Stille Wasser von --Misaki-- ================================================================================ Kapitel 1: Unbekanntes Terrain ------------------------------ Ich war erstaunt, wie ruhig ich an meinem ersten Tag an der neuen Schule war. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich mir meiner Sache recht sicher war. Früher, an meiner alten Schule, war ich wirklich beliebt gewesen. Jeder hatte mit mir befreundet sein wollen und auch die Mädchen scharten sich um mich. Ich weiß wirklich nicht genau, was alle so toll an mir fanden. Na schön, ich sehe einfach blendend aus, mit meinem blonden Wuschelkopf und den grauen Augen, aber wahrscheinlich lag es eher an meinem Selbstbewusstsein und der lockeren Art, wie ich mit den Leuten umgehe. Sogar in meiner Familie war ich der Mittelpunkt. Aber mir war’s recht so, ich hatte nie an Langeweile zu leiden. Der Bus bog gerade um ein Ecke und schon konnte ich meine neue Schule erblicken. Wir hielten genau vor der Eingangstür; ich griff mir meine Sachen und sprang die letzten Stufen aus dem Bus raus. Heute hatte ich wirklich gute Laune und so marschierte ich sicheren Schrittes durch die große Tür. Da mich keine große Lust hatte, ewig nach dem Sekretariat zu suchen, sprach ich den ersten Typ an, der ungefähr in meinem Alter zu sein schien. “Hey, du! Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich das Sekretariat finde?” Der Kerl drehte sich um und musterte mich gelangweilt. ‘Das sind ja nette Leute hier’, schoss es mir durch den Kopf. Da hellte sich seine Miene auch schon auf und er stellte die Frage, mit der ich gerechnet hatte. “Bist du neu hier?” “Ja, ist mein erster Tag heute und ich habe nicht vor, da auch noch zu spät zu kommen.” ich blickte ihn fragend an und wartete auf die Antwort auf meiner erste Frage. “Kein Problem, ich bringe dich hin!” Er grinste mich an, schulterte seine Tasche und schritt mir voraus den Flur entlang. “Wie heißt du?” Er drehte sich mit einem Lächeln zu mir um. “Finn.” “Sascha.” Ich ergriff die Hand, die er mir entgegen streckte. “Dir wird es hier gefallen!” Bevor ich noch etwas erwidern konnte, klopfte er an eine grüne Tür, auf der in roter Farbe `Sekretariat` stand, und trat, ohne auf eine Antwort zu warten, ein. Ich folgte ihm und schloss leise hinter mir die Tür. “Guten Morgen, Frau Bernstein!”, begrüßte Sascha die hagere Frau hinter dem Tresen. Ich schätzte sie auf Anfang vierzig. Als sie ihn erblickte, breitete sich ein amüsiertes Lächeln auf ihren Lippen aus. “Ach du bist’s, Sascha. Was hast du dir dieses Mal für Verletzungen zugezogen? Schon am zweiten Tag?” “Nichts”, erwiderte dieser mit einem breiten Grinsen im Gesicht. “Ich wollte dem Neuen hier nur den Weg zum Sekretariat zeigen.” “Ganz der Höfliche, wie immer.” Jetzt wandte sie sich mir zu. “Also, wie heißt du?” “Finn Engels.” Die Frau drehte sich mit ihrem Bürostuhl um, rollte auf einen Schreibtisch in der hintersten Ecke des Raumes zu und begann, hecktisch einen Stapel an Papieren durchzublättern. Schon bald zog sie triumphierend ein Blatt aus der Mitte des Stapels heraus und legte es vor mich hin. “Bitte überprüfe, ob alle Angaben stimmen, dann bekommst du deinen Stundenplan.” Ich checkte kurz die wenigen Auflistungen durch und als ich Frau Bernstein zunickte, zum Zeichen, dass alles in Ordnung sein, überreichte sie mir meinen Stundenplan. “Wir haben dich in die 11c gesteckt.” mit einem wissenden Blick zu Sascha fügte sie hinzu: “Dein neuer Freund kann dir bei allem Weiteren sicher helfen.” Ich bedankte mich bei ihr und ging, gefolgt von Sascha, wieder