But It's Better If You Do von dunkelbunt (Fortsetzung zu 'Don't You Know Who I Think I Am?') ================================================================================ Kapitel 1: Your mouth it moves but failes to speak -------------------------------------------------- Irgendwie bin ich jedes Mal wieder überrascht, wie wenig nach Kater sich mein Kater eigentlich anfühlt, wenn ich am Morgen nach einer unserer Sauforgien aufwache. Okay, ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, wie sich denn ein normaler Kater anfühlt, denn schließlich hatte ich bis jetzt keinen so richtigen, wenn man davon absieht, dass es keinen falschen Kater gibt, aber man wird ja wohl wissen, worauf ich mit meinen Ausführungen hinaus will. Hauptsache ist doch ich habe keinen, denn das ermöglicht es mir meiner guten Laune keinen Abbruch zu tun, weil ich zum Beispiel nicht, wie die anderen, mit Augenringen und wummerndem Kopf durch die Kante schlurfen muss, stöhnend alles und jeden – in den meisten Fällen mich - anscheißend, weil der zu laut zu Britney Spears gesungen hat, da er austesten wollte, ob es wirklich so schlecht für Kopfschmerzen ist, wie Jan es mal gesagt hat. Mir wurde auch schon vorgeworfen ich hätte zu viele Böller auf dem Balkon gezündet oder wäre zu heftig auf der Matratze rumgesprungen. Empörend, oder? Jaja, habe schon viel Unglaubliches mitgemacht mit meinen Freunden, man mag’s kaum glauben. Diesen Katzenjammer, den meine werten Freunde nach einer solchen Nacht wie der heutigen beziehungsweise gestrigen, je nachdem wie man es sehen will, machen, muss ich mir dann antun und mir ein jedes Mal folgendes Gemecker darüber anhören, dass ich frisch und munter durch die Gegend hüpfen kann, während die anderen aussehen wie frisch ausgekotzt und eben genannte Erleichterung dann auch in meinem oder dem jeweiligen Badezimmer der anderen veranstalten müssen. Ist nicht jedes Mal so krass mit den Jungs, aber meistens doch wohl reichlich nah dran an meinen Ausführungen. Angelo neben mir sieht übrigens auch total fertig aus. Augenringe bis zum Boden, seine Haare stehen in alle Richtungen ab und die Grübelwolke über seinen Kopf ist auch nicht zu übersehen. „Alles klar bei dir?“, frage ich gähnend, während ich mich aufsetze und…scheiße, sind das Kopfschmerzen? Ich hab doch keine Kopfschmerzen. Ich hab nie Kopfschmerzen! Irgendwie fühl ich mich generell irgendwie eklig, bei den Lockenwicklern meiner Mutter – die sind ihr wirklich heilig –, das wird doch wohl nicht etwa ein Kater sein, oder doch? Erschrocken glubscht mich mein bester Freund neben mir an und klappt den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen. „J-ja“, würgt er raus. „Du bist schon wach?“ „Nein“, sage ich todernst. „Du leidest an katatoner Schizophrenie.“ Gar irritiert blinkt er mich an. „Ich höre Stimmen?“ „Falsch. Das wäre paranoide Schizophrenie. Bei katatonen Zuständen können Halluzinationen auftreten. Was du siehst ist einzig und allein eine Illusion.“ Ich fuchtle äußerst mysteriös mit den Händen vor meinem Gesicht rum, finde aber irgendwie, dass ich das hätte lassen sollen, denn mein Kopf dankt es mir mit einem heftigen Pochen. Scheiße man, was ist das? „Du solltest schlafen.“ Ich gebe Angelo einen Stoß gegen die Schulter und er schließt stöhnend die Augen. „Solltest du wirklich. Du siehst aus wie ein durchgeficktes Eichhörnchen.“ Er fährt sich über das Gesicht, rappelt sich auf und platziert seinen Kopf jammernd am Bettpfosten. „Danke.“ „Immer wieder gern.“ Ich sehe mich im Raum um, um die gegenwärtige Situation in Augenschein zu nehmen. Jan ratzt auf dem Teppich vor sich hin, Jonas hockt neben Gerry auf der Couch, hält immer noch die Vodkaflasche in der Hand, an die er sich irgendwann am späten Abend geklammert hat und hat seinen Kopf dekorativ auf Gerrys Hintern platziert. Okay…ich hätte mich mit dem Einschlafen nicht so beeilen sollen, ich habe ganz sicher was verpasst! Wobei ich jetzt nicht weiß, ob ich das da toll finden soll oder nicht. „Ist noch was gelaufen?“, frage ich und strample die Bettdecke von meinen Füßen, die da wohl die ganze Nacht gelegen hat und nicht über mir, wie es hätte sein sollen. Ich kletter über Angelo drüber zum Fenster, damit ich das aufreißen kann, denn die Luft hier ist wie Wackelpudding nur ohne den leckeren Geschmack. Obwohl, Wackelpudding mit Geschmack nach schalem Bier könnte man sicher irgendwie hinkriegen, das sollte man unbedingt ausprobieren, ob das schmeckt ist nur Sache des Würgreflexes. Als ich über Angelo drüberkrauche wird er ganz steif, allerdings nicht steif in der Art, in der ich es mir vielleicht gewünscht hätte, hehe und während ich das Fenster aufreiße dreh ich meinen Kopf zu ihm. „Is’ was?“ „Ähm…nö“, er weicht meinem Blick aus und ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Gut.“ Wenn er meint, wieso soll ich nachhaken? „Wie meinst du das, ob noch was gelaufen ist?“, fragt er und ich setze mich im Schneidersitz auf das Bett, direkt neben ihn und fahre ihm durch die Haare, um sie ein bisschen in Ordnung zu bringen, denn er sieht wirklich aus wie drei Runden gevögelt. Hach ja, was würde ich dafür geben der Grund dieses Zustandes zu sein, denn was soll ich sagen: Der Junge ist ein wandelnder Höhepunkt. Nein, ehrlich! Ich glaub das hat nur noch niemand gemerkt, weil ihm keiner so genau dabei zuguckt, wenn er sich nach dem Spicker – ich lass auch gerne Stifte fallen, nach denen er sich dann freundlicherweise bücken muss und da er ja vor mir sitzt…hach ja – oder den Kartoffelchips im Real bückt. Was hab ich gejubelt, als die die Tortillas ins unterste Regal geräumt haben und das habe ich tatsächlich, ich glaube die Jungs haben bis heute nicht verstanden, warum ich wie ein Irrer durch die Süßkramabteilung vom Real gerannt bin. Wären sie meinen Blicken gefolgt, hätten sie Angelos tollen Knackarsch sehen können, als er sich gebückt hat. Außerdem sitzen seine Hosen immer so schön tief – ich verwende mit Absicht nicht die Formulierung ‚viel zu tief’, denn das würde ja klingen, als würde ich mich beschweren wollen, nein, nein – und seine T-Shirts sind immer so kurz, dass man fast glauben möchte er hat sie noch aus der Ära des Bauklötze-an-den-Kopf-Schmeißens im Kindergarten, seit der wir übrigens auch schon beste Freunde sind. Oder warte, waren es nicht doch Grasbüschel und Erdklumpen? Kann auch beides gewesen sein, ich weiß nicht, es ist so lang her. Hab ich erwähnt, dass mein Gedächtnis nicht das Beste ist? Nee, ne? Na ja, dann hab ich’s jetzt, soll sich ja keiner beschweren. Allerdings kann ich in nicht mal zehn Minuten alle seine Unterhosen aufzählen, das ist doch nicht zu verachten, oder? Man sollte sich seinen Festplattenspeicher eben für dir wichtigen Dinge im Leben aufheben. Meine Favoriten sind übrigens die hellblauen Satinboxer und die einfachen eng anliegenden schwarzen Hugo-Boss. Obwohl die Billigteile mit dem Kik-Schild auch ganz nett waren, hat zumindest für Lacher gesorgt. Seitdem sie die Chips nach unten befördert haben, glaube ich übrigens an Gott – zumindest versuche ich es, wer kann auch schon an jemanden glauben, der dir nicht mal hilft den einen Punkt in Mathe noch zu kriegen, um einmal im Leben nicht nacharbeiten zu müssen? Denn ich habe jeden – okay, fast jeden – Abend schön brav gebetet, dass sie irgendeine Umstrukturierung zur Sicherung der Erhöhung des Blutdruckes bei Oberstuflern in ihren vollbesetzten Filialarbeitsplan mit reinquetschen und ich nicht immer vorrennen muss, um eigenhändig die Chipstüten umzusortieren. Pringels stehen übrigens ganz oben und aufgrund der eben schon erwähnten Beschaffenheit seiner T-Shirts, ist das zum Glück keine weiteren Kindergebete mehr wert. Zurzeit richten sich meine abendlichen Gebete ziemlich Richtung Anschaffung eines schuleigenen Pools, denn Angelo geht für sein Leben gern baden und wieso sollte man das nicht nutzen und ihn das in den Schulpausen tun lassen, während man zwei Meter danebenliegt und den Anblick genießt? Ich weiß, ich hatte schon bescheidenere Wünsche, aber ich weiß nicht, ob Gott denn schon bereit ist die ethische Toleranz anderer für nackt rumlaufende Erdenbürger zu expandieren. „Och, ich weiß nicht, Gerry und Jonas sehen aus, als hätten sie sehr viel Spaß gehabt.“ Ich nicke viel sagend in ihre Richtung, zeige an seinem hübschen Köpfchen vorbei und er folgt meinem Fingerzeig, die Augenbrauen zusammenziehend, als er die höchst anregende Pose unserer beiden Turteltäubchen sieht. „Ich…glaub nicht“, murmelt er, wirft mir einen kurzen Blick zu und senkt ihn dann schnell wieder auf sein T-Shirt, woraufhin ich zweifelnd auf mein eigenes gucke, hab ich irgendwo ’nen Fleck drauf oder seh ich generell so scheiße und versoffen aus, dass man meinen Anblick nach dieser Nacht nicht mehr ertragen kann? „Ich war auch die ganze Nacht wach, hab nichts bemerkt.“ „Du warst die ganze Nacht wach?“ Erstaunt ziehe ich die Augenbrauen hoch und ernte wieder einen kurzen Blick. „Na, so siehst du auch aus. Was ist los, konntest du nicht pennen, oder was?“ „Mhm, so in etwa.“ „Aha. Okay.“ So und nachdem wir das geklärt haben, kommen wir zurück zur Mission ‚Wecken wir unsere Freunde auf untraditionelle, katerschädigende Weise’ und überlegen uns mal einen Plan, wie wir die Jungs heute beglücken können, vielleicht gleich noch einen Fluchtplan, wie wir eventuellen Sanktionen entgehen und dabei den eigenen Brummschädel schonen können. Ich springe also auf die Beine, steige über Angelo drüber und kicke ihm mein Kissen vor die Brust, bevor ich mich runterbeuge und sein eigenes unter ihm vorziehe, weshalb er mit dem Schädel unsanft an den Bettpfosten knallt und leidvoll aufstöhnt. „Sorry“, sage ich und grinse entschuldigend, drücke ihm das mit einem Werner-Bettbezug bezogene Kissen in die Hand und zeige auf meine Ohren, als er mich fragend ansieht. „Auf die Lauscher drücken, Angi, gleich wird's laut.“ Er sieht mich leicht überfordert an, wahrscheinlich kann er sich nicht entscheiden, ob er mir erst für den Spitznamen eine reinhauen oder mich erst anschnauzen soll, dass ich Krach jetzt bitte zu unterlassen habe und ich tätschle ihm nachsichtig lächelnd das Köpfchen, springe vom Bett. Woaw, okay, ich sollte vielleicht als erstes eine Tablette schlucken oder ein paar aufziehbare Mäuse besorgen, um das Katzenvieh aus meinem Hirn zu vertreiben. „Marc, was hast du vor?“, fragt Angelo hinter mir, aber ich mache nur einen großen Schritt über Jan drüber, dem sein Nachtquartier anscheinend nichts ausgemacht hat – was ich nicht verstehe, da ich auch schon des Öfteren Nächte dort verbracht hab und das ganz und gar nicht bequem finde – und drehe mich an der Tür noch mal rum, zeige abermals bedeutungsvoll auf meine Löffel – „Hör auf Papa, schön Ohren zuhalten.