Everlasting von julien (Ruki x Kai) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Everlasting - Kapitel 1 „Kai, ich muss jetzt wirklich los“, nuschelte Ruki in die Halsbeuge seines Freundes, der trotzig den Kopf schüttelte und ihn gleich noch fester an sich ran zog. Seit gut 20 Minuten versuchte der Gazette Sänger schon ziemlich erfolglos aus dem Bett zu kommen. Heute stand ein Fotoshooting an und eigentlich hatte schon vor geraumer Zeit sein Wecker geklingelt, aber erst hatte Ruki noch ein bisschen kuscheln wollen und jetzt ließ Kai ihn nicht gehen. Ganz freiwillig wollte er natürlich auch nicht aus seinem schönen, warmen Nest aufstehen, aber die Arbeit rief nun mal und zur Abwechslung wollte er mal pünktlich zu seinem Termin erscheinen. Langsam aber sicher hatte er nämlich den Ruf eines notorischen Zuspätkommers weg. Endlich lockerte Kai seinen Griff und sah Ruki schmollend aus kleinen Augen an. Es war nicht zu übersehen, dass er noch ziemlich müde war, was angesichts der Tatsache, dass sie nicht vor 5 ins Bett gekommen waren und selbst dann noch nicht gleich geschlafen hatten, auch nicht verwunderlich war. Ruki selbst wäre auch viel lieber wieder ins Bett gekrochen, aber mit einem starken Kaffee, einem Energiedrink und seinen Zigaretten würde er die nächsten Stunden schon überstehen. Gut, das war nicht besonders gesund, aber so war sein Lebensstil nun mal. „Schlaf doch noch etwas“, schlug Ruki vor, während er schnell in die Klamotten vom Vortag schlüpfte, die auf dem Boden vor dem Bett lagen. Kai grummelte etwas unverständliches, rollte sich auf die Seite des Bettes, auf der Ruki bis eben geschlafen hatte, und presste sein Kopfkissen an seine Brust. Ruki musste automatisch lächeln und nachdem er sich fertig angezogen hatte, beugte er sich kurz über Kai, um ihm einen Abschiedskuss zu geben. Allerdings hatte er die Rechnung nicht mit dem Drummer gemacht, der ihn sofort wieder auf sich zog. „Kai!“, kicherte Ruki, „komm schon, mach dir ein paar nette Gedanken und heute Nachmittag bin ich doch wieder da.“ „Rufst du mich an, wenn du im Fotostudio bist?“, fragte Kai und ließ ihn endlich los. Er setzte sich auf, fuhr sich einmal durch die verwuschelten Haare und angelte ebenfalls nach seinen Anziehsachen. „Ja, mach ich. Stehst du auch auf?“ Ruki gab ihm sein T-Shirt und sah dabei zu, wie Kai es überzog. „Ich geh eben schnell `ne Runde mit Koron. Mag mal an die Luft. Wirst du abgeholt?“ Ruki schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte heute mal mit der Bahn fahren.“ „Wieso?“ Kai sah ihn verwundert an. Ruki hasste öffentliche Verkehrsmittel. Entweder bestellte er sich einen Fahrer, nahm sich ein Taxi oder ließ sich von Kai fahren, weil er selbst keinen Autoführerschein besaß. „Weiß nicht. Ich wollte mal wieder was Normales machen“, war seine knappe Antwort. Eine bessere Erklärung hatte er auch nicht. In den letzten Tagen hatte ihn das seltsame Bedürfnis überkommen, wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen und mehr wie ein normaler Mensch zu leben und nicht wie ein verwöhnter Superstar, der er ja auch nicht war. „Pass auf dich auf, okay?“ Kai war aufgestanden und mit ihm zur Haustür gegangen, wo Koron, in freudiger Erwartung darauf, dass Ruki mit ihm spazieren gehen würde, um seinen Besitzer herumsprang. Ruki beugte sich kurz zu ihm und streichelte ihn, schaute dann zu Kai und verdrehte die Augen. Allerdings verkniff er sich einen Kommentar, schnappte sich seine Tasche und den Haustürschlüssel, und gab Kai noch einen kurzen Kuss auf den Mund. „Bis später!“ * Einige Stunden später stieg Ruki in Shibuya aus dem Zug und bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmassen zum nächsten Ausgang. Es war schon wieder verdammt heiß und er überlegte kurz, ob er die schwarze Kapuzenjacke, die er trug, nicht doch ausziehen sollte, aber in Shibuya wäre das glatter Selbstmord gewesen. Zwar war er mittlerweile wieder abgeschminkt, in seinen normalen Klamotten und versteckte seine Augen hinter einer Sonnenbrille, aber die Fangirls lauerten ja bekanntermaßen überall und dort, wo man sie am wenigsten erwartete, also behielt er seine Jacke lieber an und versteckte seine blonden Haare unter der Kapuze. An der nächsten Ecke riss er einem jungen Mädchen, das mit Werbung bedruckte Papierfächer verteilte, einen der Fächer praktisch aus den Händen und rannte stracks in die Richtung, in der der Klamottenladen lag, in dem er ein paar Sachen bestellt hatte. Vorhin hatte er den Anruf bekommen, dass die Sachen zur Abholung bereit lagen und wo Ruki sowieso schon unterwegs war, konnte er das auch selbst erledigen, anstatt wieder jemanden zu schicken, weil er zu faul oder beschäftigt war. Eigentlich war Ruki recht zufrieden damit, wie der Tag bisher gelaufen war. Die Fotos waren super geworden und er hatte auch schon ein paar Ausdrucke der besten Bilder bekommen. Die würde er Kai später zeigen, sie würden es sich gemütlich machen und das nachholen, was sie am Morgen angefangen hatten. Das Leben konnte schon toll sein. Sie hatten gerade eine lange Tour durch Japan hinter sich und deswegen etwas mehr Freizeit als gewöhnlich. Vielleicht würden sie ja auch ganz spontan nochmal für ein paar Tage verreisen. Ruki hielt sich noch eine ganze Weile in Shibuya auf. Nachdem er seine Sachen abgeholt hatte, aß er schnell einen Happen, ehe er sich in ein paar weitere Läden stürzte und seine Kreditkarte glühen ließ. Fast fühlte er sich ein wenig schlecht dabei, denn er wusste genau, dass er das meiste von dem teuren Kram vielleicht einmal anzog. Wenn überhaupt. Er liebte es einfach, sich neu einzukleiden und darüber vergaß er auch schließlich die Zeit. Wegen dem Fotoshooting war sein Handy noch auf lautlos gestellt und so bemerkte er zunächst die ganzen Anrufe und Nachrichten seines Freundes nicht. Erst als er müde wurde und sein Telefon aus der Tasche zog, merkte er, wie spät es eigentlich war und dass er gar nicht daran gedacht hatte, Kai anzurufen, wie er versprochen hatte. Er wählte schnell seine Nummer und musste gar nicht lange warten, denn Kai hob sofort ab. „Hey, sorry, ich hab irgendwie die Zeit vergessen“, entschuldigte er sich, während er sich auf den Weg zurück zum Bahnhof machte. „Schon okay. Wann kommst du denn?“ „Halbe bis Dreiviertelstunde würde ich sagen. Soll ich noch irgendwas mitbringen?“ „Gute Laune!“, erwiderte Kai und Ruki konnte genau an seiner Stimme raushören, dass Kai grinste. Ganz automatisch musste er auch grinsen. „Ich hab doch immer gute Laune“, schmunzelte er und erntete dafür einen amüsierten Lacher von Kai. „Ja klar. Unser Bandsonnenschein. Also, bis gleich!“ „Bis gleich!“ Ruki klappte sein Handy zu und steckte es zurück in seine Tasche, was etwas umständlich war, da er mittlerweile mit mehreren Tüten beladen war. Vielleicht sollte er doch ein Taxi nehmen? Nein, jetzt war er ja fast schon an der großen Kreuzung vorm Bahnhof und bei dem Verkehr würde das Taxi auch nicht schneller sein, sondern länger als die Bahn brauchen. Plötzlich hörte er Gekicher hinter sich und drehte sich im Gehen um, erkannte drei Mädchen mit Schuluniform, die sich die Hände vor den Mund hielten und zu ihm hinschauten. NEIN! Bisher war der Tag so gut gewesen, wieso mussten ihm jetzt diese albernen Gören über den Weg laufen? Er hatte sich zwar wieder weggedreht, konnte sie aber immer noch hören. Als eins der Mädchen etwas von „Ruki-chan“ erzählte, nahm er wirklich die Beine in die Hand. Dummerweise sprang die Fußgängerampel gerade auf rot um, als er die Kreuzung erreichte. Er überlegte nicht lange und lief trotzdem los, um sich in den labyrintartigen Bahnhof zu retten, ehe die Mädchen ihm folgen konnten. Abgelenkt durch die großen Monitore der Gebäude um ihn herum, wo gerade laut Werbung für eine der PSC Bands gemacht wurde und Ruki sich mal wieder fragte, was das eigentlich alles kostete und ob das wirklich nötig war für die anderen Bands, bemerkte er nicht, dass sich die Autos wieder in Bewegung gesetzt hatten. Um ihn herum hupte es, erschrocken sprang er zur Seite, dann gab es einen dumpfen Aufprall und um Ruki wurde alles schwarz. * Ruki wachte mit dröhnenden Kopfschmerzen auf und stellte blinzelnd fest, dass er nicht zuhause war. Wo genau er war, konnte er allerdings auch nicht erkennen, da seine Sicht verschwommen war. Scheiß Kurzsichtigkeit. Er sollte endlich diese verhasste Laser-OP hinter sich bringen! Er schaute neben sich und sah schemenhaft eine Brille auf dem Nachttisch liegen. Er nahm sie in die Hände, stellte aber fest, dass es nicht seine eigene war. Trotzdem setzte er sie probeweise auf und konnte überraschenderweise klar sehen. Und damit kam auch die Erkenntnis, wo er war. Im Krankenhaus! Sofort schaute er an sich runter und lugte unter die Bettdecke, bewegte vorsichtig alle Gliedmaßen, aber alles funktionierte einwandfrei. Hatten die Kopfschmerzen vielleicht etwas damit zu tun, dass er hier war? Er tastete an seinem Kopf nach einem Verband, fand aber keinen. Erst am Hinterkopf wurde er fündig und strich vorsichtig über die große, viereckige Bandage. Er hatte überhaupt keine Ahnung, was passiert war, dass er jetzt im Krankenhaus lag. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er gestern Abend mit Reita weg gewesen war. Danach war alles weg. Ob er vielleicht einfach eine Schwester rufen sollte? Die konnte ihm sicher sagen, was passiert war. Bevor er den Knopf jedoch drücken konnte, ging die Tür auf und Kai steckte seinen Kopf ins Zimmer hinein. Als er realisierte, dass Ruki wach war, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er schloss die Tür hinter sich und lief mit großen Schritten auf Ruki zu, setzte sich zu ihm auf die Bettkante und dann… nahm er seine Hand und wollte ihn küssen. Ruki konnte gerade so ausweichen und starrte Kai perplex an. Was sollte das denn? „Ähm. Ist ja toll, dass du dich freust mich zu sehen, aber lass das, okay?“, pflaumte er seinen Bandkollegen etwas unwirsch an und zog gleich die Decke etwas höher, um sich mehr darunter zu verstecken. Plötzlich brannten seine Wangen total. Was fiel Kai auch ein? Er war Bandleader, nicht seine Mutter und was auch immer mit Ruki passiert war, konnte gar nicht so schlimm gewesen sein, dass Kai ihn sogar küssen wollte. Kai war da scheinbar anderer Meinung, denn er sah Ruki mit in Falten gelegter Stirn an. „Wieso darf ich dich nicht küssen? Es ist doch niemand hier, der uns sieht“, sagte er langsam und wollte wieder nach Rukis Hand greifen, doch dieser war schneller und zog sie weg. Hatte Kai den Verstand verloren? „Der Arzt hat zwar gesagt, dass du etwas benommen oder verwirrt sein könntest, weil du auf den Kopf gefallen bist, aber jetzt bist du doch ein wenig komisch.“ Aha. Er war also auf den Kopf gefallen. Deswegen die Verletzung am Hinterkopf und die Tatsache, dass er im Krankenhaus aufwachte. „Also ich weiß ja nicht, was passiert ist, weil ich mich nicht erinnern kann, aber Kai, ehrlich, lass deine Hände und Zunge bei dir, okay?“, machte Ruki seinen Standpunkt klar. Er ließ sich doch hier nicht so von einem Kumpel anschwulen und es machte ja auch nicht den Anschein, als wäre er gerade dem Tod von der Schippe gesprungen, nur weil er hingefallen war. „Du erinnerst dich nicht? Aber wir sind doch zusammen, Ruki!“ „Bitte?“ Ruki schnappte nach Luft, ihm wurde mit einem Mal ganz schwindelig. „Nur weil wir am Samstag im Kino gewesen sind, heißt das nicht, dass wir zusammen sind! Ich gehe ständig mit irgendwelchen Leuten ins Kino!“ „Wir sind am Samstag überhaupt nicht im Kino gewesen. Da war unser Tourfinal“ „Wir haben Brokeback Mountain angeschaut!“, protestierte Ruki und bei der Erinnerung daran, stieg ihm die Röte ins Gesicht. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass es sich dabei um einen Film über Schwule handelte. Und ausgerechnet mit Kai hatte er so einen Film angeschaut. Er würde es natürlich nie zugeben, schon gar nicht vor sich selbst, aber irgendwie fand er Kai schon süß. Wenn er nicht gerade versuchte ihn zu küssen. Das ergab jetzt gar keinen Sinn. Doch, es ergab Sinn. Ruki stand nicht auf Männer und schon gar nicht auf dauergrinsende Drummer! Kai seufzte. „Also ich glaube, bei dir ist da oben was durcheinander geraten. Ich rufe besser einen Arzt.“ „Bei mir ist überhaupt nichts durcheinander geraten“, meckerte Ruki und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du lässt deine Hände bei dir und wir kommen klar. Erzähl mir lieber, wieso ich hier liege.“ „Du bist in Shibuya angefahren worden, weil du bei rot über die Straße gelaufen bist“, erklärte Kai ruhig, während er den Rufknopf für die Schwester drückte. „Der Fahrer sagte, du wärst ihm plötzlich vor den Wagen gesprungen und er hätte zwar abgebremst, dich dabei aber noch erwischt. Naja, zum Glück ist ja nichts weiter passiert. Du hast nur eine Platzwunde und eine leichte Gehirnerschütterung. Und ein bisschen vergesslich scheinst du auch…“ Den letzten Satz überhörte Ruki geflissentlich. Er war überhaupt nicht vergesslich. Er konnte sich zwar nicht daran erinnern, wie es zu dem Unfall gekommen war, aber er konnte sich an alles erinnern, was bis gestern Abend passiert war. Tourfinal? Also das hätte Ruki sicher mitbekommen. Wahrscheinlich wollten ihn die anderen etwas verarschen, jetzt wo sich die Gelegenheit dazu bot. Kai hatte ihn in letzter Zeit ja auch ganz schön geneckt. Das hier gehörte sicher dazu. Schließlich öffnete sich die Tür und ein Arzt trat ein, dicht gefolgt von einer Krankenschwester. Der Arzt blätterte auf seinem Klemmbrett herum, stellte sich Ruki als Fujishima-san vor und erklärte ihm etwas über seine Kopfverletzung, was Ruki aufgrund der vielen Fachtermini nicht richtig verstand. Nun, Platzwunde und Gehirnerschütterung erklärten sowieso genug. Den Typen, der ihn angefahren hatte, würde er später verklagen! „Ihre Verletzung ist nicht besonders schlimm. Heute behalten wir Sie zur Beobachtung noch mal da, morgen können Sie dann nach Hause“, erklärte der Arzt zuversichtlich und Ruki nickte. Zwar hatte er keine Lust hier zu übernachten, aber es hätte ihn auch schlimmer treffen können. Der Arzt sprach noch kurz mit ihm über die Medikamente, die er bekam, verabschiedete sich dann schon wieder, allerdings hielt Kai ihn zurück. „Ich glaube, er hat sein Gedächtnis verloren. Er redet so komisch mit mir und kann sich an so vieles nicht erinnern“, teilte Kai ihm mit, wofür Ruki ihn am liebsten schon wieder geohrfeigt hätte. „Ich habe nicht mein Gedächtnis verloren. Sonst würde ich dich doch gar nicht erkennen!“ Langsam reichte es Ruki. Kai wollte doch nicht ernsthaft den Arzt mit in sein kleines Spielchen ziehen! „Nun, es gibt verschiedene Arten von Gedächtnisverlust. Können Sie mir das heutige Datum sagen?“, sagte dieser allerdings mit ernstem Gesichtsausdruck. Ruki überlegte kurz. Er wusste nicht genau, welchen Tag sie hatten. „Paarundzwanzigster März“, sagte er schließlich überzeugt. Das musste reichen. Wieso nur sah der Arzt ihn jetzt so besorgt an? Kai wurde auch ganz blass. „Und das Jahr?“ „2006.“ * Kai wartete mit dem Rest der Band, ihrem Manager und zwei Mitarbeitern ihres Plattenlabels vor Rukis Zimmer, solange der Arzt weitere Untersuchungen machte. Kai hatte den anderen davon erzählt, dass Ruki scheinbar auf dem Stand von 2006 war, allerdings war das nur solange interessant gewesen, bis die Nachricht an sie gedrungen war, dass Ruki nicht von einem Auto angefahren worden war, sondern von einem der eigens von der PSC geheuerten Trucks, die in Shibuya zu Promotionzwecken eingesetzt wurden und ebenfalls Werbung für die Bands des Labels machten. Nachdem ihr neues Album „DIM“ im Juni erschienen war, waren täglich bis zu 5 schwarze „Gazette“-Trucks durch die Gegend gefahren. Jetzt, zwei Monate später, hatte das Label sein Augenmerk wieder etwas mehr auf Alice Nine gerichtet und so war es einer der Trucks dieser Band, der Ruki umgehauen hatte. Reita, Uruha und Aoi fanden diese Tatsache mehr als lustig und konnten gar nicht damit aufhören blöde Sprüche über Ruki und das Alice Nine Attentat zu reißen, dabei konnten sie echt von Glück reden, dass der Unfall so glimpflich ausgegangen war. Kai hatte sich zu Tode erschreckt, als das Krankenhaus ihn benachrichtigt hatte, nachdem er schon vergeblich auf Ruki gewartet hatte. Er hatte schnell das nötigste für seinen Freund zusammen gepackt (Kai wusste ja, wie pingelig und eigen Ruki sein konnte), und war ins Krankenhaus gefahren, wo sein Freund leblos wie eine Porzellanpuppe in seinem Bett gelegen hatte. Als sich die Tür öffnete und der Arzt, wieder gefolgt von der Schwester, heraustrat, verstummten alle und sahen erwartungsvoll zum Arzt. „Ihr Freund leidet scheinbar an einer retrograden Amnesie, das bedeutet in seinem Fall, dass die letzten 3 ½ Jahre temporär aus seinem Gedächtnis gelöscht sind. Das ist bei einer Kopfverletzung allerdings nichts Ungewöhnliches und sollte sich in den nächsten 7-14 Tagen von alleine wieder legen. Sie können ihm auch dabei helfen, indem sie ihm Fotos, Videos oder sonstiges zeigen, was seine Erinnerung stimuliert.