Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 51: Trennung -------------------- Nalani taumelte, während sie starr auf ihre Hand starrte, an der Blut klebte. Ihr eigenes Blut, das aus ihrem Inneren kam. „Fürchtest du dich, Königin?“, fragten die Geister in ihrem Kopf und sie erzitterte, als sie in das vor Panik erbleichende Gesicht ihres Sohnes und dessen Frau sah. „Du hast gewusst, was die Schicksalsgeister bestimmt haben, oder nicht? Warum zitterst du?“ Als die zischenden Stimmen verstummten, durchfuhr ihren Leib ein wahnsinniger, stechender Schmerz, der sie schreiend zu Boden stürzen ließ. Puran schrie auch. „Mutter!“ Sofort stürzte er zu ihr und sie schlug immer noch schreiend seine Hand weg. „Nicht, Puran!“, hustete sie und spuckte wieder Blut, als der Schmerz in ihrem Inneren sich noch steigerte und ihr die Luft aus der Kehle zu schnüren drohte. Hustend und keuchend kippte sie zur Seite und lag dann auf dem Boden mitten im Zimmer. Leyya heulte vor Schreck und stürzte dazu, griff nach ihr. „Nalani, um Himmels Willen, was hast du?!“ Sie keuchte und krümmte sich, als der Schmerz erneut durch ihren Bauch stach und sie das Gefühl bekam, die Himmelsgeister verspotteten sie von oben, als sie wieder Blut spuckte. „Der… Schatten, Puran…!“, stöhnte sie, „E-er ist hier! Ulan Manha… er ist hier… im Palast, ich spüre… es!“ „Sprich nicht, liebe Zeit!“, schrie Puran panisch und versuchte, sie hochzuheben, worauf sie gellend aufschrie, als der Schmerz sich verdoppelte. „Leyya, rasch, hol Meoran und die anderen, sofort! Irgendwen, verdammt, lauf!“ Leyya heulte vor Angst, folgte aber dem Befehl und rannte hinaus, während er seine Mutter auf ihr Bett transportierte, worauf sie abermals Blut hustete und damit sein Hemd traf. Sie fasste japsend nach seinem Gesicht und schmierte auch dorthin Blut. „Puran, sieh… m-mich an!“ keuchte sie, „Sieh mich an! Der Kerl… du musst dich in acht nehmen vor ihm-…!“ Er fiel ihr ins Wort, obwohl nur ein heiseres Krächzen aus seiner Kehle kam. „Es ist wie bei Ruja… e-es ist… es sind die Knochenspiralen…!“ Er hatte sie auf dem Bett abgelegt und sie rollte sich hustend zur Seite und schrie, als der Schmerz plötzlich rapide zunahm. Er starrte wie versteinert auf seine jetzt wieder freie Hand, in der noch die Knochenspiralen waren, die er mitgenommen hatte. Das panische, grauenhafte Gefühl, das ihn überfiel, verschaffte ihm so heftige Übelkeit, dass er würgen musste und sich gerade noch zusammenriss, um sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben. Die Knochenspiralen, die Ruja getötet hatten. Die jetzt dabei waren, auch seine Mutter zu töten. Und was viel schlimmer war als die Gewissheit, dass es wirklich passieren würde, war der Blick, den er jetzt im Gesicht seiner Mutter erkannte, als er sie erbleichend wieder ansah und sie keuchend nach Luft schnappte. Sie hatte gewusst, dass es so kommen würde. Vielleicht nicht auf welche Weise oder wann genau; aber sie hatte es gewusst. Die Erkenntnis ließ den jungen Mann schaudern und er packte Nalanis kalte, bebende Hand, um sie mit seiner eigenen festzuhalten, während er vor dem Bett zu Boden sank und zu heulen anfing. „D-du kannst… das nicht machen, Mutter! Ich… ich bin der Herr der Geister! Ich erlaube das nicht! Versteht du?!“ Nalani schrie und presste seine Hand heftig mit ihrer zusammen, ehe sie den Kopf empor riss und ihn verzweifelt anstarrte. Er weinte bitterlich und sie wusste, dass sie ihn nicht trösten konnte. Es gab nichts Schmerzhafteres für eine Mutter als den Anblick ihres weinenden Kindes und die Gewissheit, es nicht trösten zu können. „Du kannst… als Herr der Geister… über viele bestimmen, Puran…“, keuchte sie so dumpf und strich bebend mit einem Finger über seine Hand, die ihre umklammerte, „Aber… darüber nicht.“ „Die Geister tun unrecht!“, heulte er außer sich und fuhr zusammen, als sie sich abermals heftig krümmte und Blut hustete. „Mutter-… w-was soll ich denn ohne dich machen…?!“ Er unterbrach sich, als die Tür wieder aufflog und die verstörte Leyya zusammen mit Meoran wieder herein stürzte, der seine kleine Tochter auf den Armen trug. Ihnen folgte noch der momentane Vorsteher des Heilerrates. „W-was ist geschehen?!“, japste er außer Atem und die kleine Saidah wimmerte panisch, während sie sich an seinen Kragen klammerte. „Die bösen Knochengeister sollen weggehen!“, rief sie dabei hysterisch und Nalani sah das kluge kleine Mädchen keuchend an, das das kleine Gesicht in des Vaters Brust vergrub. Saidah hatte ein wahnsinnig ausgeprägtes Gespür für Schatten. Sie sah, wenn böse Dinge geschahen, und die Geisterjägerin war sicher, dass die Kleine genau wusste, dass es dieselben Knochenspiralen waren, die schon ihre Mutter getötet hatten. Ulan Manhas Knochenspiralen. Der Mann, der Kelars Enkel war – der Kelars Geist inne hatte. Die grauenhaften Schmerzen verhinderten, dass sie ein vernünftiges Wort über die Lippen brachte, stattdessen schrie sie nur auf und spuckte erneut Blut. „Ihr müsst ihn… ihr müsst ihn aufhalten, irgendwie! E-er ist hier-… i-im-…!“ „Mutter, nicht sprechen! Um Himmels Willen, Leyya, bring das Kind weg…“, jammerte Puran und sah auf Saidah, die sich nur bebend an ihren Vater klammerte und Nalani aus weit aufgerissenen Augen ansah. Leyya bewegte sich nicht und stand starr neben ihm, am ganzen Leibe zitternd, während ihr Vorgesetzter, der Heiler, noch einen vergeblichen Versuch startete, mit Zaubern die inneren Blutungen zu heilen. Sie alle hatten dieses Szenario schon einmal durchgemacht. Es schien plötzlich, als wäre es erst einen Tag her, dass Ruja gestorben war. Als Leyya keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen, fuhr ihr Mann sie wüst an. „BRING SIE WEG, LEYYA!“ Es war mehr ein Instinkt, der die kleine Frau gehorchen ließ, und sie heulte verzweifelt auf, als sie Meoran seine Tochter abnahm und mit ihr davon eilte, obwohl das Mädchen wimmerte und protestierte. Der Anblick war nichts für sie, aber sie konnten sie nicht alleine lassen… Leyya hatte panische Angst. Sie hatte das Gefühl, in einer falschen Welt zu sein, als sie schon wieder über den Flur rannte und panisch um Hilfe rief. Als Ruja gestorben war, war es schon schlimm gewesen; aber Nalani stand ihr noch näher. Sie war wie eine Mutter für sie… verdammt, sie wollte nicht weinend umher rennen, sie wollte zurück! Als die Zimmertür neben ihr aufsprang und Neron und seine Frau Saja halb angezogen heraus stürzten, schrie die Heilerin beinahe vor Erleichterung. „Das hat keinen Sinn, i-ich schaffe es nicht…“, stammelte der Heiler erbleichend, kaum einen Moment, bevor Leyya wieder in den Raum gerannt kam, außer Atem und immer noch hysterisch schluchzend. „Wo ist Saidah?“, fragte Meoran sie japsend. „I-ich habe sie zu Neron und Saja gebracht…“ Der Mann seufzte. Da war sie gut aufgehoben. Es war schlimm genug, dass er sie mit hergebracht hatte… aber Leyyas panische Nachricht hatte dafür gesorgt, dass er das kleine Mädchen unmöglich alleine hatte weiterschlafen lassen können. Er sah heftig atmend zu Nalani, die erzitterte und immer noch die Hand ihres Sohnes umklammerte, der nur apathisch nach Luft schnappte. „Es sind die Knochenspieße…“, wimmerte er, um dem Heiler zu antworten, und er ließ geistesabwesend die zusammengepressten Spieße fallen, die er in der Hand gehabt hatte. Jetzt, wo Saidah fernab vom grausigen Geschehen war, ließ er zu, dass Leyya neben ihm zu Boden sank und sich bitterlich weinend nach vorne an das Bett lehnte, um nach Nalanis anderer Hand zu angeln. „I-ich will das nicht…“, jammerte sie dabei, „V-vorhin war… doch noch alles gut!“ Nalani forderte sie mit ihrem Blick auf, zu schweigen, und ihr Mund verzog sich trotz der Schmerzen für einen Moment zu einem bitteren Lächeln. „Vergib mir, Leyya… ich wünschte, ich… hätte dir… ich wollte… d-dir doch noch bei der Geburt helfen… d-du musst Saja fragen, sie… hilft dir bestimmt…“ Leyya wimmerte und sagte nichts, das Baby war ihr jetzt gerade relativ gleich. „Du darfst nicht sterben…“, schluchzte sie, „I-ich… bitte nicht, Nalani!