Voodoopunk von Technomage ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Regen vertrieb die Schatten aus den Gassen, während Eshu in den frühen Morgenstunden von unruhigem Schlaf hin und her geschwemmt in seiner Hängematte den Anbruch des Tages erwartete. Selbst in diesen ruhigen Stunden wogte die Stadt wie ein lebendiger Teppich aus Lichtern und Stimmen, die sich vom pulsierenden Trommeln des Tages und der Nacht zu einem feierlichen Murmeln herabgesenkt hatten. Nicht viele Orte kennen die Phase, außer Tag und Nacht, in den schwelgenden Stunden vor Sonnenaufgang. Es braucht genug Wesen, die um sie wissen und mit diesem Bewusstsein in ihr Leben, damit sie existiert. Doch Eshu schlief in diesen Stunden endlich den Schlaf erschöpfter Rabauken und Tunichtguts. Er machte einen Schritt nach Vorne und gleichzeitig anderthalb zurück ohne sich merklich zu bewegen wie ein trunkener Tänzer in den Straßen. Er glühte und es biss große Brocken von dem flimmernden Konglomerat an Reflektionen und Schnappschüssen ab, durch das er anmutig watete. Alles knirschte beim Gehen wie Tofu zwischen den Zähnen, während sein leichtfüßiger Tanz ihn tiefer zog. Der Schlamm aus Wahrnehmung mündete zu einem Sturzbach über die Klippe hinaus ins Weite mehr – ins weite Meer. Die großen Geisterahnen seien verdammt, sie hatten ihn in Bronze eingegossen und einfach ins Meer geschmissen, um sich seiner zu entledigen. Er war ein Risiko für die Ordnung, Nein, für den Fluss der Dinge geworden; was viel schlimmer war, da die Bewegung im Gegensatz zur Ordnung tatsächlich bestand. Erstarrt berührte er seine massiv legierten Finger, bewunderte wie das Wasser von seinem bronzenen Statuettenkörper abperlte, während er hinabsank auf den Grund des Meeres. Sich selbst ergreifen und hinaufheben wie bei der Bergung eines alten Geisterschatzes, das wäre die Lösung. Doch verschaffte es nur das Gefühl sich umarmen zu wollen, während er metallisch hinabgezogen wurde. Wenigstens ertrinkt eine Bronzeskulptur nicht, daran hätten diese Gossenratten denken sollen, bevor sie sich mit einem Kind der Gassen anlegen. Oh, er würde sie verfluchen, dass ihnen für den Rest ihres Lebens Kakteen von hohen Fenstersimsen auf den Kopf fallen würden, wenn er erst einmal die Hände frei bekäme. Jemanden verfluchen wie ein waschechter Hougan, das würde er bis dahin auch noch lernen. Schließlich gab es nicht viel zu tun, wenn man schwer ins Meer hinabsank. Der Boden kam jedoch schnell näher dafür, dass er im weiten, unergründlichen Ozean trieb. Verdammt seien die Bambusheiligen, ich schlag' gleich auf! Und ich wollte doch noch soviel aaaaaaaaaaaaah-- „-Aaaaaah!“ Eshu erwachte Sekundenbruchteile, nachdem er sich selbst im unruhigen Schwanken aus der Hängematte geschleudert hatte und bevor er bäuchlings auf dem Bambus seines Zimmerbodens aufschlagen würde. Es war genug Zeit, um sich zu fragen, ob jetzt gerade Warum oder Wozu die angemessene Frage wäre. Dann kam der nüchterne Aufprall. Bambus federt stets ein wenig nach, jedoch nicht genug um einen Sturz darauf sonderlich angenehmer zu machen. Er verharrte eine Weile regungslos ebenda und ebenso wie er gefallen war und langte mit ätherischen Fingern nach den Fetzen des Traums, der sich unter seinen hastigen Griffen selbst zerflückte wie Ascheflöckchen. Bis sein erwachendes Gehirn klar genug wurde um behutsam zu tasten, waren die Fragmente bereits zu klein und zusammenhanglos, um sich berühren zu lassen. Verflucht wieso ist es jeden Morgen das-- halt, Verfluchen genau ich wollte sie verfluchen aber wen wer war es den ich-- so ein Unsinn ich kann gar niemanden verfluchen verdammen selbst wenn ich es-- oh verdammt verdammt verdammt wie spät ist es? Wie eine in Schwingung versetzte Welle erhob Eshu seinen ruhig daliegenden Körper zum Stehen, als gäbe es keine notwendigen Zwischenbewegungen. Die Sonne war durch das einzige und unverglaste Fenster seines Zimmer eine schwammige Orange über dem Dunst der Horizonthäuser, die in den früh morgendlichen Nebel hinabblutete. „Quetzalcoatl“, fluchte Eshu laut in die Nachbarschaft hinaus und weckte einige der fetten Fledermäuse auf, die im höhlenartig überhängenden Gebälk seines Daches hingen und ihn nun durch schläfrige Äuglein feindselig ansahen. Du verdammte, lichte Hure bist schon wieder ohne mich aufgestanden, nachdem wir uns die ganze Nacht in den Falten meiner Matte gewunden haben, während du frei warst nicht am Himmel ausharren zu müssen. Jetzt leckst du dir deine Wunden und lachst dir eins über mich kleines Menschenkind. Tänzelnd schwang er sich durch den Raum, fischend nach seiner Ledertasche, dreckig und rau von Gassenstaub und Luftfeuchtigkeit, und warf Blätter, Gläser, Wurzeln, Amuletten hinein. Ein stolpernder Schlenker warf sie schwer gefüllt auf einen Haken nahe der Tür, während er schon storchend in hell verschmutzte Shorts schlüpfte und halb fallend ein Hemd von einem Pfosten seines Regals griff, das die Farbe einer ausgetretenen Pfads hatte und zu den Enden hin ausfranste. In einer Sekunde schwankenden Halts am Türrahmen entankerte er wieder die Tasche und, sie um die Schulter gewunden, ergriff er den Rahmen, beförderte sich schwingend aus der Tür hinaus auf den Gang. Die Tür knallte federnd gegen die Wand und wippte in ihren zappeligen Scharnieren zurück, verschloss das Zimmer, als