“ „Muss er jetzt im Krankenhaus bleiben?“, schoss es sofort aus Kai heraus, der natürlich nichts lieber wollte, als Ruki bei sich daheim, auch wenn das mit der Amnesie sicher kompliziert werden würde. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig. 3 Jahre sind keine so lange Zeitspanne, als dass er sich jetzt nicht mehr zurecht finden würde. Allerdings wäre es besser, wenn sich jemand um ihn kümmert, bis er wieder auf dem Damm ist. Und wenn irgendetwas ist, zögern Sie nicht und kommen Sie vorbei.“ Kai hoffte, dass der Arzt Recht hatte und Ruki sich bald wieder erinnern würde. Momentan hatte er ein ganz schön ungutes Gefühl im Bauch. Ruki war ganz schön ruppig zu ihm gewesen und hatte scheinbar Null Interesse an ihm. Zwar wusste er, dass es nicht Rukis Schuld war, aber ein wenig verletzt hatte ihn sein Verhalten schon. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ihn auch prompt Aoi und legte freundschaftlich einen Arm um Kais Schultern. „Das mit Ruki wird schon wieder.“ „Hoffentlich“, presste Kai hervor. Er wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn Ruki sich nicht mehr erinnern konnte. Im März 2006 waren sie noch lange von einer Beziehung entfernt gewesen, weil beide ziemlich dickköpfig gewesen waren. Davon abgesehen würde es natürlich auch Probleme mit der Band geben, denn musikalisch lag 2006 ebenfalls lange zurück. Tbc.... A/N: Diese Trucks sind da im Sommer echt pausenlos rumgefahren. Den von A9 haben wir zwar nie gesehen (außer auf Fotos), aber die von Gazette waren wirklich überall in Shibuya und Harajuku^^ Kapitel 2: ----------- War Ruki anfangs noch fest davon überzeugt, dass man ihm wirklich nur einen großen und in seinen Augen extrem unlustigen Streich spielte, dämmerte es ihm bald, dass ihm tatsächlich über 3 Jahre fehlten. Spätestens nachdem er den Fernseher angeschaltet und die Nachrichten geschaut hatte, musste er sich geschlagen geben. Es war September 2009 und er hatte nicht die geringste Ahnung davon, was zwischen März 2006 und jetzt passiert war. Das machte ihm Angst. Er kam sich wie ein kleines, hilfloses Kind vor und das hasste er. Er wusste ja noch nicht mal, wo er mittlerweile wohnte. Auf den Entlassungspapieren hatte eine ihm völlig unbekannte Adresse gestanden. Hatte er etwa nicht mehr seine coole (und leicht chaotische) Wohnung in Nakano? Und die Sache mit Kai… die bereitete ihm schlimmere Kopfschmerzen als seine Platzwunde es jemals könnte. Er konnte sich absolut nicht vorstellen, dass er mit dem Drummer zusammen war. Das war doch… absurd! Klar, Kai war ein netter Typ und rein objektiv betrachtet auch ganz niedlich, wenn er beispielsweise lächelte, aber er war ein Mann und Ruki war bisher nur mit Frauen zusammen gewesen. Mehr als eine freundschaftliche Umarmung hatte er für einen Kerl nicht übrig. Es gefiel ihm auch gar nicht, dass Kai ihn heute abholen und nach Hause bringen wollte. Er wollte keine Zeit mit Kai verbringen und schon gar nicht mit ihm alleine sein. Wer weiß, was Kai von ihm erwartete… Wobei... so ein Mensch war Kai ja auch wieder nicht, da tat Ruki ihm Unrecht, aber er hatte die Hosen trotzdem gestrichen voll, denn er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Während er seine Sachen packte, fühlte er sich, als wäre er auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung. Zu allem Überfluss fiel ihm dann auch noch sein Handy in die Hände, auf dessen Display ein Foto von ihm und Kai als Hintergrundbild eingerichtet war. Zwar war es ein völlig unverfängliches Bild, wo beide einfach nur in die Kamera lächelten, aber es reichte, um Ruki völlig aus der Bahn zu werfen. Er hatte einen Freund! Einen festen Freund! Schnell schaltete er sein Telefon aus und steckte es zurück in seine Tasche. Er würde es vorerst sowieso nicht brauchen, denn er wollte keine weiteren unangenehmen Überraschungen erleben, wenn ihn jemand anrief, den er dann nicht kannte. Mit seiner Mutter hatte er am Morgen gesprochen und auch dies war mehr als seltsam gewesen, weil er gar nicht richtig wusste, was er ihr erzählen konnte und was nicht. Wusste sie von ihm und Kai? Wer wusste überhaupt von ihnen oder hatten sie am Ende eine geheime Beziehung? All das würde er Kai wohl oder übel fragen müssen, aber ehrlich gesagt hatte er im Moment überhaupt keine Lust den Drummer zu sehen. Hoffentlich würde er ein bisschen Zeit für sich haben können, wenn er in seiner Wohnung war… bis seine Mutter kam. Die hatte nämlich für den Abend ihren Besuch angekündigt. Gut, Ruki konnte ja verstehen, dass sie besorgt war, aber abgesehen davon, dass er sich an ein paar Einzelheiten nicht erinnern konnte, ging es ihm ja gut. Er seufzte, als es an der Tür klopfte und kurz darauf Kai den Raum betrat. „Hey, hast du alles gepackt? Warte, ich helfe dir.“ Der Drummer eilte auf ihn zu und nahm ihm eine der zahllosen Tüten ab, die Ruki vom Bett genommen hatte. Ruki zuckte kurz zusammen, als sich ihre Hände berührten und auch Kai hielt inne, sah ihn stumm an und ließ dann fast die Tüten fallen. Natürlich war es Ruki nicht entgangen, wie traurig Kais Blick ausgesehen hatte, aber was sollte er machen? Er konnte nun mal nicht so tun, als wäre Kai sein Freund, wenn er das in seiner Welt einfach nicht war. „Hoffentlich ist das bald vorbei“, murmelte Kai und verließ das Zimmer. Der Meinung konnte sich Ruki ausnahmsweise anschließen, obwohl er sich sein Leben 2009 immer noch nicht vorstellen konnte. Aber vielleicht kamen mit der Erinnerung ja auch die Gefühle zurück. Vielleicht aber auch nicht, denn vorstellen konnte er es sich nicht. Er nahm den Rest seiner Sachen und folgte Kai, der im Gang vor dem Fahrstuhl wartete und die Wand daneben anstarrte. Ruki schaute unsicher zu ihm hoch und überlegte, ob er etwas sagen sollte, ließ es aber, da er keine Ahnung hatte, was der Situation angemessen wäre. Während sie noch im Auto saßen und sich anschwiegen, suchte Ruki in seiner Tasche nach seinen Schlüsseln für die Wohnung. Glücklicherweise hingen nur vier Schlüssel am Bund, wovon der kleinste wohl zum Briefkasten gehörte und der mit dem schwarzen Kopf zu einem Auto. Ein Auto? Er? Er hatte doch gar keinen Führerschein, oder doch? „Hab ich ein Auto?“, fragte er Kai, als sie an einer Kreuzung halten mussten, und hielt ihm den Schlüssel unter die Nase. „Nein, du hast ein Motorrad“, erklärte er und Rukis Augen leuchteten auf. Ein Motorrad! „Cool!“ „Aber vielleicht fährst du das erst, nachdem du dein Gedächtnis wiedergefunden hast“, schickte Kai nüchtern hinterher und schaute Ruki ernst an. Ruki wurde ein wenig nervös, als Kai mit ihm hoch in die Wohnung kam. Wahrscheinlich wollte er nur kurz sicher stellen, dass Ruki sich zurecht fand und alles hatte, was er brauchte. So war Kai eben. Man konnte ihn gar nicht nicht mögen. Die Wohnung war… überwältigend. Recht groß, hell und mit Möbeln ausgestattet, die verdammt teuer aussahen. Das alles konnte er sich leisten? Wow! Seine Gedanken wurden unterbrochen, als ein kleines dunkles Fellknäul bellend um die Ecke geschossen kam und an Ruki hochsprang. Er nahm den kleinen Hund auf die Arme, schaute ihn an, schaute Kai an. „Das ist Koron. Du hast ihn seit letztem Jahr“, erklärte Kai daraufhin, zog sich die Schuhe aus und hängte seine Jacke an die Garderobe. Ruki war verwirrt und sah sich um, weil er jemand anderes vermisste. „Wo ist Sabu-chan?“, wandte er sich an Kai, der ins Wohnzimmer gegangen war und ein Fenster geöffnet hatte. Es war ja gut und schön, dass er sich noch einen Hund zugelegt hatte, aber wieso begrüßte ihn denn Sabu-chan nicht? Er konnte ihn auch nirgends entdecken. Kai sah ihn nur stumm an und seufzte. „Reg dich jetzt bitte nicht auf, Ruki, aber Sabu-chan ist vor zwei Jahren gestorben.“ Ruki schnappte nach Luft und ließ sich auf einen Sessel fallen. Sabu-chan war nicht mehr am Leben? Sein süßer kleiner Sabu-chan, der so viele Jahre an seiner Seite verbracht hatte? Scheiße, jetzt musste er wirklich mit den Tränen kämpfen. „Hey…“ Kai war zu ihm geeilt und legte einen Arm um ihn. Ruki ließ es zu, weil er gerade viel zu geknickt war, um ihn wegzustoßen oder zurechtzuweisen. Außerdem tat in solchen Momenten eine Umarmung viel zu gut. „Ich weiß, dass er dir viel bedeutet hat, aber er ist alt und krank gewesen.“ Ruki kniff die Augen zusammen und wischte mit einem Ärmel darüber. Er versuchte sich zu sammeln und den Kummer runterzuschlucken. Es brachte ja auch nichts jetzt ein zweites Mal über Sabu-chans Ableben am Boden zerstört zu sein. Da war er sicher schon einmal durchgegangen. „Schon okay“, murmelte er schließlich und sah den neuen Hund auf seinem Schoß an. Kein Sabu-chan, aber irgendwie ja auch ganz niedlich. Er kuschelte sich auf seinem Schoß zusammen, als Kai ihn streichelte, und Rukis Herz machte bei dem Anblick fast schon wieder einen kleinen Hüpfer. Dann fiel ihm auf, wie nah Kai ihm gerade war und er versteifte sich wieder etwas. Kai merkte es scheinbar, denn er sprang fast sofort auf. „Soll ich dir was zu essen machen? Ich hab gehört, du hast im Krankenhaus fast nichts gegessen.“ Das stimmte, aber das Krankenhausessen war in Rukis Augen sogar noch schlimmer gewesen als das, das man immer im Flugzeug bekam. Da hungerte er doch lieber. Kais Angebot war zwar verlockend, aber er wollte jetzt lieber alleine sein und wenn er Hunger hatte, konnte er sich ja was kommen lassen. „Danke, das ist nett, aber ich habe gerade keinen Appetit. Du kannst auch ruhig gehen. Ich komm schon klar“, sagte er freundlich und hoffte, dass es auch so rüberkam und nicht so wie der Rausschmiss, der es eigentlich war. Kai, der gerade in die Küche hatte gehen wollen, stoppte abrupt und drehte sich zu Ruki, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Zweimal. Dann schockte er Ruki ziemlich. „Ruki, wir wohnen hier zusammen…“ „Was? Wir wohnen zusammen, ohne verheiratet zu sein?!“ Ja, er hatte etwas veraltete Ansichten, aber so war das eben in Japan, er war damit nicht alleine. Dann kam ihm ein neuer, noch schockierender Gedanke, den er auch gleich aussprechen musste. „Wir sind doch nicht verheiratet, oder? Bitte sag nicht, dass die Homoehe mittlerweile legal in Japan ist und wir genau das getan haben!“ Ruki und verheiratet? Dazu mit einem Mann? Das ging gar nicht! Schnell suchte er seine Finger nach dem verräterischen Ehering ab, doch im Krankenhaus war ihm aller Schmuck abgenommen worden und lag jetzt in einem kleinen Plastikbeutel in seiner Tasche. Er war immer davon überzeugt gewesen, dass er niemals heiraten würde. Die Ehe war einfach nichts für ihn. Er wollte sein Junggesellenleben genießen und wenn er sich doch verliebte, brauchte er eine altmodische Institution wie die Ehe nicht. Kai antwortete nicht sofort, sondern schaute ihn erst verletzt, dann fast schon wütend an. „Nein, sind wir nicht. Du kannst dich also wieder abregen“, fauchte er und verschwand türeknallend in der Küche. Ruki lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete tief durch. Das war jetzt nicht so gut gelaufen, aber er war verdammt noch mal erleichtert darüber, dass er nicht verheiratet war. Dass er Kai damit so vor den Kopf gestoßen hatte, tat ihm leid, aber Kai musste doch verstehen, wie verwirrend und seltsam das alles für ihn war. Er gab ihm ein paar Minuten, folgte ihm anschließend in die Küche, um sich zu entschuldigen. Kai stand am Fenster, hatte die Arme um sich geschlungen und starrte in den Hinterhof. Unsicher stellte sich Ruki hinter ihn und tippte ihm auf die Schulter, als Kai sich nicht von alleine umdrehte. „Es tut mir leid, Kai. Ich wollte nicht, dass es so rüberkommt. Das ist alles gerade nur so komisch für mich, verstehst du? Vielleicht essen wir doch was zusammen und dann erzählst du mir von uns“, schlug er leise vor und war mehr als erleichtert, als Kai sich zu ihm umdrehte und fast so etwas wie ein Lächeln zustande brachte. Nun, Ruki war nicht unbedingt scharf drauf, Details über seine Beziehung zu einem Mann in Erfahrung zu bringen, aber er wusste, dass er einen Schritt auf Kai zugehen musste und vielleicht würde es ihm ja auch dabei helfen, sein Gedächtnis wiederzufinden. * „Seit wann sind wir zusammen?“, durchbrach Ruki die Stille beim Mittagessen, nachdem sie einige Minuten schweigend gegessen hatten. Kai hatte von sich aus nicht angefangen von ihnen zu erzählen, also nahm Ruki jetzt seinen Mut zusammen und stellte die Fragen, die ihn interessierten. Kai sah ihn an und lächelte, schien sich darüber zu freuen, dass er etwas Eigeninitiative zeigte. „Seit dem 23. Juli 2006“, sagte er und bei Ruki machte etwas klick. „Oh Gott! Das ist ja bald schon!“, stieß er hervor und trank erst mal einen Schluck. Noch vier Monate, bis er und Kai zusammen kamen. Und vorher mussten ja schon Gefühle da gewesen sein. Damit stellte sich automatisch die Frage, ob da nicht doch jetzt schon etwas war, was Ruki nur ignorierte oder angesichts seiner komischen Situation beiseite geschoben hatte. Er wurde etwas rot um die Nase und wusste gar nicht, was er jetzt noch sagen sollte. Kai lächelte ihn an und nickte. „Ja. Es ist dann irgendwie recht schnell gegangen, aber wir haben uns ja auch gezwungenermaßen oft gesehen und konnten uns gar nicht aus dem Weg gehen. Am Anfang war’s schon irgendwie komisch, aber… naja es hat halt geklappt und es sind jetzt über drei Jahre.“ „drei Jahre schon? Wow!“ Damit war Kai die längste Beziehung, die er je gehabt hatte. Vorstellen konnte er sich das aber immer noch nicht. „Ja, drei Jahre. Vielleicht verstehst du jetzt auch, dass mir das ganze hier ziemlich schwer fällt. Dass ich dich nicht anfassen kann und so.“ Ruki biss sich auf die Lippe. Jetzt fühlte er sich wie ein Arschloch. „Tut mir leid.“ „Schon okay. Ich bin es halt einfach zu sehr gewöhnt, dich um mich zu haben. Aber wenn du in zwei Wochen eh wieder der alte bist…“ Ruki nickte und aß weiter. Ob seine Amnesie wirklich so schnell vorüber gehen würde? Er hob seinen Arm und tastete etwas auf seinem Hinterkopf rum. Seine Verletzung war zwar nicht besonders groß, pochte aber dennoch ganz schön trotz der Schmerzmittel und die letzte Nacht war auch nicht besonders angenehm gewesen. Zwar schlief er am liebsten auf dem Bauch ein, aber irgendwann hatte er sich im Schlaf auf den Rücken gedreht und war von den Schmerzen wach geworden. „Also wenn du noch was fragen willst, nur raus damit.“ Ruki grübelte. Es gab da schon etwas, was er noch wissen wollte, auch wenn es ihm etwas unangenehm war, das zu fragen. „Also… haben wir… Sex?“ Da war es ausgesprochen und seine Ohren glühten regelrecht. Was für eine bescheuerte Frage. Wenn sie seit drei Jahren zusammen waren, hatten sie ganz bestimmt Sex! Kai schaute ihn überrascht an, grinste dann und schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. „So was interessiert dich?“, gluckste er und nahm einen Schluck von seinem Wasser, woran er sich prompt etwas verschluckte und loshickste. „Naja, es soll ja auch schwule Paare geben, die zwar zusammen sind, aber nicht bis zum Äußersten gehen“, verteidigte sich Ruki schmollend. „Ach ja, ich kann mich erinnern, dass du das damals auch gesagt hast. Aber wenn ich das mal so direkt sagen darf: wir sind relativ schnell im Bett gelandet und dies nicht nur auf meine Initiative hin.“ Kai grinste breit, wahrscheinlich schwelgte er gerade in Erinnerungen, während Ruki am liebsten von seinem Stuhl unter den Tisch gerutscht wäre. Klar, er mochte Sex und er war ja auch nur ein Mann, der sich ein kleines Schäferstündchen sicher nicht entgehen ließ. Aber Kai war doch auch ein Mann! Er konnte sich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, dass sein Zukunfts-Ich schwul war. Und über Sex wollte er lieber nichts mehr wissen, weswegen er das Thema etwas umschwenkte. „Meine Mutter kommt heute Abend. Weiß sie von uns?“ „Offiziell nicht, nein“, erklärte Kai und legte seine Stäbchen beiseite, weil er fertig mit essen war. „Was heißt das?“ „Du hast es ihr nie gesagt, aber Mütter merken so was und außerdem weiß sie, dass wir zusammen wohnen.