, und zwei Chimalis‘, Minar, du musst dich ranhalten und deinen Clan fördern,“ hatte Nomboh einmal gescherzt, und der alte Minar Emo hatte bloß die Augen verdreht. „Im Ernst,“ begann Tabari in dem Moment und erhob sich, obwohl er sich gerade erst gesetzt hatte, „Ich habe daheim mit meiner Frau gesprochen.“ Jetzt wurden alle hellhörig und sahen geschlossen zu ihm hin. Kelar verengte unmerklich die Augen. Tabari seufzte, ehe er die Männer vor sich ansah. „Ihr habt von mir erwartet, dass ich das tue, also tue ich es hier und jetzt… und bitte den versammelten Rat, Nalani die Zulassung zur Geisterjägerprüfung zu gewähren. Sie ist jetzt bereit, sie anzutreten und unseren Sohn für eine Weile in der Obhut der Restfamilie zu lassen.“ Er erntete zunächst Schweigen. Kelar erhob sich langsam und schien etwas sagen zu wollen, aber Nomboh fiel ihm lachend ins Wort: „Na endlich! Das wird ja auch Zeit, hätte sie nicht das Baby bekommen, wäre sie längst Geisterjägerin, wetten?“ „Lass deine Wetten,“ machte Zoras knapp, der in seiner Kaffeetasse herum rührte. „Machen wir das jetzt sofort?“ wollte das Nesthäkchen Tare fröhlich wissen, und sein Bruder verdrehte die Augen. „Du kannst nie warten, du Schafskopf. Eine Woche dauert das sicher.“ „Halt, Moment!“ empört unterbrach der Herr der Geister die angeregte Diskussion. Sofort verstummten alle brav, nur Zoras rührte unbeirrt weiter in seiner Tasse, wobei der Löffel darin klimperte. Kelar beachtete seinen größten Rivalen gar nicht. Er sah düster zu Tabari und dann zu Nomboh. „Das habt ihr euch so gedacht, dass die Wachtel Geisterjägerin wird?! Tss, Geisterjägerin?! Es gib keine weiblichen Geisterjäger, das hat es noch nie gegeben!“ „Schmarrn,“ behauptete Zoras ungeniert, und Tabari brummte auch. „Kiuk hat mir was anderes aus unserem Stammbaum erzählt, es gab sogar mal einen weiblichen Clanführer!“ Sein Vater schnaubte. „Das ist mir egal, das waren andere Zeiten, jetzt ist jetzt und nicht damals. Mir egal, wer alles Clanführer oder Geisterjäger gewesen sein mag! Ich erlaube nicht, dass die Wachtel Geisterjägerin wird, sie ist eine Frau und sie bricht die regeln, wie sie Lust hat, sie hat keinen Respekt vor der Macht der Geister. Sie kann die Prüfung nicht bestehen und wird es auch nicht.“ „Wollen wir wetten?“ „Halt die Klappe, Nomboh!“ „Was für Regeln bricht sie?“ fragte Tabari kalt, „Deine Regeln, Vater?“ Kelar stierte ihn nur grimmig an, während die anderen wieder verstummten. „Nur, weil du sie nicht leiden kannst, ist das kein Grund, sie nicht zuzulassen. Die Mehrheit des Rates wird entscheiden, Vater!“ „Der Rat kann mich mal, ich bin der Rat!“ brüllte Kelar Lyra zornig und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ein Rat besteht logischerweise immer aus mehreren Personen, denn alleine kann man sich ja schlecht beratschlagen,“ behauptete Barak Kohdar und zog die Augenbrauen hoch. „Ich bin der Vorsitzende dieses Rates, danke für deine Klugscheißerei, Barak, und wenn ich Nein sage, gilt für alle hier Nein,“ erwiderte Kelar kalt. Barak ließ sich nicht einschüchtern. „Das ist dann aber irgendwie auch kein richtiger Rat, wenn wir Euch zwar raten, Herr, aber Ihr unseren rat gar nicht berücksichtigt, das ist ja, als würde man einem Bäcker sagen, er solle mehr Zucker in seinen Kuchen mischen, und er nimmt Salz, weil ihm Zucker nicht in den Kram passt.“ „Was für hirnrissige Vergleiche!“ fluchte Kelar. „Also, ich hab jetzt Hunger,“ meinte Nomboh und kratzte sich am Kopf. „Ist außer Kelar jemand dagegen, dass Nalani die Prüfung macht? Stimmt, Frauen als Geisterjäger gibt es so extrem selten, dass es verschwindend ist… aber umso besser, das mal zu ändern, oder? Und so, wie ich sie einschätze, hat sie ein enormes Potential. Ich habe sie gelehrt, ich weiß, wovon ich rede, und vergesst nicht, dass sie Thono Kandayas Tochter ist.“ Zustimmendes Murmeln von allen Seiten. Kelar schnaubte. „Vergesst es, niemals.“ „Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten,“ mischte Zoras sich dann seelenruhig ein und hielt einen Zeigefinger hoch, „Nummer eins, Kelar sagt, er ist dagegen, alle anderen werden offenbar dafür sein und wir machen die Prüfung ohne Kelar, das gibt viel Ärger und Genörgel oder ein paar zerfetzte Dörfer, das wäre unschön.“ Kelar starrte ihn fassungslos über diese Schamlosigkeit an und auch Tabari fragte sich manchmal, ob der Schwarzhaarige nach dem Tod seiner Frau den Verstand verloren hatte, denn er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, Kelars Regime zu kritisieren, selbst auf offener Straße nicht. Zoras hob einen zweiten Finger. „Nummer zwei, Kelar sagt Na gut, mal schauen, was wird, und wir sparen uns die zerfetzten Dörfer. Du hast die Wahl, großer durchlauchter Herrscher von Lyrien,“ Hier kam eine dermaßen spöttische Verneigung, dass die anderen schon erschauderten. Kelar blieb kalt. „Du weißt genauso gut wie ich und jeder andere hier, dass es Nalanis Schicksal ist. Das war es seit ihrer Geburt, nein, schon davor. Und du sträubst dich dagegen, weil du weißt, dass ich recht habe, weil du Nalanis Macht mehr als alles andere fürchtest…“ Die Versammlung hielt plötzlich den Atem an, als Zoras sich erhob und Kelar genau gegenüber stand. Die beiden sahen sich feindselig an und einen Moment schien es, als würde selbst die Luft gefrieren wollen. „Sie trägt Kadhúrems Klinge, Kelar, und sie wird Geisterjägerin sein, ob es dir gefällt oder nicht, da bin ich sicher. Wir machen die Prüfung in einer Woche. Hast du noch etwas zu sagen?“ Alle sahen gespannt zu Kelar, der eine eiserne Miene aufsetzte und erst mal gar nichts tat. Dann schnappte er nach Luft und ballte zornig die Fäuste, ehe er an Zoras vorbei zur Tür schritt. „Wir werden ja sehen. Dein höhnisches Gerede wird dir noch vergehen, Chimalis, das schwöre ich dir. An dem Tag, an dem Nalani nach Tuhuli zur Prüfung kommt, rechnen wir ab.“ Er warf einen letzten, grausamen Mörderblick über die Schulter zurück und verließ dann den Raum. Die Tür krachte ins Schloss. „Dem habt Ihr es aber gegeben,“ lobte Tare Kohdar vorwitzig und grinste zufrieden. Zoras Chimalis ging nicht darauf ein. „Ist die Sache damit geklärt oder hat noch jemand etwas zu melden?“ fragte er in die Runde – und plötzlich fiel die Kälte, die er Kelar gegenüber aufsetzte, von ihm ab, und er setzte sich fröhlich wieder hin und trank rasch seinen Kaffee aus. „Ich habe heute gute Laune,“ erklärte er sein Verhalten den ungläubigen Gesichtern, „Ich habe hier in Yiara einen Laden gefunden, der Kaffee verkauft, ich liebe diese Menschen, ich würde sie am liebsten behalten. – Nun, da unser selbsternannter Ratsvorsitzender, auch bekannt als Tyrann Kelar Lyra von Lyrien, es nicht für nötig zu halten scheint, die Sitzung zu Ende zu führen, setzen wir das ohne ihn fort. Also, schießt los, habt ihr was Lustiges zu erzählen?“ Nalani war aufgeregt. In der Nacht vor der Prüfung ließ sie Puran zwischen Tabari und sich im Bett schlafen. Sie hatte zwar am Abend versucht, ihm sanft beizubringen, dass sie drei Tage in Folge fort sein würde, aber er hatte es nicht so richtig kapiert und kuschelte sich jetzt glücklich zwischen sie und seinen Vater, während beide Eltern zärtlich je einen Arm um das Kind legten. „Wenn ich weg bin, wird er anfangs vielleicht unausstehlich sein,“ warnte Nalani ihren Mann. „ja, aber er wird überleben,“ entgegnete er seufzend, „Es wird wirklich Zeit, dass du ihn loslässt… dass er dich nicht loslassen kann liegt mit daran, dass du immer bei ihm bist, dass er nie erfahren hat, wie es ohne Mutti ist. Wie soll er so selbstständig werden, Nalani…?“ Sie reagierte wie erwartet. „Ich bin seine Mutter, ich weiß, was ich zu tun habe. Ich erziehe ihn so, wie ich es für richtig halte, Mann.“ Tabari sagte nichts. Ja, er hätte es wissen müssen… wenn er es wagte, an ihrer Erziehungsmethode zu meckern, stieß er grundsätzlich auf taube Ohren. Er schwieg also und beendete das Gespräch damit. „Gute Nacht, Tabari,“ sagte Nalani dann noch etwas zärtlicher. „Und gute Nacht, Puranchen.“ „Gute Nacht,“ kam von den beiden im Chor, und sie musste lächeln, ehe sie die Augen schloss und Stille herrschte. Der Gedanke, drei Tage ohne ihren kleinen Sohn zu verbringen, erschien ihr unerträglich. Sie liebte das Kind, sie würde für dieses Kind ihr eigenes Leben hergeben. Innerlich wusste sie ja, dass Tabari recht hatte… sie musste ihn loslassen. Sie konnte ihn nicht ewig bemuttern, eines Tages würde er ein mann sein müssen. Vor dem Tag graute ihr jetzt schon… sie wollte so gerne, dass er für immer ihr kleiner, geliebter Junge blieb, der sie genauso bedingungslos liebte wie sie ihn. Puran kuschelte sich etwas dichter an sie und begann nach einer Weile, an ihrem Nachthemd über der Brust zu knabbern, als wollte er es aufessen. Sie kannte die Geste sehr gut und wusste, was er wollte, so öffnete sie geduldig drei der Knöpfe, um ihre Brüste frei zu legen, damit das kleine Kind schweigend ihre Brustwarze in den Mund nehmen und trinken konnte. Sie strich ihm zärtlich über die wuscheligen Haare, während er sich sanft an sie klammerte und glücklich Milch trank. Tabari merkte ganz genau, was neben ihm vor sich ging, und er öffnete noch einmal die Augen und schüttelte bei dem Anblick den Kopf. „Ich sag es ja,“ murmelte er leise, „Lass ihn los. Er ist jetzt drei und du säugst ihn immer noch, Nalani… er hätte schon seit Jahren keine Milch mehr bekommen dürfen.