Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 4: Curser ----------------- Curser „Eine Party? Heute Abend?“ Mihos Stimme klingt etwas verunsichert. „Ich habe schon zugesagt“, spricht Keisuke ins Telefon. „Naja, wenn es nur bei Shizuka ist, dann geh ruhig hin. Bleibst du bis morgen?“ Gute Frage. Will Keisuke bis morgen bleiben? Dann müsste er den Rest seiner Blutkonserve mitnehmen, oder er versucht eine Weile ohne Blut auszukommen. „Ich weiß noch nicht, wie lange ich da bleibe... Ich schau mal.“ Miho scheint von der Antwort nicht gerade begeistert zu sein, denn sie schnaubt hörbar in den Telefonhörer. „Eine Frage, Keisuke. Wie machst du das mit deinen Haaren?“ Ein Blitzschlag trifft ihn, zumindest fühlt es sich so an. Die Haare, Keisukes silberne Haare. Als Shizuka und Keisuke sich das letzte Mal getroffen haben, waren seine Haare noch braun. Er war ja auch noch ein Mensch. Und die roten Augen? Warum hat er nicht daran gedacht, bevor er zugesagt hat? „Mist!“, ruft er in den Hörer; „Das habe ich ganz vergessen! Aber was soll ich machen?“ Miho schweigt eine Weile, dann sagt sie: „Du könntest ja einfach behaupten, deine Haare seien gefärbt.“ Keine schlechte Idee, denkt Keisuke, aber das würde ja nicht die roten Augen erklären. „Und die Augen?“ „Ähm, meine Pause ist jetzt vorbei, ich muss weiterarbeiten. Lass dir etwas einfallen, oder geh einfach nicht hin“, sagt Miho, bevor sie auflegt. Wirklich hilfreich war sie jetzt auch nicht, aber was soll Keisuke schon machen? Dieser Vampirismus ist nicht so toll, wie er dachte. Nicht nur, dass er ständig darum sorgen muss, dass er an Blut kommt, wie er sein verändertes Aussehen seinen Freunden und Klassenkameraden erzählen soll, bleibt auch ein Problem. Jetzt ist es bald soweit. In einer halben Stunde muss er bei Shizuka sein, wenn er rechtzeitig zur Party kommen will. Selbst wenn er ihr erzählen würde, dass er ein Vampir ist, müsste er immer noch seine ganzen anderen Bekannten anlügen. Freunde hat er ja nicht so viele. Aber Shizuka will er unbedingt wiedersehen. Dann geht er eben zur Party. Shizuka würde schon Verständnis dafür haben, dass er sich die Haare silbern „gefärbt“ hat. Und was irgendwelche anderen Typen dachten, kann ihm ja egal sein. Langsam nimmt Keisuke die schwarze Sonnenbrille, die auf der Kommode im Flur herumliegt und setzt sie sich auf. Ein Blick in den Spiegel verrät ihm, dass sie ihm zwar nicht wirklich gut steht, aber man zumindest die roten Augen nicht erkennen kann. So macht Keisuke sich auf den Weg zu Shizukas Haus. Zum Glück wohnt sie nicht allzu weit weg, die Strecke im bequemen Tempo zu gehen würde wohl ungefähr zehn Minuten in Anspruch nehmen. Shizukas Haus ist wirklich prachtvoll, aber so reich, wie ihre Eltern sind, ist das auch kein Wunder. Das Haus ist zwar keine Villa, doch trotzdem beträchtlich groß und es gehört zu den schönsten der Straße. Jetzt steht Keisuke direkt vor der Haustür, in dessen Glas sein Abbild zu sehen ist. Er hatte ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose angezogen, und mit der Sonnenbrille sieht er ein wenig aus wie ein Agent. Für einen Moment zweifelt er daran, dass Shizuka ihn überhaupt erkennen wird. Er klingelt. Die Klingel gibt einen wunderschönen Ton von sich, den Keisuke schon immer mochte. Bei ihm zu Hause macht die Klingel nur ein langweiliges „Ding-Dong“ . Keisuke wartet eine gute halbe Minute vor der Haustür, doch niemand macht auf. Was soll das, fragt er sich, und klingelt noch zweimal direkt hintereinander. Nicht, dass Shizuka nur einen Spaß mit ihm getrieben hat, und in Wirklichkeit gibt es gar keine Party. Aber das würde ich ihr nicht zutrauen, mit so einem Streich würde sie zu weit gehen und das weiß sie. Langsam öffnet sich die Tür, und Shizuka blickt ihn an. Sie hat sich nicht wirklich schön gemacht, denn sie trägt nur einen weißen Pullover zu einer weiten Hose. Ihre schwarzen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Komisch, das hat sie bisher noch nie gemacht. „Ähm, hallo!