raus auf den Flur. “Was war denn das eben?” Neugierig schaute ich ihn an. “Sie ist hier quasi unsere eigene Krankenschwester. Und da ich in unserer Sporthalle bei jeder Gelegenheit auf einen Sandsack und diverse andere Dinge einschlage, lande ich schon öfters mal mit ein paar blauen Flecken bei ihr.” “Beim nächsten Mal komme ich mit. Ich will sehen, was du unter `diverse andere Dinge` verstehst.” Wir grinsten uns beide gegenseitig breit an, als wir vom plötzlichen Schrillen der Schulglocke aufgeschreckt wurden. Ich sah auf meine Uhr. “Verdammt, wir kommen noch zu spät!” Mit großen Schritten hasteten wir um eine Ecke, dann die Treppe runter in den Keller und weiter einen Flur entlang. An der letzten Tür hielt Sascha mich an. “Wir haben jetzt Geschichte, nur so zur Info.” Schon wieder konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er klopfte kurz an und öffnete gleichzeitig die Tür. `Für was klopft dieser Typ eigentlich noch?`, schmunzelte ich in mich hinein. Sascha zog mich hinter sich in den Raum und platzierte mich neben dem Pult. “Guten Tag, ich bin Finn Engels, der Neue in der Klasse.” Ich spürte sämtliche Blicke in meinem Rücken, doch ich ließ mich deswegen nicht aus der Ruhe bringen. “Ah ja.”, entgegnete mir der Lehrer. “ich bin Herr Schober. Such dir einen freien Platz.” Jetzt drehte ich mich zu ersten Mal zu meinen zukünftigen Mitschülern um und ließ meinen Blick durchs ganze Zimmer wandern. Sascha hatte den Platz neben sich frei geräumt und so machte ich mir nicht die Mühe, nach weiteren Ausschau zu halten. Als ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen ließ und meine Sachen auspackte, grinsten wir uns wieder an. `Wenn das so weiter geht, bekomme ich noch Muskelkater`, ging es mir durch den Kopf und unwillkürlich wurde mein Grinsen noch etwas breiter. Eine Weile lauschten wir dem Unterricht, doch dann stieß Sascha mir seinen Ellenbogen in die Seite. “Mann, hast du bemerkt, wie die Mädels dich anstarren?” Etwas überrascht schaute ich mich im Raum um. Tatsächlich, einige Mädchen starrten mich wirklich an, doch als ich ihren Blick kreuzte, sahen sie verlegen auf den Tisch oder fingen an, mit ihren Nachbarinnen zu tuscheln. Komisch. Zwar war ich es gewohnt, viel Leute um mich zu haben und Blicke auf mich zu ziehen, aber ich konnte die meisten von ihnen auch zu meinen Freunden zählen. Hier jedoch kannte mich noch niemand und mir fiel es schwer zu glauben, dass dieses ganze Starren nur wegen meines Aussehens wegen war. “Sag mal, sind die Mädels bei euch immer so?” Ich musste wirklich verdutzt ausgesehen haben, da Sascha leise anfing zu kichern. “Das liegt an dir, Mann. Wir haben hier keinen Kerl, der an dich rankommt.” Noch ein paar Sekunden schaute ich ihn an und wandte mich dann wieder zur Tafel, um wenigstens zu versuchen, dem Unterricht zu folgen. Die Stunden flogen nur so an mir vorbei und alle waren der ersten ziemlich ähnlich. Als mich Sascha nach der sechsten Stunde zur Schulcafeteria führte, wurde ich von allen Seiten begafft. `Das ist ja wie im Zoo hier!