“ – und schlüpfe dann durch die Tür, diese noch so leise wie möglich hinter mir zumachend, damit ich die Schnarchnasen nicht wecke. Hoffen wir mal, dass ich Angelo gut genug erzogen habe und er mir den Spaß jetzt nicht verdirbt und die Jungs weckt, bevor ich die ein bisschen ärgern kann. Bevor ich mein vor kurzem erst gefasstes Vorhaben aber in die Tat umsetzten kann, mache ich noch mal einen Schlenker in Richtung Bad, wo ich mich dem Spiegelschrank anvertraue und ihm mein Leid klage, in der Hoffnung, dass er ein paar Kopfschmerztabletten rausrückt, nur haben wir soweit ich weiß mal wieder keine. Hinter den geweihten Lockenwicklern meiner Mom finde ich dann allerdings ein paar von ihren Migränetabletten und erwäge, dass die reichen müssen, Kopfschmerzen sind Kopfschmerzen, eigentlich sind die ja wahrscheinlich sogar stärker als normale Schmerztabletten. Bleibt wohl nur zu hoffen, dass das Zeug mir nicht die Birne wegfegt. Auja, das wär doch lustig, wie im Trickfilm die Dämlappen die irgendwas in den Lauf gesteckt kriegen, dann vorne reingucken und sich den Kopf wegkokeln. Sähe bestimmt mindestens interessant aus, wer weiß was Angelo dazu sagen würde, vielleicht würde er ja endlich erkennen, was für eine natürliche Schönheit ich unter all dem Make-…äh, Ruß eigentlich bin und mir glatt die Füße küssen. Während ich einen Zahnputzbecher voll Wasser laufen lasse, damit ich damit gleich die Tablette hinterspülen kann, werfe ich tatsächlich einen Blick in die Spiegelfront des Badezimmerschrankes und lege abwägend den Kopf schief. Also sooo toll seh ich jetzt wirklich nicht aus. Aber na ja, wer saufen will, der muss schönheitstechnisch eben leiden, so ist das Gesetz der Natur. Ich schließe den Wasserhahn, lege mir die Tablette auf die Zunge und trinke ein paar Schlucke, bis sie unten ist, löse dabei nicht den Blick vom Spiegel und schütte den Rest Wasser wieder ins Waschbecken, während ich den Kopf abermals schief lege und die Nase kraus ziehe. Okay, so ganz objektiv betrachtet…ich bin Marc. Ja, nee, ehrlich, kann man doch nicht dran rütteln. Ich bin der einzige mit meinem Gesicht und das ist wohl auch verdammt gut so, wäre sonst irgendwie ziemlich verwirrend, wenn hier noch mehr Fatzken rumrennen würden, die aussehen täten, wie ich, aber auf jeden Fall bin ich trotzdem nichts Besonderes. So vom Aussehen her. Ich bin nicht besonders groß, aber auch nicht besonders klein, meine Nase hat weder Ähnlichkeit mit einem Bergvorsprung noch mit einer Skischanze, meine Augen sind…ja, was eigentlich? Braun-grün-grau, sagt mir ein intensiver Blick in die Glubscher und ich kann mir ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Ist ja Bombe, in den Drecklöchern kann man ja auch nicht versinken oder schwimmen oder was manche Menschen noch gerne für Extremsportarten in den Augäpfeln anderer Leute treiben, was soll man da schon dran finden? Das einzig interessante an mir, ist vielleicht die Tatsache, dass ich ziemlich einen an der Klatsche habe, aber das haben wir fünf irgendwie alle, insofern geh ich damit auch in der Masse unter, wenn man von uns jetzt als solche reden kann, aber eine Schüssel Kuchenteig ist ja auch eine Masse und deren Gewicht und Volumen beträgt prozentual ja sehr viel weniger als wir. Mein persönliches Fazit also? Ich würd mich auch nicht in mich verlieben, da ist die Wahrscheinlichkeit ja größer, dass Angelo zum Narzissten mutiert, der hat nämlich so richtig schöne geile grüne Augen und mit blond kann man auch nichts falsch machen, das wird wahrscheinlich auch nie aus der Mode kommen – Schwärmereien à la Schulmädchen und 'Er ist ja sooo süüüß’ werden an dieser Stelle unterlassen, können sich aber bei Bedarf gerne herbeigezaubert werden, weiß ja nicht, auf was man hier so steht. Gerade als ich mich frage, ob das hier tatsächlich zu einem Selbstmord…äh, Mitleidstrip ausarten soll, geht in meinem Rücken die Badezimmertüre auf und nach einem kurzen Blick in den Spiegel, der mir die Anwesenheit des Opfers meiner Gedanken, heißen Träume, kindischen Gefühlen, et cetera ankündigt, drehe ich mich zu Angelo rum und bringe ein halbwegs grinsiges Grinsen hin. „Hallooo, Froind“, begrüße ich ihn und will trotzdem schon den Rückzug antreten, damit ich nicht in die Versuchung komme extrem unpassende und möglicherweise perverse Sachen machen zu wollen, wenn er sich erleichtert, aber er setzt sich einfach nur auf die Toilette, mit geschlossenem Deckel versteht sich und bedeutet mir mit einer Handbewegung dort weiterzumachen, wo ich aufgehört habe. Aha, anscheinend will er mir nur Gesellschaft leisten, ist ja wirklich nett von ihm, löblich, löblich. Nur… „Öhm, ich bin schon fertig, ich wollte jetzt eigentlich meinen tollen neuen Weckdienst holen und ausprobieren.“ „Okay“, sagt er nur, bleibt aber sitzen und auch ich bleibe unschlüssig stehen. Öh, okay. Toilettensitzung, Konferenzschaltung, eine Leitung nach Japan, bitte, oder was soll das jetzt hier werden? „Allet klar?“, frag ich auch und Angelo hebt kurz den Blick, glotzt mich verständnislos an und senkt dann doch wieder den Kopf, das Schulterzucken nicht zu vergessen und ich komme mir verarscht vor. „Okay, was ist los?“, frage ich misstrauisch geworden und fast im gleichen Moment spuckt er mir ein gehaspeltes „Marc, können wir reden?“ vor die Füße und ich bin vollends überfordert, er benimmt sich wie ’ne Pussy und normalerweise bin ich hier derjenige, der seine Tage kriegt und sich von seinen bekloppten Freunden Schleifchen ins Haar binden lässt, um damit aus Jux tatsächlich zur Schule zu gehen, dass Angelo kleinlaut wird und reden will, dass kommt schon fast einem Skiunfall an der Nordsee gleich. Die Chance steht also in etwa eins zu einer Million, falls man mir nicht folgen kann. „Äh, klar“, stimme ich zu, lehne mich hinter mir ans Waschbecken und verschränke abwartend die Arme vor der Brust, als nichts kommt und er weiterhin auf seine Hand starrt, die jetzt angefangen hat in dem kleinen Loch rumzupulen, dass Jan da mal vor ’ner Woche reingebrannt hat, als er in der großen Pause Langeweile hatte. „Und?“, hake ich also nach und genau in dem Moment presst er wieder ein paar Worte raus bei denen er sich allerdings unterbricht, als ich auch anfange zu labern. „Okay, wir sind gut. Bald können wir im Zirkus auftreten“, scherze ich, aber Angelo hat nicht mal ein müdes Lächeln dafür übrig und ich verdrehe genervt die Augen, hebe meine Stimme zu einem bellenden Dominaton, als würde ich ihn anblöken wollen, dass er jetzt augenblicklich die schweinteure 0190-Nummer anzurufen hat, wenn ich eine Peitsche hätte, würde ich sie ja glatt schwingen, aber so eine jetzt aufzutreiben, könnte sich als etwas zeitaufwendig erweisen und ich hab ja jetzt schon keine Geduld mehr für dieses ‚Gespräch’. „Rede endlich!“ Küss mir die Füße und brat mir ein Ei, Unwürdiger! Er druckst schon wieder rum, aber als ich entnervt mit der Zunge schnalze, seufzt er kurz und fixiert mich dann mit einem entschlossenen Blick, hoffentlich will er mich nicht gleich umlegen. „Was ist jetzt eigentlich zwischen uns?“, fragt er und schafft es sogar meinem Blick stand zu halten, der jetzt ein bisschen zwischen verwirrt und verständnislos schwankt, was zwar hinten rum aufs gleiche rauskommt, sich aber besser anhört, als würde ich sagen, dass ich keine Ahnung hab, wovon er redet. „Wie ‚zwischen uns’, was soll denn zwischen uns sein?“ Ich werde ein bisschen unruhig, weil es ein scheiß Gefühl ist, nicht zu wissen, was der andere von einem will und einen plötzlich mit so einem verdammtem Killerblick anpeilt, als hätte er ein Fadenkreuz im Blick und einen eindeutig im Visier. „Ja, wegen heute Nacht“, präzisiert er und ich kann mein Gehirn tatsächlich dazu überreden sich den Schlafsand aus den Augen zu pulen und zu arbeiten. Heute Nacht? Was war heute Nacht? Ihr habt euch zugesoffen, irgend so ’nen lahmarschigen Film geguckt, euch zugesoffen, euch vollgefressen, euch zugesoffen und irgendwann zwischen dem letzten Vollfressen und Zusaufen seid ihr wahrscheinlich irgendwann eingeschlafen. Ich kann nichts Außergewöhnliches in der Abendgestaltung erkennen und zucke verunsichert mit den Schultern. „Was war denn heute Nacht?“ Angelo kneift die Augen zusammen und mustert mich, als wolle er rausfinden, ob ich ihn verarschen will oder das tatsächlich ernst meine und ich kratze mir verwirrt am Arm und blinzle mir den Pony aus den Augen, er soll nicht so gucken, er soll mich in Ruhe lassen, ich hab doch keine Ahnung, was er von mir will und überhaupt! Mach mich nicht irre, Angelo! Okay, wobei…da käme er wahrscheinlich eh zu spät, von daher… Irgendwie scheine ich ihn jetzt aber verärgert zu haben, denn er zuckt mit den Schultern, entlässt mich aus seinem bohrenden Blick und steht dann von seinem gemütlichen Plätzchen auf. „Vergiss es, wahrscheinlich leide ich nur unter paranoider Schizophrenie.“ Damit stürmt er aus dem Bad, knallt die Tür hinter sich zu und ich blinzle verwirrt auf ebendieses wunderschöne zerkratzte Stück Holz, bevor ich mich aus meiner Starre löse und ihm hinterher eile. War er gerade wirklich patzig? Scheiße, scheiße, scheiße, was ist hier los? Kann mir das mal einer sagen? Haben wir rumgeknutscht, oder was? Bin ich über ihn hergefallen und wir haben im besoffenen Zustand rumgemacht, bin ich auf den Tisch gestiegen und hab ihm vor versammelter Mannschaft meine unendliche Liebe gestanden oder was soll das ganze Panikgemache jetzt? Sollte ich mich tatsächlich nicht mehr daran erinnern können? „Hä?“, ist aber das einzige, was ich halbwegs artikuliert rausbringe, als ich auf dem Flur stehe und Angelo am T-Shirt zurückhalte ins Zimmer zu gehen, er soll da jetzt auch nicht reinstürmen, ich brauch noch ein paar schlummernde Freunde, damit ich mein Weckverfahren durchziehen kann, denn so ’ne geniale Idee hatte ich lange nicht mehr, ehrlich jetzt. „Bist du jetzt sauer, oder was? Was’n los, könntest du mir das mal sagen?“ Er presst die Lippen zusammen, sein Blick huscht kurz suchend zwischen meinen Augen hin und her und dann senkt er ihn wieder, guckt auf seine Hose, seine verdammten Socken oder wer weiß was, aber auf jeden Fall guckt er mich schon wieder nicht an und das macht mich langsam verfickt wahnsinnig, hab ich ’nen fetten Pickel, den ich im Badezimmer übersehen hab oder was und er macht mir darum jetzt ’ne Szene, weil er meint deswegen nicht mehr mit mir befreundet sein zu können oder laber ich mal wieder nur totale Scheiße und fantasier mir was zusammen? Ich persönlich würd ja jetzt auf letzteres tippen, aber…keine Ahnung…könnt ja mal zur Abwechslung mal ’n Wunder passieren, Angelo dreht ja grad auch völlig am Rad, kommt ja auch selten genug vor. „Erde an Angi? Was ist jetzt los?“ Verständnislos zippel ich an seinem T-Shirt und versuch ihn von unten herauf anzusehen, aber wahrscheinlich findet er die Zellteilung der Bakterien in seinen Socken interessanter. Betreiben Bakterien eigentlich Zellteilung? Ich war in Bio noch nie so ’ne Leuchte. „Was ist denn aus diesem ganzen ‚Ich bin schwul und steh auf dich’-Kram geworden?