Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 18: Stimme des Windes ----------------------------- Zweiter Teil: Dokahsan Der nächste Sommer kam mit viel Feuchtigkeit und Regen über das Land, das jetzt wieder Dokahsan hieß. Es war, als würde der Himmel mit dem Regen die Vergangenheit und das Grauen, das Kelar Lyra verbreitet hatte, davon spülen wollen. Und Mutter Erde half ihm dabei; in schlammigen Rinnsalen vermischten sich Wasser und Erde und schwemmten das ganze Land auf. Und als der große Regen vorbei war, der beinahe den gesamten Sommermond angedauert hatte, war aus dem alten Lyrien ein neues Dokahsan geworden, glänzend im fahlen, grünlichen Sonnenlicht aus dem Himmel dank der Nässe wie ein neugeborenes Baby. Die Menschen konnten wieder leben in Dokahsan; sie hielten sich zwar auch nach dem halben Jahr, das Kelar jetzt schon tot war, noch distanziert und skeptisch den Lyras gegenüber, aber sie akzeptierten schweigend ihre Existenz im Kreis Vikhara. Dank einigen erneuten Sitzungen und Regelungen im Senat war der König von Kisara friedlich gestimmt worden und der Provinz drohte kein Einmarsch irgendwelcher Streitmächte. Nach einigem Hin und her hatte man Tabari wieder zum Statthalter von Vikhara erhoben, wie es sein Vater vor scheinbaren Ewigkeiten auch einst gewesen war, zuständig für die Versorgung und den Schutz des Volkes dieses Kreises; nachdem Kelar sich selbst befördert hatte, hatte Vikhara keinen Statthalter mehr gehabt und es brauchte jetzt wieder einen. Tabari hatte das extrem großzügige und ehrwürdige Angebot der Senatoren entsetzt ablehnen wollen, hatte aber letztlich dem Drängen nachgegeben. Der Lyra-Clan war trotz Kelars grausamer Regentschaft, die zum Glück nur ein paar Jahre gedauert hatte, nach wie vor ein ehrbarer Clan und ein uralter Stamm der besten Magier Tharrs. Es wäre eine Beleidigung und Entwürdigung seiner Ahnen, die Familie mehr in den Dreck zu ziehen als die Gesellschaft für nötig hielt. Wobei es inoffiziell mehr Salihah war, die den Kreis verwaltete; Tabari hatte keine Spur einer Ahnung von Politik, obgleich sein Vater ihn einst unterrichtet hatte. So war es seine Mutter, die organisierte und ihm sagte, was er zu tun hatte, und Tabari war mehr der Vorzeige-Statthalter. Außerdem hatte Salihah es einfacher, die Verwaltung zu führen, weil sie öfter als ihr Sohn in der Kreisstadt Tuhuli war, die Verwaltungskapital von Vikhara war. Und abgesehen von Tabari, dem Trottel, wusste die ganze Familie, was die gute Salihah so oft in Tuhuli trieb… Was wichtig war, war die Anknüpfung an die Gesellschaft des Landes, von der die Familie zwangsläufig abgekapselt worden war. Nalani und Sukutai, die manchmal beim Einkaufen in den Dörfern halfen, merkten es jedes Mal; die Dorfbewohner der Umgebung waren verstört und distanziert ihnen gegenüber und verneigten sich automatisch, wenn sie des Weges kamen. Sie fürchteten offenbar immer noch, sie könnten geköpft oder erhängt werden, würden sie der Familie nicht genug Respekt zollen. Gerade aus diesem Grund war der Beschluss, den die Familie gemeinsam fasste, sich vor den einfachen Menschen kooperativer und sterblicher zu zeigen, besonders wichtig; und einer der Gründe, weshalb Nalani ihren kleinen Sohn am Ende des Sommers in die Schule im Dorf Gahti schickte. „Wir gehen zur Schule, gucken sie an und gehen dann wieder heim, nicht, Mutti?“ Nalani sah ihren Sohn verwundert an und musste lachen. „Was?“ machte sie erstaunt, „Nein, nicht ganz, ich bringe dich hin und lasse dich über den Vormittag dort, dann hole ich dich am Nachmittag wieder ab!“ Sie hatte gerade ihren dünnen Sommermantel übergezogen und ihrem Söhnchen seine ordentlich gepackte Schultasche in die Arme gedrückt und war dabei gewesen, mit ihm das Schloss zu verlassen. Tabari war nicht zu Hause, sondern im Kreis unterwegs, Salihah war in Tuhuli und Sukutai wegen einer Senatssitzung in Yiara – sie war nämlich die Stellvertreterin des Telepathen-Rates im Senat geworden und hatte daher jetzt viel zu tun – aber Kiuk war mit seiner jetzt zwei Jahre alten Tochter Alona in der Eingangshalle, um seine Schwägerin und seinen Neffen ordentlich zu verabschieden. Alona wuselte um die Beine ihres Vaters herum, zwischen durch und wieder herum und lachte dabei blöd vor sich hin. „Was?“ machte Puran jetzt auch entsetzt, „Du lässt mich da alleine?!“ „Schätzchen, so ist das in der Schule!“ war die knappe Antwort der Mutter, und als er sie immer noch fassungslos ansah, hockte sie sich vor ihn und streichelte seine braunen Haare. „Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört,“ lächelte sie dabei, „Du bist bald sechs, du bist alt genug, um eine Weile ohne mich das Schloss zu verlassen. Du willst doch kein Baby sein wie deine Cousine?“ Puran sah unsicher auf Alona, die weiter an der Hose ihres Vaters zerrte, um seine Beine herum rannte und Kiuk dabei fast umwarf. Dabei johlte und brabbelte sie etwas Unverständliches vor sich hin; sie sprach allgemein fast nichts Richtiges, was ihre Eltern etwas besorgte; Sukutai hatte sogar schon geglaubt, Alona hätte eine Entwicklungsstörung, davon hatte Keisha sie aber schnell wieder abgebracht. „Nicht alle Kinder reden gleich früh,“ hatte sie erklärt, „Einige brauchen länger und andere weniger lang, das ist völlig normal. Sie ist erst zwei, sehr viele Kinder können mit zwei noch nicht sprechen.“ Puran schnaubte jetzt. „Ich bin doch kein Baby mehr!“ erklärte er entrüstet, worauf Nalani sich erhob und ihm zur Belohnung für seine Einsicht den Kopf tätschelte. „Siehst du. Dann lass uns gehen, sonst kommen wir zu spät nach Gahti!“ „Viel Spaß,“ rief Kiuk ihnen nach, „Wenn du heim kommst, kannst du uns was Schlaues erzählen, nicht, Puranchen?“ „Ich kann schon bis zehn zählen!“ rief das Kind zurück, das von der Mutter an die Hand genommen und aus dem Schloss geführt wurde. „Soll ich? Eins, zwei, drei…“ „Ja, ja, wir glauben dir,“ unterbrach Nalani seine Zählerei, „Erzähl das lieber deinem Lehrer gleich!“ Gahti war ein kleines Dorf knapp nordwestlich des Lyra-Schlosses. Man ging den Sandweg vom Hügel hinab zur Landstraße, wandte sich nach Norden, durchquerte ein kleines Wäldchen und war so gut wie da. In Vikhara gab es zwei Schulen; eine in Gahti und eine in Tuhuli. Alle Kinder aus den umliegenden Dörfern gingen in die Schule in Gahti, daher war in dem Dorf immer viel los. Der Trubel im Dorf lebte alleine von der Schule und davon wiederum lebten die Händler in Gahti, denn viele Eltern, die Kinder zur Schule brachten, entschlossen sich auf dem Rückweg in ihr Heimatdorf, noch etwas Obst oder Fleisch einzukaufen. Um dem Dorf ein städtischeres Flair zu geben, hatte der Vorstand von Gahti vor einiger Zeit die Hauptstraße mit Steinen pflastern lassen. Steinerne Straßen, so etwas gab es in keinem Dorf in ganz Dokahsan, so etwas leisteten sich nur die großen Städte wie Tuhuli, Yatoret und Yiara natürlich. Es beeindruckte und belustigte das Volk gleichzeitig, denn die Straße aus Steinen in Gahti war natürlich nicht halb so professionell und ordentlich gearbeitet wie in den Städten, immerhin hatten nur einfache Bauern dafür geschuftet und keine Handwerker. Der Dorfvorsteher in Gahti war sehr stolz auf seine Idee und seine Straße, die Kutscher, die die Hauptstraße passierten, fluchten, weil der Wagen so hoppelte und desöfteren hölzerne Randstangen zerbrachen bei dem Geholper; so hatten die Bewohner von Gahti immer etwas zu lachen, weil jeder, der daher kam, die Straße kommentierte, verfluchte oder lobte. „Das Gute an einer Steinstraße ist, dass die Steine im Gegensatz zum Sand nicht aufweichen und fortgespült werden können,“ erklärte Nalani Puran, als sie mit ihm das Dorf erreichte und Puran sich darüber amüsierte, von einem Kopfstein zum nächsten zu hopsen. „Normalerweise nimmt man dafür nicht irgendwelche Steine, die am Wegrand herum liegen, aber das hier ist ein Dorf, hier läuft das anders – jetzt fall nicht noch hin, Puran, nimm meine Hand!