Eshu halb hinab gestürmt war und die Plattformen aus verflochtenem Bambus hinter sich ließ, welche sich als Treppe um die aufeinander gestapelten Wohnungen zur Straße herunter schlang. Die Bambusschlange erzitterte unter seinen sich überschlagenden Schritten und der Turm aus Räumen wankte noch, begleitet vom rumorenden Fluchen und Schimpfen seiner Bewohner, als Eshu bereits anderthalb Blöcke entfernt war. Verfluchtes Balg! Sollen die zürnenden Loa der Morgenruhe dich holen! Es ist nicht gut sich den Zorn und die Verwünschungen der Menschen aufzuhalsen, wusste selbst Eshu, wenn du Gefahr läufst, dass einer von ihnen etwas von Verfluchungen versteht. Kapitel 2: ----------- Vom Schaukeln des Raums erwacht Papa Legba aus gemächlichem Schlummer. Der Kater streckte die trägen Pfoten von sich und rollte auf den Rücken, unbekümmert woher der Tumult rührte oder welche Stunde es gerade schlug. Er ruhte wie er sich gedreht hatte und wartete, doch als bis auf einen elastischen Knall nichts geschah, blinzelte er die trüben Katzenaugen auf und sah dem Schummer entgegen. Irgendwas zwischen Nacht und Morgen. Keine Zeit für einen Kater. Wenn es nach Papa Legba geht, ist es nie Zeit für einen Kater sich zu erheben; doch Mitleid sei dem Narren, der ihn trotzdem zu wecken wagte. Wie mit dem Boden verschmolzen hob der Kater sich auf drei Pfoten und das Holzbein, um sich durch den wirbelnden Raum zu schieben. Blätter stürmten umher und verdeckten die spärliche Katzensicht, als wäre gerade ein Wind im Begriff sich zu legen. Das Zimmer war eng, für Mensch wie für Katze, und nichts als eine Hängematte, ein Regal und ein zu bergender Schatz an herumfliegendem Plunder – gerade im wahrsten Sinne des Wortes, auch wenn Papa Legba von eben diesem gar nichts versteht. Das alles zwischen eine schwingende Tür und ein Fenster gen Sonnenaufgang gequetscht. Eine quadratische Höhle aus Bambus, verflochten mit Palmenblatt und Liane, auf welchen der Kater gerade verharrend und unschlüssig herumkaute. Ihn scherten die beengten Verhältnisse nicht, war er doch meist viel zu faul um sich zu bewegen und immerhin gab es Eshus Unordnung, auf der er weich lag. Katzen liegen am Bequemsten auf achtlos herumliegen gelassenen Gegenständen von großer Wichtigkeit und Bedeutung. Der Lederbeutel, auf dem er geschlafen hatte, roch gut und schleifte sich gerade am Holzbein anstelle seiner rechten Hinterpfote über den Boden wie in einem gemächlichen Fluchtversuch. Der Kater setzte in Zeitlupe gewöhnlich feliner Grazie zum Sprung an und beförderte sich mit einem lauten Klacken des Holzbeins auf dem Boden zum Fenstersims hinauf. Der Beutel löste sich auf halber Höhe und segelte, sich über den ganzen Raum verstreuend, wie ein Meteor aus getrockneten Blättern in eine Ecke. Papa Legba niest missgestimmt, während er das sanfte Toben der Stadt überblickt. Da stürmte Eshu die große Gasse des Viertels hinunter und passierte gerade wie früher Staubnebel den Tunnel aus gigantischen Dinosaurierrippen hin zum nächsten Dreh- und Angelpunkt der Straßen und Pfade auf dem Weg zu den großen Geistern. Symmetrische weiße Stacheln, die sich wie ein Leitfeuer zwischen den Farben des Staubs, der Stadt und der schwindenden Nacht aufbäumen, um die Richtung zu weisen. Alte Tier sind der Anker, darum weiß Papa Legba und der Kater wusste es genau. Die Wohnung seines Futtergebers war die vierte von sechs aufeinander gepflanzten und miteinander verflochtenen Räumen und deshalb konnte der Kater den ausgebreiteten Teppich der Stadt erblicken, soweit das Auge es erlaubt und der Horizont reicht. Sie ist mühselig die Krümel des letzten Tages vom Stoff zu fegen und breitet ihre Waren, all ihre Habe, auf Flicken an Flicken an Flicken aus. Die Glut im Osten ist die Grenze und irgendwo hinter dem Dach liegt das Meer, wohin der Kater gerade nicht sehen konnte. Er bettete sich auf sein dichtes Fell, legte den Kopf auf die dicken Pfoten und sah noch gähnend zu, wie Eshu auf der Stelle tänzelnd vor den Rippen blieb. Sein Mensch schwang einen fetten Fisch von violetten Schuppen über dem Kopf herum und der Mund bewegte sich wie Hummelflügel, während ein stämmiger Kerl im Schatten seines Standes ausholende Gesten zurückgab. Vier Arme wedelten, die einen wie Windräder, die anderen wie Fähnchen im Sturm, und nach Sekunden nahm Eshu einen braunen Klumpen aus der Tasche, um eine Ecke abbrechend und dem Mann hinüberwerfend beschwingt durch die unvollkommenen Bogen aus Weiß zu eilen. Opferfisch, aber kein Fisch für Papa Legba. Heute nicht. Mit müßiger Eleganz seilte der Kater sich auf das Dach unter dem Fenster hinab. Die Schärfe der erprobten Krallen fassten die strohigen Palmenblätter und er lugte über den Rand der hängenden Dachs. Die aschgrauen Vorhänge waren noch zugezogen. Mit Karu war nicht zu spaßen, wenn es um geschlossene Vorhänge ging, was für ein dickes Fell man auch hat. Eine Drehung zurück und der Kater hievte seinen Körper schon bald die Stockwerke hinauf bis auf das abgeflachte Dach des Turms. Wie eine glühende Woge umschloss die Sonne – von hier aus erblickt - die Ausläufer der Stadt, während gegenüber der bunte Flickenteppich ins einsame Meer mündete. Wie ein Spinnennetz kletterte der Hafen von Tau beperlt in die Sichel der Bucht, um der widersinnigen Großen Ruhe noch eine Sicht weit Leben