Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 21: Kontrolle --------------------- Wenn Puran dachte, der Magie aus dem Weg zu gehen wäre leicht, hatte er sich schwer getäuscht; und es sollte nicht lange dauern, bis er das zu lernen hatte. Egal, wie sehr er versuchte, die Gaben, die ihm geschenkt worden waren, zu unterdrücken und in eine innere, winzige Kammer seines Geistes zu sperren, egal, wie viel von der Medizin er bekam und wie lange er es tatsächlich kontrollieren konnte, eines Tages brachen die Impulse der Magie aus ihrem Kämmerlein aus und warfen ihn gnadenlos zurück in die Wirklichkeit; In die Wirklichkeit, dass er als Magier geboren worden war und nicht davon rennen können würde. Im Wald war es finster. Der Junge rannte, um das tote Reh zu erreichen, das vor ihm weglief. Egal, wie schnell er rannte, das Tier lief schneller und schneller, bis das Kind plötzlich wütend ob des Misserfolges seinen Speer hoch riss und ihn mit aller Kraft nach dem Reh schleuderte. Die goldene Spitze des riesigen Speeres durchbohrte das Fleisch und streckte das Tier nieder, sein Blut besudelte die pechschwarze Erde des Waldes. Bebend stand Puran über der erlegten Beute und starrte keuchend auf sie herab, die kleinen Hände verkrampft zu Fäusten geballt. Er hatte es getötet. Er hatte es getroffen und jetzt war es tot… wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet? Wie oft hatte er diesen Traum gehabt, wie viele Nächte auf die Antwort des Rätsels gewartet…? Aber statt der ersehnten Antwort kam Ram Derran. Plötzlich tauchte der Junge aus dem Nichts vor Puran und dem Reh auf, starrte ihn schweigend und hasserfüllt an, die Fäuste ebenfalls geballt. „Ihr seid Schuld!“ zischte er dann und verengte die schmalen Augen zu noch schmaleren Schlitzen. „Ihr seid Schuld, weil ihr alles besitzen und beherrschen wollt, ihr Lyras! Ihr widerwärtigen Schweinehunde, euretwegen musste mein Bruder sterben!“ Er trat nach dem toten Reh und Puran fuhr zurück, als er plötzlich kalte Hände auf seinen schmalen Schultern spürte. Eine kehlige Stimme, die er kannte und fürchtete, krächzte ihm ins Ohr: „Willst du dir das gefallen lassen, mein Enkel? Mein Erbe…?“ Der Junge erzitterte und wollte schreien, als sein Großvater ihm den Kopf tätschelte, als Ram, der ihn so hasste, auf ihn zu stürzte mit erhobener Faust, um ihm den Verstand aus dem Kopf zu prügeln… doch ehe etwas geschehen konnte, explodierte mit einem ohrenbetäubenden Krachen der Himmel. Ein glühend heißes, tödliches Feuer ergoss sich über die Welt und zerstörte Kelar und Ram, fraß das Reh und zog einen lauernden Kreis um den Jungen, der sich hastig umdrehte, umzingelt von Flammen, die empor schossen. Sie waren überall und sie kamen näher, sie zischten ihn an und verhöhnten ihn. „Narr, Puran… du kannst nicht fliehen. Egal, wohin du läufst, wir sind bei dir. Egal, wie schnell du läufst, wir sind schneller. Du kannst nicht weglaufen vor dem Ende der Welt.“ „Nein!“ schrie der Junge panisch und versuchte es dennoch, aber der Feuerkreis war zu eng, die Flammen verbrannten schmerzhaft seine Beine, als er ihnen zu nahe kam. „D-das Ende der Welt?!“ empörte er sich, „Ihr Geister seid Lügner!“ „Ja, das Ende,“ sprachen die Flammen bösartig. „Dein Weg ist versperrt.“ Puran fuhr schreiend aus dem Schlaf hoch. Eine Weile lag er keuchend da und lauschte dem Rauschen des Blutes in seinem Kopf, er fragte sich kurz, ob er wirklich geschrien hatte oder ob das zum Traum gehörte, denn nichts geschah… wo war seine Mutter? Er erinnerte sich, dass sie früher immer gekommen war, wenn er nachts aufgewacht war. Aber der letzte Traum, den er gehabt hatte, war weit über zwei Jahre her. Vielleicht war Nalani es nicht mehr gewohnt, zu kommen, vielleicht hatte sie vergessen, dass es die Träume gab… Puran hatte es selbst vergessen bis zu diesem Moment. Bis zu dieser Nacht, in der die Geister ihm grausam bewusst gemacht hatten, dass sie noch da waren… in seinem Inneren, überall. Und sie würden ihn nicht verschonen, egal, wohin er rannte. Es war nicht seine Mutter, sondern seine Großmutter, die kam. Sie war notdürftig in einen seidenen Morgenmantel gehüllt und ihre schwarzen Haare standen zerzaust von ihrem Kopf ab, als hätte sie sich viel im Bett herum gewälzt. Großmutter sah seltsam aus, wenn sie nicht hübsch gemacht war, fand der Junge; wie eine alte Wetterhexe, gruselig und dennoch ehrerbietend. „Du siehst Bilder… ich habe euch doch vor Jahren gesagt, dass du nicht wegrennen kannst, Puran,“ war Salihahs kühler Kommentar. Der fast neun Jahre alte Junge setzte sich heftig atmend im Bett auf. „Warum bist du hier?“ wollte er kleinlaut wissen. „Weil deine Mutter schläft und nicht kommt,“ sagte die Frau. „Und einer nach dir sehen sollte, bevor du vor Angst von der Klippe springst.“ Sie setzte sich ruhig zu ihm ans Bett, griff ein Glas vom Nachttisch und füllte mit einer Handbewegung mittels des Zaubers Alara Wasser hinein. „Trink, das tut gut,“ erläuterte sie ihr Tun, als sie ihrem Enkel das Wasserglas hinhielt. Er nahm es stumm und trank einen Schluck. Es war seltsam; obwohl Großmutter gruselig aussah, beruhigte ihn ihre Anwesenheit tatsächlich. Es war, als könnten die Geister nicht an ihn heran, um ihn weiter zu quälen, solange Salihah da war. Al fürchteten sie diese eigenartige Frau. „Wieso kommt jetzt nach zweieinhalb Jahren wieder so ein Traum, Großmutter?“ murmelte das Kind bedrückt, „Ich… i-ich dachte, ich hätte das… unter Kontrolle.“ Salihah lächelte sanft. „Kontrolle, sagst du? Dummer Puran…“ Sie strich ihm zärtlich über die Wange. „Du kannst diese Gaben nicht kontrollieren. Nicht in deinem Alter. Es wird eine Zeit kommen, da du sie besser beherrschen wirst; du bist der Sohn einer großen Familie, du bist dazu bestimmt. Deine Gaben… die Geister, die du versuchst, in dir zu verstecken, erzwingen sich ihren Weg aus deinem Geist, deswegen kommen die Visionen. Je länger du versuchst, sie einzusperren, desto größer wird ihr Wille, zu entkommen. Das ist wie wenn du versuchst, ein Kaninchen in eine Kiste zu stopfen. Es wird sich wehren und wehren, wenn du es hinein pressen willst, und je länger du presst, desto schwächer werden deine Arme, weil du immer mehr Kraft verbrauchst, bis sie irgendwann nachgeben und das Kaninchen sich befreien kann.“ „Wieso geht dem Kaninchen nicht die Kraft aus?“ beschwerte Puran sich, „Es ist kleiner als ich und muss sich viel mehr anstrengen, um gegen den Deckel der Kiste zu hopsen, während ich nur drücken muss!“ Salihah lachte. „Das stimmt… ein Kaninchen hättest du vielleicht geschlagen. Aber die Geister, Puran… die sind niemals erschöpft.“ Der Junge schwieg verbittert. Dann bedeutete das, es könnte wirklich nie vor seinem Schicksal wegrennen, weil die Geister nie aufgeben würden? Die Großmutter stand wieder auf und drückte ihn sanft zurück ins Bett, die Decke über ihn legend. „Schlaf,“ befahl sie leise, „Morgen ist Schule, du musst munter sein. Denk nicht mehr darüber nach. Die Geister sind launisch in der letzten Zeit.“ Damit ging sie zur Tür und hatte sie fast geschlossen, als das Kind ihr nachrief: „Großmutter! Sag… gibt es ein Ende der Welt?“ Salihah hielt für einen Moment inne und sah ihn verblüfft über diese Frage an. Dann drehte sie sich endgültig ab und sprach, indem sie die Tür schloss. „Niemand kennt den Anfang dieser Welt. Daher kennt auch niemand ihr Ende…“ Zoras Chimalis drehte mit einem Seufzen den Kopf, als seine Geliebte zurück in ihr Schlafzimmer kehrte. „Das gab es hier wohl lange nicht…?“ fragte er sie, als sie vor dem Bett stand und ihren leichten Morgenmantel wieder auszog. „Nein, ziemlich lange nicht,“ erwiderte sie, „Sie sollten aufhören mit den Blockern, bevor sie den Jungen damit umbringen. Hat deine Schwägerin Keisha eigentlich eine Ahnung, was sie Nalani da andreht, oder ist sie eine armseligere Heilerin als ich gedacht habe?“ „Keisha tut das nicht, um Puran zu töten, sie wollte Nalani auch nur helfen,“ machte der Mann murmelnd, während er sie ansah, als sie zu ihm ins Bett kam und nackt über ihn krabbelte. Ihre Hände fuhren sanft über seine Brust und er schauderte. „Ich weiß, ihr sorgt euch alle… der Kleine hat es nicht leicht. Die Gaben sind mächtig in seinem Geist, Salihah. Wenn sie nicht aufhören, seine Instinkte zu blockieren… wird das übel enden, du weißt das.