“ Na toll. Das brachte Ruki auch nicht wirklich weiter. Er konnte nur hoffen, dass seine Mutter einfach keine verfänglichen Fragen stellen würde. * Seine Mutter stellte natürlich verfängliche Fragen und was noch schlimmer war: sie hatte seine kleine Schwester Hiroko mitgebracht, die sich einen abgrinste. Tja, wenn Ruki jetzt nur wüsste, was dieses kleine Miststück alles wusste. Da Kai sich aus dem Staub gemacht hatte, um Ruki Zeit mit seiner Familie zu geben, konnte er ihn nicht mal danach fragen. Daneben verunsicherte sie ihn, weil sie ihm unbewusst verdeutlichte, wie viel Zeit eigentlich vergangen war. Als Ruki sie das letzte Mal im Frühjahr gesehen hatte, war sie gerade mal 19 gewesen. Jetzt war sie plötzlich dreieinhalb Jahre älter und viel erwachsener. War er auch so sehr gealtert? Er musste jetzt 27 sein. Scheiße, das war wirklich alt! Allerdings gab ihm seine Mutter nicht die Gelegenheit sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Zunächst musste er die üblichen Bemutterungen über sich ergehen lassen. Ob er denn auch genug aß und vor allem gesund, ob er genug schlief und nicht zu viel arbeitete. Natürlich wollte sie wissen, wie es zu dem Unfall gekommen war, aber das wusste Ruki ja selbst nicht so genau. „Ich hab doch gesagt, ich kann mich an die letzten dreieinhalb Jahre nicht erinnern“, motzte er, „das ist wegen der retrograden Amnesie. Also nerv mich nicht mit Sachen aus dieser Zeit!“ „Sprich nicht so mit deiner Mutter! Ich meine es doch nur gut mit dir. Kümmert sich Kai denn auch genug um dich?“, fragte sie, drehte Ruki kurzerhand herum und machte sich an dem Verband an seinem Hinterkopf zu schaffen, um sich die Verletzung anzuschauen, während Ruki es vorzog, nicht auf diese Frage zu antworten. Innerlich regte er sich sowieso gerade viel zu sehr darüber aus, dass seine Mutter ihn mal wieder wie einen kleinen Jungen behandelte. „Mensch, Takanori, du hast uns wirklich einen Schrecken eingejagt, als Kai gestern angerufen und von deinem Unfall erzählt hat. Wieso rennst du denn auch in Shibuya bei rot über die Straße? Schmeiß dich doch gleich vor die Yamanote“, redete seine Mutter weiter und schüttelte unablässig den Kopf, als sie die mit 10 Stichen genähte Platzwunde sah. „Das nächste Mal dann!“, patzte Ruki zurück und schüttelte den Arm seiner Mutter ab. Ihre Bevormundungen gingen wirklich zu weit. Er war 24! NEIN! Er war sogar 27! „Jedenfalls geht es mir sehr gut und ihr hättet nicht extra herkommen müssen“, sagte er, drehte sich wieder um und sah abwechselnd zu seiner Mutter und Hiroko, welche sogleich was von „endlich mal wieder Shoppen in Tokyo“ murmelte, während seine Mutter die Hände in die Hüften stemmte. Oh nein! „Würdest du dich mal öfter bei uns blicken lassen, wär das alles kein Thema, aber wir haben dich seit April nicht gesehen. Das sind fünf Monate! Wir kriegen ja gar nichts mehr von dir mit. Erzähl doch mal was. Wie läuft es so mit Kai?“ „Mama!“, setzte Ruki verzweifelt an. Hörte sie ihm denn gar nicht zu? Er hatte ihr klipp und klar gesagt, dass er sich an die letzten paar Jahre momentan nicht erinnern konnte. Wieso musste sie ihn ausgerechnet jetzt zu seiner Homosexualität befragen, die er doch selbst noch nicht entdeckt hatte? „Ich bin deine Mutter. Denkst du, ich würde dich weniger lieb haben, wenn du nun mal mit einem Mann zusammen bist?“ Ruki wurde knallrot. In Momenten wie diesen wollte er seine Mutter am liebsten umbringen. Aber sie sprach noch weiter. „Nach all dem, was du mir in den letzten Jahren zugemutet hast! Diese Obszönitäten in deinen Texten und auf der Bühne, die einem die Schamesröte ins Gesicht treiben, dein ganzer Lebensstil. Denkst du, da schockt es mich noch, wenn du mit einem Mann zusammen bist? Selbst dein Vater hat sich schon mehrmals erkundigt, ob du eigentlich schwul bist. Du bist jetzt 27. Langsam könntest du mal damit rausrücken! Wenn du Kai nicht bei deinem nächsten Besuch mitbringst, bin ich schwer enttäuscht von dir!“ Ruki öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, aber seine Mutter hatte schon die Hand gehoben. „Darauf musst du gar nichts sagen, Takanori. Lass dir meine Worte einfach durch den Kopf gehen und wenn deine Amnesie vorüber ist, sprechen wir nochmal. Du bist bei uns jederzeit herzlich willkommen und wir würden uns wirklich freuen, wenn du öfter mal vorbei kommen würdest. Wir sehen uns dann morgen, okay? Leg dich hin und schlaf etwas. Du siehst so aus, als könntest du es gebrauchen!“ * Unschlüssig stand Ruki in der Tür zum Schlafzimmer und starrte auf das Bett, das an der gegenüberliegenden Wand stand. Er war mittlerweile wirklich müde und wollte einfach nur schlafen, allerdings löste die Tatsache, dass es nur ein Schlafzimmer gab, ein ziemlich unwohles Gefühl in seinem Bauch aus. Nicht, dass er Kai etwas unterstellen wollte, aber… er fühlte sich einfach nicht wohl bei dem Gedanken, sich mit ihm ein Bett zu teilen, obwohl eigentlich nichts dabei war. Daneben wusste er auch gar nicht, auf welcher Seite des Bettes er immer schlief. Kai war bisher nicht nach Hause gekommen und Ruki wollte nicht länger auf ihn warten. Langsam ging er zum Bett, entschlossen anhand des Inhaltes der beiden Nachtschränkchen an den jeweiligen Seiten herauszufinden, wo er normalerweise schlief. In einer der Schubladen musste ja sicher persönliches Zeug von ihm drin stecken. Vorsichtig zog er die oberste Schublade auf, warf einen kurzen Blick hinein und knallte sie gleich wieder zu. Sexspielzeug. Das war mehr, als er hatte wissen wollen! Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was er und Kai so alles in ihrer Freizeit anstellten und in die anderen Schubladen wollte er jetzt auch nicht mehr gucken, denn er hatte keine Lust auf weitere, unangenehme Überraschungen. Auf welcher Seite des Bettes er eigentlich schlief, war ihm jetzt herzlich egal, Kai würde schon keinen Aufstand machen, und so legte er sich einfach hin, rollte sich zusammen und zog die Decke über sich, in der Hoffnung, dass doch alles nur ein böser Traum war und morgen alles wieder ganz normal sein würde. So müde er auch war, sein Geist kam zunächst überhaupt nicht zur Ruhe und spielte den ganzen Tag noch einmal in seinem Kopf durch. Ihm fehlten drei Jahre. Sein Hund war gestorben, er war in einer Beziehung mit einem Mann, obwohl er nicht mal schwul war und überhaupt schien sich gerade die ganze Welt gegen ihn verschworen zu haben. Er fühlte sich schrecklich einsam und alleine und konnte es nicht verhindern, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten. Er wollte einfach nur, dass das alles endlich vorbei war. ----- Nochmal ein herzliches Dankeschön an alle Kommischreiber vom letzten Mal. Ich hab die nächsten paar Kapitel schon auf Vorrat geschrieben, aber ich werd nur ca. einmal pro Woche updaten, damit ich nicht demnächst schon wieder unter dem Druck stehe, ständig was neues zu produzieren. Ein schönes Wochenende euch allen! Kapitel 3: ----------- Ruki wachte am nächsten Morgen zwar alleine im Bett auf, allerdings konnte er erkennen, dass Kai neben ihm geschlafen hatte. Naja, war ihm gerade relativ egal, denn passiert war ja nichts, außerdem hatte er gerade andere Sorgen. Sein Hinterkopf pochte unangenehm, aber wenigstens hatte er die Nacht durchgeschlafen und die Tabletten würden seinen Schmerzen jetzt den Rest geben. Ein Lob auf Painkiller! Im Badezimmer spülte er zwei Pillen mit etwas Leitungswasser herunter, beschloss anschließend gleich duschen zu gehen, weil er sich mittlerweile ein bisschen eklig fühlte. Er zog sich aus und stellte sich unter die Dusche, wusste dann aber nicht so recht weiter, denn mit der Platzwunde konnte er sich jetzt nicht einfach die Haare waschen. Davon hatte der Arzt ihm sowieso dringend abgeraten. „Scheiße!“, fluchte Ruki und stieg aus der Dusche, nachdem er sich nur gewaschen hatte. Er fühlte sich null erfrischt mit den knatschigen Haaren auf seinem Kopf und so würde er ganz sicher nicht auf die Straße gehen. Bestimmt müffelte er schon! Er trocknete sich ab, stieg in frische Shorts und versuchte anschließend, sich wenigstens einen Teil der Haare unter dem Waschbecken zu waschen, aber scheinbar war er auch zu blöd dafür, denn kaum dass er etwas Shampoo in seinem Pony verteilt hatte, lief ihm das auch schon in die Augen und brannte. „Verdammt!“ Jetzt hing er hier mit zusammen gekniffenen Augen im Waschbecken und wusste nicht weiter. Wie bekam er das Shampoo aus den Augen, wo er die doch nicht öffnen konnte, weil es dann noch mehr brennen würde. Reichte es denn nicht, dass ihm das Schicksal ohnehin schon übel mitgespielt hatte? Er konnte sich immer noch nicht erinnern und jetzt machte er sich wegen etwas banalem wie Haare waschen zum Deppen. Zu allem Überfluss stand jetzt auch noch Kai vor der Tür, klang besorgt und das schlimmste: Ruki musste ihn um Hilfe bitten, wenn er den Scheiß jemals aus den Haaren kriegen wollte, ohne dabei blind zu werden. „Ruki? Alles in Ordnung?“, fragte Kai, nachdem er angeklopft hatte. „Nein. Moment!“ Ruki wrang sich die Haare so gut es ging aus, tastete blind nach einem Handtuch, wischte sich damit das Shampoo aus den Augen und wickelte es schließlich um seine nassen Haare. Er öffnete Kai die verschlossene Tür, welchem natürlich gleich auffiel, was Ruki versucht hatte und ihn tadelnd ansah. „Der Arzt hat doch gesagt, du sollst dir die Haare nicht waschen, bis die Fäden gezogen sind“, erinnerte ihn der Drummer, was Ruki natürlich nicht vergessen hatte, aber wie eklig war es bitte, tagelang mit ungewaschenen Haaren rumzulaufen? „Ja, aber…“ Ruki fing an wild herumzugestikulieren, „Das ist doch widerlich! Ich muss sie einfach waschen. Hilfst du mir? Bitte?“ Er sah Kai so bettelnd an, dass dieser automatisch nickte und das Handtuch von Rukis Kopf wickelte. Dem fiel jetzt erst auf, dass er nur mit Shorts bekleidet vor Kai stand, aber… das ging jetzt nicht anders. Alle zwielichtigen Gedanken beiseite schiebend, ließ er sich von Kai zur Badewanne dirigieren. „Lass mich erst den vorderen Teil waschen. Beug dich über die Wanne, okay?“ Ruki tat wir ihm geheißen, obwohl er es doch sehr unangenehm fand, in genau dieser Pose vor Kai zu hocken und ihm sein Hinterteil geradezu anzubieten. Er biss die Zähne zusammen und redete sich immer wieder ein, dass es hier ja nur um’s Haare waschen ging. Er schloss die Augen, als warmes Wasser über seine Stirn, Gesicht und Hals lief, fand die anschließende kleine Kopfmassage, als Kai das Shampoo auftrug, aber ganz angenehm. Kai gab sich jedenfalls Mühe und so waren sie auch bald fertig, ohne dass ihm wieder das ganze Shampoo in die Augen lief. Auf Kais Anweisung hin setzte sich Ruki anschließend in die Wanne, damit er noch den Rest seiner Haare unterhalb der Wunde waschen konnte. Jetzt würden seine Shorts zwar nass werden, aber das war ihm egal. Er würde sich jetzt ganz sicher nicht vor Kai ausziehen. Als sie auch hiermit fertig waren und Ruki aus der Badewanne steigen wollte, hätte er sich fast wieder hingelegt, da der Boden nass und damit rutschig war. Kai hatte reagiert und ihn am Arm gepackt, ehe er sich nochmal irgendwo den Kopf anschlug. „Danke“, sagte Ruki ehrlich und wickelte sich wieder in sein Handtuch, lächelte Kai an. „Kein Problem. Sag nur Bescheid, wenn du mich brauchst“, erwiderte Kai und war dann auch wieder verschwunden. Ruki machte sich im Bad fertig, ging zurück ins Schlafzimmer und suchte in den Schränken nach etwas passendem zum Anziehen, fühlte sich dabei aber leicht überfordert, weil die Auswahl doch recht groß war. Schlussendlich zog er Sachen aus den Stapeln, die er noch von „seiner“ Zeit hatte und von denen er wusste, dass er sich darin wohl fühlte. „Wie war dein Treffen mit deiner Mutter?“, erkundigte sich Kai, als Ruki fertig angezogen in die Küche kam und sich an den Tisch setzte, um einen Kaffee zu trinken. „Ach, frag lieber nicht. Erzähl ich dir ein anderes Mal. Ich muss mich nachher nochmal mit ihr treffen. Hiroko ist auch mitgekommen“, seufzte Ruki. Allein bei der Aussicht auf das spätere Treffen bekam er schon wieder Kopfschmerzen. Hoffentlich würde seine Mutter nicht wieder in seiner Beziehung rumbohren, von der sie doch gar nichts wissen durfte und die Ruki ja auch noch gar nicht hatte. „Okay. Hör mal, ich hab überlegt… vielleicht willst du dir ja mal ein paar Sachen aus den letzten 2, 3 Jahren anschauen von uns. Also der Band. Vielleicht hilft dir das ja, dich zu erinnern. Dein Laptop steht im Wohnzimmer“, schlug Kai dann vor. Er stand gegen das Fensterbrett gelehnt und hielt selbst eine Tasse Kaffee in der Hand. Ruki fiel erst jetzt auf, dass er ziemlich lange Haare bekommen hatte und diese mit Highlights versehen waren. Er sah viel erwachsener und reifer aus, als Ruki ihn in Erinnerung hatte. Damals war er der immer lachende Kai mit der frechen Fransenfrisur gewesen. Jetzt war er so…männlich. „Ja, mach ich“, stimmte Ruki zu, obwohl er ein wenig Bammel davor hatte, sein „Zukunfts-ich“ zu betrachten. Es war dann auch tatsächlich recht seltsam sich die Konzertmitschnitte der letzten Jahre anzuschauen. Er hatte sich ganz schön verändert und er war sich nicht sicher, ob ihm alle diese Veränderungen gefielen. Vielleicht musste er sich auch nur daran gewöhnen. Die ganze Band wirkte so ernst, fast schon leblos und selbst Kai, der früher immer über alles und jeden gelacht hatte, war viel ruhiger geworden. Wahrscheinlich waren diese Veränderungen für eine solche Zeitspanne normal, aber sie lagen Ruki dann doch so schwer auf dem Herzen, dass er beschloss, sich nichts mehr anzusehen. Geholfen hatte es ja sowieso nicht. „Und, erinnerst du dich an irgendetwas?“ Ruki zuckte kurz zusammen. Er hatte Kai gar nicht kommen hören. „Nein. Es ist seltsam. Und außerdem… wir waren auf Tour in Europa? In Europa? Und ich kann mich nicht dran erinnern? Wie beschissen ist das denn bitte?“ Kai lachte nur, woraufhin Ruki die Stirn runzelte. „Daran willst du dich ja auch gar nicht erinnern“, erwiderte Kai, was Ruki nur noch mehr verwirrte. Kai klärte ihn auf: „Es hat dir nicht gefallen.“ „Wieso nicht?“ „Weil du eine kleine, verwöhnte Diva bist?“, grinste Kai und lief zum Esstisch in der Ecke des Raumes, wo sein eigener Laptop stand. Ruki beschloss, dass es besser war, nicht weiter nachzufragen. Ein weiteres traumatisches Erlebnis würde er jetzt nicht verkraften. Stattdessen stöberte er ein bisschen auf der Festplatte seines Computers herum, checkte was für Musik er mittlerweile hörte und las ein paar seiner Mails, aus denen er teilweise jedoch nicht schlau wurde. Außerdem war da noch ein Ordner, der unter dem Namen „Kai“ lief, den Ruki sich aber erst recht nicht traute zu öffnen. Am Ende siegte jedoch die Neugier – nachdem er sich vergewissert hatte, dass Kai mit seiner Arbeit beschäftigt war und nicht mitbekam, was Ruki machte. Sein Herz begann heftig zu pumpen, als er den Ordner doppelklickte und nachdem er einen kurzen Blick auf die Thumbnails der Dateien geworfen hatte, auch gleich wieder schloss. Der kurze Moment hatte gereicht, um einen Überblick über die zahllosen Fotodateien zu bekommen, die alle Kai zeigten – meist mit Ruki zusammen und in mehr oder weniger eindeutigen Pärchenposen. Er warf Kai einen Blick zu, der von alledem nichts mitbekommen hatte, klickte wieder auf den Ordner und schloss die Augen, während sich das Fenster öffnete. Er zählte leise bis 10, atmete dabei tief ein, nahm seine Hand von der Maus, damit er den Ordner nicht sofort wieder schließen konnte und öffnete schließlich die Augen. Was er sah waren jede Menge typische Pärchenfotos, meist mit dem Handy aufgenommen, auf denen sie sich küssten oder einfach nur aneinanderschmiegten und dabei bis über beide Ohren strahlten. Bei Kai wunderte ihn das nicht, der Drummer war ja für gewöhnlich gut gelaunt und immer lächelnd, doch sich selbst genauso strahlend zu sehen, war für Ruki doch sehr komisch und ungewohnt. Verstohlen schaute er zwischen Kai und den Fotos hin und her, bekam immer noch nicht in seinen Kopf rein, dass er mit ihm zusammen war. Und dies scheinbar richtig glücklich. Er öffnete die erste Datei und starrte das Foto an, das er scheinbar selbst mit seinem Handy gemacht hatte, und ihn in inniger Umarmung mit Kai zeigte, welcher mit geschlossenen Augen eine Hand in Rukis Haaren vergraben hatte und seine Lippen gegen seine Wange presste. Das nächste Bild war nicht viel anders, mit dem kleinen Unterschied, dass es diesmal Ruki war, der sich regelrecht in Kais Unterlippe verbissen hatte und dabei mit tiefem Blick in die Kamera starrte. Er machte Fotos wie Teenager es taten! Was zur Hölle sollte das? Er war ein erwachsener Mann! So ging es weiter, bis plötzlich Fotos auftauchten, die Kai und ihn im Bett zeigten. Zwar auch nur beim Küssen und kuscheln, dafür aber oberkörperfrei und das ging jetzt wirklich zu weit! Er klappte den Laptop zu und stand auf, lief einmal rastlos im Wohnzimmer hin und her, was natürlich Kais Aufmerksamkeit erregte, aber er hatte jetzt keine Lust mit ihm zu sprechen. „Ich geh mal schnell `ne Runde mit Koron“, brummte er, rief nach seinem kleinen Hund und war zwei Minuten später auch schon aus der Tür. Wirklich auskennen tat er sich hier noch nicht, deswegen beschloss er, einfach so oft um den Block zu laufen, bis er keine Lust mehr hatte oder bis es Zeit war, sich mit den beiden Grazien seiner Familie zu treffen. Er fummelte ein angebrochenes Päckchen mit Zigaretten aus seiner Jackentasche und steckte sich einen Glimmstängel einfach an. Er hatte keine Ahnung, wo die nächste Raucherzone war und wenn er von der Polizei erwischt wurde, war ihm das auch egal. Wäre ja sowieso nicht das erste Mal und die paartausend Yen konnte er gerade noch so verkraften. Diese ganze Sache mit Kai ging ihm einfach nicht in den Kopf und lag ihm irgendwie auch schwer im Magen. Was hatte sich damals nur ereignet, dass er plötzlich kein Interesse an Frauen mehr hatte? Früher hatte er nie, wirklich niemals, auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass er sich auch zu Männern hingezogen fühlen konnte. Fanservice, klar, damit kokettierten die meisten Bands ihres Genres, aber das war doch alles nur Show und seines Wissens nach war Kai auch nie schwul gewesen. Es war alles absurd! Er hätte ja gerne alles für einen Witz gehalten, aber nach diesen Fotos konnte er sich den Tatsachen auch nicht mehr entziehen. Sein Zukunft-ich war schwul! Schwul schwul schwul! Wie er dieses Wort, diese Kategorie hasste! Vielleicht war seine Amnesie ja auch ein Wink des Schicksals, die Möglichkeit, sich selbst wieder auf den richtigen Pfad zu bringen. Wenn er sein Gedächtnis gar nicht mehr zurück bekam, könnte er diesen ganzen Heck meck mit dem Schwul werden einfach umgehen. Da er ja jetzt wusste, dass er sich in spätestens vier Monaten in Kai verlieben würde (was, nebenbei bemerkt, unvorstellbar für ihn war), konnte er daran arbeiten, genau das zu verhindern. Dann musste er sich auch nicht mehr das Gelaber seiner Mutter anhören. Wehe die nervte ihn heute wieder damit! Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er langsam mal wieder in seine Wohnung zurückmusste, um sich für das Treffen fertig zu machen. Er rief Koron zurück, der mittlerweile in einem Park herumtollte, leinte ihn an und trat den Heimweg an. * Es war so unglaublich klischeehaft, dass Ruki am liebsten seine Sachen nehmen und abhauen wollte, als er in einer Kneipe saß und in sein halbleeres Cocktailglas starrte. Der Nachmittag mit seiner Mutter und Hiroko war relativ erträglich gelaufen, aber er war trotzdem froh gewesen, als die beiden sich endlich verabschiedet hatten und wieder nach Hause gefahren waren. Danach war Ruki ein bisschen durch die Stadt gestreift. Hier und da gab es neue Geschäfte, Gebäude waren aus dem Boden geschossen, aber insgesamt war Tokyo immer noch Tokyo und so waren ihm wenigstens in dieser Hinsicht weitere Schockmomente erspart geblieben. Als es langsam dämmerte, war er in dieser Bar gelandet, weil er noch nicht zurück nach Hause wollte. Was sollte er auch da? Sein Kopf lebte in der Vergangenheit, sein Körper in der Zukunft. Oder war es genau andersrum? Er konnte gar nicht anders als zu lachen angesichts seiner beschissenen Situation. Es war wie in einem schlechten Film. Sein Leben war sowieso schon aufregend genug, da brauchte er so etwas ganz bestimmt nicht. Eigentlich konnte er ja gar nicht anders, als seine Misere in Alkohol zu ertränken… wenn er denn nur Alkohol vertragen würde! Das tat er sicher immer noch nicht und deswegen hielt er sich jetzt auch schon seit Stunden an seinem ersten Cocktail fest, weil er keine Lust hatte, besoffen in der Gosse zu landen. Jedenfalls hatte er zuhause genauso wenig zu tun als hier und da er sein Handy nicht mitgenommen hatte, konnte er nicht mal jemanden anrufen, der ihm Gesellschaft leistete. Er musste sich morgen unbedingt mit Reita verabreden, wenn sie dieses Bandmeeting hatten, von dem Kai ihm am Mittag erzählt hatten. Zwar hatten sie alle offiziell noch eine Woche Urlaub, aber man wollte überlegen, wie es weiterging für den Fall, dass Ruki sein Gedächtnis nicht zurückbekam. Er konnte sich schon vorstellen, dass er demnächst seinen Urlaub mit Texte pauken verbringen durfte, da anschließend ein paar Fernsehauftritte stattfanden, bei denen die neuen Songs sitzen mussten. Vielleicht sollte er sich einfach doch betrinken, in eine Schlägerei geraten und wenn er Glück hatte, zog ihm jemand so fest eins über, dass in seinem Kopf alles wieder zurecht gerückt wurde und er sich an alles erinnern konnte. Wäre wünschenswert. Dennoch, seine „Gefühle“ für Kai durften auch gerne weggelassen werden. Die Fotos gingen Ruki immer wieder durch den Kopf, aber richtig fassen konnte er das immer noch nicht. War er so ein Weichei geworden? Konnte man nicht mit Würde schwul sein? Musste man sich benehmen wie ein Teenager und peinliche Pärchenfotos machen? Fehlte nur noch, dass er kitschige Purikuras fand, wenn er sein Portemonnaie durchwühlte. Nein, ab sofort würde er überhaupt nichts mehr durchwühlen! Nicht sein Portemonnaie, nicht seine Festplatte und schon gar nicht seine Schränke. Er wollte nicht wissen, was für böse Überraschungen die Schränke noch so bereit hielten. Das Nachtschränkchen hatte ihm gereicht. Über seine Beziehung wollte er auch nichts wissen. Am Ende war er derjenige, der beim Sex unten lag! Nein, auf diese Informationen konnte er getrost verzichten. Ruki sah von seinem Glas auf, als sich jemand auf den Barhocker neben ihn setzte, und schaute in das lächelnde Gesicht einer jungen Frau. Er musterte sie kurz, beschloss, dass sie ihm gefiel, und erwiderte das Lächeln. Er und schwul? Niemals! „Hey“, schnurrte Ruki, „kann ich dich auf einen Drink einladen?“ Und plötzlich war er froh, dass die Nacht noch lang war. TBC. Danke an die Kommis vom letzten Mal. Ich weiß gar nicht, ob ich die überhaupt beantwortet hatte?? Die Uni bringt meinen Kopf ganz durcheinander :/ Hab mich jedenfalls wie immer sehr gefreut :) Neues Kapitel zum Wochenende...ich hab mir mit dem Posten Zeit gelassen, weil ich immer noch nicht dran gearbeitet habe, meinen Vorrat zu vergrößen. Sollte ich vielleicht mal tun :s Nun denn, ich hoffe, ihr hattet viel Spaß beim Lesen :) Kapitel 4: ----------- Ruki kam erst am nächsten Morgen nach Hause. Kaum hatte er die Tür geöffnet, stand auch schon ein besorgt aussehender Kai vor ihm. Er schielte nach oben, während er sich die Schuhe auszog und fragte sich, ob es jetzt ein Verhör geben würde. Nicht dass er ausgerechnet Kai auf die Nase binden würde, was er in der letzten Nacht so angestellt hatte. Würde Kai auch sicher nicht so prickelnd finden wie Ruki selbst. Eine wirkliche Ausrede hatte er sich allerdings nicht zurechtgelegt, denn dafür war er viel zu müde und eigentlich wollte er sowieso nur ins Bett und sich ein wenig ausruhen. „Hey, wo bist du denn gewesen? Ich hab ein paar Mal versucht dich anzurufen, aber ich kam nie durch“, sagte Kai ein wenig zerknirscht, als Ruki in die Küche lief, um sich einen Kaffee zu machen. Praktischerweise hatte Kai gerade eine Kanne gekocht. Es hatte sicher seine Vorteile zusammen mit dem Drummer zu wohnen, denn Ruki musste sich um so viel Lästiges wie Kochen und Saubermachen nicht kümmern, aber ausgefragt zu werden, war nicht gerade sein Ding. Er war niemanden Rechenschaft schuldig. Lust auf Stress hatte er allerdings auch nicht und Kai sah sich wahrscheinlich momentan verantwortlich für ihn. „Bin um die Häuser gezogen. Mein Handy hab ich gestern ausgestellt, weil ich momentan keine Lust habe mit Leuten zu sprechen, die ich nicht kenne“, erklärte er kurz und nippte vorsichtig an seiner heißen Tasse. Genüsslich schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das warme Gefühl, das sich langsam in seinem Bauch ausbreitete. Kaffee war eben doch sein Lebenselixier und gab ihm zumindest etwas an Energie zurück, wenn es ihn gerade auch nicht wacher machte. „Achso, verstehe. Aber vielleicht solltest du es für den Notfall doch anstellen. Du musst ja nicht ran gehen, wenn dich jemand anrufst, den du nicht zuordnen kannst. Ich dachte schon, dir wär wieder was passiert. Scheint ja gut gewesen zu sein, wenn du jetzt erst heimkommst.“ Ruki grinste in seine Tasse und verschluckte sich fast. Die letzte Nacht war definitiv gut gewesen, wenn es auch nicht der Wahrheit entsprach, dass er um die Häuser gezogen war. Aber das musste Kai nicht wissen. Wenn die Zeit kam, würde er sich schon mit ihm über gewisse Dinge, die sie beide angingen, unterhalten, aber das schob Ruki noch ein wenig vor sich hin, denn angenehm würde dieses Gespräch sicher nicht werden – unvermeidbar allerdings auch nicht. Die letzte Nacht hatte ihm gezeigt, dass er definitiv auf Frauen stand und sein Bett auch nur mit Frauen teilen wollte. Kai hatte in dieser Hinsicht einfach keinen Platz in seinem Leben. Trotzdem war er sich bewusst, dass er ihm dies so schonend wie möglich beibringen musste, denn Kai schien ziemlich an ihm zu hängen. „Okay, mach ich. Muss heute eh mal ein paar Leute anrufen“, willigte Ruki ein, stellte seine Tasse auf den Küchentisch und machte sich gleich auf die Suche nach seinem Handy, drehte sich auf halbem Weg jedoch irritiert rum, weil Kai ihm schon wieder folgte. Er war gerade dabei, ihm klipp und klar zu sagen, dass er trotz Gedächtnisverlust keinen Babysitter brauchte, als Kai ihm schon Anweisungen gab. „Wir müssen in 20 Minuten los, falls du dich noch an das Bandmeeting erinnerst, von dem ich dir gestern erzählt habe“, sagte er und Ruki kam es fast so vor, als würde Kai schnippisch klingen. Kai? Der immer freundliche und politisch korrekte Kai? Argwöhnisch schaute er ihn an und vergaß dabei glatt auf seine Frage zu antworten. „Ruki? Hast du mir zugehört? Wir müssen gleich losfahren. Vielleicht willst du dich ja noch umziehen.“ „Ja, mach ich“, erwiderte er schließlich und verschwand im Schlafzimmer. 20 Minuten, na prima. Jetzt schaffte er es gerade mal die Klamotten zu wechseln, zum Duschen würde die Zeit nicht reichen, dabei merkte er selbst, dass er nach Kneipe stank und er hasste es, so etwas mit Parfüm überdecken zu müssen. Dadurch roch man nur noch schlimmer. Ein bisschen nervös war Ruki wegen dem Treffen auch, wenn er ehrlich mit sich war. Er hatte die anderen nur kurz, keine 5 Minuten, im Krankenhaus gesehen, aber da hatten sie kaum miteinander gesprochen. Ob sie sich wohl sehr verändert hatten? Ob es vieles gab, das ihm neu erscheinen würde und an das er sich erst noch gewöhnen würde? Schlimmer als die Sache mit Kai konnte allerdings gar nicht sein… Er friemelte sich noch schnell frische Kontaktlinsen in die müden Augen und setzte eine der übergroßen Sonnenbrillen auf, die er bei seinem Schmuck gefunden hatte. Er fühlte sich sicherer, wenn nicht gleich alle in seinen Augen lesen konnten und wussten, was in ihm vorging. Manchmal vergaß er nämlich sein Pokerface aufzusetzen. * Es tat erstaunlich gut, die anderen drei wiederzusehen. Ruki fühlte sich gleich wieder dazu gehörig und so machte es ihm auch nichts aus, den einen oder anderen Witz auf seine Kosten einzustecken. Er sah ja selbst ein, dass selbst Ruki von Gazette nicht einfach bei Rot über die Straße laufen konnte. Unsterblich war er dann leider doch noch nicht – aber er arbeitete dran! Dennoch, es kam ihm nicht so vor, als würden drei Jahre zwischen ihnen liegen. Sie verstanden sich also super und schienen sich rein äußerlich auch nicht zu sehr verändert zu haben. Desweiteren hatte man vorsorglich die meisten Termine der kommenden Wochen abgesagt, damit Ruki sich voll auf seine Genesung konzentrieren konnte anstatt auf lästige Medientermine. Was ihm jedoch gar nicht gefiel war die Tatsache, dass seine Erkrankung während der letzten Sitzung des Labelmanagements diskutiert wurde und er jetzt zur Therapie geschickt werden sollte. „Der Arzt hat doch gesagt, dass es nur vorrübergehend ist. Wieso soll ich denn zur Therapie? Mir geht’s ansonsten gut!“, stellte er sich gewohnt bockig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Arzt hat gesagt, dass es wahrscheinlich vorrübergehend ist. Aber was ist denn, wenn du in ein, zwei Wochen immer nicht wieder in Ordnung bist? Ich habe mich extra informiert und gerade im Anfangsstadium einer Amnesie ist es besonders wichtig, dran zu arbeiten die Erinnerungen zurück zu holen. Oder willst du so bleiben?“, argumentierte der Bandmanager, woraufhin Ruki nur die Augen verdrehen konnte. Es war so typisch, dass bei der Plattenfirma alle durchdrehten, sobald mal etwas nicht seinen gewohnten Gang lief. Ja, er war auch gerne Perfektionist, aber man konnte es auch übertreiben. „Nein, will ich nicht, aber mein Unfall ist gerade mal zwei Tage her. Meine Erinnerung wird sicher demnächst zurück kommen. Und bis dahin würde ich meine Freizeit ganz gerne mal genießen und mich nicht mit einem Seelenklempner rumärgern müssen“, meckerte er los und musste das Bedürfnis unterdrücken, Uruha seinen Ellenbogen in die Seite zu rammen, da der Gitarrist neben ihm gerade wenig dezent loslachte. „Also ich finde, dass das mit der Therapie eine gute Idee ist und sie wäre ja so oder so nicht zu deinem Nachteil“, schaltete sich Kai in die Diskussion ein. Ruki wollte ihm am liebsten an den Hals springen und ihn erwürgen, aber eigentlich hätte er wissen müssen, dass gerade Kai sich für eine Therapie aussprechen würde. Der wollte ihn doch nur wieder schwul kriegen! Das konnte er allerdings vergessen. „Dann ist es beschlossene Sache“, nickte der Bandmanager und Ruki kam sich mehr als verarscht vor, dass diese Angelegenheit scheinbar komplett über seinem Kopf beschlossen wurde. Aber sollten die mal machen. Es konnte ihn niemand zwingen auch letztendlich zum Therapeuten zu gehen. „Ich werde mich erkundigen, welche Spezialisten in Frage kommen und lasse dir dann die Unterlagen zukommen, Ruki. In der Zwischenzeit könntest du mal deinen Blog aktualisieren. Die Fans haben von dem Unfall mitbekommen und sind ganz aus dem Häuschen. Sag ihnen, dass es dir gut geht.“ Schließlich stand der Manager auf, nahm einen braunen Postsack, der neben der Tür lehnte und legte ihn vor Ruki auf den Tisch. „Hier, das sind die ganzen Genesungswünsche, die in den letzten zwei Tagen eingetrudelt sind. Und Alice Nine haben dir das vorbeigeschickt!“, sagte er und übergab Ruki, der gerade nur Bahnhof verstand, noch einen bunten Blumenstrauß und eine kleine schwarze Schachtel. „Wieso schicken dir mir was?“, fragte er verwundert und das Fragezeichen in seinem Gesicht wurde noch größer, als Aoi, Reita und Uruha in Gelächter ausbrachen. Selbst Kai und der Manager grinsten. „Du bist dem Promotruck von Alice Nine unter die Räder gekommen“, erklärte Uruha schließlich, nachdem er sich beruhigt hatte, bewirkte damit aber nur, dass wieder alle loslachten. Ruki konnte daran gar nichts Lustiges finden, schließlich hätte sein Unfall auch ganz anders ausgehen können, nur weil irgendsoein Depp von Fahrer ihn nicht hatte kommen sehen. Ja, Ruki vergaß hin und wieder doch ganz gerne, dass er den Unfall selbst zu verschulden hatte. „Ah ja, sehr witzig. Das war bestimmt Absicht!“, knurrte er verstimmt und fegte den Blumenstrauß mit seinem Arm beiseite. Darauf konnte er getrost verzichten. Blumen waren für Weiber oder für Beerdigungen. Er war weder ein Weib, noch tot. Was wohl in der Schachtel war? Ruki mochte Geschenke durchaus, ganz egal von wem sie kamen. Alice Nine gehörten wirklich nicht zu den Bands, die er sich privat anhören würde. Sie waren zu poppig und die Stimme des Sängers war auch nicht immer zu ertragen. „Ja, das war bestimmt Absicht. Wahrscheinlich saßen auch die Jungs selbst hinter dem Steuer und haben genau den Moment abgepasst, in dem du ihnen vor die Haube gehüpft bist, um dich endlich aus dem Weg zu schaffen, um selbst das Nummer 1 Pferdchen im PSC Stall zu werden“, ergänzte Aoi sarkastisch. „Hätten sie dann nicht Miyavi aus dem Weg schaffen können?“, brummte Ruki und hob langsam den Deckel der Schachtel an, nur um ihn nach Uruhas Worten wieder fallen zu lassen. „Miyavi hat uns dieses Jahr verlassen“, warf der Gitarrist an dieser Stelle neutral in die Unterhaltung ein, was bei Ruki allerdings komplett falsche Assoziationen hervor rief. „WAS? Miyavi ist tot?