abzuknöpfen. Papa Legba kennt die Ruhe und das Feuer, tapst gewichtig mit dem Holzbein auf das Dach der Stadt und gähnt erneut. Eine Samtpfote tiefer konnten die Katzenohren es Zischen, dann Knistern hören, als Goolam unter dem Dach Tierfett und getrocknete Blätter in die Pfanne warf. Ein Geruch nach geräuchertem Fleisch und verwilderten Hügelwiesen – und Frühstück - stieg dem Kater lockend und ziehend in die Nase, doch es ist schwer einen fetten, müden Kater vom Dach zu zerren. Papa Legba rollt sich vom Holzbein herunter und lässt dösend schnarchend wälzend den zögerlich jungen Morgen noch eine Weile auf sich warten. Kapitel 3: ----------- Tiefem Nebel und gedrungenen Wolken gleich floss der Stoff vom Boden zur Decke und dort in undurchsichtigen Bahnen bald erneut hinab. Die Tür war fest verschlossen, doch stets wanderte Bewegung durch die Windungen der Vorhänge, während Mama Morgana die wulstigen Hände aneinander rieb wie andere Menschen in freudiger Erwartung. Die Holzperlen knirschten dunkel und schwer zwischen den geschlossenen Fingern, rollten darin gegeneinander wie ein Meer orientierungsloser Augenbälle. Ihre Augen waren geschlossen, von den Handballen bis zu den ersten Fingerknöcheln tastete sie die Wellen im geglätteten Holz ab und war auf der Suche nach Mustern in den Zwischenräumen. Ein Glucksen blätterte in den Seiten der Raumes herum und von den Wänden ab wie der bemalte Putz, doch fand nicht an ihre Ohren heran. Die fettigen Lippen zerrten Falten zu den Ohren hinauf über das verjährte Gesicht. Eshu konnte nicht zu spät kommen, denn Mama Morgana ahnte bereits wo er wann sein würde, auch wo er sich verlaufen oder trödeln würde. Sie leckte sich die Lippe und konnte den muffigen Dunst riechen, als Eshu eine gegerbte Haut hochschlug, um neugierig nach der aufgemalten Flouriszenz schlafender Adoleszenter in der Düsternis zischen den Falten zu suchen. Tänzer in den Straßen des Nachts die einzige Lichtquelle der Stadt; neben den Fackeln; und den Trommeln; und dem gleißenden Aufbegehren der Unterstadt, tief, tief, die Lüge eines Lichts am Ende des Tunnels. Es war eine Gabe die schlafenden Tänzer, erschöpft im erlöschenden Meskalin unter das Dunkel der Pfahlbauten gesunken, bei Tag zu sehen, doch sie würde Eshu trotzdem schelten, weil er zu spät war. Auch wenn Mama Morgana wusste, wann er verschlief, bevor er auch nur erwachte, brauchte jede Kunst Selbstdisziplin. Jede Macht ihre Grenzen. Jeder Veitstanz sein Muster und wenn es wie das scheckige Fell des Kojoten war, verfloht und listig. Verdammter Kindskopf, glaubt dass die Sonne hier niemals untergeht; dabei sind es nur die aufgemalten Hautbilder der Tänzer in den Straßen, was uns nachts bleibt. Mama Morgana ließ die Perlen wie Regen auf die blank aufgereihten Knochen fallen und die ausgebreiteten Hände über dem Puls der Stadt ruhen. Die Handflächen in der Luft erhoben, der Hahn krähte, die Finger glitten hinaus und erkundigten sich nach allerlei Befinden. Leise sprachen die Lippen in keiner Sprache der Welt und kosteten dabei sachte im Vorbeirinnen die Ecken und Kanten der Häuser und Wege. Das Bambus, das Holz und die Knochen; auch die Fugen. Die Stadt breitete sich aus und stand doch am Fleck, an dem irgendwann einmal aus Himmel und Erde Blut und Knochen geworden waren und die Geister begonnen hatten zu laufen. Großes mächtiges Voodoo. Lächeln der Loa. Laufen. Mama Morgana bleckte makellos weiße Zähne und füllig rotes Zahnfleisch. Was für eine langwierige Art der Bewegung. Ihre Finger wollten nicht recht ausschweifen und pickten immer wieder suchend nach Eshu. Ein Becher Milchkaffee in Menschengestalt und Straßenkleidung. Unstillbar, so unstillbar und bald vor ihrer Tür angelangt. Sie erhob sich vom Boden – die Knochen knirschten unsagbar leise – und schritt sicheren Fußes den Weg durch die Bahnen des Stoffes ab. Sie trat auf keine Perle, nur wenige wanderten in den Rillen des Fußbodens träge umher, während die Farben unberührt über und neben ihr vorbeiglitten. Das Feuer knisterte im Hinterraum von Mama Morganas Hütte und erlosch niemals, weder am Tag, noch in der Nacht oder den Zeiten dazwischen. Irgendein Kind aus der Nachbarschaft kannte immer einen Gang in ihr Hinterzimmer, egal wie alt sie wurde und gleich ob noch ein Kind war. Manche hatte sie selbst in den Wegen unterwiesen, andere fanden zu ihr und wenn sie besorgt waren kein Feuer mehr nachlegen zu können, dann hatten sie einen kleinen Bruder oder eine jüngere Schwester, die sich der Sache annahmen. Es war weder Pflicht, noch Recht das Feuer am Brennen zu halten, doch altes Ritual. Manchmal kam es Mama Morgana älter vor als sie selbst, vielleicht weil es für sie irgendwann dort begonnen hatte, wo sie der schwarzen Mama Brigitte zum ersten Mal als kleines Mädchen Feuer in den Ofen gelegt hatte. Ein kleiner Reisigzweig aus den Gassen hereingetragen, als die Glut im Begriff war zu vergehen. Eshu, wusste Mama Morgana, würde eher versuchen ihr das Feuer zu stehlen, als die Flammen zu nähren, doch er würde sehr bald hier sein. Zeit für Kaffee. Der grob in Form gebeulte Wasserkessel gluckerte blechern, als sie Wasser schöpfte und ihn über die Feuerstelle hängte. Wie unzählige andere Frauen, jung und alt, zu diesen Morgenstunden der Stadt, setzte sie sich nieder, um Bohnen in die Kaffeemühle zu schütteln