Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 44: Die Bänder der Geister ---------------------------------- Das Gute daran, im Palast des Königs zu leben, war die Tatsache, dass die Hygiene wesentlich besser geregelt war als bei den Bergleuten in Kadoh. Endlich gab es wieder vernünftige Badewannen, das Baden in eiskaltem Quellwasser blieb einem erspart und vor allem konnte man sich alle Zeit der Welt lassen, weil man nicht befürchten musste, dass demnächst irgendein anderer um die Ecke kam und interessiert guckte. Puran stand dazu, dass er fürchterlich eitel war, und er genoss das Privileg, ein Badezimmer an dem ihm zugeordneten Schlafgemach zu besitzen; so etwas hatte er nicht mal im Schloss seiner Ahnen gehabt. Er war froh um den Umstand jetzt und er verbrachte die folgenden Wochen eine Menge Zeit damit, sich andauernd zu waschen, vor allem seine fürchterlichen Haare zu richten, mit denen er laut Neron Shais feixendem Gelächter mehr Zeit verbrachte als jede Frau mit langen Haaren, die so viel Pflege doch viel nötiger hätten als seine. Puran war nicht seiner Meinung; seine Haare waren stur und er war es eben auch. War ihm egal, wenn sein Kollege ihn verrückt nannte… abgesehen von den Haaren auf seinem Kopf musste er sich auch um die vereinzelten in seinem Gesicht kümmern, oder eher sie vernichten, und er war froh darum, dass seine Familie allgemein eher haarlos war, abgesehen vom Kopfhaar. Sein Vater rasierte sich nur selten, weil er viel zu faul dafür war, aber trotzdem hatte er nie einen Bart. „Dafür ist es extrem praktisch, wenn man Windmagier ist.“, hatte Tabari ihm einmal erklärt, „Da kannst du dir mit einer extrem dosierten Katura die Hände über das Gesicht reiben und weg sind die Haare. Spart enorm Zeit.“ Das tat es sicher, Puran hielt diese Technik in seinem Gesicht jedoch wirklich für lebensbedrohlich; Tabari beherrschte den Wind komplett, er selbst tat das nicht im selben Maß; er fürchtete, sich mit einer Katura in seinem Gesicht eher selbst zu enthaupten als sich zu rasieren, deswegen musste er da wohl bei der herkömmlichen Methode bleiben. Sich mit sich selbst zu beschäftigen war gut… es lenkte ungemein von den wirklichen Problemen ab, die ihm noch bevorstanden, dachte er sich mürrisch, wenn er sich zum zweiten Mal am Tag gründlich wusch und seine Haare machte. Vielleicht würde das viele Wasser ja seine unsittlichen Gefühle für Leyya davon spülen… er hoffte es, glaubte aber nicht wirklich daran. Bisher hatte es zumindest nicht geklappt… die hübsche Heilerin kehrte immer wieder in seinen Kopf zurück, insbesondere nachts, wenn er alleine in seinem Bett lag und sich dabei erwischte, dass er sich wünschte, sie würde zu ihm kommen und mit ihm das Bett teilen, wie sie es bei ihrem Ritual getan hatte. Das Ritual, das entgegen jeder Vorschrift mehr eine tatsächliche Vereinigung als ein Ritual gewesen war. Er zischte wütend über sich selbst und hob den Kopf vom Waschbecken im Badezimmer, um in den Spiegel darüber zu sehen. „Du bist ein völliger Idiot, Puran.“, murmelte er zu seinem Spiegelbild, „Ein absolut bescheuerter Idiot…“ Er wusste, dass er Leyya begehrte, und jeder andere, der ihn und sie kannte, wusste es vermutlich auch. Und dennoch versuchte er, davon zu laufen… Wie immer. Es war immer dasselbe mit ihm… auch dieses Mal. Seit Leyya zur Frau geworden war, waren viele Wochen vergangen und der Sommer stand vor der Tür. Er versuchte seit der schicksalhaften Nacht, der Heilerin aus dem Weg zu gehen. Sie machte es ihm nicht leicht, denn sie versuchte das Gegenteil, hing an ihm wie eh und je – nein, eigentlich noch mehr als zuvor. Und es tat ihm leid, dass er ihr so die kalte Schulter zeigen musste… aber wurde er sie auf angenehmere Weise los? „Musst du dich denn wirklich so verhalten?“, fragten die Geister ihn manchmal, wenn er heimlich an sie dachte und sich danach sehnte, sie wieder in die Arme schließen zu können. Er kniff empört die Lippen zusammen und starrte wutentbrannt sein Spiegelbild an, kurz davor, es zu zerschlagen. „Musst du sie leiden lassen, damit du mit dir im Reinen bist? Und dich selbst…?“ „Schluss!“, zischte er grantig, „Ich leide nicht! Ich komme zurecht, ich brauche eure Ratschläge nicht, Geister!“ Er fuhr wütend mit den Händen in das Wasser des Waschbeckens und schüttete sich eine Fuhre davon auf die Haare, um sie wutentbrannt damit platt zu drücken, was nicht wirklich halten würde. „Das sind keine Ratschläge, das ist dein Schicksal, vor dem du mal wieder davon rennst…“, kicherten die Geister, und der junge Mann fluchte ungehalten, wirbelte herum und zeigte drohend mit dem Finger auf den Spiegel. „Nein, das lasse ich hinter mir! Ich lasse mir nicht von euch vorgeben, welche Frau an meine Seite gehört! Das entscheide ich allein, hört ihr?! HÖRT IHR?!“ Ein leises Klopfen an der Tür des Schlafzimmers ließ ihn erschrocken inne halten. Hüstelnd drehte er den Kopf, während ihm das Wasser noch aus den jetzt glatten Haaren tropfte. Oh nein, jetzt hatte sicher jemand mitbekommen, dass er in seinem Zimmer fuchsteufelswild herum brüllte… wie peinlich. „Ja!“, nörgelte er so nur missgelaunt und stampfte aus dem Badezimmer, als sich die Tür zum Flur öffnete und er erstarrte, als er Leyya da stehen sah. Er verschluckte sich entsetzt und fuhr sich dann perplex durch die Haare. „Was… machst du denn hier? Es ist schon Abend, du solltest im Bett liegen.“ Die junge Frau seufzte leise und schloss ungebeten die Tür hinter sich, ehe sie sich ihm tapfer entgegen stellte. „Da du dich ja verbarrikadierst, dachte ich, ich versuche, ab durch die Mitte zu laufen.“, verkündete sie stolz und mit der Hartnäckigkeit, die er von seiner eigenen Mutter kannte und die er immer gefürchtet hatte. Da Nalani aber kaum mehr als einen Zoll kleiner war als er, wirkte es bei ihr imposanter als bei Leyya, die er mehr als einen Kopf überragte. Er war wie alle Männer seiner Familie nicht unbedingt klein. „Ich sehne mich doch nach dir, Puran!“, begann sie dann kleinlaut und all ihr Stolz war dahin, als sie errötend den Kopf senkte, offenbar beschämt, ihn belästigen zu müssen. „Du belästigst mich nicht, ich habe dich lieb!“, wollte er ihr gerne sagen, als er sie so ansah… er konnte nicht. Er durfte nicht. „Das tut mir leid für dich, ich habe keine Zeit.“, war seine trockene Antwort und sie sah keuchend auf. Er kehrte ihr den Rücken und begann, die Vorhänge vor den Fenstern zuzuziehen. „Wir sind im Krieg. Seit meine Eltern und die anderen zurück sind und das Heer jetzt vorbereitet wird auf den Angriff der Zuyyaner, haben sich die Zeiten geändert, Leyya.“ Sie war nicht so naiv, wie er gedacht hatte. „Ach, aber Zeit, dich zweimal am Tag zu baden und viermal deine Haare zu glätten findest du!“, schnappte sie, „Ich verstehe dein Problem nicht, deine Haare sind sehr hübsch, auch, wenn sie von deinem Kopf abstehen…“ „Schmier mir nicht Honig ums Maul, meine Teuerste.“, warnte er sie und zog weiterhin Vorhänge zu, sie keines Blickes würdigend. „Ich mag unnötige Komplimente am falschen Ort nicht, erst recht nicht von der falschen Person.“ Jetzt hatte er sie verärgert, sie stampfte schreiend mit dem Fuß auf wie ein Kind. Ein Kind, ja… ein Kind, das sie in seinen Augen irgendwie immer noch war. Ein Kind, das ihn sexuell erregte, genau. Er war so widerwärtig… „Du tust so, als hättest du mich immer nur gehasst!