“, rief er entsetzt und er wäre fast aufgesprungen angesichts dieser Neuigkeiten. Was hatte er denn alles verpasst? So was war echt heftig, da wurde selbst Ruki plötzlich ganz handzahm. Miyavis Musik war zwar auch nie seins gewesen, aber rein objektiv war er schon ein guter Künstler gewesen. „Nein, nein, nein, er ist nicht tot“, schaltete sich Kai ein und gab Entwarnung, um die Gemüter zu beruhigen denn niemand schien Ruki aufklären zu wollen. „Er hat nur das Label verlassen und sein eigenes gegründet.“ „Achso, sag das doch gleich.“ Ruki atmete auf. Für einen Moment hatte er echt geglaubt, dem ADS-Kind wäre etwas zugestoßen. Aber eigentlich gefiel es ihm, dass er das Label verlassen hatte, denn das bedeutete gleichzeitig, dass sie jetzt die Nummer 1 waren. Endlich! Er musste unbedingt später mal seinen Kontostand checken! Zufrieden vor sich hin grinsend öffnete er schließlich die Schachtel und zog ein schweres, silbernes Armband von einem schwarzen Samtkissen. Mmh, das war genau nach seinem Geschmack. Wenigstens etwas, das Alice Nine mal gut gemacht hatten! Die anderen schauten ihm neugierig zu, bis Aoi seufzend den Kopf schüttelte. „Da wird Ruki für seine eigene Dummheit auch noch belohnt. Eigentlich ist das nicht fair!“, maulte der andere Gitarrist und fing sich dafür einen dunklen Blick von Ruki ein, der zwischenzeitlich seine Sonnenbrille abgenommen hatte, um das Schmuckstück näher zu betrachten. * „Hey, Reita!“ Ruki stellte sich neben den Bassisten, der sich gerade draußen vor der Plattenfirma eine Zigarette angesteckt hatte, und fischte ebenfalls nach seinen Glimmstängeln. Nach der mehr als nervigen Besprechung genau das richtige für ihn. Zufrieden inhalierte er den Rauch und schloss für einen Moment die Augen. „Ah, Ruki, na, sonst alles klar bei dir? Wie läuft’s mit Kai?“ Rukis Augen flogen auf, um Reita mit einem abschätzigen Blick zu bedenken. „Was soll denn da laufen? Gar nichts. Ich bin nicht mit ihm zusammen! Also hör auf, solche Fragen zu stellen, okay?“ „Aber –“ „Nichts aber! Ich will nicht mit dir darüber diskutieren. Ihr könnt mir ja erzählen, was ihr wollt, aber hier drin – “, er tippte sich an den Kopf, „ist Kai nicht mehr als ein guter Freund für mich, okay?“ „Und hier drin?“ Rukis Mund klappte auf, als Reita doch tatsächlich die Dreistigkeit besaß, gegen seine Brust zu tippen – genau dort, wo sein Herz lag! „Da schon mal gar nicht!“, fauchte er gereizt und schlug Reitas Arm beiseite. Wieso driftete diese Unterhaltung gerade in genau die Richtung, die Ruki vermeiden wollte? Und wieso konnte Reita eigentlich nie die Klappe halten? Manche Dinge änderten sich eben doch nie, aber gerade konnte Ruki sich so gar nicht darüber freuen. „Ist doch okay, Ruki, wir sind es doch mittlerweile gewöhnt. Wäre ich schwul, wäre Kai sicher auch mein Typ. Ich mein, er ist ganz niedlich und trägt dir doch alles hinterher. Ich hab kein Problem damit, dass du dir unseren Drummer geschnappt hast. Naja, ich bin jedenfalls gespannt, wie lange es dauert, bis du ihm wieder hinterher läufst.“ „Ich laufe niemandem hinterher! Und Kai schon mal gar nicht. Ich weiß ja nicht, was damals passiert ist, aber diesmal wird es anders laufen!“ „Ja ja“, lachte Reita. Es war mehr als deutlich, dass der Bassist ihm kein Wort glaubte und das machte Ruki mehr als wütend. Dabei wusste er genau, dass niemand zielstrebiger und durchsetzungsfähiger als Ruki war. Was er sich vorgenommen hatte, erreichte er auch und so würde es diesmal auch sein. „Also eigentlich wollte ich dich ja fragen, ob du Lust hast, mal wieder mit mir wegzugehen, aber ich glaub, jetzt hab ich selbst keine Lust mehr“, brummte er verstimmt und schob seine Sonnenbrille auf seiner Nase zurecht. „Ich hab heute eh keine Zeit. Bin schon verabredet, aber wenn du willst, können wir morgen ins Kino gehen“, schlug Reita vor. Ruki blinzelte ihn an. „Kino? Wie langweilig! Ich dachte wir machen eine Kneipentour wie sonst auch. Naja, wie früher wohl eher. Scheiße, sag mir nicht, dass wir nicht mehr zusammen um die Häuser ziehen.“ „Wir ziehen nicht mehr zusammen um die Häuser.“ „Wieso nicht?“ Reita zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht. Wir sind älter geworden. Wir haben uns verändert. Du hast Kai, ich hab auch jemanden. Aber egal, lass uns morgen was trinken gehen. Müssen ja nicht die ganze Nacht unterwegs sein.“ „Fein“, erwiderte Ruki, fügte in Gedanken jedoch ein „Schlappschwanz“ dahinter. Reita war ja langweilig geworden! Er wollte seine bessere Hälfte gar nicht erst kennen lernen, wenn die ihn so sehr in Beschlag nahm, dass Reita nicht mal mehr Lust auf Clubbing hatte. Kurz überlegte er, Uruha zu fragen, aber er hatte die Befürchtung, dass er dann zu hören bekam, dass Uruha auch alt und langweilig geworden war und keinen Alkohol mehr trank. „Gut, dann sehen wir uns morgen. Ich ruf dich nochmal an. Ciao!“, verabschiedete sich Reita mit einem Nicken und ging den kleinen Weg zur Straße entlang, bis er schließlich auf diese einbog und aus Rukis Blickfeld verschwand. Ciao? Was war das denn für ein Ausdruck? Ruki verdrehte die Augen. Dann würde er eben die Schnecke von letzter Nacht anrufen, die ihm am Morgen noch schnell ihre Telefonnummer zugesteckt und versichert hatte, immer willkommen zu sein. Wenn Reita schon nicht die Sau mit ihm raus ließ, würde er das mit ihr machen – wenn auch auf andere Art und Weise, aber wenn er in den letzten drei Jahren keinen Sex mit Frauen gehabt hatte, hatte er ohnehin etwas nachzuholen. Plötzlich hörte er Schritte hinter sich und drehte sich um, erkannte Kai, Uruha und Aoi, die jetzt ebenfalls das Gebäude verlassen hatten und auf ihn zukamen. „Hey, du hast deine Post vergessen!“, machte Kai ihn auf den Sack in seiner rechten Hand aufmerksam. „Oh ja, stimmt. Kannst du ihn mit nach Hause nehmen? Ich hab noch was vor“, fragte er freundlich und natürlich nickte Kai zustimmend. Wahrscheinlich war er wirklich zu gut für diese Welt. Und Ruki zu böse. Aber das hatte Kai sicher gewusst, als er sich auf ihn eingelassen hatte. „Ja, mache ich. Kommst du heute Nacht nach Hause?“ „Weiß ich noch nicht.“ Das war gelogen. Ruki hatte absolut nicht die Absicht die Nacht bei Kai zu verbringen, wo Hitomis Bett doch viel einladender war. „Okay, dann sehen wir uns morgen“, sagte Kai und lächelte, doch selbst Ruki fiel auf, dass das Lächeln merkwürdig aufgesetzt war. „Bis dann, Ruki. Sieh zu, dass du schnell wieder gesund wirst!“, sagte Uruha und Aoi an seiner Seite nickte zustimmend. Was hatten die denn alle gegen ihn? Er war doch noch immer Ruki. Zwar der alte Ruki, aber zweifellos Ruki! Egal, spätestens wenn er bei Hitomi war, würde er von all seinem privaten Ärger abgelenkt werden! * Kai knallte seine Schlüssel auf den Schuhschrank und warf Rukis Post in die nächste Ecke. Wieso tat er sich das eigentlich an? Ruki war unausstehlicher als je zuvor und kümmerte sich einen Scheißdreck um ihn, obwohl er doch genau wusste, dass sie eigentlich zusammen waren. Aber nein, dieses beschissene, verwöhnte Kind konnte sich nicht mal für ein oder zwei Wochen zusammen reißen und sich benehmen. Stattdessen legte er es geradezu darauf an, ihn kalt und herablassend zu behandeln, wenn er ihm denn überhaupt etwas Aufmerksamkeit schenkte. Nur zu gerne hätte Kai ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasst, aber wahrscheinlich hätte Ruki dies als weiteren Angriff auf seine Heterosexualität gewertet. Rukis Unfall war gerade mal zwei Tage her und schon hatte er es geschafft, Kai so vor den Kopf zu stoßen, wie in drei Jahren Beziehung nicht. Kai hatte schon mehrmals in Erwägung gezogen, sich irgendwo anders einzunisten, bis Ruki wieder bei Sinnen war, aber das konnte er auch nicht. Trotz allem hing er viel zu sehr an Ruki und machte sich Sorgen um den kleinen Bastard, der seine Gefühle mit Füßen trat. Verliebtsein war schon ein beschissener Umstand, man war viel zu sehr abhängig von der Person, um die sich sein Leben drehte und obwohl sich Kai am liebsten in der nächsten Ecke oder im Bett mit einer großen Packung Taschentücher verkriechen wollte, tat er es nicht, sondern versuchte stark zu sein und Ruki alles Recht zu machen. Es war lachhaft, wie verzweifelt er war, aber er wollte Ruki einfach nicht verlieren – egal, was er sich gerade leistete. Kai war nicht dumm und er kannte Ruki gut genug, um sich vorzustellen, was gerade in ihm vorging. Vielleicht nahm er daher die Geduld mit ihm, doch momentan war diese auf eine harte Probe gestellt, vor allem, wo Ruki sich wirklich wie das letzte Arschloch benahm und letzte Nacht Gott weiß was angestellt hatte, von dem Kai wirklich lieber nichts wissen wollte. TBC. ----- Ja sorry, aber es musste so sein ;) Ruki hat eben seinen eigenen Kopf, aber keine Angst, es bleibt kein Zustand, dass Ruki die Nacht anderswo und mit jemand anderes verbringt ;) Irgendwann wird hoffentlich alles wieder gut :) Kapitel 5: ----------- Ruki wachte mit Kopfschmerzen auf, drehte sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht im Kopfkissen, damit ihn die ins Zimmer fallenden Sonnenstrahlen nicht blenden konnten. Vor seinem geistigen Auge sah er das Päckchen mit seinen Schmerzmitteln zuhause im Bad auf der Ablage liegen und verfluchte sich innerlich selbst dafür, dass er sie nicht eingesteckt hatte, als er gestern Morgen mit Kai in die Company gefahren war. Dabei hätte er doch absehen können, dass er die Nacht wieder auswärts verbringen würde. Nichts anderes hatte er vorgehabt. Es half alles nichts, er musste nach Hause, obwohl er nichts dagegen gehabt hätte, noch etwas Zeit mit Hitomi zu verbringen, die neben ihm lag und friedlich schlief. Ruki richtete sich auf, schirmte seine Augen mit einer Hand vor der Sonne ab und ließ seinen Blick über den nackten Körper neben sich schweifen. Ein bisschen angetan hatte ihm es die Kleine auf jeden Fall, sie schien ihm immer alle Wünsche von den Augen abzulesen… und zu erfüllen. Ruki grinste und streichelte sanft über ihren nackten Rücken, löste sich schließlich von dem verlockenden Anblick und begann sich anzuziehen, doch gerade wenn er darüber nachdachte, dass zuhause Kai auf ihn wartete und keine Hitomi, wollte er doch lieber hier bleiben. Mit einem Kuss auf ihr rechtes Schulterblatt verabschiedete er sich leise und nahm sich vor, sie morgen wieder anzurufen. Heute war er ja mit Reita verabredet. Im Treppenhaus rief er sich ein Taxi, rauchte draußen seine erste Zigarette und war gerade damit fertig, als das Taxi vorfuhr. Ob Kai wohl wieder gleich vor ihm stehen würde, wenn er nach Hause kam? Darauf konnte Ruki eigentlich verzichten, obwohl er doch hoffte, dass Kai ihm wieder beim Haare waschen helfen konnte. Alleine bekam er es ja doch nicht hin. Kaffee wäre außerdem nicht schlecht und anschließend würde Ruki sich noch etwas hinlegen. Er musste dringen Schlaf nachholen, wenn er heute Abend nicht schon vor Reita schlapp machen wollte. Als Hitomi und er letzte Nacht ihre Bartour beendet hatten, war es auch schon wieder Morgen gewesen. Ruki hatte Glück, denn Kai war zuhause und saß mal wieder hinter seinem Computer. Ein bisschen komisch fand er es schon, dass Kai so viel arbeitete, obwohl sie doch eigentlich frei hatten, dann wiederum war es ihm recht egal, weil man als Musiker ja sowieso den Kopf nicht einfach abschalten konnte. Ruki arbeitete auch ständig an neuen Texten, wenn er eigentlich frei hatte und da Kai sein Drumset schlecht mit sich rumschleppen konnte, blieb ihm nur der Papierkram übrig bzw. all das, was sich vom PC aus erledigen ließ. „Hey“, begrüßte ihn Kai und schaute kaum von seinem Computer auf, der ein bläuliches Licht auf sein Gesicht warf. „Manager-san war nicht begeistert von deinem Blogeintrag.“ „Wieso nicht?“, wollte Ruki im Gegenzug wissen. Er hatte gestern, noch bevor er sich mit Hitomi getroffen hatte, seinen Blog aktualisiert, wie es von ihm während der Besprechung gewünscht worden war. Allerdings war ihm jetzt auch klar, wieso der Manager gestern mehrmals versucht hatte, bei ihm anzurufen. Er war nur nicht ran gegangen, weil er befürchtet hatte, dass es wieder um die Therapie ging, die man ihm aufschwatzen wollte. „Du hättest nicht schreiben dürfen, dass du unter Amnesie leidest. Jetzt weiß die ganze Welt davon“, erklärte Kai seufzend, nahm seine Tasse und stand auf, um sich in der Küche neuen Kaffee zu holen. Ruki folgte ihm und bediente sich ebenfalls am Kaffee. „Wieso nicht? Da ist doch nichts dabei. Es ist ja nicht so, als könnte ich mich an gar nichts erinnern“, gab er schulterzuckend zurück und verstand dabei wirklich nicht, was daran so falsch war. Er war doch nur ehrlich gewesen. „Ja, aber jetzt machen sich die Fans doch noch mehr Sorgen und denken, dass du nicht mehr der Alte bist. Geh halt deine Kommentare lesen.“ „Das ist doch Schwachsinn! Natürlich bin ich der Alte! Mehr als zuvor.“ „Jedenfalls ist Manager-san sauer und in diversen Zeitungen stand es wohl auch schon drin.“ „Na und? Ist doch gute Promo“, erwiderte Ruki lapidar, stellte seine Tasse ab und streckte sich. „Aber ich kann ja noch einen Eintrag schreiben und versichern, dass wirklich alles in Ordnung ist, okay?“, fügte er versöhnlich hinzu, denn angesichts seiner gesundheitlichen Situation brauchte er nicht noch mehr Stress. Sein Leben war bereits Chaos genug. „Sag mal, kannst du mir gleich wieder beim Haare waschen helfen, Kai-chan?“, wandte er sich freundlich an Kai, als der zu seiner Arbeit zurückkehren wollte. Der Drummer machte auf dem Absatz kehrt und schaute Ruki kurz mit schief gelegtem Kopf skeptisch an, nickte dann jedoch. „Okay, gib mir 10 Minuten, dann bin ich mit meinem Kram fertig und in der Zwischenzeit kannst du ja deinen Blogeintrag schreiben.“ „Jawohl, Leader-sama!“ Ruki grinste und salutierte, holte sich erst seine Schmerztabletten und schüttete gleich zwei davon mit einem Glas Wasser herunter, schrieb den Blogeintrag und sprang anschließend schnell unter die Dusche, bevor Kai ihm mit den Haaren helfen würde. Erfrischt und fast wieder schmerzfrei, da die Tabletten langsam begannen zu wirken, stieg er aus der Dusche, trocknete sich ab und wickelte sich sein Handtuch um die Hüften, während er sich noch schnell rasierte und dann Kai herrief. Es lief genauso ab wie beim letzten Mal, erst hockte er sich vor die Wanne und ließ sich den vorderen Teil seines Kopfes waschen. Kai war extrem vorsichtig, immer darauf bedacht, dass weder Shampoo noch Wasser in die sich gerade schließende Wunde kamen. Seine Berührungen waren sanft, hatten fast schon etwas zärtliches, was Ruki dennoch über sich ergehen ließ. Erst als er spürte, wie Kais Finger langsam sein Schulterblatt und seinen Rücken entlangfuhren, war es doch zu viel für ihn. „Fertig?“, fragte er fast schon ruppig und entwandte sich der Berührung, indem er aufstand. Kai schaute ihn nur stumm an, nickte dann aber und setzte sich auf die geschlossene Toilette, während Ruki kurz seine nassen Haare frottierte. Anschließend wollte er in die Wanne steigen, merkte jedoch, dass er immer noch sein Handtuch um die Hüften gewickelt hatte und logischerweise nichts drunter trug. Kai schien sein Zögern zu bemerken und trippelte ungeduldig mit seinem Fuß auf dem Boden herum, verdrehte schließlich die Augen. „Also Ruki, jetzt stell dich nicht so an. Ich hab dich nun wirklich schon oft genug nackt gesehen. Und nicht nur gesehen“, sagte er schließlich genervt und schaffte es tatsächlich, dass das Blut kochend heiß in Rukis Kopf schoss, was die ganze Situation noch peinlicher für ihn machte. Was musste Kai ihn denn auch daran erinnern, dass sie mal ein Sexleben gehabt hatten? Er und Kai und Sex? Ugh! Das war wirklich unvorstellbar! „Fein“, brummte er, stieg in die Wanne und riss sich das Handtuch runter, als würde es ihm gar nichts ausmachen, jetzt komplett nackt vor Kai zu stehen. „Zufrieden?