“ „Ja, Mutti,“ war Purans brave Reaktion, und er nahm artig ihre Hand, als sie die Hauptstraße verließ und kurz darauf vor einem kleinen, hölzernen Törchen stehen blieb. Sie zeigte auf das große Gebäude dahinter. „Sieh. Das ist die Schule! Ab heute wirst du hier sechs Jahre lang jeden Tag hin gehen. Außer in der langen Sommerpause und an Festtagen.“ Puran betrachtete das große Gebäude und sagte nichts. Das Schulgebäude war kleiner als das Schloss und vermutlich nicht mal halb so alt. Es war kein hübsches Gebäude, aber es stand immerhin. Ihm gefiel der Gedanke nicht, den ganzen Vormittag alleine ohne seine Mutter hier bleiben zu müssen. Von weitem hörten sie bereits Kindergeschrei und Gejohle auf dem Schulhof; die älteren Schüler waren heute auch nach ihrer Sommerpause zum ersten Mal wieder hier. Gerade drängelten sich ein paar etwas größere Jungen kichernd und herum albernd an Nalani und Puran vorbei auf das Schulgelände, wobei Puran sich erschrocken an seine Mutter drückte, um den Rabauken nicht zu nahe zu kommen. Ältere Kinder waren ihm unheimlich, sie waren größer und lauter als er; er dachte kurz verwirrt an den seltsamen Jungen aus Canulo, der im Winter bei ihnen gewesen war. Er konnte das gruselige Gefühl, das er bei seinem Anblick verspürt hatte, einfach nicht vergessen; und viel beunruhigender war, dass er offenbar der Einzige war, der es spürte. „Nun, dann wollen wir mal,“ seufzte Nalani in dem Moment, nahm ihn an der Hand und ging durch das Törchen, „Da drüben unter dem Baum versammeln sich alle Schulanfänger mit der Lehrerin, wie es aussieht. Ab jetzt wirst du ohne mich zurecht kommen, nicht wahr?“ „Ich möchte nicht, dass du fort gehst,“ nuschelte ihr Sohn kleinlaut, klammerte sich unsicher an ihren Rock und beäugte skeptisch die gruseligen großen Kinder, die auf dem großen Hof herum tobten. „Die Leute hier machen mir Angst, Mutti…“ „Ach, das sind auch nur Kinder,“ Nalani befreite sich sanft aus seinem Griff und trat einen Schritt weg. „Sei tapfer. Du bist groß genug, das hast du doch heute Morgen vor Onkel Kiuk auch gesagt.“ Das Kind schmollte. Ja, das hatte er… er fragte sich gerade, was ihm wichtiger war, sein kindlicher Stolz, Mutti beeindrucken zu können, oder seine Sicherheit… nach einer Weile des Überlegens siegte dann wohl das Erste, denn er trat ebenfalls vor Nalani zurück und biss sich tapfer auf die Oberlippe, dabei mit dem Kopf nickend. Nalani seufzte innerlich erleichtert über seine Einsicht; sie konnte ja schlecht den ganzen Tag hier bleiben, so gern sie das auch getan hätte. Sie würde es nie zugeben Tabari gegenüber, aber er hatte recht gehabt… sie hätte ihren Sohn von Anfang an nicht so bemuttern dürfen, dann wäre es ihm jetzt leichter gefallen, sich von ihr zu lösen. Es ärgerte sie mitunter, dass Tabari, der eigentlich vollkommen tüdelig war, mehr auf gut Glück als durch Verstand so oft recht behielt. Tabari war ein merkwürdiger Mensch. Auf eine seltsame Weise verehrte und beneidete sie diesen Mann. Puran fuhr herum und wollte es sich plötzlich anders überlegen, als seine Mutter mit einem Winken den Schulhof wieder verließ; aber da hatte sie das Törchen schon passiert, ehe er einen Schritt in ihre Richtung hätte tun können. Na, die war gut, und was sollte er jetzt machen, wo sie weg war? Verwirrt sah er sich auf dem großen Hof um und blickte unsicher zu der Gruppe mit kleinen Kindern unter dem Baum, von denen seine Mutter gesagt hatte, er müsste zu ihnen gehen. Und wenn sie sich geirrt hatte? Seine Mutter irrte sich nie. Er wollte gerade losgehen, da tippte ihn jemand von hinten an und der Junge drehte verblüfft den Kopf, um in das grinsende Gesicht eines größeren Jungen zu blicken. „Was ist denn mit dir?“ fragte er amüsiert, „Vermisst du deine Mutti jetzt schon? Du bist aber klein, bist wohl neu hier, haha!“ Neben dem Jungen tauchten noch zwei andere auf und kicherten doof. Puran runzelte die Stirn und sagte nichts. Seine Mutter hatte ihm beigebracht, nicht mit fremden Leuten zu sprechen; daher entschied er sich, die gruseligen Typen zu ignorieren. Das war leider nicht so leicht. „Kannst du nicht reden?“ fragte der zweite nämlich jetzt und tippte ihn auch an, etwas unsanfterer als der Erste, „Ich glaube, der ist noch zu klein für die Schule, der redet gar nicht, du.“ Letzteres sagte er zu seinem Kumpel, der zuerst gesprochen hatte. Der räusperte sich theatralisch. „Ich seh’s selber, du Honk, lass mich das machen.“ Puran blinzelte nur verdattert, als der Junge ihn plötzlich etwas rückwärts schob. „Du bist hier falsch, Kleiner, ich glaube, deine Mutter hat dich hier aus Versehen nur abgegeben, weil sie dich loswerden wollte.“ Hinter ihm fingen die beiden anderen schallend zu lachen an. Als der Vordere Puran wieder zu schieben versuchte, schlug der Kleine seine Hand weg. „Schubs mich nicht, du Flasche!“ Die größeren Jungen sahen sich an. Der Vordere gluckste. „Ah, er kann doch reden! Glaubst du mir etwa nicht? Ich sag‘s dir doch, deine Mutter ist sauer auf dich, die mag dich nicht mehr.“ „Ja, ich hab's auch gehört,“ pflichtete der zweite Junge ihm bei und nickte theatralisch, ehe er und der dritte, der bisher noch gar nichts gesagt hatte, wieder zu lachen anfingen. „Was gehört?“ fragte der Kleine erschrocken, und der große Junge vor ihm lachte auch blöd: „Na, dass sie gesagt hat „Endlich bin ich das Kind los!“ , haha!“ Puran starrte den Jungen fassungslos an; das hatte seine Mutter gesagt? Er lügt… „W-was?“ machte der Junge und fuhr hoch, „W-wer hat das gesagt?“ „Deine Mutter, du Trottel,“ johlte der Dicke vor ihm, als Puran herum fuhr und offenbar nach jemandem suchte. „Redet nicht mit mir!“ schimpfte er dabei, „Hört damit auf!“ „Macht aber Spaß,“ kicherte der Junge, und jetzt schaltete sich der dritte ein. „Du, ich glaube, er meint uns nicht…“ „Was soll der Quatsch, wen denn dann?“ Die drei sahen geschlossen wieder zu dem Kind, das sich einmal herum drehte und mit den Armen die Luft schlug. Es war nicht das erste Mal, dass er Geisterstimmen hörte… er hörte sie oft. Aber es war unheimlich und er wollte nicht, dass sie mit ihm sprachen. Seit sein Großvater tot war, hatte er die seltsame Befürchtung, der Geist von Kelar würde zu ihm sprechen; er fürchtete seinen Großvater, er sah noch genau sein gruseliges Gesicht vor sich, seine stechenden Augen und seine eigenartigen Raubtierzähne. Er hörte immer noch seine scharfe Stimme und sein kehliges Lachen… seine Mutter hatte versprochen, dass sein Großvater ihm nie wieder etwas tun könnte. Aber was, wenn er ihm den Kopf verdrehte, indem er ihm Sachen ins Ohr flüsterte? „Geht weg, lasst mich in Frieden!