“ „Ich spreche morgen mit meinem Sohn,“ versprach die Frau dumpf, als sie sich über ihn beugte und ihr Gesicht zärtlich an seines schmiegte. Die Wärme zwischen ihnen war angenehm… wie viele Nächte seit dem Tod ihres Mannes hatten sie jetzt schon gemeinsam verbracht? Zu viele… aber es würde keine Geister mehr geben, die ihre Vereinigungen erzürnen könnten. Er hatte keine Frau mehr und sie keinen Mann. „Was hat Puran gesehen, Salihahchen…?“ flüsterte Zoras dumpf, während ihre Hände über seinen Körper glitten und er ihre runden Brüste gegen seine Haut drücken spürte. Sie waren immer noch prall und weich wie in alten Zeiten. Die Frau antwortete, bevor sie ihn verlangend auf die Lippen küsste. „Das Ende der Welt…“ „Weil keiner den Anfang dieser Welt kennt, kennt auch niemand ihr Ende…“ Puran wiederholte die seltsamen Worte seiner Großmutter im Kopf, während er der Stimme vor sich nicht weiter zuhörte und mehr und mehr in die Finsternis seiner Gedanken abzutauchen begann. Dann wurde er plötzlich durch einen Schlag auf den Hinterkopf geweckt, darauf ertönte noch ein Klatschen neben ihm und ein Husten von Travi. „Seid ihr wieder wach?!“ schnappte Lehrerin Kalih empört, die sich hinter der Bank der beiden Jungen aufgebäumt hatte. In der Hand hielt sie das Lehrbuch von Landeskunde. „Travidan, hör auf, im Unterricht zu futtern, und Puran, hör auf zu schlafen! Nachsitzen, alle beide!“ Die Klasse kicherte verhalten. „Ruhe, oder wollt ihr mit nachsitzen?!“ Sofort verstummten alle, während Puran sich stöhnend aufsetzt und sich den Kopf rieb, den diese brutale Frau mit dem Landeskundebuch geschlagen hatte. Er würde noch verblöden und sie wäre Schuld… Er blickte zu Travidan. Der Sohn des Müllers sah nur verblüfft zurück und ein paar Krümel fielen von seinen Lippen. „D-du hast Tinte vom Heft auf der Backe…“ nuschelte der Blonde dann, als Frau Kalih wieder nach vorn zur Tafel ging. Puran schnaubte müde und wischte sich hastig über die Wange, ohne zu merken, dass er dabei das sauber spiegelverkehrte A nur verwischte und seine Wange damit ganz schwarz machte. Er hasste es. Konnten die ihn nicht schlafen lassen? Da kam er nachts um seinen Schlaf und in der Schule auch, weil die Lehrerin seit ein paar Tagen irgendwie besonders auf ihn achtete, hatte er das Gefühl. Während er gähnte und sich immer noch über die Wange wischte, hatte die Lehrerin ihn auch schon wieder auf dem Kieker. „Da du ja so gut aufgepasst hast, Puran, kannst du uns sicher sagen, in wie fern sich die Landschaft von Noheema von der der anderen Provinzen unterscheidet?“ Der Junge blickte verblüfft an die große Landkarte, die sie vorne aufgehängt hatte. Zu sehen war das Land Kisara, von dem Dokahsan eine Provinz war. Noheema? Was wollte die von ihm, was und wo war bitte Noheema? „Noheema ist, äh, unten links!“ zischte Travi ihm noch zu, und der Junge blinzelte verwirrt auf die untere linke Ecke der Karte. „Ähm…“ machte Puran zur Dehnung, während er nach und nach alle Blicke der Klasse auf sich zog. Einige kicherten und zeigten auf seine schwarze Wange. „Ähm, unterscheidet…?“ machte er weiter und überlegte, „Äh… dass… es an Senjo angrenzt…?!“ „Wie bitte?“ machte Frau Kalih und zeigte mit einem Stock auf die Karte, „Noheema ist im Südosten, was du meinst ist Thalurien!“ Die Klasse brüllte vor Lachen. Travi hustete. „Du hast mir was Falsches vorgesagt, du Großmaul,“ schnaubte Puran seinen Freund an, „Du schuldest mir ein Wurstbrot, Mann!“ „Na toll… tut mir ja leid…“ Währenddessen gab Frau Kalih es auf und nahm jemanden anderes dran, der ihr dann erklärte, dass Noheema fast nur aus Wald bestand und sich dadurch von den anderen Provinzen unterschied. „Wen interessiert der doofe Wald in Noheema?“ jammerte Puran gedämpft an Travi gewandt, „Die vierte Klasse ist noch furchtbarer als ich gedacht habe.“ „Ja, grausam. Dabei war die dritte schon so ätzend, Frau Kalih wird immer strenger, oder liegt das an uns? Wir sind ja wirklich keine Weltmeister im Aufpassen…“ meinte Travi und naschte heimlich von einer Brezel aus seiner Tasche. „Vati sagt, wenn Frauen sich komisch benehmen und leicht reizbar sind, kriegen sie Kinder,“ orakelte Puran gelangweilt, und Travi hatte keine Ahnung; da unterbrach die Stimme der genervten Lehrerin ihr Gespräch erneut. „So! Bevor wir gleich in die Pause gehen, habe ich noch etwas Wichtiges anzusagen. Das betrifft aber nur die Magier in der Klasse, die Nichtmagier können jetzt einen Moment schlafen.“ „Juhu!“ entfuhr es Travi, worauf alle lachen mussten. Puran stöhnte. „Na toll. Können wir tauschen, ich schlafe und du hörst zu…“ Leider begann die Frau vorne schon zu sprechen. „Ihr seid jetzt in der vierten Klasse und alt genug, um das Zaubern zu lernen. Es wird für das Lernen der Grundzauber einen Kurs geben, er wird jeden Montagnachmittag stattfinden im oberen Stockwerk. Herr Masava wird euch unterrichten.“ Aufgeregtes Murmeln begann. Die Mehrheit der Schüler waren Schamanen, Nichtmagier wie Travi waren nur wenige in Dokahsan. Dafür waren in anderen Provinzen nicht so viele Schamanen. Puran blinzelte. Wie bitte, Unterricht für das Zaubern? Das war nicht gut. Er wollte nicht zaubern, er hatte sich doch geschworen, niemals zaubern zu lernen! Doch ehe er darüber nachdenken konnte, fragte schon einer seiner Klassenkameraden: „Ist der Unterricht Pflicht, Frau Kalih?“ „Was soll das denn heißen? Natürlich ist er das, es sei denn, eure Eltern oder andere Bekannte übernehmen den Teil der Ausbildung und möchten das selbst machen. Jeder bekommt von mir einen Zettel, auf dem alles steht. Gebt den euren Eltern und wenn welche von euch nicht in der Schule unterrichtet werden wollen oder können, sollen die Eltern darauf unterschreiben.“ Während sie sprach, verteilte sie bereits die zettel, bis jeder Magier einen vor sich liegen hatte. Puran betrachtete das Blatt stirnrunzelnd. „Ich möchte die Blätter morgen unterschrieben wiederhaben. Der Kurs beginn erst in einer Woche.“ Oh ja, eine Woche war gut. Bis dahin würde dem Jungen etwas einfallen… um diese Katastrophe zu verhindern. „Ich verstehe dein Problem nicht,“ sagte Kannar verdutzt, als Puran wild gestikulierend mit dem halb zerknüllten Zettel vor seiner Nase herum wedelte. „Wieso willst du nicht zu diesem Kurs? Wir können uns nicht drücken, das merken die doch!“ „Na, ich muss doch auch nicht hin,“ sagte Travi. Die drei Jungen hockten wie sie es oft taten auf einer kleinen Mauer am Rand des Hofes und diskutierten über den Zauberkurs. Kannar schlug dem Blonden gegen den Kopf. „Du kannst ja auch nicht zaubern, du Pfeife!“ Puran seufzte. „Verstehst du nicht, wenn ich zaubern lerne, bringe ich aus Versehen Leute um! Du weißt doch, was… am allerersten Schultag passiert ist! Ich kriege seitdem Medizin, die macht, dass ich nicht zaubern kann. Wenn ich die nicht mehr nehme, passiert sowas nur wieder, das darf ich nicht machen!“ „Dann nimm sie doch weiter,“ sagte Kannar verblüfft. Puran schnaubte. „Hallo, hast du geschlafen? Das Zeug macht, dass ich nicht zaubere, das heißt, ich kann gar nicht Vaira und so lernen, ich kann ja nicht zaubern!“ „Aaah,“ machten seine Freunde aufgeklärt im Chor und blickten sich darauf verdutzt an. Kannar kratzte sich am Kopf. „Na, dann ist es ja ganz leicht,“ machte der Heiler, „Man muss nicht hin, wenn die Eltern einen selbst unterrichten. Du musst nur deine Eltern ankreuzen lassen, dass sie sich alleine unterrichten, und dann musst du nicht hin.“ „Aber ich will gar nicht zaubern, weder mit noch ohne meine Eltern! Niemals, kapiert?“ „Weiß ich doch,“ sagte Kannar grinsend, „Du unterschreibst einfach selbst und erzählst deinen Eltern gar nichts davon. Frau Kalih wird denken, deine Eltern unterrichten dich, und deine Eltern wissen gar nichts. Was meinst du?“ Der Braunhaarige grinste und Puran blinzelte einen Moment. Dann grinste er ebenfalls und faltete den Zettel ordentlich zusammen. „Das ist eine hervorragende Idee, Kannar!“ Das erste Problem war die Unterschrift seiner Mutter, die er nicht bekommen würde. Oder seines Vaters, aber der war zurzeit unterwegs und nicht antreffbar. Zuerst dachte Puran sich, er würde einfach selbst Nalani Lyra auf das Blatt schreiben; aber nachdem er es ein paar Mal geübt hatte, fiel ihm auf, dass er seine Schrift nicht verändern konnte; Frau Kalih würde seine Handschrift erkennen. Sie war immerhin seine Lehrerin seit drei Jahren, sie hatte ihm das Schreiben beigebracht und wusste, wie er schrieb. Das hieß, er würde es jemanden anderen schreiben lassen… am besten ein Mädchen, denn Frauen schrieben anders als Männer und wenn es nach der Schrift seiner Mutter aussehen sollte – „Da bist du ja endlich!