“ Sie zuckte zusammen, als die Frau vor ihr abermals schrie und sich krümmte, und jetzt war es Meoran, der sie sachte zurückzog und sie festhielt, sie daran hinderte, sich frontal auf ihre gefühlte Mutter zu stürzen. Leyya brach in Tränen aus, ließ aber zu, dass er sie festhielt. Sie spürte, wie sehr er zitterte; es musste ihn auch Überwindung kosten, sie jetzt zurückzuhalten. Nalanis blauen Augen richteten sich mit einem letzten Aufwand an übriger Kraft flackernd auf ihr einziges, geliebtes Kind. Sie wollte ihn noch einmal ansehen, den kleinen Jungen, den sie geboren, gesäugt und groß gezogen hatte. Es war in dem Moment, dass sie spürte, wie die Schmerzen, nachdem sie zuvor ihren Höhepunkt erreicht hatten, langsam dumpfer wurden und wie sich Schatten über ihren Geist legte. Es war der Wille der Geister… sie konnte sich dem nicht widersetzen. Und eigentlich wollte sie es auch nicht. Ihre Aufgabe in dieser Welt war erfüllt. Sie spürte Purans Hand, die ihre fester drückte; obwohl er seinen Griff verfestigte, hatte sie das Gefühl, er würde lockerer, und sie zog keuchend die Luft zwischen den Zähnen ein. „P-…Puran…“, japste sie und hörte, wie er vor ihr panisch aufheulte. „Pass… auf… Manha auf-… er ist-… ist-…!“ Sie keuchte erneut und die Worte kamen ihr dazwischen nur so unverständlich über die Lippen, dass Puran sie nicht verstand. Er klammerte sich jammernd an ihre Hand. „Ich lasse dich nicht los, Mutter!“, erklärte er, „Ich kann… d-das nicht… ich kann das nicht!“ Er zitterte und sie versuchte krampfhaft, seine Hand auch zu drücken; sie hatte keine Kraft mehr in den Fingern. „Doch, du kannst…“, wisperte sie dann, „Und… du musst. Du m-musst… es für Leyya… und für… deinen Sohn…“ Sie erzitterte, als sich die Dunkelheit wie ein schützender, aber kalter Mantel über sie zu legen drohte in dem Augenblick, in dem alle Gefühle in ihr verblassten, gemeinsam mit dem Schmerz und der Sehnsucht danach, ihr Kind noch einmal umarmen zu können. Ihr Atem ging rasch und rasselnd, als sie die Luft einzog. Als die Finsternis sie umfing, spürte sie wieder den Wind, obwohl der Raum geschlossen war. Sie sah Tabaris grinsendes Gesicht vor sich und spürte, wie er ihr eine Hand hinhielt, wie um ihr aufzuhelfen. „Tabari…“, keuchte sie dann und Puran vor ihr erstarrte, während eine Träne von seinem Kinn auf seine Hose tropfte. „Ich kann… dich sehen…“ Als seine Mutter erstarrte und sich der Griff ihrer Hand um seine lockerte, erstarrte auch Puran. Er wartete und starrte sie fassungslos an – wartete darauf, dass sie die Augen wieder aufschlug, dass irgendetwas geschah. Dass sie atmete; dass sie sich rührte und irgendjemand ihm sagte, ihre Verletzung wäre nur halb so wild, wie man gedacht hatte. Einen kurzen Moment wünschte er sich wirklich ernsthaft, dass so etwas geschehen würde und glaubte beinahe schon daran; dann rissen die Geister ihn ungehobelt wie immer aus seiner Schreckstarre zurück in die Realität. „Pass auf Manha auf. Er ist hier… der Dämon, der den Fluch des Schmerzmals beherrscht.“ Ulan Manha. Puran schnappte nach Luft und erzitterte, als sein Blick auf die Knochenspieße am Boden fiel. Die Dinger, die seine Mutter und Ruja getötet hatten. Plötzlich erfasste ihn ein unbändiger, gnadenloser Zorn, und er sprang auf die Füße und heulte immer noch, ehe er aufschrie und herum wirbelte. Leyya schrie in Meorans Armen auch vor Schreck über seine plötzliche Wut. „Dieser Bastard!“ fluchte Puran ungehalten und seine Stimme überschlug sich, als er wie wahnsinnig zu schreien anfing, „Er hat sie umgebracht! Er hat sie verdammt noch mal umgebracht!“ Ehe Leyya ihn hätte aufhalten können, stürmte er aus dem Raum, stieß dabei den Heiler und auch Meoran zur Seite, der sich bebend erhoben hatte. Sein Kopf pochte. Sein Körper brannte vor Zorn, der in ihm hoch brodelte wie ein zerstörerisches, Tod bringendes Feuer, als er über den Korridor hetzte, getrieben von der Wut und den kichernden Geistern des Himmels und der Erde. „Pass auf, was du tust… du hast einen Eid abgelegt, Puran Lyra…“ „Ich pfeife darauf, hört ihr?! ICH PFEIFE DARAUF! Bringt mich zu ihm und ich reiße ihn in Stücke!“ Er wusste, die Geister würden ihm Folge leisten; das hatten sie zu tun! Sie sollten verdammt noch mal kriechen und tun, was er sagte… er spürte den Hass in sich aufflammen und es schmerzte ihn, als würde er seine Hand in eine offene Kochstelle halten. Und der Schmerz wurde stärker und brennender mit jedem Schritt, den er tat. Und sie folgten seinem Befehl. Als Puran auf Ulan Manha traf, ihm zum ersten Mal seit Ewigkeiten gegenüber stand, war es auf einem der unteren Balkone am Fuße des Hauptturms des Palastes. Der wenig ältere Mann kehrte ihm den Rücken, als er ihn erreichte. Dann drehte er sich um und schenkte Puran ein wissendes Grinsen, die diabolischen, grünen Augen direkt auf die des Jüngeren gerichtet. „Dann haben die Geister nicht gelogen… sie haben gesagt, du würdest kommen… Lyra.“ Zu mehr Worten kam er nicht, weil Puran ihn mit einem wütenden Schrei voll von Hass und Abscheu am Kragen packte, ihn rückwärts bis zum Geländer des Balkons stieß und mit einem Krachen das Geisterschwert heraus beschwor, um es dem anderen an die Kehle zu halten. „Ich bringe dich um!“ brüllte er ihn an und spürte, wie der Zorn ihn zu verbrennen drohte, wie er mehr und mehr die Kontrolle über Purans Geist und Körper gewann. „Du Mörder, du wahnsinniger Bastard, du elender Hurensohn! ICH REIßE DICH IN FETZEN! Ich zerfetze deinen Geist so lange, bis zu vor mir am Boden kriechst wie ein elender Wurm und um Gnade winselst, Manha! Du hast sie verdammt noch mal umgebracht!“ Er spürte, wie das Pochen in seinem Kopf mächtiger wurde, als er dem anderen Mann seine Waffe gegen den Hals drückte und ihn dabei mit grober Gewalt packte und festhielt. Dabei hätte er Ulan Manha beinahe das Geländer hinunter geworfen, was jener noch rechtzeitig verhinderte, weil er sich daran festhielt, während er mit dem Rücken dagegen geschmettert wurde. Er reagierte nicht so, wie Puran es gerne gehabt hätte. Er lachte schallend auf. „Ach, so ist das also…? Was willst du machen? Mich töten, Lyra? Brächte das irgendetwas? Würden deine geliebte Mutter und die schöne Ruja dadurch wieder lebendig werden…?“ „ICH ZERSCHMETTERE DEINE SEELE, DU HURENSOHN!“ schrie Puran ihn außer sich vor Zorn an, „Ich haue dich in Fetzen! Ich-…!“ Seine Stimme versagte, weil er zu viel und zu laut gebrüllt hatte, und keuchend hustete er; der Moment der Unachtsamkeit hätte ihn beinahe das Leben gekostet, denn Ulan Manha zog blitzschnell eine Hand vom Geländer und fuhr herum, mit einem gezielten Schlag schleuderte er seinem jüngeren Gegner lodernde Flammen ins Gesicht. Puran wehrte sie noch rechtzeitig mit seiner Waffe ab, wurde aber zurück gestoßen und strauchelte, während der andere wieder auf beiden Füßen stand und sein Gleichgewicht zurück hatte. „Narr…“ gackerte der Koch aus Holia, „Du Idiot hast nicht die Spur einer Ahnung… wer ich bin! Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst, Puran Lyra, Prinz von Lyrien! Tss… Himmel, wie erbärmlich.“ Puran zischte nur und zitterte vor Hass, das Geisterschwert fest umklammernd und es abermals in die Richtung des Feindes hoch reißend. Er hatte noch nie so eine wahnsinnige Mordlust in sich wahrgenommen wie in diesem Moment… er wollte ihn umbringen. Er wollte ihn zerstückeln und an die Schweine verfüttern, er wollte ihn auf die brutalste und qualvollste Art umbringen, die ihm nur einfallen würde… dieses Verlangen in ihm war so schmerzhaft und fühlte sich grauenvoll an, sodass er noch einen Schritt rückwärts taumelte. Die Geister zischten zornig in seinem Kopf und ließen seine Kräfte schwinden, er spürte bereits, dass seine Knie so sehr zu zittern begannen, dass er fürchtete, jeden Moment zusammenzubrechen. Kontrolle! schrie irgendwas in seinem Inneren und er kämpfte verzweifelt gegen die Übermacht in sich an; diesen Drang, zu töten, den er schon nach seines Vaters Tod unterdrückt hatte. Damals, als er den Schwur geleistet hatte, niemals wieder jemanden umzubringen. Wenn er den Schwur brach, würden die Geister ihn vielleicht töten… er hörte verschwommen durch all den Hass und allen Zorn hindurch die Worte seiner Mutter. „Du musst stark sein für Leyya und für deinen Sohn… du musst das ohne mich schaffen.“ Er bebte vor Wut und fragte sich, ob er das Geisterschwert zerquetschen könnte, weil er so fest zudrückte, obwohl es nur aus Magie bestand. Eine flaue, grausame Übelkeit stieg in ihm auf, als er dazu ansetzte, zu sprechen. Es fühlte sich abartig an, mit diesem Bastard zu sprechen… es fühlte sich an, als versuchte jemand, seinen Magen von innen heraus umzukrempeln. Dabei sprach er nur ein einziges Wort… „Warum?“ Ulan Manha grinste ihn süffisant an. Die Hände vom Zaubern noch erhoben grinste er einfach und antwortete schließlich. „Nur ein Wort, Lyra. Macht. Weißt du… wie sie sich anfühlt? Du weißt es genau, nicht wahr…? Ich weiß es auch… und ich werde sie bekommen, genauso wie du sie bekommen hast. Ich werde dafür sorgen, Lyra… ihr werdet mir nicht im Weg stehen!