“ empörte er sich und hielt sich die Ohren zu, „Ich mag nicht!“ „Jetzt seht euch den an,“ lachte einer der Jungen, „Der dreht ja komplett durch – hahaha…“ „Was für ein Deppenkind!“ „Was ist hier los?“ ertönte plötzlich eine Stimme vor ihnen und die drei Jungen fuhren hoch, während Puran plötzlich von jemandem festgehalten wurde und keuchend aufhörte, die Luft zu schlagen. Als er hinauf sah, stand hinter ihm eine junge Frau, hinter der der Haufen kleiner Kinder stand und etwas verpeilt auf das Geschehen blickte. „Ärgert ihr Rabauken schon wieder die Kleineren?“ fragte die Frau die großen jungen ärgerlich, „Husch, in eure Klasse mit euch! Eure Späße sind langsam nicht mehr komisch und ihr verschreckt immer die Kleinen!“ Die Jungen trollten sich artig und als Puran sich verdattert zu der Frau umdrehte, wurde er von der und allen kleinen Kindern hinter ihr groß angestarrt. Oh nein, hatte er irgendetwas Schlimmes gemacht? „V-verzeiht bitte!“ keuchte er und verbeugte sich rasch, worauf die Kinder zu tuscheln und zu kichern begannen. Die Lehrerin zog eine Braue hoch und dann kam offenbar eine Erleuchtung, denn sie nickte plötzlich. „Ah, du gehörst sicher zu meiner neuen Klasse, bist du heute zum ersten Mal hier? Und das ganz allein?“ „M-meine M-Mutti h-hat mich h-her g-gebracht…“ stotterte der Kleine nervös und fragte sich, ob er bestraft werden würde; statt dessen bekam er von der Frau ein freundliches Lächeln. „So ist das?“ fragte sie, „Hab keine Sorge, ich tue dir nichts! Du bist sicher Puran, hab ich recht?“ Was für eine seltsame Geisterfrau, sie kannte seinen Namen! Er erbleichte und dachte an die Stimmen in seinem Kopf, die jetzt verstummt waren. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis sie zurück kehrten. Die Frau schien seine Gedanken zu lesen: „Das nehme ich mal als Ja; deine Mutter hat dich hier in der Schule angemeldet, ich habe eine Liste mit allen Namen der Klasse. Hier, diese Kinder gehören alle dazu, sie sind auch heute zum ersten Mal hier!“ Puran sah zu der Klasse aus Jungen und Mädchen herüber, die ihn alle groß anblickten – erst beim zweiten Mal hinsehen erkannte er plötzlich in der zweiten Reihe einen schwarzhaarigen Jungen, der nicht neugierig, sondern zornig zu ihm herüber sah, die grünen Augen zu bösen Schlitzen voller Hass verengt. Moment – den Jungen kannte er doch! Das ist der mit dem Reh, den wir im Winter im Wald getroffen haben! Der ist auch hier in der Schule? „Nanu? Ihr zwei scheint euch ja schon zu kennen?“ stellte die Frau ebenfalls verblüfft fest und musterte die beiden Jungen, die sich ansahen, und der Schwarzhaarige schnaufte grimmig, ehe er an den anderen vorbei ging, einschließlich Puran. Als er an dem kleineren Jungen vorbei kam, drehte er den Kopf und zischte ihm grantig zu: „Fall tot um!“ Puran erstarrte und sah ihn ungläubig an, aber da war der andere Junge auch schon an ihm vorbei gegangen, nicht ohne ihn vorher gehörig zu schubsen, und die Frau schnappte nach Luft. „Wie bitte?! Moment, bleib stehen, wohin willst du?! Jemine! – Kinder, bleibt da!“ Den Kindern blieb nichts anderes übrig und Puran starrte entsetzt dem Jungen und der Frau nach, ohne zuzuhören, was sie tadelnd zu dem Schwarzhaarigen sagte. Alles, was ihm im Kopf blieb, war… Fall tot um. In dem Schulgebäude gab es mehrere kleine Räume, die sie Klassenzimmer nannten. Das Klassenzimmer der ersten Klasse war wie alle anderen ein hölzerner Raum mit vielen Bänken und Tischen. Die Schüler setzten sich auf die Bänke und Puran fand sich neben einem dicken Kind wieder, das aufgeregt Brotstücke in sich hinein stopfte, die es aus sämtlichen Taschen zog. Er beobachtete perplex den essenden Jungen neben sich und fragte sich, wie man so viel essen konnte, da wurde die Aufmerksamkeit aller wieder auf die Frau vorne gelenkt. „Mein Name ist Kalih,“ stellte sie sich vor, „Ich werde eure Lehrerin sein und ihr seid die neue erste Klasse dieser Schule! Willkommen, Kinder, guten Morgen.“ „Guten Morgen, Frau Kalih!“ grüßten die Kinder nach einigem Zögern und die Lehrerin strahlte. „Sehr schön macht ihr das! Heute ist euer erster Tag, wir werden den Tag nutzen, um einander etwas kennen zu lernen. Ich möchte, dass jeder von euch der Reihe nach sagt, wie er heißt, woher er kommt und wie alt er ist. Hmm… fangen wir doch gleich hier vorne an!“ Vor ihr saß der schwarzhaarige Junge, der Fall tot um gesagt hatte. Puran erstarrte kurz, als sich alle Blicke auf den Jungen richtete. Er fragte sich, was der für ein Problem hatte… wieso sollte er tot umfallen? Er schauderte. Diese Schule war ganz und gar nicht schön und geheuer schon gar nicht. Er hatte doch gewusst, dass die Leute gruselig waren… Der Schwarzhaarige stand auf, nachdem die Lehrerin ihn aufgefordert hatte, und sah etwas unsicher über den Haufen Kinder vor sich, als er vorne stand. „Ich bin Ram,“ stellte er sich schließlich vor, „Ich bin sechs und komme aus Nehawa.“ „Wunderbar,“ freute sich die Lehrerin, „Setz dich; der nächste!“ Puran sah zu dem Jungen namens Ram, während sich der Reihe nach alle vorstellten. Fall tot um. Der Satz flog ihm immer wieder durch den Kopf, immer wieder sah er das zornige Gesicht des anderen; und das panische Gesicht, während er das Reh an sich drückte und am Boden kauerte, vor dem Speer von Großvater Kelar zurückweichend… „Bitte lasst mir das Reh! Ich habe noch fünf Geschwister und wenn wir nicht essen, werden wir verhungern…“ „Fall tot um.“ Da wunderst du dich…? hörte er eine leise Stimme in seinem Kopf, und er sprang plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und schrie. „Geh weg, verschwinde!“ „Was ist denn jetzt los?“ fragte die Lehrerin perplex, und der Junge fuhr abermals herum, als die Stimmen zurück kehrten. Da wunderst du dich…? Lyra? Dein Großvater hat nicht nur diesem Kind Unrecht getan, er war ein grausamer Mann… die Leute hassen euch… sie verachten euch und wünschen euch die Pest an den Hals… „Tun sie nicht, ihr lügt!“ empörte sich der Junge, während jetzt die ganze Klasse ihn anstarrte, und keuchend riss er die Augen auf und starrte geistesabwesend zurück. Geister lügen niemals, Puran Lyra… lerne, damit umzugehen, mit deiner Gabe. „Kommt nicht näher!“ Er schrie abermals auf, als er plötzlich an den Schultern gefasst wurde. Er wurde herum gedreht und sah plötzlich mit weit aufgerissenen grünen Augen heftig keuchend der Lehrerin direkt ins Gesicht, die ihn nur verdutzt anstarrte. „Beruhige dich…“ flüsterte sie sanft, „Beruhige dich, niemand tut dir weh. Alles ist gut, ganz ruhig. Sieh mich an…“ Er sah sie an und keuchte abermals, ohne seine Atmung kontrollieren zu können, ehe er erschauderte; dann war es plötzlich wieder vorbei. Plötzlich waren die Geisterstimmen weg und er erkannte jetzt erst die Lehrerin, die ihn an den Schultern festhielt. Sie sah verwirrt und besorgt aus. „W-…was ist passiert?“ nuschelte das Kind beklommen. Die anderen Kinder sahen sich beunruhigt an und Ram schnaubte. „Geisterkind,“ brummte er, „Wahrscheinlich so besessen und gestört wie der Rest seiner Familie!“ Zu seinem Glück hatte die Lehrerin ihn nicht gehört, sie erhob sich und schon Puran sanft zurück in seine Bank. „Besser?“ fragte sie beunruhigt, und der Tischnachbar mit dem Brot im Mund rückte etwas verängstigt ein Stück weg. Das Kind nickte unsicher. „I-ich glaube schon…“ „Was immer du gesehen hast, es ist jetzt weg,“ sagte die frau vor ihm ernst. „Du musst dich nicht fürchten.