“, platzt es unerwartet aus ihm heraus, ich gucke doof – das kann ich gut – trete mir imaginär einmal kräftig gegens Köpfchen, damit die Zahnräder wieder anspringen und ich glaube durch meinen Mund kann kurz darauf ein ganzer Spielmannszug Einzug halten, so weit, wie der offen steht. „Du bist schwul?!“ Einen atemlosen Moment, in dem mein Verstand zwischen Begreifen und total verwirrt steht, glotzt er mich einfach nur an, wie ’ne Kuh, wenn's donnert, dann sieht sein Gesicht aus, als würde es wie ein billiges Kopierpapier zerknittern und dann lacht er irgendwie fast hysterisch auf – er mutiert eindeutig zum Mädchen, aber volle Kanne – schlägt meine Hand, die immer noch seinen Shirt-Saum in der Hand hält, beiseite. „Du! Du bist schwul!“ „Ich bin schwul?“ „Ja!“ „Echt?“ Also ich mein, ja…JA, ich bin schwul verdammt und er auch und er steht auf mich und…nein, Augenblick, irgendwas hab ich jetzt verdreht. Wer ist denn jetzt schwul und steht auf wen? „Argh!“ Angelo sieht aus, als würde er mir gerade gerne eine runterhauen wollen, dann dreht er sich auf dem Absatz um, stürmt doch noch in mein Zimmer, als gäbe es nichts spaßigeres zu tun, als mir die Morgenüberraschung für meine katergeplagten Mitsäufer zu versauen, aber bevor ich ihm deswegen überhaupt die Ohren vollnölen kann, stolpert er schon wieder raus, allerdings diesmal um seine Jacke reicher, mich allerdings keines Blickes würdigend und sich an der Tür seine Chucks krallend, bevor er die aufreißt und hinter sich wieder zuknallt. „Angi?“ Darf ich mal ein ganz dezentes ‚Häää?’ loswerden? Ich starre noch ein bisschen belämmert auf die Wohnungstür und frage mich, ob er seine Chucks jetzt vor der Tür anzieht und einfach drauf vertraut, dass ich zu lange mit Nachdenken und Verwirrtsein beschäftigt sein werde, bevor ich auf die Idee komme ihm zu folgen oder ob er lieber in Socken durch den Schneematsch läuft, als es auch schon wieder an der Tür klopft, ich überfordert hinschlurfe, um sie zu öffnen und kurz darauf von einem kochenden Angelo einen arg malträtierten Adventskranz vor die Füße getreten bekomme. Ach, stimmt, dahin hatte ich ihn gestern befördert. „Schönen Tag auch“, frotzelt mein bester Freund dann, reißt mir die Türe aus der Hand und knallt die das zweite Mal innerhalb von einer Minute ins Schloss, ich kann nur verwirrt dastehen, nichts kapieren und mich fragen, ob er jetzt nun schwul ist und auf mich steht oder nicht. Also ist ja eigentlich alles wie immer… Ich löse ich mich aus meiner Starre, bin diesmal derjenige, der in mein Zimmer platzt – scheiß auf meine tolle Überraschung, die übrigens daraus bestehen sollte, zwei metallene Topfdeckel aneinander zu schlagen, falls es noch jemanden interessiert, ich weiß, nicht sehr originell, aber hätte sicher einen tollen Effekt gehabt – und trete Jan, der noch immer vor sich hinratzend auf dem Boden lümmelt, während Gerry und Jonas mich schon wach, aber eindeutig verschlafen und verwirrt anblinzeln und Jonas seinen Kopf anstatt auf Gerrys Hintern diesmal auf seiner Schulter platziert hat, hart in die Seite. „Jaaan! Verdammte Scheiße, was ist gestern passiert, ich hab doch gesagt du sollst aufpassen, was ich von mir gebe, du Arschloch!“ Besagtes Arschloch schreckt nicht, wie ich es zumindest von ihm erwarten würde, erschrocken zusammen oder krümmt sich vor Schmerz, weil ich ihm in irgendein lebenswichtiges Organ getreten hab, sondern rollt sich nur auf den Rücken, öffnet schwerfällig die Augen, als wären sie mir Superkleber zusammengepappt und schielt mich verwirrt an – tut er wirklich, er schielt immer, wenn er grad aufgewacht ist, das sieht soo lächerlich aus. „Wassis los?“, nuschelt er und reibt sich über die Augen, ich beuge mich über ihn, ihn mit beiden Händen an seinem hässlichen T-Shirt packend und ein bisschen schüttelnd, wobei ich ihn sogar tatsächlich ein paar Zentimeter anhebe, weil er der dünnste Spargel ist, den diese Erde jemals gesehen hat, er könnte eine Rede vorm Bulimiekongress halten und keiner würde anzweifeln, dass er dazu gehört. „Was los ist? Ich sag dir, was los ist, Jan. Angelo spielt neuerdings mit Barbies, ist in den Weihnachtskranz gelatscht, mit dem das ganze Dilemma angefangen hat und an dessen aktuellen Standort nur du Schuld trägst und er weiß, dass ich schwul bin. Und in ihn verknallt! Könntest du mir das erklären?“ Jan lässt seinen Kopf, den er eben gehoben hat, um mich ansehen zu können, mit einem dumpfen Knall wieder auf den Teppich fallen und entfernt meine Hände aus seinem T-Shirt, bevor er erst mal weit seinen Mund aufreißt und sich erlaubt laut zu gähnen. Ach, na Klasse, der Herr muss erst mal wach werden und ich darf mich derweil fragen, ob mein bester Freund jetzt ein Gespür für Inneneinrichtung entwickelt und mir bald sagen kann, wann die Prada-Frühjahrskollektion rauskommt. Sollte ich mir, by the way, Sorgen machen, dass ich überhaupt weiß, was eine Prada-Frühjahrskollektion ist? „Du hast ihm gesagt, dass du schwul bist und auf ihn stehst“, kommt es plötzlich von Gerry und werfe einen abfälligen Blick in seine Richtung und verdrehe die Augen, bevor mein Blick an der Hand hängen bleibt, die da auf seinem Bein liegt und die eindeutig nicht ihm gehört. Buärks. Irgendwas muss neuerdings im Wasser sein. „Klappe, Casanova, dich hab ich nicht gefragt“, motze ich ihn an und seine Augenbrauen wandern in die Höhe, ebenso wie Jans, der jetzt wieder zu mir hochguckt, Jonas räuspert sich verhalten. Und dann dringt die Information sogar an mein, von der Vorstellung Angelos in pinkem Elle-Woods-Kostüm – ja, ich hab den Film gesehen, ich geb's zu, aber ich hab ’ne verrückte Cousine – abgelenktes Hirn und ich schlage mir meine Hand vor meinen erschrocken geöffneten Mund. „Ich hab was?”, frage ich, habe dabei meinen Blick aber weiterhin auf Jan gerichtet, der nach einem kurzen Zögern mit den Schultern zuckt und in Richtung Gerry zeigt. „Frag das ihn, ich war total weg gestern.“ Ja, eben, er hat sich genau so zugesoffen, wie ich, wenn nicht sogar sehr viel mehr und das, obwohl ich ihm doch extra aufgetragen hab, dass er ein bisschen ein Auge auf mich haben soll, weil er doch als einziger von der Tatsache weiß, dass ich schwul bin, mich in Angelo verliebt hab – er hat mich mal in der Stadt mit Yannic[1] knutschen sehen und dann war die Sache mit Angelo das kleinste, was ich noch zusätzlich hatte beichten müssen – und ich hab gehofft, dass er mich wenigstens davor bewahren kann, dass ich irgendwas Blödes mache oder sage. Oh man, ich glaub's sowieso nicht, ich hab sonst in meinem Leben noch nicht mal einen Kater gehabt und das zeigt ja erst mal, wie viel ich vertrage, denn ich hab schon öfters arg viel getrunken und jetzt hab ich…na ja, zumindest Kopfschmerzen, aber ’n Filmriss scheint es gratis dazu gegeben zu haben, denn ich erinner mich nicht mehr daran, was ich am späteren Abend gemacht habe und es kommt auch nicht mit der Erzählung von Gerry zurück, der mir jetzt in knappen Worten mitteilt, an was er sich noch erinnern kann und so wahrscheinlich schon sein ganzes Tagespensum an Worten verbraucht. „Wird schon wieder“, sagt jetzt Jan, der es sich neben Gerry auf der Couch bequem gemacht hat und klopft mir aufmunternd auf die Schulter, während ich mein Gesicht gequält in meinem Kopfkissen vergrabe und mir am liebsten noch die Decke vom Fußende des Bettes hochziehen würde, um mich darunter zu vergraben und vor der grausamen Wahrheit zu verstecken, dass ich nur Deppen als Freunde habe. Na ja und davor, dass ich dem größten davon im Suff aus Versehen mein Herz vor die Füße hab fallen lassen. Was soll ich denn jetzt machen? Oder sagen? ‚Ups’ wird ja wohl nicht reichen. „Nichts wird gut, laber nicht so ’ne Gülle“, nuschle ich in mein Kissen und schlage blindlings nach seiner Hand, die ich aber natürlich nicht treffe und mit der er mir jetzt netterweise noch durch die Haare wuschelt, danke, ich seh ja schon nicht klasse genug aus, so ’n Look à la ‚verfilzter Straßenköter’ ist ja genau das, was ich brauche. „Könnt ihr gehen?“, frage ich jetzt und hebe meinen Kopf, um die anderen bittend anzusehen, was sogar reichlich erbärmlich aussehen dürfte, aber der einzige, der reagiert, ist Jan und den halte ich mit einer Hand auf seinem Bein sofort zurück und funkle ihn böse an. „Du bleibst hier, Sportsfreund, du bist an dem ganzen Mist Schuld, du hilfst mir jetzt.“ Ja, man, ist doch echt so, ich will mich nur ein bisschen besaufen, damit ich das ganze Dilemma vielleicht mal für ein paar Tage oder meinetwegen wenigstens ’ne Nacht vergessen kann – naiv, ich weiß – und als ich aufwache ist das ganze nur noch schlimmer geworden. Jan brummt uneinverstanden, lässt sich aber wieder in die Kissen fallen und schiebt die Hände in die Hosentaschen, scheint nicht sonderlich erfreut über seine ihm zugewiesene Aufgabe zu sein, aber das hätte er sich überlegen sollen, bevor er mit offenem Mund neben mir und Yannic stehen geblieben ist und gefragt hat, ob ich ihm meine neue Freundin nicht vorstellen will. Jaja, er war schon immer ein Witzbold. Ich sehe aber nun die anderen beiden auffordernd an und Jonas schwingt seine Beine seufzend von der Couch, die er seit geraumer Zeit wenigstens ein bisschen außer Gerrys Reichweite und an seine Seite des Sofas gebracht hat, wofür ich ihm wirklich dankbar bin, denn hätte ich noch irgendeins seiner Körperteile zu nah an Gerry gesehen, hätte ich mich wahrscheinlich noch übergeben. Okay, ich mein, ich frag mich sowieso, warum mir das nicht schon früher aufgefallen ist, die beiden hatten schon immer eine ziemlich…vertraute Art und Weise miteinander umzugehen und wahrscheinlich wäre es mir das sogar, wenn ich nicht so verdammt ichbezogen und angelofixiert wäre. Außerdem sind sie halt genau so beste Freunde, wie ich und Angelo das sind, ich hab dem nie viel Bedeutung beigemessen. Und ich freu mich ja auch für die beiden, ist jetzt nicht so, dass ich ihnen das missgönnen würde, aber…doch, doch ich bin verdammt neidisch auf sie und wenn ich ehrlich bin, dann find ich das ganze sogar irgendwo einen Ticken unglaubwürdig, denn wenn ich mir vorstelle, wie die beiden sich gegenseitig die Zunge in den…okay, nein, ich sollte das lassen. Also ich hab ja nichts dagegen, dass sie schwul sind, würd ich mir ja ins eigene Fleisch schneiden, aber ich meine…das sind Gerry und Jonas! Meine Freunde, die ich kenne, seit ich meine Windeln los bin, die mich gezwungen haben eine Maxim zu kaufen und sie mir sogar noch anzusehen, die im Schwimmbad immer als erstes den Mädchen hinterher pfeifen und immer dann einen Film weiterschalten wollen, wenn sich irgendwo zwei Kerle küssen. Ich mein…das geht einfach nicht, das ist doch total unglaubhaft. Aber wenn sie meinen, bitte. Nur dürfen sie nicht von mir verlangen, dass ich's großartig find und meine Handykamera zücke, wenn sie sich begrabbeln. Zumindest nicht solange ich nichts zum selber grabschen hab. Na ja, wenn sie es sind. Kann ja sein, dass sie einfach so viel gesoffen haben und Gerry sich mit dem eingelegten Hering irgendwie vergiftet hat, wirklich vertrauenserweckend sah der ja sowieso nicht aus, ich frag mich sowieso, was sich meine Mutter dabei gedacht hat, den zu holen und jetzt halluzinieren sie und quatschen sich auf dem Heimweg mit Gerda und Jonah an. Weiß man ja nicht, heute mutieren ja anscheinend alle meine Kumpels zu Tussen. Ich bringe die beiden zur Tür, schmeiße sie somit eigentlich schon viel zu früh aus meiner Wohnung und beobachte mit schief gelegtem Kopf und skeptisch gerunzelter Stirn, wie sich Jonas’ Hand vertrauensvoll an Gerrys Hüfte legt, als er den an sich vorbei zur Treppe schiebt und lasse dann seufzend die Schloss in die Tür fallen, bevor ich wieder zurück in mein Zimmer und in mein Bett schlurfe. „Und jetzt?