` Die Jungs bedachten mich mit einem abschätzenden Blick und die weiblichen Wesen blieben wie vom Donner gerührt stehen, als sie uns sahen und das Getuschel ging von neuem los. Wir suchten uns einen leeren Tisch in der hintersten Ecke. mir fiel sofort auf, dass etwas nicht stimmte, doch ich brauchte einige Augenblicke, um zu realisieren, was es war. “Willst du nicht bei deinen Kumpels sitzen?”, fragte ich Sascha verwundert. “Ich habe keine. Hier bin ich so was wie ein Freak.” Das hatte gesessen. Sascha, ein Freak? Niemals! Ich meine, er hatte schwarze Locken auf dem Kopf und strahlend grüne Augen, da müssten die Mädchen doch Schlange stehen bei ihm. Ich verstand gar nichts mehr. “Warum solltest du bitte ein Freak sein?” “Vor ungefähr drei Jahren haben mir ein paar Kerle aus der b-Klasse meine Songtexte und die Noten dazu geklaut. Sie verhöhnten mich, dass ich nur Schnulzenmusik schreiben würde und eine Schwuchtel wäre.” Jetzt hob er seinen Kopf und schaute statt den Tisch nun mich an. Als ich nichts erwiderte, sprach er weiter. Sein Blick ließ mich darauf schließen, dass er damit rechnete, dass ich nach seinen nächsten Sätzen aufstehen und nie wieder ein Wort mit ihm reden würde. “Ich habe ihnen gesagt, dass ich wenigstens über genügend Intellekt verfügen würde, um überhaupt einen Song zu Stande zu bringen und nicht nur Mist im Kopf hätte und jeden fertigmachen würde, der mir über der Weg läuft. Daraufhin sind sie auf mich losgegangen. Am Ende hatte ich einige Blutergüsse und eine verstauchte Hand. Der nächste Tag war fast genauso schlimm. Sie haben so gut wie alle Schüler an die Aula geholt und meine Texte vorgelesen. Die ganze Schule hat an diesem Tag über mich gelacht.” Das musste ich erst einmal verdauen. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn angestarrt hatte, aber schließlich platzte es aus mir heraus. “Ihr seid verrückt!” Sascha seufzte, nahm sein Tablett und wollte aufstehen, als ich ihn am Arm packte und wieder auf seinen Stuhl runter zog. “Was sind das bloß für Typen, die so einen Mist verzapfen? Deine Texte sind bestimmt nicht zum Lachen! Und die ganzen Weiber hier, die mich begaffen, als wäre ich ein besonders seltenes Tier in einem Zoo. Verrückt!” Als ich mit meiner kleinen Rede fertig war, starrte Sascha mich fassungslos an. Mich hätte es nicht gewundert, wenn ihm jeden Augenblick der Mund aufgeklappt wäre. “Meinst du das ernst?” Er klang wirklich verunsichert. “Natürlich! Morgen zeigst du mir mal deine Songs und bekommst ein professionelles Urteil von mir!” Ich grinste ihn an und kurz darauf schlang er seine Arme in einer kurzen Umarmung um mich. Ich war echt froh, dass ich IHN als ersten an dieser Schule angesprochen hatte. Er war scheinbar der einzige Normale hier. Als mein Magen laut knurrte, mussten wir beide lachen und ich machte mich über das Essen vor mir her. Während ich meine Spagetti gierig hinunter schlang, wanderte mein Blick durch die gefüllte Cafeteria. Ich merkte, dass wir von vielen Schülern beobachtet wurden, doch ich ignorierte sie. In der gegenüberliegenden Ecke hielt ich jedoch inne. Dort saß ein Mädchen, naja, nicht irgendein Mädchen, sondern das schönste welches ich je gesehen hatte. Sie war nach vorne gebeugt, sodass ihr sanfte dunkelbraune Wellen ihres lange Haares ins Gesicht fielen. Ihre schlanken Finger huschten über ein Blatt Papier und sie hob immer wieder kurz den Kopf, um aus dem Fenster zu schauen. So konnte ich einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass es mich noch Tage später in meinen Gedanken verfolgen würde. Doch in diesem Moment sah ich nur ihre Augen. Sie waren dunkel wie dich Nacht und von dichten Wimpern umrahmt. Ich wäre wohl in ihnen ertrunken, hätte Sascha mich nicht aus meinem Starren gerüttelt. “Was ist los mit dir, Mann?” “Wer ist dies… ist das Mädchen dort drüben?” Fast hätte ich sie einen Engel genant. “Welche meinst du?” ich deutete mit meinem Finger in die Ecke, in der sie saß. “Ach die… Das ist Jeanne. Aber vergiss sie lieber, du kommst sowieso nicht an sie ran!” Jetzt war ich wirklich neugierig geworden. “Warum denn