“, fauchte sie wütend, „Warum machst du das, Puran?! Was ist denn in dich gefahren?! Seit… seit ich eine Frau bin, behandelst du mich wie Dreck, was soll das?! Was habe ich dir getan?!“ Sie schrie ihn richtig an und das veranlasste ihn doch, sie wieder anzusehen, fassungslos über ihren Wutanfall. Er verstand sie… sie war im Recht. Natürlich war sie das… Beschämt senkte er das Gesicht und wendete den Blick von ihr ab, während sie nach Luft schnappte. Sie merkte gar nicht, wie hübsch sie war, hatte er das Gefühl… sie merkte gar nicht, was für eine wunderschöne junge Frau sie war. Selbst dann, wenn sie wütend auf ihn war… oder gerade deswegen vielleicht. „Frauen, die ihren Männern immer unterwürfig sind und nie ihre Meinung sagen, kotzen mich an.“, hatte er einst zu ihr gesagt. Es erschien ihm wie ein vergangenes Leben… ein Leben, in dem er nicht daran gedacht hatte, dass er einmal mit ihr schlafen würde und danach seine Triebe und Gefühle nicht mehr beherrschen könnte. Er hätte es schon damals wissen sollen… er hatte instinktiv gewusst, dass es so käme. Es gewusst und ignoriert. Leyya beruhigte sich und senkte dann zitternd den Kopf. „Sag mir nur, was ich getan habe. Bitte… dann gehe ich. Ich werde dich in Ruhe lassen, ich will nur wissen wieso.“ Sie blickte auf ihre Füße und errötete. „Ich dachte, früher hätte es daran gelegen, dass ich noch ein Mädchen war. Aber jetzt… bin ich eine Frau und du siehst mich immer noch nicht wie eine Frau an… du hast es… in der einen Nacht getan… und ich dachte, du könntest es auch zukünftig tun.“ „Leyya…“, seufzte er traurig und kam auf sie zu, um eine Hand nach ihr auszustrecken – kurz bevor er ihre Haare hätte streicheln können, hielt er inne. Er durfte das nicht… ja, sie war eine Frau. Das war sie definitiv. Aber er hatte sie als Mädchen kennengelernt und sich umzugewöhnen war schwer… er wünschte, es wäre leichter. Er schnappte verzweifelt nach Luft. „Das… was in jener Nacht über mich kam, war ein Fehler. Das hätte nicht passieren dürfen, niemals…“ Er unterbrach sich abrupt, als er sah, dass sie zu zittern begonnen hatte. Sie weinte. „Ich liebe dich!“, heulte sie und versetzte ihm damit ungewollt einen tiefen Stich ins Herz, als sie zu ihm aufsah, die schönen, braunen Augen voller Trauer. „Ich liebe dich so sehr… s-seit… dem ersten Tag, den ich dich kannte, liebe ich dich, Puran Lyra! Du bist… für mich der einzige Mann auf der Welt…“ Er keuchte unwillkürlich. „Nein, nicht so.“, versuchte er, sie aufzuhalten, „Sag sowas nicht. Bitte… es gibt genügend andere, die viel besser sind als ich.“ „Aber du hast mich verdammt noch mal gewollt in der Nacht!“, fuhr sie wieder auf und wischte sich ruppig die Tränen aus dem Gesicht. „Du hast mich geliebt in der Nacht, Puran! Von wegen nicht da, du warst da, und wie du da warst, du hast mich geküsst! Du hast dich mit meinem Fleisch vereint… hat es dir etwa nicht gefallen? Bin ich so widerlich in deinen Augen?“ Wiederum keuchte er. Oh nein, sie verstand alles falsch! „Leyya, nein! S-so war das nicht, es… ist anders als du denkst, ich kann das so nicht!“ Der Blick, den sie jetzt aufsetzte, beunruhigte ihn auf eine Weise, die wörtlich unter die Gürtellinie ging. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und setzte ein Gesicht auf, das er so noch nie bei ihr gesehen hatte; aber es zeigte definitiv Wirkung, denn es erregte ihn und schürte in ihm das alte Verlangen aus der verflossenen Frühlingsnacht. „Ich bin jetzt eine Frau.“, versetzte sie kokett, „Und du bist ein unverheirateter Mann. Theoretisch hast du das recht, mit mir als unverheirateter Frau zu machen, was immer dir beliebt… jeder Zeit… und überall.“ Ihre Worte waren eindeutig und Puran errötete. Er mochte es eigentlich, wenn Frauen so offensiv waren und zeigten, dass sie es wollten… aber zu viel war zu viel. Er zischte und trat zurück, die Erregung erfolgreich unterdrückend. Er hätte sie gerne auf der Stelle ausgezogen und sie richtig genommen… das ging nicht, Himmel! „Hör auf, Leyya, ich warne dich!“, schnappte er zornig und sie blinzelte, weil er anders reagierte als sie gehofft hatte. „Du führst dich auf wie eine billige Nutte! Hör auf, dich mir so anzubieten, so will ich dich nicht! Du kannst hier nicht antanzen und mich verführen, was bildest du dir ein, wer du bist?! Wie so ein Flittchen, eine Dorfschlampe, machst du dich an mich heran und reibst mir unter die Nase, dass ich dich hier und jetzt nehmen soll! Das geht zu weit, mach das diskreter bei deinem zukünftigen Mann, für den ich hoffe, dass er sich gerne von seiner billigen Frau beschämen lässt!“ Er verlor die Kontrolle über seine Zunge, aber das merkte er zu spät, als Leyya ihn schon erbleichend anstarrte. Er starrte zurück und sah die Fassungslosigkeit in ihren Augen, das Entsetzen über diese garstigen, widerlichen Worte… es tat ihm weh, sie so sehen zu müssen, und erst recht deshalb, weil er Schuld daran war. Seufzend kehrte er ihr wieder den Rücken und stampfte zurück in Richtung Badezimmer. Dann sprach die Heilerin schockiert: „Mein… zukünftiger Mann? Was redest du da…? Spürst du nicht… …?“ Sie brach unschlüssig ab und fasste sich selbst auf die Brust, um dort ihr Herz schlagen zu spüren. Was sie als nächstes wisperte, ließ ihn kurz erstarren. „Spürst du nicht das Band, das die Geister zwischen dir und mir geknüpft haben… das uns zeigt, dass wir… zusammen gehören…?“ Puran schwieg lange. Er sah sie nicht an, als er endlich den Mund auftat, und was dann heraus kam, sollte alles Bisherige besiegeln und abschließen. „Nein, Leyya. So ein Band gibt es nicht zwischen uns… ich habe so niemals für dich empfunden.“ Er erwartete, dass sie in Tränen ausbrach oder wieder schrie. Aber sie tat nichts von beidem, als er es wagte, über die Schulter zu sehen. Sie ließ langsam die Hände wieder sinken und trat dann taumelnd in Richtung Tür. „Ich verstehe.“, murmelte sie dabei leise und er war bestürzt vor Gram, als er den schlimmsten Schmerz in ihrer Stimme hörte, den diese zierliche, liebevolle Frau nur ertragen konnte… er hoffte und betete, dass sie ihn ertragen würde. In ihr war in dem Moment etwas zerbrochen… es würde vermutlich nie wieder heilen. „Lass mich dir sagen, Puran… wenn du mich nicht zur Frau willst… dann werde ich niemals in meinem Leben einen Mann annehmen.