“ „Könntest du Nein zu ihm sagen?“ schnarrte sie ebenso leise, um das schläfrig saugende Kind nicht zu stören, „Wie könnte ich es ihm verwehren? Er ist noch klein, er liebt es eben.“ „Auch, wenn er noch so klein und süß ist, musst du lernen, Nein zu ihm zu sagen!“ widersprach Tabari gedämpft. „Gerade in seinem Alter ist es wichtig, dass er schnallt, dass er nicht immer alles bekommt, was er gerne hätte, Nalani.“ „Shht jetzt…“ brach sie die Diskussion murrend ab, und Tabari seufzte. Sie blockte. Wie immer, wenn er versuchte, sie zu belehren. Herrin Nalani, stolze Tochter des Kandaya-Clans und seine geliebte Frau, war unfehlbar. Sie hatte unweigerlich recht und er war der Idiot, der nickend und grinsend neben ihr stehen konnte. Wenn sie die drei Tage weg war, würde er gewissenhaft damit beginnen, seinen verwöhnten Sohn zu erziehen, wie es sich gehörte. Das hatte der blonde Mann sich definitiv leichter vorgestellt, als es war. Das merkte er schon als Nalani am nächsten Morgen das Schloss verließ unter Aufsicht der anderen Geisterjäger, die allesamt gekommen waren und ihr jetzt vom Tor aus nachsahen, wie sie allein in die Wildnis hinaus marschierte. In drei Tagen würde sie nach Tuhuli kommen; dort würde der zweite Teil der Prüfung stattfinden. „Wohin geht Mutti?“ fragte der Kleine unruhig und trat dabei von einem Fuß auf den anderen, während er neben seinem Vater zwischen allen möglichen fremden Männern in schwarzen Umhängen stand. „In die Wildnis,“ antwortete Tabari ernst. „Ich mag auch gehen!“ verkündete Puran und wollte schon losmarschieren, da war es aber Tare Kohdar, der neben ihm stand, der ihn festhielt. Völlig entsetzt, dass ihn ein wildfremder Mann anfasste, starrte Puran ihn an. „Du bleibst hier bei deinem Vater,“ erklärte Tare blinzelnd, „Deine Mutter muss für drei Tage alleine sein, du kannst jetzt nicht zu ihr. Sie kommt aber bald zurück, du musst keine Angst haben.“ „Ich mag aber zu Mutti gehen!“ rief der Kleine lauter, „Ich mag jetzt sofort, Vati!“ Tabari antwortete nicht und das Kind addierte unglücklich: „Bitte!“ Mutti hatte ihm nämlich beigebracht, dass man Bitte sagen musste, wenn man etwas wollte. Und er war gewohnt, nach einem artigen Bitte das auch zu bekommen… Tabari blieb kalt. „Nein, Puran. Du bleibst hier.“ Das hätte er besser nicht so hart gesagt, sagte er sich darauf, als das Kind neben ihm plötzlich herzergreifend zu weinen begann. Tare Kohdar machte ein völlig bestürztes Gesicht und hatte keine Ahnung, was man jetzt am besten tun sollte. „Ich mag aber jetzt zu Mutti gehen, ich mag nicht hier bleiben!“ heulte der Kleine außer sich, „Ich mag nicht, ich mag nicht!“ „Sei jetzt ja hart,“ riet Zoras Tabari ungefragt, „Sonst merkt er sich nie, dass er nicht alles haben kann, was er möchte! Und wenn er noch so niedlich plärrt, irgendwo musst du eine Grenze ziehen; das ist etwas, was Nalani durchaus versäumt hat!“ Tabari machte auch schon ein ganz unglückliches Gesicht. „Aber ich möchte nicht, dass er mich hasst und meinetwegen weint…“ „Was glaubst du, wie oft meine Tochter mich gehasst hat?“ fragte Zoras ihn perplex, „Zwischendurch hassen sie einen mal, aber sie kommen immer wieder an und lieben einen trotzdem noch. Immer nur Mitleid zeigen ist nicht gut… ich will dich nicht belehren, Tabari, ich habe bei Enola auch Fehler gemacht, besonders nach Tehyas Tod…“ Er senkte kurz den Kopf und die anderen schwiegen verdrossen. Tabari erinnerte sich an das Theater, das es in Tuhuli wegen Enola gegeben hatte. Nach dem Tod ihrer Mutter vor jetzt mehr als zwei Jahren hatte das Mädchen angefangen, sich von ihrer Familie zu distanzieren. Ihr Vater war zu sehr damit beschäftigt gewesen, um seine Frau zu trauern, und hatte sie ohne es zu wollen vernachlässigt, wofür er sich inzwischen hasste, und Enola hatte ihn in dem Moment auch gehasst und nur um ihn zu ärgern ihre Spielereien mit den jungen Männern in der Stadt weiter getrieben, was alle empört hatte. Es war etwas über ein Jahr her, dass sie Hals über Kopf einen komischen Vogel namens Kotori Kipu geheiratet hatte, mit dem sie die Stadt in Richtung Westen verlassen hatte. Vor einem halben Jahr war ein höflicher, liebevoller Brief mit dem Siegel der Stadt Sinami gekommen, den Enola an ihren Vater geschrieben hatte. Sie hatte eine gesunde Tochter geboren, der sie den Namen Pakuna gegeben hatte, und sie hatte sich für ihr unverschämtes Verhalten entschuldigt und angekündigt, einmal mit ihrem Mann, bei dem sie es sehr gut hatte, und ihrem Baby nach Tuhuli zu Besuch zu kommen. Seitdem war nichts weiter gekommen und man wartete schon sehnsüchtig darauf, Zoras‘ einzige Tochter wieder in Tuhuli zu sehen. „Habt ihr von Enola inzwischen noch was gehört?“ fiel Hakopa Kohdar dazu ein, während Puran weiter plärrte und Tabari versuchte, standfest zu bleiben. „Nein, Puran, du bleibst hier, das ist mein letztes Wort,“ sagte er und klang nicht ganz so kalt, wie er es geplant hatte; das heulende Kind, dem schon der Rotz aus Mund und Nase rann, war einfach zu Mitleid erregend… er verstand jetzt, wieso Nalani nie Nein sagte… „Ich mag aber nicht, ich mag aber nicht!“ brüllte das Söhnchen und fing an, sich auf den Boden zu werfen und mit Sand und Kieseln um sich zu werfen. „Ich mag jetzt zu Mutti, ich mag jetzt zu Mutti!“ „Nein, Enola hat sich nicht gemeldet,“ antwortete Zoras verdrossen auf Hakopas Frage, „Aber ich werde heute nach Sinami fahren und nach ihr suchen, ich wollte sowieso noch aufbrechen. Ihr solltet das auch schleunigst tun, ihr wisst, was wir noch zu tun haben. Kelar wird sich wundern, wenn Nalani nach Tuhuli kommt. Nomboh, beweg dich, wir gehen jetzt. Tabari, bis in drei Tagen und alles Gute für dich und den Knirps.“ Tabari verneigte sich höflich, als die Geisterjäger sich jetzt nach und nach zum Gehen schickten. Kiuk und Sukutai waren noch bei ihm im Hof und Letztere versuchte gerade, den schreienden und strampelnden Puran vom Erdboden aufzuheben, weil er sich ganz schmutzig machte in den Kieseln. Aber das Kind zappelte wütend weiter und schlug nach ihr und wollte sich gar nicht beruhigen. „Sturer Bock,“ brummte Tabari schließlich, als der immer noch verwirrte Tare Kohdar als letzter winkend ging, dann schnappte er mit einem schnellen Griff seinen Sohn und warf ihn sich prompt über die Schulter. Puran war so geschockt, plötzlich hoch genommen worden zu sein, dass er sich an seiner Spucke verschluckte und wie verrückt zu husten begann, dabei versuchte er irgendwie weiter zu heulen, was dazu führte, dass er keine Luft mehr bekam und wieder hustete. „Nichts da, du bleibst fein hier. Und jetzt kommst du erst mal in die Badewanne, du bist hast doch jetzt Tonnen von Sand in der Hose. Mutti wird erst in drei Tage wieder kommen, bis dahin passen Onkel Kiuk, Tante Sukutai, Großmutter und ich auf dich auf, Puran. Du wirst sehen, es ist gar nicht so schlimm.“ Die beste Medizin hieß Ablenkung, war das erste, was Tabari lernte. Solange man den Kleinen beschäftigte, mit ihm spielte oder ihm irgendwas Spannendes beibrachte oder zeigte, war er so eingenommen, dass er die Sehnsucht nach seiner Mutter für eine Weile vergaß. Und die ganze Familie beschäftigte sich drei Tage lang sehr intensiv mit dem Kind. Kelar war nicht da, Salihah war auch neuerdings arg beschäftigt und selten im Schloss; nach dem Ableben von Sukutais Vater war die Arbeit des Vorstandes des Telepathenrates an sie übergegangen, obwohl sie zuerst hatte ablehnen wollen. Eine Frau als Vorsitzende eines Rates hatte es noch nie gegeben, aber die Mitglieder des Rates waren einstimmig dafür gewesen, weil sie definitiv die begabteste Seelenmagiern Dokahsans oder sogar ganz Tharrs war, niemand würde jemals ihrem Sehvermögen das Wasser reichen können. Außerdem war sie die geborene Politikerin und Rednerin, daher war der Posten wie für sie gemacht und sie hatte sich dem eifrigen Drängen der Ratsmitglieder schlussendlich gebeugt. „Obwohl das zu viel der Ehre ist für mich und ich Euren Respekt nicht im entferntesten verdiene,“ hatte sie unterwürfig zum Rat gesagt und sich tief verneigt, was sonst nicht ihre Art war, „Meine Augen sind nicht mehr das, was sie einmal waren… aber wenn Ihr so darauf besteht, werde ich mit Stolz und größtmöglicher Mühe versuchen, diesem Rat vorzusitzen.