“ Jetzt schlich sich ein dämonischer, wahnsinniger Ausdruck in sein an sich hübsches Gesicht und verzerrte es zu einer grauenhaften Furcht einflößenden Grimasse. Dabei entblößte er seine spitzen Eckzähne und Puran erstarrte. Der Mann aus seinen Träumen… genau dieselben Zähne wie die seines Großvaters. „Ich werde euch unterwerfen und wieder an mich reißen, was einst mein war!“ fuhr er fort und seine Stimme überschlug sich jetzt fast genauso wie die des Jüngeren, aber nicht vor Wut, sondern vor Lachen, als er den Kopf in den Nacken warf. „Und wenn ich euch dafür alle niedermetzeln muss… wie Kohdars… wie ich dafür gesorgt habe, dass der Chimalis-Clan niemals einen echten Erben haben wird! Haha! Der Trottel Meoran wird niemals eine andere Frau anrühren und niemals einen Sohn zeugen, der seinen Clan erbt! Und seine Tochter wird das auch nicht tun können, so ein… Jammer…“ Er lachte gellend, ehe er den Kopf wieder herab riss und Puran aus giftigen Augenschlitzen bösartig angrinste. „Tare Kohdar hatte bloß durch Zufall Glück, mir entkommen zu sein… bisher! Und deine Mutter… die hübsche, kalte Nalani, die Königin… hah! Ich habe die Königin getötet… bin ich nicht mächtig? Siehe, Lyra! Deine Mutter, die den Windmeister Tabari geschlagen hat… ein kleiner Spieß aus Knochen… hat sie umgebracht!“ „Wenn du Clans vernichten willst… hättest du mich töten sollen und nicht sie!“ zischte Puran garstig und zitterte ob der Anspannung, die er aufbrachte, um seinen Hass zu beherrschen. „Im Gegensatz zu Ruja… hat meine Mutter bereits einen Sohn geboren!“ „Dass ich deine Mutter getötet habe, hatte einen simpleren Grund. Sie wusste… mir zu viel. Die Geister warnten mich, da zog ich es vor, hierher zurückzukehren… es ist nicht schwer mit Hilfe von Schattenmagie, ins Schloss zu gelangen… das sollte dich beunruhigen, oder?“ Der Ältere lachte. „Als ich eintraf, war deine Mutter bereits zurück… und es ist den Himmelsgeistern zu verdanken, die doch dir als oberstem Geisterjäger des Zentrums gehorchen sollten… dass meine Spieße den Weg in ihrem Magen fanden. Keine Sorge… auf dich und… deine niedliche Familie komme ich noch zurück. Ich will mir sicher nicht entgehen lassen… wie du mich wieder anbrüllst und dann wehrlos zusehen musst, wie ich deiner Schlampe von Frau… mit bloßer Hand die Eingeweide und jedes weitere ungeborene Kind aus dem Leib reißen werde!...“ Er lachte immer noch, als er rückwärts sprang und schließlich behände auf das Geländer des Balkons kletterte. „Fürchtest du mich, Puran?!“ Puran konnte nicht antworten. Er konnte nur zitternd da stehen und starren, bebend vor Zorn und versuchend, das furchtbare Pochen in seinem Kopf zu ignorieren. Er hatte es geschworen… er durfte dem Verlangen, ihn umzubringen, nicht nachgeben. Niemals… Das gellende Schreien seines Gegenübers ließ ihn auffahren. Ulan beugte sich vor und herrschte ihn schallend an. „FÜRCHTEST DU DICH?!“ Das vor Wahnsinn verzerrte, machthungriges Gesicht, diese Fratze mit den Raubtierzähnen, jagte Puran einen eisigen Schauer über den Rücken; dennoch rührte er sich nicht, als der andere abermals gackerte. „Solltest du… denn ich werde nicht aufgeben, bis ich die Macht habe, die mir zusteht! Ich… bin der König der Geister, Lyra! Ihr Maden… werdet kriechen in blutigem Staub… und darum betteln, dass ich euren Tod kurz und schmerzlos mache… die Mächte der Schöpfung werden vor mir kriechen! Sieh mich an, Lyra! Du weißt… dass es so sein wird! Sieh mich an!“ Puran sah ihn an, aber er sah nicht Macht in den Zügen des anderen, nicht in seiner Erscheinung… was er sah, war Irrsinn. In dem Moment verschwand das Pochen in seinem Kopf, mit einem Mal dachte er ganz klar. Es war, als hätte sich der Vorhang aus Zorn gehoben, der junge Mann hörte zu zittern auf und sah seinem Gegner fest in das wahnsinnige Gesicht. Dann lauschte er den Stimmen der Geister, die jetzt friedlicher wurden und er erinnerte sich an den Traum, den er einst mit Nalani geteilt hatte. Jetzt wusste er, was seine Mutter gemeint hatte mit ihrer Version. Plötzlich war alles so logisch… „Willst du mich nicht aufschlitzen…?“ kicherte Ulan Manha und breitete bereitwillig die Arme aus, Puran belustigt ansehend. „Na los, komm und versuch es… lass deinem hass auf mich freien Lauf… du kannst das sehr gut, Puran…“ Der Geisterjäger holte tief Luft. Dann ließ er das Geisterschwert verschwinden und machte einen Schritt zurück. „Nein.“, sagte er kalt. „Deine Zeit wird kommen. Du wirst sterben, Manha… aber nicht durch meine Hand. Nicht heute Nacht. Ich werde nicht auf dein Niveau fallen und dich umbringen, obwohl ich dich verabscheue.“ Er erntete zunächst entsetztes Schweigen. Damit hatte sein Gegner offenbar nicht gerechnet. Dann zischte er plötzlich wütend, fing im nächsten Moment wieder schallend zu lachen an. „Du lässt… mich laufen?! Haha… Puran, der Barmherzige… Puran, der Schwächling, der Feigling, der nicht Manns genug ist, den Tod seiner eigenen Mutter zu rächen! Erbärmlich… wie konnte ich damit rechnen, du könntest Gefallen finden an Zorn…?“ Sie hörten rennende Schritte, die näher kamen, Schritte mehrerer Personen. Ulan Manha grinste ein letztes Mal, ehe er die Arme empor riss. „Wir werden uns eines Tages erneut begegnen… wenn du vielleicht den Mumm aufgebracht hast, nicht länger davonzulaufen!“ So sprach er, dann ließ er sich rückwärts vom Geländer kippen. In dem Moment, in dem er kippte, stürzten Meoran, Neron Shai und Tare Kohdar um die Ecke auf den Balkon, außer Atem und mit entsetzten Gesichtern. „DA!“ brüllte Neron und stürzte an dem erstarrten Puran vorbei zum Geländer, Tare folgte ihm, damit sie nach Ulan Manha sehen konnten; aber der Feind war spurlos verschwunden. Der Balkon war nicht hoch, nur mehrere Fu0 über dem Boden; trotzdem war nirgends der Hauch einer Spur zu erkennen, dass Manha irgendwo gelandet wäre. „D-der hat sich in Luft aufgelöst!“ japste Neron atemlos, „Dieser Hurensohn! Ich habe ihn gesehen, eben gerade!“ „Telepathen vielleicht…“ murmelte Tare Kohdar, „Wenn nicht sogar Zuyyaner… irgendetwas hat er bei sich, das ihn teleportieren kann.“ „Er hat Emo, ich werde das Gefühl nicht los, dass die beiden zusammen unter einer Decke stecken… Schattenmagie kann vieles, was unsichtbar ist.“ Meoran bemühte sich derweil um Puran, der sich plötzlich, wo Ulan Manha verschwunden war, fühlte, als wäre er mit einem gewaltigen Hammerschlag zurück in die Welt geschlagen worden, aus der er kam. Plötzlich stand er da im Dunkeln auf dem nassen Balkon und der Schmerz kehrte in seine Seele zurück Mit einem Schlag war auch die Übelkeit wieder da und er brach keuchend am Boden zusammen, um sich jetzt doch zu übergeben. Er schrie und fasste sich mit beiden Händen wimmernd an den Kopf, als ihm bewusst wurde, dass die Welt sich auch ohne seine Mutter drehen würde. Nalani war tot – und sie würde nicht wieder aufwachen, weil er dem Dämon gegenüber gestanden hatte. Der Zorn hatte die Realität und den Schmerz in seinem Inneren verschlossen gehabt… für einen Moment hatte er vergessen, wer er war. Er war nur wütend gewesen… voll von Zorn, Mordlust und purem Hass auf den Mann, der sie umgebracht hatte. Dabei hatte er erst jetzt richtig registriert, dass sie tatsächlich tot war… „Puran…“, hörte er dumpf von irgendwo Meorans Stimme, aber er wollte nicht zuhören. Er wollte gar nichts… er wollte seine Mutter zurück. Verzweifelt schrie er aus vollem Hals ihren Namen so oft, bis seine Stimme versagte und er hustend und heulend zur Seite kippte. Er fühlte Hände, die nach ihm griffen und versuchten, ihn hochzuziehen, aber er machte es ihnen nicht leicht und schlug jammernd um sich. „L-lasst mich!“, brüllte er mit dem Rest Stimme, den er noch hatte, „Lasst mich los!“ „Sei vernünftig, willst du dir hier den Tod holen im Regen?