und schon bald erfüllte das rhythmische Mahlen ihrer Hände das Hinterzimmer. Es mischte sich mit dem namenlosen Geruch von Wasserdampf und bedeckte die kleine Küche wie ein schwerer schwarzen Schleier. Nur in Mama Morganas Küche war zu diesen Stunden des Morgens ein schwarzer Vorhang in der verschlafen lebendigen Luft erlaubt, wenn das Wasser auf die Hitze und die Mühle auf das Pulver und sie auf Kaffee harrte. Eine flüchtige Sünde an den Loa und Ghede sieht zum Glück stets mit einem Auge weg, doch durch das Dampfen und Mahlen konnte Mama Morgana die Stoffe in der Hütte flattern und den Hahn unsicher glucksen hören. Ghede sieht weg. Ghede sieht weg. Als das Wasser bereits durch ein feines Stoffsieb hinab in einen Tonkrug tropfte, tröpfelten auch Eshus Schritte von den Ebenen und Gassen zu ihrer Haustür. Sie vermischten sich mit der baldigen Realität und Mama Morgana beschloss ihren Schützling noch auf seine erste Rüge warten zu lassen, bis die erste Tasse Kaffee bereit war. Als das schwarze Wasser in einen lackierten Becher floss, nahm eine Holzperle die Rillen zwischen den Knochen zum Hinterzimmer und sprang über. Sie kam kullernd auf den Bastmatten zum Stehen und Mama Morgana lächelte, während sie sie im Vorbeigehen auflas. Kapitel 4: ----------- Das Licht der Sonne, die über die Horizonthäuser hinwegstieg und am noch indifferenten Himmel emporkroch, breite sich wie Bleiche über die Dächer und Straßen aus. Eine kriechende Substanz, die eine klare Grenze zog. Die blanken Riesenknochen alter Tier bleckten sich dem Schein entgegen, wo sie herumlagen oder gegeneinander zu Hallen und Marktplätzen gefügt waren. Nur in den Zwischenräumen der Stege und Böden lagen Nachtschwärmer und Gassenläufer von dicken Tierhäuten der Sonne entzogen und genossen den Schlaf der Erschöpften. Feine Fäden des Tageslichts nestelten sich durch die Falten des dunklen Stoffs, der Karus Fenster gegen die erste Morgensonne abschirmte. Jetzt wo sie höher stand drang feiner Leuchtstaub durch den Vorhang und regte die Spuren der letzten Nacht zum Verwischen an. Wie ein Kitzeln in den Schläfen weckte das Gespür für Licht Karu aus ihrem sanften Schlaf und sie tapste zaghaft mit den Fingerspitzen umher, ohne sich zu bewegen. Weiches Fell kratzte an der Schulter, auf der sie lag, und darunter die schwere Glätte des Fußbodens. Sie drückte die Fingerkuppen in die weiche Oberfläche als würde sie einen warmen Laib Brot betasten, dessen fest und glatt gebackene Kruste sich unter ihrer Berührung sogleich wieder zurückformte. Drei Fingerschritte weiter wurde die Oberfläche leicht uneben wie von Mehl bestreut. Karu pustete bei der Vorstellung sanft gegen den glatten Körper, auf dessen Schulter ihr Kopf ruhte. Kein weißer Nebel wirbelte auf, als sie neugierig die Augen spaltbreit öffnete, doch der dunkle Körper zuckte leicht im Schlaf. Eine schwarze Erhebung auf der Brust in Karus Sichtkreis, die Augen noch halb geschlossen und voll Schlaf, stellte sich von ihrem Pusten auf. Innerlich kicherte Karu, doch es drang nicht nach außen. Karu lachte nur, wenn jemand da war, dem es als Signal etwas andeutete. Die Schulter, auf der sie halb ruhte, bewegte sich im Atemrhythmus tiefen Schlafs, also gab es auch keinen Grund zu kichern, sondern nur ihre Finger, die den Weg über die glatte Ebene der breiten Brust hin zum schwarzen Hügel abschritten wie ein schleichendes Raubtier und anfingen mit der Brustwarze zu spielen. Eine matte Entspannung durchzog Karu, als sie die feste Hautpartie antippte und sachte kniff. So war es stets, seit sie den ersten Menschenleib erkunden dürfte und bei allen danach. Sie konnte sich keinen Reim daraus machen. Spieltrieb. Es war zum Totlachen. Karu konnte die Ruhe, die in der belanglosen Berührung von warmer Haut ohne Gezwungenheiten lag, nicht erklären. Über den dunklen Körper wanderten Adern von Luminiszenz, die im Schatten des einfallenden Morgenlichts im Versiegen begriffen waren. Körperzeichen. Straßenbemalung. Tänzerkleidung. Karus Zunge fühlte sich rau gegen die Haut an, als sie das Schlüsselbein entlang eine glimmende Ader aufleckte. Tänzer hassten das nachts, weil es die Namen verschwimmen ließ, aber vom verschlafenen Morgen bis zum nächsten Abend war er ihnen egal; das wusste Karu und das gemalte Licht aufzulecken war wie Glutstropfen herunterschlucken. Irgendwo zwischen Zuckerrohrschnaps und salzigem Brot. Karu ließ ihr schmales Bein, das sich gegen den dunklen Körper wie ein heller Lendenschurz abzeichnete, auf die andere Seite hinüberwandern und bäumte sich unbeholfen auf, um sich auf den anderen Menschen niederzulassen. Das Fell, welches er im Einschlafen um sich geschlungen hatte rutschte von seiner Haut auf den Boden und Karu deckte ihn stattdessen mit sich selbst zu. Nicht dass er etwas davon bemerken würde, bis die Sonne weit über den Zenit gepilgert war. Sie schloss ihre Lippen ohne Erwartung auf eine Reaktion um die Fremden und schmeckte von der Spitze bis zum Rücken ihrer Zunge das abgestandene Meskalin seiner letzten Nacht. Die Tänzer schlangen es gemeinsam herunter, noch bevor sie mit der Bemalung anfingen – Karu hatte einmal lang verstohlene Blicke durch eine schlecht verschlossene Falltür riskiert und das geschlossene Ritual beobachtet. Eine glühende Schale voll Phosphoriszenz und ein schmuckloser Topf mit Papa