“ „Ich habe aber nichts gesehen…“ murmelte Puran, als die Lehrerin schon wieder nach vorne ging, „Ich habe nur… Stimmen im Wind gehört.“ Es war der erste Schultag. Am ersten Tag fing man nicht gleich mit dem Lernen an, man stellte sich einander vor und die Lehrerin spielte einige Spiele mit der Klasse, damit sich alle aneinander gewöhnen konnten. Die Geister schwiegen den Rest des Vormittages über und der Junge schwieg mit ihnen, während er verstohlen versuchte, den schwarzhaarigen Ram zu beobachten, der so garstig schaute. Er wusste selbst nicht, wieso ihn so interessierte, was mit ihm passiert war; sein Instinkt sagte ihm, dass es wichtig war, er konnte aber nicht sagen, wieso. „Fall tot um.“ Der Kleine erschauderte und fuhr zusammen, als mit einem Mal wieder die Stimme der Lehrerin seine Gedanken unterbrach. „Wir machen jetzt eine Pause,“ verkündete sie, „Ihr müsst alle das Klassenzimmer verlassen, geht bitte auf dem Hof spielen! Wenn die Glocke läutet, ist die Pause um und ihr kommt wieder hinein.“ Pause, das klang gut. Johlend rannten die Kinder aus der Klasse, einige schubsten sich gegenseitig blöd lachend aus der Tür. „Nicht drängeln, Kinder!“ empörte die Lehrerin sich und eilte darauf zu einem kleinen Mädchen, das umgeschmissen worden war und jetzt heulend auf dem Boden lag. Puran entdeckte Ram neben der Tür stehen, nachdem schon fast alle draußen waren. Sag es… verlangten die Geister, Geh hin und… sag es. Er sprang keuchend von seiner Bank auf und schüttelte heftig den Kopf, als könnte er so die bösartigen Stimmen aus seinem Kopf vertreiben. Ram drehte den Kopf und sah ihn eine Weile blöd an, bevor sein Blick sich verfinsterte, als der Kleinere doch zu ihm herüber kam. „Was hast du eigentlich für ein Problem?!“ platzte er lauter als er vorgehabt hatte heraus und erschrak selbst über seine laute Stimme, Ram beeindruckte das kaum. Er drängte sich mit einem grimmigen Schnauben an Puran vorbei, schubste ihn unsanft gegen die Wand und zischte: „Du bist ja immer noch nicht umgefallen! Sprich mich nicht an.“ Dann war er weg und Puran fuhr herum, als die Geisterstimmen plötzlich zurück kehrten. Ist das alles? Gibst du dich damit zufrieden? „Geht weg!“ keuchte der Junge, ehe er aus der Tür stürzte und dem Schwarzhaarigen nachsetzte. „Lasst mich in Frieden, Geisterstimmen!“ Finde das Reh, wenn du die Antwort haben willst… du kannst nicht davon laufen. „Verschwindet!“ schrie er jetzt lauter, als er aus dem Gebäude rannte. Plötzlich kamen ihm wieder die Bilder aus de Winter in den Kopf. Des Großvaters falsches, bösartiges Grinsen. Ram, der entsetzt und leichenblass am Boden kauerte. Das blutige, tote Reh. Es starrte ihn aus roten Augen an und verfolgte ihn mit einem blutrünstigen Blick, sodass der Junge strauchelte und mehr stolperte als dass er rannte, als er den Hof erreichte. Hinten in einiger Entfernung sah er Ram, den er einzuholen versuchte, aber als er versuchte, schneller zu rennen, stand ihm plötzlich das riesige, tote Reh im Weg und starrte ihn an mit einer entsetzlichen Fratze – „Hey, du gestörter Zwerg, du bist ja immer noch hier!“ Das nächste, was der Kleine merkte, war dass er auf dem Boden lag und sein Kopf höllisch schmerzte; es fühlte sich aber nicht nach einem Schmerz nach dem Hinfallen an, der Schmerz war tiefer, er kam von innen. Über sich erkannte er heftig keuchend die drei großen Typen vom Morgen. Sie beugten sich gehässig kichernd über ihn. Er wusste nicht, wieso er hier lag und auch nicht, wo er hin gewollt hatte; Ram, fiel es ihm da ein, er musst mit ihm sprechen und herausfinden, was mit ihm los war, wieso er wollte, dass er tot umfiel. „W-wo… wo ist das Reh mit den roten Augen hin?“ japste er, und die Großen sahen sich blöd an. Dann fingen sie schallend zu lachen an. „Ah, das Reh mit den roten Augen! Rennt, Freunde, rennt um euer Leben, es ist hinter uns her!“ Der eine lief schon theatralisch brüllend weg, als Puran hustete und sich vorsichtig hinsetzte, sich den schmerzenden Kopf reibend. „Ihr glaubt mir nicht!“ empörte er sich, „Es war wirklich da, ich habe es gesehen, es war direkt vor mir!“ „Du hast einen an der Klatsche,“ gluckste der Junge vor ihm und schubste ihn, als er wieder aufgestanden war, sodass er wieder zu Boden stürzte und schnaubte. „Reh, hier sind keine Rehe, hier sind nur Kinder, haha!“ „Und Lehrer,“ addierte der zweite, während der dritte wieder angerannt kam und immer noch lachte. „Rennt, das Reh, es ergreift uns, aah!“ „Hört sofort damit auf!“ schrie Puran die Idioten empört an und rappelte sich hoch, dieses Mal wich er zurück, als der andere ihn wieder schubsen wollte. Er ballte wütend die kleinen Hände zu Fäusten. Die Jungen sahen sich erst an, dann glucksten sie und umzingelten ihn von allen Seiten, gehässig auf ihn herab sehend. Langsam fing es wirklich an Spaß zu machen, diesen Knirps zu veräppeln… „Was sonst…?“ fragte einer der Jungen grinsend, „Holst du dann das böse Monster-Reh, damit es uns frisst?“ „Oder rufst du nach deiner Mutti, die nie wieder kommen wird, weil sie dich gar nicht haben will…?“ Der Kleine erstarrte kurz und keuchte heftig – in dem Moment fingen die Größeren wieder an, ihn zu schubsen, erst von hinten, dann von vorn, dann von der Seite, und er versuchte verzweifelt, aus dem Kreis der Älteren zu entkommen, aber wenn er versuchte, wegzurennen, hielten sie ihn fest und zerrten ihn rückwärts. Aus der Ferne hörte er die Stimmen von Erwachsenen, die rufend näher kamen und offenbar dazwischen gehen wollten. Er spürte den Schmerz in seinem Kopf wieder zurückkehren, als er erneut geschubst wurde, und hörte die Stimmen in seinem Kopf wild durcheinander wispern. Sie lügen… Du solltest dir das nicht gefallen lassen… Du bist ein Kind der Geisterwinde… du hörst unsere Stimmen und kannst Dinge sehen, du kannst deine mächtigen Gaben nicht ignorieren… Puran Lyra. „Ich will aber nicht mehr zuhören!“ schrie er, „Und ich will keine Bilder sehen, ich will blind und taub sein!“ Du willst davon laufen…? Du kannst… nicht davon laufen… „Dummer Enkel.“ Puran erstarrte in dem Augenblick, in dem er plötzlich das Gesicht seines grausamen Großvaters vor sich sah, das Gesicht des Monsters, das er bis auf den Tod fürchtete. Und es kam direkt auf ihn zu mit den bösartigen, hellen Augen, genau wie das Reh, das drohte, ihn zu zerfetzen… und er stieß einen gellenden Schrei aus in dem einen Moment, in dem er plötzlich von seinem Großvater und dem Rehgeist gepackt und herum gerissen wurde. Plötzlich ergoss sich ein grausig blendendes Licht über ihm, während er schrie und ein entsetzliches Donnern über und unter ihm die ganze Welt zu erschüttern schien. Sein ganzer Körper schmerzte einen Moment lang, aber er schlug mit den Händen um sich und zerstörte das tote Reh und seinen toten Großvater, er schlug panisch nach ihnen und zerschmetterte die bösen Geister mit einem krachenden Donnerschlag. Als sie sich in Luft auflösten und das Licht erlosch, wurde es plötzlich dunkel und sehr still. Das nächste, das er wahrnahm, war eine Stimme über seinem Kopf; mehrere. Die Stimmen klangen dumpf und weit entfernt. Er spürte Hände auf seiner Stirn und an seinen Fingern. Erst als er langsam zu sich kam, wurden die Stimmen deutlicher. Irgendeine Stimme gehörte seiner neuen Lehrerin. „Um Himmels Willen, so tu doch etwas!