“ Sogleich bereute er diese Frage jedoch, denn Kai musterte ihn tatsächlich von oben bis unten, verzog jedoch keine Mine und sagte kein Wort, was Ruki nur noch mehr verunsicherte. Kai war plötzlich komisch. Konnte er ihn nicht wenigstens dümmlich angrinsen, wie jeder Mann es tun würde, wenn das Objekt seiner Begierde nackt vor ihm stand? Das war immer noch besser als so ausdruckslos angestarrt zu werden. Er setzte sich schließlich und ließ sich den Rest seiner Haare waschen, wobei keiner der beiden ein Wort sagte. Ruki war froh, als Kai endlich fertig war, schnappte sich sein Handtuch, um sich vorsichtig den Rest seiner Haare zu trocknen und lief nackt an Kai vorbei ins Schlafzimmer, um sich dort anzuziehen. Während er noch über Kais Verhalten grübelnd vor seinem Schrank stand, fiel ihm ein, dass er ja sowieso noch etwas schlafen wollte. Er schnappte sich also nur frische Shorts, zog sie über und entschied, dass er kein Shirt brauchte, weil Kai jetzt nicht neben ihm schlafen würde und er so vor unbeabsichtigten Berührungen sicher war. Als er sich jedoch zum Bett umdrehen und reinhüpfen wollte, blieb sein Blick auf halbem Wege an seinem eigenen Spiegelbild kleben. Fuck! Über seinen Rücken zogen sich klischeehaft einige rote Striemen, die ihm bisher nicht aufgefallen waren, jetzt aber, nachdem er sie entdeckt hatte, auf magische Weise zu brennen begannen. Das war aber noch nicht mal das schlimme an der Sache, Kriegsverletzungen dieser Art hatten absolut etwas für sich, wenn man darauf stand. Leider waren sie auch verdammt verräterisch und Kai war sicher nicht blind oder blöd oder hatte nur ganz zufällig vorhin über genau diese Stelle gestreichelt. Ruki bekam eine Gänsehaut, wenn er nur daran dachte, wie sanft und vorsichtig diese Berührung gewesen war, obwohl er eigentlich das Gegenteil verdient hätte. Gerade wünschte er sich eher, dass Kai ihn angeschrien oder seinetwegen auch geschlagen hätte, anstatt jetzt zu tun, als wäre nichts geschehen. Er schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, versuchte seinen Puls und sein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen. Dass Kai auf diese Art und Weise davon erfuhr, hatte er nicht gewollt, aber ändern konnte er diesen Umstand jetzt auch nicht mehr. Vielleicht sollte er mit ihm reden, ihm erklären, dass sie einfach nicht mehr zusammen sein konnten, aber dazu fehlten ihm plötzlich die Eier. Von seiner momentanen Position aus konnte er ins Wohnzimmer sehen, wo Kai wie gehabt an seinem Computer saß, aber wenn er verletzt oder wütend war, so spiegelte sich dies nicht in seinem Gesicht wider. Leise schloss Ruki die Tür, legte sich ins Bett und kaum dass sein Kopf das Kissen traf, fielen seine Augen schon zu. Bevor er Ruhe fand, gingen ihm Kai und sein eigenes Verhalten nicht aus den Gedanken. * Ruki wusste überhaupt nicht, wie er Kai einzuschätzen hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie ihre Beziehung eigentlich aussah, ob sie glücklich waren, ob sie viel stritten, ob sie über Probleme sprachen. Gerade schien Kai einfach nur einzustecken und seinen Ärger runterzuschlucken. Seit Tagen schon. Als Ruki einige Stunden später aufgestanden war, war er gewohnt freundlich gewesen und hatte ihm sogar etwas zu Essen gemacht, während Ruki sich immer noch den Kopf darüber zerbrach, was in dem Drummer vorging und ob er irgendwann auch explodieren würde. Eigentlich konnte ihm das egal sein, auf wundersame Weise war es ihm das aber nicht. Gleichzeitig wünschte er sich immer noch, dass Kai etwas sagen oder zumindest eine Andeutung machen würde, damit sie drüber sprechen konnten, denn Ruki bekam den Mund nicht auf, was schon irgendwie ironisch war. Sonst hatte er doch auch ein schnelles Mundwerk und sprach ohne Rücksicht auf Verluste (und oftmals Gefühle) aus, was er gerade dachte und was ihn störte. Aber jetzt, wo er eindeutig derjenige war, der Mist gebaut hatte, konnte er sich einfach nicht überwinden und Klartext sprechen. Stattdessen war er übertrieben freundlich zu Kai, weswegen er sich noch falscher vorkam. Sein schlechtes Gewissen trieb ihn sogar soweit, dass er sein Geschirr selbst in die Spülmaschine räumte und anschließend den kleinen Tisch in der Küche abwischte. Im Wohnzimmer holte er seinen Laptop aus dem Ruhezustand und starrte mal wieder den Ordner mit den Fotos von Kai und ihm an. Als er heute Morgen den Blogeintrag geschrieben hatte, hatte er noch vorgehabt, die Bilder zu löschen, aber jetzt war er sich nicht mehr sicher. So seltsam es auch war, langsam ging in seinen Kopf rein, dass Kai ihm „im richten Leben“, in dem er nicht an Amnesie litt, vielleicht wirklich etwas bedeutete. Die Fotos bewiesen es im Grunde genommen doch. Plötzlich erschien ihm der Gedanke, mit einem Therapeuten zu sprechen, doch nicht mehr so falsch. Der konnte ihm doch sicher dabei helfen, sein Leben und vor allem seine Gefühle von 2006 und 2009 in Einklang zu bringen. Ruki war zwar jetzt immer noch nicht auf eine Beziehung mit Kai scharf, in zwei Wochen konnte das jedoch ganz anders aussehen. Selbst Reita hatte ja Andeutungen in diese Richtung gemacht und wenn Reita schon mit ihm über solchen gefühlsduseligen Kram sprach, musste schon was dran sein. Er seufzte, weil er nicht wirklich wusste, was er machen sollte, aber vielleicht brachte der Psychologe ja doch Licht in sein Dunkel. „Kai? Hat Manager-san auch irgendwas wegen der Therapie gesagt als er angerufen hat?“, wandte er sich letztlich an Kai, der zunächst überrascht aufsah und eine Augenbraue nach oben zog. „Ich dachte, du willst keine Therapie machen.“ „Wollte ich auch nicht, aber ich hab nachgedacht und ich glaube, dass ich das doch nicht alleine hinkriege. Es ist halt doch vieles anders irgendwie“, erklärte er vorsichtig und war sich nicht sicher, ob er die richtigen Worte gewählt hatte, denn Kai sah mit einem Mal niedergeschlagen aus. „Okay.“ Kai nickte und deutete Ruki an, zu ihm zu kommen, damit er ihm etwas zeigen konnte. „Er hat mir ein paar Adressen geschickt, für den Fall, dass du dich doch noch umentscheidest. Die obersten beiden hier sind ausschließlich auf Patienten mit Gedächtnisverlust spezialisiert. Am besten rufst du gleich mal an und fragst, wie es mit Terminen aussieht“, schlug er vor. Ruki studierte die Email auf Kais Bildschirm und schluckte, weil ihm nun doch ein wenig unwohl beim Gedanken daran wurde, sich mit einem Psychologen auseinander setzen zu müssen. Er war ja nicht verrückt, bei ihm war nur etwas durcheinander geraten, was hoffentlich bald wieder in Ordnung kam. „Kannst… kannst du vielleicht anrufen? Mir ist das irgendwie unangenehm“, bat er Kai leise, welcher sogleich nickte und nach seinem Handy griff. „Okay, mache ich. Irgendwelche zeitlichen Wünsche?“ „Nein, also… du weißt ja sicher am besten, wie mein Terminplan aussieht.“ Wenige Minuten später hielt Ruki einen kleinen blauen Zettel in den Händen, auf dem Kai eine Adresse und einen Termin notiert hatte. „Das ist praktisch ein Vorgespräch“, erklärte er, „alles Weitere kannst du dann selbst ausmachen. Manager-san hat gesagt, dass seine Therapie vorgeht, also leg dir alles so, wie du meinst, dass es für dich am besten ist.“ „Danke“, murmelte Ruki, notierte sich alles in seinem Handy und steckte den Zettel in seine Hosentasche. Zu diesem Zeitpunkt war Ruki wirklich davon überzeugt, dass er sich ab sofort zusammen reißen würde, bis sein Geist wieder im richten Jahr ankam. Aber Ruki wäre nicht Ruki gewesen, wenn ihn nicht kurz darauf wieder einer seiner üblichen und regelmäßig auftretenden Egotrips ereilt hätte, der ihn alle seine guten Vorsätze vergessen ließ und natürlich alles nur noch schlimmer machte, was er ohnehin schon verbockt hatte. * Er und Reita hatten sich im zur Zeit angesagtesten Club der Stadt verabredet. Als sie dort ankamen, war es schon recht voll, dennoch schaffte es Reita, dass ihnen eine kleine, gemütliche Sitzecke zur Verfügung gestellt wurde, wo beiden auch das Rauchen gestattet war – ein Etablissement ganz nach Rukis Geschmack, nachdem er in den letzten Tagen seine viele ungewollte Freizeit mit übermäßigem Nikotinkonsum verbracht hatte. Da sie etwas abgelegen von der Tanzfläche saßen, war es ihnen hier möglich sich zu unterhalten, ohne gleich zu schreien. Nachdem Ruki seinen Cassis Orange getrunken hatte, war er bester Laune und überlegte, ob er nicht etwas tanzen gehen sollte. Ein wenig juckte es ihm in den Beinen, denn obwohl er Tanzen nicht so richtig männlich fand und es bei Konzerten auch nur wegen der Show tat, mochte er es ab und zu doch ganz gerne. Bevor er sein Vorhaben jedoch in die Tat umsetzen konnte, gesellten sich zwei, drei Mädchen zu ihnen und schon war die Tanzfläche vergessen. Reita wollte sie fortschicken, aber Ruki setzte sich dafür ein, dass sie blieben, denn er war der Ansicht, dass gegen etwas Gesellschaft nichts einzuwenden war. Vor allem nicht gegen solch attraktive Gesellschaft und Platz genug hatten sie sowieso. Schnell war er in ein lebhaftes Gespräch verwickelt und merkte zunächst gar nicht, dass Uruha und Kai kurze Zeit später ebenfalls zu ihnen stießen. „Oh, hey, was macht ihr denn hier?“, fragte er verwundert, als er beim Kellner gutgelaunt eine neue Bestellung (Champagner für alle!) aufgeben wollte und sich deswegen in die Richtung seiner Freunde gedreht hatte. „Ich dachte, ich frag die anderen auch, ob sie kommen wollen. Wir haben so lange nichts mehr zusammen unternommen“, erklärte Reita und Ruki fragte sich sofort, wieso der Bassist ihm dieses kleine Detail bisher verschwiegen hatte, obwohl ja eigentlich nichts dabei war, wenn der Rest der Band den Abend mit ihnen verbrachte. Wahrscheinlich war es ein Komplott gegen ihn gewesen, da man ihn mit Kai verkuppeln wollte. Blöd nur, dass Ruki sich nicht verkuppeln ließ! „Und wo ist dann Aoi?“, war seine skeptisch genervte Frage, denn tatsächlich fehlte der andere Gitarrist noch. „Hat vor ner halben Stunde abgesagt“, klärte Uruha den Rest der Runde auf und nippte an seinem Weinglas. Ruki sah kurz zu Kai, der wie Reita ein Glas Bier trank, und die gelbliche Flüssigkeit scheinbar furchtbar interessant fand. Anders konnte sich Ruki nicht erklären, wieso er derart in sein Glas starrte und nicht an der Unterhaltung teilnahm. Hätte er nicht einfach zuhause bleiben können, wenn ihm der Sinn nach Ausgehen gar nicht stand? Ruki wollte heute Spaß haben, sich amüsieren, aber wie sollte er das bitte, wenn jemand mit so einem Gesicht bei ihm saß? Reita war bisher auch eher langweilig gewesen. Vielleicht hätte er sich doch mit Uruha verabreden sollen. Der wusste wenigstens, wie man ordentlich feierte, auch wenn die Nacht dann meist im Delirium endete. Ruki jedenfalls genoss den Abend in vollen Zügen, ohne auf die anderen Trauerminen zu achten. Ein Gläschen Champagner gönnte er sich noch, ließ sich später von einer der jungen Frauen bereitwillig auf die Tanzfläche ziehen und als diese sich beim Tanzen an ihn presste, hatte er auch nichts dagegen. Im Gegenteil! Der Vorsatz, sich zusammen zu reißen, war längst vergessen und so ließ er sich nur zu gerne in einen feurigen Kuss verwickeln. Aneinander geklebt stolperten sie zurück zur kleinen Sitzgruppe und ließen sich auf einen Sessel fallen, wobei das Mädchen, dessen Namen Ruki nicht mal kannte (oder schon wieder vergessen hatte) schon wieder vollen Körpereinsatz zeigte. Irgendwo in seinen hinteren Gehirnwindungen hörte Ruki Reitas Stimme, aber da er die Augen geschlossen hatte und sowieso beschäftigt war, reagierte er nicht darauf. „Hey Ruki, HEY!“ Erst als Reita lauter wurde, fast schon brüllte und an seiner Schulter rüttelte, löste sich Ruki von dem Mädchen und schaute genervt auf. „Was?“, fauchte er den Bassisten an, der so aussah, als wäre er ziemlich sauer, was Ruki wiederum wütend machte, denn Reita hatte kein Recht, sich in seine Angelegenheiten einzumischen oder diese gar zu beurteilen. „Was soll das, Ruki? Kannst du deinen Schwanz nicht mal zwei Wochen bei dir behalten? Kai sitzt praktisch neben dir!“ „Na und? Er hat doch eh schon mitbekommen, dass zwischen uns nichts mehr läuft und ich schon jemand anderes habe.“ „Du bist doch echt ein Idiot. Kannst du dich nicht mal zusammen reißen? Musst du innerhalb von drei Tagen alles kaputt machen, was du dir in drei Jahren aufgebaut hast?“, sagte Reita mit so viel Verachtung in der Stimme, dass Ruki innerlich regelrecht zu kochen anfing. Ein wenig unsanft scheuchte er das Mädchen von seinem Schoß und stand auf, um Reita besser entgegen zu treten. Dank der Absätze seiner Schuhe waren sie fast auf gleicher Höhe. Er war kurz vor dem Explodieren. „Lass gut sein, Reita“, mischte sich dann jedoch Kai ruhig in die Auseinandersetzung mit ein, nachdem er zu den beiden getreten war. „Ich geh einfach. Lass Ruki doch machen. Er lässt sich sowieso nichts sagen. Du kennst ihn doch.“ Er sah Ruki kurz kalt an, nahm seine Jacke vom Sofa und lief an ihm vorbei, ohne ihn noch einmal anzuschauen. „Warte, Kai!“ Reita lief dem Drummer hinterher und hielt ihm am Arm fest. „Ja, warte, Kai“, äffte Ruki Reita hämisch nach, „nimm dir doch eine von den Weibern hier mit und lass es dir mal von ihr besorgen. Vielleicht kommst du ja auch wieder auf den Geschmack.“ „Fick dich!“ Kai starrte Ruki jetzt geradeaus an und obwohl Ruki den Hass in seinem Blick erkannte, fühlte er nur Genugtuung. „Das hättest du wohl gerne!“, erwiderte er herablassend, „aber bekommen wirst du’s nie. Scheinst ja eh nicht besonders toll gewesen zu sein, wenn ich mich nicht mal mehr dran erinnern kann.“ ----- BAM. Öhm...ja, das war Ruki, wie er leibt und lebt. Und so als allgemeinen Tipp: der Storyname hat schon was zu bedeuten ;) Ich hoffe, ihre hattet alle schöne Weihnachten :) Kapitel 6: ----------- Ruki starrte seit geraumer Zeit an die Zimmerdecke. Seit er auf dem Sofa aufgewacht war, hatte er sich kein Stück bewegt. Sein Rücken tat weh, sein Kopf sowieso und sein ganzer Körper fühlte sich an wie nach einer durchzechten Nacht. Dabei hatte er nicht mal übermäßig viel Alkohol getrunken. Ihm war etwas anderes zu Kopf gestiegen. Manchmal hasste er sich selbst dafür, dass er so ein Arschloch sein konnte und nie aus seinen Fehlern lernte. Es war total unsinnig gewesen, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen, denn Kai war sowieso nicht nach Hause gekommen und Ruki konnte ihm dies nun wirklich nicht verdenken. Es würde ihn nicht mal wundern, wenn er Kai nie wieder zu Gesicht bekam, nachdem er ihm gestern diese Dinge an den Kopf geworfen hatte. Er hatte definitiv eine Grenze überschritten. Nein, er war regelrecht über sie gerannt. Über sie hinaus geschossen. Und er wusste nicht mal, wieso ihn plötzlich diese Boshaftigkeit und der Wunsch, Kai zu verletzen, überfallen hatten. Denn das war es gewesen: er hatte Kai gezielt weh tun wollen. Und das hatte wunderbar geklappt. Er hatte Spaß haben wollen, okay. Aber auf die Kosten anderer? Zumal es wirklich nicht lustig gewesen war, wie er Kai behandelt hatte und er konnte nicht einen einzigen Grund finden, der rechtfertigte, was er getan und gesagt hatte. Wo er doch auch noch gestern erst beschlossen hatte, sich zusammen zu reißen. Hatte ja gut geklappt. Manchmal fragte er sich wirklich, ob er in seinem Kopf noch ein Gramm Gehirn hatte oder ob sein Ego mittlerweile alles aufgefressen hatte. Wieso konnte er nicht einmal auf die Worte der anderen hören? Wenn selbst Reita ihn schon zurechtwies, bedeutete es schon etwas. Wiederholt ging ihm durch den Kopf, was der Bassist ihm gesagt hatte: Musst du innerhalb von drei Tagen alles kaputt machen, was du dir in drei Jahren aufgebaut hast? Ruki überkam ein ungutes Gefühl in seinem Magen, als er daran dachte, dass er vielleicht wirklich etwas zerstört hatte, was ihm eigentlich unglaublich wichtig war. Und wieso? Weil er sich, wie Reita richtig bemerkt hatte, nicht mal für 2 Wochen zusammen reißen konnte. Nein, Ruki musste auf den Putz hauen, rumhuren und auf Kais Gefühlen rumtrampeln. Im Prinzip war es doch momentan scheißegal, ob er schwul, hetero, bi oder sonst was war. Wieso war er der einzige, der sich derart daran störte, dass er scheinbar eine Beziehung zu einem Mann hatte? Niemand sonst schien ein Problem damit zu haben. Selbst seine Mutter schien damit im Reinen zu sein. Er war der einzige, der einen solchen Aufstand veranstaltete und sich nicht mal ein paar Tage oder Wochen beherrschen konnte. War er so tief gesunken? Wieso fühlte Ruki sich so sehr in seiner Heterosexualität angegriffen? Kai war ihm nicht ein einziges Mal näher gekommen, nachdem sie festgestellt hatten, dass Ruki Teile seines Gedächtnisses verloren hatte. Wieso musste sich Ruki jetzt auf Teufel komm raus beweisen, dass er auf Frauen stand? Kai war doch kein schlechter Mensch und den Fotos nach zu urteilen, war Ruki glücklich mit ihm. Er hatte überlegt, Kai anzurufen, um sich zu entschuldigen und um über alles zu reden, aber er traute sich nicht. Gleichzeitig nagte die Angst an ihm, dass er nicht nur diese Freundschaft (oder Beziehung) zerstört hatte, sondern damit auch die Band. Und die Band war Rukis Ein und Alles. Ohne die Band hatte er nichts, war er nichts. Sein Leben drehte sich um die Band. Sein Leben war die Band. Irgendwie musste er wieder alles in Ordnung bringen. Und wenn er sein Ego überwand und vor Kai in die Knie ging, um nach Vergebung zu betteln. Müde stand er auf und schlurfte in die Küche. Wirklich viel Schlaf hatte er nicht bekommen. Er war erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen und hatte sich dann eher auf dem unbequemen Sofa hin und her gewälzt, weil er nicht schlafen konnte. Er setzte Kaffee auf, öffnete ein Fenster und zündete sich eine Zigarette an, während er überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Irgendwann würde Kai sicher nach Hause kommen. Die Frage war nur, wann das geschah. Er hörte einen Schlüssel im Schloss, als er gerade seine erste Tasse Kaffee ausgetrunken hatte. Er sprang auf, sah erschrocken an sich herunter, weil er noch immer die gleichen verrauchten Klamotten von letztem Abend trug, aber das war jetzt egal. Er lief ins Wohnzimmer und sah Kai, gleich dahinter Uruha, der ihm einen abschätzigen Blick zuwarf. Kai selbst mied den Blickkontakt zu Ruki und ging gleich zum Schlafzimmer durch, wahrscheinlich, um sich einige Klamotten mitzunehmen. Ruki musste gar nicht nachfragen, um zu realisieren, was hier gerade geschah. Kai verließ ihn. Er sah so unglaublich verletzt aus, dass Ruki fast schlecht wurde. Er wollte ihm folgen, doch Uruha bekam vorher sein Handgelenk zu fassen und zog ihn mit schmerzhaft festem Griff zurück. „Lass ihn in Ruhe. Du hast genug angerichtet.