“ Das war Tare, der Meoran offenbar dabei half, ihn auf die Beine zu zerren, letztlich schafften sie es auch. Puran strauchelte und würgte, als er das Gefühl hatte, sich erneut übergeben zu müssen. Er beherrschte sich aber, schnappte keuchend nach Luft und sah dann zitternd hinauf in den bewölkten, pechschwarzen Himmel. „S-sie… ist tot…“, japste er dann unwillkürlich, „Ich möchte… jetzt aufwachen und sagen können… e-es war ein böser Traum…“ Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, als Meoran und die anderen ihn mehr oder minder behutsam wieder ins Schloss schoben, wieder hinauf in den Korridor. Saja war mit Senol Kita und Saidah bei Leyya geblieben, die sie bereits ins Bett gebracht hatten. Es war nicht leicht gewesen, sie von Nalani weg zu bekommen, aber sie hatten die kleine Heilerin doch nicht da liegen lassen können… als Puran zusammen mit Meoran zu ihr kam, während die anderen draußen blieben, saß die kleine Frau am ganzen Leibe zittern auf dem Bett und umklammerte weinend das Kopfkissen, das sie auf dem Schoß hatte. Sobald sie ihren Mann erkannte, erhob sie sich und fiel ihm heulend um den Hals. „Oh Puran… d-das ist alles so furchtbar…“, schluchzte sie herzergreifend und er zitterte nur, als Meoran ihn behutsam losließ und er seine Frau traurig umarmte. Er konnte nicht sprechen. In seinem Inneren arbeitete alles hart daran, den Schmerz zu verdauen und ganz tief in seiner Seele einzuschließen, damit er nicht selbst daran starb. Er musste noch leben… für Leyya, die er jetzt festhielt und zärtlich an sich drückte, sie an seiner Brust bitterlich weinte. Für Leyya und das ungeborene Baby in ihrem Bauch, das strampelte. Er spürte den zaghaften Tritt durch Leyyas Bauch hindurch, während sie sich an ihn drückte. Es war ein kleines, neues Leben, das in ihr wuchs… er musst leben, um es zu schützen. Er durfte sich dem süßen Gefühl der Finsternis nicht hingeben, egal, wie sehr es wehtat… „Wir… lassen euch jetzt allein.“, sagte Meoran dumpf, der Saidah an die Hand nahm, während Saja und Senol in der Stube aufstanden, die zum Schutz von Leyya da geblieben waren. „Es… tut mir so wahnsinnig leid… ich weiß sehr gut, wie sich… das anfühlt.“ Er hatte ebenfalls kaum Stimme und seine Worte waren zittrig und leise, als er sprach. Puran war zu sehr mit seiner eigenen Trauer beschäftigt, um das zu berücksichtigen, aber er wusste im Inneren, dass sein Lehrmeister es auch nicht leicht hatte damit. Er war nicht Nalanis Sohn, er hatte vor den andere nicht das Recht, so zusammenzubrechen wie Puran. Er musste sich noch um Saidah kümmern… und Meoran war kein Mann, der den Tod einer guten Freundin so einfach wegstecken konnte. Es war kein Wunder, dass er kaum sprechen konnte. Puran hatte sich nicht geirrt mit dem, was er noch bei Abendessen gedacht hatte; die Nacht wurde grausam. Er fand keinen Schlaf, ebenso wenig seine Frau, sie lagen nur abwesend und schweigend nebeneinander im Bett und wollten, dass die Zeit verging, die angeblich Wunden heilen konnte. Puran war der Meinung, das konnte sie nicht. Nie hatte ihn ein Verlust so sehr geschmerzt wie der seiner Mutter. Selbst Cholenas Tod oder der seines Vaters erschienen ihm dagegen plötzlich harmlos. Es war nicht so, dass ihm sein Vater weniger bedeutet hätte als seine Mutter… aber seine Beziehung zu Nalani war sein Leben lang immer noch einen Hauch inniger gewesen. Er hatte so lange aus ihrer Brust getrunken, dass er sich noch daran erinnern konnte, es einmal getan zu haben… auch, wenn er des Öfteren nicht ihrer Meinung gewesen war, sie war immer da gewesen. Und jetzt war sie das nicht mehr… er brauchte viel länger, um das zu begreifen als bei jedem anderen, den er je verloren hatte. Es schien so unwirklich und falsch… wie konnte seine Mutter plötzlich tot sein? Der Zorn auf Ulan Manha oder irgendetwas anderes, auf diese Knochenspieße oder die bloße Tatsache, dass Nalani tot war, war verschwunden. Zurück blieb nur eine gähnende Leere in seinem Inneren; ein Loch wie das, das in seiner linken Hand geprangt hatte. Ein Loch, das Leyya im Gegensatz zu dem in der Hand mit keinem Zauber würde heilen können. Zitternd rollte der junge Mann sich auf die andere Seite, seiner kleinen Frau den Rücken kehrend, und starrte apathisch zum Fenster. Sie hatten die Vorhänge nicht zu gezogen. Er sah durch einen schmalen Riss in den schwarzen Wolken am Himmel den bläulichen Mond Zuyya, die Heimat der Krieger, die seit Jahren ihre Welt belagerten und überfielen. Er fürchtete die Zuyya nicht mehr… der Krieg war egal. Wie konnte die Welt sich einfach weiterdrehen und missachten, dass Nalani tot war? Himmel und Erde war der Tod eines einzelnen Menschen egal. Es war ihnen gleich, wie bedeutend der Mensch gewesen war… Nalani war die Königin der Schamanen gewesen. Und trotzdem nur ein sterblicher Mensch. Er rollte sich mit einem verzweifelten Seufzen wieder auf die andere Seite zurück und atmete hektisch ein und aus, um die Tränen zurück zu halten, die ihm in den Augen brannten. Es tat so verdammt weh… wieso konnte er den Schmerz nicht einfach wegsperren? Er fühlte sich, als wäre er alleine in eine tiefe Schlucht aus purer Finsternis gefallen, alleine, blind und taub in irgendeiner Bosheit gefangen, aus der er den Ausweg nicht kannte. Seine Mutter war immer das Licht gewesen, dem er gefolgt war. Wem sollte er jetzt folgen, wenn nicht ihr? Er kam sich hilflos und so winzig vor wie noch nie in seinem Leben. Da hatte er sich immer gewünscht, er wäre keine so große Persönlichkeit, er wäre klein und unbedeutend… und jetzt war er es und wünschte sich wieder groß, um über den Rand der Schlucht blicken zu können… Er spürte plötzlich die Berührung von kleinen, vertrauten Händen, die über seine Brust strichen, hinauf zu seinen Schultern, und wie die dazugehörigen, zierlichen Arme sich dann um ihn legten. Er schlug die Augen auf und blickte herab auf seine kleine Frau, die sich vorsichtig an ihn schmiegte und ihn jetzt liebevoll umarmte. Er verstand ihre Geste auch ohne Worte und erwiderte die Umarmung mit derselben Zuneigung, die sie ihm auch gab. Er wusste, dass sie versuchte, ihm Trost zu spenden, und er dankte ihr schweigend für ihre Anwesenheit und ihre innige, bedingungslose Liebe ihm gegenüber. Sie waren in derselben, finsteren Schlucht und sie zu umarmen fühlte sich an, als könnten sie sich dadurch gegenseitig ein bisschen Licht schenken. Leyyas Anwesenheit wirkte auf ihn wie ein letzter Hoffnungsschimmer, ein kleiner Halt, der ihn daran hindern würde, noch tiefer in die Dunkelheit zu stürzen. Obwohl sie nicht sprach, nichts anderes tat als ihn stumm zu umarmen, gab sie ihm die Kraft, diese Nacht zu überstehen. Wie ein kleines Lichtlein führte sie ihn hinauf, bis seine Füße auf einem Vorsprung halt fanden und er ganz entfernt irgendwo den Rand der Schlucht sehen konnte. Puran liebte sie so sehr in diesem Moment, in diesem einen, zerbrechlichen Augenblick, der wie eine empfindliche Kugel aus schillerndem Glas war, dass er sie unwillkürlich heftig atmend dichter an sich presste und sich vornahm, sie niemals wieder loszulassen. Sie spendete so viel Wärme… sie war die Hoffnung, von der er gedacht hatte, sie wäre mit Nalani für immer aus seinem Leben verschwunden. Als er sich überwand, ein paar wenige Worte über seine Lippen zu bringen, obwohl er vom vielen Heulen heiser war und die Trauer in ihm seine Stimme noch mehr versagen ließ, waren es die einzigen Worte, die jetzt das Richtige aussagten. „Ich liebe dich… so sehr, Leyya… bitte lass mich niemals los.“ Ulan Manha war verschwunden. Der König ließ am nächsten Tag den gesamten Palast und letztlich ganz Vialla nach ihm durchkämmen, blieb aber erfolglos. Der Monarch war entsetzt gewesen über die Botschaft, die Tare Kohdar ihm am Morgen gebracht hatte. Wie oft hatte im Hof des Palastes jetzt ein Scheiterhaufen gebrannt, auf dem irgendjemand Wichtiges gelegen hatte? Es war ein Jammer. Und abgesehen von Tabari war keiner der Toten durch die Zuyyaner gestorben, die der eigentliche Feind waren, so hatte der König zumindest angenommen. „Es hat keinen Zweck, den Kerl jetzt im ganzen Land suchen zu lassen.“, bemerkte Tare zu dem Thema, „Wir vermuten, dass unser… ehemaliger Kollege Emo irgendwie mit ihm unter einer Decke steckt. Emo ist Schattenmagier und kann sich unsichtbar machen, ebenso wird er dafür sorgen können, dass er oder Manha oder sie beide spurlos verschwinden. Das Einzige, was wir tun können, ist, die Gerichte der Küche sorgfältig zu kontrollieren. Und gegen den komischen Zauber, von dem meine… verstorbene Kollegin erzählt hat, mit dem Manha meinen Vater und Bruder getötet haben soll, können wir vermutlich gar nichts ausrichten, solange wir nicht wissen, wie er funktioniert.“ Der König sah das ein, bedauerte es aber zutiefst. Bei Sonnenuntergang war Puran fähig, einigermaßen sicher auf seinen Beinen zu stehen, sodass sie die Bestattungszeremonie gleich abhalten konnten. Den Tag über war der Scheiterhaufen errichtet worden und darauf lag jetzt seine Mutter, hübsch wie sie es immer schon gewesen war, selbst im Tod. Die Sonne ergoss rötliches Licht über das Land und schien die Menschen zu verspotten, weil sie einfach unbeschwert schien, während sie trauerten. Puran wusste jetzt, wie Nalani sich gefühlt haben musste, als sie Tabari bestatten hatten. Etwa genauso stand er jetzt auf dem Podest mit dem Haufen, die Fackel in der bebenden Hand. Er zitterte so sehr, dass er fürchtete, sie fallen zu lassen, als er den Kopf erst senkte, dann gen Himmel blickte, sich dessen bewusst, dass der versammelte Hofstaat, der anwesend war, jetzt zu ihm hinauf blickte. Der Mann schloss keuchend die Augen, als er den Windhauch in sein Gesicht fahren spürte, der vom Himmel kam. „Sei tapfer, mein Sohn.