“, sagt Keisuke verunsichert. „Hallo, Keisuke, schön dich zu sehen. Folge mir doch nach drinnen.“ Keisuke nickt. Warum redet Shizuka überhaupt so seltsam geschwollen? Das passt gar nicht zu ihr. Er folgt ihr ins Innere des Hauses. Der Fliesenboden sieht etwas verstaubt aus, aber das ist ja kein Wunder, immerhin kam die Familie erst heute aus dem Urlaub zurück. „Ähm, ist sonst noch keiner da?“, fragt Keisuke, als sie das Esszimmer betreten. Shizuka schüttelt den Kopf und weist ihn mittels Handzeichen an, sich auf den roten Sessel zu setzen. Zögernd setzt Keisuke sich hin. Gibt es überhaupt eine Party? Es scheint niemand anwesend zu sein, und die Mühe zu dekorieren hat sich Shizuka offensichtlich auch nicht gemacht. Keisuke sieht sie erwartungsvoll an. Sie stellt sich direkt vor ihn, greift mit ihrer Hand nach seiner Sonnenbrille, und nimmt sie ihn ab. Verdammt, denkt Keisuke. „Hmm, gut“, sagt Shizuka, nachdem sie ihm in die Augen gesehen hat. Irgendwas ist nicht normal mit ihr, das steht fest. „Möchtest du etwas trinken?“, fragt sie. Keisuke schüttelt den Kopf, aber sie geht zum Schrank, holt ein Weinglas heraus um es mit Rotwein zu füllen. Schließlich hält sie es ihm hin. Rotwein? Was soll das, seit wann trinkt Keisuke denn Rotwein? Außerdem hat er 'nein' gesagt. „Shizuka...“, flüstert er kaum hörbar. „Trink nur, vertrau mir. Es wird schmecken.“ Keisuke riecht langsam an Glas, und erschrocken stellt er fest: Im Glas ist kein Wein. Es ist Blut. Dass ihm das nicht schon früher aufgefallen ist! Als Vampir kennt er den Geruch von Blut nur zu gut. Aber was hat das mit seiner Freundin zu tun? „Warum trinkst du nicht?“, fragt sie mit unschuldiger Miene. Keisuke weiß nicht, was er sagen soll. Ist ihr klar, was sie ihm da angeboten hat? Sie muss wissen, dass er ein Vampir ist. Das ist die einzig logische Erklärung dafür. Er trinkt das Glas in einem Zug aus, und stellt es danach auf den Boden. „Ich weiß, was du bist“, sagt sie gleichgültig. Also doch... „Aber ich wollte dir sagen, dass es nichts schlimmes für uns ist. Wir verstehen das. Aber du wirst bald auf Wesen treffen, die dir nicht so gut gesinnt sind. Wir wollen dich beschützen.“ Was redet sie plötzlich da? Keisuke weiß nicht, was er zuerst fragen soll. Er entscheidet sich für: „Wer ist 'wir'?“ Kaum hat er die Frage gestellt, stürzt Shizuka wie auf Befehl zu Boden, wo sie regungslos liegen bleibt. Schnell steht Keisuke auf und bückt sich, um nach ihr zu sehen. Sie lebt... Er kann ihren Puls fühlen. Was ist nur los? Was soll das alles? Shizuka... Keisuke hört Schritte und steht erschrocken auf. Aus der Küche kommen plötzlich zwei Menschen raus. Waren die schon die ganze Zeit da? Ein blonder Mann im schwarzen Anzug und ein junges Mädchen mit verhülltem Gesicht. „Wir wollen dir nichts tun“, sagt der Mann. Erst jetzt erkennt Keisuke, dass er auch rote Augen hat. „Ihr seid Vampire...“, flüstert Keisuke voller Angst. Der Vampir geht näher an Keisuke heran: „Du musst keine Angst haben. Wir helfen dir.