All You Wanted von Nikolaus (Taichi x Yamato) ================================================================================ Kapitel 2: I Wanted Everything (Taichi) --------------------------------------- ~ Taichis POV ~ „Taichi Schatz, beeil dich, sonst kommst du zu spät zur Schule.“ „Ja ja“, erwiderte ich gelangweilt und stocherte in meinen Cornflakes herum. Träge schwammen sie in der Milch und sahen schon von weitem sehr wässrig aus. Angeekelt schob ich die Schale von mir und meine Mutter nahm sie, schüttete den Inhalt weg und stellte die Schale in die Spülmaschine. Sie wischte sich ihre Finger an der hellrosa Schürze ab und lächelte mich an. Meine Mutter war ein ehemaliges Model und arbeitete nun als Redakteurin in einer bekannten Modezeitschrift. Von ihrer Schönheit und ihrer perfekten Figur hatte sie trotz des langen Büroaufenthaltes immer noch nichts verloren und einige Journalisten hasteten ihr sogar jetzt noch hinterher. Ich wusste, dass sie das glücklich machte. Und mich machte es glücklich, weil ich damit immer noch der Sohn einer berühmten Frau war. Nicht, dass mein Vater nicht genügend zu bieten hatte. Mit seiner Anwaltskanzlei vertritt er sogar die großen Stars aus Hollywood und Tokio, doch ich bekam ihn nur selten zu sehen und Anwälte waren in meiner Schule nur halb so bekannt wie Models. „Die werden es mir schon nicht krumm nehmen, wenn ich ein bisschen zu spät komme.“ „Ach, Schatz“, lächelte sie nur liebevoll und strich mir durchs Haar. Murrend schob ich ihre Hand fort. Ich mochte es nicht, von ihr wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Immerhin war ich achtzehn und könnte, wenn ich wollte, ausziehen. Sie hatte doch noch meine kleine Schwester, wieso betätschelte sie nicht Hikari? „Du solltest abends lieber weniger mit deinen Freunden feiern. Auf alle Fälle nicht bis so spät in die Nacht.“ „Ach ja? Was sollte ich denn dann machen?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. „Such dir einen netten Freund und verbring mit ihm die Abende. Das wäre sicherlich sinnvoller“, erwiderte sie achselzuckend und setzte sich vor mich an die kleine Theke. Schon wieder. Ich seufzte leise. Sie versuchte nun schon seit Ewigkeiten mich dazu zu bringen, mir einen Freund zu suchen. Ich hatte meiner Mutter nicht verschwiegen, dass ich schwul sah, darin sah ich keinen Grund. Sie hatte es positiv aufgenommen und schien es sogar richtig toll zu finden, dass ihr einziger Sohn auf Männer stand und somit unfähig war, die edlen Gene ihres Blutes weiter zu geben. Dennoch war ich mir sicher, dass dies Hikari bereitwillig übernehmen würde. „Wenn ich nicht schwul wäre, hättest du das nicht gesagt“, konterte ich grinsend. „Dann hättest du zu viel Angst, dass ich sie bei einem nächtlichen Abenteuer schwängern würde.“ „Aber ein Junge kann nun mal nicht schwanger werden“, meinte sie nur lächelnd und strich sich eine braune Haarsträhne elegant aus dem Gesicht. Ihre Finger waren lang und grazil, eigentlich nicht geschaffen für die Arbeit in der Küche, doch sie bestand darauf zu Kochen. Nur das Putzen musste unsere Hausfrau übernehmen. „Stimmt.“ „Na also. Such dir doch einen Jungen in deiner Schule, es muss doch einen Guten unter all deinen Verehrern geben.“ „Mum, die meisten wissen gar nicht, dass ich schwul bin“, erinnerte ich sie und schälte eine Banane. Knabberte kurz an ihrem milchiggelben Inhalt und schob sie mir in den Mund. „Es sind eigentlich nur Mädchen, die mir hinterher laufen.“ „Aber es muss doch einen Jungen geben, der dir gefällt“, erwiderte sie zweifelnd. „Natürlich“, sagte ich und es war noch nicht einmal gelogen. Es gab einen Jungen, der mir mehr als nur gut gefiel, aber ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt überhaupt seinen Namen zu erfahren. Außerdem bezweifelte ich, dass er sich mit mir abgeben würde und es würde meinem Ruf schaden, wenn ich es tat. „Wen denn?