nicht? Ich meine, die anderen Mädels waren doch alle offensichtlich an mir interessiert, wieso sollte dann ausgerechnet SIE mich nicht mögen!?” “Sie lässt niemanden nah genug an sich ran, als dass sie beurteilen könnte, ob sie denjenigen mag oder nicht. Aber nicht einmal die Lehrer trauen sich, sie anzusprechen. Sie sitzt in allen Fächern an einem Einzeltisch und in der Mittagspause immer dort drüben am Fenster und zeichnet.” Aha, das hatte sie da also gemacht. Auf eine seltsame Art und Weise faszinierte sie mich, doch das wollte ich mir selbst nicht eingestehen. Mir fiel auf, dass ich immer noch meine Gabel mit Spagettis in der Hand hielt und wandte mich wieder meinem Essen zu. Während ich aß, fasste ich einen Entschluss. Ich würde sie ansprechen, dieses wunderschöne Mädchen, egal was man mir erzählen würde. Die ganze restliche Pause dachte ich an Jeanne. Sascha schien das bemerkt zu haben, denn er unterbrach kein einziges Mal meine Gedanken, bis es klingelte und er mich anstupste. “Komm, wir müssen gehen, sonst stehen uns noch ein paar Liegestützen bevor, wenn wir zu spät kommen!” Ich zuckte ein wenig zusammen, als er mich ansprach., doch kurz darauf kehrten meine Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Schnell schnappte ich mir meine Tablett, gab es am Tresen ab und eilte zum Ausgang, an dem Sascha auf mich wartete. Die zwei Stunden Sport waren genau das, was ich gebraucht hatte. Als ich jetzt mit meinem Wagen, den ich direkt nach der Schule beim Autohändler um die Ecke abgeholt hatte, auf dem Weg nach Hause war, kam es mir geradezu lächerlich vor, wie sehr mich dieses Mädchen beschäftigt hatte. Na gut, es war wirklich seltsam, dass sie sich so ausgrenzte, aber was ging mich das an? Ich sollte mir über andere Dinge Gedanken machen, z.B. über Sascha. Ich wollte ihm helfen, MUSSTE ihm helfen, schließlich waren wir ja Freunde. Bis ich zu Hause ankam, überlegte ich, wie es möglich wäre, ihm neues Selbstvertrauen zugeben. Morgen würde ich ihm meine Ideen vorstellen. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine Hausaufgaben zu machen und am Abend legte ich mich früh schlafen. In dieser Nacht schlief ich nicht gut, ständig verfolgten mich diese schwarzen Augen, und dem entsprechend fühlte ich mich auch am nächsten Morgen. Nach einer entspannenden Dusche schaute ich mich im Spiegel an. Die Nacht hatte sich auf meinem Gesicht bemerkbar gemacht, unter meinen Augen lagen lila Ringe. Das Frühstück ließ ich ausfallen und machte mich, nachdem ich mich angezogen und meine Schulsachen gepackte hatte, auf den Weg zur Schule. Ich wollte Sascha unbedingt von meiner Idee erzählen, die mir unter der Dusche gekommen war. Ich suchte mir einen Parkplatz direkt vor dem Eingang und stieg aus. Gerade als ich die Autotür zuschlagen wollte, vernahm ich ein Räuspern hinter mir. Ich drehte mich und sah ein Mädchen in ungefähr meinem Alter vor mir stehen. Sie lächelte. “Hi, ich bin Susi. Du bist doch der Neue, oder!? Wenn du Lust hast, zeige ich dir heute nach der Schule die Stadt.” Ich war zu überrascht, um ihr zu antworten. Sollte das jetzt eine Anmache sein, oder bloß ein höflicher Versuch, Kontakt aufzubauen? Ich war noch zu keiner Antwort gekommen, da unterbrach sie meinen Gedankengang. “Wenn du eine Antwort für mich hast, findest du mich nach der Schule in der Cafeteria.” Dann drehte sie sich um und stolzierte davon. Jetzt hatte auch ich es verstanden, es sollte eindeutig eine Anmache gewesen sein. Dieser Blick, mit dem sie den letzten Satz gesagt hatte; als wäre sie sich sicher, dass ich kommen