“ „Ich muss mit Kai reden!“, winselte Ruki vor Schmerz und riss sich los. Er rieb sein schmerzendes Handgelenk und warf Uruha einen bösen Blick zu. „Das ist eine Sache zwischen Kai und mir!“ „Ich glaube aber nicht, dass er mit dir reden will“, erwiderte der Gitarrist kalt. Also waren wirklich alle sauer auf Ruki. Nach seinem Auftritt gestern Abend eigentlich kein Wunder. „Ich weiß, aber… ich will mich bei ihm entschuldigen. Es tut mir alles so leid!“ Ruki hörte Geräusche hinter sich und als er sich umdrehte, stand Kai im Raum und sah ihn so eindringlich an, dass Ruki fast vor Scham die Augen senken wollte. „Kai, bitte lass uns reden“, bat er stattdessen und ging auf seinen Freund zu, der wiederum einige Schritte nach hinten machte und abwehrend die Hände hob. „Worüber? Du hast deinen Standpunkt mehr als deutlich gemacht. Sorry, aber ich halte es nicht mehr aus mit dir. Das gestern war echt heftig, und das ist ja nicht alles gewesen.“ „Bitte geh nicht, Kai. Bitte bleib. Bitte lass uns reden. Bitte gib mir eine Chance. Bitte!“ Ruki wusste, dass er Kai nun regelrecht anflehte. Er ging auf ihn zu und als Kai ihn nur stumm anstarrte, ohne etwas zu sagen, umarmte er ihn einfach und klammerte sich an ihm fest. Er vergrub sein Gesicht in Kais Haaren und wiederholte seine Bitte. Kai reagierte zunächst gar nicht, sondern blieb regungslos stehen. Erst nach einigen Momenten ließ er die Tasche fallen, die er in der rechten Hand hielt, und erwiderte er zögerlich die Umarmung. Natürlich tat Ruki dies teilweise aus Berechnung, denn er wusste, dass Kai an ihm hing und dass Kai sensibel war, aber sein Motiv war dennoch aufrichtig. Er wollte wieder alles in Ordnung bringen und sich ehrlich bei Kai entschuldigen. Scheinbar schien er diese Chance zu bekommen, denn sonst hätte Kai ihn sicherlich schon von sich gestoßen. Er wollte erleichtert ausatmen, als Uruha sich jedoch zu Wort meldete. „Nimmst du ihm das jetzt einfach so ab? Nach allem, was er getan hat? Kai, das ist Ruki. Und Rukis Welt dreht sich nur um ihn selbst.“ „Das ist nicht wahr!“ Ruki hatte sich von Kai gelöst und funkelte Uruha nun wütend an. „Du hast kein Recht, so etwas zu behaupten. Ich weiß selbst, dass ich Scheiße gebaut habe und manchmal ein Arschloch bin, aber Kai ist mir nicht egal. Und das will ich ihm zeigen. Ich kann ihm jetzt vielleicht nicht das geben, was er sich wünscht, aber mir ist klar geworden, dass ich mich nicht richtig verhalten habe und wenn ich noch was retten kann, dann will ich das auch tun!“ Uruha verdrehte die Augen und lachte amüsiert auf. „Also Kai? Kommst du mit mir mit oder lässt du dich weiterhin an der Nase herum führen?“ „Ich meine es ernst!“, fauchte Ruki. Seine Wut auf Uruha war mittlerweile so entfacht, dass er dem Gitarristen am liebsten gegen sein Schienenbein getreten hätte oder noch besser: sein Knie zwischen seine Beine gerammt hätte. Was mischte der sich denn ein? Kai wollte doch auch, dass zwischen ihnen alles wieder in Ordnung kam und wenn Uruha mal an die Band dachte, war das sowieso das Beste. „So ernst wie es jemand meinen kann, der nach zwei Tagen schon mit dem nächstbesten Weib in die Kiste hüpft. Komm schon, Kai. Du brauchst den Abstand!“ Ruki sah zu Kai, der wiederum zwischen ihm und Uruha hin und her sah. „Ich… bleibe“, sagte er schließlich zögerlich und mit brüchiger Stimme. Ruki kam es fast so vor, als würde er mit den Tränen kämpfen. „Aber hier muss sich was ändern, Ruki. Wir… stellen Regeln auf und an die hältst du dich, okay? Ich will nicht, dass du….dich mit irgendwelchen Frauen triffst. Und du machst deine Therapie!“ Ruki nickte und trat wieder zu Kai heran, um ihn in den Arm zu nehmen. „Ich mache alles“, beteuerte er und bekam dabei nicht mit, wie Uruha die Augen verdrehte und Kai einen Vogel zeigte. „Dann lasse ich euch mal besser alleine“, brummte er, salutierte zum Abschied und verließ die Wohnung. Ruki war wirklich mehr als erleichtert, dass Kai geblieben war. Er löste sich von ihm und lächelte ihn unsicher an. „Wollen wir uns setzen? Ich hab auch Kaffee gemacht. Ich bring dir eine Tasse!“ Er huschte in die Küche, goss etwas von dem noch heißen Getränk in eine frische Tasse und brachte sie Kai. Allerdings verzog dieser das Gesicht, kaum dass er daran genippt hatte. „Dein Kaffee ist ungenießbar!“, stieß er schmunzelnd hervor, stellte die Tasse auf den Tisch und wandte sich wieder Ruki zu, der wiederum überhaupt nicht verstand, was Kai an seinem Kaffee auszusetzen hatte. Ihm selbst hatte er wunderbar geschmeckt. „Ich meine das ernst. Wenn du noch mal irgendetwas machst, bin ich weg. Und ich komme nicht wieder. Uruha hat schon recht. Ich muss wahnsinnig sein, dass ich jetzt hier geblieben bin“, sagte Kai entschieden. Ruki atmete tief durch und setzte sich neben ihn. „Ich weiß, ich hab das gar nicht verdient. Danke“, erwiderte er ehrlich und musste das Bedürfnis runterkämpfen, Kais Hand zu nehmen und zu drücken. In ihrer Situation wäre diese Geste mehr als seltsam gewesen. „Schon okay. Oder eher nicht okay. Das ist ja für uns alle nicht so leicht“, murmelte Kai und klang dabei wieder ziemlich bedrückt. Ruki wusste, dass er unglaubliches Glück hatte, dass Kai jetzt wirklich bei ihm blieb. Uruha hatte sicher nicht Unrecht gehabt, als er sagte, dass Kai Abstand brauchte und er war sich auch bewusst, dass er Kais Gutmütigkeit gerade irgendwie dazu ausnutzte, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, aber davon abgesehen wollte er zeigen, dass er sich wirklich ändern wollte. Wenn er weiter machte wie bisher, saß er bald ganz alleine da und das wollte er nicht. Die Band und seine Freunde, zu denen Kai ja nun mal auch gehörte, waren sein Leben. „Nein, es ist nicht leicht, aber es entschuldigt nicht, was ich gesagt habe. Ich weiß nicht wieso, aber… ich wollte dich gestern einfach nur verletzen und deswegen habe ich es gesagt. Ich habe es nicht so gemeint. Ich glaub, ich hab einfach nur Angst“, gab er leise zu und starrte auf seine in seinem Schoß gefalteten Hände. Ihm war gerade erst so richtig bewusst geworden, dass er Angst hatte. Vor dem Menschen, der er geworden war, vor seinem Leben, das er nicht kannte und natürlich auch vor seinen Gefühlen, die ihm momentan einfach nur fremd erschienen. „Ruki….“, murmelte Kai und zog ihn in seine Arme. „Du musst keine Angst haben. Wir kriegen das schon wieder hin irgendwie, okay?“ Er löste sich nach einigen Augenblicken wieder von ihm und sah ihn eindringlich an. „Vertraust du mir?“ Ruki musste nicht lange nachdenken. Das war Kai und Kai war zu allererst ein guter Freund, der alles für ihn stehen ließ, wenn er ihn brauchte. Er nickte zaghaft und lächelte schüchtern, aber ehrlich. * Am nächsten Tag begann Ruki seine Therapie. Seine anfängliche Nervosität wurde ihm genommen, als er seinen Therapeuten kennen lernte, der ihm auf Anhieb sympathisch war. In einem ersten Gespräch schilderte er ihm seine Lage, erwähnte allerdings noch nichts von seinem chaotischen Liebesleben. Eigentlich hatte er genau darüber sprechen wollen, weil es momentan seine größte Belastung war, doch angesichts der Tatsache, dass Homosexualität ein noch weitestgehend totgeschwiegenes Thema in Japan war, traute er sich schließlich nicht und verschob dies auf eine der nächsten Sitzungen. Bei 2 Stunden pro Woche würde er hoffentlich schnell genug Vertrauen fassen und darüber sprechen können. „Im Prinzip werden wir versuchen, ihr Gedächtnis zu stimulieren und die Lücken zu schließen. Wenn Sie zuhause sind, sollten Sie z.B. nach Fotos aus den letzten 3 Jahren suchen und diese mitbringen, vielleicht führen Sie ja auch ein Tagebuch oder haben Videoaufnahmen. Sagten Sie nicht, sie wären Musiker? Da wird es ja sicher einiges an Aufzeichnungen und ähnliches geben. Generell sollten Sie sich mit allem auseinander setzen, was ihnen in ihrer Erinnerung fehlt. Sprechen Sie mit Freunden und Verwandten und ganz wichtig: versuchen sie nicht krampfhaft Erinnerungen heraufzubeschwören. Entspannen Sie sich und setzen Sie sich nicht unter Druck. Sonst klappt es nicht“, erklärte ihm der freundliche Herr, den Ruki auf Ende 30 schätzte. Ihm wurde ganz warm, als ihm beim Stichwort „Fotos“ wieder seine Knutschbilder mit Kai einfielen, aber die kannte er ja jetzt. Die würde er mit Sicherheit nicht mitbringen. „Und sollten Sie sich erinnern – Erinnerungen können anfangs in kurzen Flashbacks auftreten und Alarmsignale oder sogar Angstzustände in ihrem Körper auslösen – versuchen Sie ruhig zu bleiben.“ Na super. Hörte sich ja nicht besonders toll an. Nach einer Dreiviertelstunde waren sie fertig mit ihrem Gespräch. Ruki wurde noch zur Tür gebracht, verabschiedet und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch machte er sich auf den Weg nach Hause. Das Problem war, dass er sich immer noch nicht sicher war, ob er sich wirklich an alles erinnern wollte. Klar, in seinem Zustand war sein momentanes Leben nicht wirklich einfach, weder privat noch beruflich, denn das Label setzte ihn und die Band ziemlich unter Druck, damit es endlich weitergehen konnte, doch wie Ruki Kai schon anvertraut hatte, hatte er schlichtweg Angst und er fragte sich, ob überhaupt alles wieder so werden konnte wie früher, wenn er sich wieder erinnerte. Er seufzte. Wie war das mit dem sich nicht unter Druck setzen? Er machte einen kurzen Zwischenstopp in einem Einkaufszentrum, aß etwas und ging in einen Laden, der CD’s und DVD’s verkaufte. Er hatte sich überlegt, einen DVD Abend mit Kai zu machen, denn was auch immer in Zukunft sein würde, er wollte auf ihn zugehen und zumindest ihre Freundschaft retten, wenn schon nicht alles andere. Er blieb etwas perplex stehen, als er ein Regal sah, das komplett mit Gazette CD’s und DVD’s aufgefüllt war und über dem ein großes Poster seiner Band hing. Es war komisch, aber irgendwie auch toll seine eigenen Werke so angepriesen zu sehen. Er nahm die neuste Veröffentlichung aus dem Regal, drehte die CD herum und las sich die Tracklist durch, allerdings bekam er keine Eingebung. Die Titel kamen ihm alle völlig unbekannt vor. Obwohl er sich sicher war, dass er das Album auch zuhause stehen hatte, legte er es in seinen Einkaufskorb und ging weiter zu den DVDs. * „Hey, ich bin wieder da“, rief Ruki gut gelaunt, als er seine und Kais Wohnung eine gute Stunde später betrat. Er legte die Tüte mit den DVDs auf die Kommode im Flur und zog sich seine Schuhe aus. Kai kam sofort angelaufen und fragte, wie es gewesen war. Ruki erzählte ihm alles und Kai versprach, ihm dabei zu helfen, Sachen rauszusuchen, die er für seine Therapie gebrauchen konnte. „Du warst einkaufen?“, fragte er anschließend im Hinblick auf die prall gefüllte Tüte. „Ja, ich dachte, jetzt wo ich praktisch Hausarrest habe, könnten wir ja ein paar Filme zusammen anschauen“, erklärte Ruki und konnte nicht verhindern, dass sich ein sanfter Rotschimmer auf seine Wangen legte. Hoffentlich dachte Kai jetzt nicht Falsches! Kai lächelte jedoch nur und warf einen Blick in die Tüte, während sie ins Wohnzimmer gingen und sich setzten. Kai zog nacheinander alle DVD’s aus der Tüte und lachte schließlich amüsiert auf. „Die Hälfte kannst du wieder zurückbringen. Die haben wir schon alle“, schmunzelte er und sortierte die Filme in zwei Stapel. Schließlich zog er die CD aus der Tüte und sah Ruki mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Die haben wir auch.“ „Das hab ich mir schon gedacht, aber ich fand’s so cool, als ich daran vorbei gelaufen bin und ich wollte sie unbedingt kaufen.“ „Du bist ja lustig!“ Kai riss das Zellophan von der Hülle, nahm die CD raus und stand auf, um sie in die Stereoanlage zu legen. Ruki schaute sich unterdessen das der CD beiliegende Büchlein an, in dem unterschiedliche schwarz/weiß Fotographien zu sehen waren, aber kein einziges Bandbild. „Interessantes Artwork“, murmelte er zu sich selbst, legte das Büchlein beiseite und nahm das Booklet, um die Lyrics der Songs zu verfolgen. Die Musik sagte ihm nicht viel. Klar, es war Gazette, das erkannte er trotz leichtem Stilwechsel, aber Erinnerungen rief sie nicht hervor. Als der Gesang allerdings einsetzte und Ruki sich daran gewöhnt hatte, seine eigene Stimme zu hören, fühlte er sich, als hätte er ein Déjà-vu. Er konnte nicht genau festmachen, was es war, aber irgendetwas kam ihm bekannt vor. „Alles okay? Oder bist du geschockt von unsrer jetzigen Musik?“, erkundigte sich Kai, als Ruki mehrere Minuten lang nichts sagte. „Nein, nein. Das ist es nicht. Mir kommt es so vor, als hätte ich die Songs schon mal gehört. Also natürlich hab ich das. Ich hab sie ja schließlich irgendwann mal aufgenommen, aber ich meine, dass ich mich…erinnere ist das falsche Wort, aber irgendwie ist da was“, erklärte er nachdenklich. „Oh, cool!“ Kais Gesicht hellte sich merklich auf und seine Augen funkelten. „Dann… hör dir einfach alles an. Das Label meint sowieso, du sollst anfangen die Texte zu lernen. Die wollen unsre Pause so kurz wie möglich halten.“ „Die sollten dankbar sein, dass ich überhaupt noch bei Sinnen bin und nicht tot oder so“, brummte Ruki. War ja klar, dass die ihn so schnell wie möglich wieder einsatzbereit haben wollten, damit sie ihn weiter verheizen konnten. Eine neue Singleveröffentlichung stand demnächst scheinbar auch an, wie ihm jemand – er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern wer es gewesen war – erzählt hatte. Er hörte sich das Album einmal komplett aufmerksam an, ließ es dann im Hintergrund laufen, während er sich an seinen Computer setzte und nach Dingen suchte, die für seine Therapie hilfreich sein konnten. Kai kramte unterdessen in einigen Schränken, beförderte Zeitschriften, Fotoalben, unzählige CD’s mit Auftritten der Band zu Tage und jede Menge anderen Kram. Am Ende war der Tisch so vollgepackt, dass Ruki gar nicht wusste, wo er anfangen sollte. Also blieb er erst mal an seinem Computer sitzen und fing an, seine Blogeinträge ab März 2006 zu lesen. Später aßen sie zusammen, machten eine Flasche Wein auf und setzten sich damit ins Wohnzimmer, um ein paar der Filme, die Ruki besorgt hatte, anzuschauen. Er hatte extra darauf geachtet keine Filme zu kaufen, in denen es um kitschige Liebesgeschichten oder ähnliches ging, weswegen sie jetzt hauptsächlich Horrorfilme oder Thriller zur Auswahl hatten und anschauten. Jeder saß in seinem Eckchen des Sofas, zwischen ihnen stand eine Schüssel mit salzigem Mikrowellenpopcorn, die sich mindestens genauso schnell wie der Wein leerte. „Ruki?“ Kai drehte sich zu Angesprochenem, als der Abspann des zweiten Films lief und suchte seinen Blick. Das Wohnzimmer wurde lediglich vom Flackern des Fernsehers und dem Schein des Lichtes aus der angrenzenden Küche erhellt, so dass sein Gesicht halb im Schatten lag. Ruki sah dennoch seine Augen glänzen und wurde etwas nervös. Zu Recht. „Ich verstehe ja, dass du dich an manche Sachen und Ereignisse nicht erinnern kannst, aber Gefühle? Sollten die nicht immer noch unverändert in dir drin sein? Gefühle kann man doch nicht einfach vergessen. Vielleicht unterdrücken. Aber nicht vergessen“, sagte Kai leise. Plötzlich wünschte sich Ruki, dass die Popcornschüssel noch zwischen ihnen stand, aber Kai hatte sie nach dem ersten Film in die Küche gebracht, da sie leer gewesen war, und stattdessen eine weitere Flasche Wein geöffnet. Hätten sie mal nur nicht so viel getrunken, dann würde Kai jetzt nicht wie in Zeitlupe auf ihn zukriechen und Ruki würde aufspringen, anstatt Kai wie im Trance und komplett regungslos anzuschauen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und weiche Lippen pressten sich gegen seine eigenen, begannen sich zu bewegen und Ruki wurde schlagartig bewusst, was hier passierte. „Nicht, Kai!