Peyotes Gaben an die Schmananen, Weisen und Wächter der Nacht. Wächter der Nacht. Darüber musste Karu wieder mit sich selbst lachen, während sie sich rittlings auf den Tänzer gekniet aufrichtete - ihren nackten Po auf den Unterleib des anderen Menschen bettend und die Beine angewinkelt wie ein Rahmen um das dunkle Bild dazwischen - und mit den Fingerspitzen über die bemalte Brust bis zum Bauch hinabglitt. Eine Meute hübscher Adoleszenter, die das Privileg genießen die dunklen Stunden im Rausch mit den gleißenden Linien ihrer tanzenden Körper zu füllen. Trommeln, die ganze Stadt ein nächtlichen Meer aus Trommeln und Jaulen der Meute und tanzenden Körpern. Das heißt sich Wächter der Nacht. Karu mochte mit sich selbst darüber lachen, konnte sich doch dem Sog des Tanzes nie entziehen. Sie zeichnete die gemalten Linien mit ihren Fingern ab und las in der Bewegung die Symbole. Legba. Damballah. Erzulie. Ogou. Sie hatte gerade vor Sekunden mit der Zunge am Schlüsselbein Samedi durchgekreuzt und sein Zeichen für Heute gebrochen. Eine Hand wanderte zur langen Knochenkette, die mehrmals um ihren Hals geschlungen hing, und schüttelte sie in dreimalig klapperndem Rucken. Baron Samedi mag es verzeihen. Das Gesicht des Tänzers war jung und makellos wie alle Tänzergesichter. Erwachsen, aber die Fülle von Kinderwange noch nicht ganz verloren. Er regte sich leise im tiefen Schlaf und die Lippen wanderten in stimmloser Traumsprache umher. Kapitel 5: ----------- Eshu stolperte fast über ein Stufe und blieb vor einer breiten Wegkreuzung stehen. Die Stufe, in der sich seine nackten Füße verfingen, war nur ein mit Erde aufgeschüttetes Holzgestell, das den Weg durch die Häuserschlucht auf die Kreuzung anhob. Ein Fußzeh schmerzte als hätte ihm jemand den Nagel ausreißen wollen, doch er behielt die Augen auf die Wege gerichtet. In der Mitte der Kreuzung grinste ein blanker Schädel, der verdächtig menschlich aussah, wenn nicht etwas daran unpassend wäre. Der Schädel trug einen vom Straßenstaub gepuderten Zylinder und jemand hatte ihm eine schmale Zigarre zwischen die Kiefer geklemmt. Die Zähne waren grinsend fest zusammengebissen und der Unterkiefer nicht wie in einem wilden Schrei herunter geklappt. In der von Eshu aus rechten Augenhöhle saß passgenau ein dunkler Edelstein und erschien wie ein schwarzes Loch gegen das natürliche Fehlen des anderen Auges. Dort, wo Hals und Nacken ansetzen würden hing eine Reihe verschiedener Knochen wie ein Seil hinab. Es war still in der Gasse und die Sonne hatte noch kein Licht über den Fassadenhorizont geworfen. Verstohlen blickte er sich zur Linken und zur Rechten um und erst als er wieder zum Totenkopf auf den Mittelweg sah, bemerkte Eshu, dass dieser auf einer Bambusstange hing. Als er näher zur Mitte trat, hörte er Schritte von Links. Ein Mädchen, das selbst ihm nur bis zum Kinn reichen würde, kam auf ihn zu und zog dabei eine kleine Staubwolke auf der festgetretenen Erde hinter sich her. Ihr schlichtes Trägerkleid flatterte wie ein weißes Segel, bis sie auf einer Höhe mit ihm stehen blieb, sich jedoch nicht Eshu, sondern andersherum dem Totenschädel zuwandte. Schwarze Locken fielen ihr unter einer Baskenmütze gleicher Farbe den Rücken hinab, als sie sich niederkniete, um in ihrer Umhängetasche zu kramen. Eshu wartete und sah einfach zu. Der Schädel grinste ebenfalls erwartungsvoll. Ein bissiger Moment Schwefel stieg ihm in die Nase, dann erhob sie sich, ein Streichholz so lang wie eine Stricknadel in der Hand, und schirmte die kleine Flamme mit den Fingern ab, bis sie das Hölzchen hinaufreckte und an die Spitze der Zigarre hielt. Eine Linie aus dunklen Beinen, weißem Stoff, dünnen Armen, braunem Holz und roter Flamme erstreckte sich vom Boden und erreichte gerade das Ziel, wo jeder heranwachsende Mann hätte problemlos heraufreichen können. Eshu stand dahinter und sah von den schwarzen Locken ins bleiche Grinsen und zum staubigen Hut. Die züngelnden Flämmchen brannten das Streichholz hinab und verloren den Kontakt mit dem flachen Zigarrenende, als es aufglühte als schließe die Lippen darum und nähme einen kräftigen Zug. Er pustete Eshu eine Rauchwolke ins Gesicht, die vor seinen Augen flirrte vor Glutflocken und fetten grünen Fliegen. Er musste husten, gerade als das Mädchen sich umdrehte und zu ihm aufsah. „Du suchst Mama Morgana.“ Es war eine Feststellung, kaum eine Frage. Eshu war noch dabei sich zu räuspern, um den bitteren Geschmack aus Mund und Nase zu bekommen, und nickte nur. Sie musterte ihn von Kopf zum violetten Fisch in seiner Hand bis Fuß. „Du solltest aufpassen, wo du hinblutest.“ Ihr Kopf nickte in Richtung seiner Füße und ihr folgend sah Eshu, dass er sich tatsächlich einen Zehennagel tief aufgerissen hatte und ein schmaler Schatten aus Blut ihn umrandete. „Heb' mich mal eben hoch.“ „Hoch?