würde. Kopfschüttelnd trat ich durch die Eingangstür und kramte meinen Stundenplan aus der Tasche. *1. Stunde Deutsch - Zimmer 203* Wie sollte ich das bitte auf die Schnelle finden? Also ging ich auf ein junges Mädchen zu, das mir den Rücken zudrehte und mit ihren Freundinnen quatschte, und fragte sie: “Entschuldige, kannst du mir sagen, wo ich Zimmer 203 finde?” Nun wandte sie sich zu mir um und machte große Augen. Ich dachte schon, sie würde mir gar nicht mehr antworten und wollte mich gerade umdrehen, da brachte sie mit schriller Stimme en paar Worte heraus. “Klar, ich bringe dich hin…” Sie setzte sich in Bewegung und ich folgte ihr. Den ganzen Weg über drehte sie immer wieder eine Strähne ihres kurzen blonden Haares zwischen ihren Fingern, als wäre sie nervös. ‘Was ist bloß los mit diesen Mädchen hier?’, fragte ich mich in Gedanken. Irgendwann machte sie vor einer der zahlreichen blau gestrichenen Türen halt. Ich sah auf das Schild daneben: *Zimmer 203* “Danke, ohne dich hätte ich vermutlich eine Ewigkeit gebraucht, um hier her zu finden!” Bei diesen Worten strahlte sie mich an und ich beeilte mich, in den Klassenraum zu kommen. “Man sieht sich!”, rief ich ihr noch über die Schulter zu, da ich nicht unhöflich sein wollte, doch ich bereute es sofort. ‘Hoffentlich bildet sie sich nichts darauf ein…’ Sascha schien noch nicht da zu sein, also lief ich zur gegenüberliegenden Seite des Raumes, lehnte mich dort an die Wand und behielt die Tür im Auge. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Überrascht wandte ich mich diesem Jemand zu und sah mich drei gut gebauten Typen gegenüber. “Hey, ich bin Tobi”, stellte sich der Blonde vor und hielt mir eine seiner großen Pranken entgegen. Ich schlug ein. “Finn!” “Ich weiß”, grinste er. “Das sind Ben und Chris.” er deutete zuerst auf den Kerl mit den kurzen schwarzen Haaren, der eindeutig der kleinste im Trio war (Aber immer noch ein Stückchen größer als ich), und dann auf den Rathaarigen, dem seine Harre locker ins Gesicht fielen. Beiden schüttelte ich die Hand. Die Drei machten von Anfang an einen netten Eindruck auf mich. “Wann bist du hier her gezogen?”, fragte mich Tobi, der der Größte von ihnen war und anscheinend etwas wir ihr Anführer. “Vor 10 Tagen sind meine Eltern und ich in unser neues Haus hier gezogen. Seit dem renovieren wir und richten uns langsam ein.” Jetzt meldete sich Chris zu Wort. “Warum seid ihr denn überhaupt hier her gezogen?” “Mein Vater hat einen neuen Job bekommen.” “Das kenne ich “, grinste mich Ben an. “Ich bin auch schon öfters wegen den Jobs meiner Eltern umgezogen. Aber zum Glück sind wir hier hängen geblieben.” Wir mussten alle vier lachen. Dann kam auf einmal ein zierliches Mädchen um die 1,60m groß auf Tobi zugehüpft und schlang ihre Arme um seine Mitte. “Guten Morgen, Schatz.” Er blickte liebevoll auf sie herunter und streichelte ihr übers Haar. “Guten Morgen, meine Maus!” Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. Als sie sich wieder von einander lösten, blickte sie zu mir. “Ah, du bist Finn, stimmts? Ich bin Natalie!” Wir schüttelten uns kurz die Hände. “Freut mich.” Tobi schlang schnell wieder seine Arme um seine Freundin und drückte sie an sich. Mein Blick fiel auf die Tür und in diesem Augenblick kam Sascha herein. Ich grinste ihn an, doch als er mich bemerkte, lief er schnurstracks auf seinen Platz in der letzten Reihe zu. “Was ist denn mit dem los?”, fragte ich in die Runde. Es war Ben, der mir antwortete. “Er ist schon länger ein Einzelgänger. Besser gesagt seit ca. drei Jahren.” “Ich verstehe das nicht!”, entgegnete