“ Das war das Letzte, was sie sagte, ehe sie ging und leise die Tür hinter sich schloss. Und als sie weg war, war er es, der am Boden zusammenbrach und hemmungslos zu weinen anfing. Jetzt hatte er jedenfalls erreicht, was er hatte erreichen wollen. Leyya war fort und sie kam auch nicht zurück. Und Puran hatte gelogen… er kam überhaupt nicht zurecht, wie er zu den Geistern gesagt hatte. Er wusste, dass es für Leyya das Beste war, wenn sie ihn vergaß… so, wie er Ruja hatte vergessen müssen. Die war wenigstens nur fünf Jahre älter als er und nicht neun. Und Leyyas Wohlergehen war ihm wichtig genug, um sie und sie und alle Himmelsgeister anzulügen. Er spürte das seelische Band zwischen ihnen beiden genauso deutlich wie sie. Und dennoch wehrte er sich dagegen… Der Krieg gab ihm genügend Möglichkeiten, vor dem schlechten Gewissen zu fliehen, oder vor der Wirklichkeit, vor der Tatsache, dass er sich trotzdem immer noch zu ihr hingezogen fühlte und sich nach ihr sehnte. Am ersten Tag des Sommers hatten die Zuyyaner lange genug vor den Mauern gewartet und starteten den Angriff auf die Weltstadt. Nachdem Tabari sie erfolgreich am Fliegen gehindert hatte, mussten sie die Mauer wohl oder übel zu Fuß angreifen, was sich trotz der augenscheinlichen Überlegenheit der Zuyyaner als nicht einfach erwies. Aus dem Süden des Landes hatten die Geisterjäger eine ganze Menge an zusätzlichen Kriegern mitgebracht, auch Magier. Der König hatte ein Bataillon Soldaten vor der nördlichen Mauer postiert, während von oben Bogenschützen die Angreifer abwehrten. Seelenmagier waren dafür zuständig, die Mauer mit Schutzschilden abzuschirmen, wenn die Feinde mit Feuerbällen und Regen aus Eiszapfen warfen. Die Truppen vor der Stadt hielten sich wacker damit, die Angreifer niederzuschlagen, angeführt von einem Teil des Geisterjägerrates. Puran war mit Meoran auf der Mauer und dirigierte die Bogenschützen. Ausnahmsweise mal hatte er nicht gemosert, als sein Vater darauf bestanden hatte, ihn nicht vor die Mauer zu Nalani und den anderen zu lassen. „Bei deiner momentanen Beziehungskrise und Verwirrung bist du da vorne sicher keine Hilfe, ich hätte Angst um deinen Kopf.“, hatte Tabari verlauten lassen, „Deswegen bleib da oben und konzentriere dich dennoch.“ Und das tat er, denn das war eine Pflicht, vor der er nicht einfach weglaufen könnte. Die Angreifer schafften es trotz der Barrieren, ein paar vereinzelte Geschosse aus mächtigen Feuerzaubern auf die Mauer zu schmettern, einige kämpften sich unten durch die Truppen vor davor, um zu versuchen, sie zu überwinden; aber alle Versuche, Viallas Mauern zu bezwingen, blieben erfolglos, denn die Feinde, die sich bis dorthin vorgekämpft hatten, wurden entweder von den Heeren unten zerschmettert oder spätestens oben von den Bogenschützen, Meorans Federn oder Purans Geisterschwert in Stücke gerissen. Es gab auf beiden Seiten Verluste und besonders gefährlich wurde es für die Verteidiger eigentlich erst, als die Zuyyaner auf ihre stärkste und übelste Waffe zurückgriffen; die Seelenkugeln. Doch ehe sie eine Chance bekamen, diese effektiv einzusetzen, wendete sich das Blatt plötzlich durch das Auftauchen der Unterstützung aus Intario, dem Land im Norden des tharranischen Zentrums. Von zwei Seiten eingekesselt zogen sich die Zuyyaner für den ersten Versuch zurück zum Fluss Lanem im Hochland. „Endlich sind die Mächte der Schöpfung einmal auf unserer Seite!“, seufzte der König euphorisch, nachdem alle wieder in der Stadt waren und der Herrscher von Intario mit zwei Generälen im Palast empfangen worden war. „Das ist ein gutes Zeichen! Die Schamanen, jetzt die Artillerie aus Intario, langsam können wir uns behaupten gegen die Eindringlinge!“ „Wir sollten sie jagen und angreifen, solange sie noch verwirrt sind von unserer plötzlichen Stärke, Majestät.“, schlug einer der anwesenden Generäle vor, „Die werden ihr blaues Wunder erleben und dann vor uns davonlaufen wie die Hasen!“ Puran schnaubte, während der Rat der Geisterjäger gemeinsam mit den beiden Königen und den Generälen noch immer gerüstet durch den halben Palast in Richtung des Ratssaals eilte. „Bei allem Respekt, General, das halte ich für eine absolute Schnapsidee.“ Der General sah ihn an. „Ah, so? Dann bereichere uns mit deiner Weisheit und Lebenserfahrung, Junge – wie alt warst du noch gleich, achtzehn?!“ „Zwanzig.“, stöhnte der Jüngere und ließ sich nicht auf den Seitenhieb ein, sondern wendete sich direkt an den König, der ihn im Gehen groß anstarrte. „Aber recht hat er ja.“, meinte der Monarch, „Was spricht denn dagegen, sie jetzt zu zerschlagen, wo sie nicht damit rechnen?“ „Glaubt Ihr, das war alles, was die heute geleistet haben?“, konterte Puran verdutzt, „Das war ein Tropfen auf den heißen Stein! Wir sind hier hinter den Mauern sicher, Majestät. Wir können sie mit den Mitteln, die wir jetzt haben, vermutlich eine Weile verteidigen und beten, dass aus Senjo und Janami noch Verstärkung kommt. Mit den Geschützen aus Intario können wir die Feinde aus weiter Entfernung bewerfen, geben wir ihnen die Steine der Häuser zurück, die sie mit ihren Feuerkugeln aus dem Himmel zerstören konnten. Sollen sie kommen und gegen die Mauer branden wie eine Welle, und Vialla wird wie ein Fels stehen. Wenn wir aber da raus rennen, laufen wir ihnen in die Arme, verlieren sämtliche Infanterietruppen und die Zuyyaner überrennen Vialla. Ihr habt also die Wahl… wir sollten nicht leichtsinnig werden und den Rausch des einen kleinen Sieges auskosten.“ Er erntete verblüffte Blicke sowohl von den beiden Königen als auch von seinen Kollegen des Rates. „Seit wann bist du so strategisch veranlagt?“, wunderte sich sein Vater dann entsetzt und Nalani zuckte kurz mit dem Mundwinkel, um ein angedeutetes Grinsen zu zeigen. „Vermutlich die Gene deiner Mutter.“, murmelte sie in Richtung ihres Mannes, der nur schnaufte. Puran tat es ihm gleich. „Nein, ich beobachte und mache mir Gedanken. Irgendwomit muss ich mir ja meine Zeit vertreiben…“ Und mich von Leyya ablenken, addierte er in Gedanken, wagte aber nicht, das auszusprechen. Leyya hatte zu tun. Überraschenderweise hatten die Geisterjäger im Süden Kisaras ein paar alte Mitglieder des obersten Heilerrates auftreiben können, die im Kriegsfeuer aus Dokahsan geflohen waren. So wie der Rat der Geisterjäger allgemein als der Kreis der besten Schwarzmagier des Landes bekannt war, war der oberste Heilerrat natürlich die Runde der besten Heiler. Nalani hatte dafür gesorgt, dass die Ratsmänner Leyya unter ihre Fittiche nahmen und die Ausbildung beendeten, die Keisha begonnen hatte. Leyya sollte bald eine fertig ausgebildete Heilerin sein. Sie war eine schnelle und fleißige Lernerin und der momentane Führer des halben Rates lobte vor Nalani oft das begnadete Talent der jungen Frau. „Es ist unübersehbar, dass sie eine Tochter des Bao-Clans ist.“, hatte der Mann einmal gesagt, „Dafür, dass sie jahrelang nur mit Schwarzmagiern herum gelaufen ist, ist sie wirklich grandios.