“ Das können sie behaupten, aber wie soll man ihnen vertrauen, nachdem sie Shizuka in die Sache reingezogen haben. Eigentlich wollen sie doch Keisuke, nicht sie. Und trotzdem liegt sie bewusstlos auf dem Boden. Das Mädchen nimmt die blutrote Kapuze runter, die ihr Gesicht bisher verdeckte. Ihre langen, silbernen Haaren und ihre roten Augen. Sie ist auch ein Vampir. Traurig starrt sie zu Boden. Dann flüstert sie kaum hörbar: „Samuel... Sie kommen.“ Der blonde Vampir, der anscheinend Samuel heißt und bis jetzt die Ruhe selbst war, wird plötzlich panisch: „Was sagst du? Jetzt schon?! Wo sind sie?“ Das Mädchen macht die Augen zu und drückt ihre Finger an ihre Stirn, als ob sie Kopfschmerzen hätte. „Der Weg ist vollendet bei Einbruch der Nacht“, keucht sie. „Also wenn es dunkel wird?!“, ruft Samuel mit zitternder Stimme. Keisuke schaut aus dem Fenster. „Hm... Habt ihr mal raus geguckt? Es ist schon lange dunkel.“ Der blonde Vampir schaut ihn entgeistert an. Plötzlich gibt es einen riesigen Knall und eine Erschütterung. Scheinbar ist irgendwo im Haus etwas explodiert. Keisuke sieht die beiden Vampire fragend an. „Wie immer müssen sie sich ankündigen...“, flüstert Samuel genervt, doch dann steht plötzlich ein Mann vor ihm, der wahrscheinlich fast doppelt so groß ist wie Keisuke. Samuel schreit auf und springt einen Satz nach hinten, während das Mädchen in die Küche läuft. Und plötzlich kommt noch eine Person aus dem Wohnzimmer, eine junge Frau mit roten Haaren. „Waren wir etwa langsamer als ihr?“, gibt sie spöttisch von sich. Samuel knurrt , aber der große Kerl sieht nur an ihm herunter. „Lure, kümmer du dich um den Kleinen. Überlass den hier mir.“ Während er das sagt, schaut er Samuel unentwegt an. Die Frau mit den roten Haaren geht hastigen Schrittes zu Keisuke. Dieser weiß nicht, was er sagen soll. Was geht hier eigentlich vor? „Schau mir in die Augen...“, sagt die Rothaarige, und Keisuke tut es. Warum auch nicht? Sie grinst, und Keisuke sieht ihre Zähne. Er blickt sie ängstlich an: „Du bist ein Vampir...“ Danach wird alles schwarz... Als Keisuke wieder zu sich kommt, tut ihm alles weh. Langsam öffnet er die Augen. Er befindet sich in einem Schlafzimmer, um genauer zu sein auf dem Bett. Ein Doppelbett. Erschrocken stellt er fest, dass seine Hände an die Bettkante gefesselt sind. Wie ist es dazu gekommen? Er schaut nach vorne und sieht die rothaarige Frau, die gerade dabei ist, sich auszuziehen. „Lass mich frei!“, ruft Keisuke sauer, aber er wird ignoriert. Erst jetzt fällt ihm auf, wo er ist: Es ist das Schlafzimmer von Shizukas Eltern. Er ist also immer noch im Haus... Die Frau trägt jetzt nur noch einen blauen B.H. und einen Slip. Anstatt sich weiter auszuziehen, bewegt sie sich stumm aufs Bett zu. „Was hast du vor?“, fragt Keisuke als sie sich neben ihn auf das Bett legt. „Ganz ruhig“, haucht sie; „Ich bin Lure... Ich möchte nur ein wenig mit dir... reden..“ Seltsam, normalerweise muss man sich zum Reden nicht bis auf die Unterwäsche ausziehen. Gefühlvoll schmiegt sie sich an Keisuke, aber dieser bewegt sich nicht. Die Frau kommt ihm nicht sehr böswillig vor, trotzdem hat sie ihn gefesselt. „Lass mich bitte gehen, ich will einfach nur...“, fängt Keisuke an. „Pssssst“, unterbricht sie ihn und legt ihren Finger auf seinen Mund. Danach fängt sie an, Keisukes Hemd aufzuknöpfen. Sein Herz pocht extrem schnell. Naja, für einen Vampir zumindest. Jetzt streichelt sie ihm sanft den Bauch: „Du bist ja nicht gerade muskulös“, lächelt sie. Keisuke schaut sie missmutig an. Sie soll aufhören, ihn anzufassen und ihn endlich gehen lassen. „Sag mal... Wie denkst du über Menschen?