Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 24: Wald der Vergangenheit ---------------------------------- Wald der Vergangenheit Yuri und Keisuke gehen gemütlich durch Logaly, da es eine Weile dauert, bis man vom Haus der Valleys den Eingang zum Wald erreicht. Yuri wollte nicht einfach verschwinden ohne etwas zu sagen, daher erzählte sie allen, dass sie noch ein paar Schulsachen kaufen wollte und dass Keisuke ihr beim Tragen helfe. „Das war besser als einfach zu verschwinden, glaub mir“, muntert Yuri Keisuke auf. „Ähm, kann sein“, antwortet er halbherzig; „Aber normalerweise lüge ich Miho nicht an...“ Das Fuchsmädchen sieht ihn durchdringend an: „Bei Shizuka scheinst du dieses Problem ja nicht zu haben.“ „Was soll ich denn machen...?“, fragt Keisuke sie bedrückt. „Na ihr die Wahrheit über alles sagen!“, ruft Yuri und tut dabei, als es sei es das einfachste der Welt; „Je länger du es ihr verschweigst, desto schwieriger wird es, diese Lüge aufrechtzuerhalten! Also sag es ihr besser früher als später.“ Keisuke weiß, dass sie eigentlich recht hat, aber trotzdem ist es nicht so leicht, wie sie es sagt. Er gibt nicht weiter Antwort und schon nach ein paar Minuten haben sie den Eingang zum Wald erreicht. Auf dem Wanderpfad trifft man hier und da immer wieder Spaziergänger, Leute die ihre Hunde ausführen oder Jogger, aber die meisten Menschen wollen nur die schöne Landschaft und angenehme Waldluft genießen, die ihnen in der Großstadt Logaly verwehrt bleibt. Yuri folgt Keisuke, da dieser sich hier auskennt, einige Minuten über den Pfad. Nach einer Weile fragt er: „Warst du schon mal hier?“ „Ja, aber nur mit der Schule. Und noch nie richtig tief drin“, antwortet sie; „Angeblich gibt es hier Wölfe und Bären. Stimmt das?“ Keisuke zuckt mit den Schultern. Er hält das zwar für ziemlich unglaubwürdig und ist auch nie einem Wolf oder einem Bär dort begegnet, aber weil er es nicht ganz sicher weiß, sagt er nichts. Nach einiger Zeit verlässt Keisuke plötzlich den Wanderpfad nach rechts, Yuri läuft etwas verwirrt hinterher: „Da hin?“ Sie kann nicht sehen, dass Keisuke lächelt. Er war schon so lange nicht mehr da, und schon bald ist er am Zielort. Sie gehen über das Laub und müssen sich ab und zu durch Gebüsche kämpfen, aber es dauert nicht lange, da erreichen sie eine kleine Lichtung. Der Ort ist überwältigend. Eine Wildblumenwiese mitten im Wald, das Gras ist saftig grün. Ein dünner Bach fließt an der Seite entlang, und am Rand der Wiese steht eine Holzhütte. „Hier ist es ja total schön! Ich kann verstehen, dass du damals oft hier warst!“, ruft Yuri und läuft zum Bach, in dem sie ihr Spiegelbild betrachtet. Keisuke geht hinter ihr her und setzt sich ans Wasser. „Warum warst du schon so lange nicht mehr hier?“, fragt Yuri, und schaut Keisukes Spiegelbild an. „Ich weiß nicht...“, sagt Keisuke unsicher; „Es ist nicht so, dass ich keine Lust dazu gehabt hätte oder so, ich bin einfach nicht mehr dazu gekommen... Das ist wohl eins von vielen Dingen, die sich mit meiner Verwandlung zum Vampir geändert haben.“ „Bist du gerne ein Vampir?“, fragt sie, und Keisuke weiß, dass sie an Verena denkt. Auch wenn sie sie selbst nie kennengelernt hat, hat Keisuke ihr einiges über sie erzählt. „Hm, ja, bin ich. Meine Krankheit ist dadurch ja geheilt.“ Yuri gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. „Und ohne die Krankheit? Wenn du wieder ein gesunder Mensch werden könntest?“ „Dann auch. Dass ich nicht älter werde, ist nämlich auch super“, sagt er fröhlich. Yuri kniet sich hin. „Ist das wirklich so toll? Du wirst ja schon älter, nur dein Körper nicht. Es muss doch blöd sein, wenn in zwanzig Jahren all deine Freunde erwachsen sind und du noch als Jugendlicher rumläufst.“ „Ähm... Das kann sein... Aber das ist wohl das Schicksal von Vampiren...