“ Nalani hatte die unverhohlene Kritik mal zynisch lächelnd übersehen. Heiler, vor allem die vom älteren Schlag, waren selten angetan von Schwarzmagiern oder deren Fähigkeiten. Die Heiler nannten die Geisterjäger gerne destruktiv, machthungrig oder kriegstreiberisch; an diesen Vorurteilen war Kelar vermutlich nicht unschuldig, hatte die Geisterjägerin sich manchmal gedacht, immerhin war der nicht besonders höflich zu den Heilern gewesen. Allerdings waren die hirnlosen Vorurteile den jeweils zwei anderen Parteien der Schamanen gegenüber schon immer irgendwie da gewesen, allerdings nie abgrundtief ernst gemeint; Schwarzmagier hatten auch ihre Gerüchteküche über die Telepathen und die Heiler, ebenso hatten die Telepathen Vorurteile gegen die Schwarzmagier und die Heiler. Das war nicht schlimm, solange es nicht in einem Gemetzel endete. Gemetzel gab es genug im Krieg. Und während Leyya lernte und mit allen wichtigen Kräutern und Heilzaubern umzugehen übte, konnte sie sich gleich dabei nützlich machen, gemeinsam mit den anderen Heilern die Verwundeten aus den Schlachten an der Nordmauer zu kurieren. Sofern sie nicht von den ominösen speziellen Waffen der Zuyyaner getroffen worden waren, waren die Wunden meistens gut heilbar. Der Sommer verging, ohne dass Leyya ihn hätte genießen können oder sich an ihm erfreut hatte. Sie war zu sehr mit ihren Kräutern und Zaubern beschäftigt… und damit, ihre eigene, tiefe Wunde im Herzen langsam zu kurieren. Sie würde nie heilen, hatte sie auch noch im Herbst das Gefühl, während sie eines Tages auf der Treppe zu einem der hübschen Höfe im Palast saß, auf ihrem Schoß eine Schale mit verschiedenen Heilpflanzen, die sie mit einem Stein zu Brei zerstampfte. Sie hatte Puran lange nicht wirklich gesehen… er war viel weg, an der Mauer oder davor, und er kämpfte tapfer für sein Land und das Volk… wenn er einmal im Palast war, ging er ihr aus dem Weg und sie wollte ihn nicht mehr ansehen. Wie sehr hatte sie sich selbst vor ihm erniedrigt, nur um am Ende nicht das zu bekommen, was sie sich so sehr von ganzem Herzen wünschte? Sie wusste, er würde sie sowieso nicht sehen wollen… aber sich damit abzufinden, dass er sie kein bisschen lieb hatte, schmerzte zu sehr, um es wahrhaben zu können. Sie wollte nicht daran denken. Traurig seufzend sah sie zu den Bäumen im Hof, die ihre Blätter nach und nach verloren. Es war Holzmond; immer wieder hatten die Zuyyaner versucht, die Mauer von Vialla zu Fall zu bringen, und bisher hatte sie standgehalten. Wer wusste schon, wie lange noch? Sollte das ewig so weitergehen? Die junge Heilerin sah bedrückt wieder auf die hässliche Kräuterpaste, die sie gerade fabrizierte. Es war ein Experiment, sie wollte versuchen, damit eine neue Medizin zu brauen. Sie sehnte sich so sehr nach Puran… plötzlich schmerzte der Wunsch in ihr, ihn umarmen und küssen zu können wie im Frühling, sie so sehr, dass sie fast geweint hätte… „Leyya!“ Sie hob abrupt den Kopf beim Klang der hellen Kinderstimme hinter ihr, bevor sie rennende Schritte hörte und sie plötzlich von hinten jubelnd angesprungen wurde, wobei sie fast ihre Kräuterpaste hätte fallen gelassen. „Nanu!“, machte sie und zwang sich zu kichern, „Saidah, du bist so ungehobelt, erschrecke mich nicht so!“ „Hihi!“, lachte Meorans kleine Tochter glücklich und kuschelte sich an sie, „Ich will mit dir spielen! Bitte, bitte, spiel mit mir!“ Die Heilerin seufzte lächelnd. Die kleine Saidah war im Moment der einzige Mensch, der ihr Freude machte. Sie war für sie wie eine kleine Schwester… es machte sie glücklich, sie aufwachsen zu sehen. Sie würde im Winter schon drei werden… wie schnell die Zeit verging. Normalerweise war das kleine Schwarzmagiermädchen sehr reserviert und vor allem Fremde begrüßte sie immer mit einem bitterbösen Blick voller Skepsis, ihre hübschen, blauen Augen wirkten dann wie die einer wachsamen Wölfin, die abschätzte, ob ihr Nachwuchs in Gefahr war. Aber wenn sie bei Leyya war, war sie völlig gelöst und konnte gar nicht lange genug herumtoben und spielen. Leyya spielte eigentlich gerne mit ihr, aber jetzt war ihr nicht nach Toben. Sie hatte Bauchweh… so war das, wenn man eine Frau war, einmal im Mond musste man Schmerzen ertragen. „Ich kann nicht, Saidah.“, sagte sie deshalb ernst, als das Mädchen sich von ihr löste, „Ich mache eine wichtige Medizin. Magst du hier bei mir sitzen und mir helfen? Du kannst auch einmal probieren, die Kräuter zu Brei zu machen.“ „Oh ja!“, freute sich das Kind begeistert, setzte sich artig neben sie und griff nach dem Mahlstein, während Leyya amüsiert die Schüssel festhielt. „Wir machen Brei für ein Baby, hihi!“ Leyya lachte leise und hob den Kopf, als ein Schatten über sie fiel und Saidahs Vater zu ihnen trat, ein wenig aus der Puste. „Du lieber Himmel, dieses Kind rennt zu schnell für einen alten Mann wie mich…“, stöhnte er und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Sie hat dich von Weitem gesehen und war nicht mehr zu halten… stören wir dich gerade, Leyyachen?“ Die Heilerin schüttelte den Kopf. „Ach was, überhaupt nicht. Und so alt bist du doch wirklich noch nicht, Meoran. Du bist doch noch nicht mal in der Nähe der Vierzig!“ „Ach.“, machte der Mann und rückte seinen Umhang zurecht, „Viel älter als das werde ich, so fürchte ich, auch nicht werden, so, wie ich jetzt schon vor mich hin kränkele.“ Er lachte und setzte sich dann neben seine kleine Tochter. Saidah strahlte ihn an, während Leyya ihn traurig ansah. Das glaubte er wirklich…? Er sollte nicht so pessimistisch sein… „Wir machen Babybrei, Vati, schau!“, erklärte Saidah ihm da stolz und zeigte auf den Matsch in der Schüssel. „Aber grünen Brei, iiih!“ „Babybrei?“ Meoran zog eine Braue hoch. „Aber Saidah, hier ist doch gar kein Baby!“ „Doch, Leyya kriegt sicher irgendwann eins, für das ist der grüne Brei! Das arme Baby, hihi!“ Leyya errötete. „I-ich kriege doch kein Baby!“, beschwerte sie sich verlegen und sah zur Seite, als Meoran sie angrinste. „Ich… würde ja gerne, aber dazu fehlt mir wohl der Mann…“ Sie wurde immer leiser, als sie sprach, und senkte schließlich immer noch rot im Gesicht das Haupt. „Was… macht Puran so, Meoran? Geht… es ihm gut?“ Der Geisterjäger seufzte mit einem wohlwollenden Lächeln. „Um die Wahrheit zu sagen… nein, nicht wirklich, so fürchte ich. Er ist nicht körperlich krank…“, warf er ein, als Leyya ihn entsetzt ansah, „Es ist wohl… eher was Seelisches, was ihn fürchterlich fertig macht…“ Er musste das wissende Grinsen wirklich unterdrücken; Leyya würde auch so verstehen, was er damit sagen wollte. „Hat er… zu dir jemals etwas gesagt… über mich?“, wisperte die Heilerin deprimiert, „Nimmt er meinen Namen überhaupt in den Mund?“ „Nein… mit seiner Zunge spricht er nicht über dich. Aber mit seinem Blick tut er es manchmal, ohne es zu merken, wenn er an die Wand oder ins Nichts starrt…“ Darauf schwieg die Jüngere ernüchtert; obwohl es in ihr einen winzig kleinen Funken Hoffnung schürte… Hoffnung darauf, dass sie ihm vielleicht nicht so egal war, wie sie dachte… Nein. Hoffe nicht, Leyya… das wird dich nur wieder verletzen. Sieh den Tatsachen ins Auge. Vielleicht irrst du dich mit dem Gefühl des Geisterbandes zwischen dir und ihm… vielleicht gibt es wirklich keins. Sie sah wieder auf Saidah und die Kräuterpaste und seufzte ergeben. „Vielleicht schaffe ich es eines Tages, eine Medizin für deine Krankheiten zu erfinden, Meoran. Damit du alt genug wirst, um mitzukriegen, wie deine süße Tochter groß und erwachsen wird.“ Der Herbst war rot. Rot wie die Blätter, die von den Bäumen fielen, und rot wie das Blut, das vergossen wurde, als man erbittert um den Stand von Viallas Mauern kämpfte. Puran hatte recht behalten; wären sie hinaus gelaufen, um die Zuyyaner zu jagen, wäre das ihr Tod gewesen. Obwohl sie viele vernichten konnten im Kampf um die Stadtmauer, kamen immer wieder neue nach; die Zuyyaner schienen unendlich viele Krieger zu haben Zu allem Überfluss teilten sie sich jetzt in zwei Fronten auf, wovon eine nach Westen, nach Thalurien, zog, um die Reiter aus Senjo daran zu hindern, als Verstärkung anzurücken. Tabari ließ sich nicht einschüchtern von der Übermacht der Feinde, wenn er als Führer des großen vereinten Heeres von Kisara und Intario und als Vertreter der Schamanen an der Front. „Vernichtet sie und zeigt keine Gnade, denn ihr werdet von denen auch keine bekommen!