“, fragt sie ruhig. Warum will sie das denn jetzt wissen? Ohne wirklich eine Antwort abzuwarten seufzt sie: „Ich hasse die Menschen. Wir Vampire können wegen ihnen nicht frei leben, wir können wegen ihnen nicht zu unserer Natur stehen. Weil sie uns nicht tolerieren würden. Deswegen... wollen wir alle Menschen vernichten. Sie auslöschen.“ Mit dem was sie sagt, hat sie eigentlich ja recht. Aber alle Menschen auslöschen? Ist das nicht eine etwas übertriebene Maßnahme? „Es ist eine schwierige Aufgabe... Wir brauchen deine Hilfe.“ Sie schaut Keisuke direkt in die Augen. Eigentlich ist es sehr angenehm, wie sie ihm den Bauch streichelt. Das hat vorher noch nie jemand für ihn gemacht. Trotzdem ist diese Frau eine Unbekannte für ihn, und dass sie ihn gefesselt hat, passt ihm auch nicht. „Wer genau braucht meine Hilfe?“, fragt er. Lure zögert mit der Antwort: „Ich... und meine Freunde...“ Keisuke denkt nach. Wenn er zustimmt, ihr zu helfen, wird sie ihn wahrscheinlich gehen lassen. Wenn nicht, wird sie wer weiß was mit ihm anstellen. Allerdings... Er hat nicht diesen Hass auf die Menschheit, den sie hegt. Er hat Menschen, die er liebt. Miho, Sakito, Shizuka... „Nein“, sagt Keisuke entschlossen; „Ich teile deine Ansichten nicht. Und alle Menschen vernichten, bei so etwas will ich auch nicht helfen!“ Lures Hand verkrampft sich in seiner Haut. Vor Schmerz muss er aufschreien, doch da lockert sie den Griff auch schon wieder. „Ich habe auch noch andere Mittel, mich durchzusetzen“, sagt sie wütend. Keisuke schluckt. Gewaltsam öffnet sie seine Hose, mit einem Ausdruck des Zornes im Gesicht. Die ganze Einfühlsamkeit, die ganze Zärtlichkeit von vorher, all das war jetzt einfach weg. „Du hast die Wahl, entweder kommst du mit mir, oder ich töte dich.“ „Ich hab dir doch gar nichts getan!“, schreit Keisuke empört, und versucht Lure zu treten. Seine Beine sind immerhin frei. Aber sie drückt seine Beine mit einer Hand auf das Bett zurück, und es scheint sie keine Anstrengung zu kosten, beide so festzuhalten. Wie kann sie nur so stark sein? Mit der anderen Hand streichelt sie nun über seine Wange. Keisuke überlegt kurz, sie in den Finger zu beißen, entscheidet sich aber dagegen. „Ich könnte hier alles mit dir machen...“, flüstert sie; „Und wenn du mit mir kommst, und dich uns anschließt, mache ich auch alles mit dir, was du willst...“ So ein nettes Angebot. Er wird fast von dieser Vampirfrau vergewaltigt, die dann noch droht ihn zu töten. Er weiß zwar nicht, was in ihr vorgeht, aber geil findet er das nicht wirklich. Egal wie viel er betteln würde, sie würde ihn nicht gehen lassen. Nicht, bevor er ihr zugestimmt hat. Lure sieht auf und bewegt ihren Kopf auf den von Keisuke zu. Immer näher kommt sie ihn... Nein! Er weiß, was sie vorhat. Sie will ihn küssen. Aber von ihr will er nicht geküsst werden. Er dreht den Kopf zur Seite, aber sie drückt ihn kurzerhand wieder zu ihr. Jetzt ist sie direkt vor ihm. Schaut ihm in die Augen. Und sie küsst ihn. Von einer Sekunde auf die nächste fühlt er ihre weichen Lippen auf seinen. Sein erster Kuss.... Und ausgerechnet mit dieser Person. Keisuke ist traurig. Der Kuss wird sprunghaft unterbrochen, als die Tür mit großen Krachen auffliegt. Ein Mann betritt den Raum. Er trägt einen langen, schwarzen Mantel über einem weißen Hemd, hat blaue Haare und ist sehr blass. Lure steht auf und sieht ihn misstrauisch an. „Ihr habt verloren, Lure“, sagt der Mann monoton. Sie erwidert nichts darauf, doch da erkennt Keisuke, wer dieser Typ eigentlich ist. Es ist der Vampir, der ihn damals verwandelt hat. „Raito...“, knurrt Lure. „Mein armer, kleiner Keisuke. Kaum, dass er Vampir ist, wird er von keiner Seite mehr in Ruhe gelassen...