“, sprachen die Geister und er musste an seinen Vater denken, der der Meister des Windes gewesen war. „Du bist nicht ganz allein… du hast noch deine Frau und dein Kind. Lass los…“ Er bewegte sich nicht, er zitterte nur und wünschte sich aus tiefstem Herzen, stärker zu sein, um das über sich bringen zu können. Es war eine Tradition der Geister… es war seine Aufgabe, den Haufen in Brand zu stecken. Er musste den Geist seiner Mutter loslassen, damit sie heil ins Geisterreich kommen könnte… dorthin, wo sein Vater und so viele andere auf sie warteten. Leyya tat einen Schritt nach vorne zu ihm und nahm seine freie Hand in ihre. „Wir tun es gemeinsam, Puran.“, wisperte sie stimmlos und er senkte den Kopf kurz, ohne sie anzusehen. Dann umklammerte er ihre kleine, zierliche Hand fest mit der seinen. „Gib… mir Kraft, Liebes…“, stammelte er und spürte darauf, wie sie ebenfalls fester zudrückte, während er die brennende Fackel empor hob. Sein Blick fiel wieder auf das bleiche, hübsche Gesicht seiner toten Mutter und er schauderte, ehe er sich zusammenriss und das Gesicht wieder anhob. „Geist von Nalani!“, rief er in den vom Sonnenuntergang orange gefärbten Himmel. „Geist der Schattenkönigin! Mögest du sicher mit dem Rauch der Flammen hinüber ins Reich der Geister gelangen… möge Vater Himmel dich willkommen heißen, möge Mutter Erde die Asche deines Körpers für immer bewahren!“ So sprach er, dann ließ er die Fackel auf den Reisighaufen fallen, der sich langsam entzündete und bald lichterloh brannte. Mit Leyya an der Hand trat Puran zurück; obwohl die Fackel nicht viel gewogen hatte, fühlte er sich, als wäre ihm ein mächtiger Stein von der Seele genommen worden. Es war ein erleichtertes und doch trauriges, schmerzhaftes Gefühl, das ihn überkam, als er die hellen Flammen betrachtete, und er wusste nicht, ob seine Augen jetzt vom Rauch brannten oder von Tränen. Er drückte die Hand seiner Frau fester, als er mit einem bitteren Lächeln wieder zum Himmel sah und versuchte, die Augen offen zu halten. „Lebe wohl… geliebte Mutter. Dort, wo du hinkommst… wird alles gut sein. Du wirst… Vater wiederhaben… du hast ihn sicher vermisst.“ Und für einen Moment hatte er das Gefühl, als er so hinauf sah, dass die Geister ihn anlächelten. Der Holzmond näherte sich bereits wieder seinem Ende. Puran fragte sich, wo die Zeit geblieben war, als er allein auf dem leeren, großen Bett saß, in dem seine Eltern einst geschlafen hatten. Es war ordentlich gemacht worden, aber in dem Zimmer wohnte seit Nalanis Tod niemand mehr. All ihre Sachen waren noch da, wo die Frau sie zurückgelassen hatte. Jetzt saß ihr Sohn da mit ihrem schwarzen Umhang, den er auf dem Schoß hatte und mit den Händen festhielt. So lange war es noch gar nicht her, dass sie ihn noch getragen hatte… der Stoff roch noch nach dem Parfüm, das sie immer benutzt hatte. Es war ein angenehmer Geruch, aber er stimmte den Mann jetzt deprimiert, weil es ihm wieder schmerzhaft vor Augen hielt, dass er den Geruch bald nie wieder riechen würde. Am Umhang würde er bald verblassen. Und irgendwann würde er vergessen haben, wie seine Mutter einmal gerochen hatte. Er hatte Angst, so vieles zu vergessen… erschrocken stellte er fest, dass es ihm schon jetzt schwerer fiel, sich daran zu erinnern, wie seines Vaters Stimme geklungen hatte. In die Stadt war Schweigen eingekehrt. Die Zuyyaner hatten sich verteilt im Land; ihr Hauptlager musste irgendwo im Hochland sein, aber sie hatten sich weiter nach Norden zurückgezogen. Da er selbst geschworen hatte, nie wieder einen Menschen zu töten, bekam er von den Machenschaften der Armee nur noch wenig mit, aber von seinen Kollegen aus dem Rat hörte er, dass die Zeiten der großen Schlachten wohl vorüber waren. Mit dem Tod des zuyyanischen Kaisers war die Macht der Eindringlinge gebrochen worden. Die Akademie hatte er seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr besucht; das war aber egal, er konnte das Studium schließlich fortsetzen, wann und wie es passte, und in den vergangenen Tagen hatte er sich die nötige Konzentration einfach nicht zugetraut. Inzwischen fand er wenigstens wieder ansatzweise Schlaf, obwohl ihm immer noch so vieles im Kopf herum schwirrte, das ihn nervös machte. Die Geister schwiegen ihn an, wie alles zu schweigen schien seit dem Tag, an dem Nalani gestorben war. Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte… wo war die Zeit geblieben? Bald würde der Winter kommen. Er hatte das Gefühl, dann immer noch hier alleine zu sitzen und den Umhang seiner Mutter an sich zu drücken. Er schrak aus seiner Apathie, als es an der Tür klopfte. Kurz darauf kam Meoran ins Zimmer und machte ein betroffenes Gesicht. „Wenn ich störe, gehe ich wieder.“, murmelte er dumpf, „Ich… wollte nur mal nach dir sehen.“ „Nein, bitte bleib.“, war Purans Antwort, und er zwang sich zu einem Lächeln. „Du hast ja gelernt, wie man anklopft…“ Meoran lachte nicht, er setzte sich nur mit anständigem Abstand zu seinem Lehrling und schwieg kurz. Auch, wenn sie eine Weile nichts sagten, fühlte es sich angenehm an, nicht alleine zu sein. „Wie fühlst du dich?“, kam es dann unbeholfen von Meoran. „Du… siehst blass aus… entschuldige bitte die dämliche Fragerei, Puran. Ich weiß, wie das ist, wenn man jemanden verloren hat. Alle fragen einen, wie es einem geht, und man weiß nicht, was man darauf antworten soll. Wir dürfen den Menschen das nicht übel nehmen. Viele haben diesen Verlust noch nicht in dieser Form erlebt und wissen selbst nicht, wie sie damit umgehen sollen, meistens noch weniger als die Betroffenen selbst.“ Puran nickte. „Ich… weiß. Danke… ich glaube, allmählich überwinde ich die tiefste Stelle des Grabens.“ Sie schwiegen wieder kurz, bis der Jüngere schauderte und den Umhang unwillkürlich fester an sich presste. „Darf ich… dich etwas fragen, Meister?“ „Natürlich.“ „Hast du… auch manchmal Angst, du könntest… Ruja vergessen? Oder deine Eltern…? Wenn wir sie nicht mehr täglich sehen… verschwinden sie nicht eines Tages aus unserem Kopf…?“ Meoran sah ihn eine Weile an mit seinem einen Auge, während das andere wie üblich nach außen schielte. „Das wird nicht geschehen.“, sagte er dann zuversichtlich. „Ich weiß, was du meinst… aber die wirklich wichtigen Dinge an den Menschen, die wir geliebt haben, werden wir nie vergessen. Die Dinge, die sie für uns persönlich ausgemacht haben. Ich sehe… immer noch so klar und deutlich wie dich jetzt Rujas Lächeln vor mir, wenn ich die Augen schließe. Ich kann immer noch… genau fühlen, wie es sich angefühlt hat, wenn sie mich berührt hat. Auch, wenn wir diese Befürchtung haben, die Menschen, die uns so sehr am Herzen lagen, werden nie aus unseren Seelen verschwinden. Sie leben… in kleinen Dingen, die sie getan haben.“ Der Mann lächelte kurz und sah zum Fenster. „Ruja zum Beispiel… hat unserer kleinen Tochter früher oft ein Schlaflied gesungen. Jetzt mache ich das manchmal, wenn Saidah es sich wünscht. Ich bin ein wirklich schlechter Sänger, aber das Lied, das Ruja gesungen hat, habe ich noch genau in meinem Kopf. Und obwohl ich fast keinen Ton treffe, haben Saidah und ich beide… das Gefühl, dass Ruja mit uns im Zimmer ist, wenn wir dieses Lied singen. Es ist… ein schönes Gefühl.“ Puran zitterte und senkte den Kopf tief, weil er sich genau vorstellen konnte, was Meoran meinte. Es bewegte ihn tief in seinem Inneren, daran zu denken. „Ich wünsche mir so sehr… dass mir meine Eltern auch auf diese Weise im Gedächtnis bleiben werden.“ Meoran lächelte ihn jetzt an. „Das werden sie. Bei mir zum Beispiel lebt dein Vater mit seinem Irgendwie weiter. Wenn ich etwas an ihm beneidet habe, dann diese Einstellung. Ich versuche, das nachzumachen, wenn ich das Gefühl habe, die Verantwortung und das Leben ohne meine geliebte Frau wäre unerträglich… dann stelle ich mich hin und sage mir, Irgendwie klappt das schon!, und du wirst lachen, manchmal motiviert es mich tatsächlich.“ Jetzt lächelte Puran auch, es fiel ihm leichter als vorher. „Ich… danke dir. Ich weiß, es… ist für dich auch nicht leicht. Meine Eltern waren dir gute Freunde…“ „Die besten, die ich je hatte.