“, verkündete er und hob das Schwert, das er trug, gen Himmel, während er mit der anderen Hand einen Windwirbel erzeugte. „Ihr kämpft nicht für mich, nicht für einen König oder irgendeine ungreifbare Macht! Ihr kämpft für eure Familien, die in diesem Land leben wollen, für eure Frauen und Kinder, für eure Heimat! Also steht aufrecht, Männer aus Kisara und Intario, Krieger des Zentrums! Steht aufrecht und zerschmettert die Eindringlinge, die euch das alles wegzunehmen versuchen!“ „Für Kisara!“, war die gegrölte, trotz aller Schicksalsschläge motivierte Antwort der Armee hinter ihm, „Für Tharr!“ Wie eine gigantische Flutwelle schmetterten die zuyyanischen Kämpfer gegen die Verteidiger vor der Stadt und die Mauer dahinter. Aus dem Himmel regnete Feuer, das durch eine ausschweifende Armbewegung von Nalani vom Schatten verschlungen wurde, den sie mit bloßer Willenskraft erzeugte. Sie war die einzige Frau in einer Armee, aber keiner zweifelte daran, dass sie mächtiger war als viele Männer es jemals gewesen waren. In aller Finsternis der Schlacht erhellte der Schein eines bösartigen, gigantischen Feuers den Tag, und Puran auf der Stadtmauer vergaß für einen Moment sämtliche Befehle und Bogenschützen. Da, in der Ferne hinter den vorderen Fußtruppen saß der blonde General aus dem Hochland, den er bei Aughot nicht hatte besiegen können. „Der lebt also doch noch!“, keuchte er, „Das ist der Heerführer, Meoran, sieh!“ Als Meoran den Kopf drehte, fuhr er nur zurück und riss beide Arme empor. „Den Namen verdient er sich garantiert, passt auf! Das Feuer aus seinen Händen kommt direkt auf uns zu!“ Der mächtige Feuerschlag war größer als alle anderen je zuvor und erschütterte die ganze Stadt. Das Feuer war zu mächtig für jede noch so stabile Mauer, war Purans einziger, panischer Gedanke, als er reflexartig seine Waffe hochriss und dem drohenden Tod, der sie alle zerschmettern sollte, den geballten Zorn der Mächte der Schöpfung entgegen schleuderte; alle Macht, die die Himmelsgeister durch das Geisterschwert aufbringen konnten, um das Schicksal davon abzuhalten, Vialla zu zerstören… das Aufeinanderprallen beider Mächte, der des zuyyanischen Todesfeuers und der der tharranischen Geister, erzeugte ein ohrenbetäubendes Dröhnen und eine Druckwelle, die sämtliche Krieger in großem Umkreis zu Boden schleuderte. „Vater Himmel!“, keuchte Puran und riss den Kopf empor, um in die Finsternis über ihnen zu blicken, ehe er die Atme wieder erhob und die Explosion beider Kräfte mit einem Schwung seines Schwertes weg von Vialla und zurück auf die Feinde schmetterte. „Vater Himmel, bring deinen Zorn über die, die dein Land zerstören! Und Mutter Erde, lasse sie fallen in einen gähnenden Abgrund der Schwärze… und spucke sie niemals wieder aus, die Frevler!“ Dann gab es ein weiteres Krachen, als Puran das Geisterschwert verschwinden ließ und beide Arme in den Himmel riss, den Kopf in den Nacken werfend, damit die Mächte der Schöpfung ihm gehorchten. Und sie folgten ihm. Von oben kam ein dröhnendes Donnern gemeinsam mit einem gleißenden Blitzschlag, während das Land erbebte unter den Füßen der Armee. Und unter den Gegnern brach der Erdboden in Stücke und bildete einen gewaltigen Spalt mitten im Land. Die Zuyyaner flohen, so schnell sie nur konnten, und dennoch stürzten viele in die Tiefe, während das Grollen von Himmel und Erde die Welt überschattete. Als Puran keuchend den Kopf wieder nach vorn drehte, traf sein erboster Blick den des zuyyanischen Heerführers, der zum Rückzug blies. Für einen Moment blickten beide Männer trotz der meilenweiten Entfernung einander unverwandt an, dann neigte der Zuyyaner den Kopf, seine Niederlage anerkennend. Warte, du Geisterkind der Schamanen… eines Tages werde ich euch auch noch zu Boden zwingen. Tabari rappelte sich hustend vom Erdboden auf und sah fassungslos auf den Erdspalt, der sich nur einige Fuß vor der Armee auftat. Sein nächster Blick galt Nalani und Barak Kohdar, die ein kleines Stück rechts von ihm gerade dabei waren, auf die Beine zu kommen. Mit einer Handbewegung von Nalani riss der schwarze Himmel wieder auf, es folgten graue Wolkenberge, die noch immer erzürnt vor sich hin grollten. „Was… im Namen aller Geister war das?“, murmelte Barak Kohdar und sah mit seinem einen Auge verdattert in Richtung Vialla. Die Frau verengte die blauen Augen zu schmalen Schlitzen. „Himmel und Erde sind launisch… wie es aussieht.“ Sie blickte zur Mauer, an die Stelle, an der sie sonst meistens ihren Sohn hatte stehen sehen, jetzt sah sie nur einen davon wehenden Zipfel seines Umhanges, der hinter der dahinter verschwand. „Meister! Kannst du mich hören, bist du verletzt?!“, fragte Puran seinen Lehrer entsetzt, während er ihm auf die Beine half. Meoran hustete nur. „Ach, keine Sorge, Unkraut vergeht nicht… deine unheimliche Macht hat die Bogenschützen umgehauen und mich gleich mit, das ist alles…“ „Auch noch meine Schuld!“, jammerte Puran und sah ihn skeptisch an, „Wirklich alles in Ordnung…?“ „Bis auf mein hässliches Auge ja…“ Inzwischen rappelten sich auch die Bogenschützen einer nach dem anderen wieder auf. Meoran fasste nach seiner Wange, die einen kleinen Kratzer von umher fliegenden Eiszapfen abbekommen hatte, und spähte über die Mauer hinab. „Jetzt bricht Chaos in der Stadt aus… wir sollten rasch hinunter gehen. Rührt euch, Schützen!“ Die Zahl der Verwundeten war trotz des weiteren Sieges groß und die Heiler und menschlichen Ärzte hatten alle Hände voll zu tun, als die Krieger zurück in die Stadt kehrten. Während Leyya den Mitgliedern des Heilerrates dabei half, das an Wunden zu heilen und zu versorgen, was ihrem Niveau entsprach, sah sie immer wieder hektisch in der Menge der Verletzten nach den Geisterjägern; waren sie alle wohlauf? Was war mit Puran…? Aber wenn er nicht hier war, war es gut… dann war er vermutlich nicht verwundet, das beruhigte sie ungemein… „Leyya!“ Sie fuhr auf und errötete, als einer der anderen Heiler sie hastig am Arm packte. „Träum nicht! Rasch, wir haben zu wenig des blutstillenden Hamamelis-Extraktes, geh rasch einen großen Topf holen und aus dem Hinterhof die Zweige der Hamamelis, sofern noch welche übrig sind. Ansonsten Thymian, so viel du tragen kannst. Rasch, Kleine!“ Die junge Frau keuchte und nickte entsetzt, ehe sie herum wirbelte und davon rannte durch den Palast. Sie musste sich mühsam durch Mengen von Menschen drängeln. Krieger, Diener, Bürger von Vialla… manche stießen sie aus Versehen zur Seite oder zu Boden, ihre gemurmelten Rufe, sie wäre Heilerin und müsste schnell durch, hörte niemand… sie war zu klein und zu leise. Im Hinterhof war wirklich nicht mehr viel übrig von der Rinde der Hamamelis, einem kleinen Bäumchen, das die Eigenart hatte, im Winter zu blühen. Die Heilerin hatte keine Zeit, ewig an dem Baum herum zu kratzen, so nahm sie nur das, was einfach zu erlangen war und hechtete wieder hinein in den Palast, um nach einem Kochtopf und Thymian zu suchen. Am besten fände sie das sicher in der Küche – „Au!