“, murmle ich wieder ins Kissen, sehe dann aber Jan an, der nur mit den Schultern zuckt und abwesend den Kopf hin und her wiegt, als würde er über einer schwierigen mathematischen Formel brüten, aber so wie er aussieht – vom frischen Frühling ganz weit entfernt – versucht er eher mit seinem Kater zu verhandeln oder darüber nachzudenken, ob er mich killen soll, damit er seine wohlverdiente Ruhe hat und ausschlafen kann. „Keine Ahnung, krieg ich wenigstens mal ’ne Kopfschmerztablette?“, fragt er dann und ich mache eine ein- beziehungsweise ausladende Handbewegung Richtung Zimmertür. „Tu dir keinen Zwang an, du weißt ja, wo das Bad ist.“ Er quält sich stumm vom Sofa hoch und latscht, so cool wie das eben jetzt noch geht, auf den Flur. „Aber die sind eigentlich alle, musst das Migränezeug von meiner Mutter nehmen“, rufe ich ihm hinterher und er antwortet mir mit einem Grunzen, was wohl sogleich Missbilligung und Zustimmung ausdrücken soll, ich lasse mich wieder zurück fallen und rammle mit dem Kopf an die Kopfstütze des Bettes. Au. „Und jetzt?“, ningle ich wieder, als Jan zurückkommt und sich, nachdem er nach einem Anraunzer meinerseits die Tür hinter sich geschlossen hat, gequält und absolut übertrieben dramatisch stöhnend wieder auf die Couch gelegt hat. „Man, mir doch egal, ruf ihn an oder so ’n Scheiß, bin ich denn dein Beziehungsguru, oder was?“ Okay. Wenn man jetzt genug Zeit hat, darf man sich gerne mit mir über meinen absolut unsensiblen, egoistischen und sowieso idiotischen Freund aufregen, ich mein, solange er mich damit ärgern kann oder sonst was, da ist es cool, aber wenn er mal ’n bisschen sein Köpfchen anstrengen muss, damit er mir helfen kann, dann ist dem Herrn das schon wieder zu viel und die ganze Schose ist ihm egal! Na, danke auch. Okay, genug aufgeregt, zurück zum Thema, bin wieder drin. „Und wenn er noch gar nicht zu Hause ist?“, frage ich in erbärmlichem Tonfall, Jan stöhnt genervt auf und streckt sich auf der Couch aus, langt zu mir rüber und zieht mir das Kissen untern Kopf weg, um es sich selber drunter zu stopfen. „Er wohnt zwei Minuten von hier, er wird schon lange zu Hause sein, jetzt ruf ihn halt an und red mit ihm. Nur ’n bisschen mit dem Arsch wackeln dürfte ja nicht viel bringen. Hat man ja schon bestaunen dürfen.“ „Haha“, brumme ich leise und greife nach dem anderen Kopfkissen, auf dem Angelo die Nacht geschlafen, oder eher nur gelegen, hat und kuschle meinen Kopf drauf, atme kindischerweise tief ein, weil es noch nach ihm riecht und höre keine Minute später, wie Jan leise vor sich hinröchelt und mich mit meinen idiotischen und selbstmitleidigen Gedanken allein lässt. Außerdem will ich ja im Moment gar nicht mit dem Arsch wackeln und dafür sorgen, dass Angelo plötzlich auf null Komma nichts doch schwul oder zumindest bi wird, grad hätt ich einfach nur nichts dagegen, wenn das jetzt nichts an unserer Freundschaft ändert, irgendwie sieht es ja aber ganz danach aus, so wie er vorhin reagiert hat. Und ich werde ihn jetzt nicht anrufen, weil…weil…weil er den armen Weihnachtskranz so getreten hat, genau, denn der kann doch wohl am wenigstens für dieses ganze Dilemma. Dafür muss er sich erst mal entschuldigen, der Blödmann. - [1] Yannic (Chara von ): - Originalstory: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/336119/219015/ - Story mit Marc und Yannic: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/363750/219467/ Über Kommis würde ich mich natürlich sehr freuen. :) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Kapitel 2: When you use your lips they better be on me ------------------------------------------------------ Da ist es endlich. :'D Bedanken wir uns bei meinem Bauchnabel, der beschlossen hat zu reißen und mich ein paar Tage ins Krankenhaus gebracht hat. Und meinem Mac. :D (Er heißt Chase. *-*) Ich hoffe es findet Gefallen. :3 - Es klingelt gerade zur ersten Stunde und ich packe seufzend, mit einem weinenden Auge, meine Gummibärchen zurück in die Tasche, wo sie die Stunde damit verbringen dürften eine Erkundigungstour außerhalb ihres goldenen zu Hauses zu machen und fröhlich zwischen meinen Heften herumzuturnen, als – doch noch – die Klassenzimmertür aufgerissen wird und ein keuchender Jan in der allerletzten Minute ins Zimmer stolpert. Jonas grinst und rutscht von meinem Tisch, um sich auf seinen eigenen Platz vor mir zu setzen und wirft mir einen viel sagenden Blick zu, als sich Jan nach Luft schnappend vorne beim Kursleiter entschuldigt und schließlich auf seinen Platz gewunken wird, der sich, oh, Wunder, natürlich genau neben meinem befindet. „Naa?“, grinse ich, als er sich erschöpft neben mir fallen lässt und seine Tasche mit einem Fußritt unter den Tisch befördert, ohne auch nur im geringsten daran zu denken, irgendwas auszupacken. Der Herr muss ja erst mal wieder zu Kräften kommen, nachdem er die zweihundert Meter von seinem Bett in die Schule gesprintet ist. „Bus mal wieder verpasst?“ „Na?“, äfft er mich nach und wirft einen Blick unter den Tisch, wo er meine Tasche ganz richtig vermutet und kurzerhand danach greift, um die Colaflasche rauszuziehen, die rausguckt und deren Inhalt er jetzt wohl seinem ,geschwächten’ Kreislauf zuzuführen wünscht. Spätestens jetzt dürften die Gummibärchen sich auf die Reise gemacht haben, ich hoffe sie bringen mir wenigstens ein Souvenir mit oder schicken eine Ansichtskarte. Wenn ich schon meine Zeit hier in diesem blöden Klassenzimmer verschwenden darf, während sie sich auf Abenteuertour verlustieren, kann ich schon erwarten ein bisschen davon zu profitieren. „Angelo angerufen?“, setzt er in dem gleichen Tonfall hinterher und mein Grinsen sackt ein bisschen in sich zusammen, bevor es ganz verschwindet und ich ihm beleidigt die Flasche aus der Hand reiße. Pöh, der glaubt doch nicht im Ernst, dass er mich anstänkern und dann noch den Luxus meines Tascheninhalts genießen darf. „Nein“, grummle ich und schraube die Flasche jetzt selber auf, um was davon zu trinken, auch wenn ich eigentlich keinen Durst habe, aber so kann ich wenigstens die Situation überspielen und verbiete mir selbst, dazu noch was zu sagen. Ich kenn mich ja, ich plapper sonst gleich wieder meine ganzen peinlichen Gedanken und Überlegungen aus, die sich über das gesamte restliche Wochenende – von dem Jan die Hälfte noch auf meinem Sofa verbracht hat – realisiert haben und das will ich unter allen Umständen vermeiden, denn ich kenne ja Jans Drang einen ganz gerne mal auszulachen und dieser Schrott in meinem Hirn ist einfach zum Auslachen erschaffen worden, ich hab's ja selbst getan. Bisschen zynisch, aber immerhin. „Und wieso nicht?“, fragt jetzt Jonas, der sich zu uns umdreht, meisterhaft auf der Kante seines Stuhles balancierend, damit und mit seiner, nicht gerade leise gestellten, Frage die Aufmerksamkeit des Lehrers auf uns zieht, der schon begonnen hat vorne seinen obligatorischen uninteressanten ‚Ihr müsst euch zusammenreißen und hinter die Bücher klemmen, die Arbeit ist mal wieder katastrophal ausgefallen’-Schwachsinn von sich zu geben, auf den sowieso niemand, außer Andreas, der aber wahrscheinlich – ach was, hundertprozentig – die beste Punktzahl erreicht hat, einen Heller gibt. „Marc, Jan, Jonas, das fängt ja mal wieder gut an“, motzt er auch gleich auf seine üblich überhebliche Art los und Jonas und Jan verdrehen beinahe synchron die Augen. „Montag, die ersten Minuten des Unterrichts und Sie fallen schon wieder negativ auf. Wollen Sie vielleicht gleich den Raum verlassen, damit wir weiteren Störungen aus dem Weg gehen können?“ Jonas kippt mit seinem Stuhl wieder nach vorne und setzt sich richtig hin, ich schnaube, ein eigenes Augenverdrehen unterdrückend und schiebe die Flasche wieder zurück in meine Tasche. „Nein, tut uns Leid“, beeilt sich Jan zu sagen, der es sich nicht mehr leisten kann, noch einmal aus dem Unterricht zu fliegen oder zu spät zu kommen – weswegen er wohl heute sogar einigermaßen pünktlich gekommen ist, normalerweise säße ich jetzt noch alleine und hätte noch meine Ruhe – und arbeitet damit heute extrem gegen sein Image als am Unterricht desinteressierter Flegel, das er pflegt, seit er weiß, wie man Oma schreibt. „Gut, dann würde ich Sie doch glatt mal bitten die Arbeiten auszuteilen, Jan“, antwortet der dicke Meinert zufrieden und Jan beißt die Zähne zusammen, knurrt eine leise Verwünschung, steht dann aber brav auf, um der Anweisung Folge zu leisten. Schadenfroh grinse ich ihn an, als er mir einen angepissten Blick zuwirft – klar, seiner Meinung nach bin ich wieder der Böse – und Jonas kippt wieder mit dem Stuhl nach hinten, während in der gesamten Klasse das Getuschel und Stühle scharren losgeht, weil sich natürlich sofort über die gegenwärtige Note unterhalten werden muss, auch wenn man die Arbeit noch gar nicht in den Händen hält. Man muss schließlich trotzdem sofort den Taschenrechner zücken, um auszurechnen, welche Note man mindestens braucht, um die nächstbeste zu erreichen oder wenigstens nicht von seiner hart erarbeiteten 3 runterzurutschen. Bei mir ist es eigentlich scheißegal, solange ich mich auf meiner 4 halte, bestehe ich den Kurs. Aber die 4 ist auch verdammt hart erarbeitet, Latein ist einfach nicht mein Fach. „Dude“, sagt Jonas, aber in dem Moment dreht sich Lina auch zu mir rum und fragt, ob wir einen Taschenrechner haben. „Süße, seh ich so aus, als wüsste ich überhaupt, was ein Taschenrechner ist?“, frage ich zurück und sie lacht, beugt sich zu Jans Platz rüber, sich kurz nach ihm umsehend, bevor sie seinen aus der Tasche zieht. Jonas öffnet wieder den Mund, aber ich hebe Einhalt gebietend die Hand. „Ich hab jetzt ehrlich keinen Nerv dafür mir dein Gesülze anzuhören, ich weiß doch selber, dass ich mit ihm hätte reden müssen, aber ich hege ja immer noch die Hoffnung, dass wir das einfach vergessen und/oder totschweigen können, bis Gras über die Sache gewachsen ist, wir alt und grau geworden sind und unseren Enkelkindern, darüber lachend, davon erzählen können. Oder zumindest seinen, denn irgendwie glaube ich nicht unbedingt, dass da irgendwas von mir durchgeführt wird, was Enkelkinder produzieren könnte.