“ Wenn Salihah dann einmal im Schloss war, half sie den Jüngeren eifrig dabei, das Kind zu beschäftigen. Meistens, indem sie Puran Geschichten vorlas, und er hörte dann aufmerksam zu, bis sie das Buch zu klappte, nie unterbrach er sie oder nörgelte dazwischen, sondern saß immer artig und fasziniert neben ihr auf dem Sofa oder vor ihr auf einem Sitzpolster. Kiuk war meistens dafür zuständig, mit dem Kind umher zu toben. Dabei blieben sie fast nur im Schloss, weil es draußen sehr kalt geworden war, und wenn er mit seinem Neffen doch hinaus ging, damit der Kleine mal frische Luft bekam, zog er ihm vorher wie Nalani es sonst tat drei Schichten von Kleidung über, damit er ja nicht fror. Und dann spielte er mit ihm Fangen, wobei er natürlich absichtlich langsam ging, damit der Kleine ihn immer fing und sich diebisch freute, oder Verstecken, wobei der Onkel sich absichtlich doof stellte und sich so versteckte, dass der Kleine ihn ohne größere Frustration finden konnte. Manchmal musste Kiuk als Pferd herhalten und auf allen Vieren durch das Schloss staksen, dabei saß Puran johlend auf seinem Rücken. „Hüah, Pferdi, Hüah!“ rief er dann und trat seinen armen Onkel mit den Hacken, „Schneller, Pferdi!“ „Ich kann nicht mehr, lass uns Pause machen…“ stöhnte Kiuk unter ihm, der ihn durch die Halle trug, und Sukutai, die gerade die Treppe hinab kam, hielt sich prustend die Hände vor den Mund und beherrschte sich mit aller Macht, um nicht laut aufzulachen bei dem komischen Anblick. „Nein, Pferdi, ich hab nicht Brrr gesagt! Ich mag noch nicht aufhören, Pferdi!“ „Ich bin jetzt nicht mehr Pferdi, ich bin jetzt wieder Onkel Kiuk,“ sagte der Mann seufzend, zog das Kind von seinem Rücken und stand auf. Puran protestierte. „Aber ich mag doch noch weiter spielen, bitte, Onkel Kiuk!“ „Nein, jetzt ist mal Pause,“ widersprach Kiuk beharrlich. Puran verzog das Gesicht und ihm stiegen schon die Tränen in die Augen. „Hör mal, meine Knie tun schrecklich weh vom Pferd spielen, ich kann kaum noch laufen! Tante Sukutai spielt mit dir etwas anders, und vielleicht, wenn du jetzt nicht weinst, spielen wir später noch mal kurz Pferd.“ Puran kaute unzufrieden an seiner Hand herum und schluckte die Tränen mit großer Mühe wieder hinunter. Als doch eine Träne über seine Wange kullerte, wischte er sie hastig weg und nuschelte: „Ich hab nicht geweint, echt nicht.“ Kiuk musste leise lachen. Er war schon ein niedlicher kleiner Fratz. Aber seine Knie waren dennoch grün und blau… Sukutai nahm Puran an der Hand, um ihn weiter zu beschäftigen. Wenn Nalani da war, konnte er sich übrigens auch eine Weile allein beschäftigen und brauchte nicht den ganzen Tag durchgehend Gesellschaft der Erwachsenen. Aber man versuchte ja, ihn von Nalanis Abwesenheit abzulenken. Sukutai konnte nicht mit ihm herumtoben, davon abgesehen, dass Toben nicht in ihrer Natur lag war sie schwanger und würde nicht unnötig viel Unsinn treiben. Zuerst versuchte sie, das Kind dazu zu bringen, kreativ zu sein. Sie malten Bilder mit Farben, die man mit wenig Wasser anrühren konnte. Puran konnte keine Pinsel halten, deswegen malten sie mit den Händen auf einem großen Pergament herum. Allerdings war das Kind nicht besonders kreativ und machte immer nur das nach, was Sukutai ihm zeigte. Sie malte mit dem Zeigefinger einen roten Strich und er tat es ihr gleich, sie dabei beobachtend. „So, jetzt machst du mir mal was vor und ich mach es nach!“ schlug sie dann vor, um mal seine linke Hirnhälfte zu fördern, und Puran sah sie blöd an. Dann malte er den gleichen Strich noch mal, den er ihr eben nachgemalt hatte, und sah sie dann fordernd an. „Aber das haben wir doch gerade eben gemalt, mal doch, mh, einen Kringel, oder so, versuch mal!“ Puran runzelte angestrengt die Stirn. Nach langer Überlegung zog er dann einen sehr langen Strich über das Pergament, der sich abgesehen von seiner Länge nicht von den vorigen unterschied. Sukutai seufzte und malte ihm einen Kringel, und er malte ihr fröhlich nach. Na ja, kreativ war der Junge nicht unbedingt, aber das könnte ja noch werden, wenn er älter war, sagte Sukutai sich. Vielleicht erwartete sie zu viel von ihm, er war erst drei. Irgendwann gab sie das Malen mit ihm auf, wusch ihm gründlich die Finger und das Gesicht, weil alles voller Farbe war (er hatte sich ab und zu mit den Händen über das Gesicht gewischt und dabei die Farbe auf seinen Wangen, seiner Nase und einer Stirn verteilt), und ging mit ihm wieder hinunter in die Küche. Und dort war der Küchenjunge, der Geschirr spülte. „Ah, Besuch,“ grüßte er Sukutai grinsend und sah dann zum kleinen Puran, „Na, schon Teezeit, kleiner Herr?“ „Was machst du da?“ fragte Puran neugierig und stellte sich auf die Zehenspitzen, um in die Spülschüssel auf dem Hocker sehen zu können. „Ich wasche die Teller, Tassen, Gläser und das Besteck, damit es schön fein sauber ist heute Abend.“ „Ich mag auch Tellerchen sauber machen.“ „Was denn, du?“ lachte Sukutai ihn aus, „Das ist doch gar nicht deine Arbeit, Puranchen.“ „Ich mag aber auch so eine große Schale haben und Tellerchen waschen!“ erklärte er und zeigte strahlend auf die Spülschüssel. „Das ist eine Schüssel und keine Schale,“ korrigierte seine Tante lachend, „Na ja, gut, wenn du das magst, machen wir das zusammen, ja? Warte, wir hatten doch… ah, da!“ Sie zog aus einem Schrank eine etwas kleinere Schüssel heraus, die sie vor Puran hinstellte und mit Hilfe des Zaubers Alara mit Wasser füllte. Sukutai nahm einen Lappen und ließ sich von dem grinsenden Küchenjungen zwei Teller und zwei kleine Tassen reichen, die sie in die kleine Schüssel umfüllte. Puran klatschte begeistert in die kleinen Hände. „Oh ja, oh ja, ich mag auch Tellerchen und Becherchen abwaschen!“ johlte er, ehe er sich von seiner Tante geduldig zeigen ließ, wie man vorsichtig den Teller mit dem Lappen im Wasser abwischte. Der Küchenjunge lachte. „Wenn er so weiter macht, nimmt er mir bald meine Arbeit, fürchte ich, Herrin!“ „Ach,“ machte Sukutai, während der Kleine jetzt fröhlich mit den Händen im Wasser herum plantschte und versuchte, die Teller zu waschen, „Das Arbeiten wird ihnen immer früher leid, als uns lieb sein mag.“ Tabari seinerseits versuchte, sein Versprechen an sich selbst zu halten und seinen Sohn daran zu gewöhnen, Nein zu akzeptieren. Es war nicht einfach, aber erstaunlicherweise machte sich der Kleine ganz gut. Manchmal fing er zwar erst mal an zu plärren, gab es aber schnell wieder auf, wenn man mit etwas Spannenderem kam, das ihn ablenkte. Das einzige, was nicht funktionierte ohne Nalani, war das Schlafen. Das Kind heulte und weinte in seinem Bettchen so lange, bis Tabari kam und ihn auf den Arm nahm, versuchend, den Kleinen zu beruhigen. „Mutti ist ja bald wieder da,“ versprach er Puran dabei, während er versuchte, ihn auf die Weise, wie Nalani es tat, hin und her zu wiegen. Puran schniefte und war absolut unglücklich. „Ich mag aber jetzt bei Mutti sein!“ erklärte er weinend, „Ich mag nicht alleine schlafen…“ Tabari seufzte. Was machte er denn jetzt? Was würde Nalani tun? „Möchtest du lieber bei mir schlafen? Ich passe so lange auf dich auf, bis Mutti zurück ist. Versprochen!“ Das Kind sah ihn groß an. Dann hellte sich sein kleines Gesicht ein wenig auf und er kuschelte sich an seinen Vater, der ihn immer noch auf den Armen trug. „Ja…“ So nahm Tabari ihn mit in sein Bett, wo der Kleine auf Nalanis Bettseite schlafen durfte. Bei Vati im Bett war es angenehm, es roch nach Mutti… er kuschelte sich in das große Kopfkissen und angelte dann vorsichtig nach der Hand seines Vaters, der neben ihm lag und ihn ansah. „Du…?“ nuschelte Puran, und Tabari musste leise lachen. „Was ist denn, mein Sohn?“ „Ich… hab dich lieb, Vati…“ Die drei Tage ohne Nalani überlebte das Kind besser als man erwartet hatte; aber dank des vielen Spielens und Beschäftigens des kleinen Jungen war die ganze Familie froh, als die Tage herum waren und sie gemeinsam nach Tuhuli aufbrachen, um den zweiten Teil der Prüfung anzusehen. Das hieß, Kiuk fuhr mit Sukutai, Puran und Salihah, denn die Geisterjäger hatten ohnehin vorher dort sein müssen, um Nalani zu empfangen und vor allem um festzulegen, gegen wen Nalani antreten müsste, ehe sie tatsächlich in die Runde der Geisterjäger aufgenommen werden könnte. Das Wetter war trüb. „Es wird Regen geben,“ orakelte Salihah apathisch und starrte aus dem Fenster, während sie ihren Enkel auf dem Schoß hatte, der an ihrem feinen Kleid herumpulte und sich langweilte. „Wann sind wir da, Onkel Kiuk?“ kam alle paar Momente. Jetzt auch gleich wieder. „Bald,“ antwortete Kiuk, dem die Fragerei gehörig auf die Nerven ging, aber er war geduldig. Puran war ja noch klein. Er fragte sich nur, wieso man das Kind mitgenommen hatte, seiner Meinung nach wäre er besser daheim geblieben. Er hatte Sukutai gebeten, mit dem Kind zu Hause zu bleiben, aber sie war sehr stur gewesen. „Ich bleibe sicherlich nicht als Einzige hier, während alle die vermutlich wichtigste und aufregendste Veranstaltung des Jahres verfolgen! Das ist keine Familiensache, das ist Politik, mein lieber Mann, mehr als es aussieht.“ Das hatte er einsehen müssen; das war es tatsächlich, wenn man bedachte, dass es das ganze Land bewegen könnte, wenn Nalani gegen Kelars Willen Geisterjägerin wurde. Schade war nur, dass außer den Familien der übrigen Geisterjäger kaum jemand dabei sein würde. Und da niemand von ihnen bereit gewesen war, im Schloss auf das Kind aufzupassen, hatten sie Puran eben mitgenommen. „Er wird Nalani nicht besuchen können, bis die Zeremonie vorbei ist,“ sagte Kiuk seufzend und sah zu seinem Neffen, der anfing, auf Großmutters Schoß mit den Beinen zu baumeln. „Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, wenn er sie von weitem sieht aber nicht zu ihr darf.