“, fragte meine Mutter neugierig und lehnte sich ein Stück vor, um jedes einzelne Flüstern von mir zu erhaschen. Sie war furchtbar neugierig, egal worum es ging. Hikari mochte es nicht, da sie ihre meisten Affären lieber geheim halten wollte, doch mich störte es nicht. Sie war meine Mutter, sie würde es so oder so erfahren. Und bevor sie noch einen Privatdetektiv auf mich ansetzte, konnte ich es ihr gleich sagen. „Keine Ahnung wie er heißt.“ „Ist er denn hübsch?“ „Klar, sonst würde ich nicht auf ihn stehen. Denkst du etwa, dass ich mit dem Zweitbesten zufrieden geben würde?“ Meine Mutter lachte ihr glockenhelles Lachen und warf den Kopf in den Nacken, sagte: „Natürlich nicht, Schatz. Allerdings musst doch seinen Namen wissen, sonst kannst du ihn gar nicht ansprechen.“ „Ansprechen?“, wiederholte ich perplex. „Wieso sollte ich ihn ansprechen wollen? So wie der schaut, wird er mich wahrscheinlich umbringen, wenn ich in seiner Nähe auch nur den Mund aufmache! Wirklich Mum, da behalte ich sein Bild doch lieber im Kopf und benutze es so, als dass ich das Risiko aufnehme von ihm ermordet zu werden.“ „So schlimm?“, fragte sie mitleidig. Ich schnaubte. „Weiß ich eigentlich gar nicht. Ich sehe ihn ab und zu auf dem Gang, weiß weder seinen Namen noch sonst etwas von ihm. Aber er sieht gut aus. Und ein paar meiner Freunde haben mir erzählt, dass er nicht der Freundlichste ist. Soll aber ganz gut in der Schule sein.“ „Na dann, worauf wartest du noch? Er wäre perfekt!“, lächelte sie mich glücklich an. „Er könnte dir ein bisschen in der Schule helfen und du bringst ihm bei, wie man nett und freundlich ist. Wäre das nicht ein Deal? Und falls er wirklich so schlimm sein sollte, wie du denkst, kannst du immer noch einen Rückzieher machen.“ Es war klar, dass sie Letzteres erst gar nicht dulden würde. Und ich ebenfalls nicht. Wenn ich es auf jemanden abgesehen hatte, dann wollte ich diesen jemand auch. Dennoch war ich mir nicht so sicher, ob ich es bei diesem Jungen versuchen wollte. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich bei ihm unsicherer als normalerweise. „Ja ja“, sagte ich abwesend und winkte mit der Hand der Luft herum. „Ich… geh jetzt in die Schule.“ Meine Mutter sah einen Augenblick verwirrt aus, dann wuschelte sie mir durch die Haare und ich ging aus der Küche. Im Flur schnappte ich mir meine Autoschlüssel und rief kurz nach meiner Schwester, doch sie musste schon aus dem Haus sein, denn es kam keine Antwort. Also verließ ich ohne sie das Haus und fuhr zur Schule. _ Missmutig schlug ich die Türe meines Wagens zu und sperrte ab. Ich war doch noch zu spät gekommen. Eigentlich wäre das nicht passiert, aber ich hatte nicht mit dem großen Stau auf der Hauptstraße gerechnet. Dieser hatte sich quälend langsam dahin gezogen, wie ein zäher Kaugummi, der einem nicht von der Schuhsohle weichen wollte, und dafür gesorgt, dass die Uhr nun schon viertel nach Acht anzeigte. Dazu kam der strömende Regen während der Fahrt, der sich nun glücklicher Weise eingestellt hatte. Hastig eilte ich zum Schultor, öffnete es und rannte über den Hof. Schwüle Luft waberte um mich herum, ein deutliches Zeichen dafür, dass es bald wieder anfangen würde zu regnen. Die Türe öffnete sich vor meiner Nase, als ich gerade die Hand danach ausstreckte, und mein Herz blieb stehen. In der Erwartung, einen Lehrer zu sehen, der mich nur zu gerne in die Liste derer Eintrug, die wegen Zuspätkommen nachsitzen mussten, kniff ich die Augen zusammen. „Morgen Yagami“, sagte eine tiefe Stimme. Ich öffnete die Augen und sah erleichtert zu dem Hausmeister, der mit der Zigarette im Mund und dem üblichen Lächeln auf den Lippen vor mir stand. „Morgen“, erwiderte ich und grinste. „Stau?