“ Ehrlich jetzt, ich bin schwul und werd das auch bleiben, das ist eines der wenigen Dinge, bei denen ich mir sicher bin. Bill; Mädchen oder Junge, Chemie oder Bio abwählen oder Pudding oder Eis zum Nachtisch? – In allen drei Fällen würde ich beide Wahlmöglichkeiten ankreuzen. Aber bei hetero oder schwul gibt es nur diese eine Antwort, Hundertpro. Ich weiß, ich bin sonst auch eigentlich nicht so ein Feigling, was so was, wie das Ansprechen prekärer Themen, angeht, und bis vor ein paar Tagen hätte ich noch ziemlich viel dafür gegeben, dass das Thema zufällig auf den Tisch kommt und Angelo irgendwie drauf reagiert. Aber nachdem er nun sauer auf mich ist, seit er es weiß und aus meiner Wohnung gestürmt ist, bin ich mir eigentlich überhaupt nicht mehr sicher, ob ich das noch will, im Moment will ich einfach nur überleben. Ich Weichei. „Du wirst das nicht unter den Teppich kehren können“, prophezeit Jonas und ich zucke mit den Schultern. „Ich frage mich, seit wann alle meine Freunde unter die Hobbykummerkastenonkel gegangen sind und nicht, wie sonst, immer dezent schweigen und so tun, als würde es sie nichts angehen oder als hätten sie nichts mitbekommen“, ätze ich und Gerry schweigt betreten oder zumindest tut er so. Ich zupfe Jan das Blatt aus der Hand, das er mir vor die Nase hält, um es – ohne es anzugucken, versteht sich – unter der Federtasche in den Hefter zu fädeln. Ich muss mir meine wiederholte Niederlage eigentlich nicht noch unbedingt vor Augen führen. Jonas aber grabscht danach und obwohl ich ihm auf die Finger haue und versuche das Blatt festzuhalten, zieht er es wieder raus und dreht es um, um auf die Note zu spicken. „Man, war das jetzt wirklich nötig? Ich weiß doch, dass ich ein hoffnungsloser Loser bin, das muss man mir nicht noch unbedingt unter die Nase reiben“, nöle ich und winke Jan zu mir ran, der Jonas gerade seine eigene Arbeit auf den Platz legen will und bemächtige mich des Blattes. Ha, was er kann, das kann ich schon lange, ich bin so ein Gängsta. Scheiße nur, dass der Blödmann, im Gegensatz zu mir, ganz gut in Latein ist und die rote 2 auf dem Blatt grinst mich hämisch an, so dass ich ihr für ihr dummes Gesicht gerne die Zähne ausschlagen würde. Soll sie mal sehen, was sie davon hat, wenn sie sich so über mich lustig macht, die Sau. Ob ich sie vielleicht ausschneiden und über meine schlechte Note kleben soll? Eventuell hab ich ja Glück und er hat die Zensuren noch nicht eingeschrieben, sondern macht das erst, wenn wir sie unterschrieben zurückgeben. Würde mir zumindest auch das enttäuschte Gesicht meiner Mutter ersparen. Und den Hausarrest. Den ich nie einhalte. Obwohl ich dann ’ne Ausrede hätte, damit ich mich nicht mit meinen Freunden – vorrangig, wie man sich denken kann, also nicht mehr mit Angelo – treffen muss, wenn sie mich demnächst wieder quälen wollen. „Hey“, sage Jonas plötzlich und ich denke schon, dass er jetzt pissig ist, weil ich seine Arbeit gerippt hab, aber er schiebt nur meine eigene über das Blatt in meiner Hand und zeigt dann auf die Note darunter. „’Ne 3. Ist vielleicht ein gutes Omen“, grinst er breit und ich glotze verblüfft auf die Zahl, die dort steht und vor allem noch geschockter auf das Plus dahinter, das die Tendenz zur 2 deutlich macht und das obwohl ich doch sonst immer nur ganz knapp an der 5 vorbeischliddere. Sie löst sich auch nicht, als ich mit dem Finger darüber reibe. Scheint tatsächlich echt zu sein. „Verarschen?!“, platzt es aus mir, wie das Viech aus Alien, heraus, und Jan, der gerade ganz viele Menschen glücklich gemacht hat – oder auch nicht, je nachdem, was sie für ’ne Note bekommen haben –, lässt sich wieder neben mir auf seinen Stuhl plumpsen und sieht mich fragend an. „Was?“ Hey, er ist wie der Weihnachtsmann, oder? Die, die brav gewesen sind und auf ihre Eltern gehört und gelernt haben, hat er mit einer guten Note beschenkt und die anderen, die das nicht gemacht haben, sind am Arsch. Wie geil…ich bin mit dem Weihnachtsmann befreundet! Das könnte auch erklären, warum ich ’ne 3+ hab, obwohl ich so was von überhaupt nicht gelernt habe. Wer mit dem Weihnachtsmann per du ist, genießt eben gewisse Vorteile, das sollte ich bis Dezember nicht vergessen und mich bis zum 24. mit ihm gut stellen. „Du hast schöne Augen“, sage ich spontan zu meinem persönlichen Geschenkebringer und klimpere mit den Wimpern, während ich ihm ein strahlendes Lächeln schenke, was bei ihm aber nicht als das selbstlose Kompliment rüberzukommen scheint, als das es geplant war, da er nur skeptisch seine Augenbrauen über den eigentlich nicht ganz so schönen Glubschern – mit Angelos können sie auf jeden Fall nicht mithalten – hochzieht und mich anguckt, als hätte ich ihn gebeten sich für mich zu bücken oder würde vor ihm im grünen Elfendress und mit geringelten Strumpfhosen nackt Polka tanzen. Äh, also…mit nackten…Füßen, oder so…irgendwie. „Vergiss es, war nicht so gemeint, ist egal, hab das nie gesagt“, sage ich schnell, aber wohl nicht schnell genug, denn er rückt demonstrativ ein Stück mit dem Stuhl von mir ab. „Bei mir bist du mit deinen warmen Gesten an der falschen Adresse, aber danke für das Kompliment.“ Jonas lacht sich Schrott, Jan geht vor meiner, nach ihm ausschlagenden, Hand in Deckung und feixt auch, aber ich verschränke schmollend die Arme vor der Brust und starre auf die Wundernote, die ich gar nicht von ihm haben kann, denn so nett, dass er so was machen würde, ist er eindeutig gar nicht. „Und ich dachte immer, der Weihnachtsmann ist nett. Dabei ist er ein ganz gemeiner, unsensibler Idiot, hat einen schrecklichen Klamottengeschmack und von seinen Schuhen wollen wir erst mal gar nicht anfangen“, muffle ich in meinen nicht vorhandenen Bart, woraufhin mir Jan nun doch wieder näher kommt und einen Arm um die Schulter legt, mir auch noch durch die Haare wuschelt. „Tut mir Leid, dass ich dir diese Illusion nehmen musste, aber irgendjemand musste diese Aufgabe übernehmen. Schließlich bist du jetzt langsam alt genug.“ Der Meinert ruft wieder zur Ordnung, Jonas kippt immer noch lachend zurück nach vorne zu Lina und Jan verzieht sich auch auf seine Seite des Tisches und während die anderen sich wieder dem Lateinunterricht zuwenden, versuche ich mir einen Plan zu überlegen, wie ich doch noch an den Weihnachtsmann rankommen und ihn dazu überreden kann, mir ein paar Begünstigungen bezüglich meiner Geschenke zukommen zu lassen. Kommt vom Schwierigkeitsgrad wahrscheinlich in etwa aufs selbe raus. Jan tut derweile so, als würde er fleißig mitmachen und Jonas und Lina spielen Schiffe versenken. Sie haben da so eine Wette am Laufen, wer bis Ende des Schuljahres am meisten Spiele gewinnt und der Verlierer muss dem Gewinner im nächsten Jahr die ganzen Lateinübersetzungen machen. Leider kann ich das mit Jan nicht machen, weil wir erstens um mein, nicht vorhandenes, Glück beim Spielen Bescheid wissen und er zweitens Angst hat, dass ich tatsächlich verliere und ihm mit meinen stümperhaften Kenntnissen, und dem ebenso nichtexistenten Elan was dafür zu tun, die Note versauen könnte. Da ich mich also nicht anderweitig beschäftigen kann und er heute sowieso auf Oberstreber macht, bringe ich indessen meinen Plan zur Ausreifung, glotze summend, den Schneematsch draußen verwünschend, aus dem Fenster und überlege gerade, ob es klug wäre zu versuchen ein paar Elfen zu bestechen, damit ich im Falle dessen, dass der Weihnachtsmann nicht auf meine Schmeicheleien eingeht, etwas in der Hinterhand habe, oder ob sie nicht korrupt genug und ihrem alten Herrn gegenüber loyal und treu ergeben sind, als ein, einem Engel gleiches – gemeint ist hier nicht nur der Name – Etwas und eins, was eher Ähnlichkeit mit einem Elch hat – sorry, Jonas – den Schulhof betreten und meine Kinnlade gen Boden donnert. „Scheiße“, zische ich erschrocken und rutsche auf meinem Stuhl nach unten, als würde ich erwarten, dass Angelos Blick als allererstes zu dem einen der 3 Trilliarden Fenster der Schulfront geht, hinter dem ich sitze und mich sein Laserblick bis auf die Unterhose auszieht. Obwohl… „Was’n los?“, nuschelt Jan neben mir müde und ich lächle ihn schnell unschuldig an, versuche mich nebenbei unauffällig vor dem Fenster breit zu machen, was in etwa so viel bringen dürfte, als würde man einer nackten Frau ein Stirnband in die Hand drücken. „Aw, dein Schätzchen kommt zu spät“, säuselt er natürlich auch prompt augenklimpernd los, als er meinen besten Freund ebenfalls entdeckt und befördert dann seinen Radiergummi Richtung Jonas, der zielgenau an dessen Hinterkopf landet. „Jo, Alter, Zuckerschneckchen im Anflug“, sagt Jan, als Jonas sich irritiert rumdreht und nickt zum Fenster, woraufhin Jonas die Augen verdreht, dann aber leicht rot anläuft und Jan einen bösen Blick zuwirft, als er Angelo und neben ihm Gerry entdeckt. Na bitte, ich fürchte ja mal, dass jetzt kein Zweifel mehr an einer kleinen heißen Affäre zwischen den beiden besteht. Oder einer schnulzigen Romanze, ich glaube das wäre wahrscheinlicher und ich sollte mal versuchen das in Erfahrung zu bringen, wenn ich mit Angelo fertig bin, ihn niedergeschlagen und im Hinterhof verscharrt oder alternativ in die Badewanne eingemauert habe. „Schnauze“, murmelt Jonas und ich verkneife mir ein Grinsen, damit ich nicht wieder in die Schussbahn gerate. Ich kenne die Jungs, die ich meine Sozialkontakte nenne ja durchaus sehr gut. Wer auffällt ist dran. Ob ich heute vielleicht mal ein schwarzes, in dieser Gesellschaft tarnendes, T-Shirt hätte anziehen sollen? Oder mein jetziges schnell vom Oberkörper reißen und das dann mit Edding anmalen. Wenn ich Glück habe und ganz schnell kritzle, merken sie es vielleicht nicht. Oder falle ich noch mehr auf, wenn ich versuche mich anzupassen, weil schwarz einfach nicht zu mir passt? „Ey“, tönt es in diesem Moment über den Schulhof und ich falle vor Schreck fast vom Stuhl, als ich die Stimme höre, wobei man kein Hellseher sein muss, um zu erraten, von wem das eben kam, schließlich ist es mitten im Unterricht und die beiden da draußen, sind die einzigen, die gerade über den Schulhof turnen, die Chance richtig zu tippen, liegt also immerhin bei 50 Prozent. Aber obwohl ich mich ziemlich erschrecke und mich zur Sicherheit lieber kurzzeitig am Tisch festkralle, um nicht aus Versehen gen Boden zu segeln, ist es doch irgendwie ein freudiges Erschrecken und ich frage mich, ob ich mich vielleicht langsam doch mal untersuchen lassen sollte. Stimmungsschwankungen en masse, Schokolade habe ich dieses Wochenende auch genug in mich reingestopft, um, wenn ich weniger schlechte Gene hätte, mit einem Sauerstoffgerät durch die Kante[1] rollen zu müssen, auf Kerle