“, lacht Raito. Es ist aber kein spöttisches Lachen, sondern eher ein freundliches. „Naja, da schaffst du schon mal einen Vampir. Was dachtest du denn, was wir machen?“, sagt Lure wütend. Raito antwortet nicht, sondern geht zum Bett. Keisuke ist verwirrt. Schnell greift Raito in die Tasche seines Umhangs und zieht ein Messer heraus. Er wird ihn doch nicht?! Aber nein, er durchtrennt lediglich Keisukes Fesseln. „Du bist frei“, flüstert er. Endlich mal eine gute Nachricht. Keisuke macht sein Hemd und seine Hose zu, als Raito sich Lure zuwendet. Sie starrt ihn wutentbrannt an: „Irgendwann wird die Königin dich auslöschen!“ „Nur ist sie nicht meine Königin...“, sagt Raito und sieht zu Boden. Lure nutzt die Chance um zu fliehen, und Raito macht keine Anstalten sie zu verfolgen. Er schaut Keisuke an: „Bist du in Ordnung?“ „Ja...“, flüstert Keisuke. Dieser Raito ist auf jeden Fall auf seiner Seite, das weiß er. Bei allen anderen Vampiren ist er sich nicht sicher, aber bei Raito hat er dieses Gefühl. Ein Gefühl von Schutz... „Gehen wir runter.“ Als wir die Treppe hinuntersteigen, fragt der Jüngere zögerlich: „Sind die beiden Vampire von eben gut oder böse? Der Blonde und das Mädchen...“ Raito bleibt stehen und muss lachen. Was daran jetzt so lustig ist, bleibt Keisuke schleierhaft. „Gut oder böse? Hm, sie stehen in jeden Fall auf unserer Seite. Und sie zwingen dich nicht, etwas zu tun, was du nicht willst.“ Im Wohnzimmer angekommen, sieht Keisuke sogleich die beiden Vampire. Das Mädchen mit der roten Kapuze sitzt auf dem Sofa und betrachtet mit traurigem Blick den blonden Mann, der verletzt und schwer atmend auf dem Boden liegt, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. „Ich möchte dir meine Gefährten vorstellen: Das sind Samuel Spider und Verena Engels.“ Verena nickt Keisuke zu, doch Samuel zeigt keine Reaktion. „Er war unterlegen“, sagt sie gelangweilt. Sie selbst ist offenbar unverletzt. „Was waren das für Typen?“, fragt Keisuke. „Mitglieder der Curser-Gesellschaft. Das ist eine Organisation von Vampiren, die alle Menschen vernichten wollen“, sagt Raito ohne Keisuke anzusehen. „Und wir gehören nicht dazu“, ergänzt Verena. „Aber warum wollen sie ausgerechnet mich?“, will Keisuke wissen. Raito ist so nett, die Frage zu beantworten: „Weil es nur noch wenige Vampire auf der Welt gibt. Die Cursers wollen so viele wie möglich auf ihre Seite ziehen, und wer sich weigert, muss um sein Leben fürchten.“ Wie unsozial ist das denn?! Diese Typen sind richtige Mörder. „Du hast bestimmt noch viele Fragen“, lächelt Raito; „Aber die beantworte ich dir ein anderes Mal.“ Er duckt sich und nimmt Samuel auf den Arm. Er trägt ihn zur Haustür. „Ich werde ihn zurück ins Hauptquartier bringen. Verena, bring Keisuke bitte nach Hause.“ Das versteht Keisuke nicht. Verena ist doch gut zehn Zentimeter kleiner als er. Und sie soll ihn beschützen? Andererseits ist sie wahrscheinlich viel länger ein Vampir als er. Unter Umständen könnte sie dann sogar älter sein. Raito verlässt das Haus, und Verena steht auf. „Komm“, sagt sie knapp und macht sich auch auf den Weg zur Haustür. Keisuke folgt ihr. Sie ist schon draußen, da ruft er: „Warte!“ Sie dreht sich um: „Das Mädchen?“ Keisuke hat Shizuka ganz vergessen. Sie liegt immer noch bewusstlos auf dem Boden. „Sie ist meine beste Freundin! Ich kann sie da nicht rumliegen lassen!“ „Die Cursers werden kein Interesse an ihr haben. Und wenn sie wieder zu sich kommt, wird sie sich auch an nichts mehr erinnern.“ Keisuke gibt sich vorerst mit dieser Antwort zufrieden und folgt Verena auf die Straße. „Was habt ihr überhaupt mit ihr gemacht?