“ Er fuhr hoch aus seinen Gedanken, die er auf dem Heimweg von der Schule gehabt hatte. Er hatte das Schloss erreicht und seine Mutter stand am Tor, höchst erzürnt mit verschränkten Armen. „Wo bist du bitte gewesen?!“ begrüßte sie ihn barsch, „Ich warte seit Ewigkeiten auf dich!“ „Ähm…“ machte er erschrocken, „Wir, äh, mussten noch für Landeskunde was machen und das hat etwas gedauert, verzeih, Mutti…“ „Ja, ja, Landeskunde, du meinst wohl Strafarbeiten!“ schnaufte die Mutter, „Ich habe neulich mit Kannars Mutter gesprochen, ich weiß genau, was los ist, wenn du spät kommst! Erzählst du mir gleich, wieso ihr nachsitzen musstet, oder muss ich erst deutlicher werden?“ Er hustete gekünstelt. Oh je, das war nicht gut. „Travi hat im Unterricht gegessen und ich bin eingeschlafen.“ „Na siehst du, es geht doch. Rein jetzt, das Essen ist schon kalt.“ Damit schob sie ihren Sohn behutsam vor sich her ins Schloss und in Richtung Küche. Die Familie saß schon nicht mehr am Tisch. Der Küchenjunge und seine Frau, das Dienstmädchen, machten bereits den Abwasch. Kiuk lief geschäftig in der Küche umher. „Ah, Nalani,“ machte er, als die Frau ihr Söhnchen an den Tisch setzte und ihm seine Portion jetzt kaltes Essen hinschob, „Dich hab ich gesucht. Bist du in den nächsten Tagen daheim? Weil hier ja niemand ist, Tabari ist fort, Mutter ist in Tuhuli und verwaltet Tabaris Papiere, Sukutai und ich müssten eigentlich zu einem Treffen des TO nach Yiara, könntest du solange auf Alonachen aufpassen? Wir können sie schlecht mitnehmen…“ „Natürlich, keine Frage. Ist etwas passiert im TO?“ „Nein… nur das übliche, alljährliche Blabla, glaube ich.“ Nalani gluckste über diese Ansage. Das waren ja ganz neue Töne von Kiuk. Offenbar lag ihm Politik genauso wenig wie seinem Bruder. „Hat Tabari kürzlich spannendes berichtet? Irgendwas passiert im Kreis, womit man diese Leute im TO schockieren kann, damit sie nicht einschlafen?“ „Nun, nein, die Ernte ist mies gewesen dieses Jahr und es gibt zu viele Mäuler, die es zu stopfen gilt,“ war die Antwort seiner Schwägerin. Puran verfolgte das Gespräch der Erwachsenen wenig interessiert. Kaltes Essen war abscheulich… aber was sollte er machen? Er hätte eben früher kommen sollen, wäre Nalanis Antwort, wenn er sie gefragt hätte, ob sie es nicht wieder warm machen könnte. Dazu wäre der Feuerzauber Vaira jetzt gut… Oooh nein. Zaubern ist schlecht! „Zu viele Mäuler? Du liebe Zeit,“ sagte Kiuk perplex. „Diese Landeier vermehren sich, als gäbe es kein Morgen. Nicht nur in Dokahsan, in ganz Kisara wächst die Bevölkerung, als hätte jemand Brot umsonst verteilt. Wenn das so weitergeht, stehen uns in einigen Jahren oder Jahrzehnten herrliche Hungersnöte und Platzmangel ins Haus. Tabari ist auch schon begeistert von seinem Beruf als Verwalter eines Kreises, in dem die Geburtenrate seit – ähm – sicher fünfzig Jahren nicht mehr kontrolliert wurde. Ist das zu fassen? Kein Arsch hat das aufgeschrieben, keiner hat mal gezählt, wie viele hier am Rumrennen sind!“ „Nun, mein Vater hat sich ja nicht gekümmert-…“ „Ach, dein Vater, ich sage fünfzig Jahre, das war lange vor Kelars Zeit als Herrscher, vor fünfzig Jahren war Kelar noch nicht mal geboren, da hat schon dein Großvater gepfuscht, oder wer auch immer damals für diesen Haufen verantwortlich war, frag deine Mutter, die weiß ja sonst immer alles. Zum Eierlegen ist das.“ „Wieso weißt du mehr über die Zustände in Vikhara als Tabari?“ stöhnte Kiuk, „Wenn ich ihn frage, kommt immer Ach, wird schon irgendwie! ...“ „Ich drehe ihm den Hals um,“ versprach die Frau, „Wenn er nach Hause kommt, fessel ich ihn ans Bett und werde ihn sowas von-…“ Kiuk unterbrach sie laut hustend. „Nalani! Dein Sohn kann uns hören!“ Die viel zu rasch wachsende Bevölkerung im Land war nicht das, was Nalani am meisten Sorgen bereitete. Beunruhigender waren die seltsamen Träume, die sie mitunter heimsuchten, Träume, deren Bedeutung sie nicht verstand. Sie kamen nicht jede Nacht, aber mit konstanter Häufigkeit, und war immer wieder nahezu derselbe Traum. Aus einem pechschwarz verdunkelten Himmel kam ein Regen aus Feuer, der die ganze Welt in Flammen setzte. Und im Schreien des Todes, das auf der Welt ausbrach, tauchte am Horizont ein gewaltiger, brennender Ball auf, viel größer und viel tödlicher als die Sonne es sin könnte. Und sein Feuer verschluckte das Land und alles was auf ihm war, die Erde und auch den Himmel; am Ende des Traums explodierte das gesamte Feuer und eine Flut aus unzusammenhängenden Bildern und Bruchteilen von Visionen ergoss sich über Nalanis Kopf, während Stimmen wild durcheinander zischten, sprachen und schrien, die sie nicht verstehen konnte… Die Frau öffnete die Augen. Sie lag allein in dem Bett, dass sie normalerweise mit ihrem Mann teilte, der aber nicht daheim war. Es war mitten in der Nacht und stockfinster im Schlafzimmer, weil die schweren, alten Vorhänge das fahle Licht der beiden Monde Ghia und Zuyya abschirmte. Wieder dieser Traum… was wollen die Geister von mir? Wieso können sie mir nicht einfach sagen, was uns bedroht, was mich beunruhigt…? Seit Jahren.. sehe ich immer wieder den Regen aus Flammen und den Feuerball, der die Welt verschlingt… Was sie zusätzlich beunruhigte war, dass Tabari den Traum nicht sah. Tabari war der Herr der Geister, er war ein mächtiger Magier und an sich von den Geistern dazu privilegiert, wichtige Dinge zu sehen; und es war doch offenbar wichtig, wenn sie so oft davon träumte…? Ein dumpfes Poltern einige Räume weiter ließ Nalani den Kopf leicht heben. Als nichts weiter kam, stand sie auf und verließ das Schlafzimmer, um nachzusehen. Als erstes sah sie nach ihrem Kind, und weil sie nicht damit rechnete, das Geräusch wäre von ihm gekommen, erschrak sie beinahe zu Tode, als sie die Tür öffnete und Puran ihr aufrecht gegenüberstand, als hätte er hinter der Tür darauf gelauert, dass sie käme. Er war aschfahl und seine Augen waren ungesund geweitet, seine Hände bebten und ballten sich verkrampft zu Fäusten. „Puran?!“ keuchte Nalani entsetzt, und das Kind kippte ihr in die Arme wie ein totes Tier, wo es plötzlich laut zu keuchen und zu japsen begann, als bekäme es keine Luft. „Um Himmels Willen!“ rief die Mutter und wurde jetzt auch blass, als der Junge in ihren Armen so heftig erzitterte und unkontrolliert zu zucken begann, dass er ihr beinahe heruntergefallen wäre. Dabei stöhnte er: „S-sag ihnen, s-sie… sollen weggehen, Mutti…! Sag ihnen, sie s-sollen… mich in Ruhe lassen…!“ „Du liebe Güte,“ machte sie und hockte sich rasch mit ihm zu Boden, wo sie ihn behutsam in ihre Arme zog, „Beruhige dich! Wer soll verschwinden?“ „Die Geister… s-sie reden mit mir und sie sagen Dinge, die ich nicht hören will!“ wimmerte Puran und zuckte nur heftiger, als sie ihn liebevoll umarmte; dann fiel der Schock offenbar plötzlich von ihm ab und er fing plötzlich wie ein Kleinkind zu heulen an, vergrub sein Gesicht panisch an Mutters Brust und klammerte sich schreiend an sie. „Ich will nicht, dass sie mit mir reden, ich will gar nichts, sie sollen weggehen!“ „Puran, sie wollen dir nichts Böses!“ machte Nalani ernst und war besorgt über diese übermäßig heftige Reaktion. Er war gar nicht ruhig zu kriegen und in plötzlicher Wildheit riss er das Gesicht hoch und stierte sie wutentbrannt an mit einem Blick so voller Zorn und gleichzeitig blinder Panik, dass sie erstarrte. „Mach sie weg!“ fuhr er seine Mutter schrill an und seine Stimme überschlug sich, „MACH SIE WEG, ODER ICH BRINGE EUCH ALLE UM!“ Als Nalani noch völlig baff von dem Ausbruch war, fassungslos in sein hübsches, aber wutverzerrtes Gesicht blickend, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. „Ruhig jetzt,“ hörte sie Kiuks Stimme, hinter dem auch Sukutai im Nachthemd stand und entsetzt schaute. Aus der anderen Richtung kam Salihah. „Was habe ich euch gesagt?“ murmelte sie mit Blick auf das wieder verstört in sich zusammensackende Kind, das wieder zu heulen begann, „Die Blocker bringen ihn um den Verstand! – Nimm ihn hoch, rasch, Sukutai, weck ein Mädchen und lass es Tee kochen, jetzt sofort.“ „Sehr wohl,“ gehorchte die Telepathin erschrocken und rannte hinunter. Puran sagte nichts mehr und wimmerte nur, als Nalani ihn ebenfalls verstört auf die Arme nahm und ihn zärtlich an sich drückte. „Was ist hier los?!