steh ich auch, so wie Jonah und Gerda jetzt anscheinend ebenfalls. Vielleicht haben wir gestern mit dem Alk zu viel von irgendwelchen verseuchten weiblichen Hormonen zu uns genommen und mutieren jetzt alle zu Weibern! Hey super, dann hab ich vielleicht keine Probleme mehr, wenn ich zugebe auf Kerle zu stehen, sondern werd von nun an schräg angeguckt, weil ich mich zu ’ner Lesbe umgepolt hab. Mhm, okay, sollte sich Angelo allerdings auch…äh, verwandeln, dann könnte sich das schon zu einem Problem auswachsen, denn eigentlich steh ich ja schon doch eher auf Schwänze, ich weiß nicht, ob meine Gefühle für eine Beziehung ohne Sex ausreichen würden. Aber okay, ich rede als würde Sex in meinem Leben bis jetzt eine besonders große Rolle spielen, haha. Ich kann eigentlich froh sein, wenn mein PC nicht wieder mal so sehr stockt, dass das Abspielen von gewissen Videos auf bestimmten Seiten nicht zur qualvollen und nervenaufreibenden Tortour wird und das eine Mal mit Yannic vor ein paar Monaten war ja auch eher eine solche als irgendwas anderes und als so was wie ein ‚sexuelles Erlebnis’, oder wie man das nennen will, kann man das ja nun auch beim besten Willen nicht bezeichnen. Obwohl ich mich da sowieso mal wieder extremen Träumereien hingebe, denn bevor ich an irgendeine horizontale Betätigung mit Angelo denken kann, sollte ich ihm noch ein paar verschwulende Gene einspritzen – hust – und selbst dann müsste er sich noch in mich verlieben oder zumindest wenigstens ein klitzekleines bisschen geil auf mich sein, damit das was mit uns wird. Man kann also in etwa erahnen, wie hoffnungslos ich der Sache eigentlich gegenüber stehe – nach dem Knatsch am Wochenende jetzt sowieso – und dann nicht kapiere, warum und vor allem wo ich dann doch immer wieder einen kleinen Funken Hoffnung ausgrabe. „Marc“, ruft es in dem Moment und mein kleines dummes Herzchen kann sich wieder nicht entscheiden, ob es mir vor Freude in den Hals hüpfen oder lieber in die Hose rutschen soll. „Oh, nein“, flüstere ich deswegen und versuche noch ein bisschen tiefer unter den Tisch zu kriechen oder gleich ganz mit dem Hintergrund zu verschmelzen, der in diesem Falle aber von Jan dargestellt wird. Und mit Jan vereinigen…neeeein, lieber nicht. Ich spare es mir die Wahrscheinlichkeit, dass Angelo uns, oder eher mich, entdeckt und auch gemeint hat, auszurechnen, denn meine Lateinnote sympathisiert ganz stark mit der aus Mathe. Außerdem befinden wir uns hier im Erdgeschoss und aufgrund der riesengroßen Panoramafenster – scheiß moderne Architektur – und des zweifellos sehr engagierten Putzteams – scheiß Fensterwischer –, plus der Tatsache, dass er sehr gut weiß, wo ich jetzt Unterricht habe, sollte es wirklich unnötig sein mich um diese Rechenaufgabe zu bemühen. Er hat mich gesehen. Aber ich will nicht gesehen werden, vielleicht sollte ich noch mal darüber nachdenken, ob das mit dem Verschmelzen eine machbare Angelegenheit wäre. Aber da ich ja da diesen einen Freund habe, der andere Leute, und wie es aussieht anscheinend auch vor allem mich, richtig gerne leiden sieht, macht er mir natürlich gleich sofort einen fetten Strich durch die Rechnung, spielt Angelo einen perfekten Pass zu und hat wohl vor mich ins Aus zu spielen. Er stößt mir gegen die Schulter und als ich ihm einen kurzen bittenden Blick zuwerfe, dass er das doch bitte lassen soll, weil ich eigentlich noch nicht vorhatte heute zu sterben – ja, ich hab’s nun mal gerne dramatisch –, sieht er so aus, als würden nur noch seine Ohren verhindern, dass seine breit grinsenden Mundwinkel am Hinterkopf zusammentreffen. „Willst du deinem Schatzi nicht Hallo sagen?“, fragt er mich und bevor ich mich überhaupt darüber aufregen kann, dass ich das eigentlich tatsächlich gerne würde, ist er aufgesprungen und dabei das bis eben angelehnte Fenster aufzureißen. Dass er sich eigentlich keinen Ärger mehr leisten kann, damit sicher einhandeln wird und unter ‚Ärger’ wohl auch so was wie kleine Pläuschchen aus dem Klassenzimmerfenster mit ein paar Freunden fallen, scheint er entweder verdrängt zu haben oder es ist ihm im Moment schlicht egal. Hatte ja schon erwähnt wie liebevoll er mit anderen Leuten immer umgeht und wie gerne er sich über ihre Leidensgeschichten lustig macht, da kann man auch mal so was wie nicht vorhandene Sympathien von Lehrern für seine Person und darauf und auf seinen Aktionen folgende Maßnahmen außer Acht lassen, Hauptsache man hat seinen Spaß. Schadenfreude ist wohl bekanntermaßen immer noch die schönste Freude und Jan ist ein Meister darin. „Angelo, altes Haus, was läuft?“, fragt er gerade breit grinsend. „Nicht viel“, kann ich Angelos Antwort hören und würde mich jetzt gerne aus dem Fenster und an seinen Hals werfen, so richtig schön theatralisch, als hätte ich ihn jahrelang nicht gesehen und er wäre eben aus dem Krieg mit den Russen heimgekehrt. „Kann ich mal mit Marc sprechen?“ Und während ich meinen Kopf auf den Tisch niedersausen lasse, Jonas mir, wahrscheinlich ebenso feixend wie Jan, den Kopf tätschelt und auch langsam der Meinert mal checkt, was seine Schützlinge hier hinten Feines treiben, frage ich mich, in welcher schlechten Nachmittagstelenovela ich hier eigentlich gelandet bin. ‚Kann ich mal mit Marc sprechen?!’ Ist doch nicht zu glauben. Würde ich jetzt vor dem Fernseher sitzen und mir diesen Mist reinziehen, würde diese Folge und sowieso diese Farce keine sonderlich gute Bewertung erhalten. ‚Recht unterhaltsam, aber auf Dauer unzumutbar und höchstens mit einem im Tee zu ertragen und als Parodievorlage zu verwenden.’, so oder so ähnlich zumindest würde meine Kritik lauten, wenn denn jemand Wert darauf legen würde. Wahrscheinlich ist das sogar der Grund, warum es zu meinen Hobbys zählt mir am Wochenende mit den Jungs des Öfteren ordentlich die Birne wegzuknallen – anders ist es eben nicht auszuhalten – und wieso ich mich eigentlich pausenlos über mein Leben und vor allem über mich armen missverstandenen Teenager lustig mache: Ich bin eine niveaulose Unterhaltungs-Sit-Com im Nachmittagsprogramm und nur zur Belustigung für ein paar Dumpfbacken da, die nichts besseres zu tun haben, als anderen Leuten zuzugucken, wie die ihr Leben verbraten – jetzt lasse man ganz unauffällig einen Blick über meine glotzende und teils vom weiblichen Anteil her schon wieder kichernde Klasse, und ganz besonders meine besten Freunde, schweifen. „Was ist denn hier los?“, unterbricht Herr Meinert meine, wie ich finde, höchst logischen und teils schon philosophisch angehauchten Überlegungen und tritt zwischen Jans und meine und Jonas’ und Linas Bank. Lina glubscht mich auch schon ebenfalls interessiert und unverhohlen sensationslüstern an. Klar, als, außer meine Mutter, haha, einziges weibliches Wesen, das ab und an mal unserem illustren Kreis von Hobbykleingärtnern und Teilzeitidioten beiwohnen darf, weiß sie natürlich, dass es bei uns nie langweilig wird und es immer was beklopptes zu sehen gibt. Und wann passiert es schon mal, dass ich mich mal nicht fangirliemäßig kreischend – im Ernst, wie hohl muss Angelo eigentlich sein, dass er tatsächlich vorher nicht gecheckt hat, dass ich auf ihn stehe? – auf meinen allerliebsten besten Freund werfe? An ihrer Stelle wäre ich auch gespannt, was jetzt schon wieder kommt. „Nichts, nichts, Angelo will nur mal eben Marc sprechen. Nichts Weltbewegendes.“ Jan lächelt mich milde an, als wäre er eine Mutter, die ihrem achtjährigem Sohn an die Tür ruft, weil der Kindergartenfreund gerade geklingelt hat und davor steht, sich gezwungenermaßen dafür entschuldigen wollend, dass er dem heute im Sandkasten – mit acht spielt man doch normalerweise noch im Sandkasten, oder? Ich weiß nur, dass die Jungs und ich das zu dieser Zeit schon längst aufgegeben und lieber die Katze vom Nachbarn oder den Nachbar selber terrorisiert haben – den Schaufelbagger an den Kopf geworfen hat. „Also, jetzt schlägt's aber dreizehn. Wo sind wir denn hier?“, donnert der Meinert los und ich springe nun ebenfalls auf, weil ich eine Chance wittere hier lebendig und ohne eine Konfrontation mit Angelo rauszukommen, bei der ich mich eigentlich nur mit unserem fiesen Kursleiter verbünden muss und ehrlich gesagt ist mir das lieber als ein baldiges Leben voller Schmach, weil mich Angelo zur Sau gemacht oder mir die Freundschaft gekündigt hat – vor zweiterem habe ich allen Ernstes wirklich richtigen Schiss –, ich muss mich einfach auf die Seite derjenigen stellen, die die Macht besitzen. Oder die Kreide in der Hand halten, in diesem Falle. „Ich muss ihnen ausnahmsweise mal recht geben, mein lieber Herr Meinert“, flöte ich und verkünde meine Meinung im Brustton der Überzeugung, bevor ich Jan beiseite schiebe und an das offene Fenster trete, um meine Untertanen – in diesem Falle eben bestehend aus Angelo und Gerry – mit einem königlichen Wink zu entlassen. Okay, eigentlich winke ich Gerry nur, nicht wirklich gekonnt unauffällig, panisch zu, dass er meinen blonden, leider nicht gelockten, Engel wegbringen und möglichst noch um die Ecke bringen – und damit meine ich nicht die des Schulgebäudes, sondern die, die geradewegs in die Höl-…äh, in seinem Fall wohl eher den Himmel, führt – soll. „Verschwindet ihr beiden, ihr habt hier absolut nichts verloren. Es ist Unterricht und ihr solltet ebenfalls genau dort sein.“ Ich strahle den Lehrer breit und um Applaus und Ehrenbekundungen heischend an, immerhin habe ich doch wohl mehr als genau seinen Ton getroffen und auch hundertprozentig seine Worte. Aber er sieht eher so aus, als hätte ich mich über ihn lustig gemacht. Okay, das habe ich in gewisser Weise ja eigentlich auch getan – sozusagen als kleiner Nebeneffekt zu dem schon ernst gemeinten Teil der Aussage, dass sie sich verfatzen sollen –, aber er ist ein Lehrer, er darf so was eigentlich gar nicht kapieren. „Marc, komm schon, ich möchte mit dir reden.“ Angelo, grinst mich total süß und bittend an. „Das kann auch nach dem Unterricht geregelt werden.“ Meinert, weit weg von süß und höflich ersuchend. Aber wär auch gruselig, wenn er plötzlich ankommen würde und uns mit Hundeblick und ringenden Händen fragen würde, ob wir unser privates Gespräch bitte auf die Pause legen könnten und wir so gütig wären, ihn seinen Unterricht fortsetzen zu lassen. Es ist eher Angelo, der flehentlich zu mir aufsieht und mein Herz schon weich und zum Einlenken bereit werden lässt, bevor sich Gerry einmischen kann, der ziemlich verpennt wirkt und nicht so aussieht, als wäre er freiwillig früher aufgestanden, um Angelo Gesellschaft zu leisten, wenn er wie Romeo vor dem Balkon seiner Julia steht und um Gehör ersucht. Wenn er jetzt allerdings anfängt Shakespeare zu rezitieren, lach ich ihn aus. „Herr…Dings, Lehrer. Es ist wirklich wichtig. Dauert auch nicht lange.