“ „Was willst du machen?“ murmelte Sukutai neben ihm, „Ihn in Chimalis‘ Anwesen einsperren, während wir draußen im Regen stehen? Oh je, haben wir überhaupt einen Schirm? Warte, Kiuk, sage dem Kutscher, er soll in Gahti anhalten und einen Schirm besorgen! Wir werden sicher länger da stehen und wenn wir alle nass werden, erkälten wir uns!“ Das war wahr; und da Sukutai schwanger war, wollte niemand riskieren, dass sie unnötig krank wurde. Während Kiuk also nach vorne zum Kutscher rief, er solle im Dorf Gahti einen Schirm für seine Frau kaufen („Für meine Frau?“ fragte der Kutscher verpeilt, und Kiuk entgegnete empört: „Meine Frau, nicht deine, du Trottel!“), wendete die Frau sich an ihre Schwiegermutter. „Sag, Salihah, wie entscheiden die Geisterjäger, gegen wen Nalani wird kämpfen müssen? Stimmen die ab, so wie wir es mit allem tun im TO?“ Salihah seufzte. „Nein… sie ziehen Streichhölzer.“ „Kommt, Leute, mehr Begeisterung,“ Nomboh Chimalis grinste bester Laune in die Runde aus Geisterjägern vor sich, während er einen wunderschönen Strauß aus Streichhölzern in seiner Hand hielt. Der Himmel grollte und von der Hälfte der Anwesenden, die vor dem Anwesen des Chimalis-Clans in Tuhuli herum standen, kam ein missmutiges Murren. „Nalani ist noch gar nicht da,“ bemerkte Barak Kohdar, der völlig vertieft in das Buch war, das er in den Händen hielt. „Wozu müssen wir jetzt schon festlegen, wer das machen muss?“ „Muss? Muss? Beleidige nicht die Geister, du dummer Junge, das ist eine ehrenvolle Aufgabe, ein neues Ratsmitglied zu weihen!“ „Es wird kein neues Mitglied geben!“ empörte Kelar Lyra sich, der im Hintergrund stand; da er als Herr der Geister ohnehin von höherem rang war, kam er nicht in die Auswahl der Streichholzzieher. „Ehre, ah, da haben wir ja einen Freiwilligen,“ machte Tabari grinsend zu Nomboh, „Wieso machen wir es nicht wie die Telepathen und stimmen ab? Wer ist für Nomboh?“ „Was habt ihr eigentlich heute für Hemmungen?“ wunderte sich der Streichholzträger verblüfft, „Nur, weil es regnet?“ „Nein, eher deshalb, weil niemand von Nalanis Kadhúrem aufgespießt werden möchte, wir haben Angst vor ihr,“ erklärte Tare Kohdar verlegen lachend, und Nomboh zog eine Braue hoch. Daran hatte er gar nicht gedacht. Sein Bruder Zoras nahm ihm das Denken ab und zog blind ein Streichholz. „Ich hoffe, es hat einen Kopf,“ sagte er dabei, „Ich muss nämlich dringend eine rauchen und habe nach all dem Hin und her wirklich keine Lust, das mit der Hand zu machen. – Ah, Glück gehabt. Männer, stellt euch nicht so feige an, sie hat mir auch schon einmal einen Finger abgehackt, wir haben ja die liebe Keisha, die flickt alle wieder zusammen.“ Damit schenkte er Keisha, die in der Nähe stand, einen Blick, während er das Streichholz mit einem Schwung an einem Pfeiler neben sich zum Brennen brachte. Aus der Manteltasche zog er eine Zigarette und zündete sie mit dem brennenden Streichholz an. Keisha verdrehte die Augen. „Durch dich verbreiten sich immer alle schlechten Kults aus Vialla hier oben,“ schimpfte sie und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum, und Zoras brummte. „Die Zigaretten? Die kannte man schon lange hier in Dokahsan, ich habe sie ja aus Sinami. Die Leute da kauft man mit Zigaretten, wenn du eine Auskunft willst, schenk den Leuten Zigaretten, das macht sie glücklich. Ich habe es einer Stange Zigaretten zu verdanken, dass ich meine Tochter gefunden habe und sie jetzt hier ist, du solltest diese hässlichen Dinger ebenfalls ehren.“ Die Heilerin seufzte. „Hässlich, ja, vergiss dabei nicht stinkend, mein Lieber.“ Sie unterbrach sich, weil Meoran und seine Cousine Enola mit Schirmen bewaffnet aus dem Anwesen traten. Enola war jetzt fünfzehn und sah inzwischen auch aus wie eine Frau. Vor ihrem Bauch trug sie in einer Tragetasche ihre kleine Tochter, auf deren Kopf ein Flaum schwarzer Haare wuchs. „Da seid ihr ja,“ machte Keisha und winkte ihren Sohn und Enola zu sich, „Wir sollten gehen, gebt mir die Schirme. Obwohl, Meoran, mach dich nützlich und halte Ausschau nach Nalani. Die Herren der Schöpfung da drüben,“ Sie meinte die Geisterjäger, „Sind ja noch mit ihren Streichhölzern beschäftigt.“ Meoran war kaum verschwunden, da war das Streichholzziehen beendet und jeder suchte an seinem Holz nach dem Kopf – einer würde das ohne Kopf haben und wäre der glückliche Gewinner – oder Verlierer, wie man es nehmen wollte. „Und?“ machte Nomboh und tätschelte seinem Streichholz den Kopf, „Wer ist es? Wer ist es?“ Die anderen tauschten einen nichts sagenden Blick. „Das Schicksal spielt… seltsame Spielchen mit uns,“ murmelte Minar Emo poetisch und betrachtete gedankenverloren das Holz mit Kopf in seiner Hand, ehe er den Blick zum mehr oder weniger glücklichen Gewinner schweifen ließ, der das Streichholz ohne Kopf gezogen hatte. Kiuk war erstaunt, als die Kutsche Tuhuli erreichte und auf dem Platz, auf dem in der letzten Zeit immer die Geisterjägerprüfungen abgehalten worden waren, in der Nähe von Chimalis‘ Anwesen, Massen von Menschen erblickte. „Was ist hier denn los?“ machte er perplex, als er zusammen mit Sukutai unter dem in Gahti gekauften Schirm am Rand des Platzes stand. Er hielt den Schirm, während seine Frau Puran an der Hand hielt. Salihah hatte ihren eigenen Schirm. „Zirkus hier? Was sollen die ganzen Menschen?“ „Propaganda.“ Kiuk fuhr mit aller Wucht herum vor Schreck, als plötzlich jemand hinter ihm sprach, und mit Erleichterung erkannte er Zoras Chimalis hinter sich stehen. Hinter ihm tauchten in der Menschenmenge auch Keisha und Enola auf, die jede einen Schirm hielten. Es hatte begonnen, stärker zu regnen. „Hast du mich erschreckt!“ stöhnte Kiuk, „Was schleichst du dich denn so an?“ „Verzeihung, ich wusste nicht, dass du so schreckhaft bist,“ machte der Mann, „Diese ganzen Leute hier kommen aus ganz Dokahsan verteilt. Wir – das heißt, die anderen Geisterjäger und ich – haben während Nalanis Abwesenheit dafür gesorgt, hier eine ordentliche Menge anzusammeln. Ihr hättet Kelars Gesicht sehen müssen.“ „Die wollen alle zusehen?“ machte Sukutai, und Salihah seufzte leise, ohne einen Kommentar zu liefern. „Was hast du denen denn bitte erzählt, Zoras, dass sie alle gekommen sind?“ Der Geisterjäger hatte noch zu tun und wandte sich deswegen schon wieder ab. Im gehen drehte er noch einmal den Kopf und sah über die Schulter zu ihr zurück. „Dass das Zeitalter von Kelars Herrschaft ab diesem Tag zerfallen und sterben wird…“ Als Nalani den vereinbarten Ort in der Nähe des Platzes erreichte, war sie nicht minder überrascht über die Massen an Menschen. Sie erinnerte sich an das vergangene Jahr, in dem sie auch einmal mit dem Kind hier gewesen war, als Tare Kohdar die Prüfung gemacht hatte, um schon einmal zu sehen, wie das ablief. Damals waren eigentlich nur die Geisterjäger und Teile ihrer Familien da gewesen, jetzt schien ganz Tuhuli hier zu sein. „Die Leute sind eben neugierig,“ sagte Hakopa Kohdar dazu, „Dass eine Frau die Prüfung macht, gab es ewig nicht mehr, so weit ich mich entsinne nicht seit Kelars Großtante, du kannst dir vorstellen, wie lang das her ist.“ Nalani zog eine Braue hoch. „Wie auch immer,“ unterbrach Zoras die Diskussion, die noch gar nicht begonnen hatte, und er musterte Nalani. „Bist du bereit? Du hast ja schon einmal zugesehen und weißt, wie es funktioniert. Wir haben entschlossen, dass Minar den Schiedsrichter spielen wird, er ist der Älteste und muss respektiert werden. Normalerweise macht das der Herr der Geister, aber da Kelar mit dir verschwägert ist, geht das nicht. Um die Prüfung zu bestehen, musst du deinen Gegner schlagen oder wenigstens ein Unentschieden schaffen. Wenn Minar sagt, der Kampf ist vorbei, dann ist er vorbei. – Minar, hast du zugehört?“ Minar Emo lachte kurz und nickte dann. Bei ihm war auch wieder sein Enkel Henac, der etwas gewachsen war. „Sicherlich habe ich zugehört.“ „Wo ist Nomboh?“ fragte Barak, „Wieso ist der nie da, wenn alle da sein sollen?“ „Was erwartest du, es steht ein Kampf aus,“ entgegnete Zoras, „Der wuselt irgendwo herum und schließt Wetten ab, wer gewinnt. Und nicht nur das, Meoran habe ich vorhin auch herum huschen sehen, diese beiden Ganoven, echt.“ Zoras Chimalis wandte sich an Nalani, die ihre langen, schwarzen Haare hinter ihrem Kopf zusammenband, damit sie ihr nicht im Weg herum hängen konnten. Währenddessen sah sie sich suchend in der Menge nach ihrer Familie und vor allem ihrem Sohn um, bis sie ihn plötzlich bei Sukutai und Kiuk unter einem Schirm erblickte. Nichts hatte ihr mehr gefehlt in den letzten drei Tagen und Nächten als ihr kleines Kind. Es war ungewohnt gewesen ohne ihn… sie freute sich plötzlich mehr als je zuvor darauf, ihn in ihre Arme schließen zu können. Zoras vor ihr riss sie aus ihren sehnsüchtigen Gedanken an ihr Kind und sie sah, wie die Geisterjäger und auch Kelar jetzt zur Seite traten und ihr den Weg in die Mitte des Platzes freigaben. Augenblicklich verstummte die Menge und Nalani hielt die Luft an. „Geh jetzt, Nalani. Nachdem wir deine Instinkte und deine Einheit mit den Himmelsgeistern getestet haben, bist du jetzt an der Reihe, uns dein praktisches Können zu zeigen.