“, sagt Keisuke leicht überfordert. „Außerdem musst du dauernd Blut trinken, um überleben zu können. Das ist doch nervig, oder?“ Da hat sie nicht Unrecht, an Blut zu kommen, hat ihn schon immer einige Probleme bereitet. Yuri fährt fort: „Vampire haben zwar besondere Kräfte, aber du hast deine verloren. Gibt es wirklich noch was, was dir daran gefällt?“ Keisuke schaut sie empört an: „Natürlich. Ich glaube, du stellst das schlimmer dar, als es ist. Wie ist das: Seitdem ich Vampir bin, habe ich keine Pickel mehr!“ Yuri fängt an zu lachen, und steckt ihn damit an. „Und außerdem...“, sagt Keisuke, als er sich wieder eingekriegt hat; „Es gibt nicht viele Vampire auf der Welt, und so bleibe ich immer etwas besonderes.“ Yuri nickt: „Geht mit genauso! Oder wie viele andere, waschechte Fuchsmädchen hast du schon gesehen?“ Wieder lachen sie. Dann zieht Yuri sich plötzlich die Schuhe und weißen Socken aus, legt sie ins Gras und lässt ihre Beine bis zu den Knien ins Wasser hängen. Keisuke schaut sie erst nur erstaunt an, dann fragt er lächelnd: „Kalt?“ „Kühl“, gibt sie kurz zurück. Er grinst, und nach kurzem Zögern zieht er auch seine Turnschuhe und Socken aus, krempelt die Jeanshose hoch und setzt sich ans Ufer, die Beine ins fließende Flusswasser. „Ich war schon so oft hier, aber das habe ich noch nie gemacht“, sagt Keisuke etwas beschämt. Yuri rückt etwas näher an ihn heran: „Ich finde es schön. Gibt’s hier auch Fische?“ Er wirft einen Blick ins Wasser und antwortet: „Vielleicht... Ich habe noch keine gesehen...“ Plötzlich fühlt Keisuke die Hand des Fuchsmädchens auf seiner. Er erschreckt sich ein bisschen und fragt sich, was das wohl zu bedeuten hat. Er sieht sie an, aber sie schaut unentwegt ins Wasser. Keisuke weiß auf einmal nicht mehr was er sagen soll, und für einen Moment herrscht seltsame Stille. Mit einem Mal zieht sie die Hand wieder weg. Etwas verwirrt und vielleicht sogar ein bisschen enttäuscht schaut er sie an und fragt sich, was eigentlich los ist, aber Yuri blickt immer noch ins Wasser, anscheinend in Gedanken versunken. Keisuke versucht, die Ruhe des Waldes und die schöne Umgebung zu genießen, und legt sich auf den Rücken, lässt die Beine aber im Wasser. So könnte er Stunden liegen bleiben... Plötzlich steht Yuri auf und geht barfuß auf die Wiese zurück. Daraufhin richtet Keisuke, der doch so gemütlich am Ufer gelegen hat, sich wieder auf und folgt ihr zaghaft. Yuri geht zu der kleinen Holzhütte und untersucht sie. Sie versucht, die Tür zu öffnen, muss aber feststellen, dass sie abgeschlossen ist: „Schade...“ „Geh mal kurz da weg“, sagt Keisuke, woraufhin sie einen Schritt zur Seite geht. Er bückt sich, hebt die verdreckte Fußmatte vor der Tür hoch und hält einen alten Schlüssel hoch. „Was, woher wusstest du das?“, fragt Yuri erstaunt. „Das ist meine Hütte“, sagt Keisuke stolz und schließt die Tür auf. „Deine Hütte? Hast du sie gebaut?“, fragt sie, aber er verneint: „Nein, das nicht... Sie stand schon vorher hier, aber nachdem ich vor einem Jahr drinnen den Schlüssel gefunden habe, habe ich sie zu meinem Versteck erklärt.“ Er fängt an zu lachen, aber Yuri lacht nicht. Die beiden betreten die Hütte, deren Inneres durch die sehr hoch angebrachten Fenster erhellt wird. Besonders eingerichtet ist sie nicht, es gibt lediglich einen alten, gammligen, weißen Holzschrank und einen Stuhl, auf dem ein Sitzkissen liegt. Überall ist es sehr dreckig und Spinnennetze sind auch keine Seltenheit. „Oh, ich habe es mir schöner vorgestellt“, sagt Yuri verwundert. Keisuke setzt sich auf den Stuhl: „Früher habe ich hier ab und zu saubergemacht, aber das hat nie wirklich etwas gebracht.“ „Also es wäre noch Platz für ein bisschen Einrichtung“, stellt Yuri fest; „Theoretisch... Im Keller unseres Cafés stehen noch ein paar alte Möbel...