“ fragte sie aufgelöst, „Gibt es denn nichts, was wir tun können?!“ „Du solltest dir von Keisha irgendwas anderes geben lassen,“ sagte die Schwiegermutter und fühlte besorgt nach der verschwitzten Stirn des Kindes. „Wenn er dieses Zeug länger kriegt, wird er noch vor Einbruch des Winters sterben, Nalani.“ Der Tee beruhigte ungemein. Nicht nur Puran, auch die verstörten Erwachsenen. Nalani fiel ein Stein vom Herzen, als der Kleine sich sehr rasch erholte von dem Schock, den der Traum ihm offenbar beschert hatte. Für einen Moment, den sie ihn angesehen hatte, hatte sie der Wahnsinn in seinen Augen angegrinst wie ein alter, verhasster Bekannter. Wahnsinn… es gab zu viel davon in dieser Familie. Unauffällig linste Nalani zu ihrer Schwiegermutter, die, so kam es ihr vor, je älter sie wurde auch immer mehr ihres gesunden Verstandes einbüßen musste. Waren es die Visionen, die sie die Nerven kosteten? Sie fragte sich, was mit ihrem Sohn geschehen würde, der schon so jung solche Träume hatte und jetzt schon verrückt davon wurde… „Was… hast du gesehen, Puranchen?“ fragte die Großmutter jetzt sehr ruhig und behutsam, dem Kind dabei fest ins Gesicht blickend. Puran drehte den Kopf unbehaglich weg und trank lieber noch etwas Tee. „Das Ende der Welt,“ war seine Antwort, die Salihah bereits erwartet hatte. Nalani, Kiuk und Sukutai sahen sich besorgt an. „Das Ende der Welt?“ fragte erstere. Salihah hob langsam den Kopf. „W-was hat das zu bedeuten?! Mutter…?“ „Was wir tun müssen, ist, seinen Geist zu stärken,“ sagte die Ältere dann in aller Ruhe. „Er kann das nicht alleine kontrollieren, weder die Visionen noch die Magie, er ist viel zu jung, um damit umgehen zu können. Er hat das Pech, im Gegensatz zu mir Schwarzmagier zu sein, seine übernatürliche Sehensgabe ist gekoppelt an das übernatürliche Talent seiner Vorfahren, das macht es doppelt schwer. Der Junge ist, was Magie angeht, ein absolutes Genie, um es so auszudrücken. Was bei mir in meiner Kindheit nur unangenehm für mich war, diese Visionen, sind bei ihm durch das Zusammenspiel von Sehen und Rufen gefährlich, solange er es nicht kontrollieren kann.“ „Deswegen doch die Blocker!“ rief Nalani verzweifelt, „Dafür waren die doch da!“ „Das ist zu hoch für ihn, er ist nur ein Junge,“ widersprach Salihah ihr ernst, „Das ewige Unterdrücken seiner Instinkte bringt den ganzen Magieapparat zum Explodieren, wenn man so will, wenn du ihm noch weiter diese Medizin gibt, wird er ohne Zweifel nicht mal zehn Jahre alt werden!“ Puran keuchte. Was für ein grausames Spiel spielten die Himmelsgeister mit ihm und seiner Familie? Er hasste es… wieso musste er komisch sein, anders als andere Kinder? Wieso konnte er nicht normal sein, ohne diese Probleme, die kein Mensch außer ihm zu haben schien? Seine Eltern waren hervorragende Magier, aber sie hatten nie solche Probleme gehabt! Er erzitterte und umklammerte seine Teetasse. „Ich will das nicht!“ schluchzte er dann aufgelöst, worauf sich ihm alle zuwandten. „Ich möchte nicht anders sein, ich will normal sein!“ Salihah seufzte leise. „Das wirst du nie sein,“ nahm sie ihm gemeinerweise die Hoffnung, „Es tut mir leid, das so hart zu sagen, aber es ist wahr und du kannst es nicht ändern. Du bist geboren worden und warst etwas Besonderes.“ „Aber wir müssen doch etwas machen können!“ rief Sukutai, die auch fast heulte, „Seht ihn euch an, das ist doch grauenhaft! Was für ein Schicksal hat ein unschuldiges Kind, das so leiden muss?! Wie können die Geister es wagen, so etwas Unverschämtes zu bestimmen und dem Jungen sein Leben so zu versauen?! Ich will, dass etwas geschieht!“ „Es sind nicht die Geister, die es ihm schwer machen, sondern die Menschen,“ erklärte Salihah dumpf, worauf alle schwiegen. Puran schniefte unglücklich und lehnte den Kopf an Nalanis Arm, worauf sie ihn zärtlich an sich zog und ihn dann, einen Arm um ihn legend, sanft hin und her wiegte. „Geh zu Keisha und rede mit ihr, Nalani. Es muss andere Wege geben, die seine Instinkte schwächen, damit er normal mit ihnen umgehen kann wie jedes andere Schamanenkind mit Magie umgehen kann. In Tuhuli werden sie etwas finden, Nomboh ist immerhin Magielehrer, er kennt sich aus. Ich frage Zoras bei Gelegenheit mal, wenn du magst.“ „Das ist sehr nett, danke,“ sagte die Schwarzhaarige leise. „Aber ich werde morgen gleich nach Tuhuli fahren, je eher ich es tue, desto besser. – Und du solltest jetzt wieder schlafen, morgen ist Schule, mein Sohn.“ Puran drückte schweigend den Kopf an ihre Seite, um ihr zu signalisieren, dass er absolut nicht wollte, dass sie wegging, und so seufzte sie wieder. „Du darfst bei mir schlafen, wenn du möchtest, dann bist du nicht so allein. In Ordnung?“ Der Kleine nickte stumm. Ja, sehr in Ordnung. Nirgends schlief es sich so gut wie bei Mutti im Bett… Etwas zu gut vielleicht, stellte der Junge fest, als er am nächsten Morgen wach gerüttelte wurde. „Du schläfst ja noch immer, wir müssen los nach Gahti!“ Puran hob verpennt den Kopf aus dem weichen Kissen. Seine Mutter stand bereits gemantelt und gestiefelt am Bett und war offenbar höchst verwirrt. „Was…?“ nuschelte er nur, und sie rüttelte ihn erneut. „Ich habe dich doch schon vor längerer Zeit zwei mal gerufen und gerüttelt, ich dachte, du wärst längst auf!“ rief Nalani, „Und du liegst noch im Bett, rasch, wasch dich, zieh dich an, Frühstück gebe ich dir mit, dafür ist keine Zeit!“ Sie schneite hinaus und langsam kam es auch bei dem Jungen an, dass der Morgen da war. Er musste zur Schule – ein Blick zum Fenster, dessen Vorhänge bereits offen waren, sagte ihm dann, wie spät es wirklich war. Und er sprang mit einem Fluchen aus dem Bett seiner Eltern. „Oh, verdammter Mistdreck!“ Im Flur rannte er beinahe Sukutai und eine Dienerin um, als er zu seinem eigenen Zimmer hechtete und so schnell wie noch nie in seinem ganzen Leben in seinen Kleidern war bei einer hastigen Katzenwäsche über dem Wassereimer im Bad bespritzte er dann sein ganzes Hemd mit eiskaltem Wasser, ehe er wieder ins Zimmer rannte und seine Schulsachen holte – sein Blick fiel auf den Zettel, den er unterschreiben lassen musste. Verdammt – das hab ich ja ganz vergessen! „Kommst du endlich?!“ hörte er Nalani unten rufen, und er rannte japsend aus dem Zimmer, den Flur entlang und zum Zimmer seiner Cousine. „Sofort, Mutti! – Alonachen, tu mir einen großen Gefallen und schreib Muttis Namen da unten hin! Schnell, jetzt sofort, ich mache nachher auch, was du willst!“ Die fünfjährige Cousine saß spielend auf dem Boden vor ihrem Puppenhaus und war ganz überrumpelt von der stürmischen Bitte ihres Cousins. Sie ging noch nicht zur Schule, aber sie konnte schon die Namen ihrer engsten Verwandten schreiben, nachdem Puran ihr einige Buchstaben beigebracht hatte. Sie machte das sehr schön, fand er. Und sie war ein Mädchen, wenn sie Nalani Lyra auf das Blatt schrieb, würde das gar nicht auffallen; Frau Kalih kannte weder Nalanis noch Alonas Schrift, wie sollte sie es also wissen? „Wieso?“ fragte das Mädchen jetzt perplex. „Egal, mach einfach, jetzt sofort, ich bin ein Mann und du musst mir gehorchen!“ zischte Puran und tappte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Verdammt, sie sollte sich beeilen! Alona hatte alle Zeit der Welt. „Musst du mal?!“ neckte sie ihn, weil er so hibbelte, und er hielt inne und blinzelte. Hm, jetzt wo sie es sagte… „Mist, wenn ich wiederkomme, hast du es geschrieben!“ fluchte er, „Wenn nicht, verprügel ich dich, Alona!“ Das würde er nie wirklich tun… dazu hatte er sie zu lieb. Sie war nicht seine Cousine, für ihn war sie seine Schwester, er konnte sich gar nicht vorstellen, wie das Leben im Schloss ohne sie wäre. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit, deswegen tat Alona sehr artig, was er ihr aufgetragen hatte, während er auf Toilette war, und hielt ihm den wunderschön gefalteten Zettel hin, als er zurück kam. „Bitte schön,“ sagte sie höflich, „Du schuldest mir was. Ich will einen Kuchen und dass du einen Nachmittag mit mir Puppen spielst!“ „Ja, ja, alles, Kleine,“ stöhnte er und stopfte den Zettel in seine Hosentasche, wobei er ihn völlig zerknitterte. Alona rümpfte die Nase. „Du Unhold,“ schimpfte sie, „Ich habe es so schön gefaltet und du zerknüllst es, Puran! Das ist nicht sehr vornehm, du!