Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 85: 350 Kommentare Special: Joel II ------------------------------------------- Joel rannte, bis seine Beine weich wurden und er langsamer werden musste. Noch immer schwebte Darkrai vor ihm her, als würde es den Jungen durch die Finsternis der Nacht führen. Angst verspürte Joel nicht, er wusste nicht wieso, aber dieses Pokémon würde ihm nichts antun. Darkrai war kein Monster, kein Pokémon war ein Monster. Solange er dem Legendären mit Respekt gegenübertrat, würde Darkrai ihm dasselbe entgegenbringen. „Darkrai, nicht so schnell!“ Als er sprach, brannte die Nachtluft bereits in seinem Hals, sodass er husten musste. „Warte auf mich!“ Das Legendäre schwebte ein wenig nach links, ein wenig nach rechts, dann wurde es langsamer und schaute sich nach dem Jungen um, den es in die Tiefen des an die Grenzen des Light-Anwesens grenzenden Wald geführt hatte. „Krai“, machte die Stimme des Legendären, dann schwebte es zu einer Lichtung und wartete dort auf Joel. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber er war dankbar dafür, dass Darkrai nun auf ihn wartete. Als er auf die Lichtung trat, fröstelte es ihn bereits, aber er ignorierte es und starrte ehrfürchtig zu dem legendären Unlichtpokémon hinauf. „Warum hast du mich hergeführt?“ Anstatt eine Antwort zu geben deutete Darkrai auf den Rand der Lichtung, wo sich ein Schatten im Gebüsch zu bewegen schien. Joel folgte Darkrais Finger und blickte in die Dunkelheit. Er fühlte sich beobachtet, konnte jedoch nichts erkennen und wandte sich gerade mit einer neuen Frage zu Darkrai um, da war das Legendäre bereits verschwunden. Verwirrt schaute der Junge umher, dann ließ er die Schultern hängen und machte ein paar Schritte auf die Stelle zu, die ihm gezeigt worden war. Fauchend wich ein Snibunna vor ihm zurück. Erschrocken sprang auch Joel nach hinten, er hatte das Pokémon nicht gesehen, bis es sich direkt vor ihm bewegt hatte. Doch dann fiel sein Blick auf Snibunnas Pfote, sie war blutig und verletzt, es sah aus wie die Spuren einer Falle von Wilderern, denen Snibunna im letzten Moment entwischt war. „Snibunna, lass mich dir helfen“, wisperte er, doch das wilde Pokémon reagierte mit nur noch größerem Fauchen und sträubte widerwillig sein kurzes Fell. Kaum eine Sekunde später erkannte Joel den Grund dafür, neben Snibunna im Gebüsch lag ein Nest mit drei Pokémoneiern. Sofort bemerkte Snibunna, dass der Mensch sein Nest entdeckt hatte. Es sprang ins Gebüsch, kauerte über seinen drei Eiern und wirkte dabei mehr verloren und todtraurig als beschützerisch. Wie ein Krieger, der seine Schlacht bereits geschlagen hatte. „Snibunna, ich kann dir und deinen Eiern helfen…“ Einen langen Moment lang blickten die beiden sich fest in die Augen, dann gab Snibunna nach, trat zur Seite und gab Joel den Blick frei auf sein zerstörtes Gelege. Zwei der drei Eier waren aufgeplatzt, Stücke der Schale lagen unnatürlich deformiert in der Nestmitte. „Bunna…“ Die Mutter schob voller Trauer ein paar der Schalenstücke umher, dann strich sie voller Liebe und sanft wie eine Feder mit einer der scharfen Klingen über das dritte Ei, das mit tiefen Kratzern in der Schale davongekommen war. Joel verstand die Trauer des Pokémon, ließ sich auf dem Waldboden nieder und senkte den Kopf. Wilderei war in den Wäldern von Honey Island strengstens verboten, dennoch kamen immer wieder Menschen hier her, die nach wilden Pokémon und deren Gelegen Ausschau hielten. Auf dem Schwarzmarkt wurden für Eier mit seltenen Mustern horrende Summen gezahlt. Dieses eine Ei hatte überlebt, es war halbwegs unversehrt seiner Zerstörung entkommen. In seiner Verzweiflung hatte Snibunna sein Nest bis aufs Blut verteidigt und die ungeschlüpften Jungen lieber in den Trümmern ihrer Eier sterben lassen als sie den Wilderern in die Hände fallen zu lassen. „Du bist eine gute Mutter, Snibunna. Deine Kinder hätten es verstanden.“ „Snibunna…“ „Dar…“ Joel zuckte leicht zusammen, schaute auf und sah direkt in die Augen von Darkrai, das vor ihnen schwebte, sich auf dem Boden niederließ und ebenso wie sie Anteilnahme am Tod der beiden ungeborenen Sniebel zeigte. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können: Ein Trainer, der keiner sein durfte, ein wildes Snibunna und ein Legendäres. Dennoch verband sie in diesem Moment das Gefühl der Trauer und gemeinsam teilten sie es bis tief in die Nacht hinein. Das Leben war so zerbrechlich, man durfte es nicht verschwenden. „Sniebel!“ Joel grummelte, öffnete die Augen und lächelte sein Sniebel an, das mit verschränkten Armen vor seinem Bett stand und im nächsten Moment aufgeregt durch die Gegend flitzte. „Du bist früh auf den Beinen.“ Der verwerfliche Blick seitens Sniebel brachte Joel nur noch breiter zum Lächeln, dann stand er auf und fuhr sich durch die Haare. Vor zwei Wochen war das junge Pokémon aus seinem Ei geschlüpft, die dicken Kratzer hatten die Schale zwar stark beschädigt, dem Pokémon im Inneren allerdings kein Haar gekrümmt. Munter und sehr lebhaft sprang Sniebel durch Joels großes Zimmer, stellte allerlei Unfug an und ging Trixi damit gehörig auf die Nerven. Joel liebte Sniebel, sein Sniebel, sein Partner. Sicher, noch war er kein Pokémontrainer, aber eines Tages würde er mit Sniebel zu Professor Sage reisen und sich von ihm die Trainerlizenz geben lassen. Ein leises Kratzen am Fenster ließ Joel aufschauen, dann ging er zu seinem Balkon und öffnete die breite Balkontür. „Snibunna, komm rein. Gut siehst du aus.“ Die Mutter nahm ihr Junges in den Arm, dann streichelte sie Sniebel über den Kopf und unterhielt sich mit dem jungen Pokémon. Snibunna wusste, dass es Sniebel bei Joel gut hatte, dass er sich immer um ihr Kleines kümmern würde. Hier war Sniebel sicher, wenn im Wald die Wilderer unterwegs waren. Vielleicht hatte Snibunna Sniebel einmal vor ihnen beschützen können, aber Joel war ein guter Mensch, er würde es besser können als sie. In den folgenden Wochen und Monaten wurden Snibunnas Besuche immer weniger. Die Mutter sah ihr Junges bei dem Menschen, der von Darkrai berührt wurde, aufwachsen. Es würde Sniebel gut gehen. Irgendwann blieben die Besuche ganz aus und niemand wusste etwas über Snibunnas Verbleib, doch Joel war sich sicher, dass es ihm gut gehen würde, wo auch immer es sich gerade befand. Womöglich war es weitergezogen, hatte sich einen neuen Platz zum Leben gesucht. Jeden Abend saßen Sniebel und Joel am Fenster und sahen hinauf zu den Sternen und dem Mond. Und jeden Abend versprach Joel sowohl Darkrai als auch Snibunna, dass er immer für Sniebel sorgen würde. Er würde ein Trainer werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)