“ „Bin ich Heiler, oder was? Apropos, sind die endlich eingetrudelt? Das dauert zu lange, der Junge wird sein Bein nie wieder benutzen können, wenn die nicht endlich auftauchen!“ „Ein Desaster ist das mit dem faulen Pack,“ kam es von einer dritten Stimme. Bein? Was für ein Bein? Seine eigenen fühlten sich normal an… „Himmel und Erde! – Sorgt dafür, dass die Schüler im Gebäude bleiben und den grauenhaften Anblick nicht sehen müssen!“ Das war seine Lehrerin. „Hat denn endlich jemand die Eltern geholt?“ „Alle miteinander ganz ruhig bleiben. Panik bringt uns auch nicht weiter-… oh, er wacht auf!“ Puran blinzelte benommen und erkannte über sich seine Lehrerin und das Gesicht eines Mannes, vermutlich auch eines Lehrers. „W-was…?“ stammelte er nur keuchend. Sein Kopf schmerzte und ihm schwindelte, als er sich aufsetzen wollte. Der Mann wollte ihn festhalten, seine Lehrerin wich keuchend zurück; das war alles, was er registrierte, bevor die Bilder plötzlich durch seinen Kopf geschossen kamen wie brennende Pfeile, genauso schnell, genauso leuchtend und genauso schmerzhaft. Er sah das Reh, das tot am Waldboden lag, er sah die Fratze seines Großvaters und viel Blut, das spritzte und den Boden beschmutzte. Dann spürte er wieder, wie die Jungen ihn schubsten und dabei dämlich lachten. Er hörte sie rufen, aber er verstand ihre Worte nicht, und plötzlich erstarrten ihre Gesichter vor seinen Augen und wurden zu entsetzen Grimassen… dann erfasste ein grelles, schneidendes Licht die Jungen, schleuderte sie weg und irgendwo in der Ferne zu Boden, ehe das Bild vor Purans Augen rot wurde, als würde es bluten… Er schrie auf und kippte nach vorne, als in ihm plötzlich ein mächtiger Brechreiz emporstieg, und die Personen um ihn herum fuhren ebenfalls schreiend zurück, während der eine Lehrer neben ihm hocken blieb und ihn festhielt. Der Junge übergab sich hustend auf den steinernen Boden. „Ihr seid großartig, wegzurennen – ah, da sind ja endlich die Heiler!“ hörte Puran ihn sagen, und er stöhnte und hob benommen den schmerzenden Kopf, obwohl die Übelkeit wieder zunahm. Er zitterte. Was für Heiler eigentlich? Was war hier los, wieso saß er auf dem Boden, wieso war ihm schlecht…? In einiger Entfernung erkannte er Menschen, die am Boden hockten, um irgendetwas herum… Blut? „B-Blut…!“ japste er außer sich und versuchte plötzlich in wilder Panik, sich von dem Lehrer neben sich loszureißen, „W-was passiert hier?!...“ Er sah wieder das gleißende Licht vor seinen Augen aufflammen und hörte aus weiter Ferne das Schreien von Kindern. Er hustete und schrie wieder auf. „Sieh mich an,“ sprach der Mann neben ihm ernst, „Sieh mich an, Junge! Es ist vorüber! Es wird nicht wieder kommen.“ „Doch, es wird!“ schrie das Kind entsetzt, hustete und erbrach sich erneut, bevor es panisch zu weinen begann. „I-ich weiß nicht, wieso ich hier bin, i-ich kann mich nicht erinnern, ich s-sehe nur Blut! W-wo sind d-die großen Jungen…?!“ „Ich sagte doch, es ist vorüber,“ der Mann war offenbar völlig ruhig, „Die werden schon wieder, die Heiler kümmern sich ja um sie. Hast du Schmerzen?“ Puran konnte nicht darüber nachdenken, ob er Schmerzen hatte, der Schock saß zu tief und er wusste immer noch nicht, was passiert war. Er wurde hoch genommen und erschauderte. „Komm, wir gehen lieber weg von dem Trubel, ich mache dir einen Tee…“ Der Mann wollte mit ihm weggehen, wurde aber von einigen anderen Erwachsenen aufgehalten. „Du bleibst mit ihm hier!“ rief eine Frau, „Niemand verlässt den Hof, bis das geklärt ist! Wir haben ein extrem ernstes Problem, so etwas ist noch nie passiert hier in Gahti! Das ist eine Schande, und hör auf, das gut zu reden!“ „Beschimpf nicht das Kind, er kann nichts für das, was passiert ist, oder hat er das absichtlich gemacht?“ „Na, von selbst haben sich die Jungen die Wunden wohl kaum zugefügt!“ „Er sollte sofort der Schule verwiesen werden!“ rief jemand anderes. „Er sollte geröstet und aufgespießt werden!“ schrillte eine Frauenstimme quer über den Hof, „Mein Sohn hat nur noch ein Bein und eine halbe Nase, er ist für sein Leben entstellt!“ „Dafür sind ja die Heiler da, gute Frau! Niemand wird hier der Schule verwiesen oder geröstet, bis nicht alle Beteiligten hier sind und wir das wie Erwachsene geregelt haben!“ Puran keuchte, noch immer auf den Armen des Typen, den er nicht mal kannte. Vor ihm stand jetzt eine Frau, die ihn scharf musterte. „Die Lehrer gehen jetzt bitte alle wieder hinein zu ihren Klassen, es muss für Ruhe gesorgt werden! – Halt, du bleibst hier mit dem Balg auf dem Arm!“ „Balg!“ schnaubte der Mann, der Puran festhielt, „Er ist nur ein Kind, das waren Instinkte und keine boshaften Absichten, ich weiß das zu unterscheiden, bei allem Respekt, Direktorin!“ „Es ist mir, um ehrlich zu sein, Herr Masava, vollkommen egal, was es war, solange es Menschen gefährdet, die drei hätten tot sein können!“ In diesem Moment unterbrachen sich die zwei, und nach einem kleinen Windstoß und einen Schwall schwarzer Farbe vor sich erkannte Puran seine Mutter, die offenbar gekommen war und sich jetzt über ihn beugte. „Sieh mich an,“ war ihre Begrüßung, „Sieh mich an und sag mir, was du sehen kannst, Sohn! Jetzt auf der Stelle.“ „Nun, nun, wollen wir nicht zuerst…?“ fragte die Direktorin belämmert dazwischen, aber Puran antwortete schon keuchend: „I-ich sehe Muttis Gesicht…“ Sie fasste nach seiner Stirn, ehe sie sich zur Direktorin umwandte. „Was ist mit meinem Sohn passiert?“ fragte sie kalt, „Wieso hat man mich so eilig her zitiert?“ Die Schuldirektorin räusperte sich. „Ich halte es für besser, dazu doch hinein zu gehen.“ Das Zimmer der Direktorin war klein, aber sie, der seltsame Lehrer, Nalani und Puran fanden dennoch Platz darin. Auf dem Schoß seiner Mutter sitzend nahm der Junge seine Umgebung jetzt langsam wieder richtig wahr. Aber er zitterte immer noch und der Tee, den er bekommen hatte, hatte ihn nur wenig beruhigt. „Drei Jungen aus der vierten Klasse sind schwer verletzt, wir haben sofort Heiler rufen lassen, zum Glück waren sie rechtzeitig, um das schlimmste zu verhindern. Ich kann nicht sagen, was da auf dem Hof geschehen ist, ich war ja hier drinnen! Herr Masava hatte ja Aufsicht, der kann sicher mehr dazu sagen!“ Sie warf dem merkwürdigen Lehrer einen bösen Blick zu und der war todernst, als er sprach. „Die Jungs haben ihn geärgert und geschubst, und plötzlich fing er an zu schreien, in dem Moment, als wir dazwischen gehen wollten, schlug er… plötzlich mit einem Windmesser nach seinen Peinigern und hätte sie um ein Haar damit in Stücke gerissen. Die Geschichtslehrerin ist Telepathin, sie konnte die drei Jungs zum Glück rechtzeitig weg teleportieren, ehe ihre Köpfe ab gewesen wären, aber für Beine, Finger und Nase hat es leider gereicht.“ Nalani blinzelte und Puran fuhr hoch. „W-was?!“ keuchte er, „W-wie, ich habe das gemacht?!“ „Ein Windmesser?“ machte Nalani, „Mein Sohn? Er ist erst fünf, wie soll er das geschafft haben?“ „Bei allem Respekt, Herrin, sein Vater ist der Herr der Geister,“ sagte die Direktorin verstört, „Und Meister des Windes, wie man doch sagt! Da ist es doch kaum verwunderlich, dass sein Sohn nach ihm schlägt.