“ Keisuke erinnert sich. In diesem Keller hatte er eine nicht ganz so erfreuliche Begegnung mit dem Vampirjäger Epheral Locover, aber er hat auch Yuri dort zum ersten Mal getroffen. Dass er ihr sein Leben verdankt, hat er nicht vergessen. „Aber wie sollen wir die herbringen, wir können sie ja nicht quer durch den Wald tragen“, überlegt Keisuke laut und Yuri seufzt: „Tja, das wäre halt das Problem an der Sache.“ Sie wirft einen Blick auf den Schrank und fragt: „Hast du irgendwas zu essen hier?“ Keisuke schüttelt den Kopf: „Das nicht. Aber hinter der Hütte sind Brombeersträucher, wenn du Glück hast, kannst du da welche pflücken.“ „Später vielleicht“, antwortet sie kurz und geht wieder raus: „Komm wieder nach draußen, Keisuke, hier ist es viel schöner!“ In Gedanken stimmt er ihr zu, also verlässt er auch die Hütte und schließt die Tür ab. Den Schlüssel legt er wieder unter die schmutzige Fußmatte. Yuri ist inzwischen wieder am Ufer des kleinen Baches, und Keisuke setzt sich zu ihr. Als sie ihn bemerkt, fragt sie: „Sag mal, warst du auch schon mal mit Shizuka hier?“ Keisuke muss für die Antwort nicht lange überlegen: „Nein, war ich nicht. Ich habe ihr zwar schon oft von diesem Ort erzählt, und davon, wie toll es hier ist, aber sie traut sich einfach nicht, in den Wald mitzukommen.“ „Ist das schlimm?“, fragt Yuri interessiert. „Naja, ich finde es schon ziemlich blöd“, antwortet Keisuke; „Früher hatte ich zuerst auch Angst, alleine in den Wald zu gehen, aber das war mir damals schon egal. Ich finde, man sollte sich von seiner Furcht nicht abhalten lassen, hinzugehen, wo immer man hin will.“ „Aha!“, kichert Yuri; „Dann bist du ja vielleicht gar nicht so ein Feigling...“ „Wie?“, fragt Keisuke sauer; „Warum bin ich ein Feigling?“ Yuri fängt an, sehr laut zu lachen, und hört fast gar nicht mehr auf. „Ich ärgere dich doch nur ein bisschen!“, ruft sie gut gelaunt. Doch dann rückt sie plötzlich wieder etwas näher an ihn heran, und Keisuke merkt, dass er errötet. Er erwartet schon, dass sie ihre Hand wieder auf seine legen würde, scheint sich aber zu irren. „Warst du denn schon überhaupt einmal mit jemand anderem hier außer mir?“, fragt sie leise. „Ähm, naja... Ich bin Raito hier zum ersten Mal begegnet...“, sagt er zögerlich. „Das hast du mir schon mal erzählt“, lächelt Yuri; „Hier hat er dich zum Vampir gemacht, stimmt's?“ Keisuke legt sich wieder auf den Rücken und verschränkt die Arme hinter dem Kopf: „Ja... Richtig. Ich kann mich an diesen Abend nicht mehr sehr gut erinnern. Es war am Anfang der Sommerferien. Bei einer ärztlichen Untersuchung hat man bei mir den Genesis-Tumor festgestellt.“ Yuri schreckt hoch: „Was?! Du meinst, du hattest Krebs?“ „Naja, wenn man es so nennen kann“, sagt Keisuke unberührt; „Es ist ein Tumor, der nach ein paar Tagen den ganzen Körper befällt. Meine Mutter ist daran gestorben...“ Yuri hört ihm schweigend zu. „Damals war ich total verzweifelt! Ich bin nach hier gekommen, weil ich das schon immer so gemacht habe, wenn etwas nicht stimmt.“ Es fällt ihm schwer, darüber zu reden, also bleibt er jetzt auch ruhig und schließt die Augen. Nun möchte er versuchen, an etwas anderes zu denken, an etwas schönes. „Ähm, Keisuke!“, hört er Yuris Stimme weit entfernt. „Keisuke!“ Sie scheint lauter zu werden. „Keisuke, wach mal auf!“ Er öffnet die Augen. Er ist tatsächlich eingeschlafen. Mittlerweile dämmert es schon, folglich wird es bald dunkel. Yuri hockt neben ihm und schaut ihn an: „Wir sollten langsam zurück“, sagt sie. Gähnend richtet er sich auf: „Wie lange habe ich geschlafen?“ Sie hilft ihm hoch, und er bemerkt, dass sie mittlerweile schon wieder Schuhe und Strümpfe trägt. „Ich habe keine Uhr dabei, aber ich würde schätzen, zwei Stunden oder so“, kichert sie. „Oh!“, ruft Keisuke erstaunt; „Das hätte ich nicht gedacht... Hast du auch geschlafen?