“ „Das ist mir scheißegal,“ war seine Antwort, „Danke, ich muss los!“ Dann war er weg und die Kleine schnappte höchst entsetzt nach Luft. Dann sprang sie auf und kreischte gellend: „Mutti, Mutti! Puran hat das Wort mit S gesagt, ganz laut, ich hab es gehört!“ Da Nalani auf dem Weg nach Tuhuli durch Gahti kommen würde, nahm sie ihr Kind auf dem Weg gleich mit auf das Pferd und setzte ihren Sohn vor der Schule ab. In Gahti musste sie das Pferd führen, weil die gepflasterte Straße so uneben war, dass das arme Tier einmal beinahe gestolpert wäre und um ein Haar die beiden Reiter abgeworfen hätte. Sie waren spät dran und Nalani schob ihren Sohn energisch durch das Tor. „Jetzt beeil dich, du bist fast zu spät!“ machte sie, „Ich werde weiter zu Keisha gehen und sehen, was sich machen lässt.“ „Mach's gut, Mutti,“ erwiderte der Junge lächelnd, ehe er sich beeilte, zum Schulgebäude zu rennen. Nalani führte ihr Pferd gerade wieder vom Tor fort, als ihr plötzlich eine junge Frau entgegen gerannt kam. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Nalani die Mutter von Kannar, die Frau des Apothekers. „Was ist dir denn passiert, dass du so rennst?“ feixte die Schwarzhaarige, und die Frau japste. „Kannar ist so ein Schussel, jetzt hat er den Zettel für den Magiekurs liegen lassen, den er doch unterschrieben abgeben soll! Dieser Idiot, alles muss man ihm nachbringen!“ Nalani starrte sie an. „Was?“ machte sie, „Was für ein Magiekurs? Was für ein Zettel?“ Kannars Mutter hatte gerade zur Schule rennen wollen, jetzt blieb sie aber stehen und schaute verblüfft. „Wie, Ihr wisst nichts davon? Hat Puran das etwa nicht erzählt?“ Jetzt war Nalani ganz Ohr. „Nein, er muss es… mir wohl unterschlagen haben,“ sagte sie grimmig, „Ich höre, Frau!“ Der arme Puran ahnte nichts von der schicksalhaften Begegnung der beiden Frauen und noch weniger, was ihn erwarten würde, wenn er nach Hause kam. Dabei hatte er an dem Tag gar keine Strafarbeiten und war pünktlicher denn je zurück im Schloss; wo ihn am Tor trotzdem eine zutiefst erboste Nalani in Empfang nahm. Er sah seiner Mutter schon von weitem ihren Zorn an, als sie mit verschränkten Armen eiskalt auf ihn herunter starrte, und sie sprach kein Wort des Grußes, was ihn beunruhigte. „Mutti?“ fragte er verpeilt, „Ähm… ich bin doch pünktlich!“ „Rein mit dir, aber schleunigst,“ zischte die Frau erbost und zeigte auf das Schloss. Wenn sie so schleunigst sagte, was es sehr ernst, und Puran beeilte sich verblüfft, hinein zu kommen. Nalani folgte ihm und knallte die Tür zu, ehe sie gezwungen gefasst begann: „Wie kann es sein, dass Kannar zu einem Magiekurs an eurer Schule geht und du nicht? Kannst du mir erklären, wieso ich nichts von einem Zettel gesehen habe, der unterschrieben werden musste?“ Der Junge erbleichte. Wie hat die das denn rausgefunden?! war alles, was ihm durch den Kopf ging, und innerlich erwürgte er seine Cousine, die es ohne Zweifel ausgeplaudert haben musste. „Ich… ähm…?!“ stammelte er nur, Nalani fauchte. „Nichts da Ich, ähm!“ rief sie, „Wie kannst du es wagen, mir so etwas Wichtiges zu verschweigen?! Wo ist der Zettel, ich möchte ihn jetzt auf der Stelle sehen.“ „I-ich… d-das geht nicht, ich habe ihn doch abgegeben!“ machte er kleinlaut und seine Mutter stierte ihn an. „Wieso abgegeben, keiner von uns hat ihn unterzeichnet! – Puran…?!“ Ihre Stimme wurde jetzt dunkel und sehr bedrohlich, und er erbleichter erneut, als sich ihr Gesicht verfinsterte. „Du hast es doch nicht etwa gewagt, meine Unterschrift zu fälschen… das würdest du nicht wagen, ich weiß es. Du würdest dich für so eine bodenlose Unverschämtheit und Ehrlosigkeit so extrem schämen, dass du mir das sofort gebeichtet hättest…“ Er erstarrte und Nalanis Gesicht zierte jetzt ein grausames, kaltes Lächeln, „Ist es nicht so, mein Sohn?“ Ja, jetzt war es so. In diesem Moment begriff Puran zum ersten Mal, wie grausam seine Mutter in Wahrheit sein konnte und dass sie, wenn sie zornig war, furchteinflößender war als jeder Alptraum. Und er würde nicht wagen, sie jetzt anzulügen… die Frau wusste das sehr genau. „Gut,“ sagte Nalani kühl, nachdem er ihr alles gestanden hatte, und für sine Ehrlichkeit tätschelte sie ihm den Kopf, worauf er errötete. Wie war er auf die dumme Idee gekommen, seine geliebte Mutter hinters Licht führen zu wollen? Er schämte sich in Grund und Boden für seine Pietätlosigkeit. Nur etwas in ihm war noch stärker als die Reue… „Morgen gehen wir zusammen zu Frau Kalih, du wirst dich entschuldigen, weil du sie betrogen hast, und ich werde bestätigen, dass du da hingehst, Puran. Verstanden?“ Der Kleine widersprach seiner Mutter sehr kleinlaut. „Aber ich… ich möchte da nicht hin, Mutti!“ „Was soll das heißen, natürlich gehst du da hin!“ „Ich will nicht zaubern, ich möchte niemals ein Schamane werden!“ Er wurde jetzt lauter und energischer, als sie ihn empört ansah hob er störrisch den Kopf. „W-wenn ich zaubere, passiert wieder so ein Unglück wie am ersten Schultag! Willst du, dass ich Menschen töte?! Sieh mich doch an, ich bin ein verdammtes Ungeheuer, ich bin der Enkel meines Großvaters! Wie kannst du zulassen, dass ich sowas wieder tue?!“ Während seines Protestes wurde er immer lauter und schrie sie letztlich an, ehe er sich umdrehte und davon rannte, hinaus aus dem Schloss.. Nalani fuhr herum und wollte ihm nachrufen, aber er war bereits weg. Sie seufzte unglücklich. Was sollte sie nur gegen diese Angst vor Magie machen? Einmal mehr verfluchte sie ihren Schwiegervater, der allein Schuld an den Psychosen ihres Sohnes war. Puran wusste nicht wo er hin sollte. Er wollte sich erst im Stall verstecken, dann erschien es ihm aber doch zu leicht und er rannte aus dem Tor hinaus und den Sandweg hinab. Hauptsache weg, weg von diesen Leuten, die aus ihm ein Monster machen wollten – sahen sie das denn nicht? Verstand seine Mutter das nicht? „Das ist doch Irrsinn!“ schrie er aufgelöst zu sich selbst, während er blind weiter rannte, bis er mit einem Mal gegen etwas lief und keuchend zu Boden stürzte. Über sich hörte er ein entsetztes Schnauben eines Pferdes und als er noch immer heulend im Sand saß und hinauf sah, blickte er direkt in das verdutzte Gesicht seines Vaters, der auf dem Pferd saß, in seinen imposanten Umhang gehüllt und die grünen Augen auf das Kind gerichtet. „Was ist Irrsinn?“ fragte der Blonde ruhig, „Warum rennst du weinend davon, Sohn…? Was hat man dir angetan?“ Das Kind war plötzlich erleichtert, seinen Vater zu sehen. Es schluchzte herzergreifend, obwohl es sich sehr schämte, so Rückgratlos zu sein; Jungen weinten schließlich nicht… „Vati…“ jammerte er, rappelte sich auf und drückte sich an Tabaris Bein. „I-ich werde ein Ungeheuer, oder?“ Tabari war noch verwirrter als zuvor. Da kam man von einer Rundreise im Kreis nach Hause und was fand man vor? Nichts als Drama! Entweder Nalani hat das arme Kind malträtiert oder meine Mutter hat ihm Gruselgeschichten erzählt – immer dieser Ärger mit den Weibern! Er seufzte, beugte sich herab und hob seinen Sohn mit etwas Hilfe eines kräftigen Windstoßes zu sich auf das Pferd. „Jetzt reiß dich erst mal zusammen,“ sagte er ruhig, „Wir gehen jetzt heim und dann sehen wir, was los ist. Aber eins sage ich dir, ein Ungeheuer bist du auf keinen Fall. Du bist mein Sohn und ich freue mich jedes Mal, wenn ich dich sehe, dass es dich gibt, Puran.“ Schlussendlich saß die ganze Familie zusammen in der Stube. Nachdem sich jeder angehört hatte, was vorgefallen war, tranken erst einmal alle schweigend Tee. Alona hatte auch eine kleine Tasse Tee und kippte munter einen Löffel Zucker nach dem anderen in ihre Tasse. Aber da alle mit Ernsterem beschäftigt waren, bemerkte es niemand. „Ich weiß, was du fühlst, Puranchen,“ ergriff Tabari dann als Herr des Hauses das Wort und sah seinen bekümmerten Sohn an, der am Boden saß und seinen Tee nicht anrührte. „Aber wer zaubert, ist nicht gleich ein Monster, oder? Was ist denn mit mir? Ich zaubere doch auch, bin ich ein Monster?“ „Hast du mit einem Zauber Leute zerfetzt?“ knurrte der Sohn missmutig, Tabari fiel dazu nichts ein. Sukutai zischte erbost. „Sowas vor meiner Tochter!“ „Wer ist zerfetzt?