“ Nalani schnaubte. „Ein Windmesser ist ein Zerstörer, das ist obere Magie und Geisterbeschwörung, wollt Ihr mir weis machen, mein fünf Jahre alter Sohn hätte die Windgeister gerufen und sie auf die Jungen gelenkt, um ihnen zu schaden?“ „Natürlich nicht mit Absicht,“ warf Herr Masava verblüfft ein, „Instinkte zur Selbstbeschützung, das kommt häufig vor bei Schamanenkindern… allerdings habe ich es nie in einer derart heftigen Ausführung erlebt.“ „Seine Lehrerin sagte mir, er hätte im Unterricht Stimmen gehört,“ warf die Direktorin ernst ein, „Der Junge ist ohne Zweifel hochbegabt, aber ich kann nicht riskieren, dass so etwas noch einmal vorkommt in meiner Schule.“ „Was soll geschehen?“ fragte Nalani und strich ihrem entsetzten Kind über den Kopf, „Auf anderen Schulen bestünde dasselbe Risiko, oder nicht? Können wir diese Instinkte irgendwie versiegeln, bis er alt genug ist, sie selbst zu kontrollieren? Ich bin ja keine Magielehrerin…“ Die Direktorin sah zu dem Lehrer und zog eine Braue hoch. „Ich fürchte, das übersteigt meine Kompetenzen, ich bin schließlich kein Geisterjäger. Da müsst Ihr nach Tuhuli gehen, fürchte ich.“ Nalani seufzte. „Dann werde ich das tun und Nomboh Chimalis selbst fragen,“ entschied sie, „Wir sind langjährige Freunde, das dürfte kein Problem sein. ich würde mir wünschen, dass mein Kind weiterhin auf diese Schule gehen kann, bei allem Respekt… ich werde mich persönlich bei den Eltern der betroffenen Jungen entschuldigen für den Vorfall. Und ich schwöre, dass es nie wieder passieren wird… ich habe nicht gewusst, dass das Risiko überhaupt bestand.“ Sie erhob sich und stellte Puran vor sich auf den Boden, worauf der immer noch zitternd zu Boden blickte. „Wie könnt Ihr garantieren, dass Ihr das Wort halten könnt?“ wunderte sich die Direktorin und stand auch auf, als Nalani sich tief vor ihr verneigte. „Ich werde alles tun, was ich kann, um das zu unterbinden. Mehr kann ich im Moment nicht tun… mein Wort muss Euch genügen. Es wird nie wieder vorkommen. – Puran?“ Puran ergriff schweigend Mutters Rockzipfel und hob etwas den Kopf. „Bitte entschuldige dich bei der Frau Direktorin für die Unannehmlichkeiten. Und versprich selbst, dass es nie wieder vorkommen wird.“ „Verzeihung, Frau Direktorin,“ sagte der Junge kleinlaut und verneigte sich, „U-und es wird nie wieder passieren… das verspreche ich Euch.“ Auf dem Weg zurück zum Schloss schwieg Nalani eisern. Der Schultag war gelaufen, so viel war klar, und mit ihrem eisernen Schweigen bestrafte die Frau ihr kleines Kind noch mehr als die tadelnden Worte der Lehrer es getan hatten. Die Reaktionen der restlichen Familie waren gemischt, als am Abend endlich alle wieder im Schloss waren und von dem Vorfall erfuhren. „Um Himmels Willen,“ machte Sukutai entsetzt, „D-das sind schlimme Geschichten, die du erzählst, Nalani!“ Dabei wedelte sie aufgeregt mit dem neuen Nudelholz in der Luft herum, das sie in Yiara gekauft hatte. Es hatte sie geradezu angelächelt, hatte sie gemeint, und da das alte Nudelholz vor kurzem verschwunden war (man glaubte, Alona habe es sehr wahrscheinlich am Garten vergraben, damit ein Nudelholzbaum daraus wurde), war die Anschaffung durchaus praktisch. „Davon abgesehen, dass das grauenhaft ist, die anderen Kinder werden sich nicht mehr trauen, in seine Nähe zu kommen! Wir sollten ihm vielleicht doch lieber Privatunterricht geben…“ „Papperlapapp!“ machte die Schwägerin entrüstet, „Die werden schon zu sich kommen, Puran ist kein Massenmörder, es war Instinktsache und wir werden diese Instinkte kontrollieren, und zwar absolut perfekt, damit so etwas nie wieder passiert. Morgen fahre ich mit ihm nach Tuhuli zu Nomboh.“ „Das ist doch verrückt!“ mischte Tabari sich ein, „Du kannst solche Impulse nicht kontrollieren, Nalani! Erst recht nicht bei einem so kleinen Jungen! Es gibt Methoden, das zu trainieren, soweit ich weiß, aber so ein Training ist viel zu hart für ihn, er ist doch erst fünf!“ „Und kann mit fünf Windmesser rufen und damit drei Jungen fast zerfetzen!“ fuhr seine Frau auf, „Wie kannst du so fahrlässig damit umgehen, es hätte Schlimmeres passieren können!“ „Das ist aber doch nicht Purans Schuld!“ Der Blonde schnaubte verärgert, „Er kann doch nichts dafür, dass er begabt ist!“ „Sicherlich nicht, aber kontrollieren lernen muss er es doch trotzdem!“ „Das wird schon mit der Zeit irgendwie,“ seufzte ihr Mann zuversichtlich. Sukutai gab das neue Nudelholz dem Küchenjungen. „Das ist aber nicht sehr passend jetzt, Tabari.“ Nalani war offenbar derselben Ansicht. Sie schlug wutentbrannt mit der Faust auf den Tisch, sodass das Geschirr darauf erzitterte, das der Küchenjunge gemeinsam mit einem der Dienstmädchen dort aufgestapelt hatte. Das Dienstmädchen keuchte entsetzt und fasste nach seinem runden Bauch; die Familie war entzückt gewesen, als sich herausgestellt hatte, dass der Küchenjunge und eines der Dienstmädchen sich sehr gern zu haben schienen, jetzt würde die Frau bald ein Baby bekommen. „Dein Irgendwie kann mich mal, Tabari Lyra!“ schrie die Hausherrin jetzt wutentbrannt, „Du kannst nicht alles irgendwie lösen, du kannst es einfach nicht, und du hast keine Ahnung, was mit deinem Sohn passiert, von überhaupt nichts hast du Ahnung, du hirnloser Trampel!“ Tabari schnappte sich ebenfalls wütend den obersten Teller vom Stapel und warf ihn mit Wucht an die Wand, wo er zerschellte und alle in der Küche zusammenfuhren. „Und du kannst nicht alles kontrollieren und so schieben, bis es dir passt, Weib!“ brüllte er sie an, „Das ist Entscheidung der Himmelsgeister, was mit Puran passiert, du kannst, verflucht noch mal, nicht seine Instinkte ausschalten, wie es dir passt, und sie wieder anschalten, wenn er alt genug ist! Du bist nicht Königin der ganzen Welt, Nalani!“ „Das habe ich nie behauptet, wie kannst du es wagen, mich so anzuschreien?!“ fuhr sie ihn an, und Tabari warf einen zweiten Teller an die Wand. „D-das war das Geschirr unserer Großmutter!“ jammerte Kiuk dazwischen, wurde aber ignoriert. „Du führst dich manchmal nicht besser auf als mein Vater mit deinem Kontrollwahn!“ schnappte Tabari in dem Moment, und alle zogen entsetzt die Luft ein; Nalani erstarrte. „Du wagst es…“ keuchte sie und erbleichte, ehe sie rückwärts trat, und Tabari weitete die Augen bei ihrem fassungslosen Blick; ihm war klar, dass er zu weit gegangen war in seinem Zorn, das hätte er niemals sagen dürfen. Sie mit seinem Vater auf eine Stufe zu stellen war schlimmer als jede Beleidigung der Welt, vor allem für sie. „Du wagst es, das zu mir zu sagen…?!“ schnappte seine Frau da, und er sah sie erzittern; dann warf sie ebenfalls mit zwei Tellern nach ihm und verließ die Küche, dabei schrie sie wutentbrannt: „Elendes Scheusal, dass du es wagst, so mit mir zu sprechen!“ Tabari wich den Tellern gerade noch aus und hustete entsetzt, als er oben mehrere Türen knallen hörte, und die anderen in der Küche starrten einander erschrocken an. „Du liebe Zeit,“ machte das schwangere Dienstmädchen bekümmert. Tabari klopfte sich den nicht vorhandenen Staub vom Hemd. „Fein,“ schnappte er, „Ich weiß, wann ich einen Fehler mache, aber sie weiß es nie, und ich bin nicht jedes Mal der Idiot, der ihr zu Füßen kriecht, bis sie mir verzeiht, die stolze, blutrünstige Königin der Geisterjäger!