“ Sie schüttelt den Kopf: „Ich wollte dich nicht wecken, also habe ich es versucht, aber es hat irgendwie nicht geklappt.“ „Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“, fragt er, während er seine Socken und Schuhe anzieht. „Dir beim Schlafen zugeguckt“ sagt sie grinsend, aber als Keisuke sie anschaut, fängt sie sofort an zu lachen: „War doch nur Spaß, du brauchst nicht so komisch zu gucken.“ Keisuke gähnt nochmal, und die beiden machen sich auf den Weg zurück. „Kommen wir ab jetzt öfter her?“, fragt Yuri. Er überlegt kurz, während er einen im Weg hängenden Ast umknickt, und antwortet: „Wenn wir Zeit haben, gerne... War echt schön heute.“ Die beiden wandern noch eine Weile durch die Wildnis, und bald haben sie den Pfad erreicht, aber vorher passiert etwas unvorhergesehenes: Ein Schuss. Die beiden erschrecken sich. Gewehrschüsse von den Jägern im Wald zu hören ist zwar nicht so ungewöhnlich, aber dieser war so laut und klar vernehmbar, dass er einfach ganz in der Nähe gefallen sein muss. Sie sehen sich schnell um, dann ruft Yuri: „Da vorne!“ Keisuke dreht sich um und kann eine Person in der Ferne erkennen. Die beiden rennen hin, um zu sehen, was passiert ist. Ein breit grinsender Mann, der eine Feldjacke trägt, steht bewaffnet mit einem Jagdgewehr vor einem rotbraunen Fuchs, der auf dem Boden liegt. Das Tier lebt noch, aber da es angeschossen wurde liegt es hilflos und blutend am Boden. Der Jäger richtet sein Gewehr auf den Fuchs, aber im selben Moment macht Yuri einen riesigen Satz nach vorne und stellt sich schützend vor ihn, und mit ausgestreckten Armen ruft sie wütend und empört: „NEIN!!!“ Sowohl der Fremde als auch Keisuke sind für einen Moment erstarrt, aber der Mann lässt seine Waffe nicht sinken: „Geh aus dem Weg, Kleine!“, knurrt er. „Das werde ich nicht tun...“, flüstert sie kaum hörbar. Keisuke weiß, dass er einschreiten muss: „Füchse stehen hier unter Naturschutz, die dürfen Sie gar nicht erschießen!“ Der Mann zuckt mit den Schultern: „Was kümmern mich diese banalen Regeln, ich will nur das Fell und die Rute für einen schönen Preis verkaufen. Und jetzt macht euch vom Acker, das ist kein Spielplatz!“ Ganz kurz schaut Yuri zu Keisuke, bewegt sich aber nicht vom Fleck. Keisuke zögert kurz, geht dann aber auf Yuri zu und kniet sich über den Fuchs. „Was wird das!?“, ruft der Mann mit dem Gewehr empört; „Wenn ihr jetzt nicht verschwindet, schieße ich dem Mädchen ins Bein.“ Daraufhin lässt Yuri die Arme sinken, und Keisuke sagt mit einem süffisanten Lächeln: „Versuchen Sie es, wenn sie schnell genug sind.“ „Was?“, ruft der Kerl, aber bevor er den nächsten Schritt tun kann, ist Yuri schon vor ihn gesprungen und hält das Gewehr nach unten. Überrascht löst der Mann einen Schuss aus, der aber nur den Boden trifft, und er lässt das Gewehr fallen. Keisuke rennt sofort hinüber und nimmt das schwere Ding an sich. Verstört rennt der Mann weg, wobei er irgendetwas von „Verrückten im Wald“ faselt, aber nach einigen Sekunden ist er schon nicht mehr zu sehen. Yuri und Keisuke beugen sich derweil über den verletzten Fuchs. Die Wunde blutet noch, und Yuri fragt Keisuke: „Was sollen wir machen, er ist schwer verletzt!“ Keisuke weiß es selbst nicht, aber dann fällt ihm ein, wer ihnen vielleicht helfen könnte: „Wir sollten ihn zu Luna bringen!“ „Wer ist das?“, fragt Yuri. „Ähm, du hast sie heute schon mal gesehen. Die rothaarige Frau, die uns besucht hat.“ „Okay!“, sagt Yuri, doch dann fällt ihr Blick auf das Gewehr in Keisukes Hand. „Und was machen wir damit?“, fragt sie. „Ich bringe es schnell in die Hütte, wir können es weder hier lassen noch mitnehmen“, beschließt Keisuke und rennt los, ohne noch länger nachzudenken. „Beeil' dich!“, ruft Yuri ihm verzweifelt hinterher; „Wir müssen den Fuchs schnell hier wegschaffen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)