“, lachte der Ältere leise, „Aber… zum Glück habe ich bei den Lyras ja noch einen guten Freund, der hoffentlich noch lange lebt.“ Puran errötete etwas und senkte nur schweigend den Kopf wieder; er wusste genau, dass er damit selbst gemeint war. „Wo ist Leyya eigentlich?“ wechselte sein Lehrer dann das Thema. „Sie ist bei einer Besprechung mit dem Heilerrat. Solange sie nicht alleine ist, bin ich beruhigt… seit ich diesem Kerl, Manha, begegnet bin, habe ich ständig panische Angst, jemand könnte ihr etwas antun… es fällt mir mitunter sogar schwer, sie alleine ins Badezimmer zu lassen, es ist furchtbar. Ich habe mir in den letzten Tagen ein paar Gedanken gemacht… mit Leyya habe ich das noch nicht besprochen. Aber… ich habe vielleicht vor, Vialla demnächst zu verlassen.“ Meoran sah ihn jetzt groß an. „Wie jetzt? Ohne deine Frau?“ „Nein, natürlich werde ich sie mitnehmen! Ich… denke, die Armee des Königs braucht uns nicht mehr so dringend. Und ich habe das Gefühl, weit ab von der Hauptstadt könnte ich Sicherheit für meine Familie finden… ich möchte nicht, dass mein Kind so aufwachsen muss, unter Zuständen, bei denen ich jedes Mal die Krise kriege, wenn es nur kurz von mir getrennt ist. Ich muss Frau und Kind alleine lassen können, ohne vor Angst zu sterben. Ich ziehe sogar in Erwägung, Kisara zu verlassen… auch, wenn es mich etwas schmerzt, meinem Vaterland so den Rücken zu kehren. Vielleicht würde ich nach Yuron gehen, Senjos Hauptstadt… na ja, ich werde Leyya fragen, was sie dazu sagt. Sie soll später nicht sagen, ich hätte sie gezwungen.“ Der Lehrmeister nickte nachdenklich. „Ja… das ist eine Sache, die gar nicht dumm scheint, Puran. Jetzt, wo du es sagst… sollte ich vielleicht auch mal über diese Möglichkeit nachdenken.“ Der Jüngere lächelte kurz. „Ach? Wenn wir wieder zusammen reisen, ist es sicher gut. Das tun wir schließlich schon seit vielen Jahren!“ Leyya war prinzipiell einverstanden, als ihr Mann ihr am Abend von seinen Gedanken erzählte, während sie wie so oft gemeinsam badeten. „Aber die große Wanne wird mir fehlen!“, war ihre einzige Sorge, und er seufzte lächelnd. „Wenn ich erst einmal in der Politik arbeite, verdiene ich Geld, von dem wir auch eine große Badewanne kaufen können.“ Ihr fiel etwas anderes ein. „Wo du gerade davon sprichst; was wird denn aus deinem Studium?“ „Na ja… es kommt ein wenig darauf an, wo wir tatsächlich landen. Wenn wir nach Yuron gehen, ist der Weg hierher natürlich sehr weit. Aber wenn ich erst mal eine sichere Bleibe für dich und unser Baby gefunden habe, kann ich immer zeitweise hierher zurückkehren. Das werden wir wohl ohnehin ab und zu müssen, ich habe mit dem König gesprochen. Er hat gesagt, dass er die drei obersten Räte der Schamanen jetzt fest in seinen Rat eingliedern will; das bedeutet für uns beide, dass wir in regelmäßigen Abständen hier Rat halten müssen, du mit den Heilern und ich mit meinem Raucherhaufen…“ Über die Bezeichnung kicherte seine hübsche Frau, ehe sie sich zärtlich rückwärts gegen seine Brust lehnte. Er legte sanft die Arme um sie und streichelte versonnen über ihren prallen Babybauch. „Du rauchst doch selbst wie ein kaputter Schornstein.“, gluckste sie und er hüstelte. „Das muss aber aufhören, wenn das Baby da ist! Zumindest in seiner Gegenwart, dein Kind soll doch nicht krank werden! Ich habe vorhin Senol Kita und seine Frau getroffen, ich muss anmerken, dass ich ihn toll finde, er ist von euch der Einzige, der nicht raucht!“ Puran seufzte. „Mutter war auch Nichtraucherin… ja, jetzt ist Senol wirklich der Einzige.“ Er machte eine kurze Pause. „Du verstehst, warum wir weg müssen, oder?“ Sie zögerte, so antwortete er ihr prompt. „Ulan Manha hat zu mir gesagt, er will, dass wir kriechen. Er hat es auf uns Geisterjäger abgesehen, so fürchte ich… und genauso auf ihre Familien. Er hat Ruja getötet, um zu verhindern, dass der Chimalis-Clan einen männlichen Erben bekommt… ich möchte nicht einmal daran denken, was der Kerl mit dir machen könnte. Wir wissen nicht, wo er ist und wann er wieder auftaucht… ich möchte, dass du in Frieden leben kannst und dass unser Kind ungestört aufwachsen kann, in einer Umgebung, die nicht vorprogrammiert, dass eines Tages dieser Schlächter vor der Tür steht. Wenn wir hier blieben, wäre das doch nur eine Einladung für den Typen, dass wir darauf warten, dass er wiederkommt und den nächsten umlegt.“ Die kleine Heilerin nickte stumm und legte ihre Hände auf seine, die immer noch ihren Bauch streichelten. Darin war das Baby; sie spürte es mit jedem Tag stärker werden und wachsen. Schon sehr bald würde es das Licht der Welt erblicken… Leyya wusste nicht, ob sie den Tag fürchten oder herbeisehnen sollte. Sie tat irgendwie beides… Nalani hatte von einem Sohn gesprochen; sie fragte sich, ob die Schwiegermutter recht behalten würde und es ein Junge sein würde, den sie zur Welt brachte. Ein kleiner Erbe für den Lyra-Clan… der Gedanke machte sie ungeheuer stolz. Für jede Frau war es ein großer Wunsch, ihrem Mann einmal einen Sohn zu schenken, denn Söhne sicherten den Namen der Familie und trugen ihn weiter, während Töchter eines Tages den Namen ihres Mannes annehmen würden. In sehr seltenen, speziellen Ausnahmefällen war es andersrum, aber soweit Leyya wusste höchstens dann, wenn die Familie der Frau mehr Macht und Einfluss besaß als die des Mannes. „Die Großmutter meines Großvaters zum Beispiel, habe ich mir sagen lassen, war eine gebürtige Lyra, das heißt, ihr Mann hat ihren Namen angenommen, als er sie geheiratet hat. Aber das kommt wirklich selten vor.“ , hatte Puran ihr einmal erzählt. Sie lächelte glücklich und schmiegte sich verliebt an ihren Mann. Auch, wenn es ein Mädchen würde; sie würde jedes Kind von ganzem Herzen lieben, das sie Puran gebären würde. Sie hoffte so sehr, dass er das auch tun würde… „Ich werde dir folgen, wo immer du hingehen magst, mein Liebster.“, flüsterte sie und drehte so weit sie konnte den Kopf, damit sie ihn hinter sich ansehen konnte. Zur Antwort, beugte er sich seinerseits vor und küsste sie verlangend auf die weichen Lippen. Für die Besprechung des weiteren Verbleibs traf sich der Rat der Geisterjäger am folgenden Tag im Salon zu Kaffee und Kuchen. Puran hatte Leyya mitgenommen, die jetzt die kleine Saidah auf dem Schoß hatte und sie ab und zu kitzelte. Das kleine Mädchen kicherte und gluckste dabei, während es versuchte, sich strampelnd zu befreien. „Ich fürchte.“, begann Puran die Sitzung mit einem Räuspern, „Liebe Kollegen, eine Ära neigt sich dem Ende. Ära klingt etwas übertrieben… ich meine, wie lange sind wir hier jetzt zusammen? Seit zwei einhalb Jahren. Und der Gedanke an Trennung schmerzt mich… aber ich fürchte, nach dem, was geschehen ist, ist es der sicherere Weg. Ich habe mich entschieden, mit Leyya nach Westen zu ziehen. Wohin genau, haben wir noch nicht festgelegt, nach Senjo vielleicht. Weg von hier, aber das Zentrum verlassen könnte ich nicht.“ Er erntete zustimmendes Gemurmel. Neron Shai gluckste. „Ich weiß noch gar nicht, ob wir auch gehen, hier gibt es so leckeres Essen umsonst.“, sagte er, erntete darauf einen Schlag von seiner blonden Frau auf den Kopf, „Aua! Ähm… na ja, wenn, dann werden wir zurück nach Skelrod gehen. Zurück zu den Wurzeln, heißt es doch…“ „Ich denke, ihr und Senol habt es auch am leichtesten, hier zu bleiben.“, war Tares Kommentar, und er lehnte sich zurück und nippte an seiner Kaffeetasse. „Du, Neron, hast nicht mal einen bekannten Namen, du wirst Ulan Manha vermutlich egal sein…“ „Soll das heißen, ich bin ein Niemand?“ empörte Neron sich. „Ja, genau, und da kannst du froh sein in diesem Fall! – Und Senols Name, Kita, ist zwar eigentlich ein altehrwürdiger Clan, aber da einige Generationen von denen jetzt nicht im Rat waren, ist er untergetaucht und wird dadurch irgendwie uninteressanter. Dass Puran, Meoran und ich hier verschwinden, macht wirklich Sinn…“ Er seufzte leise. „Ich habe meiner einzigen noch lebenden Nichte einen Brief geschrieben nach Rothor, ich werde sie kurz besuchen und dann mal sehen, wo ich lande.“ „Dann verschwinden wir also alle von hier, wie…?“, murmelte Puran dumpf, „Nun… wir werden uns ja wenigstens viermal im Jahr sehen, um Rat zu halten, es sei denn, es passiert etwas Wichtiges, dann öfter…“ Er sah der Reihe nach alle an, während Senol noch erzählte, er würde vermutlich noch eine Weile mit seiner Frau in Vialla bleiben wollen. Das war eine Umstellung, daran zu denken, all die bekannten und vertrauten Gesichter so lange nicht sehen zu können… vor allem Tare und Neron waren ihm in den Jahren in der Hauptstadt gute Freunde geworden. Wenigstens Meoran blieb ihm erhalten… doch als sein Blick auf seinen Lehrmeister fiel, machte der ein ernstes Gesicht und sah kurz auf seine Tochter und Leyya. „Ich… muss dir gestehen, Puran…“, begann er dann kleinlaut, „Wir werden nicht mit euch nach Westen gehen. Sei mir nicht böse, ich habe gute Gründe.