“ Er spuckte auf den Boden und stampfte ebenfalls verärgert davon. Kiuk und Sukutai blieben mit der Dienerin zurück. „Ach!“ jammerte Sukutai, „Wie furchteinflößend! Jetzt schreien sie sich an, und wer kümmert sich um den armen Jungen? Ich weiß ja, dass sie beide kompliziert sind, aber müssen sie es immer so übertreiben?!“ „Mutter kümmert sich um ihn,“ seufzte Kiuk, „Natürlich können wir Impulse nicht kontrollieren, aber wir müssen uns etwas einfallen lassen, wenn er weiterhin zur Schule gehen soll.“ „Ach!“ seufzte seine Frau wieder unglücklich und ging zur Tür, „Das ist alles ein solcher Irrsinn!“ „Du kannst Stimmen hören und Bilder in deinem Kopf sehen, nicht wahr… Puran?“ Puran saß mit angezogenen Beinen auf der Fensterbank in seinem Zimmer und starrte verbiestert hinaus, als seine Großmutter das Zimmer betrat. Er sah nicht auf und sprach auch nicht. Nach einer Weile des Schweigens nickte er. „Ja, und du wusstest das doch schon lange, Großmutter.“ „In der Tat,“ war Salihahs Antwort. Sie setzte sich zu ihm auf die breite Fensterbank und sah ebenfalls hinaus. Der Himmel grollte. „Deine Mutter ist wütend auf dich?“ „Sie redet nicht mehr mit mir,“ gestand der Kleine unglücklich, „I-ich wollte doch nicht, dass so etwas passiert! Ich habe das nicht mit Absicht gemacht!“ „Shhh…“ Salihah seufzte tief, ehe sie seinen Kopf streichelte, und er schniefte. „Natürlich nicht, Puranchen. Deine Mutter weiß das auch. Sie hat nur Angst um dich. Sie wird sich wieder beruhigen.“ „Ich habe doch nicht mal gewusst, dass ich sowas kann! Ich habe Stimmen gehört und Bilder gesehen, s-sie haben mir Angst gemacht! Großmutter… kann man nicht machen, dass es aufhört? Kann man machen, dass ich nie wieder Bilder sehen muss?“ Salihah sah ihn für einen Moment verdutzt an. Dann schloss sie ihre blauen Augen. „Nein… das ist leider unmöglich. Ich habe mir das auch lange Zeit gewünscht. Die Geister haben dich zu etwas Großem bestimmt… du kannst nicht davor davon laufen. Du wirst lernen, wie du damit umzugehen hast.“ „Aber ich will das nicht!“ jammerte er, „I-ich habe Angst, dass das noch mal passiert! Was, wenn ich nächstes Mal jemanden umbringe damit?! Was, w-wenn… ich so böse werde wie Großvater…? Ich träume von ihm in der Nacht, er rennt hinter mir her und will mich fangen, d-das tote Reh läuft hinter mir her und will mich fressen… ich fürchte mich, Großmutter, i-ich will, dass es aufhört!“ Salihahs Blick wurde kalt, aber sie strich ihm abermals behutsam über die Haare. „Du… bist nicht wie dein Großvater.“ „Aber er konnte das auch, oder?! Er konnte auch Bilder sehen und Stimmen hören und Windmesser rufen…“ „Ja, das konnte er, auch als Kind schon,“ sagte sie, „Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen dir und ihm…“ Damit erhob sie sich, und Puran sah sie verzweifelt an, als sie sich zum Gehen wandte. Als sie an der Tür war, blickte sie zu ihm zurück. „Kelar… hat niemals nicht gewollt, dass es wieder passiert. Du bist ein guter Mensch… anders als Kelar.“ Und anders als ich, addierte sie in Gedanken, ehe sie die Zimmertür hinter sich schloss. „Du bist grausam, Liebste,“ bestätigte Zoras Chimalis beklommen ihre Gedanken, als sie sich in der Nacht in Tuhuli das Bett teilten. Salihah bekam inzwischen kein Gästezimmer mehr, wenn sie nach Tuhuli kam, sondern verbrachte die Nacht in seinem Schlafzimmer. Die Frau saß nackt auf ihm und warf jetzt keuchend ihre langen Haare nach hinten, als sie sich bewegte und das Feuer durch ihren Körper fließen spürte. „Ich weiß,“ sagte sie dabei, „Das werde ich nicht ändern können… so war ich schon immer. Und du hast mich trotzdem immer begehrt.“ „Ich begehre dich…“ stöhnte er und zog sie zu sich herunter, um sie verlangend zu küssen, „Nicht trotzdem, Salihah, sondern deswegen… früher einmal, im Krieg, habe ich mir zeitweilig gewünscht, ich könnte grausam sein wie du, ich konnte es nur nie.“ „Das ist auch gut so…“ Sie legte sich auf ihn und sie küssten sich ausgiebig, „Du solltest auch nicht wie ich sein.“ „Aber das habe ich auch eben gar nicht gemeint,“ warf er ein, „Du bist grausam zu dir selbst, Seherin. Kelars Tod… hat dich verändert. Ich weiß das.“ „Ich habe die Geister belogen und war pietätlos, ich habe meinen eigenen Gemahl ermordet, ist das nicht Grund genug, grausam zu mir selbst zu sein?“ keuchte sie, als sie sich wieder aufsetzte und sie seine Hände nahm, um sie auf ihre runden Brüste zu legen. Sie sog scharf die Luft ein, als sie spürte, wie seine Hände sie berührten, wie sie ihre Brustwarzen umkreisten und zwischen den Fingern drückten, und ein Schauer aus Erregung durchfuhr sie, sodass sie aufstöhnen musste. „Du solltest es auch sein, Zoras, vielleicht hört das Grollen im Himmel dann auf. Ich weiß nicht, was es ist, die Geister hüllen sich in Finsternis. Meine Sehkraft verschwindet immer mehr, und ich dachte, mit Kelars Tod würde das nachlassen… irgendetwas ist falsch, irgendetwas haben wir übersehen, etwas Wichtiges.“ „Kelar ist tot,“ seufzte er, „Ihr habt seinen Körper versiegelt und sein Geist kann nie wieder den Fluss verlassen. Ich spüre es auch, eine seltsame Unruhe, die ich nicht in Worte fassen könnte. Aber solange wir nicht wissen, was es ist, können wir auch nichts dagegen tun…“ Sie stöhnte nur, während sie sich auf ihm bewegte und den Kopf in den Nacken lehnte, als ihr im Moment innigster Ekstase schwindelte und sie sah, wie die Welt sich drehte. Das Feuer erfasste ihre Augen und blendete sie, während sie seine Händeüber ihre nackte Haut gleiten spürte, die auch sie in Brand steckten wie die Dörfer im Krieg zerstört wurden… Zoras schloss die Augen und keuchte ebenfalls, als sie über ihm erstarrte und dann laut seinen Namen stöhnte, als der Tanz seinen Höhepunkt erreichte und sie getragen von den sanfteren Flammen zurück zur Erde sank. Er strich ihr durch die schönen Haare, als ihr Kopf zitternd auf seiner Brust lag. „Sag mir, Salihah… eins habe ich nicht begriffen. In wie fern hast du jemals die Geister belogen?“ Die Frau erhob sich langsam, bis sie wieder saß, noch bebend und keuchend nach dem vorangegangenen Liebesspiel. Ihr Gesicht war jetzt eiskalt, obwohl ihr Körper sich heiß auf seinem anfühlte und das bloße Geräusch, wie sie atmete, das Feuer erneut auflodern ließen. Ungeduldig zog er sie wieder mehr über sich und sie schnappte nach Luft, das Gesicht ungerührt. „Ich habe um meinen Mann geweint, nachdem er tot war…“ Erstaunlicherweise war es weniger Nomboh, sondern viel mehr Keisha, die das Problem der ungewollten Instinkte ansatzweise lösen konnte, als Nalani mit ihrem Kind nach Tuhuli kam und den langjährigen Familienfreunden ihr Leid klagte. „Du willst Kontrolle?“ machte Nomboh verblüfft auf die Ansage hin, sein Bruder verlor vor Erstaunen seine Zigarette aus dem Mund und brannte sich ein Loch in die Hose, worauf er fluchend aufsprang. „Himmel hilf!“ schnaubte er dabei, ehe er zu Nalanis Leidwesen offenbar unwissend Tabari zustimmte: „Du kannst seine Rufgaben nicht kontrollieren, Nalani. Jedenfalls nicht komplett.“ „Dann aber offenbar halbwegs, oder wie?