“ Nalani senkte den Kopf, als sie spürte, wie sie von allen angestarrt wurde. „Gegen wen soll ich kämpfen?“ fragte sie dumpf, und die Geisterjäger sahen sich an. Kelars Blick verfinsterte sich, aber gleichzeitig schlich ein grausames Lächeln auf seine Lippen, was Nalani nicht sah, die ihm den Rücken kehrte. Dann sprach Zoras weiter. „Dein Gegner ist Tabari.“ Auf dem Platz war es still, als Nalani jetzt ihrem Mann gegenüber stand, den sie drei Tage lang nicht gesehen hatte. Die Augen der Leute ruhten auf den beiden und keiner wagte, etwas zu sagen. Es schien für einen Moment, als würde die ganze Stadt die Luft anhalten. Am Rand der großen Kampffläche stand Minar Emo, um alles beobachten zu können. „Also, fangt an,“ machte er und hob eine Hand, „Wann der Kampf zu Ende ist, entscheide ich. Um bestehen zu können, muss Nalani wenigstens ein Unentschieden schaffen. Aber bringt euch nicht um, wenn es zu gefährlich wird, brechen wir ab.“ Weder Nalani noch Tabari antwortete ihm. Sie sahen sich nur schweigend an. Nalani blickte kurz zum düster grollenden Himmel über ihr, aus dem der Regen auf sie herunter prasselte und sie bereits durchnässt hatte, obwohl sie erst kurz hier waren. Es ist erst Mittag… es wird früh dunkel werden heute, wir haben Winter. „Was ist los?“ fragte Sukutai perplex, die mit der Familie und den übrigen Geisterjägern, die dazu gestoßen waren, auf ihrer Anhöhe stand. „Wieso fangen die nicht an?“ „Wenn sie es nicht bald tun, sind wir alle erfroren, bevor wi erfahren, was wird,“ murrte Keisha neben ihr, die sich in eine Decke gehüllt hatte, „Es ist saukalt und es regnet, als würden die Geister verhindern wollen, dass Nalani Geisterjägerin wird…“ Kelar schnaubte darauf und keiner wagte es, ihn anzusehen. Abgesehen von Zoras, der sich eine neue Zigarette angesteckt hatte und seelenruhig den Blick über die Menschen schweifen ließ. „Es ist gut, dass die vielen Leute hier sind, ich habe mich geirrt,“ erklärte der Herr der Geister mit einem lauernden Grinsen auf den Lippen, „Die Geister scheinen… wirklich dagegen zu sein, Chimalis, du kannst es nicht leugnen. Es regnet, das erschwert jeden Kampf, und ihr Gegner ist mein Sohn. Ich bin tatsächlich gespannt… ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie er sie vor den Augen des halben Volkes quasi in Stücke reißt… sie ist nur eine Frau.“ „Hast du nicht vor kurzem selbst noch über Tabaris Ungehorsam geschimpft?“ erwiderte der Schwarzhaarige dumpf, „Auf einmal bist du wieder stolz auf ihn? Warte ab, alter Mann, bevor du anfängst, dich selbst lobzupreisen.“ „Tabari ist ein Lyra, ungehorsam hin oder her, er stammt von meinem Blut. Du weißt, dass wir ihn alle gelegentlich unterschätzen, weil alle denken, er wäre verpeilt und niemand genau weiß, was er kann. Er hat Hakopa besiegt, er wird auch Nalani besiegen, wenn er nicht unseren Clan in Schande ertränken will.“ „Schande…“ seufzte Zoras und pustete den Rauch seiner Zigarette in die kalte Luft. „Bei dir dreht sich alles um Ehre und Schande. Gibt es eigentlich nichts dazwischen?“ Tabari bewegte sich und ging zwei Schritte zur Seite. Er hasste es. Er hasste die Geister für einen Moment, weil sie ihn zu Nalanis Gegner gemacht hatten. Er wollte nicht gegen sie kämpfen, und nicht, weil er sie fürchtete, sondern weil sie seine Frau war. Es war falsch, wenn er sie attackierte, sie war die Mutter seines kleinen Sohnes – der von dem Anblick der kämpfenden Eltern sicherlich nicht begeistert sein würde. Dummerweise würden die Geister ihn eher aufspießen als zuzulassen, dass er den Kampf verweigerte. Nalani einfach um der Liebe Willen gewinnen zu lassen wäre eine Beleidigung aller Himmelsgeister, das würde vermutlich nicht nur seinen Vater erzürnen. „Ich freue mich, zu sehen, dass du wohlauf bist, Frau,“ begrüßte er Nalani etwas unsicher und trat noch einen Schritt zur Seite. „Es war nicht meine Entscheidung, dass wir uns auf so eine Art begegnen müssen, ich wünschte, ich könnte es ändern.“ „Willst du kneifen?“ staunte die Frau und hob die Arme. Es verwunderte ihn ein wenig, dass sie ihr Kadhúrem nicht zog… war das nicht ihre großartige Waffe? Oder hielt sie ihn wirklich für so einen Versager? „Wir sind hier, um die Geister der Mächte der Schöpfung zu ehren, Tabari, also beweg dich! Ich werde nicht ehrlos Geisterjägerin werden, weil du zu feige warst, um mich anzugreifen.“ „Wieso beleidigst du mich, ich hab dir nichts getan!“ empörte er sich, und sie spuckte aus und starrte ihn funkelnd an. „Das ist das Problem, Waschlappen! Ich hoffe, du hast mir meinen Sohn nicht verzogen, während ich weg war! Und jetzt komm und hol dir, was du verdient hast!“ Er keuchte. Was war denn in sie gefahren? „Wieso bist du jetzt wütend?“ fragte er verwirrt, und Nalani hob die Arme höher. Er blinzelte, als sie zwischen ihren Händen mit einem Blitzen einen Wasserstrudel entstehen ließ. Ihr Gesicht war kalt und erbost, wie er es schon oft gesehen hatte… und dennoch war etwas anders. Etwas, das er nicht erklären konnte. Was war los mit ihr? „Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich zugelassen habe… dass mein Kind drei Tage mit einem Jammerlappen wie dir alleine war!“ schrie sie zornig, ehe sie ihren Wasserstrudel auf ihren Mann schmetterte. Die Menge hielt die Luft an und Tabari keuchte. Irgendetwas musste er verpasst haben. „Wie… du willst, Weib!“ zischte er jetzt grimmig und riss die Arme ebenfalls hoch. Ein Wirbel aus Luft zerschmetterte Nalanis Wasserzauber in tausende Tropfen, die sich mit dem Regen vermischten und auseinander stoben wie eine Herde fliehender Tiere. Nalani reckte herrisch das Gesicht in die Luft, als sich ihre Blicke trafen und sie Tabaris jetzt ebenfalls wütend werden sah. „Dein Sohn… ist verdammt noch mal auch mein Sohn!“ Dann stürzte er sich auf sie, während der Himmel über ihnen grollte. „Mutti!“ rief der kleine Puran an Sukutais Hand oben und begann, aufgeregt auf und ab zu hüpfen. „Ich mag jetzt zu Mutti gehen, Tante Sukutai! Darf ich?“ „Nein, du bleibst hier!“ mahnte ihn Kiuk, weil Sukutais schockiert hinunter starrte und nicht antworten konnte. „Was ist los, wieso streiten sie?“ fragte sie verwirrt, und es war Salihah, die ihr antwortete. „Weil sie müssen… weil Tabari ein gutes Herz hat und nie freiwillig ernsthaft gegen sie kämpfen würde. Nalani weiß das, Sukutai. Und wenn er nicht will, muss… man ihn eben zwingen.“ Nalani sprang zurück und schlug den Windstoß, den Tabari nach ihr schleuderte, mit einer Wasserwelle zurück. Die Zauber trafen krachend aufeinander und die Welle zersprang, als wäre sie aus Glas. Er war sofort wieder hinter ihr und Nalani musste abermals mit einem Sprung zur Seite ausweichen, als er ihr nachjagte und sie mit Windzaubern bewarf, als wäre sie ein wildes Reh. Wenigstens hatte sie ihn wütend gemacht, sie war zufrieden mit sich. Sie hatte ihn für langsamer gehalten und sie zischte und fuhr herum, als er abermals einen Zauber nach ihr warf und ihre Rock damit etwa um die Hälfte verkürzte, indem er mit seinem Wind das Unterteil abschnitt. „Was wird das hier, machst du das so lange, bis ich nackt bin?“ feixte sie und drehte sich grinsend zu ihm um, als er keuchend stehen blieb. Tabari schnaubte. „Verarsch mich nicht, Frau! Erst sagst du, ich soll kommen, dann läufst du weg!“ Er schlug wütend nach ihr und sie wich abermals zurück. „Bleib stehen und kämpfe, Nalani! Wer ist hier feige?!“ „Wenn du mich nicht erwischst…“ seufzte sie, hatte noch Zeit ihren halben Rock zurecht zu zupfen und sprang in die Luft, als wieder eine Klinge aus Wind auf sie zugesaust kam. Mit einer simplen Handbewegung zerschmetterte sie Tabaris zauber abermals mit einem mächtigen Wasserwirbel. Er schnaubte wütend und riss die Arme hoch, um einen größeren Wirbel auf sie zu schleudern. Nalani rettete sich mit einem gekonnten Sprung auf eine kleine Anhöhe und der Wirbel zerfetzte das Gras des Hügels, ehe er die Erde darunter zerschmetterte und ein tiefes Loch in die Anhöhe grub. Der mann blieb keuchend vor dem Loch stehen und sah zu Nalani, die oben stand und keinen Kratzer abbekommen hatte. Was machte sie mit ihm? Wieso floh sie von einem Ort zum Nächsten, statt ihn endlich anzugreifen? Ganz ruhig… sie versucht nur, mich zu nerven, damit ich Dummheiten mache und sie gewinnt… sie ist clever, es wird nicht leicht werden. Wichtig ist nicht, sie früh zu zerfetzen, sondern zu sehen, ob sie eins sein kann mit den Geistern. Wir… habend en ganzen Tag Zeit. „Darf ich jetzt zu Mutti?“ jammerte das Kind und schmiegte sich unglücklich an Sukutais langen Mantel. Die Tante streichelte ihm zärtlich über den Kopf. „Nein, mein Kleiner… tut mir leid, du wirst dich noch ein wenig gedulden müssen. Nicht weinen, du kannst solange mit mir kuscheln.