“ Puran sah ihn dumpf an und der Mann fuhr fort. „Ich habe nachgedacht; wenn wir weiterhin alle auf einem Haufen wohnen, ist es dann nicht leichter, uns zu finden? Ich denke, es ist klüger, wenn wir von nun an getrennte Wege gehen… so sehr es mich schmerzt, Puran.“ Jetzt sahen auch Leyya und die Kleine auf und erstere machte ein bestürztes Gesicht. „Ihr… ihr verlasst uns?!“, fragte sie traurig und Saidah war offenbar auch nicht begeistert. „Ich gehe mit Leyya!“ verkündete sie grantig. Ihr Vater seufzte. „Nein, das geht nicht, Maus. Es ist sicherer für uns alle. Nicht nur für dich, auch für Leyya und ihr Baby! Willst du etwa, dass Leyyas Baby in Gefahr kommt?“ Das kleine Mädchen schnaufte verdrießlich und Leyyas Blick wurde immer unglücklicher. „Aber… wir… sind doch wie eine Familie, Meoran…“, stammelte sie zitternd und Puran erhob sich rasch, um seinem Freund unter die Arme zu greifen. „Er hat recht, Liebes, es… ist wirklich besser so. Vergib mir, mein Freund, dass ich egoistischer Weise nicht vorher daran gedacht habe…“ Der Ältere hob abwehrend die Hände. „Puran! Lass doch den förmlichen Kram… ich wünschte wirklich, ich könnte tatsächlich mit euch gehen… vermutlich werde ich Kisara auch verlassen, in Noheema tummeln sich ja schon Tare und Shais, im Süden wohnen komische Leute und im Norden sind die Zuyyaner, vielleicht gehen wir nach Janami hinüber.“ Saidah schmollte unzufrieden und drückte sich an Leyyas Babybauch. Der Geisterjäger wusste, dass seine Tochter es nicht guthieß, sich von allen verabschieden zu müssen… es tat ihm auch leid, ihr die einzigen Bekannten zu nehmen, die sie hatte. Vielleicht würden sie irgendwo unterkommen, wo Kinder lebten, damit sie endlich gleichaltrige Spielkameraden bekam… es war kein Wunder, dass sie so frühreif und erwachsen war mit ihren fast fünf Jahren, sie hatte ja immer nur mit Erwachsenen zu tun gehabt… sie brauchte dringend ein normales Leben und eine normale Kindheit. „Und wann brechen wir auf?“, kam es dann dumpf von Leyya, als lange keiner etwas gesagt hatte. Puran sah seinen Meister kurz an, der nur den Kopf senkte, während die anderen verdrossen Kaffee tranken. „So schnell wie möglich. Am liebsten gleich morgen.“ Am Ende des Holzmondes schien die Sonne nicht oft und auch nur kurz, es wurde spät hell und früh wieder dunkel. Leyya hatte gemerkt, während sie in Vialla gewesen waren, dass hier die Zeit des Sonnenuntergangs viel kürzer war als im Norden von Kisara; hier ging es viel schneller, dass der Tag zur Nacht wurde. Sie fragte sich, woran das lag. Wie es wohl im Westen sein würde? Sie war noch nie im Westen gewesen, fiel ihr auf, als sie am Abend nach Sonnenuntergang ihr Hab und Gut in einem aus Leder gefertigten Rucksack verstaute, den sie in der Stadt gegen eine kleine Dose Salbe eingetauscht hatte, die sie gemacht hatte. Sie besaßen kaum etwas; die Jahre auf der Flucht vor den Zuyyanern hatten sie sparsam sein lassen. Es war praktisch, dass es gerade kalt wurde, so konnte die Frau viele ihrer Kleider übereinander tragen und musste sie nicht einpacken, solange die Kleidung noch über ihren runden Bauch passte. Ein Kleid, das sie sich einst in Kadoh selbst genäht hatte, war ihr zu klein geworden, was sie sehr erfreut hatte; es war zwar schade um das Kleid, sie hatte es gemocht, aber dass sie gewachsen war freute sie sehr. Einerseits machte es sie sehr stolz, dass sie so jung schon Frau und Mutter war – das waren in gehobeneren Schichten nicht viele Frauen. Und Puran stammte aus einem mächtigen, ehrwürdigen Clan der Schamanen, da war sie ja wohl jetzt von der oberen Schicht… andererseits wünschte sie sich mitunter, sie wäre etwas reifer und erwachsener. Dann würde man sie ernster nehmen… aber sie würde ja noch älter werden und vielleicht noch mehr wachsen. „Ach.“, sagte sie seufzend, hörte mit dem Packen auf und setzte sich verdrossen auf das Bett, um ihren prallen Bauch zu streicheln. „Was denke ich an so belanglose Dinge? Vielleicht tue ich es, um mich davor zu schützen, dass der Abschied morgen wehtun wird…“ Sie blickte zum Fenster, wo sie den Balkon ihrer Gemächer sehen konnte. Puran stand draußen und rauchte, das tat er jetzt schon eine ganze Weile, davon abgesehen, dass er natürlich zwischen den Zigaretten Pause machte. Die kleine Heilerin seufzte. Sie wusste, dass es ihm genauso schwer fiel wie ihr… er tat so tapfer und hatte den Nachmittag über sicher hundertmal gesagt, dass es das Beste für die Familie wäre… Leyya glaubte ihm das. Aber dass er es wieder und wieder hatte sagen müssen zeigte ihr nur, dass er sich auch selbst dazu überreden musste, die Stadt zu verlassen und all seine Kollegen und Freunde zurückzulassen. Der Gedanke, Meoran und die kleine Saidah morgen zum letzten Mal für lange Zeit zu sehen, schmerzte Leyya am meisten. Wie lieb hatte sie die beiden doch gewonnen? Von Anfang an waren sie zusammen gewesen, Lyras und Chimalis’, und jetzt fühlte es sich falsch an, sich zu trennen. Als sie daran dachte, wie gerne sie die kleine Saidah hätte aufwachsen sehen, kamen ihr plötzlich die Tränen und sie fing an zu weinen. Wie sehr würde sie sie vermissen… „Du weinst ja…“ Sie hob schluchzend den Kopf und wischte sich hastig die Augen, als sie Purans Stimme vor sich hörte. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er wieder herein gekommen war, aber jetzt hockte er sich vor sie und das Bett und streichelte mit einem bitteren Lächeln ihre geröteten Wangen. „I-ich… werde alle so vermissen!“, schniefte die Heilerin traurig, „Es… es tut mir weh, sie alle zu verlassen…“ Sie sah, dass er zitterte, und kurzer Hand nahm er sie in den Arm und drückte sie liebevoll an sich, sie dabei halb vom Bett ziehend. „Mir geht es genauso… glaub mir. Ich weiß, dass ich das Richtige tue, und dennoch macht mein Herz mir meinen Entschluss so schwer… noch nie ist mir ein Abschied so schwer gefallen wie jetzt.“ Seine Frau in seinen Armen schluchzte und kuschelte sich schutzsuchend an seine Brust. „Es ist auch… nicht nur das…“, wisperte sie, „Dies hier… ist der Ort, an dem deine Eltern noch bei uns waren, und Ruja… Kohdars… dieser Ort birgt so viele Erinnerungen an… diese Menschen, die mir viel bedeutet haben… ich habe… Angst, wenn ich Vialla verlasse, dass diese Erinnerungen verschwinden werden…“ Puran vergrub das Gesicht in ihren dunklen, langen Haaren und drückte sie weiterhin an sich, mit einer Hand strich er leicht über ihren Rücken. „Meine Eltern sind jetzt Geister… sie werden aus dem Reich der Toten über uns wachen, ich… kann es spüren. Sie sehen uns zu… jetzt, in diesem Moment. Wenn du tief in dich hinein horchst, spürst du es sicher auch! Und sie werden uns immer begleiten, egal, wohin wir gehen. Sie werden auch bei uns sein, wenn wir Vialla verlassen. Ich… denke… dass jeder Ort jetzt sicherer für dich ist als Vialla. Weit weg will ich sein von dem Ort des Todes, von diesem Wahninnigen, diesem Manha… wir werden eine geeignete Heimat für unser Baby finden, Leyya.“ Jetzt ließ er sie vorsichtig los und sah ihr in das mit Tränen verschmierte Gesicht. Sie zog durch die Nase hoch und erwiderte seinen Blick, als er eine Hand hob, um ihr eine Träne aus dem Gesicht zu wischen. Eine zweite auf der anderen Wange küsste er vorsichtig weg und sie schauderte ob des angenehmen Gefühls. „Hab keine Angst. Es ist… eine gute Sache. Es fällt uns schwer, aber ich denke, dass wir es später nicht bereuen werden. Wir müssen aufhören, an das zu denken, was war, was wir vermissen könnten… wir müssen an de Zukunft denken. Und die… ist hier drin.“ Er legte beide Hände auf ihren runden Bauch und streichelte ihn, worauf seine Frau etwas glücklicher lächelte und sich abermals die Augen rieb. „Ja…“, flüsterte sie und lachte leise, als sie spürte, wie das Baby sich in ihrem Inneren bewegte, als würde es genau spüren, dass sein Vater gerade ihren Kugelbauch streichelte. Es würde ein gutes, starkes Kind werden… es musste einfach so sein. Plötzlich freute Leyya sich mehr als jemals zuvor auf den Tag, an dem es geboren werden würde. Es gab Dinge, die auf sie zukamen, die schön waren. Veränderung und auch Trennung musste nicht immer schlecht sein. Den Tag des Abschieds begleitete sogar die spärlich scheinende Sonne des Spätherbstes, als Puran mit seiner Frau, Meoran und der kleinen Saidah an den Toren des Palastes stand. Im Schloss hatten sie sich bereits vom König von den anderen Geisterjägern verabschiedet; der Monarch hatte ihnen netterweise Pferde geschenkt, mit denen sie reisen konnten, so standen die Tiere jetzt gesattelt und bepackt an der Hauptstraße, bereit, aufzubrechen. „Der König bedauert unsere Abreise ziemlich.