“ Ich krieg gar nicht so wirklich mit, wie der Dings reagiert, in meiner Welt spielt gerade ein unsichtbares und merkwürdigerweise in dieses Klassenzimmer passendes Orchester irgendwelche Schnulzmusik und unterstreicht damit auf wirkungsvolle Weise meine dumm-dämliche Reaktion auf das unsichere Lächeln, das Angelo mir jetzt schenkt. Na ja, okay, eigentlich höre ich das Zetern schon, ich höre auch Jans fröhliches Lachen, sehe Gerrys blödes Grinsen hoch zu Jonas und kann mir auch dessen Reaktion darauf vorstellen, aber so’n Orchester wäre mir jetzt tausend mal lieber, dann gäb’s nämlich nur Angelo und mich. Da ich selber gerade beinahe von dem Kitschgehalt meiner Gedanken erschlagen werde, drehe ich mich jetzt wieder zur Klasse, von dem ein Teil jetzt schon neugierig aufgestanden ist und aus dem Fenster lugt, während der andere diese Vorstellung hier auf jeden Fall besser zu finden scheint, als den Unterricht, mache ein finsteres Gesicht und verschränke die Arme vor der Brust. „Ich find’s ja furchtbar unverschämt, dass sich jetzt alle hier einmischen wollen. Sie mit ihrem bescheuerten Unterricht und ihr euch“, ich bohre Jonas, der sich über meinen Tisch gebeugt hat, um wohl einen besseren Blick auf sein Schätzchen zu erhaschen, den Finger in die Brust, „mit euren schmalzigen Blicken. Einzig allein Jan steht auf meiner Seite und das auch nur, weil er sich das wahrscheinlich peinlich endende Schauspiel nicht entgehen lassen will, um sich später darüber lustig zu machen.“ Jan grinst breit und hat logischerweise nicht vor sich gegen diese Anschuldigung zu wehren, ich werfe ihm einen erhabenen Blick zu und drehe mich dann wieder zu Angelo und dem gähnenden Gerry um und lehne mich weit über das breite Fensterbrett, Angelo mit einer Geste bedeutend, dass er sein Ersuchen vortragen kann. „Möge er sprechen.“ Angelo zieht eine Augenbraue nach oben und sieht mich verständnislos an, was mich seufzend den Kopf schütteln lässt. „Hau raus.“ „Kannst du nicht kurz rauskommen?“, fragt er, wirft einen nervösen Blick auf Jan, Jonas, Lina und den Rest meiner Klasse, der dem Drama hier sensationslüstern folgt. „Ich kann hier nicht weg, ich hab Unterricht, falls du es bemerkt haben solltest“, schlage ich seinen Wunsch auf ein vertrauliches Gespräch unter vier – oder zehn, ja nachdem wer unserer Freunde vorhätte uns Gesellschaft zu leisten und ich wette darauf, dass Jan auf jeden Fall daneben hocken würde – Augen aus. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie der Meinert hinter mir zustimmend mit seinem Doppelkinn wackelt und ungeduldig darauf brennt uns weiter quälen zu können. Angelo schnaubt, zuppelt, sich deutlich unwohl fühlend, an dem Saum seiner Jacke rum und wirft Gerry dann einen hilfesuchenden Blick zu, aber der zuckt nur mit den Schultern und ist ihm damit wohl keine große Unterstützung. Aber was hat er auch erwartet? Wenn man Gerry um Hilfe bittet, kann man sich auch gleich einem Stein anvertrauen und man würde wahrscheinlich in etwa die gleiche Reaktion bekommen, auch wenn ich glaube, dass ein Stein nicht so herrlich doof gucken kann wie unser Oberdoofi. „Spucks aus, Angi, ich hab auch nicht ewig Zeit.“ Hab ich wirklich nicht, ich könnte jetzt zwar noch weitere drei Stunden hier mit dir an diesem hübschen Balkon…äh, Fenster rumdiskutieren, aber irgendwann hatte ich heute auch noch vor zu sterben und ich hoffe eigentlich nur darauf, dass du mir so was sagen willst wie ‚Ich mag dich, aber nicht so. Lass und doch Freunde bleiben.’ oder ‚Ich hatte letztens ganz starke Halluzinationen, du hast mir doch nicht gesagt, dass du in mich verknallt bist, oder?’ Dann könnte ich so was antworten wie ‚Nein, und ich bin mindestens genau so hetero wie unser Moppel-Meinert hier, das hast du dir auch nur eingebildet’ und alle wären glücklich. Na ja, zumindest fast alle. Angelos Blick schweift wieder unbehaglich über die Fenster, bevor er ihn gen Himmel richtet und es so aussieht, als würde er Gott, Allah, Zeus oder was da sonst noch kreucht und fleucht, um Hilfe bitten. „Was nun?“ „Okay, also…ähm…ja. Ich…bin…“, er holt tief Luft, „…schwul. Und ich…ich steh auf dich.“ Hm. Man kennt das ja vielleicht. Es ist spätabends, man ist unterwegs nach Hause, zur Bushaltestelle oder vielleicht mit dem Hund oder dem Frettchen draußen, schlendert nichts ahnend durch einen Park, eine Gartenanlage oder hat möglicherweise auch so viel Pech ein kleines Stück durch den Wald zu müssen. Und plötzlich ist da was. Irgendwo im Gebüsch knackts, dann quietscht, kreischt und raschelt es und das Adrenalin rauscht nur so durch die Adern, weil man Schiss hat jeden Moment angegriffen und abgemetzelt zu werden. Na ja, zumindest mir ist das schon mal passiert, als ich vor zwei, drei Monaten abends auf dem Rückweg von Jan war, wobei man dazu sagen sollte, dass es ein kleines einzelnes Büschchen in dem Beet vor dem Mehrfamilienhaus, in dem sich die Wohnung von Jan und seinem Vater befindet, war und mich eigentlich so schnell niemand hätte abmetzeln können, der groß genug ist, um sich zwischen so ein paar Ästchen und fünf Blätter zu quetschen. Trotzdem hab ich den Igel, der dann daraus hervorkroch – ich wusste nicht, dass Igel solche Geräusche von sich geben können – mehr als erleichtert begrüßt, weil ich natürlich, so viel Fantasie ich manchmal auch habe, nicht angenommen hab, dass er ein Fleischermesser unter seinen Stachelchen versteckt haben könnte. Aber worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass es mir im Moment so ziemlich ähnlich geht, wie damals, als mich der Igel überfallen hat. Mein Adrenalinspiegel ist in ungeahnte Höhen geschossen, in meinem Kopf hat's irgendwie ganz laut geknackt, das Gebüsch – hier dargestellt von meiner Klasse – raschelt, die Igel – Synonym für den Großteil der Mädchen in meiner Klasse – quietschen und kreischen – und der Meinert…na ja, der kreischt auch, allerdings eher ungehalten. Zwar hab ich begriffen, was Angelo da gesagt hat und auch mehr oder weniger, was das bedeutet, sollte vielleicht außerdem auch langsam mal irgendwie reagieren und ihn nicht weiter wie ein eingefrorenes Eichhörnchen auf Dope anglotzen, aber bei dem Igel hat's auch ’ne Weile gedauert, bis ich wieder mich wieder bewegen und ihn volltexten konnte, was für ein süßes kleines Kerlchen er doch ist. Ich bin wohl eines der seltenen Male in meinem Leben wirklich sprachlos. Das Sprechen übernimmt jetzt aber wieder Jan für mich, der zuallererst aber spöttisch in die Hände klatscht und amüsiert einen Mundwinkel nach oben zieht, bevor er mir einen Arm um die Schulter legt und mit der Hand unsanft die Wange ,tätschelt’. „Das war ja ’ne süße Vorstellung ihr beiden, hat einem regelrecht die Tränen in die Augen getrieben.“ „Ach, Klappe, Jan“, antwortet Angelo in ungewohnt bissiger Manier und sieht auch nicht unbedingt fröhlich aus, als er ungeduldig mit der Hand wedelt. „Könntest du...deine Hand...beziehungsweise deinen Arm...bitte?“ Er fuchtelt wieder in unsere Richtung und Jan und ich werfen uns erst einen verwirrten Blick zu – beziehungsweise schaut er verwirrt und ich glotz ihn einfach nur an, weil die Rädchen in meinem Kopf noch laut zu arbeiten scheinen –, bevor seiner auf den Arm um mich fällt und er anfängt breit und wie blöd zu grinsen. „Aw, schau mal Marci, dein Spätzchen ist eifersüchtig, ist das nicht süß?“, fragt er und imitiert gekonnt das hohe Quietschen der Mädchen hinter uns, woraufhin ich wahrscheinlich endlich checke, was hier abläuft und ihm für seine Bemerkung, ein paar Sekunden verzögert, den Ellenbogen in die Seite ramme. Mehr als unsanft! Ich mein er kann doch jetzt in dieser Situation keine dummen Witze machen, wenn er irgendwas machen will, dann soll er sich Jonas schnappen, sich bei ihm unterhaken und irgendeinen schottischen Freudentanz aufführen oder von mir aus auch steppen und sich die Kleider vom Leib reißen, das wäre wenigstens sinnvoll. Also wenn er sich freuen würde, nicht wenn er sich nackt auszieht, das muss dann doch nicht sein – so viel gibt’s da eh nicht zu sehen, hehe. „Da beißt mich doch der Bär“, rufe ich aus und glotze Angelo an, der überrascht und verwirrt zurückguckt und schüttle Jans Arm von der Schulter, lehne mich wieder weit über das Fensterbrett raus, kneife die Augen zusammen. „Also...ich mein ,Da tritt mich doch ein Pferd’, aber ich mag keine Pferde, die sehen so gruselig aus, wenn sie den Mund aufmachen und Bären sind irgendwie cooler und...bäriger. Und sie sehen so weich und kuschelig aus, aber ich weiß nicht, ob sie das sind. Man kennt das ja von den Schlangen, die sehen auch nass und glitschig aus und sind es dann gar nicht.“ Ich nicke überzeugt und auf Angelos Gesicht breitet sich langsam aber stetig ein Lächeln aus und ich kann auch nicht anders als zurückgrinsen. „Wenn du willst kannst ich auch ,Ich glaub mein Schwein pfeift’ sagen, denn Schweine mag ich wieder. Die haben so niedliche Schwänze.“ Ich nicke wieder und Angelo senkt kurz den Blick auf seine vom Schneematsch nassen Schuhe und lacht, schaut dann wieder hoch und atmet erst mal sichtlich erleichtert tief ein und aus. „Kommst du raus?“, fragt er und ich werfe meinen Kopf ein drittes Mal zustimmend durch die Gegend – bildlich vorgestellt ist das irgendwie sehr interessant, nicht wahr? - und will schon die Beine in die Hand nehmen und aus dem Zimmer stürzen – wahrscheinlich würde ich das wortwörtlich schaffen und elegant auf die Fresse fliegen –, aber jetzt schaltet sich doch wieder der Meinert ein, der in der letzten Minute erstaunlich ruhig gewesen ist, wie mir gerade auffällt. „Nichts da, Sie gehen nirgendwo hin, Marc. Es ist Unterricht und sie beiden“ - er schiebt sich ein Stück an mir vorbei und zeigt abwechselnd auf Angelo und Gerry, woraufhin ihn zweiterer erst mal hemmungslos angähnt - „Sie machen sich jetzt bitte auch auf den Weg dahin, sonst wird diese penetrante Störung des Unterrichts Folgen haben.“ „Ausfall“, schmatzt ihm Gerry entgegen und Angelo grinst breit, allerdings – und ich könnte Luftsprünge machen deswegen – nicht weil Gerrys und Meinerts Geplänkel ihn amüsiert hätte, nein. Also ja, das hat es vielleicht auch, aber grundsätzlich strahlt er im Moment nur zu mir hoch und ich schiebe den Kursleiter beiseite, dessen nächste Worte bestimmt nicht mehr von der netten oder pädagogenfreundlichen Sorte gewesen wären – dafür ist er wahrlich nicht bekannt – und lehne mich diesmal so extrem weit aus dem Fenster, dass Lina schnell nach mir greift, weil das naive Täubchen wohl Angst hat, dass ich rausfallen könnte. Aber da braucht sie keine Angst haben, denn selbst wenn ich rausfliegen sollte, würde ich mir jetzt bestimmt nichts tun, da das hier im Film jetzt ja ungefähr das Ende wäre und vor einem Happy-End einfach nichts mehr schlechtes passiert. Außer es ist ein Drama, aber bis jetzt fand ich mein Leben in wenigen Hinsichten dramatisch. Obwohl, ich bin ja eine Nachmittagstelenovela, da stirbt ja im unpassendsten Moment auch immer jemand weg. „Sorge dich nicht, holde Maid“, sage ich und grinse über Angelos verwirrten Gesichtsausdruck, weil ich zwar Lina meine, aber trotzdem noch ihn anvisiere, aber als ich ihre Hand auf meinem Arm liebevoll tätschle, scheint er es zu checken. „Mein Geliebter“, seufze ich dann auf höchst theatralische Weise und strecke ihm meine Hände entgegen, die er zwar trotzdem nicht fassen könnte, wenn er es versuchen würde, weil wir nicht so sehr weit unten sind, aber das hat hier jetzt ja nur symbolischen und dramaturgischen Charakter. „Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren“, zitiere ich jetzt doch selber den alten Meister und verzichte einfach mal darauf mich jetzt selber auszulachen, weil’s sicher geil käme, aber höchst schädigend für meine tolle Vorstellung wäre. „Was?