“ Eshu blickte ihr in die Augen. Braun, fast schwarz. Wie fast alles in der Stadt, außer von Menschen bemalt, geformt oder Blut. Statt zu antworten, legte das Mädchen ihm nur die Arme auf die Schulter und war im Begriff sich von dort abzudrücken, als er verstand und unter ihre Sandalen griff, um sie oben zu halten. Eine Hand löste sich von seiner Schulter und sie wackelten ein wenig auf Eshus unsicheren Beinen umher, während sein Gesicht auf ihren Bauch gedrückt wurde. Der Stoff roch nach Salz, zu viel Bleiche und etwas anderem, was ihm bekannt vorkam, dann war sie schon von seinen Händen abgesprungen und landete federnd neben ihm im Staub. Das Mädchen hatte den Zylinder in der Hand und tappte zwei Schritte zu ihrer Tasche, um ihn bald mit einem Tuch sauber zu wischen. Eshu sah dem Totenkopf zu wie sich der Rauch um seine Stirn zum Himmel kräuselte und gelegentlich die Spitze der Zigarre zu einem glimmenden Ring wurde, dann wiederholten beide die Prozedur und der Zylinder ruhte wieder an Ort und Stelle. „Du musst geradeaus.“ Sie schulterte ihre Tasche und steht unter dem Totenschädel. Sie grinst ein breites weißes Lächeln. „Wie--“, setzten seine Lippen an, aber wussten gar nicht, was genau zu fragen, als sich stattdessen seine Füße in Bewegung setzten. Die breiten Hausfassaden beugten sich nach nach Vorne, als wöllten sie einander auf der Spitze des Bogens berühren. Eshu drehte sich noch einmal um, als er in die Straße einbog. Das Mädchen steht dort unter dem Totenkopf und sein schwarzes Auge gähnt erwartungsvoll. „Danke nochmal“, rief er auf das stille Wegkreuz zurück. „Erst einmal. Aber keine Ursache.“ Sie lächelte und kehrte sich wieder zu der Straße, aus welcher sie gekommen war, während Eshu sich in seine aufmachte. Kapitel 6: ----------- Ein kurzer Aufschrei fuhr gen Himmel und weckt auf dem Weg dorthin Papa Legba aus seinem Schläfchen. Missmutig hob der Kater den Kopf und blinzelte der Sonne entgegen, die nun wie eine junge Zitrone über den Häusern hing. Von hier aus gab sie sogar einen versperrten Blick auf die grüne Ebene hinter Bambustürmen und durch Stege hindurch Preis. Irgendwo unter ihm rumpelte der Turm aufgebracht und die Schwingung übertrug sich im Gemecker der Bewohner bis nach Oben. Nur Goolam unter dem Dach hörte der Kater durch das Fenster kichern. Er rollte sich träge das Dach hinab und nahm dabei Bewegung auf, um am Rand von den Hinterbeinen hinab auf das tiefere Dach zu tollen und sich auf diese Weise bis zu Karus Fenster abzuseilen. Der Vorhang hing immer noch aschgrau der Sonne entgegen, doch er war in Wallung. Der Kater tappte erfreut mit dem Holzbein auf, um sich dann eine Weile wartend hinter dem Ohr zu kratzen. Es hatte ihn einige schmerzliche Erinnerungen gekostet, bis er gelernt hatte nur noch die linke Hinterpfote dafür zu nehmen. „Irrsinnsweib, lieber treib’ ich es mit der halben Unterstadt als deine Spielchen!“, war die erste halb verständliche Phrase zwischen polytheistischen Verwünschungen, bei welcher die Katzenohren aus Wortgewirr etwas aufschnappten. Direkt danach knallte oder eher federte eine Tür unter quietschenden Angeln und wenig später sah der Kater einen dunkelhäutigen Adoleszenten nur im Lendenschurz die Treppenschlange hinabstampfen. Eine Hand wie helle Schokolade griff durch den Stoff im Fenster und zog ihn beiseite. „Blut für Atzlan, Bastard“, murmelte Karu mit einem Grinsen so vergnügt, dass es nicht zu den Worten passte. „So gut eingeritten von den Loa und beschützt von Bondye kannst du doch ein bisschen Blut entbehren.“ Die Zunge kam hell zwischen ihren breiten Lippen hervor und leckte Blut von der geflammten Klinge eines Messers, dann strich sie sich dreimal mit der flachen Seite über die Stirn und stieß es in den Fensterrahmen. Ihre Hände griffen unter das Fenster und schoben eine Zigarette zwischen die noch rötlichen Lippen. „Oi, Papa Legba“, grüßte sie den Kater als ihr Blick nach Unten fiel. Er maunzte sie mit skeptisch gesenkten Ohren an. „Hab’ leider erst was zu futtern für dich, wenn ich auf dem Markt war.“ Karu hatte sich ‚Hat dich dieser Taugenichts wieder nicht gefüttert, bevor er in die Gassen abgetaucht ist?’ schon seit Längerem abgewöhnt, weil die junge Frau und der Kater die Antwort kannten. Ihre Augen waren als von Müdigkeit leicht rot geädertes Weiß und grünes Moos das einzige, was Papa Legba an ihr ins Auge sticht. Ansonsten war Karu vom Scheitel der kurzen Haare über die flachen Brüste bis zum hervorstehenden Bauchnabel, wo der Fenstersims ihre nackte Gestalt im Rahmen abschnitt, ein gleiches, warmes Braun. Der Kater sprang ihr hinterher ins Zimmer, als sie sich von einer wabernden Rauchfahne verfolgt abwandte. Sie kniete neben einem kleinen Ofen und zündelte mit der Zigarette in Holzspänen herum, bis sich eine Flamme darin verfing. Der Wasserkessel gab einen metallischen Ton von sich, als sie ihn darauf abstellte. „Weißt du, was das Problem an den Männern in der großen Stadt ist, die sich in Bambus und Knochen von der Sonne bis zum Meer erstreckt?“, fragte sie Papa Legba ohne sich umzudrehen. Schließlich würde der Kater keine Antwort geben. „Von den Vouduns bis zu den Toltekids und allen dazwischen und daneben?“ Der Kater trottete hinüber zu den zerwühlten Fellen und bevor er sich darauf breit machen wollte, fiel ihm ein Fetzen karierten Stoffs ins Auge. Er fasste ihn mit den Zähnen und tappte zu Karu hinüber, um sich um ihre nackten Unterschenkel zu schlängeln. „Mit einem Tol oder Az kannst du es schon kurz vor dem ersten Bart kaum bedenkenlos treiben, ohne dass er dich zur Ader lassen oder dir dabei ein Ohr abschneiden will, damit es ihn richtig anmacht; von den Alten gar nicht zu reden. Aber irgendwann fühlst du dich pervers dir nur die jungen Unschuldigen rauszugreifen, gerade weil du völlig andere Gründe dafür hast.