“ fragte Alona neugierig. „Um Himmels Willen, ihr verderbt das Kind…“ „Die Sache ist die,“ erklärte Nalani ernst, „Genau dafür ist der Zauberkurs gut. Wenn du lernst, die Magie anzuwenden, lernst du, sie zu beherrschen. Der Kurs wird dir helfen, dass so etwas niemals wieder passiert, wenn du ihn nicht machst, ist es sehr viel gefährlicher. Du kannst die Medikamente nicht mehr nehmen, sie bringen dich um und verwirren deinen Geist. Ich habe mit Nomboh gesprochen, was dir fehlt ist nicht Kontrolle über Instinkte, sondern ein fester, bodenständiger Geist, der stark genug ist, dem Einfluss der Geister Widerstand zu leisten. Zaubern üben stärkt den Geist enorm und genau das ist Inhalt dieses Kurses. Und aus diesem Grund ist es für dich überlebenswichtig, dass du da hingehst!“ Das Kind sah sie verunsichert an. „Ist das nicht übertrieben?“ machte Kiuk verdutzt. Tabari warf ein Teebrot nach ihm. „Das ist nicht sehr produktiv, du Hornochse!“ „Vati ist ein Hornochse,“ blödelte Alona gackernd. „Mutti hat schon recht, es ist wichtig, dass du da hingehst und das lernst, Puran,“ fuhr Tabari jetzt wieder gefasst fort und räusperte sich. „Nur, wenn du lernst, dich deinen Befürchtungen auch zu stellen und wenn du lernst sie aktiv zu kontrollieren, dann kannst du dafür sorgen, dass sowas nicht wieder passiert.“ Der Junge schwieg eisern. Er hasste es. Wieso konnten die ihn nicht lassen? Er könnte genauso gut Jäger werden! Er brauchte keine Magie, wenn er niemals etwas mit Magie am Hut hätte, würden die Geister vielleicht eines Tages aufgeben… für sie wäre er dann doch genauso nutzlos wie sie für ihn… glaubte er. „Woher willst du das so genau wissen?“ fragte er dann bitter, „Woher willst du wissen, dass es gut ist, wenn ich da hingehe?“ Tabari seufzte. Dann lächelte er wohlwollend und schenkte sich neuen Tee ein. „Ich weiß es nicht zu hundert Prozent…“ gestand er, „Es kann sein, dass ich mich irre. Aber wenn ich tief in mich hineinhorche… wenn ich auf das höre, was die Geister zu mir sagen, dann kann ich spüren, dass es richtig so ist. Es ist ein… Instinkt, sozusagen. Hab Vertrauen… du wirst sehen, wir behalten recht.“ „Aha, da bist du ja,“ war Frau Kalihs verdutzte Begrüßung am nächsten Morgen, als Puran vor dem Unterricht vor der Klasse auf die wartete, nebst seiner Mutter. „Dich wollte ich sowieso noch sprechen, Puran…“ Die Lehrerin zog einen zerknüllten zettel aus dem Stapel an Papieren hervor, den sie trug, und hielt ihn dem Jungen hin; er erkannte den Zettel für den Magiekurs und errötete. „Wenn deine Mutter doch Nalani Lyra ist, die Frau des Statthalters… wieso unterschreibt sie deinen zettel mit Alona?!“ Puran hustete und starrte den Zettel an. Wie bitte?! Erst beim zweiten Hinsehen verstand er – seine dämliche Cousine hatte nicht Nalanis, sondern ihren eigenen Namen darauf geschrieben! Jetzt erbleichte er, während Nalani ungehalten auflachte. „Ja, so geht das, wenn man versucht, zu schummeln!“ neckte sie ihr beschämtes Kind, „Und dann noch deine fünf Jahre alte Cousine dafür zu missbrauchen, dass du dich nicht schämst!“ Sie schlug ihm sanft auf den Hinterkopf – wie war das doch, Schläge sollten in Dobanjan das Denkvermögen erhöhen? „Nun, genug der Schande, Puran, worum habe ich dich gebeten?“ Sie sah zu Frau Kalih, die nur erstaunt wieder auf den Schüler sah, der sich plötzlich vor ihr verneigte. „Ich bitte um Verzeihung, Frau Kalih!“ sagte er dabei, „Ich habe eine falsche Unterschrift mitgebracht, es war falsch und ehrlos von mir, Euch zu belügen und meine Mutter zu hintergehen. Es wird… nicht mehr vorkommen, bitte verzeiht!“ Frau Kalih war fast etwas gerührt. Außer ihm entschuldigte sich niemals ein Schüler so aufrichtig für so etwas, sie war sehr erstaunt von der Konsequenz, mit der Nalani ihr Kind erzog. „Ich verzeihe dir, Puran,“ sagte sie freundlich. „Weil du dich so brav entschuldigt hast!“ Sie sah fragend zu Nalani – die war ja wohl nicht hier, um Puran dabei zuzusehen, wie er ich entschuldigte? Nalani beantwortete die ungestellte Frage auch sofort. „Wenn Ihr erlaubt, unterschreibe ich den Zettel jetzt noch einmal wirklich, damit das vom Tisch ist. Ich entschuldige mich demütigst für die Umstände.“ „Nicht doch, keine Ursache…“ Sie gab Nalani eine Feder aus ihrer Tasche und hielt ihr den Zettel hin, den die Frau unterschrieb. Verwirrt sah die Lehrerin den Zettel wieder an. „Ähm, jetzt soll er doch in den Kurs?“ „Ja, sollte er die ganze Zeit. Das davor war ein Missverständnis. Und ich hoffe, es wird eine Anwesenheitsliste geben, damit nicht die Gefahr besteht, dass er sich heimlich davon schleicht.“ Sie linste zu Puran, der wieder über und über errötete. „Ist ja gut, ich habe es begriffen!“ schmollte er verlegen, weil seine Mutter ihn vor seiner Lehrerin bloßstellte und wie einen elenden Verräter dastehen ließ. Oh, sie strafte wirklich hart, er würde es sich in Zukunft zweimal überlegen, ehe er plante, sie auszutricksen. „Ich gehe zu dem Kurs, versprochen, Mutti!“ Der Raum im Obergeschoss der Schule war extrem groß. Viel größer als das Klassenzimmer, sicher doppelt oder sogar dreimal so groß, fand Puran zumindest, als er zusammen mit seinem Freund Kannar zum ersten Mal darin stand und sich fasziniert umblickte. Ebenso taten es alle anderen Schamanenkinder der Klasse, die den Zauberkurs zum ersten Mal besuchten. Puran erkannte den Lehrer Masava sofort wieder; der war am ersten Schultag nach der Katastrophe mit bei der Direktorin gewesen. „Hallo, Klasse,“ grüßte der Mann die Kinder guter Laune, während er vor dem versammelten Haufen Schamanen stand. „Mein Name ist Halian Masava, ich bin hier, um euch die Grundzauber der elementaren Magie beizubringen. Wie ihr seht…“ Er sah sich kurz um, so taten es ihm automatisch alle gleich, „Sind in diesem Raum weder Bänke noch Tische, wir werden nicht schreiben. Magie lernt man am besten durch praktische Übungen.“ Die Kinder sahen sich aufgeregt an. Wie großartig, kein langweiliges Aufschreiben und Auswendiglernen! „Ich gehe mal getrost davon aus, dass ihr die Grundzauber ohnehin beim Namen kennt, wenn nicht, auch egal, wir werden uns einen nach dem anderen vornehmen. Und anfangen werden wir mit einem der wichtigsten und ältesten Zauber überhaupt.“ Damit ließ er mit einem Fingerschwenk eine kleine Flamme in seiner Hand erscheinen, worauf die Kinder ihn mit noch größeren Augen ansahen. „Vaira,“ benannte der Lehrer den einfachen Feuerzauber. „Das Gute an den Grundzaubern ist, dass jeder Schamane theoretisch dazu in der Lage ist, sie anzuwenden, egal, ob er Heiler, Seelenmagier oder Schwarzmagier ist.“ „Und wie macht man das jetzt?“ fragte ein Mädchen unsicher, „Wenn Ihr das macht, sieht es so einfach aus, aber wenn ich mit meiner Hand so mache, passiert nichts!“ Herr Masava gluckste. „Natürlich nicht, und um euch das beizubringen bin ich ja hier. Der Schlüssel liegt in eurem eigenen Geist. Konzentriert euch. Am besten stellt ihr euch weiter auseinander, es ist genug Platz für alle. Stellt euch einfach hin, schließt die Augen und versucht, tief in euch hinein zu horchen. Merkt ihr was?“ Die Kinder stellten sich murmelnd weiter auseinander und schlossen brav die Augen. „Irgendwas kribbelt,“ meldete ein Junge schließlich verblüfft. „Ja, bei mir auch!“ „Nein, es ist wie ein Rohr, durch das heißes Wasser fließt, und es ist überall!“ sagte ein dritter perplex. Herr Masava kicherte. „Ja, merkt ihr? Das sind die Ströme eures Geistes in eurem Inneren. Wenn ihr euch konzentriert, könnt ihr sie spüren. Und das Zaubern funktioniert genauso, ihr müsst euch nur darauf konzentrieren, den Energiestrom in eure Hände zu leiten. Wenn ihr dabei an den Zauber denkt, den ihr ausführen wollt, habt ihr es schon.“ Mit dieser ersten Konzentrationsübung beschäftigten sich die Kinder eine Weile. Während es bei manchen auf Anhieb funktionierte und sie das Kribbeln spüren konnten, klappte es bei manchen partout nicht und der Lehrer kontrollierte jeden Schüler einzeln. Denen, die es einfach nicht auf die Reihe bekamen, half er dann so lange, bis sie es auch schafften, bis jeder Idiot einmal die geistige Energie gespürt hatte, einige wenn auch nur schwach. Viel interessanter war danach die Frage, wer denn wirklich fähig war, mit Hilfe dieser Konzentration Feuer aus seiner Hand zu zaubern. „Versucht es, konzentriert euch!“ war die Anweisung des Lehrers, „Wenn es nicht sofort klappt, macht nichts, Übung macht den Meister! Denkt an die großen Meistermagier und daran, dass auch sie einmal nicht mehr waren als ihr es jetzt seid; Schüler, die auch einmal lernen mussten, wie man Vaira zaubert!