“, fragt Angelo lachend und ich kann nicht anders als noch beduselter zu grinsen, einfach weil er so süß und naiv und...dumm – okay, ich kann auch nur die eine Zeile von Romeo und Julia – ist und ich halt scheiße verliebt bin und ich das deswegen eben einfach darf. „Ich wollte schon immer mal aus einem Fenster springen“, übersetze ich für den kleinen Idioten und wackel mit den Augenbrauen, hätte ihm dazu jetzt zwar gerne passend ein unmoralisches Angebot unterbreitet, aber...na ja, erstens muss da nicht die ganze Klasse – und vor allem Jan, der bestimmt wieder ’ne dumme Bemerkung gemacht hätte – dabei sein und zweitens weiß glaub ich keiner von den Jungs, und somit halt auch Angelo nicht, dass ich ein kleines bisschen versaut bin, denn ich sag ja meistens nicht laut, was ich denke, wenn mir Angelos hübscher kleiner Arsch mal wieder ins Auge springt oder er sich im Schwimmbad oder sonst wo das T-Shirt auszieht. Ich glaub er hat auch bis heute nicht gecheckt, dass ich bestimmt nicht deswegen so gerne in die Stadt gehe, weil ich mir gerne die Tauben angucke und mich mit ihnen unterhalten und sie fragen will, was sie die letzten Tage so ohne mich gemacht haben, sondern da einfach die hübschesten Kerle rumlaufen. Angelo eingeschlossen. Eben dieser grinst jetzt verstehend und nickt, packt Gerry an der Jacke und geht ein paar Schritte zurück, macht eine auffordernde Handbewegung gen Boden und scheint von der Idee an sich sichtlich begeistert zu sein. „Tu dir keinen Zwang an.“ „Habe ich nicht vor.“ Und ich würde ja jetzt auch Anlauf nehmen und kopfüber aus dem Fenster springen, wenn ich es könnte, aber irgendwie will ich anscheinend nicht oder zumindest das, was mich festhält. Einem Blick über die Schulter zufolge ist es Herr Meinert und er sieht sehr wütend aus. „Sie werden jetzt ganz sicher hier nicht aus dem Fenster springen“, motzt er und zieht mich wieder in den Raum. Liebenswertestes Lächeln aufgesetzt, aber eigentlich hätte ich mir das gleich sparen können, denn der Kerl ist so hart wie Granit – in seinem Kopf sieht das bestimmt gegenteilig aus – und nicht schwul, somit bestimmt genau so wenig mit einem reizenden Lächeln zu bestechen wie das Wort liebenswürdig auf seinen Charakter passt. „Na ja, einfach so rauslassen würden Sie mich ja nicht, oder?“ „Auf keinen Fall.“ „Dann springe ich.“ Und na ja...man darf sich das jetzt nicht vorstellen wie in einem Actionfilm, wo die sogar durch Glas und fallen oder aus dem dritten Stockwerk springen können, ohne sich nur einen Kratzer zuzuziehen oder in der nächsten Sekunde breit auf dem Asphalt zu kleben. So ein paar Stuntmänner würden das vielleicht noch hinkriegen, die kennen ja auch die Technik, abrollen, wegfedern, Fallschirm anbinden, an einen Stuhl klammern und gar nicht erst springen...hrm... Aaaber ich bin ja kein Stuntman, ich bin ein kleiner naiver und grad von Endorphinen total benebelter Marc, ich würde es wahrscheinlich nicht mal schaffen vom Bordstein zu springen, ohne mir was zu brechen. Demzufolge springe ich nicht etwa elegant und in, mit spannungsgeladener Musik untermalter, Zeitlupe runter und lande katzengleich auf dem Boden, um Angelo dann glücklich strahlend in die Arme zu fallen, sondern versuche umständig auf die Fensterbank zu kraxeln und hole mir dann lieber einen Stuhl zur Hilfe, weil ich anscheinend einfach zu unfähig dazu bin, rutsche erst nach einigem Zögern vom Brett, um unten dann erst mal feierlich umzuknicken, im Dreck zu landen und mir ein paar besonders spitze Steine in die Handballen zu jagen. Aufjaulend lasse ich mich zur Seite kippen und fasse automatisch nach meinem Fußgelenk, dass höllisch schmerzt und wische mir den Matsch und die Steine von der anderen, weil’s da auch scheiße brennt. Angelo ist binnen einer Millisekunde bei mir – er kann das, er ist im Gegensatz zu mir nämlich ein sehr fähiger Superheld, während ich ja augenscheinlich nicht mal fliegen, sondern nur auf die Fresse fallen kann – und fasst ebenfalls besorgt nach meinem Fuß. „Bist du umgeknickt?“ Ich nicke und verziehe das Gesicht, weil es sticht, als ich den Fuß bewege. „Ich bin so unfähig, das war doch jetzt mal total peinlich. Jetzt willst du mich bestimmt nicht mehr und kommst lieber mit Jan zusammen, der sogar besoffen von der Halfpipe fallen kann und sich nicht mal die Haare durcheinander bringt“, jammere ich und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter, woraufhin er meine Haare streichelt und ich mich fast augenblicklich besser fühle. „Also ich fand’s süß“, sagt er leise und lächelt mich an, als ich zu ihm hochschiele und ich strahle sofort zurück. „War total mutig von dir“, fügt er dazu und grinst. „Mach dich nicht über mich lustig! Ich hab das für dich gemacht, freu dich oder sei wenigstens ein bisschen dankbar.“ „Oh, du bist mein strahlender Held“, spottet er trotzdem weiter. „Deinem strahlenden Held hat’s die Hände aufgefetzt“, jammere ich und halte ihm eine vor die Nase, schiebe die Unterlippe vor und ernte wenigstens einen wirklich aufrichtig angeekelten Blick, der zwar nicht so runter geht, wie das einer mit ernst gemeintem Mitleid oder ein paar nette Worte getan hätten, aber immerhin. Was er als nächstes macht, ist mit warmer Butter auch kein Stück zu vergleichen, allerdings nicht, weil er so unsensibel ist, sondern mir im Gegensatz wahrscheinlich irgendwie eine Herzkrankheit verpassen will. OoS könnte man sie nennen, ,Out of Step’. Er nimmt meine recht Hand in seine und senkt seine Lippen darauf, haucht einen sanften Kuss auf die Handfläche und auch wenn das jetzt voll weh getan hat, dürfte er mir sogar einen Nagel da durch jagen, wenn er dazu nur seinen Mund benutzt. Mir entweicht ein merkwürdiges Geräusch, dass man in etwa mit denen vergleichen kann, das uns jetzt von oben entgegenschallt und wahrscheinlich klingt wie ein überfahrenes Frettchen. Also ein Frettchen, das gerade überfahren wird, wenn es tot ist, kann es ja nicht mehr quietschen. Aber ich weiß auch nicht, wie ein Frettchen klingt, wenn es grad abnippelt, also sollte ich vielleicht einen anderen Vergleich suchen, aber dazu bin ich echt grad zu...zu was auch immer, nicht mal dafür fällt mir was ein. „Wow“, sage ich leise und das ist wahrscheinlich das erste Mal, dass ich wirklich irgendwie verlegen in Angelos Gegenwart bin, immerhin kennen wir uns schon seit wir kleine Hosenscheißer sind und das ist ’ne beachtliche Zeitspanne. „Was machst du erst, wenn ich mir auf die Zunge beiße?“ Gerry, der ja immer noch neben uns steht, den ich bis jetzt aber komplett vergessen habe, schnaubt, wobei ich nicht feststellen kann, ob das jetzt amüsiert oder eher so was wie abfällig war und ich wette Jan hat dafür auch ’ne tolle Bemerkung übrig, aber da ich nichts doofes hören kann und jetzt sicher nicht hochgucken werde, um zu gucken, ob er überhaupt noch am Fenster hockt, um damit Angelos Reaktion zu verpassen, hab ich keine Ahnung, wie er jetzt darüber denkt. Angelo lässt meine Hand wieder los, ich lege sie fast automatisch zurück auf meinen immer noch schmerzenden Fuß und Angelo grinst jetzt reichlich schief, macht ansonsten aber gar nichts, was mich schon enttäuscht sein lassen will. Dann zögert er aber einen Moment, sein Blick zuckt zu meinen Lippen, wovon mir schon fast das Herz stehen bleibt, aber als er sich auch noch zögernd vorbeugt, sollte es wahrscheinlich restlos um mich geschehen sein und gleich kann man mich hier aufwischen. Muss Angelo wohl doch mit Jan Vorlieb nehmen, der Arme. Als ich aber anscheinend doch noch nicht vorzuhaben scheine, mich in eine Pfütze zu verwandeln und in den nächsten Gulli zu fließen, damit ich den Krokos da unten Gesellschaft leisten kann, beuge ich mich ihm stattdessen entgegen, wesentlich weniger vorsichtig als er, und küsse ihn – und wenn ich das mal dazu fügen darf: endlich! Wie erwartet geht oben am Fenster ein Quietsch- und Kreischkonzert wie bei einem Tokio-Hotel-Konzert los und ich frage mich nicht zum ersten Mal, warum manche Mädchen eigentlich so absolut fanatisch sind und werden, wenn sich irgendwo zwei Kerle auch nur ein bisschen näher kommen. Leider ist der Kuss reichlich kurz und unleugbar ungeschickt, aber für unseren ersten Versuch doch wenigstens nicht schlecht. Angelo lächelt mich schüchtern an und ich strahle zurück, als wäre ich gerade durch Tschernobyl gelaufen. „Und wenn ich mir jetzt irgendwie meinen Sch-“ „Okay, ich hab’s kapiert“, lacht Angelo, steht dann wieder auf und hält mir eine Hand hin, damit ich mich hochziehen kann und auch wenn das mit dem Fuß scheiße weh tut, die Aktion an sich total peinlich war, ich mir wahrscheinlich noch den Arsch abfrieren werde, wenn Angelo vorhat hier noch ’ne halbe Stunde rumzustehen, weil ich ja keine Jacke habe und wir uns wohl gerade vor der ganzen Klasse als total hirnlose Deppen geoutet haben – wobei ich ja irgendwie glaube, dass einige es schon geahnt haben könnten –, war’s das mehr als wert. „Lass uns reden“, sagt er leise und ich nicke schnell. Zwar hab ich absolut keinen Bock auf reden, weil ich finde, dass jetzt alles klar und geklärt zwischen uns ist, aber wenn er darauf besteht kann ich mich auch ’ne halbe Stunde hinsetzen, ihn ab und zu glücklich seufzend anhimmeln und in den richtigen Abständen nicken. „Alles was du willst“, sage ich und humple einen letzten Schritt auf ihn zu, werfe mich ihm wortwörtlich an den Hals und drücke wieder meine Lippen auf seine, woraufhin er zwar einen Moment überrascht ist, aber dann ebenfalls die Arme um mich legt und den Kuss erwidert. Und er kann sich drauf gefasst machen, dass ich das in nächster Zeit sehr oft machen werde. Aber ohne Publikum und wenn dann noch einer quietschen sollte – ich würde aber bevorzugen es weiterhin als ,überfahrenes Frettchen’ zu bezeichnen, ich finde das klingt edler –, dann bin ich das. Daran muss er sich gewöhnen. - [1] Durch die 'Kante rennen/latschen' heißt einfach nur so viel, wie durch die 'Gegend' zu laufen. :) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Kommis sind natürlich sehr gerne gesehen! :] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)