“ „Aber so was von!“ „Na dann mach mal lieber, dass du in deine Klasse kommst“, lachte er, wie als wäre es furchtbar amüsant, dass der Kapitän der Schulmannschaft nun schon zum dritten Mal in dieser Woche zu spät kam. Ich nickte ihm nur zu und rannte durch den Gang, hin zu meinem Spind. Eilig kramte ich mein Mathebuch heraus, wobei mir einfiel, dass ich die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Egal, dachte ich nur und stopfte es in meine Tasche. Meine Mathelehrerin mochte mich nicht, aber dies beruhte auf Gegenseitigkeit. Gerade als ich durch den Gang rannte, um ein mögliches Nachsitzen zu vermeiden, hörte ich Stimmen. „… nicht immer helfen kann“, sagte die Eine und nur einen Augenblick später, konnte ich Shusuke sehen, mein Sandkastenfreund und der zweite Stürmer in unserer Fußballmannschaft. Seine schwarzen Haare standen noch wirrer von seinem Kopf ab als sonst und anhand der Tatsache, dass Yuri, der Mittelfeldspieler mit den katzengrünen Augen und dem wasserstoffblondem Haar, leicht gerötete Wangen hatte, war mir sofort klar, dass die beiden gerade ein paar gemütliche Minuten in der Wäschekammer gehabt hatten. Zwar schienen Shusuke und Yuri nach außen hin etwas gegen Schwule zu haben, und ich zweifelte auch gar nicht daran, dass sie nicht wirklich etwas gegen sie hatten, doch das hinderte sie nicht daran miteinander zu schlafen. Ob sie eine wirkliche Beziehung hatten, wusste ich nicht, dafür verhielten sie sich zu unauffällig, aber es wäre vorstellbar. Shusuke ging gerade einen Schritt nach vorne, auf eine Person zu, die ich nicht sehen konnte. Aber ich konnte mir denken, was die beiden da schon wieder taten. Ihre sadistische Ader war ausgesprochen groß und zehn Extrarunden bei jedem Training schienen ihren Elan für solche Aktivitäten auch nicht zu mindern. Yuri kicherte neben ihm, das hohe Kichern eines sechzehnjährigen Mädchens, dessen Stimme noch immer etwas heiser von den vorherigen Schreien war. „Shusuke?“, sagte ich hastig und sah, wie Shusuke eine Gestalt von sich stieß, die mit einem unangenehmen Geräusch an die Wand prallte. Ich hörte ein Seufzen und zwischen den beiden Rüpeln erkannte ich ein blondes Mädchen, das entkräftet an der Wand hinunter rutschte und nach ihrem Rucksack tastete. „Was sollte das denn werden?“ „Wonach sah es denn aus?“, erwiderte Shusuke trocken, offensichtlich verärgert, weil ich ihn davon abgehalten hatte das Mädchen zu Brei zu schlagen. „Wir wollten nur ein bisschen Spaß haben.“ Yuri gab ein zustimmendes Murren von sich und verschränkte die Arme vor der Brust, seine Wangen waren noch immer leicht gerötet. Hinter ihm hatte sich das Mädchen aufgerappelt und mit leichtem Schrecken sah ich, dass es gar kein Mädchen war. Es war ein Junge. Der Junge, den ich so oft auf dem Gang gesehen und von dem ich meiner Mutter vor ein paar Minuten noch erzählt hatte. Seine goldblonden Haare hingen ihm in feuchten Strähnen ins Gesicht, welches sich sofort rosa färbte, als seine blauen Augen mich erblickten. Ich lächelte ihn an, doch er starrte nur verschreckt zurück. Etwas entmutigt wandte ich mich von ihm ab und Shusuke zu. „Ein bisschen Spaß, ja?“ Shusuke zuckte desinteressiert mit den Schultern und nickte. Kurz blickte ich noch einmal zu dem Jungen, musste allerdings feststellen, dass er schon verschwunden war. „Denkt ihr nicht, dass euer Abenteuer in der Wäschekammer schon genug Spaß war?