“ „Ich mag aber lieber mit Mutti kuscheln…“ nölte Puran und versteckte sich dann Schutz suchend in dem Mantel der Frau, „Und ich hab Hunger, Tante Sukutai…“ Sukutai sah seufzend zu ihrem Mann, der den Schirm in die andere Hand wechselte. „Meoran,“ rief Keisha nach ihrem Sohn, „Geh und hol warme Milch und Kekse für den Kleinen, wir werden offenbar noch länger hier stehen.“ „Wieso bin immer ich der Depp, der laufen muss?!“ meckerte Meoran, tat aber gehorsam wie ihm geheißen und trottete davon. Zum Glück war das Anwesen nicht weit weg, beider Gelegenheit könnte er sich auch gleich einen anderen Mantel holen, weil der, den er trug, vom Regen schon ganz nass und kalt geworden war. „Komm runter!“ brüllte Tabari, als Nalani zum wiederholten Mal auf der durchlöcherten Anhöhe landete und seine Attacke ins Leere ging. Er fragte sich, wie lange er schon so hinter ihr her jagte. Wütend starrte er in den grauen Himmel, aus dem immer noch der kalte Regen fiel. Langsam wurde es unangenehm in den nassen Kleidern, obwohl ihm von rennen warm wurde, würde er sich garantiert mächtig erkälten, weil er so lange nass durch die Gegend lief. Er riss sich wütend seinen schweren, klitschnassen Umhang vom Leib und warf ihn an den Rand des großen Platzes zu Minar Emo. „Komm runter, Nalani!“ brüllte er, „Wie lange soll ich noch hinter dir her jagen?! Du ziehst das seit Ewigkeiten durch, es ist schon Nachmittag!“ „Komm du doch rauf, wenn du dich traust,“ seufzte sie und wrang ihre nassen Haare aus. Normalerweise mochte sie ihre langen Haare, aber jetzt verfluchte sie sie. Sie waren schwer, wenn sie nass waren, und behinderten sie enorm beim Weglaufen. Tabari schnaubte unter ihr und sie sah ebenfalls heftig atmend gen Himmel. Nachmittag. Verdammt, das dauerte zu lange. Plötzlich musste sie zur Seite hechten, weil Tabari in die Luft sprang und wütend ein weiteres Windmesser nach ihr schmetterte. Sie stolperte über einen Erdklumpen am Boden und riss noch im Fallen die Arme empor, um einen Wasserstrudel auf Tabari zu werfen. Weil der Wasserzauber durch ihr Fallen aus einer unerwarteten Richtung kam, fuhr Tabari zu spät herum, ehe der Wirbel ihn mit voller Wucht erwischte, ihn durch die Luft und diverse Fuß weit nach hinten zu Boden schmetterte. Er keuchte, als er hart auf dem Boden aufschlug, während Nalani die Anhöhe herunter stürzte und sich gerade noch geschickt abrollen konnte, um nicht ungünstig aufzukommen. Sie blieb in einer Matschpfütze liegen, hustete und rappelte sich keuchend wieder auf, jetzt endgültig bis auf die Knochen nass und voller Schlamm. „Ich bin unten!“ brüllte sie, „Ganz wie du wolltest, Tabari! Steh auf, verflucht!“ Er rappelte sich stöhnend auf und rieb sich den Rücken, den ein unangenehmer Schmerz durchbohrte. Auf seinen Kleidern war schmutziges Gras vom Boden und es rieselte auch aus seinen nassen Haaren, als er auf den Beinen war und seiner Frau wieder japsend gegenüber stand. „Und…?“ stöhnte er und fuhr sich durch die nassen Haare, „Bringen wir es jetzt zu Ende, Nalani…?“ „Versuch es.“ Mit diesen Worten schleuderte sie unverhofft einen weiteren gewaltigen Strudel aus Wasser auf ihn. Er sprang zurück und wusste sich nicht weiter zu helfen als abermals den Wind zu lenken. Mit einem lauten Donnern krachten die Zauber gegeneinander wie elementare Druckwellen, bis sie mit einem noch lauteren Knall explodierten und beide Magier von den Beinen warfen. „Himmel!“ stöhnte Kelar Lyra oben genervt, „Wie lange soll das noch so weitergehen?! Wieso macht er sie nicht einfach zur Schnecke und gut ist?!“ „Offenbar ist dein großartiger Erbe nicht so großartig, wie du dachtest,“ spottete Keisha und schnaubte, worauf Kelar Nomboh wütend ansah. „Stopf deiner hässlichen Frau mal das Maul, Nomboh! Dass die es wagt, so mit einem Mann zu sprechen, kein Wunder, dass du so vertrottelt bist bei so einem Weib!“ „Ja, ja, schon klar,“ machte Nomboh unbeeindruckt, während der Herr der Geister wütend seine eigene Frau anstierte, die neben ihm stand mit dem Kutscher, der ihr wie ein Sklave den Schirm hielt. „Und du stehst da so unbeeindruckt, Salihah, sprich! Was hast du Tabari ins Frühstück gemischt, dass er so dümmlich hinter ihr her rennt, als versuche er, ein Karnickel zu jagen?! Karnickel sind Frauenfleisch, bah!“ Salihah rümpfte die Nase und würdigte ihren Mann keines Blickes. „Warum hätte ich sowas tun sollen? Wusste ich, dass Tabari das kürzere Holz ziehen würde?“ „Natürlich wusstest du das!“ fauchte er und packte sie unsanft am Oberarm, den Kutscher dabei zur Seite schiebend. Er zerrte sie an sich heran und zischte: „Du weißt das alles, du hast das hier schon vor Jahren gewusst, Salihah, lüg mich nicht an! Ich dulde nicht, dass du mir auf diese Art den Rücken kehrst, Weib, du gehörst immer noch zu mir und du weißt das.“ „Das ist nicht der richtige Ort für solche Gespräche, das verschieben wir besser auf heute Nacht,“ sagte sie kaltherzig und Kelar drückte ihren Arm so fest, dass es schmerzte und sie kurz zuckte. „Tabari ist mein Sohn, Weib, er wird mein Erbe und König über dieses Land sein! Und Nalani ist nur eine Frau, tss! Dieser Kampf ist absolut lächerlich.“ Salihah drehte jetzt das Gesicht zu ihm um und ihre Lippen zierte ein sadistisches Lächeln. Er sah in ihren alles sehenden Augen einen grausamen Blick, eine Nuance, die er nur selten zu Gesicht bekommen hatte, die ihm aber immer noch Schauer über den Rücken jagte. Seine Frau war ein furchtbarer Mensch… vielleicht furchtbarer als er selbst. „Und Nalani ist Tabaris Frau… und ist in jedem Punkt, den du nennen magst… seine Königin.“ Das Kind hatte von Meoran einen Becher warme Milch und ein Stück Kuchen bekommen. Jetzt war es zwar satt, sehnte sich aber mehr als je zuvor nach der Mutter, denn Muttis Milch war viel besser als die aus dem Becher. „Puranchen, komm da raus…“ seufzte Sukutai beunruhigt, als das Kind sich heulend unter ihrem Rock versteckte und sie seit einer Weile erfolglos versuchte, ihn wieder ans Tageslicht zu befördern. „Ich weiß, du bist sicher müde… ein bisschen müssen wir noch hier bleiben, ein Kleiner.“ „Ich mag jetzt zu meiner Mutti!“ weinte der Kleine unter ihrem Rock, „Jetzt gleich!“ „Das geht aber gerade nicht…“ seufzte seine Tante und sah verzweifelt zu ihrem Mann, der nur mit den Achseln zuckte und sich auch keinen Rat wusste. Verdammt, wenn wenigstens Tabari hier wäre, um sein Kind zu beruhigen, aber nein, die Geister hatten ja gerade ihn wählen müssen, um Nalanis Prüfung zu machen… so konnte Kiuk nichts weiter tun als schweigend und den Schirm haltend hinunter zu sehen auf seinen Bruder und seine Schwägerin, während sein kleiner Neffe lauthals nach seiner Mutter zu schreien und zu plärren begann. Nalani in der Mulde, die der Platz füllte, hörte das Kind schreien. Sie fuhr herum und sah besorgt in die Richtung, in der die Familie stand, konnte Puran aber nicht sehen, weil er unter Sukutais Rock hockte. Ihre Mutterinstinkte versetzten ihr automatisch einen Stich, als sie das Kind schreien hörte, und am liebsten wäre sie jetzt zu ihm gelaufen, um ihn zu trösten… Tabari machte ihr einen Strich durch die Rechnung. „Pass auf deine Umwelt auf, Weib!“ fauchte er sie an, bevor er plötzlich hinter ihr auftauchte und sie noch herumfuhr, um einen seiner Windzauber abzukriegen, der sie zu Boden schleuderte und den Rest ihres Rockes ebenfalls so weit aufschlitzte, dass sie eher Fetzen trug als einen Rock. Sie keuchte und fasste nach ihren Beinen, die ebenfalls blutige Schnitte bekommen hatten von den Windmessern ihres Mannes, ehe sie sich aufrappelte und sofort wieder ausweichen musste, weil er abermals auf sie zu stürzte und einen Windstoß nach ihr warf. „Was ist, Nalani?!“ rief er wütend, „Wollten wir es nicht beenden?! Bleib stehen, verdammt!“ Der Zauber ging abermals ins Leere, als sie sich auf den Boden warf, dann wieder hochsprang und abermals Wasser auf ihn schmetterte. Das dauerte zu lange… es wurde schon dunkel. Aber es ging zu langsam… Nalani keuchte und zog kurzer Hand endlich ihren Dolch aus dem Gürtel. Während sie hier herum hüpfte, weinte ihr Kind nach ihr, das war nicht gut. Es war gut, es schnell zu beenden… zumindest schneller, als sie geplant hatte. „Ach, jetzt macht sie ernst,“ schnaubte der Blonde und pustete sich ein paar Regentropfen von der Nase, ehe er die Hände abermals hochriss und Nalani stehen blieb, den Dolch empor reißend. „Wurde aber auch Zeit. Zeig mir, dass du es überhaupt wert bist, Geisterjägerin zu sein, Nalani!“ Seine Frau spuckte aus. „Du wirst dir noch wünschen, ich hätte es nicht getan!“ Ihre Augen bekamen einen seltsamen Schimmer, als es aus dem Himmel krachte und Kadhúrem in ihrer Hand zu glimmen begann, als hätte sie aus dem Himmel einen Blitz eingefangen, der die Klinge erleuchten ließ. Tabari schnappte nach Luft, ehe er die Arme in den Himmel riss. „Wind!“ keuchte er und warf den Kopf in den Nacken, während er hinter sich die Menschen zu murmeln beginnen hörte. „Ich bin ein Kind des Lyra-Clans! Du wirst meinem Ruf folgen, Windgeist, und ich werde dir befehlen als Meister der Geisterwinde! Komm, Geist, und lass dich beherrschen!