“, fragt er sie. „Sie benutzt. Das ist Samuels Fähigkeit.“ Was immer sie damit meint, es ist Keisuke nicht geheuer. „Fähigkeit?“ Verena seufzt: „Ich erinnere mich noch daran, wie ich so unwissend war, wie du.“ Das er unwissend ist, weiß Keisuke auch. Deswegen stellt er ja die Fragen. Gerne würde er Verena auch fragen, wie lange sie schon ein Vampir ist, aber das wäre vielleicht ein wenig zu persönlich. Auf dem Weg nach Hause erklärt sie ihm einiges: „Jeder Vampir hat eine ganz besondere, individuelle Fähigkeit. Samuel kann Menschen seinen Willen aufzwingen und sie tun lassen, was er will.“ „Was?!“, ruft Keisuke entgeistert. „Im Kampf gegen die Curser ist uns diese Kraft aber nicht allzu nützlich. Erinnerst du dich an die Frau, die dich auf ihre Seite ziehen wollte?“ Keisuke verkrampft sich. Wie könnte er sie vergessen? Ist doch auch eben erst passiert. „Du weißt, was sie mit dir gemacht hat? Bevor ihr oben wart?“ Er überlegt: Bevor er oben war, stand er bei den anderen im Esszimmer. Lure kam auf ihm zu und... sie schaute ihm in die Augen. Dann war alles weg. „Sie kann andere mit ihrem Blick einschläfern, oder?“ Verena nickt. Keisuke nimmt sich zuerst vor, es nicht zu tun, aber dann fragt er doch: „Und was kannst du?“ „Ich kann in die Zukunft sehen...“, sagt sie leise. Klingt ja nicht gerade mächtig. Wie auch immer sie ihn mit so einer Kraft beschützen soll, er weiß es nicht. Aber sie sind eh gleich da. „Ich weiß, was du denkst“, sagt Verena und starrt ihn finster an; „Aber ich habe dir schon das Leben gerettet.“ Davon weiß Keisuke aber nichts: „Du? Wann denn das?“ „Als du von Lure mitgenommen wurdest, habe ich Raito geholt. Schon vergessen?“ Kann sein, denkt Keisuke. „Dieser Raito... Wieso arbeitet ihr für ihn?“ Sie stehen jetzt direkt vor Keisukes Haustür. Verena senkt den Kopf: „Diese Curser... Sind mir zuwider. Außerdem... Raito will mir helfen, wieder ein Mensch zu werden.“ „Warum willst du ein Mensch werden?“, fragt Keisuke. Ein Leben als Vampir ist doch nicht schlecht. Ab jetzt flüstert Verena nur noch: „Vampire... Sie sind ekelhaft. Sie laben sich am Blut der Menschen. Ich will sowas nicht sein... Ich würde lieber sterben.“ Keisuke weiß nicht recht, was er dazu sagen soll. Eigentlich hat sie ja Recht. Sie scheint den Gedanken daran, Menschen auszusaugen, wohl auch abstoßend zu finden. Verena verabschiedet sich mit den Worten: „Wir haben immer ein Auge auf dich. Dir wird nichts passieren. Aber du solltest uns auch helfen.“ Keisuke schließt die Haustür auf und geht rein. Er sieht eine Zeitung auf dem Fußboden liegen und hebt sie auf. „Hmm, was ist denn so passiert...“ Normalerweise findet Keisuke Zeitungen völlig uninteressant, aber wenn sie schon so auf dem Boden herumliegt, warum nicht gleich die Schlagzeilen checken? Er sieht sie sich an: Ein schwerer Autounfall, Geschiedene Prominente, und eine vermisste Frau. Das Foto von der Frau schaut Keisuke sich genauer an, denn er hat das Gefühl, sie irgendwo schon mal gesehen zu haben. Ihm fällt aber nicht ein, wo, also liest er den Artikel dazu: „Bettina Richter, 27 Jahre alt, eine Arzthelferin aus Logaly. Niemand weiß, wo sie geblieben ist. Ihre Eltern und ihr Lebensgefährte sind für jede Hilfe der Bevölkerung dankbar. Die Polizei sagt, dass ein Verbrechen nicht ausgeschlossen werden kann.“ Dann sieht Keisuke das Datum: Die Frau wurde seit dem Tag, an dem Desmond Keisuke in der Klinik gestellt hatte, nicht mehr gesehen. Und genau das ist die Klinik, in der die Arzthelferin gearbeitet hat. 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