ich ihm. “Er ist doch ein super Typ!?” “Ich hatte nie wirklich viel mit ihm zutun. Die Aktion mit seinen Songs war mir ziemlich egal, ich habe auch nichts gegen ihn.” Ich sah erst Ben, dann die anderen Drei an. “Ihr findet also nicht, dass er ein Freak ist, oder so?” “Nein, wieso auch!?”, meinte Tobi, “Er schreibt gute Songs und dran ist nichts lächerliches.” “Aber warum redet ihr dann nie mit ihm, obwohl ihr seht, dass er immer alleine ist?” “Hör mal, , der Kerl geht uns nichts an. Ich denke, er kommt auch so ganz gut klar. Wahrscheinlich kann er uns nicht mal leiden.” Vielleicht hatte Tobi ja recht, doch ich sah das immer noch etwas anders. Ich verabschiedete mich von ihnen, schulterte meine Tasche und ging zu Sascha nach hinten. “Hey! Wie geht’s heute so?”, begrüßte ich ihn. Jetzt drehte er seinen Kopf zu mir. “Ganz gut, denke ich.” Dann schwiegen wir einige Augenblicke, bis er schließlich wieder das Wort ergriff. “Was hast du da bei denen gemacht?” Ich meinte, einen Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme mitschwingen zu hören, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. “Ich habe auf dich gewartet und da haben die mich einfach angequatscht; sie sind ganz nett. Außerdem sind sie auch der Meinung, dass du kein Freak bist!” Seine Blick hatte er wieder auf den Tisch gerichtet gehabt, doch jetzt schoss sein Kopf förmlich hoch. “Das glaube ich dir nicht. Die ignorieren mich genauso, wie alle anderen auch!” “Das tun sie aber nicht, weil sie dich nicht leiden können, sie kennen dich ja nicht mal. Sie denken nur, dass du recht gut alleine klarkommst.” Ich konnte die Ungläubigkeit in seinem Blick lesen, also nickte ich kräftig, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Ganz langsam breitete sich auf seinem Gesicht ein zaghaftes Lächeln aus. Da kam mir meine Idee, die mir unter der Dusche gekommen war, wieder in den Sinn. “Also, ich habe einen tollen Plan, wie wir der ganzen Schule zeigen können, dass du keine Schwuchtel bist. Ich habe mir überlegt, dass du vielleicht so etwas wie ein Konzert geben könntest. Das würde dir die Chance geben, den Leuten zu zeigen, dass deine Songs gut sein und kein Müll. Natürlich musst du sie mir davor erst einmal vorsingen!” Mit jedem weiteren Wort wurde mein Grinsen breiter. Ich war begeistert von meiner Idee, die Frage war nur, ob Sascha das auch war. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, als er anfing zu lachen. Er konnte gereicht mehr aufhören. Jetzt war ich beleidigt; ich wollte ihm doch nur helfen! Gerade als ich vorhatte, ihn zu fragen, was das denn soll, kam er mir zuvor. “Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich mich vor die ganze Schule stelle und singe? Und auch noch meine eigenen Songs?” “Dann üben wir eben! Das wird schon, vertrau mir!” Ich versuchte, so viel Überzeugung und Ernsthaftigkeit in meinen Blick zu legen, wie nur möglich, aber Sascha war immer noch skeptisch. Also redete ich ihm noch eine Weile gut zu, bis er schließlich einwilligte. Wir hatten noch gut 10 Minuten zeit, bis der Unterricht beginnen würde. Deshalb beschloss ich, mir meine Klasse einmal genauer anzusehen. Tobi und seine Freunde saßen zwei Reihen vor mir und Sascha, Natalie und ihre Mädels direkt daneben. Ansonsten hatte ich mit noch niemandem gesprochen und kannte auch ihre Namen nicht. Um ehrlich zu sein, war hier keiner, der mich wirklich interessierte. Außer dieses wundervolle Mädchen von gestern. Verträumt wanderte mein Blick weiter zu den hinteren Reihen und bei meiner blieb ich hängen. Es war schon fast ein Schock für mich, was ich da sah. Da saß sie, dieser bezaubernde Engel, der mir nicht mehr auf dem Kopf gehen wollte. Ihr Platz lag am anderen Ende der Reihe, und so lagen ca. 2 Meter zwischen uns. Sie starrte aus dem Fenster in den Regen und ich starrte sie an. Ich konnte einfach meinen Blick nicht von ihr abwenden, als sie sich plötzlich umdrehte und mich direkt ansah. ‘Mein Gott, diese Augen!’ Ich hatte noch nie etwas schöneres gesehen. Sie waren irgendwie hart und kalt wie die düsterste Nacht, aber sie strahlten auch eine gewisse Traurigkeit und Einsamkeit aus. Natürlich könnte ich mir das mit meiner Fantasie auch eingebildet haben, denn sie schaute viel zu schnell wieder weg, als ob sie es nicht ertragen könnte, wenn ihr jemand direkt in die Augen sah. Sie war schon seltsam, aber genau das faszinierte mich an ihr so sehr. Sie war anders als die gackernden Mädchen, die mir sonst immer hinterherliefen. Ihr schien ich egal zu sein. Wahrscheinlich hatte sie bis zu diesem Augenblick nicht einmal gewusst, das es mich überhaupt gab. Ich verspürte den Drang in mir aufkommen, sie zu berühren, aber das würde sie wohl nur verschrecken. Allerdings konnte ich diesem Drang kaum widerstehen, also beschloss ich, sie anzusprechen. Ich wollte gerade aufstehen und zu ihr hinüber gehen, als der Lehrer den Raum betrat. Beschissenes Timing. Ich brummte genervt vor mich hin und packte meine Sachen aus. In der ganzen Stunde hatte ich nicht einmal dem Unterricht gelauscht. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem zarten Engel in meiner Reihe. Als dann die Schulglocke ertönte, seufzte ich erleichtert auf. Die nächste Stunde hatten wir auch in diesem Raum, also konnte sie mir nicht davonlaufen. Ich stand auf und ging in einem gemütlichen Tempo auf ihren Platz zu. Sie schien mich nicht bemerkt zu haben, doch als ich meine Hände auf der anderen Seite ihres Tisches aufstützte, fuhr sie erschrocken herum. Kurz starrte sie mich an und senkte schließlich ihren Blick auf ihren Schoß. “Hi!” “Was willst du von mir?” Verdammt! Ich hatte gedacht, ihre Augen wären das unglaublichste an ihr, doch ihre Stimme machte ihnen ordentlich Konkurrenz. Sie war so weich und samtig, aber auch irgendwie geheimnisvoll, als wollte sie nicht zu viel von sich preisgeben. Mir spukten so viele Gedanken im Kopf herum, sodass ich sie einfach nur anstarren konnte. Langsam rutschte sie mit ihrem Stuhl nach hinten. Ich zog verwundert eine Augenbraue nach oben, doch dann fiel mir ein, dass ich noch gar nicht auf ihre Frage geantwortet hatte. “Ich - - - “ “Setzt euch und Ruhe bitte!” Ich drehte mich um und funkelte meinen Lehrer wütend an. ‘Warum müssen die immer im falschen Augenblick kommen?’, fragte ich mich im Stillen und ging zurück zu meinem Platz. Ich hätte schwören können, dass Jeanne ein erleichterter Seufzer entwichen war. Mit gerunzelter Stirn setzte ich mich auf meinen Stuhl. ‘Was hatte sie bloß gegen mich?’ Sascha sah mich neugierig an, doch ich gab ihm mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass ich darüber jetzt nicht reden wollte. Auch diese Stunde flog an mir vorbei, ohne dass ich etwas mitbekam. Zwar hatte ich gehofft, dass Sascha sich mit seinen Fragen zurückhalten würde, aber wirklich daran geglaubt hatte ich nicht. Als dann die erlösende Schulglocke ertönte, wollte ich schnell aus dem Zimmer flüchten, doch Sascha hielt mich am Arm gepackt zurück. “Was wolltest du denn bei Jeanne?” Mir entwich ein genervtes Seufzen und ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen. “Nichts, nur mal ‘Hallo’ sagen…” “Aha. Und, hat sie