“ Plötzlich stieß sie gegen etwas und wäre beinahe nach hinten umgefallen, da wurde sie plötzlich am Arm gezogen, ehe eine weitere Meute aufgeregt rufender Menschen sie hätte zu Boden trampeln können. „Leyya, du bist hier! Ich habe mich schon gefragt, wo du stecken magst, so ein Chaos!“, rief Ruja durch den Lärm, die sie zur Seite gezogen hatte, auf ihrem Rücken trug sie ihr kleines Kind Huckepack. „Hallo, hihi!“, jubelte Saidah vergnügt. Meoran tauchte auch neben seiner Frau auf, offenbar unverletzt, was sie beruhigte. „I-ich muss zur Küche!“, rief sie energisch, „Ich soll Thymian und einen Topf holen! Ich habe keine Ahnung, wo die Küche ist, ich war nie dort…“ Sie hatte kaum ausgesprochen, da nahm Ruja sie schon am Arm und lief mit ihr los. „Dann helfen wir dir rasch suchen, komm!“ Als sie die Küche gefunden hatten, waren dort nur zwei Männer, einer wienerte den Boden und der zweite hob verblüfft den Kopf, als die Magier hereinstürzten. „Ich brauche einen Topf und Thymian für den Heilerrat!“, erklärte Leyya kleinlaut, als der fremde Mann sie und die Chimalis-Familie hinter ihr plötzlich mit seinen scharfen, grünen Augen musterte. Für einen sehr kurzen Moment erinnerten sie die grünen Augen an irgendetwas, aber sie konnte sich nicht erklären an was. Meoran sprach, worauf der schweigsame Kerl seine Augen auf ihn richtete. „Rasch, Koch, oder sollen die Menschen da oben sterben?“ Der Angesprochene erhob sich, fuhr sich kurz durch die braunen Haare und holte aus dem Küchenschrank einen großen Topf hervor. Aus einem anderen Schrank holte er das Gewürz Thymian. Als er Leyya beides gab, galt sein süffisanter Blick jedoch Meoran und als er grinste, entblößte er seine ungewöhnlich spitzen Eckzähne. „Wenn das so ist… rasch, Chimalis, bring den sterbenden Männern einen leeren Kochtopf…“ Meoran starrte ihn nur mit seinem gesunden Auge erstaunt darüber, dass er seinen Namen direkt wusste, an, bis der komische Kauz auch Ruja und Saidah einen Blick schenkte. „Worauf wartet ihr denn? Flink, husch, ihr habt hier nichts verloren.“ Ruja sprach nicht, als sie zurück zu den Heilern eilten. Doch Meoran überkam plötzlich ein furchtbares Gefühl, irgendetwas uraltes, in Vergessenheit geratenes, ein unheilschwangerer Schatten… er hatte keine Ahnung, woran es lag, aber es war ein schlechtes Zeichen. Der König von Kisara war ganz aus dem Häuschen. „Die Geister von Himmel und Erde sind wahrlich einmal auf unserer Seite in diesen dunklen Monden des Krieges!“, ereiferte er sich beim abendlichen Bankett, das zu Ehren des erneuten Sieges über die Zuyyaner abgehalten wurde. Egal, wie schlecht die Zeiten sein mochten, für ein Festmahl hatte man immer Zeit, so schien es. „Es ist wirklich so, die Feinde branden gegen unsere Mauer und sie steht wie ein Felsen! Vor einem halben Jahr habe ich noch geglaubt, das sei unser Untergang, als die Zuyyaner vor den Toren standen, und siehe! Welch großen Wandel hat das Schicksal genommen…?“ So freute er sich und redete und redete, und die Oberschicht, die mit ihm am Tisch saß, eingeschlossen der Senat und die Mitglieder der Schamanenräte, hörten ihm entweder zu oder ließen es bleiben. Es war an jenem Abend während des Banketts, dass Leyya zum ersten Mal seit langem Gelegenheit hatte, Puran länger als nur einen flüchtigen Moment lang anzusehen, als er ihr gegenüber an der Tafel saß. Und obwohl er sie nicht einen Augenblick lang ansah oder beachtete, weil sie in seinen Augen Luft zu sein schien, war sie so glücklich, ihn ansehen zu können… sie konnte sitzen, essen und ihn dabei beobachten. Obwohl er so beschäftigt war und in der Schlacht kämpfte, sah er noch immer so hübsch und perfekt aus… kaum ein Kratzer war in seinem Gesicht, und wenn doch, waren es ganz kleine, die nicht mal eine Narbe zurücklassen würden. Doch alles Glück darüber, ihn sehen zu können, war trügerisch. Je länger sie ihn beobachtete, desto größer wurde in ihr die Sehnsucht, mit ihm sprechen zu können… sie wollte um den Tisch herum rennen und ihn umarmen, sie wollte ihm alle Liebe geben, die sie aufbringen konnte… es war, als zöge das Geisterband sie automatisch zu ihm hin, wenn sie ihn ansah. Das Geisterband, das offenbar nur in ihrer Fantasie existierte… „Nein, Leyya. So ein Band gibt es nicht zwischen uns… ich habe so niemals für dich empfunden.“ Die Erinnerung an seine Worte schmerzte sie und ließ sie zusammenfahren, den Kopf tief über ihren Teller senkend. Es schien so lange her… es war über ein halbes Jahr her, dass er das gesagt hatte, und dennoch war ihr, als wäre es gestern gewesen. Als wäre es gestern gewesen, dass ihre Seele so furchtbar zu schmerzen begonnen hatte. Ohne dass sie es wollte spürte sie, dass ihr die Tränen kamen. Sie wollte nicht weinen… nicht vor den anderen! Nicht vor Puran… dem das vermutlich egal wäre. Dem sie egal war… jetzt bereute sie es, ihn zuvor noch angesehen zu haben, und wünschte sich, sie wäre ihm an diesem Tag nie begegnet. Vielleicht wäre der Schmerz dann nicht so groß gewesen… „Entschuldigt mich…“, stammelte sie, als sie sich erhob und Ruja sie noch bestürzt ansah. Sie kümmerte sich nicht darum und verließ eilig den Speisesaal… je weiter sie vom Tisch weg ging, desto schneller ging sie, bis sie rannte. Vielleicht konnte sie so das Gefühl in sich verjagen, das ihr sagte: Bleib doch… lauf nicht weg. Sie merkte auch nicht, dass Puran ihr nachsah. An der Stelle der Tafel, an der die Geisterjäger und ihre Anhängsel saßen, herrschte jetzt Stille, während der König und die anderen fröhlich feierten. Schließlich fing Puran an zu jammern und vergrub das Gesicht in den Händen, die Ellenbogen auf den Tisch stützend, was man eigentlich ja nicht machte. „Das kann doch nicht wahr sein! Ich darf nicht mal mit ihr im selben Raum sein, ohne dass sie mit mir jeder Pore ihres Körpers ein so schlechtes Gewissen macht, dass ich das Gefühl habe, ich müsste brechen!“ „Nicht auf den Braten, bitte.“, war Neron Shais feixender Kommentar, „Habt ihr jemals so einen Braten gesehen? Das ist der Wahnsinn, ich glaube, ich ziehe hier ein.“ „Braten, ach!“, jammerte Puran neben ihm und stieß ihn empört an, „Ich habe hier Probleme, ja?! Und du redest von Braten!“ Meoran verdrehte sein eines Auge. „Geh ihr nach!“, riet er ihm, „Sei ehrlich, Puran, es macht dich genauso wahnsinnig wie Leyya – und ihr beide macht damit uns alle wahnsinnig! Hör auf, ihr aus dem Weg zu gehen, geh zu ihr.“ „Als ob das so leicht wäre, sie wird mich den Rest des Abends ohrfeigen, Meister!“ Seine Mutter neben ihm brummte. „Das hättest du auch verdient, du Idiot.“ Tabari, der ihr gegenüber saß, sah seine Frau amüsiert an. „Sie ist eine richtige kleine Nilfa, unsere kleine Leyya.“ Nalani zog eine Braue hoch und Puran gleich zwei. „Was, eine Nilfa? Was bedeutet das, ich dachte, das wäre ein Fluss in Thalurien?