“, fragte ich gereizt. Dass der Junge einfach so verschwunden war, gefiel mir nicht. Viel zu gerne hätte ich seine Stimme gehört, wenn er sich bei mir bedankte. Doch so wie es aussah, würde es wohl nicht dazu kommen und momentan war ich noch zu unentschlossen, ob ich darüber nun wütend oder glücklich sein sollte. „Was? Wie kommst du denn auf so einen Mist?“, fauchte Yuri und seine Wangen färbten sich dunkelrot. Noch immer war seine Stimme heiser. „Schwer die Anzeichen zu übersehen“, sagte ich und deutete auf sein Gesicht und Shusukes verstrubbelte Haare. „Falls ihr das nächste Mal in der Schule übereinander herfallt, solltet ihr einen Kamm dabei haben. Und möglicherweise etwas warten, bis ihr wieder aus der Kammer raus kommt.“ Shusuke war selbst derjenige gewesen, der mir von seiner Affäre zu dem blonden Erben erzählt hatte, aber nun sagte er: „Wie kommst du darauf, dass ich Yuri vögeln würde? Diesen Idioten fass ich nicht mal an, wenn du mir eine Millionen Yen bereit stellst.“ Yuri zuckte zusammen und warf Shusuke einen verletzten Blick zu, den dieser nicht zu bemerken schien. „Wirklich?“, fragte ich. „Klar“, sagte Shusuke achselzuckend und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Was denkst du denn? Ich bin nicht schwul. Niemals.“ Ich schwieg mich dazu aus. Allein Yuris Gezeter, dass er nachher über sich ergehen lassen müsste, würde Strafe genug für ihn sein. Schon jetzt verschränkte Yuri die Arme vor der Brust und sah Shusuke böse an, überspielte geschickt seine Verletztheit. Hastig drehte ich mich um und warf einen suchenden Blick durch den Gang, in der Hoffnung noch einmal den Jungen sehen zu können, während ich im Hintergrund schon Yuri keifen hören konnte. _ Endlich konnte ich Frau Nakata und ihren endlosen Reden über japanische Dichter und Schriftsteller entfliehen. Es war die reinste Hölle gewesen geschlagene zwei Stunden ihrem Vortrag lauschen zu müssen, in dem Wissen, dass ich heute morgen die perfekte Gelegenheit verpasst hatte, den fremden Jungen anzusprechen. Ich packte meine Sachen zusammen und verließ eilig das Klassenzimmer, bevor Frau Nakata noch auf die Idee kam, mir ein Referat über Dichter aufzudrücken und stieß prompt mit Shusuke zusammen. Seine linke Wange war rot und bei näherem Hinsehen, konnte ich den zarten Abdruck einer Handfläche erkennen. Also hatte es Ärger im Liebesparadies gegeben, wie geahnt. Doch Shusuke sagte nichts dazu, als ich ihn fragend anblickte und meinte nur: „Gehen wir runter in die Cafeteria, ich brauch was zu Essen.“ „Ist gut“, erwiderte ich grinsend. Essen gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen und selbst wenn das Essen dort unten nicht das Beste war, schlang ich es doch jedes Mal hinunter, wie das letzte Abendmahl vor meinem schrecklichen Tode. Ich hatte mir schon öfters vorgestellt, vor meinem wirklichen Tod ein Bankett zu veranstalten, damit ich nicht hungrig sterben musste. „Yuri zickt rum“, rückte Shusuke schließlich mit der Sprache heraus, als wir uns gerade an einen Tisch setzten. Toshi und Fu kamen zu uns herüber und begrüßten uns mit dem für die Fußballmannschaft typischen Handschlag. „Und das nur, weil ich das vorhin gesagt habe.“ „Weil du was gesagt hast?“, fragte Fu neugierig. „Nichts was dich angehen könnte“, fauchte Shusuke sauer. „Uh, Yuri-chan hat dich doch nicht etwa auf Entzug gesetzt Shusuke, oder?