mit dir geredet?” er hörte sich so an, als würde er gleich vor Neugier platzten. “Nicht wirklich.” “Mensch, Finn. Muss ich dir denn alles aus der Nase ziehen?” “Ich will jetzt nicht darüber reden, okay!?” meine Stimme klang gereizter als beabsichtigt, aber das war mir in dem Moment egal. Sascha schien es mir nicht übel zu nehmen. Die nächsten Stunden vergingen und Sascha sprach mich kein einziges Mal mehr auf Jeanne an. Wahrscheinlich hätte ich es sowieso nicht mitbekommen, denn in meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Ich hatte so viele Fragen: Warum war sie ständig alleine, weshalb hatte sie so schreckhaft auf mich reagiert und warum hatte sie mir nicht einmal in die Augen geschaut? Ich war so damit beschäftigt, Antworten zu finden, dass ich fast nicht bemerkt hätte, wie alle aufstanden und zur Cafeteria gingen. Den ganzen Weg über sprachen Sascha und ich kein Wort. Wir belegten den selben Tisch wie am vorherigen Tag und aßen schweigend. Ich war wieder so in meine Gedanken versunken gewesen, sodass ich die drei Jungs erst bemerkte, als der Stuhl neben mir quietschend über den Boden gezogen wurde. Überrascht schaute ich auf und blickte in das grinsende Gesicht von Tobi. Auf der anderen Seite des Tisches hatten Ben und Chris Platz genommen und winkten mir beide fröhlich zu. Etwas verunsichert drehte ich mich zu Sascha um, doch ihn schienen die drei nicht zu stören. “Hey, alles klar bei dir?”, begrüßte mich Tobi. “So wie immer, alles bestens.” “Hast du vorhin wirklich Jeanne angesprochen?”, fragte mich Chris neugierig. “Ja, habe ich.” “Ich rate dir eins, halt dich lieber von ihr fern. Sie ist zwar total heiß, aber auch irgendwie seltsam. Bisher hat sie jeden Jungen abgewiesen, also mach dir besser keine Hoffnungen!”, klärte mich Tobi auf. “Was wisst ihr über sie?” “Sie sitzt immer alleine, meist in der hintersten Reihe. In der Mittagspause ist sie immer dort drüben und zeichnet. Ich glaube, sie hat keine Eltern mehr, irgendein Unfall, als sie noch klein war. Sie ist vor zwei Jahren hier her gezogen. Manche sagen, dass sie nach ihrem Abschluss wieder weggehen wird, oder schon vorher.” “Mahr wisst ihr nicht?” ich erntete nur allgemeines Kopfschütteln. “Mann, gib’s auf. Such dir lieber eine Andere!”, meldete sich Sascha zu Wort. “Hier laufen so viele hübsche Mädels rum, da wirst du doch eine finden, die dir gefällt!” Ich musst seufzen. “Aber alle, mit denen ich bis jetzt gesprochen habe, sind entweder zu aufdringlich, kindisch oder schon vergeben!” Jetzt wurde ich mit lauten Protesten bombardiert. Die ganze Pause über diskutierten wir darüber, welche Mädchen uns gefielen und welche nicht. Es überraschte mich allerdings ein wenig, dass Sascha so gelassen mitmischte und lachte, aber es machte mich glücklich zu sehen, dass er sich offensichtlich mit ihnen anfreundete. Die Pause ging schneller vorbei, als gedacht, und als es dann zum Unterrichtsbeginn klingelte, waren wir die Letzten in der Cafeteria. Hektisch packten wir unsere Sachen zusammen und rannten in den Physiksaal. In diesen zwei Stunden gelang es mir endlich wieder aufzupassen. Der Unterricht verging schnell und endlich saß ich in meinem Wagen und fuhr nach Hause. Doch da jetzt niemand mehr da war, der mich hätte ablenken könne, kehrten meine Gedanken zu Jeanne zurück. Sie war wirklich außergewöhnlich. Es musste hart für sie sein, ohne Eltern zu leben. Vielleicht war sie deshalb so schreckhaft. Bis ich zu Hause war, spekulierte ich weiter, doch ich kam zu keinem sinnvollen Ergebnis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)