“ Die Menschen raunten, während Nalani nichts sagte und Kelar oben auf der Anhöhe die Augen gehässig verengte. Ja, Sohn… zeig ihnen, wer die Macht über die Himmelsgeister hat! Nicht die Kandayas, nicht die Chimalis‘ oder die Kohdars, sondern die Lyras sind es, die die Herrschaft über Himmel und Erde fordern können! Es ist auch deine Macht, Tabari… du solltest es begreifen, statt mir den Rücken zu kehren… ob du willst oder nicht, bist du mein Sohn und ein Bluterbe dieses Clans… des mächtigsten und besten aller Schamanenclans! Aus dem düsteren Himmel ertönte ein zorniges Grollen, während Tabari einen beeindruckenden Anblick bot, wie es sein Vater normalerweise tat, wenn er die mächtigen Geisterwinde beschwor. Nalani stand wie angewurzelt an derselben Stelle wie zuvor, noch immer den Dolch in den Himmel erhoben. „Komm, Tabari,“ sagte sie kalt, „Komm und versuche, mich zu töten… ich bin gespannt, was du kannst.“ Er riss das Gesicht wieder herunter und stierte sie an mit einem Blick, den sie nie bei ihm gesehen hatte. Seine grünen Augen durchbohrten sie voller Kälte, voller bösartiger Macht des Himmelszorns, und die Frau runzelte die Stirn, als sie erkannte. Das war die grausame Macht, die die Lyras besaßen. Die grausame Gewalt über die Geister, die sie nach ihrem Willen rufen, lenken und beherrschen konnten. Und Tabari konnte es nicht minder als sein grässlicher Vater. „Du solltest nicht so respektlos sein, Nalani. Das würde dir mehr wehtun als mir!“ Das waren seine Worte, ehe er die Arme wieder herum riss und mit einem Krachen einen gigantischen, blitzenden Wirbel aus purer Macht auf sie schleuderte. Sie reckte das Gesicht hoch, ohne sich sonst zu bewegen, und fixierte schweigend den Zauber, der auf sie zu kam und bereit war, sie in Stücke zu reißen. Du magst tausendmal ein Lyra sein, Tabari… du bist mein Mann. Letzten Endes… bin ich diejenige, die dich beherrscht. Komm, Schatten! Kadhúrem, Schattenklinge, folge meinem Willen! „Auch dein Wind, Tabari…“ sagte sie kalt, als der Himmel sich plötzlich schwarz färbte über ihnen und die Menschen erschrocken zusammenfuhren, als ein lautes, donnerndes Grollen ertönte. Nalani riss Kadhúrem nach vorne, genau auf Tabaris Wirbel zu, während ihr Mann sie anstierte und sie seinen kaltblütigen Blick erbarmungslos erwiderte. „Auch dein Wind hat seinen Schatten, Tabari! Und ich beuge mich deinem Clan nicht!“ Sie hatte gerade ausgesprochen, da traf der Wirbel auf die Klinge ihres Dolches. Es ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und die Druckwelle, die beide Mächte beim Aufeinanderprallen erzeugten, warf nicht nur die Kämpfer zu Boden, sondern auch die ersten Reihen der Zuschauer am Rand, selbst Minar Emo musste sich bemühen, auf den Beinen zu bleiben, als das markerschütternde Donnern ihn erschauern ließ. Unglaublich, diese Mächte… als würden Vater Himmel und Mutter Erde selbst gegeneinander kämpfen wollen… Der Schiedsrichter sah verunsichert hinauf zu seinen Kollegen gegenüber, die ebenfalls gespannt hinab starrten, selbst Kelar war inzwischen beeindruckt. Noch beeindruckender war, was mit den Zaubern geschah, als Nalani sich aufrappelte und ihr Kadhúrem schnappte, während Tabari hustete und ebenfalls auf die Beine kam. Sein Wind war verschwunden. Er hatte sich einfach in Luft aufgelöst, so schien es… wie war das möglich? Dieser Angriff hätte einen Baum in Stücke gerissen… machte der Blonde innerlich, W-wie hat sie es geschafft, ihn verschwinden zu lassen?! Diese Waffe ist grausam… Er kam kaum dazu, weiter zu denken. Nalani warf einen Blick in den schwarzen Himmel, den sie verdunkelt hatte. Es wurde Zeit, das zu beenden. Kurzer Hand schnappte sie ihren Dolch und stürzte sich unerwartet auf Tabari, der noch verpeilt da stand. Sie warf ihn glatt um und zu Boden und er keuchte, als sie plötzlich über ihm war und mit der Waffe nach ihm schlug. „Verdammt, bring mich nicht um!“ schrie er entsetzt und riss den Kopf gerade noch zur Seite, ehe er sie von sich schubste und sich aufzurappeln versuchte. Sie war schneller auf den Beinen und der Dolch schnitt ihm quer über den Oberarm, worauf er kurz schrie und nach der blutenden Wunde fasste, als seine Frau auf die Beine kam. „Steh auf!“ fuhr sie ihn an und er keuchte, „Steh auf, oder soll ich mit der Schande leben, einen Wurm als Ehemann zu haben?! Ich lasse mir meine Ehre nicht vom Schlamm auf dem Boden stehlen, Tabari!“ Er rappelte sich schnaubend auf und sah sie an, als sie ihren Dolch wieder hob. Er hörte die Menschen um sich herum lauter zu murmeln beginnen, von irgendwo her ertönten Rufe. „Dann versuch es, Nalani…“ zischte er grimmig, „Ich habe auch meinen Stolz, Frau.“ Dann riss er die Arme wieder hoch und sie fuhr zurück, als er abermals einen Wirbel nach ihr schleuderte, den sie mit einer Handbewegung mittels des Dolches zerschmetterte – doch er war schneller als sie geahnt hatte, sobald sie Kadhúrem sinken ließ und sich zu ihm herum drehte, war er plötzlich wieder vor ihr und hatte die Arme in den Himmel gerissen. „Und ich habe nicht vor, dir leichtes Spiel zu machen, nur weil du meine Frau bist!“ Sie schnaubte und riss noch Kadhúrem nach vorne, in dem Moment kam sein Angriff plötzlich unerwartet von hinten. Es war ein mächtiger Windstoß, der sie zu Boden schleuderte und sie verlor den Dolch aus der Hand, als sie erneut im Schlamm landete, während der Windzauber ihr nachjagte und sie einen grausam schneidenden Schmerz spürte, der ihre Arme und ihren Oberkörper zu zerreißen drohte. Sie keuchte und als sie nach ihrem Dolch angeln wollte, kam Tabari ihr zuvor und trat ihn zur Seite, damit sie nicht heran kam. „Ich… fürchte dich nicht, Nalani!“ verkündete er und sie schnaubte, bevor sie einem weiteren Windzauber ausweichen musste. „Du solltest auch nicht mich fürchten…“ sagte sie ruhig, während sie langsam aufstand, obwohl ihr der Rücken schmerzte. Sie hob die Arme in den Himmel und schenkte ihrem Mann einen bohrenden, herrischen Blick, worauf er für einen Moment erstarrte. „Du solltest die Schattengeister fürchten, die mir dienen, Tabari!“ Mit einer Bewegung ihrer Arme verdunkelte sie den Himmel erneut und Tabari starrte hinauf. Es grollte, aber der Regen wurde weniger, als würde Vater Himmel verstummen und sich lauernd knurrend in eine Ecke legen wie ein umzingeltes Beutetier. Tabari hörte die Menschen um den Platz herum die Luft einziehen und ebenfalls verstummen. Selbst das Kind hatte zu wimmern aufgehört. Plötzlich war es ganz still, es wurde nur dunkel. Es war, als hätte Nalanis Schatten die Sonne komplett verschluckt… Das macht sie ohne Kadhúrem…? fragte Tabari sich verblüfft und starrte sie an, wie sie da stand mit erhobenen Armen und allein ihr Anblick ihn die Luft anhalten ließ. Sie war schön und gefährlich, seine kaltherzige Frau… als ihr Blick ihn traf, hatte er das Bedürfnis, auf die Knie zu sinken, obwohl sie sich keinen Zoll bewegte. Sie stand nur da und starrte ihn an aus blauen Augen voller Dunkelheit. „Komm!“ zischte sie, „Oder willst du aufgeben, Tabari? Wie ehrlos… dafür, dass du aus einem so großartigen Clan stammst!“ Er riss die Arme in den Himmel und stierte sie grimmig an, um ihrer Forderung nachzukommen. Der letzte Schlag… jetzt werden wir sehen, ob du fähig bist, mit uns mitzuhalten… ob die Geister dir gehorchen und du dich Geisterjägerin nennen kannst! „Vater Himmel!“ brüllte er dann, abermals den Kopf in den Nacken werfend, sodass der Regen in sein Gesicht prasselte. Ein grollendes Donnern aus dem schwarzen Himmel untermalte das Bild der beiden Menschen, wie sie da standen mit erhobenen Armen. „Vater Himmel, schick mir Wind, schick mir Sturm! Zeig mir deinen Zorn und ich werde deine Windkinder beherrschen! Komm, Windgeist!“ Es gab ein lautes Krachen, während er zwischen seinen Händen wieder einen gigantisch großen Wirbel aus Winden balancierte, die aus dem Himmel herab stießen und sich seiner Macht und seinen bloßen Worten unterwarfen. Nalani bewegte unmerklich die Hände und schloss seelenruhig die Augen, während sie die Macht der Geisterwinde vor sich spüren konnte, eine entsetzliche Kraft, die Tabari gleich auf sie schleudern würde wie seinen Speer beim Jagen auf ein argloses Reh. Warte. Tabari riss den Kopf wieder herunter und starrte sie erneut an, die Arme ausbreitend, während er selbst erzitterte unter der Macht der Windgeister in seinen Händen, die bereit waren, alles zu zerstören, auf das er sie lenken würde. „Jetzt zeig es mir, Nalani!“ brüllte er gegen das Donnern des Sturms an, „Zeig mir, dass es wert bist!“ Sie rührte sich nicht, als er herumfuhr und dann die Arme zurückließ, um die Macht des Sturms, den er beschworen hatte, erbarmungslos auf sie loszulassen. Nalani ließ ihre Augen geschlossen. Die Menschen am Rand des Platzes traten ehrfürchtig zurück aus Angst vor dem gewaltigen Wirbelsturm, der auf die Erde zwischen Tabari und Nalani donnerte und ein gewaltiges Erdloch grub, ehe er begann, auf die Frau zu zu rasen. Warte bis zum letzten Augenblick. „Schatten!