“ Karu stocherte gedankenverloren in den Flämmchen und der Kater hoffte, dass wenigstens sie wusste, was sie da redete, während er ihr mit der Schnauze ans Knie stupste. „Die Vous, Voos und wie das ganze Pack heißt, lassen sich zwar von dir besteigen wie von ihren Göttern und finden es auch noch heiß und erfüllend die Kontrolle zu verlieren. Aber wenn du den ersten Schnitt machst, dann jammern sie dir alles von Blutmagie bis schwarze Mambo entgegen und ziehen den Schwanz ein.“ Sie hob den Deckel des Kessels ein Stück an und hielt prüfend die Hand darüber. Der Kater betatzte fragend ihre Waden. „Aber wenn sie dich ein paar Monde später wieder im Taumel der Gasse sehen, ist es dasselbe ‚Moi Erzulie Freda, moi Erzulie Dantor’ wie--aua!“ Der Kater zog die krallige Umarmung ihrer Beine zurück und streckte ihr nur fordernd die Schnauze entgegen. „Oh. Danke, du dicke Katze.“ Etwas verblüfft nahm sie ihm das Stück Stoff aus dem Maul. Sie schlüpfte auf dem Boden sitzend mit beiden Beinen gleichzeitig hindurch und fiel dabei fast auf den Rücken. Sie tätschelte den Katzenkopf und wandte sich wieder dem Ofen zu, auf dem es langsam hörbar zu blubbern begann. „Nach dem Tee geht’s zum Markt, Katerchen.“ Zufrieden schleifte der Kater wieder herüber und ließ sich auf den Fellen nieder, während Karu summend in ihrem Regal herumkramte. Das Problem mit der Stadt war wie vom Erdboden verschwunden, während Papa Legba erneut in ein kleines Nickerchen versinkt. Kapitel 7: ----------- Als die Tür sich öffnete und Eshu sohlenlos leise in den Raum trat, stand der Stoff still. Die Tücher waren ihrer Lebendigkeit und Transparenz abrupt entzogen und vermauerten den Raum mit einem surreal verzerrten Labyrinth. Blau zu Eis erstarrt; Gelb in Bernstein vergangen; Grün als Unterholz verschwendet; Braun zu Straßen getreten; Weiß in der Sonne verglüht; Rot geronnen. „Mama Morgana?“, hallte die Stimme in den Raum hinein. Mama Morgana lächelte besonnen und wirft die Schatten ihres Geistes in den Raum. Das Gewebe beginnt in sich selbst gefaltet zu werden, wieder und wieder aufs Neue wie sich schließende Blütenpracht, doch über die Natur hinaus in sich hinein gewunden, bis etwas Fremdes hervorbricht. Die Silhouette der Mambo, kaffeetrinkend auf den Boden gekniet wird ihr Zerrbild über alle Falten des Stoffs, während Eshu unvermittelt durch die Nischen und Ritzen sich windend zu tanzen begann. Sie nimmt einen Schluck aus dem Becher und schmeckt wie es in Eshus Innerem zu köcheln begann wie ein Fiebertraum. Er drehte und krümmte sich im Taumel durch die unberührten Farben, während sie umrührt und umrührt. Die Tasse ist ihr Kessel, der Kaffee das Ritual. Eine schmerzliche Wahrheit so kindisch wie aufgeschlagene Knie: Alles ist Ritus und jeder Ritus ist mächtig. Mama Morgana riecht den Stoff über Eshus Gesicht streifen wie feingliedrige Spinnenweben, während sie mit den Fingern sachte den Becherrand umspielt. Sie schwenkt den schwarzen See und er stolperte; verschüttet einen Fleck auf den weißen Grund und er stürzte. Der Kaffee sickert durch die feinsten Rillen zwischen den Knochen und die Magie schliff und zog Eshu durch die Bahnen wie eine Puppe. Der letzte Schluck am Boden der Tasse wickelt ihn auf zu einem Knäuel. Während der Stoff sich um ihn herum zusammenreißt - die Hüllen fallen und die Fäden reißen lässt - weiß sich Mama Morgana in seinem Blick. Farberstickt kroch er als träge Masse ausgespuckt am Boden näher und hinterließ eine Tonspur aus geknoteten Vorhängen. Sie sieht wie seine Hand näher kam und griff. Eine Pfeilspitze aus Karamell, von Schweiß glänzend begraben unter bunten, weichen Steinen. Eshu saß der Mambo gegenüber und sie goss Kaffee nach. „Unsere Kunst duldet keine Verspätung.“ Der Raum war ein bleicher Kreis aus ruhigen Linien. Die Tücher und Vorhängen wallten und kringelten sich ein wenig. Vielleicht vor Lachen. „Voodoo verträgt Wildheit; keine Unverhältnismäßigkeit, keine Mäßigkeit.“ Eshu saß in der gleichen Haltung wie sie selbst und sie konnte es ihm nicht verübeln verwirrt dreinzublicken. Seine Hände betasteten den Körper und stellten fest, dass nichts geschehen war. „Wir lassen uns von den Loa besteigen, wir reiten nicht auf ihnen herum.“ Sein Blick hielt sich an ihr fest und er wirkte ruhig. Wirklich gut. Sie grinste, schenkte in eine zweite Tasse Kaffee ein und schob sie ihm langsam hinüber. „Du dachtest doch nicht etwa, dass Voodoopuppen ein Ammenmärchen sind, oder Eshu?“ Sein Mund öffnete sich zu einem Rund, doch zerplatzte wieder wie eine Seifenblase an mangelndem Inhalt. Wenn gleich nicht nach Zombies fragen würde, sähe sie ernsthaft Chancen für ihn. Er griff nach der Tasse und nahm einen nachdenklichen Schluck, während er die Farben studierte. Wirklich aufmerksam. Wacher Blick. Schwingender Körper. „Agwe und Damballah, ist das vielleicht cool“, brach es aus seinem ernsten Gesicht heraus. „Was?“ Es war an Mama Morgana den jungen Mann vor ihr verwirrt zu begutachten. „Ich meine“, setzte er an wie die ersten Wellen einer Springflut, „das klang bisher so ernst und tiefgreifend. Die Zeichen, die Bedeutungen, die Symbole, das ganze Eine großer Vieler. Die Namen, die Domänen, die Bestimmung. Klar, eine gewaltige Verantwortung wach für die Geister zu sein.“ Er wedelte mit den Händen als wolle er Fliegen zwischen sich und Mama Morgana vertreiben. „Aber das. Ich meine. Wow. Was lerne ich zuerst?