“ schnaufte die Frau zurück und sah kurz zu Puran, der leichenblass und ausgezehrt neben ihr saß. Er konnte seit Nächten schon kaum schlafen, weil die Geisterstimmen ihn wach hielten und ihm Angst machten. Normalerweise ging er zu seinen Eltern ins Bett, wenn er sich fürchtete, aber im Moment stritten sie und er wagte kaum, bei ihnen zu sein. Seine Eltern stritten sich öfter, aber dieses Mal war es schlimmer als sonst. Seine Mutter hatte seinen Vater sogar aus dem Schlafzimmer verbannt, sodass der jetzt bei Großmutter im Zimmer wohnte, während Großmutter nachts meistens abwesend war. Er wusste nicht, wieso genau seine Eltern sich zankten, aber er hatte das Gefühl, dass er mit Schuld daran war; dieser scheußliche Unfall auf dem Schulhof war Schuld. Er wünschte sich, er müsste nie wieder in diese Schule, nie wieder unter Menschen, denen er dasselbe antun könnte: Er fragte sich manchmal, während er nachts wach lag und Angst hatte, ob es vielleicht kein Zufall war, dass er Großvaters böse Stimme hören konnte oder sein Gesicht sah; was, wenn ihm das passierte, weil er auch so scheußlich und grausam werden würde wie sein Großvater? Das Kind erzitterte auf seinem Sitz und erntete einen beunruhigten Blick von Zoras Chimalis. Nomboh hingegen sah zu Nalani. „Natürlich gibt es Trainingsmethoden für diese automatischen Zauber-Impulse, aber das… trainiere ich normalerweise mit meinen Schülern, und die sind zehn Jahre älter als Puran jetzt! Er kann doch noch nicht mal die Grundzauber, wie kann ich da schwere Kontrollübungen mit ihm machen? Dafür ist seine Seele noch gar nicht stark genug, Nalani…“ „Verdammt, aber irgendwas müssen wir doch machen können! Wenn das wieder passiert, tötet er nächstes Mal jemanden damit! Gibt es keine Lösung, seine Fähigkeiten zu blockieren, so lange, bis er sie benutzen und beherrschen kann?“ Die Chimalis-Brüder sahen sich an. Zoras seufzte und holte sich eine neue Zigarette, die er sich ansteckte und den Rauch in die Luft pustete. „Es gibt Medikamente, die wie eine Blockade wirken,“ berichtete Nomboh dann, „Keisha kennt sich da aus, dieses Zeug ist aber nicht ohne spezielle Genehmigung zu bekommen… du verstehst sicher, sonst könnte man ja jedem Magier einfach Tonnen diesen Pulvers in den Wein kippen und würde ihn komplett entwaffnen.“ „Ich werde mein Kind nicht vergiften,“ stellte Nalani klar, „Ich möchte nur, dass die Umgebung vor diesen Impulsen sicher ist, bis er alt genug ist, sie selbst zu beherrschen. Gibt es nichts Harmloseres dafür als die richtig schweren Blocker?“ Puran erschauderte. Aber vielleicht war es gut, wenn sie ihn komplett entwaffneten, dann könnte er nicht so furchtbar werden wie sein Großvater… „Ich will die Medizin, Onkel!“ Die Erwachsenen sahen geschlossen auf ihn herunter, Zoras Chimalis schloss kurz die Augen. Nomboh blinzelte. „B-bitte was?“ fragte er verdutzt. „Ich… ich möchte kein Ungeheuer sein, vor dem alle sich fürchten!“ platzte der Kleine aufgelöst heraus, „Ich mache alles, was ihr sagt, alles, was sein muss, egal, wie eklig es ist, egal, wie schlecht es für mich ist! Ich… möchte nur nicht mehr Stimmen hören und Geister rufen, nie wieder…“ „Von nie wieder war keine Rede,“ sagte Nalani verblüfft, „Nur für eine Weile, bis du älter bist.“ Jetzt erhob Keisha sich auch und seufzte. „Die Geisterstimmen wird es nicht verjagen, Puran,“ sagte sie zu ihm, den Kopf senkend, „Deine Großmutter hört auch viele Stimmen und sieht viele Bilder, sie hat auch schon versucht, sie los zu werden, erfolglos. Du musst es so sehen, es… ist eine große, ehrenwerte Gabe des Himmels, dass du sehen und hören kannst ohne Augen und Ohren. Nur wenige Schamanen können es so wie du, deine Mutter oder deine Großmutter.“ Puran war nicht zufrieden. „Ich möchte die Gabe aber nicht!“ empörte er sich, „Die Gabe macht, dass die Leute uns hassen, oder nicht?!“ Alle sahen sich an. „Oder nicht, Mutti?! Wieso starren die Menschen uns an oder flüstern, wenn sie uns sehen? Wieso weichen sie zurück?“ „Das liegt nicht an den Gaben, sondern an deinem Großvater, der alles kaputt gemacht hat!“ erwiderte Nalani ernst. „Die Gaben des Himmels solltest du ehren, Puran.“ „Wir Schamanen können drei mächtige Gaben erlangen,“ sagte Nomboh, „Die des Sehens, die des Hörens und die des Rufens. Um Geisterjäger zu werden, wie wir hier es sind, brauchst du alle drei Gaben. Die Medikamente, die Keisha hat, können deine Rufgabe sperren, solange du sie regelmäßig nimmst… die Rufgabe ist von den dreien die seltenste, mächtigste und gefährlichste, und dennoch die einzige, die man bändigen kann… jemandem die Magie zu blocken ist eine gefährliche Waffe, Puran, ein Schwarzmagier ohne Magie ist völlig nutzlos, oder jedenfalls nicht nützlicher als jeder Nichtmagier, sofern er mit Waffen umgehen kann, Heiler, die solche Medikamente effizient einsetzen, könnten damit den gesamten Geisterjägerrat außer Gefecht setzen und damit sozusagen die Garde dieses Landes entwaffnen. Unterschätze also niemals, niemals einen Heiler…“ Er sah dabei blöd grinsend zu seiner Frau Keisha, die schnaubte. „Weil diese Medikamente aus genau diesem Grund nicht öffentlich zulässig sind, kann ich dir keinen Massenvorrat geben, Nalani,“ sagte sie, „Du bist ein ehrbarer Mensch und würdest niemals Medikamente missbrauchen, das weiß ich, aber eigentlich darf ich dir so etwas nicht unter der Hand geben, Familienfreundin hüh oder hott. Wenn die Obersten des Heilerrates erfahren, dass ich ihnen die offizielle Notwendigkeit dieser Zugs unterschlagen habe, reißen die mir den Kopf ab…“ „Ist es in den Augen dieser Obersten nicht notwendig, dass ich mein Kind in die Schule schicke und es normalen Umgang mit Menschen haben kann?“ wunderte sich die Schwarzhaarige, und Keisha seufzte. „Nein. Dein Fall würde bei denen nie als dringend nötig bezeichnet werden.“ „Wie bitte?! E-er hat drei Jungen schwerst verletzt und wenn es öfter passiert, tötet er vielleicht Menschen! Das nennen die nicht dringend nötig?!“ „Du müsstest ihn nicht zur Schule schicken, wäre deren Antwort,“ erwiderte die Heilerin, und alle sahen sie an, Puran auch. „Nalani – sieh mich an, ich weiß, wieso du das tust, aber das sind persönliche Gründe, er könnte genauso gut einen Hauslehrer bekommen, würden die im Heilerrat sagen. Sie würden mir niemals erlauben, dir dieses Zeug zu geben, denen ist egal, ob ihr euch wieder an das Volk angliedern könnt oder nicht, die sind vermutlich sowieso nicht gut auf euch zu sprechen…“ „Heißt das jetzt, ich soll klein mit Hut sein und nichts tun?“ „Natürlich nicht!“ empörte sich Keisha, „Ich gebe dir die Medizin ja, Nalani! Aber ich möchte, dass du darüber… zu keinem ein Wort verlierst. Keinem, nicht mal Tabari oder dem Rest der Familie. Und deiner Schwiegermutter nicht, die hat eine grausame Art, mit Medikamenten umzugehen.“ „Heißt das, ich kann nicht mehr zaubern?“ fragte der Kleine aufgeregt und sprang auf, „Wenn ich diese Medizin nehme?“ „Für’s erste,“ war Nalanis Antwort, und sie strich ihm zärtlich über den Kopf, „So lange, bis du alt genug bist, um es zu lernen, mein Sohn.“ „Dann bin ich niemals alt genug!“ entschloss er prompt und wurde von allen erstaunt angesehen, „Ich werde niemals ein Schamane werden, nie im Leben!“ _____________________________ booyah o_o nichts passiert, nur dramaqueens am rumrennen. xD Rams 'Fall tot um' war aus Shaman King geklaut... aber das war einfach SO geil xDD Salihah und Zoras durften sich mal wieder Random-Liebhaben xD Nalani setzt ihr Kind auf Drogen, hahaha XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)