“ „Ja, genau. Der Fluss hat seinen Namen von der Märchengestalt namens Nilfa. Ich erzähle dir die Geschichte, das ist eine alte Sage in Thalurien. Sie handelt von einem Flussgeist, der in dem Fluss wohnte, der heute Nilfa heißt. Der Flussgeist pflegte in Gestalt eines wunderschönen, unschuldigen Mädchens an Land zu kommen und auf einem großen Felsen am Ufer zu sitzen, ganz allein und hilflos, wie es schien. Und eines Tages kam ein Fischer den Fluss hinauf mit seinem Boot. Er sah das unschuldige Mädchen, und, na ja, was dann in Märchen eben so passiert, war natürlich geblendet von ihrem Äußeren. Er hat sie mit in sein Boot genommen und sich mit ihr vergnügt… als er dann seinen Verstand wiedergefunden hat, ist ihm aufgefallen, dass er aber daheim eine Frau hat, die er nicht betrügen wollte, deswegen hat er den Flussgeist wieder verstoßen. Und der Geist war zornig und hat das Boot des Fischers umgeworfen, um den Mann mit sich in die Tiefe zu ziehen und für immer an sich zu binden. Er ward nie mehr gesehen. Die Leute in Thalurien ehren und fürchten den Fluss Nilfa gleichermaßen, die bringen dem Geist des Flusses Gaben, um ihn ruhig zu stimmen…“ Tabari kicherte, als er sein Märchen beendete, und die anderen starrten ihn groß an. Dann richteten sich alle Blicke auf Puran, der erbleicht war, bis Tabari noch einen Schlusssatz fand: „Seitdem ist es zu einer Redewendung geworden, solche Mädchen als Nilfa zu bezeichnen, mit denen man sich einmal einlässt und die man dann deshalb nie wieder los wird, haha.“ Puran schnappte nach Luft und Tare Kohdar schüttelte den Kopf. „Tabari, das war ganz schön kontraproduktiv…“ „Aber irgendwo hat er doch recht…“, war der Einwurf seines Bruders. „Ich will aber nicht in die Tiefe gezogen werden, Vater!“, entrüstete Puran sich errötend, und Tabari feixte. „Na ja, das wirst du vielleicht ja gar nicht… du hast ja keine Frau, wegen der du die Nilfa verstoßen müsstest.“ „Ich bin zu alt für sie!“, zischte der Sohn entrüstet, „Das geht doch nicht, Vater, das sind verdammte neun Jahre! Das… ist doch pervers!“ Tabari verdrehte die Augen und jetzt war es Meoran, der sich laut räusperte und seinen Schüler ungewohnt grimmig ansah. „Entschuldige mal, ich bin auch neun Jahre älter als meine Frau! Findest du mich jetzt auch pervers, Puran?“ Daraufhin starrte der Jüngere ihn perplex an und wagte nicht mehr zu sprechen. Tatsächlich… das war ihm nie bewusst gewesen! Wie peinlich… „N-nein-… ich meine… Ihr nicht, Meister, ich meine, das… ist doch was ganz anderes…“ Meoran tat beleidigt und drehte den Kopf weg, worauf der arme Puran beschämt in sich zusammen sank. Warum war er immer der Idiot, der ins Fettnäpfchen trat? Nalani schenkte ihm einen kalten Blick von der Seite. „Geh ihr nach.“, befahl sie ihm dumpf. „Beende diesen Zirkus endlich. Du weißt, dass die Geister euch beide zusammengeführt haben. Du spürst die Verbindung genau wie sie, du wehrst dich nur aus einem ziemlich dämlichen Grund dagegen. Du liebst sie… ist da das Alter nicht egal?“ „Ach!“, schnaubte er und erhob sich zornig, „Was wisst ihr schon, ihr albernen Spaßvögel?! Hört auf, mich mit Leyya verheiraten zu wollen, ich suche mir meine Frau verdammt noch mal selbst aus! Ich, Mutter, hörst du, und nicht die Geister!“ Damit drehte er sich auf dem Absatz um und stampfte ebenfalls aus dem Saal, in die entgegen gesetzte Richtung wie Leyya zuvor. Er wollte nur in sein Bett. Eine Weile irrte er wütend und unglücklich durch den Palast und wollte nichts weiter als sein Zimmer finden und den Rest des Abends dort verbringen, niemanden sehen und mit niemandem reden. Als er aber endlich den Korridor erreicht hatte, in dem die Gemächer seiner Familie waren, kam alles anders. Der Flur war dunkel und verlassen, nur eine einzige Wandkerze erleuchtete den gesamten Korridor und das nur spärlich. Und mitten auf dem Fußboden kauerte Leyya und weinte bitterlich. Als er sie erkannte, wie ein Häufchen Elend am Boden liegend und weinend, erstarrte er erst fassungslos; dann kehrte das schlechte Gewissen mit aller Macht zurück, als wollten die Geister ihm zeigen, was er ihr angetan hatte, und ihm dieselben innerlichen Schmerzen zufügen. Sie weinte. Und das nur seinetwegen… das spürte er instinktiv. Eine Weile stand er von ihr unbemerkt einfach nur da und sah auf sie herunter, bis er den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Plötzlich waren all seine Vorsätze egal… sie hatte es nicht verdient, so elend am Boden zu liegen und zu weinen. Und er war es nicht wert, dass sie es seinetwegen tat… „Leyya…“, sprach er sie an und ärgerte sich darüber, dass aus seiner Kehle kaum ein Ton kam. Doch sie hörte ihn, denn sie hob erschrocken den Kopf und rappelte sich auf, bis sie saß. Errötend drehte sie das hübsche Gesicht weg und fuhr sich schluchzend über die Augen. „Was machst du da?“, fragte er sie dumpf, „Warum liegst du mitten auf dem Flur…?“ „Ich weine, weil mein Fuß umgeknickt ist!“, schluchzte sie herzergreifend und rieb sich den Knöchel, „Es tut weh… i-ich bin hingefallen…“ Er sah bestürzt auf ihren tatsächlich leicht geschwollenen Knöchel und seufzte, sich vor sie hockend. „Wieso wendest du dann keinen Heilzauber auf dich selbst an…?“, murmelte er benommen und hatte keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte. Es gab keine Worte, die rechtfertigten, was er getan hatte… das wussten sie beide. Es gab keine Wort der Entschuldigung oder Fragen nach ihrem Wohlbefinden; was wäre das für eine dumme Frage gewesen? Man sah ja, wie sie sich fühlte… Leyya senkte bitter lächelnd den Kopf. „Ja…“ machte sie, „Heilzauber. Das… vergaß ich beinahe in meinen Schmerzen. Wie dumm von mir…“ Dann fuhr ihr Gesicht hoch und sie schrie ihn an mit aller Wut und allem Schmerz, den sie hatte: „ES GIBT NICHT FÜR JEDEN SCHMERZ EINEN ZAUBER, PURAN!“ Als sie wieder in Tränen ausbrach, schloss er sie plötzlich fest in seine Arme und drückte sie an sich. Und vor Schreck vergaß sie ihre Tränen, als er das Gesicht verzweifelt keuchend in ihren schönen Haaren vergrub und erzitterte, sie dabei fest an sich drückend, als wollte er sie nie wieder loslassen. „Vergib mir!“, heulte er und sie erstarrte in seinen Armen. „Ich weiß… zwei simple Worte werden nicht gut machen können, was ich getan habe-… nichts kann diese… Schande gut machen, Leyya. Ich bin ein Idiot, ich… habe einen Fehler gemacht, als ich dich an jenem Tag… von mir stieß. I-ich habe so sehr versucht… dagegen anzukämpfen… a-aber… ich… ich kann nicht mehr! Ich halte das… nicht mehr aus… dich so sehen zu müssen, dich weinen sehen zu müssen, dich nicht bei mir haben zu können… i-ich kann das nicht mehr! Bitte vergib mir, wenn du kannst…“ Sie erzitterte jetzt, während er sprach, und voll von Fassungslosigkeit weitete sie ihre dunklen Augen, als er sich vorsichtig von ihr löste und ihr Gesicht ansah, die Hände hebend und immer wieder sanft ihre Wangen streichelnd, die gerötet und feucht von ihren Tränen waren. Er schniefte. „Ich habe gelogen… damals. Ich…“ Er senkte kurz den Kopf, nur um ihn dann rasch wieder zu heben und sich zu ihr vorzubeugen, worauf sie bebend vor sehnsüchtiger Erwartung die Augen schloss. Sie spürte, wie sein Atem ihre Lippen kitzelte. Wie sehr hatte sie seine Nähe vermisst…? Und plötzlich war er da, plötzlich umarmte er sie und war ihr wieder so nahe, dass ihr Herz wieder zu schmerzen begann; dieses Mal vor Freude, so sehr, dass sie fast wieder geweint hätte. „Ich spüren das Geisterband, von dem du sprichst, genauso wie du, Leyya…“ Das gesagt überwand er den letzten Zoll zwischen ihnen und küsste sie liebevoll auf die Lippen. Von einem Moment auf den nächsten war Leyya vom unglücklichsten Menschen der Welt zum glücklichsten