“ Puran konnte sich seine Eltern nicht vorstellen ohne Magie. Es war ein seltsamer Gedanke, dass auch sie einmal so wie er irgendwo gestanden hatten und geübt hatten, Vaira zu zaubern… er blickte stumm auf seine leere Hand. Er traute sich nicht, es richtig zu versuchen. Was, wenn wieder so eine Katastrophe passierte wie am ersten Tag? Das ist nicht gut, ich darf gar nicht zaubern! Ich will hier raus… Er sah panisch zur geschlossenen Tür und begann unwillkürlich von einem Fuß auf den anderen zu tappen. Vielleiht sollte er schnell wegrennen? Behaupten, er müsste auf Toilette und dann einfach nicht wiederkommen? Nein, das war falsch, außerdem würde seine Mutter ihm die Haut abziehen dafür… „Ja, sehr schön,“ unterbrach die Stimme des Lehrers seine wirren Gedanken und er fuhr erschrocken hoch, weil Herr Masava wieder von einem zum anderen ging. Zwei Kinder neben Puran war ein kleines Mädchen, das gerade eine ganz kleine Flamme aus ihrer Hand gezaubert und dafür Lob geerntet hatte. Das Kind strahlte stolz, während Herr Masava weiter zu Kannar ging, der zwischen dem Mädchen und Puran stand. „Na, dann probier mal,“ forderte er Kannar auf, „Du bist doch der Sohn von Apotheker Chipo?“ „Ja, genau,“ machte der Junge verblüfft und konzentrierte sich; eine kleine Flamme erleuchtete seine rechte Handfläche für einen sehr kurzen Moment, dann war sie auch schon wieder verschwunden. „D-das ist gar nicht so einfach!“ „Das war sehr gut, einfach üben, immer und immer wieder, wenn du es tausendmal gemacht hast, geht es im Schlaf, du wirst sehen.“ Kannar nickte zufrieden mit seiner Miniflamme und übte gleich weiter. Und Puran hatte in diesem Moment keine Zeit mehr zu überlegen, wie er am besten fliehen könnte, denn Herr Masava stand jetzt vor ihm. Er musterte den Jungen eine Weile von oben bis unten. Kannar hörte auf zu üben und sah neugierig zu seinem schweigenden Freund, der plötzlich wirkte, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Was ist los, Puran?“ fragte Herr Masava perplex, „Ist etwas nicht in Ordnung?“ Dem Jungen kam die ultimative Idee, zu sagen, ihm wäre schlecht, dann würde er vielleicht vom Unterricht befreit – aber er verwarf den Gedanken sofort, seine Mutter würde es merken… „I-ich… nein, alles in Ordnung,“ murmelte er dann leise. „Du übst gar nicht,“ stellte der Lehrer fest, „Kannst du Vaira schon und sparst dir die Mühe, oder wie soll ich das verstehen?“ „Ich… nein… ich kann… nicht, Herr.“ Herr Masava zog eine Braue hoch. „Was heißt Kann nicht? Natürlich kannst du, deine Energieströme waren rundum perfekt vorhin. Versuch es ruhig, keine Angst.“ Puran druckste nervös etwas herum und wagte nicht, den Mann anzusehen. „Aber ich… ich…“ Der Mann war zwar freundlich, aber auch nicht zu weich. „Zeig es mir bitte, du bist nicht zum Herumstehen hier, oder soll ich mir aufschreiben, dass du die Leistung verweigerst?“ Das Kind erbleichte. Jetzt wurden die anderen still und immer mehr drehten sich neugierig zu der Ecke um, in der das Spektakel war. Puran hustete, ungeachtet der Tatsache, dass ihn die komplette Klasse inzwischen anstarrte. „Mach doch einfach,“ war Kannars leiser Kommentar, und er grinste aufmunternd, „Wird schon.“ Sein Freund seufzte leise und gab den Widerstand auf, indem er eine Hand anhob und sich konzentrierte. Er spürte die Energie durch seinen Körper fließen, als er die Augen schloss, sah er es sogar… wie wabernde Ströme aus Licht in seinem inneren Auge. Feuer… sagte er sich dabei ernsthaft, Ich will Feuer zaubern! Und er beobachtete, wie die Energieströme vor seinen inneren Augen die Farbe von lodernden Flammen annahmen, während er sich mehr konzentrierte. Er spürte das Feuer, es war heiß, sowohl in ihm als auch außen, es war überall und es war unangenehm, als er keuchend den Namen des Zaubers nannte, um ihm einen Lebensgeist einzuhauchen: „Vaira!“ Er öffnete die Augen und war erstaunt, dass er trotzdem noch die Flammen seines Geistes sehen konnte, die hoch wie eine Wand vor ihm aufragten, deren Leuchten das Tageslicht zu Schatten machte… und es nahm ihn völlig ein, als er nur da stand und starrte, während es in seinem Kopf zu rauschen begann. Und das Feuer wurde greller und heißer, je länger er starrte, bis ihm mit einem Mal schwindelte, als die Hitze vor seinen Augen so unerträglich heiß wurde, dass er aufschrie; im selben Moment wurde er plötzlich von hinten ergriffen und zurück gezerrt, gleichzeitig verschwand das Feuer vor seinen Augen mit einem Mal. Der Raum verdunkelte sich. „Was ist passiert?!“ keuchte Puran benommen und zappelte nervös, als das Licht komplett verschwunden war. Jemand hielt in an der Schulter fest… Herr Masava, wie er erkannte, als er den Kopf heftig japsend drehte. „H-Herr Masava? Was ist hier los?!“ „Das… ist schwer zu erklären,“ murmelte der Lehrer offenbar selbst etwas apathisch, die freie Hand noch immer nach vorn gestreckt, während er mit der anderen den Jungen vor sich festhielt. Puran blickte wieder nach vorn und in die fassungslosen Gesichter seiner Klassenkameraden, die alle am anderen Ende des Raumes standen und sich leichenblass an die Wand drückten. Selbst Kannar war bleich im Gesicht und wagte nicht, sich zu rühren. Puran wurde ganz komisch. „Was… was hab ich gemacht?“ japste er tonlos und erzitterte, als ihn eine plötzliche Eiseskälte erfasste und ihn einzufrieren drohte. Er wollte hier nicht sein. Er wollte jetzt weg sein, irgendwo, wo er nicht diese Gesichter sehen müsste, diese Panik in den Augen der anderen Kinder, dieses blanke Entsetzen. Monster. „Puran, das ist nicht deine Schuld,“ redete der Lehrer perplex auf ihn ein, „Es ist, ähm, dein Geist ist eben sehr speziell, dein Talent ist eben… extrem, daher diese ungeahnten Ausbrüche. Ich hätte das eigentlich ahnen müssen, es war mein Fehler. Kommt, Kinder, es wird nichts mehr geschehen!“ „Was ist passiert?!“ schrie Puran erneut, dieses Mal panischer. Der Mann drehte ihn sanft zu sich um und deutete auf die Wand und die Decke des Raumes. Und der Kleine begriff, was gemeint war. Die Decke und die halbe Wand unmittelbar in seiner Nähe waren komplett schwarz gebrannt. Der Junge erbleichte jetzt ebenfalls. „W-wie ist das… wie kann das mit einer Vaira-…?!“ „Erst bei diesen Grundzaubern sehen wir wirklich, welches enorme Ausmaß… deine Begabung hat…“ murmelte der Lehrer, „Ich gebe dir eine Nachricht mit, gib sie bitte deinen Eltern, ich möchte sie dringend sprechen.“ Er seufzte und tätschelte dem Jungen vor sich behutsam den Kopf. „Denn so… kann das nicht weitergehen.“ In diesem Punkt waren alle einer Meinung. So konnte es wirklich nicht weitergehen. Am nächsten Tag begleitete Nalani ihr Kind erneut zur Schule auf die Nachricht des Lehrers hin, der sie unbedingt sprechen wollte. Puran war ganz niedergeschlagen, als sie zusammen vor Herrn Masava standen, der sie an der Ecke des Gebäudes empfing. „Es ist nichts Furchtbares, das ich sagen wollte,“ sagte dieser erstaunt darüber, dass der Junge so blass war und mit gesenktem Kopf neben seiner Mutter stand. Er war ein sensibles Kind, es würde nicht leicht werden. „Selbstverständlich kommen wir für den Schaden an der Wand auf,“ erklärte die frau mit einer unterwürfigen Verneigung, „Es wird nicht mehr vorkommen! Das sage ich ständig, aber… ich verspreche Euch-…“ „Jetzt ist aber mal gut,“ machte der Mann verdutzt, „Darum geht es doch gar nicht. Dass Euer Sohn hochbegabt ist, steht außer Frage, das Problem ist nur, wie wir als Schule damit umgehen. Er ist den anderen seiner Klasse um Meilen voraus, diese Vaira, die er gezaubert hat, war, nun… ich hab selbst Erwachsene selten so ein Ausmaß an Vaira anwenden sehen, es war einfach unglaublich, was da passiert ist! – Hört mir zu, Herrin. Die Schulleitung ist… nicht besonders glücklich über all diese Zwischenfälle und ist der Meinung, ich solle Puran aus dem Kurs nehmen, es wäre zu gefährlich.“ Nalani seufzte bitter. Ja, das hatte sie befürchtet nach der Nachricht. Ehe sie zum Sprechen kam, fuhr Herr Masava fort. „Das werde ich auch tun müssen, aber die Sache jetzt fallen zu lassen ist absolut verschwendetes Potential, das wäre eine Beleidigung der Geister! Wenn Ihr erlaubt, werde ich persönlich mich um den Unterricht Eures Sohnes kümmern.“ „Was… meint Ihr damit?“ fragte Nalani verwundert. „Ich kann ihm Privatstunden geben, meine ich. Ich sorge dafür, dass er die Grundzauber perfekt beherrscht; es wird ein gutes Stück Arbeit, so wie ich das einschätze, das Problem ist nicht das Talent, sondern die Kontrolle.