“ war alles, was sie im Befehlston über die Lippen bracht, in dem Moment öffnete sie die Augen und breitete die Arme zur Seite aus, als wollte sie das Verderben im Sturm vor sich umarmen, das auf sie zu donnerte. Sie sah empor zu der Säule aus Macht, und mit einem mal merkte sie, wie klein sie war… Wie klein sie alle waren. Die Mächte der Schöpfung sind… so gewaltig groß… zu groß, um jemals komplett beherrscht zu werden. Nicht einmal der mächtigste Herr der Geister aller Zeiten könnte sie grenzenlos kontrollieren. Nur für einen winzigen Moment vermögen wir Menschen uns anzumaßen, einen Teil der Naturgewalten für unsere Zwecke zu benutzen… „Schattengeist… ich rufe dich! Ich… bin Nalani Kandaya, Tochter von Thono, Herrin über die Geister der Finsternis, Gebieterin über das Schwert Kadhúrem! Ich fordere deinen Gehorsam, Dunkelheit!“ Und die Geister der Schatten gehorchten ihr. Es gab einen lauten Knall in dem Moment, in dem Tabaris Wirbelwind Nalani hätte zerfetzen müssen. Doch im selben Moment war die Frau plötzlich verschwunden und Tabari sah zu, wie aus dem Nichts ein gähnend leeres Loch aus purer Schwärze entstand, das seinen Wind verschlang wie ein kleines Stück Fleisch. Von einem Moment auf den nächsten war das Grollen vorüber, der Wind verschwunden und das Loch der Dunkelheit verblasst. Der Schatten hatte seine Macht gefressen und Tabari fuhr herum, als Nalani mit einem mal rechts von ihm war und Kadhúrem aufgesammelt hatte. Er hatte damit gerechnet, dass es nicht so leicht werden würde, und er gluckste amüsiert. „Nicht schlecht…“ sagte er gespielt unbeeindruckt zu seiner Frau, „Aber nicht schnell genug, Nalani.“ Dann schwang er den linken Arm einmal herum und als hätte er etwas aufgescheucht fuhr mit einem Mal wieder der Wind auf, erst sanft, dann sehr schnell heftiger, bis er laut heulte wie ein gefährliches Raubtier und mit einer bloßen Handbewegung von Tabari wieder einen gewaltigen Wirbel formte, der abermals auf die Frau zu donnerte. Nalani wirbelte herum und riss Kadhúrem in die Richtung des Wirbels, ehe sie den gesamten Zauber mit der Klinge mit ausgestrecktem Arm aufspießte. Es gab ein neues, ohrenbetäubendes Krachen und eine neue Druckwelle, die Tabari rückwärts zu Boden schleuderte, als die Wirbel auseinander stoben, in den Himmel hinauffuhren und sich dann wie ein Regen aus düsterer Macht über das Land ergossen, gemeinsam mit einem Schwall aus mächtigem Regen aus dem Himmel. Tabari rollte über den Boden, als der sich über das Land ergießende Schatten ihn traf und ihn noch weiter zurück schleuderte, bis er auf dem Rücken stöhnend vor Schmerzen liegen blieb und spürte, wie sich die Dunkelheit fest und eisig kalt um ihn zurrte und drohte, ihn zu ersticken. Dann tauchte Nalanis bildhübsches Gesicht über ihm auf, während sie über ihm stand und die Klinge ihres Dolches an seine Kehle drückte. „Schatten… ist Bosheit, Tabari…“ belehrte sie ihn, „Alles kann Schatten sein, Gefühle können Schatten sein, alle was lebt, hat einen Schatten. Es schmerzt, habe ich recht…?“ Er keuchte und sah panisch zu ihr hinauf, als er spürte, wie die Dunkelheit ihn blendete und wie sie schmerzhaft seine Lungen zusammen zurrte. Er hustete. „Soll ich machen, dass es aufhört…?“ fragte sie dumpf und richtete sich auf, mit dem Dolch weiterhin auf ihn zeigend, und Tabari japste und fasste nach seiner schmerzenden Brust. „Ja, v-verdammt…!“ „Bitte mich, Lyra,“ zischte sie, „Bitte mich und ich werde es tun!“ Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Minar Emo herbei gerannt kam. Sie wusste, dass der Kampf vorbei war. Tabari nickte japsend. „Ja, ich bitte dich!“ stöhnte er, „Ich flehe dich an, hör d-damit auf!“ Nalani hörte die Menschen hinter sich raunen und murmeln, sie ignorierte das plötzlich lauter werdende Tuscheln. Minar Emo erreichte sie und Tabari, als sie mit einer schnellen Handbewegung mit dem Dolch den Schatten auflöste, der sich verbreitet hatte. Sofort spürte ihr Mann die grausamen Schmerzen in seinem Inneren abflauen und er ließ erschöpft keuchend den Kopf zu Boden sinken, plötzlich erleichtert. Es war vorbei… er war am Boden. Minar Emo hob die Hände in den Himmel. „Nalani ist die Siegerin!“ verkündete er überflüssigerweise. „Mit dem heutigen Tag nehmen wir sie auf in den Rat der Geisterjäger.“ Er drehte sich zu Nalani und klopfte ihr lächelnd auf die Schulter, als sie den Dolch wegsteckte und sich keuchend durch die Haare fuhr. „Du warst tapfer, Tochter des Kandaya-Clans. Und du bist… allem Anschein nach wirklich die Tochter deines Vaters… er wäre stolz auf dich.“ Nalani verneigte sich tief. „Ich danke Euch in aller Demut,“ sagte sie wohlerzogen. Der mann lachte leise, bis sein lachen in dem lauter werdenden Rufen der Menschen um sie herum unterging. Als sie beide sich erhoben und sich umsahen, rief und jubelte das ganze Volk, das versammelt worden war. Sie riefen Nalanis Namen, rangen die Hände und jubelten begeistert, als hätte sie gerade die Welt gerettet. Minar Emo trat von ihr weg. „Das ist für dich, Nalani…“ sagte er zu ihr, „Sie jubeln dir zu ehren… weil sie gesehen haben, dass auch die Lyras nicht unverwundbar sind… dass selbst sie nur Menschen wie wir alle sind. Dieser Tag ist wichtig für dich, Nalani… aber auch für ganz Dokahsan, das ab heute… vielleicht anfängt, das Laufen wieder zu lernen, nachdem es über Jahre nur gekniet hat.“ Kelar Lyra spuckte wutentbrannt aus, ehe er den tobenden und rufenden Menschen den Rücken kehrte. Sein Blick fiel auf den zufrieden grinsenden Zoras Chimalis und er konnte seinen Zorn nicht mehr beherrschen, als er herüber stürmte, den jüngeren Mann brüllend am Kragen packte und ihn wild schüttelte. „ICH BRINGE DICH UM!“ brüllte er, „Ich schlitze dich auf, ich zerschneide und koche dich, Chimalis, dass du es wagst, das ganze, verdammte Volk auf so eine bestialische Weise gegen mich aufzubringen! Du hast das alles inszeniert, hab ich recht?! Du hast dafür gesorgt, dass die alle zusehen, weil du wusstest, Nalani würde gewinnen, weil du wusstest, sie würden das als Anstoß nehmen, sich gegen meine Herrschaft aufzulehnen! Du abscheulicher, intriganter Scheißkerl, dass du es überhaupt wagst, meine Luft zu atmen…!“ Er schlug wütend die Arme von Hakopa, Nomboh und seiner Frau Salihah weg, die nach ihm griffen und versuchten, ihn festzuhalten, während Zoras triumphierend schnaubte. „Ja, ich bekenne mich, großer König!“ erwiderte er sarkastisch, „Ich habe dir geschworen, dich zu Fall zu bringen, als du die Bestattung meiner Frau entehrt hast, Kelar, und ich halte mein Wort! Was denn, wieso so zornig? Muss doch langweilig sein, wenn sich dir niemand widersetzt! Und wenn ich es mir recht überlege, sollte ich deine bezaubernde Frau mal wieder zu uns zum Tee einladen, was meinst du, Salihahchen, hast du Lust?“ Salihah verdrehte die Augen und Kelar schlug ihm ohne Vorwarnung wütend ins Gesicht, sodass er zu Boden stürzte und sich die blutende Nase hielt. Dabei lachte er erstaunlicherweise irre auf, von Kelars unglaublicher Wut belustigt, die er dadurch nur noch steigerte. Jetzt schafften Nomboh, Hakopa und Salihah es zu dritt, den Herrn der Geister festzuhalten, obwohl er wütend fauchte und versuchte, sich loszureißen. „Wie könnt ihr es wagen, ihr erbärmlichen, grauenhaften Bastarde?! Ich werde euch alle braten, ich mache Spieße aus euch! Meine Rache wird kommen, Chimalis, und sie wird grauenhafter sein als alles, was du jemals erlebt hast! Du verfluchter, abscheulicher Schweinehund! Deine Linie wird zu Grunde gehen, das schwöre ich dir! Ich werde dafür sorgen, dass sie versiegt wie Wasser in Sand, deine Schlampe von Tochter wird niemals, niemals ein männliches Kind gebären, das deinen Clan erben könnte, und Meoran, dieser schwächliche Dummkopf von deinem Neffen, wird niemals einen Sohn zeugen, bah! Euer ganzer, verdammter Clan wird vernichtet werden, dafür sorge ich, und wenn ich den allerletzten von euch verfluchten Barbaren töten muss!“ Er beruhigte sich offenbar, sodass die anderen ihn losließen und der Mann wütend davon stampfen konnte, die immer noch tobende Menge keines Blickes mehr würdigend. Zoras rappelte sich hustend vom Boden auf und startete einen erbärmlichen Versuch, mit dem einfachen Heilzauber Lira, den selbst Schwarzmagier beherrschten, seine blutende Nase zu heilen. „Oh nein, Kelar… deine Augen sind geblendet von deinem Wahnsinn…“ murmelte er dabei seelenruhig, „Der Lyra-Clan wird fallen und deine Herrschaft steht auf Messers Schneide. Mag nur ein wenig vom Weg abkommen, und sie… wird scheitern. Die Geister, zu denen ich spreche… lügen nicht, alter Mann.“ ______________________________ booyah >///< Nalani ist Geisterjägerin, surprise! XD Klein Puran ist doch voll Zucker wa? XDD haha^^ Purans 'Jaaha' am Anfang war übrigens eine Hommage an meine liebe Izzy und ihr tolles KdW ^////^ daher kommt das nämlich, muaha... aber ich konnts mir nicht verkneifen, ey xDD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)