“, grinste Toshi schadenfroh, der schon lange nach Gelegenheiten suchte sich darüber lustig zu machen, dass Shusuke zwar Schwule verabscheute, es aber anscheinend selbst war. Meiner Meinung nach, kam er vielleicht einfach nicht mit sich selbst aus, doch diesen Gedanken verwarf ich jedes Mal wieder, wenn ich sein selbstverliebtes Handeln sah. Bevor Shusuke etwas auf Toshis Anspielung sagen konnte, kam Yuri zu uns ließ sich neben mich sinken, ignorierte beflissentlich die Blicke der anderen. Schweigend fing er an zu essen, hieb auf seinen Reis vielleicht etwas heftiger ein, als unbedingt nötig gewesen wäre und auch sein grimmiger Gesichtsausdruck verriet, dass er noch immer sauer war. Shusuke rutschte auf seinem Stuhl herum und schob sein Essen von sich, murmelte leise: „Kannst es haben, Tai.“ „Wirklich? Gut“, sagte ich und zog es hastig zu mir heran. Ohne Yuri anzusehen, zupfte Shusuke an seiner Serviette herum und sagte seufzend: „Sorry, Yu.“ „Fick dich“, fauchte Yuri leise und Shusuke gab ein erleichtertes Seufzen von sich. Überrascht sah ich auf, bemerkte die Blicke meiner Kameraden, die genauso ratlos schienen wie ich. War es das? Hatten sie sich mit diesen wenigen und nicht gerade sehr freundlichen Worten einfach wieder vertragen? Anhand der Tatsache, dass Yuri sich nun zwischen mich und Shusuke setzte und zuließ, dass dieser einen Arm um seine Schultern schlang, mussten wir es uns eingestehen. „Ihr seid krank“, brummte Toshi, der offensichtlich etwas Spektakuläres erwartet hatte und von dieser schlichten Entschuldigung enttäuscht war. Ich grinste nur und schaufelte weiter mein Essen in mich hinein, schließlich hatten wir heute ein großes Training vor uns und dafür musste ich fit sein. Ein lautes Geräusch aus den hinteren Ecken der Cafeteria lenkte mich nach einer Weile jedoch ab. Kurz sah ich zu meinen Freunden, doch auch sie beobachten das Geschehen hinter mir. Also drehte ich mich um und erblickte drei Jungen. Zwei kannte ich, den dritten nur vom Sehen. Mike, ein bulliger Austauschschüler aus den USA, und Hiroyuki, der Torwart meines Teams, schubsten einen blonden Jungen herum. Zwar sah er nicht schwächlich aus und wehrte sich mit Händen und Füßen, doch Hiroyuki und Mike waren in der Überzahl. Grob entwanden sie ihm seine Schultasche und warfen sie über seinem Kopf hin und her. Hinter ihnen konnte ich Herrn Heiji erkennen, doch dessen Aufmerksamkeit schien auf etwas ganz anderes an der Ausgabe gerichtet. „Hey, Mike!“, rief ich, als dieser gerade versuchte, den Blonden in den Schwitzkasten zu nehmen. Mikes Kopf ruckte hoch. „Was macht ihr da? Jüngere Schüler schikanieren?“ „Ach was“, sagte Mike nur und zuckte die Achseln. Von Hiroyuki kam der Kommentar, den ich nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag hörte: „Wir wollten nur ein bisschen Spaß.“ Wut stieg in mir auf. Darüber, dass anscheinend mehrere Leute es spaßig fanden, ihre Mitschüler herum zu schubsen und ihnen Schmerzen zuzufügen. Sie waren doch sonst nicht so, was war denn nur in letzter Zeit los? „Lass ihn los oder ich werd gleich ein bisschen Spaß mit dir haben“, rief ich sauer und hörte, wie Shusuke und Fu hinter mir zu lachen anfingen. Toshi ließ ein lautes Pfeifen hören und johlte zustimmend. Es gab mir ein gutes Gefühl von meinen Freunden so unterstützt zu werden und meine Wut verrauchte. Ich wusste, wenn jemand versuchte, sich solche Späße mit mir zu erlauben, würden sie mir helfen und umgekehrt. Mit einem unglaublich gestärktem Selbstbewusstsein beobachtete ich, wie Hiroyuki und Mike den Jungen losließen und verschwanden. Der Junge strich sich die Klamotten glatt, griff nach seiner Tasche und sah zu mir hinüber. Offensichtlich unsicher, ob er nun zu mir kommen oder einfach wieder gehen sollte. Ich nahm ihm diese Entscheidung ab, indem ich auf ihn zu kam, flankiert von Shusuke und Toshi. „Alles wieder okay?“, fragte ich und musterte ihn. Er nickte. „Danke“, sagte er lächelnd und sah bewundernd zu mir auf. Ich hatte dieses Verhalten schon öfters gesehen. „Das war wirklich nett von dir.