“ „I-ich habe gesagt, ich möchte das nicht, weil ich wusste, es würde wieder passieren!“ schluchzte das Kind mit einem Mal, worauf ihn die beiden Erwachsenen anblickten. Beschämt vergrub Puran das Gesicht in der Seite seiner Mutter. „Aber auf mich hört ja keiner!“ „Jetzt stell dich gerade hin und schmoll hier nicht herum!“ zischte Nalani grantig und zog ihn hoch, „Hör auf zu weinen! Das ist ein sehr großzügiges Angebot von Herrn Masava! Du wirst es annehmen mit Respekt und Dank, Puran, dass er sich so um dich bemüht!“ „A-aber…“ „Nicht aber! Mir reicht es nämlich allmählich mit deinem Firlefanz um das Zaubern! Bei deinem Gemurre hättest du diese Ehre gar nicht verdient!“ „Nicht so hart, liebe Zeit,“ seufzte der Lehrer perplex, „Mir wäre es eine Ehre, den Sohn des Herrn der Geister persönlich zu unterrichten, Herrin, macht Euch keine Sorgen.“ Nalani verneigte sich. „Die Ehre wäre bei mir. – Und bei meinem bockigen Sohn, verlasst Euch darauf. Puran, was sagt man, wenn man so eine Aufmerksamkeit bekommt?“ Der Junge verbeugte sich ebenfalls und murmelte ganz leise: „Vielen Dank, Herr Lehrer, es ist mir eine außerordentliche Ehre, von Euch unterwiesen zu werden.“ Tabari war ganz durcheinander. „Mir fallen Haare aus, oder?“ nölte er, während er in voller Montur in der Stube auf und ab marschierte und sich die blonden Haare raufte. „Es muss doch so sein, bei all diesem Heckmeck!“ Nalani sah ihm relativ unbeeindruckt dabei zu, wie er hin und her stampfte, während sie mit überschlagenen Beinen auf einem Sessel saß und in aller Seelenruhe ihre offenen, langen Haare kämmte. „Wenn du dich immer am Kopf kratzt, fallen sie wirklich aus, ja,“ war ihr Kommentar. „Was nervt dich denn so?“ „Dieses ganze… verdammt… ach, verdammt!“ meckerte er und ging weiter herum, „Im Süden des Landes geht die Post ab, im Hochland gibt es eine Hungersnot nach der anderen und im Süden von Anthurien ist die Pest ausgebrochen, ich meine, gute Güte, die Pest! Das jagt mir vollkommen Angst ein! Die armen Schweine in Engarien dürfen ihre Häuser nicht mal verlassen, weil sie ihre Pest überall herumtragen könnten, weißt du, was der Rat in Pinhu damit macht? Die lassen diese ganzen Dörfer verrecken und hoffen, dass es dann vorbei ist!“ „Was sollen sie sonst machen? Es klingt grausam, aber die Pest ist ein Gegner, gegen den selbst die größten Heiler versagt haben, wenn sich das weiter ausbreitet, stirbt ganz Tharr.“ „Wie pragmatisch,“ stöhnte Tabari, während sie aufhörte, sich zu kämmen, ihre Haare zurück warf und sich erhob, damit sie mit ihm auf Augenhöhe war. „Jedenfalls hat diesen ganzen Krempel der Senator erzählt, der unten in Vialla bei der Sitzung des Königs war… ach, verflucht, dieser ganze Laden steht hier gerade Kopf, glaube ich!“ Er holte aus seiner Manteltasche eine Zigarette und steckte sie sich in den Mund. „Was ist mit unserem Kreis Vikhara?“ wollte seine Frau wissen, „Ist hier was passiert?“ Als er an ihr vorbei ging, nahm sie ihm mit einem Flupp die Zigarette aus dem Mund, worauf er brummte, herumfuhr und weiter im Kreis ging. „Rauchen ist ungesund, Tabari,“ sagte sie, aber er ging gar nicht darauf ein. „Nein, an sich nicht. Ich steige nur durch diese Annalen nicht mehr durch und meine Mutter ist in letzter zeit nie da, wenn ich sie brauche, entweder sie ist in Tuhuli mit Zoras Chimalis Tee trinken oder sie ist auf ihrem TO-Rat, oder weiß der Geier! – Und weißt du, was das Komischste an allem ist?!“ Gereizt zog er eine neue Kippe aus seiner Tasche, steckte sie in seinen Mund und wollte sie gerade anzünden, da zog Nalani sie ihm abermals aus dem Mund. „Diese Leute vermehren sich trotzdem wie die Hasen! Das ist echt unglaublich…“ „Vielleicht trinken sie alle zu viel Tee,“ sagte Nalani sarkastisch, und wie immer verstand ihr Mann diese Anspielung nicht; er war wirklich der einzige Depp im ganzen Land, hatte Nalani das Gefühl, der nicht schnallte, was seine Mutter mit Zoras Chimalis noch so tat außer Tee trinken. „Bitte?“ schnaubte der Blonde und blieb vor ihr stehen. „Schon gut,“ machte sie mit einer Handbewegung. „Dein Sohn kriegt jetzt Privatunterricht für die bessere Kontrolle des Geistes, damit er vernünftig Zaubern anwenden kann, ohne dabei aus Versehen in einem Umkreis von zehn Fuß alles zu sprengen.“ „Ja, das ist prima,“ machte der Mann, zog eine dritte Kippe heraus und steckte sie zwischen seine Lippen, ehe er Nalani verblüfft ansah. „Was, wie, sprengen? Privatunterricht, du liebe Güte!“ „Mit dem Kurs hat es nicht so geklappt, nachdem dein Sohn mit seiner ersten Vaira den halben raum angekohlt hat, gütigerweise hat sein Lehrer mir angeboten, Puran privat zu unterrichten, ich halte das für überaus großzügig.“ „Du liebe Güte,“ sagte Tabari entsetzt und hielt dabei seine Zigarette doch wieder zwischen den Fingern. „Du solltest stolz sein auf deinen Sohn,“ warf seine Frau mit einem leichten Lächeln ein, das ihn stutzig machte. Nalani lächelte selten, und noch seltener ehrlich. Aber das hier war ein ehrliches Lächeln voll von ihrem mütterlichen Stolz auf ihr Kind, das sie so abgöttisch liebte. Sie senkte den Kopf wie ein verlegenes Mädchen. „Er ist sehr begabt, er… ist eben ein Nachkomme deiner Familie, Tabari. Er wird lernen, es zu kontrollieren, und eurem Namen keine Schande machen.“ Er musste leise lachen. „Wer hat dir denn den Kopf verdreht, dass du dich um den Namen scherst? Das Talent hat er sicherlich zu einem großen Anteil von seiner Mutter… immerhin hast du mich geschlagen, Nalani. Wer weiß, ob du nicht… die wahre Herrscherin der Geister wärst.“ Sie hob den Kopf wieder und das Lächeln war verschwunden. Ihr Blick war ernst, als sie fortfuhr. „Nun, die Geister haben ja nie protestiert, oder?“ Dann zog sie ihm wortlos die dritte Kippe aus den Fingern. Tabari gab es für den Tag auf. Während die Eltern diskutierten, hatte Puran ganz andere Sorgen. Natürlich konnte sein Einzelunterricht nicht am Montagnachmittag stattfinden, stattdessen traf er sich jeden Dienstag mit Herrn Masava auf dem Schulhof. Nachmittags war dort niemand außer ihnen. Es wurde Herbst. Draußen wurde es kalt; in Dokahsan wurde es immer als erstes kalt, während im Süden des Landes noch Sommer war. „So, Puran,“ war die Begrüßung des Mannes, und das Kind räusperte sich. Er hasste es immer noch, zaubern zu müssen… aber der einzige Weg, diese Anfälle für immer zu erledigen, war Kontrolle. Er musste da durch, ob er wollte oder nicht. Die Grundzauber, von mir aus; danach werde ich niemals wieder Magie anrühren! „Dein Problem ist nicht, dass du nicht zaubern kannst,“ fuhr Herr Masava fort. „Dein Problem ist quasi, dass du es zu gut kannst. Zu gut ist in diesem Falle aber schlecht, denn deine Zauber sind viel zu stark.“ „Ja,“ sagte der Junge, „Das… weiß ich.“ „Hmm. Wenn du starke Zauber anwendest, verbrauchst du mehr Energie deines Geistes. Du wirst lernen, diese Energie zu beherrschen und nur so viel zu verwenden, wie nötig ist… das heißt, während ich mit dem Kurs übe, größere Flammen zu machen, übe ich mit dir, kleinere zu machen. Verstanden?“ Das Kind nickte. „Dann mach jetzt Vaira, wie letzte Woche. Konzentriere dich darauf, die Flamme zu zügeln, sie zu beherrschen und die Größe selbst zu bestimmen.“ Der Junge holte nervös tief Luft, ehe er es versuchte. Aus seiner Hand stieß ein gewaltiger Flammensturm, der den halben Schulhof erleuchtete, Herr Masava musste zurück springen und riss einen Arm hoch. „Aufhören, viel zu doll!“ tadelte er seinen Schüler ernst, der darauf das Konzentrieren ließ und heftig atmete. „W-wieso war es so doll, ich hab mich doch konzentriert…!“ „Das geht nie beim ersten Versuch. Üben, Puran, mehr und mehr und mehr. Du kannst das, ich weiß das, du hast Talent. Du musst nur lernen, es zu zügeln. Willst du es noch mal versuchen?“ Er lächelte aufmunternd und keuchend hob der Junge seinen Kopf wieder. Er musste da durch und er würde es beenden. Seine Großmutter hatte recht… er konnte nicht länger davor davonlaufen. Seht mir zu, ihr Geister… ich werde mich nicht länger von euch jagen lassen! Das schwor er sich, ehe er sich daran machte, fleißig zu üben. ______________________________ Drama xD Zauber-Kapi Wir haben jetzt etwa September 968. Hey cool, Leyya ist sogar schon geboren xDDD irgendwo in Anthurien, lol XD Random^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)