“, meinte Puran grinsend, „Er hat richtig geschmollt, komischer Kauz. Aber das mit den Pferden war großzügig von ihm.“ „Ja… ach, nach Neujahr sehen wir uns doch ohnehin hier wieder wegen des Rates. Was ist mit eurem Heilerrat, Leyya? Trefft ihr euch auch nach Neujahr hier?“ „So hat seine Majestät es sich jedenfalls gewünscht.“, antwortete die Frau beklommen. Sie trug, wie sie es sich vorgenommen hatte, einige ihrer Kleider übereinander und sah damit etwas pummelig aus. „Es heißt, die Räte der Magier sollten sich viermal im Jahr mindestens zusammenfinden. Na ja, und natürlich berichten, was es gibt. Eigentlich ist das eine gute Sache, oder? Im Vergleich zum vorigen König, der mit uns Magiern nie etwas zu tun haben wollte und uns lieber bekämpft hat… vielleicht arbeiten wir auf diese Weise endlich alle zusammen für ein gemeinsames Volk von Kisara.“ Die Gedanken gefielen ihr. Jetzt fehlte nur noch ein Rat für die Lianer, aber die waren schwer aufzutreiben. Vielleicht würden sie sogar welche sehen, es hieß, im Westen sollte es welche geben. Leyya hatte nie Lianer getroffen, nur immer von ihnen gehört und gelesen. Es hieß, sie wären bildschön, wie Wesen aus Mondlicht, ganz blass und zierlich. Sie würde gerne Lianer treffen. „Ja.“, machte Meoran, „So sieht es wohl aus. Und wenn Puranchen einmal sein Studium beendet hat und unter die hohen Tiere der Politik geht, kann das ja nur gut werden hier in Kisara, haha!“ Er schmunzelte und Puran errötete vor Verlegenheit. „Nicht doch, Meister, keine unverdienten Komplimente, wer sagt, dass ich in dem Bereich begabt bin? Das wird sich ja zeigen…“ Er räusperte sich und es kehrte kurz Stille ein vor den Toren. Alle wussten, dass jetzt Worte des Abschieds kommen mussten, aber niemand traute sich, damit anzufangen. Schließlich tat es Meoran schweren Herzens. „Tja, dann… heißt es jetzt wohl Lebe wohl…“ Er seufzte tief und ergriff Saidahs Hand, worauf das Mädchen den Kopf hob. „Sag Leb wohl, Saidahchen. Wir werden Puran und Leyya jetzt eine Weile nicht sehen… aber wir werden sie bestimmt mal besuchen!“ Die Kleine schmollte und rückte sich schweigend gegen sein Hosenbein. „Ich will nicht fort!“ versetzte sie dann und ihr Vater machte ein unglückliches Gesicht. „Saidah, ich habe dir doch erklärt, wieso wir weggehen. Sei nicht traurig…“ „Ich will mich um Leyyas Baby kümmern!“, meckerte die Kleine und stampfte mit dem Fuß auf. Die kleine Heilerin hockte sich vor sie und strich ihr über die schwarzen Haare, worauf Saidah sie finster anstierte. „Ihr dürft nicht weg!“, erklärte sie bestimmend und zugleich traurig. Leyya wusste, dass der Kleinen längst klar war, dass sie die Entscheidung der Erwachsenen nicht ändern konnte. Es war furchtbar für sie, all die Leute hinter sich zu lassen, die sie gern hatte… „Wenn ihr uns besuchen kommt, wird das kleine Baby schon da sein!“, erklärte Leyya dem Mädchen lächelnd. „Dann kannst du vielleicht schon mit ihm spielen… bis es soweit ist, musst du tapfer und geduldig sein. Du kannst das, Saidah, ich glaube an dich. Das Baby wird ganz sicher auf dich warten, eines Tages wirst du mit ihm spielen können! Das verspreche ich dir, meine Kleine.“ Saidah sah sie groß aus ihren blauen Augen an und schwieg. Dann umarmte sie Leyya schweigend und drückte sich an sie heran, das Gesicht in ihrer Schulter vergrabend. „Lebe wohl.“, nuschelte sie kleinlaut, und Meoran schloss seufzend die Augen, erleichtert darüber, dass die Kleine es eingesehen hatte. Es war gut, wenn er sie nicht an den Haaren mitschleifen musste, es hätte ihm zu leid getan, sie gewaltsam wegzuzerren… es war gut, wenn sie verstand, warum das sein musste. „Lebe wohl, kleine Saidah.“, flüsterte Leyya auch, „Ich hab dich für immer lieb, vergiss das nicht!“ „Ich dich auch!“, machte die Kleine, dann ließ sie die Frau los und umarmte Puran auch, als er sich zu ihr herab beugte. „Und dich auch…“ „Lebe wohl, Saidahchen.“, sagte Puran zu ihr und streichelte ihre pechschwarzen Haare. „Sei ein tapferes, großes Mädchen und pass gut auf deinen Vater auf, hörst du?“ „M-hm…“, nickte das Kind beklommen, ehe es ihn auch losließ und wieder Meorans Hosenbein festhielt, mit dem kleinen Fuß auf dem Boden scharrend. Obwohl sie noch so klein war, spürte sie genau, wie bedeutsam diese Trennung war… dass sie sich wirklich lange nicht sehen würden. Und es schmerzte sie genauso wie die Erwachsenen. Meoran seufzte erneut, als er Puran und Leyya ansah. „Ich werde an euch denken und an euer Kind, das bald geboren werden wird.“, sagte er dumpf. „Jeden Abend werde ich den Sonnenuntergang ansehen, nach Westen blicken und an euch denken. Es… fällt mir wirklich schwer…“ Er unterbrach sich unsicher und Leyya erhob sich, um ihn schniefend zu umarmen. „Was soll das Gelaber…?“, fragte sie, „Wir… wir finden alle keine Worte, die beschreiben, was es bedeutet, uns jetzt zu verabschieden, Meoran… ich… habe dich lieb!“ Er erwiderte die Umarmung der Frau schweigend und lächelte sie an, als sie ihn unglücklich losließ. „Das ehrt mich, Leyya. Du bist wunderschön geworden…“ Die kleine Heilerin verneigte sich errötend, wobei ihre geflochtenen Haare nach vorn über ihre Schultern fielen. Auf Reisen war es vor allem bei langen Haaren praktischer, sie zusammen zu binden. Meoran seinerseits drehte den Kopf in Purans Richtung und beide Männer sahen eine kurze Weile bedröppelt einander an, nicht wissend, was sie machen sollten, was sie sagen könnten. Sie hatte zu viel gemeinsam erlebt und teilten doch dasselbe Leid des Verlustes, wie konnte da ein einfaches Lebe wohl reichen? Schließlich verdrehte der Jüngere die Augen, trat vor und schloss den Lehrmeister in die Arme. „Wir stellen uns ja an wie kleine Jungen, denen es peinlich ist, zum ersten Mal ein Mädchen zu umarmen!“, meinte er dabei, und Meoran musste leise lachen. „Ich werde dich vermissen, Meister… pass gut auf deine Tochter auf. Wenn wir uns das nächste Mal sehen im Hungermond, werde ich dir von unserem Kind berichten.“ „Ja, das tu bitte, ich bin ganz neugierig.“ Meoran grinste, als sie sich wieder losließen und Puran erwiderte das Grinsen mit allem Mut, den er aufbringen konnte. „Es werden wieder bessere Zeiten für Tharr kommen, ich kann es spüren.“ „Ja, ich auch. Die Windgeister sagen es mir.“ Mit diesen Worten traten beide zurück und stiegen jetzt auf ihre Pferde, Meoran nahm seine Tochter vor sich mit auf seines. Leyya und Puran hatten jeder ein eigenes Pferd, mit der schwangeren Frau hatte das eine Tier ja genug zu tragen. Saidah winkte, als Puran sich zuerst nach Westen abwendete und Leyya ihm die Straße hinunter folgte. „Lebt wohl!“ rief das kleine Mädchen dabei, und Puran und Leyya winkten auch, während sie gingen und Meoran sein eigenes Reittier nach Osten wendete, ihnen den Rücken kehrend und in die Dunkelheit ritt, die heraufzog. „Vergiss uns nicht, kleine Saidah!“ lachte Leyya und winkte der Kleinen wehmütig nach, zwischendurch nach vorne sehend, damit sie nicht ihren Mann aus den Augen verlor. „Komm jetzt.“, sagte dieser da und zog die Zügel zusammen, „Wir sollten Vialla verlassen haben, bevor die Sonne im Westen verschwunden ist. Wir folgen ihrem Licht so lange wie es noch geht.“ Er sah auch noch einmal über die Schulter und winkte, aber Meoran und Saidah warnen in der Ferne bereits kaum noch auszumachen. Er seufzte, wandte sich wieder nach vorne und gab nach einem Blick auf seine Frau dem Pferd die Sporen, damit es schneller die Straße hinunter trabte und sie herunter zum Westtor gelangten. Leyya atmete tief ein und aus und beeilte sich dann, ihr Reittier ebenfalls anzutreiben. Sie kehrten dem Palast, Meoran und Saidah und allem, was sie hier erlebt hatten, den Rücken und machten sich auf den Weg, dem letzten Licht der Sonne zu folgen. Die kleine Heilerin wünschte sich von ganzem Herzen, dass der neue Weg ihnen Gutes bringen würde. ____________________ Hier endet Part fünf, Oktober 982 ^^ Es kommt noch Part 6 Der wird aber relativ kurz und inhaltslos^^ zumindest denke ich das jetzt^^ mal sehen! 3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)