“ Eshus von Begeisterung geöffnetes Gesicht, jede Pore bereit gebotene Macht und Weisheit aufzunehmen, ließ sie nur den Kopf schütteln und auflachen, solange bis er auch mit einstimmte und die Farben Wellen- und Wolkenberge zu schlagen begannen. Der Hahn gackerte. Dann verstummte Mama Morgana zu einem Grinsen. „Wir werden damit anfangen, dass du nur Ghedes Pfade kreuzt, wenn es gar nicht anders geht. Dann erkläre ich dir, warum die noch nicht so tot wie dumm bist.“ Er blinzelte ihr überrascht entgegen. Eshus Augen waren sehr jung und Mama Morgana kam sich auf einmal sehr, sehr alt vor. „Sonst nichts?“ Es lag kein Gejammer in seinem Ton, sondern vielmehr eine leise Bitte. Sie faltete ihr Gesicht zu einem sanften Lächeln. „Wenn wir danach noch Zeit haben, stelle ich dir meine Enkel vor. Bei meiner Nichte gibt es heute Chicken Calypso.“ Kapitel 8: ----------- Der Kater begutachtete gerade mit seinen Pfoten ein Spinnennetz, als Karu ihn um den Bauch fasste und hochhob. Sie hatte die Vorhänge zurückgezogen und das Sonnenlicht perlte von den Spinnenfäden ab, die sich in den Zimmerecken bauschten. „Komm’ Papa Legba, auf in die Fluten der Stadt.“ Karu warf sich den Kater über eine Schulter und eine Tasche um die andere. Sie spürte wie er sich mit den Krallen vorsichtig im Stoff ihrer Bluse festhielt. „Wie war die Nacht, demoiselle? Der Tanzbär war schon die Stufen runter, bevor ich an der Tür war.“ Sango, ein junger Mann mit Kindergesicht, stand in seine Wohnungstür gelehnt, als Karu daran vorbeischritt und grinste. „Mochte ihn, glaub’ ich, ganz gern. Aber irgendwie will keiner zum Frühstück bleiben.“ Sie schüttelte theatralisch den Kopf und Papa Legba maunzt auf ihrer Schulter. „Dabei sind Sie so ein nettes Mädchen.“ Er schüttelte ebenfalls übertrieben seine schneeblonde Mähne. Seine Hand wanderte nach Vorne und legte sich in einer verständnisvollen Geste auf ihre freie Schulter, während er breiter grinste. „Irgendwann wird ein Mann kommen, der über Ihren kleinen Tick hinwegsieht, solange Sie ihn nicht völlig ausbluten.“ „Sollte ja nicht zu viel verlangt sein.“ Karu musste lachen. Viele in der Stadt, wusste sie, hielten helles Haar wie Sangos für ein göttliches Zeichen, das eigentlich nur von Rot übertroffen wurde. Seine kindliches Aussehen und die unschuldige Art – die Karu ihm nie ganz abnahm – taten den Rest: Er lebte beinahe davon, dass jemand „gerade beim Kochen an dich dachte und dir etwas davon abgeben wollte“ oder „zufällig in der Gegend war und sicher bin, das wird dir gefallen“. Sie schüttelte den Kopf. Glückskinder. Alles was in der Stadt Glück brachte oder ein Zeichen war, wirkte wie ein Sog; ein Tabu oder ein Omen warf lange Schatten. „Aber falls du mal eine Durststrecke hast, bis Monsieur Damballah auftaucht, petite.“ Sangos Stimme war in tiefere Regionen gesprungen. Auf die scharfkantigen Klippen zwischen Himmel und Meer. Er renkelte sich streckend im Türrahmen und gähnte versonnen. Karu realisierte jetzt erst, dass er nackt war und fragte sich, wie sie es bisher hatte übersehen können. „Von deiner Art könnte ich mir manchmal eine Scheibe abschneiden.“ Sie schüttelte den Kopf, dieses Mal ehrlich. „Tu’ dir keinen Zwang an.“ Sango grinste verstohlen und wirkte sehr erhaben, obwohl er gerade einmal auf Augenhöhe mit ihr war. Aus dem Dunkel hinter ihm drang ein Räuspern. „Habe ich auch ein paar Worte dabei mitzureden?“ Der sonoren Stimme folgend trat Sagiv wie ein langer Schatten hinter Sango. Er ließ die Arme wie zwei dunkle Ströme dessen Schultern hinabfliessen, wo sie sich auf seiner Brust trafen. „No“, entgegnete der junge Mann lächelnd und lehnte sich gegen den Oberkörper des Anderen. Karus Gedanken wurden überflutet wie Reisfelder und sie wollte sich nicht vorstellen, welches Gesicht sie gerade machte. Nun ja, sagte sie sich selbst, immerhin trägt er eine Hose. Auf seinen dunklen Armen zeichneten sich unscheinbare Bissspuren und Kratzer ab. „Wer ist am Ende wieder der arme Kerl, der zur Ader gelassen wird?“ Sagiv stellte die Frage niemand Bestimmtem, sah sogar Karu dabei an und grinste sich eine weiße Sichel ins Gesicht. „Ich-“ Sango schluckte und legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen. „-kann nun mal nicht mein eigenes Blut sehen.“ Karu sah dasselbe ehrfürchtige Zittern in Sagivs Augen wie sie es im eigenen Innern spürte. Der Mann nickte ihr sachte zu, als hätte sie gerade beide wortloses Verständnis miteinander. „Miss Karu, wollen Sie ihn nicht haben, bevor er einen Puma mit in die Laken nehmen will, der mich dann frisst?“ „He, sag’ so was nicht.“ Sango hatte sich zu ihm umgedreht und Karu spürte sich selbst in weite Ferne rücken. „Ich hab’ doch gesagt: Das erste und letzte Mal mit einem von den Aztekids.“ Papa Legba tatzt ihr sachte nach dem Ohr. Ihm wird langweilig. Karu schüttelte erneut nur den Kopf. „Nehmt euch ein Zimmer.“ Sie schubste Sango sanft in den Rücken und dieser stolperte gekonnt mit Sangiv in den Raum zurück. Karu warf die Tür hinter ihnen zu und ging weiter die Bambusschlange hinab. Müssen ja nicht gerade die Kinder zusehen. „Dein Glück möchte ich haben“, murmelte Karu den wenigen Wolken am Himmel entgegen, während sie den Gassen entgegentrabte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)