geworden, als sie seine Lippen auf ihren spürte, wie sie sich sanft gegen sie drückten. Und willig öffnete sie den Mund und ließ zu, dass ihre Zungen einander berührten, wie sie es vor einer gefühlten Ewigkeit schon mal getan hatten. Sie teilten einen langen, innigen Kuss, und Leyya wünschte, er würde nie enden, als Puran sich von ihr löste und errötend das Gesicht senkte. „Ich…“, murmelte er verlegen und wusste nicht, wie der Satz weitergehen könnte. Leyya brauchte jetzt keine Worte mehr. Er spürte das Band auch! Das war alles, was ihr wichtig war, und sie erstrahlte wie die aufgehende Sonne und fiel ihm überglücklich um den Hals. „Ich hab dich so sehr vermisst…“, schluchzte sie und weinte schon wieder, sich fest an ihn pressend, und er umarmte sie zärtlich und küsste ihre Wange und ihren Hals, während seine Hände hastig über ihren schlanken Rücken streichelten. „Ich habe mich so nach dir gesehnt, Puran… jeden Tag und… jede Nacht…“ Jetzt errötete sie auch, als sie an die vielen einsamen Nächte dachte, die jetzt vorbei waren. Er zog ihr Kinn mit den Fingern empor und küsste sie noch mal. „Ich weiß…“, nuschelte er dann, „Ich habe dich… doch auch vermisst. Ich habe mich genauso gesehnt…“ Er erzitterte abermals, als sie ihn ansah. Sie war hübsch… trotz ihrer Tränen war sie wunderschön in diesem Moment, in dem sie auf dem Flur des Palastes am Boden knieten, als er sanft ihre Wangen und ihre langen Haare streichelte. Und sie war eine Frau… nie hatte sie erwachsener gewirkt, reifer und anziehender, als in diesem Augenblick, dachte Puran errötend, und ein Gedanke führte zum nächsten. Wie lange war es her, dass er sie so hatte berühren können…? Sie keuchte unwillkürlich, als er sie in plötzlicher Wildheit zu Boden warf und sich über sie rollte, um sie abermals zu küssen. Dieses Mal küsste er sie heftiger und fordernder, und er war wenig überrascht, als sie sein Verlangen sofort erwiderte, heftig die Arme um seinen Nacken schlang und sich dem Kuss hingab. „Ich habe jede Nacht an dich gedacht…“, brummte er über ihr, als sie voneinander abließen, und sie seufzte leise und schloss bebend die Augen, als er sich über ihr Schlüsselbein beugte, um es zu küssen. Mit einer Hand stützte er sich am Boden ab, die andere fasste jetzt nach ihrem Oberarm, dann fuhr sie hinauf auf ihren Oberkörper, um ihre hübsche Brust anzufassen. „Verdammt… wie hab ich das ein halbes Jahr lang ausgehalten…?“ Sie lächelte und begann, sein Hemd aufzuknöpfen, als er an ihrem Kleid zu schnüren anfing, dabei richtete sie sich langsam wieder etwas auf, sich streckend, um ihn wieder küssen zu können. Da war das Feuer, nach dem sie sich gesehnt hatte… das Feuer vom Blutritual, das er ihr damals gegeben hatte. Sie spürte es jetzt in ihrem Körper von neuem zum Leben erwachen, ebenso wie in seinen Lenden, als sie sich leise stöhnend gegen ihn presste und er ungeduldig mit den Händen unter ihr Kleid glitt. Ja, sie fragte sich dasselbe wie er… aber im Vergleich zum vergangenen halben Jahr war die Erregung in ihrem Inneren jetzt sehr viel stärker und ungezügelter… jetzt schien das vergangene halbe Jahr zu verblassen… Sie erinnerte sich hinterher nicht mehr, wie sie es geschafft hatten, vom Flur in sein Bett zu kommen. Und es war ihr völlig egal… die ganze Welt war ihr egal, als sie mit dem Kopf auf den weichen Kissen lag, während er über ihr war und mit ihr schlief. Sie waren eins, und Leyya bewegte sich mit ihm und umschlang atemlos die Hitze seines Körpers über ihr, während sie in seinen Armen seit langem wieder Erfüllung und Freude fand. Es war so schön… es fühlte sich so richtig an, wenn er sie berührte, wenn sie sich küssten… sie wusste genau, dass sie sich niemals geirrt hatte mit dem Geisterband. Die Geister von Himmel und Erde wollten, dass sie zusammen waren… jetzt waren sie es endlich. Und Purans frühere Hemmungen ob des lächerlichen Altersunterschiedes waren dahin, als sie sich so in aller Hingabe und aller Leidenschaft vereinten, die sie besaßen. Er liebte sie, wie ein Mann eine Frau lieben sollte, und es war recht so. Sie gehörte hierher… an seine Seite, in seine Arme, so, wie er zu ihr gehörte. „Von diesem Moment habe… ich oft geträumt, weißt du?“, flüsterte sie andächtig, als sie glücklich und erfüllt beieinander in seinem Bett lagen und er ihr dieses Mal nicht den Rücken kehrte nach dem Sex. Er hatte sie zärtlich in seine Arme gezogen und sie kuschelte sich glücklich an seine nackte Brust, mit den Fingern sanft seine Haut streichelnd. „Dass wir zusammen hier liegen würden wie Mann und Frau… es… fühlt sich schön an.“ Er gluckste, plötzlich völlig erleichtert und gelöst von seinen ernsten Gedanken von zuvor. Ja, es fühlte sich wirklich schön an. Es war richtig so. „Warum flüsterst du, Leyya?“, grinste er sie an, „Gibt es etwas zu verbergen?“ Sie lachte leise. „Nein… ich habe nur Angst, den wunderschönen Augenblick mit dir zu zerstören, wenn ich laut spreche… als wäre… er aus Glas, ganz wertvoll und zerbrechlich, so fühlt es sich an.“ Dabei streichelte sie lächelnd seine Brust und küsste seinen Hals. Er hörte zu grinsen auf und fuhr ihr gedankenverloren mit den Fingern durch die Haare. Lange Zeit schwiegen sie beide und genossen einfach die intime Wärme zwischen ihnen, während sie in der Dunkelheit des Zimmers nackt beieinander lagen. „Hat dir jemals jemand gesagt, wie wunderschön du bist, Leyya?“, murmelte er dann und betrachtete sie lange Zeit. Sie löste sich etwas von ihm und sah ihn verlegen an. „Was, ich?!“, lachte sie, „Unsinn, Puran, schau meinen hässlichen Körper doch an…“ „Ja, das tue ich!“ Er schnaubte leise, während er sich vorsichtig wieder über sie rollte. Dann begann er, sie überall zu streicheln und zärtlich mit den Lippen zu liebkosen. „Ich finde dich wunderschön… hier…“ Dabei streichelte er ihr hübsches Gesicht, „Und hier…“ Sie keuchte leicht und wurde rot, als er jetzt mit den Händen ihre kleinen Brüste erfasste und sanft drückte. „Und hier… und hier auch…“ Er berührte sie überall und zeigte ihr, wie hübsch er sie fand, und verlegen und gerührt wurde sie noch röter, während sie den Funken in ihrem Unterleib wieder aufkeimen spürte, als er sie auch dort zärtlich streichelte und küsste. „Findest du… wirklich…?“, nuschelte sie dann und wand sich erhitzt unter ihm, als er sich wieder über ihr Gesicht beugte. Sie hob vorsichtig die Arme, um ihn auch zu berühren. Als er über ihr leicht keuchte, musste sie lächeln. Dann beugte er sich zu ihr herunter; zuerst glaubte sie, er wollte sie küssen, und war deswegen zunächst verdutzt, als er sein Gesicht an ihrem Mund vorbei und stattdessen zu ihrem Ohr senkte. Als er sprach, war er ganz leise, aber sie hörte jedes seiner Worte mit ihrer ganzen, glücklichen Seele. „Ich liebe dich, Leyya… und das habe ich schon immer getan. Vergib mir, dass ich dich angelogen habe…“ Dann küsste er sie doch, und sie gab sich voller Liebe seinen Berührungen hin, um sich noch einmal mit ihm zu vereinen und seine Frau zu sein. Sie wusste genau, dass in seinen Worten dieses Mal keine Lüge war. ___________________________ aaaw 3 xD Kitsch-Kapiiii xD Und halleluja, Simus Papa war random da, und - der Koch! xDD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)