Wandler in der Nacht von Lingwiloce (Dan, der Wolf) ================================================================================ Kapitel 1: Dan, der Wolf ------------------------ "Komm her, Kleiner“, lockte der Junge und hielt dem großen Tier eine Wurst entgegen. "Sei vorsichtig, Tommy." flüsterte seine Schwester, die sich eng an ihren Bruder klammerte und den großen Hund aus angsterfüllten Augen anstarrte. "Keine Sorge. Der ist brav. Schau dir das Halstuch an. Er gehört zu jemandem." Der vermeintliche Hund ignorierte die Geschwister und das Stück Fleisch und suchte die Schnauze dicht am Boden, nach der Fährte, die sein Opfer hinterlassen haben musste. Er war maßlos verärgert über diese beiden dummen Kinder, die beim Spielen über die Spur getrampelt waren und sie fast bis ins Unkenntliche verwischt hatten. Ein Knurren grollte durch die stehende heiße Luft des Nachmittags, als der Junge es wagte noch ein Stück vorzurücken und ihm die Wurst direkt unter die Nase hielt. Sie wackelte vom Jungen geschüttelt vor seinen Augen hin und her. Das Knurren war eine eindeutige Warnung, und da der freche Bengel nicht hören wollte, schnappte Dan zu. Doch er hatte es nicht auf die Wurst abgesehen, sondern biss in den Arm des Jungen. Er spürte wie seine Zähne durch das Fleisch des Unterarms drangen und er auf den Knochen traf. Das Kreischen des Mädchens schrillte durch seine empfindlichen Ohren. Er ließ den Jungen los und wich einige Schritte zurück. Dan wusste, dass von seinen Lefzen das Blut tropfte und er damit und dem aufgestellten Fell eine beängstigende Erscheinung war. Die Kinder waren wie zu Stein erstarrt. Dan knurrte wieder und öffnete das Maul gerade so weit, dass man die blanken Zähne sehen konnte. Die Zeit schien still zu stehen, als sich plötzlich der Wind drehte und eine bekannte Witterung an seine Nase trug. Er fuhr herum und rannte der Fährte nach. Über Felder und Weiden, zeitweise einer Straße folgend, dann wieder durch menschenleere Landstriche. Er wusste, dass er seiner Beute näher kam, mit jeder Meile, die unabänderlich unter seinen Pfoten vor rüber zog. Es war tiefe Nacht, als er den Rand einer Großstadt erreichte. Schwaden von den Ausdünstungen der Kanalisation, den Abgasen der Autos und dem ungesunden Gestank, der immer zugegen war, wo sich große Menschenmassen zusammenballten, waberten durch die schmalen Gassen des heruntergekommenen Vorstadtviertels. Trotz der späten Stunde schien es Dan, als sei die ganze Stadt noch auf den Beinen. Es war nicht einfach einen Ort zu finden, an dem er sich unbemerkt wieder verwandeln konnte. Als er sich in einer Hausruine verkrochen hatte und sicher gegangen war, dass sonst kein Mensch in der Nähe war, begann er sich mit einer Vorderpfote das Halstuch abzuzerren. Es war jedes Mal eine mühsame Prozedur, doch nachdem er sich fünf Minuten erfolglos über den Boden gerollt hatte, war der ohne hin lose Knoten geöffnet und das Halstuch flatterte zu Boden. Die Verwandlung setzte ein und Dan genoss das Gefühl, als das Fell in seine Haut zurückwich und er mit den bloßen Fingern über den rauen Betonboden streichen konnte. Doch eine lange Pause gönnte er sich nicht. Er streckte sich und hob dann die Jacke auf, die anstelle des Tuchs auf dem Boden lag. Er warf sie sich über und kramte die Kopfhörer seines MP3-Players aus der Jackentasche. Er hatte schnell bemerkt, dass die Menschen ihn viel weniger beachteten, wenn er sich beschalte und trug zur Vermeidung zwischenmenschlicher kontakte immer den Musikspieler bei sich. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und senkte den Blick auf den Gehweg, während er mit der rechten Hand nach dem Messer in seiner Tasche tastete. Ein wölfisches Grinsen teilte seine Lippen und betrat die nächste Kneipe durch den Vordereingang. Zielstrebig steuerte er auf die Theke zu und winkte den Wirt zu sich. Er ließ einen Geldschein über den Tresen wandern. "Ich suche Cornix." Der Wirt deutete in eine finstere Ecke seines Schankraums und strich das Geld ein. Dan schlenderte in die angegebene Richtung und sah schon vom Weiten, dass eine Person hastig aufsprang und zur Hintertür hinaus floh. Dan folgte geschmeidig. Ihn hatte die Ruhe des Jägers überkommen, der wusste, dass er seine Beute schon im Würgegriff hatte. Seine Jagd würde erfolgreich enden, solange sie auch gedauert hatte. Er trat in den Hinterhof und sah, dass Cornix auf einem Bein herumhüpfte, und versuchte sich eine schmale glitzernde Fußkette umzulegen. Dan zog langsam das Messer aus der Jackentasche. Die Klinge glänze im Licht des zunehmenden Mondes. Er wog sie in der Hand und warf dann. Die Klinge drang tief in den Rücken des Mannes ein, der noch einen Moment schwankte, dann aber fiel. Dan trat näher und betrachtete Cornix geringschätzig. "Niemand schlitzt mir das Gesicht auf und überlebt die Sache über ein Jahr“, knurrte er den Toten an und fuhr mit der Rechten über die lange Narbe, die sich in seinem Gesicht quer über das linke Auge zog. Er zog das Messer aus der Leiche und nahm ihm zusätzlich das Fußkettchen aus der schlaffen Hand. "Wollte nie gut zu dir passen, du Eselsdieb“, grollte er noch und verließ dann den Hinterhof. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)