“ „Kein Problem, er ist schließlich Schulsprecher, er muss das tun“, grinste Toshi und stützte lässig seinen Ellenbogen auf meiner Schulter ab. Ich lachte und sagte: „Stimmt. Außerdem soll man sich doch um die Zukunft kümmern, nicht wahr? Also, bock mit an unseren Tisch zu kommen und etwas über den Schock zu essen?“ „Klar!“, sagte der Junge und strahlte. „Und… oh, ich hab mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Ishida Takeru“, fügte er hastig hinzu und ich schüttelte seine ausgestreckte Hand, stellte ihm Toshi und Shusuke vor. Er folgte uns zu unserem Tisch und setzte sich neben mich. Ich nahm mir die Zeit ihn zu mustern, während er anfing, sich mit Yuri und Fu zu unterhalten. Takeru war recht groß, ich schätzte sein Alter auf sechzehn. Seine blonden Haare waren wirr, erinnerten an Shusukes Mähne und seine blauen Augen strahlten eine unbändige Freude aus, die nicht ganz zu seinen ernsten Gesichtszügen passen wollte. Der augenscheinlich muskulöse Körper war in einen hellroten Pullover und zerschlissene Jeans gehüllt. Er erinnerte mich dunkel an jemanden, doch momentan fiel mir nicht ein, an wen. Das Gespräch von Takeru und Yuri war inzwischen zu dem Thema Fußball über gegangen und es stellte sich heraus, dass Takeru Fußball nicht nur abgöttisch liebte, sondern es sogar selbst spielte. Zwar in keinem offiziellen Verein, doch die Begierde, mal an einem Mannschaftstraining teilnehmen zu dürfen, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Als sich die Mittagspause dem Ende zu neigte, standen wir auf. Zusammen mit Toshi und Fu hatte ich jetzt Chemie, ein Fach mit einem netten Lehrer, das aber leider an sich schon schrecklich langweilig war. Ich beugte mich kurz noch einmal zu Takeru hinunter und sagte: „Komm nach der Schule zum Trainingsplatz. Wenn du Lust hast kannst du bei unserem Training mitmachen.“ Takeru starrte mich ungläubig an, stotterte dann vollkommen überwältigt: „Was? Oh… klar… natürlich, gerne!“ Ich grinste zu ihm hinunter und winkte ihm nur noch ein letztes Mal zu, dann machte ich mich zusammen mit Toshi und Fu auf den Weg zu Chemie. _ „Echt?“ „Ja“, versicherte ich Takeru nun schon zum sechsten Mal. „Du warst wirklich gut, Takeru. Glaub mir. Ich hab selten jemanden so spielen gesehen wie dich…“ „Danke“, nuschelte Takeru leise und lief leicht rosa an, lehnte sich tiefer in seinem Sitz zurück. Nach dem Training war die Mannschaft wie üblich in eines der vielen Schnellrestaurants Japans gegangen und hatte sich unter lautem Gegröle und missbilligenden Blicken der anderen Gäste, den Bauch voll geschlagen. Ich hatte Takeru eingeladen, aus einem einfachen Impuls heraus. Es hatte sich nicht als Fehler heraus gestellte. Takeru war ein netter Junge, er war lustig und erinnerte mich stark an mich selbst. Viel hatte er nicht von sich erzählt, aber seine große Leidenschaft für die Sportart mit dem runden Lederball war während des Abends immer offensichtlicher geworden. Als ich dann vorhin Fu zu Hause absetzte, meinte auch dieser, dass wir Takeru unbedingt in der Mannschaft bräuchten. „… und ich hätte dich gerne in der Mannschaft“, fügte ich beiläufig hinzu und hielt an einer roten Ampel. „Was?“ Große Augen starrten mich an. „Wirklich?“ „Klar.“ „Natürlich… natürlich! Liebend gern“, lachte Takeru und krallte seine Hände aufgeregt in den Sitz unter ihm. „Das ist wirklich… einfach der Hammer. Danke Tai. Das bedeutet mir echt viel.“ „Kein Problem“, erwiderte ich achselzuckend. „Allerdings solltest du dich nicht zu früh freuen, du musst erst das Aufnahmespiel bestehen, sonst wäre es unfair den Anderen gegenüber.“ Und ich hatte deutlich bemerkt, dass Yuri ihn als eine Art Konkurrenten ansah. Ob es daran lag, dass sie beide im Mittelfeld spielten oder daran, dass Shusuke immer wieder interessiert zu Takeru geblickt hatte, wusste ich nicht, aber ich wollte Yuri keinen Grund zur Beschwerde geben. Er nörgelte jetzt schon genug. „Oh, das macht nichts“, sagte Takeru, über beide Ohren grinsend. „Ist doch selbstverständlich. Ähm… hier links.“ Er deutete auf eine kleine Seitenstraße und ich bog gehorsam ab. Vor einem großen Gebäude brachte ich das Auto zum Stehen und sah mich um. Es war keine schöne Gegend, die Häuser waren grau und verdreckt, die Mülleimer quollen über. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Takeru hier lebte. „Wohnst du wirklich hier?“, fragte ich zweifelnd, aber Takeru lachte nur. „Es sieht schlimm aus, nicht? Keine Angst, unsere Wohnung ist sauberer und gemütlicher, als alles, was ich bisher gesehen habe.“ „Reinliche Mutter?“, grinste ich. „Nein“, lachte er. „Nur Yama - Yama ist mein Bruder und sorgt für alles, was mir und Dad über den Kopf steigt“, fügte er auf meinen irritierten Blick hinzu. Die Tatsache, dass er seine Mutter ausgelassen hatte, überging ich elegant. Takeru öffnete die Türe und schnappte sich seine Sporttasche vom Rücksitz. „Danke, dass du mich mitgenommen hast“, sagte er höflich und lehnte sich an den Türrahmen des Autos. „Und fürs Essen. Wann ist das Spiel?“ „Mal sehen“, antwortete ich und zuckte mit den Schultern. „Ich sag dir Bescheid, aber all zu lange kann es nicht dauern.“ „Gut.“ „Äh... Halt!“, sagte ich hastig, als mir gerade einfiel, an wen Takeru mich die ganze Zeit so erinnert hatte; der Junge von heute morgen. „Wie heißt dein Bruder doch gleich?“ „Yama. Eigentlich Yamato“, sagte Takeru perplex. „Wieso?“ „Sieht er so aus wie du?“, fragte ich und überhörte seinen Einwurf. „Ja. So in etwa. Etwas kleiner und schmaler. ´n bisschen wie ein Mädchen.“ Er machte ein erschrockenes Gesicht, wie als hätte er etwas Falsches gesagt und biss sich auf die Lippe. „Sag ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe“, warnte er mich hitzig. „Er tötet mich, wenn er das erfährt.“ Ich lachte laut auf. „Keine Angst. Er wird von mir nichts erfahren.“ „Wieso willst du das eigentlich wissen?“, fragte Takeru erneut und setzte sich halb auf den Beifahrersitz, die Tasche auf dem Schoß. „Kennst du ihn etwa?“ Er sagte das in einem Ton, wie als könnte er sich nie und nimmer vorstellen, dass sein Bruder so jemanden wie mich ansprechen würde. „Noch nicht“, entgegnete ich wahrheitsgemäß. „Aber bald.“ „Wenn du willst, stell ich ihn dir vor“, sagte Takeru gleichgültig, offenbar vermutete er, dass ich nur deshalb damit angefangen hatte. „Er müsste bald nach Hause kommen. Es macht ihm sicher nichts aus, wenn du bis zum Essen bleibst.“ „Nein, danke“, winkte ich ab und startete erneut den Motor. „Vielleicht ein anderes Mal.“ „Okay.“ Er schulterte seine Tasche, verabschiedete sich vor mir und rannte beschwingt die Treppe zu dem Hausblock hinauf. Einen Moment sah ich ihm hinter her, dann fuhr ich nach Hause. Während ich an einer roten Ampel wartete, setzte sich in meinem Kopf der Gedanke fest, dass ich Yamato kennen lernen wollte. Und nicht nur das. Ich wollte, dass Takeru in meine Mannschaft kam, selbst wenn er noch etwas zu jung war. Und ich wollte Yamato haben – ganz und gar. Part II END ♠ Vielen lieben Dank für die Kommentare zu dem letzten Kapitel *verbeug* Wie ihr gemerkt hat, gibt es leider keinen Wochentakt zum Hochladen. Da ich dieses Jahr meinen Abschluss schreibe, wird es wohl eher monatlich passieren Ich hoffe, das ist für euch nicht all zu tragisch. Alles Liebe, Nikolaus ♠ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)