“, flüsterte er und drückte seinen Freund sanft von sich weg. Sofort veränderte sich Kais Gesichtsausdruck in einen erschrockenen und schuldbewusst senkte er den Kopf. „Tut mir leid, Ruki. Ich… ich wollte das nicht. Ich weiß nicht, wieso ich das getan habe“, entschuldigte er sich leise und richtete seinen Blick auf den Boden. „Schon…äh…okay.“ Ruki schluckte. Er fühlte sich beschissen. Kai sah so geknickt aus, dass er ihn am liebsten in den Arm nehmen wollte, aber er wollte keine falschen Hoffnungen hervor rufen. Kai stand auf. „Ich glaub ich geh schlafen“, sagte er kurz angebunden und verschwand ohne weitere Worte im Schlafzimmer. Ruki blieb zurück und igelte sich auf dem Sofa ein. Er dachte nicht an den Kuss, nein. Zumindest nicht hauptsächlich. Seine Gedanken drehten sich um das, was Kai ihm davor gesagt hatte. Es klang zu plausibel. ------ Frohes neues Jahr euch allen erstmal :D Hoffe, ihr seid gut reingekommen. Fall nichts, konnte ich euch hoffentlich den Kater etwas versüßen :P An dieser Stelle muss ich mich für die ganzen Kommentare vom letzten Mal bedanken 33 Ruki wird jetzt jedenfalls wieder etwas zahmer, wie ihr ja sicher bemerkt habt :) LG und bis zum nächsten Mal! Kapitel 7: ----------- Beim Frühstück am nächsten Morgen herrschte drückende Stille. Kai sah ihn nicht einmal an, starrte stattdessen unentwegt in seinen Kaffee, der längst kalt sein musste. Ruki wusste auch nicht so recht, was er sagen sollte. Dass er nicht sauer war, weil Kai ihn geküsst hatte? Dass er es verstand, dass Kai ihn und körperliche Nähe vermisste? Er hatte am Vorabend noch lange nachgedacht. Über das, was Kai gesagt hatte, über ihre Beziehung und darüber, wie Kai sich fühlen musste. Ruki lief ständig vor seiner Nase rum, aber anfassen konnte er ihn nicht. Er verstand, wie schwierig diese Situation nicht nur für ihn, sondern auch für Kai sein musste. Sie mussten die vergangenen drei Jahre praktisch unentwegt zusammen verbracht haben. Als Band waren sie sowieso ständig gemeinsam unterwegs und da sie zusammen wohnten, verbrachten sie auch ihre wenige Freizeit miteinander. Nur weil Ruki durch seinen unglücklichen Unfall sein Gedächtnis verloren hatte, war es nicht fair von ihm zu erwarten, dass sich alle nach ihm richteten. Er sollte versuchen sich nach den anderen zu richten. Schließlich lebte er im „falschen“ Jahr. Zu einer Lösung seines, ihres Problems war er allerdings auch noch nicht gekommen. Vor allem nicht, weil er daran zweifelte, dass die Dinge wieder ihren gewohnten Gang gingen, wenn er sein Gedächtnis zurück hatte. Es würde sicherlich nicht Klick machen und plötzlich stürzte er sich wieder verrückt aus Liebe auf Kai. „Kai? Können wir bitte miteinander reden?“, fragte er schließlich zaghaft, als Angesprochener damit begann, wortlos den Tisch abzuräumen. Ruki hielt ihr eisernes Schweigen nicht mehr aus und besser werden würde es auch nicht, wenn jetzt jeder seines Weges ging. Kai hielt sofort inne und sah Ruki zum ersten Mal an diesem Morgen an. Seine Augen verrieten nicht viel von seinen Gedanken, aber Ruki nahm an, dass ihn ihre ganze Situation von Tag zu Tag mehr mitnahm. Eigentlich war Kai niemand, der die Konfrontation mied. Wenn es Probleme gab, ging er ihnen nie aus dem Weg, sondern versuchte sie so schnell wie möglich zu lösen, aber wahrscheinlich war er gerade selbst an seine eigenen Grenzen gestoßen und konnte einfach nicht mehr. „Worüber möchtest du denn sprechen?“ kam prompt die ausweichende Gegenfrage und schon machte Kai damit weiter, den Tisch abzuräumen, als hätte es den gestrigen Vorfall gar nicht gegeben. Ruki seufzte, stand auf und trat zu Kai, der seine Tätigkeit wieder unterbrach und Ruki aus müden Augen ansah. Zwar hatten sie gerade gezwungenermaßen viel Freizeit, dennoch wirkte Kai unglaublich erschöpft und Ruki wusste, dass es nicht daran lag, dass er auch jetzt noch weiter arbeitete. Nein, er war der Grund für diese Erschöpfung, sein anstrengendes Verhalten und was er damit Kai zumutete. „Falls du das denkst, ich bin nicht sauer auf dich, okay? Kann nicht alles so wie früher zwischen uns sein?“, sagte er vorsichtig und sah Kai von unten herauf an, während seine Finger mit dem Saum seines Pullis spielten. Doch Kais Augen weiteten sich zunächst nur und Ruki wurde schlagartig bewusst, dass das, was er gerade gesagt hatte, komplett falsch rüberkam. „Früher“ war bei ihm vor dem Kuss, doch für Kai war „früher“ natürlich vor seinem Unfall. „Es soll so sein wie früher, Ruki?“, spie der sonst so ruhige und ausgeglichene Kai mit einem Mal wütend und lachte anschließend affektiert auf, während er sich kurz wegdrehte. „Das musst du mir nun wirklich nicht sagen. Du bist doch hier derjenige, der sich verändert hat.“ Ruki machte zwei Schritte rückwärts und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Natürlich hatte Kai Recht, er war derjenige, der sich verändert hatte und Kai nicht das geben konnte, was dieser brauchte. Ein bisschen ungerecht behandelt fühlte er sich dennoch schon, schließlich konnte er für seine momentane Lage auch nichts, aber wirklich sauer war er deswegen nicht und er durfte nicht vergessen, dass er innerhalb weniger Tage nichts besseres zu tun gehabt hatte, um gleich mit der nächsten Frau ins Bett zu hüpfen, anstatt abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. „Es tut mir leid. So wollte ich das nicht sagen“, begann er sich zu entschuldigen, doch Kai war noch nicht fertig. Seine Augen funkelten gefährlich, seine Stirn lag in Falten und seine Augenbrauen waren zusammen gezogen. Kai war wirklich wütend und das ließ er Ruki auch wissen. „Weißt du eigentlich, wie ich mich fühle? Du trampelst auf meinen Gefühlen rum, du kümmerst dich einen Scheißdreck um mich und was ich denke, du springst mit irgendwelchen Weibern in die Kiste und verhältst dich, als würde ich dir sonst was antun. Hast du eine Ahnung, wie weh das tut? Wie weh es tut so von der Person behandelt zu werden, die man liebt? Ich kann dich ja noch nicht mal in den Arm nehmen, ohne dass du gleich denkst, ich würde dich vergewaltigen wollen oder was auch immer.“ Bei seinen letzten Worten drehte Kai seinen Kopf zur Seite, schloss die Augen und fuhr sich mit einer Hand darüber. Ruki war normalerweise niemand, der bei Streitigkeiten den Kürzeren zog, ohne zuerst mächtig Paroli zu bieten, aber gerade stand er einfach nur da und starrte Kai an, der ihm mittlerweile den Rücken zuwandte und scheinbar weinte, nachdem seine Wut verpufft war, während seine Worte noch in der Luft hingen. Ruki tat schließlich das einzige, was ihm plausibel erschien. Er trat auf Kai zu, stellte sich vor ihn und zog ihn doch in eine Umarmung. Kai kollabierte förmlich in seinen Armen, klammerte sich an ihn und vergrub sein Gesicht an Rukis Hals. Ruki streichelte ihm beruhigend über den Rücken, verhielt sich ansonsten jedoch ruhig. So wie er sich kannte, hätte er sowieso wieder das Falsche gesagt und Kai nur noch mehr verletzt. Ab sofort würde er einfach seine Klappe halten. Er wusste zwar nicht, ob es das Richtige war, Kai jetzt mit körperlicher Nähe zu begegnen, aber er hatte gerade selbst das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. Als Kai sich nach einer gefühlten Ewigkeit von ihm löste, war von Tränen nichts mehr zu sehen, seine Augen allerdings strahlten eine Traurigkeit aus, die Ruki wirklich traf. Er hasste sich gerade selbst dafür, dass er Kai so viel Kummer bereitete, aber was sollte er machen? Es gab schließlich keinen Schalter an ihm, mit dem man auf Homosexualität und Gefühle für einen langjährigen Freund umschalten konnte. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien“, murmelte Kai betreten. Er ließ Wasser in die Spüle ein und fing damit an, das Geschirr abzuspülen, obwohl sie auch eine Spülmaschine hatten. Ruki konnte es selbst nicht so richtig glauben, aber er nahm zum ersten Mal seit Jahren ein Geschirrhandtuch und fing an, das Geschirr abzutrocken. Kai warf ihm einen verwirrten Blick zwischen seinen Ponyfransen hindurch zu, sagte jedoch nichts und Ruki stellte fest, dass Abtrocknen gar nicht so schlimm war. „Das muss dir nicht leid tun. Wir hätten schon viel früher mal über alles sprechen sollen“, erwiderte Ruki vorsichtig. Bevor er etwas sagte, dachte er zweimal über seine Wortwahl nach, um Kai nicht wieder unbeabsichtigt zu verletzen. „Vielleicht sollten wir uns nochmal zusammen setzen, um richtig zu reden.“ „Ja, vielleicht. Aber es ändert ja trotzdem nichts an der Situation und ich will dich auch nicht unter Druck setzen oder so. Das gestern war ein Ausrutscher. Tut mir leid. Ich war angetrunken und ich hab deine Nähe vermisst. Wenn du willst, ziehe ich ab sofort auf’s Sofa.“ „Nein, das musst du nicht.“ Ruki schüttelte den Kopf und räumte die Teller in einen der Schränke. Kai hatte ihn vielleicht gestern geküsst und zu Anfang der Woche hatte er sich noch ziemlich darüber aufgeregt, dass sie im gleichen Bett schliefen, aber mittlerweile fand er nichts schlimmes mehr dabei. Er wusste genau, dass Kai nie etwas machen würde, was er nicht wollte. Sein schlechtes Gewissen allerdings wuchs noch mehr, als er hörte, dass Kai seine Nähe vermisste. Er war doch wirklich ein Arschloch, wie er hier praktisch vor Kais Nase herumturnte, ihn aber nicht an sich ranließ. Da musste doch jeder Mensch früher oder später verrückt werden. Den Nachmittag verbrachten sie gemeinsam mit Koron im Park. Während der kleine Hund über die Wiesen sprang, unterhielten sie sich ein wenig. Kai, der Ruki natürlich bei seiner Therapie unterstützen wollte, erzählte ihm einige Episoden aus den letzten Jahren. Bandkram wohl gemerkt. Aus ihrem Privatleben drang kaum ein Wort über seine Lippen, aber es gab sowieso genug zu erzählen, was die Band so getrieben hatte. Nicht selten musste Ruki auflachen oder den Kopf schütteln, wie beispielsweise über die verkorkste Europatour, auf der er sich pausenlos über den schlechten Reis (oder dessen Nicht-Vorhandensein) beschwert hatte. Manchmal war er wirklich eine Diva. Natürlich freute er sich auch zu hören, dass die Band richtig erfolgreich war, die Konzerte innerhalb von Minuten ausverkauft wurden und sie gefragter waren denn je. In seinem Berufsleben schien es ganz gut zu laufen und hatte er nicht immer davon geträumt, von der Musik leben zu können? Die Tage, bzw. Nächte, in denen er in Supermärkten jobben musste oder die verdreckten Clubs putzte, in denen er lieber mit seiner Band auftreten wollte, schien er endgültig hinter sich gelassen haben und etwas besseres konnte er sich eigentlich gar nicht vorstellen. „Sag mal“, fing er schließlich zögerlich an, weil ihm da noch etwas in der Seele brannte, das er wissen wollte. Allerdings war es ein recht delikates Thema, sprach es doch wieder ihre Beziehung an und er wusste nicht, wie Kai reagieren würde, wenn er es wieder zur Sprache brachte, wo es doch für so viel Konflikte zwischen ihnen sorgte . „Du und ich. Wie ist das gekommen?“ Kai sah zu ihm rüber und lächelte ihn zu seiner Erleichterung an, ehe er wieder nach vorne schaute und scheinbar kurz in Erinnerungen versank. Erinnerungen und Bilder, die Ruki auch gerne vor seinem geistigen Auge sehen wollte. „Tja, um ehrlich zu sein kann ich da gar keinen bestimmten Punkt festmachen oder so“, erklärte Kai nach einer Weile. „Irgendwann haben wir einfach immer mehr Zeit miteinander verbracht. Im Studio, wenn die anderen schon zuhause waren, nach Konzerten im Hotel, an unsren freien Wochenende. Wie das eben manchmal so ist, wenn man viel Zeit miteinander verbringt und plötzlich feststellt, dass der andere einem mehr bedeutet, ohne dass man eigentlich gemerkt hat, wie es dazu gekommen ist.“ Ruki rutschte ein wenig unruhig auf der ungemütlichen Bank hin und her. Sie hatten also mehr Zeit miteinander verbracht. Er musste unweigerlich wieder daran denken, dass sie zusammen im Kino gewesen waren und „Brokeback Mountain“ angeschaut hatten. Das war ihm etwas unangenehm gewesen, denn er hatte gleich Angst gehabt, dass die anderen Kinozuschauer ihn und Kai für ein schwules Pärchen hielten. Auch wenn er äußerlich immer so cool und lässig tat, innerlich war er nicht ganz so stark und durchaus angreifbar. Meist versteckte er das hinter seinem Ego – so wie die ganzen Tage seit seinem Unfall bis hin zu dem Abend mit dem großen Knall. Es wunderte ihn fast selbst ein bisschen, dass sich sein Ego momentan ganz weit weg versteckte und sich nicht ans Tageslicht traute, aber eigentlich war er ganz froh darüber. Vielleicht konnte er so mehr retten. „Und…das ging so einfach? Ich meine, waren wir *peng* auf einmal zusammen? Ich meine das jetzt nicht böse, aber ich kann es mir grad nicht so richtig vorstellen, weil ich vorher noch nie was mit einem Mann gehabt habe“, fragte er weiter nach. Die Unsicherheit war verflogen. Es interessierte ihn ziemlich, ob er sich sofort auf Kai eingelassen hatte oder ob er sich dagegen gesträubt hatte, wie er es jetzt wohl tun würde bzw. tat. „Naja, ganz unkompliziert war es nicht. Nachdem wir uns das erste Mal geküsst haben, haben wir am nächsten Tag auch so getan, als wäre nichts passiert und sind uns aus dem Weg gegangen. Aber irgendwann ist es halt wieder passiert. Wie in einem schlechten Film.“ Kai lachte leise auf und sah wieder zu Ruki rüber, dessen Körpertemperatur um gefühlte 10 Grad zugenommen hatte. Kai so zu küssen, wie er Frauen küsste, das war…seltsam? Zumindest kam ihm das jetzt so vor, aber wahrscheinlich redete ihm sein Unterbewusstsein da etwas ein. Einen Mann zu küssen konnte im Prinzip doch nicht viel anders sein, als eine Frau zu küssen. Anatomische Unterschiede gab es dabei schließlich nicht wirklich. Vielleicht sollte er sich einfach nochmal richtig küssen lassen? Die Augen dabei schließen und sich einfach nur auf das Gefühl konzentrieren? Vielleicht würde er dann auch etwas fühlen? „Aber ja, du hast dich anfangs schon etwas quer gestellt, falls du das wissen willst. Keine gemeinsamen Nächte, kein zusammen gesehen werden in der Öffentlichkeit. Im Beisammensein der anderen hast du mich derart ignoriert, dass bald doch aufgefallen ist, dass zwischen uns etwas anders ist. Aber eigentlich warst du niedlich.“ Kai lachte leise und vergrub seine Hände in den Jackentaschen. Ruki wusste nicht, was er darauf sagen sollte, denn er war ganz sicher nicht niedlich, also brummte er zur Antwort nur ein „Aha“ und versank wieder in seinen eigenen Gedanken. Er fragte sich plötzlich, ob sich die Vergangenheit nicht automatisch wiederholen würde, jetzt wo er so viel Zeit mit Kai verbrachte. Würde er sich dann auch wieder in ihn verlieben? Klar, er mochte Kai (aber wer tat das nicht?) und rein objektiv gesehen würde er auch sagen, dass Kai attraktiv war, aber reichte so was, damit ER sich verliebte? Nun ja, scheinbar hatte es schon mal gereicht und zumindest abstoßend hatte er den gestrigen Kuss auch nicht gefunden. Er hatte sich aus Prinzip nicht darauf eingelassen, weil in seinem Kopf noch immer die „Männer küsst man nicht“-Einstellung verankert war. Dennoch musste er ständig an Kais Worte vom Vorabend denken. Eigentlich wollte er ihm Recht geben, Gefühle vergaß man nicht einfach. Was das für ihn bedeutete, wusste er allerdings nicht. ---- Um ehrlich zu sein, weiß ich grad gar nicht, wie es mit der Geschichte weitergeht (im Sinne von wann ich sie schreiben kann), da ich jetzt demnächst mein Examen mache und dafür einfach lernen lernen lernen muss/will, und mir außerdem ein wenig die Motivation für diese Geschichte fehlt, obwohl ich eigentlich weiß, was hier alles noch geschehen soll. Beenden will ich sie aber auf jeden Fall, es könnte halt nur etwas dauern. 3 Kapitel hab ich noch an Vorrat, danach muss ich mal schauen, wie es klappt. Kapitel 8: ----------- Ruki hatte Angst, dass ihm die letzten drei Jahre für immer verborgen bleiben würden. Eine Woche war seit seinem Unfall bereits vergangen und sein Gedächtnis machte keine Fortschritte. Es passierte einfach nichts. Er konnte sich Fotos anschauen, irgendwelche Aufnahmen, Interviews von sich selbst lesen und trotzdem war alles fremd, erinnerte ihn nicht mal ansatzweise an die Vergangenheit. Hatte er diese Situation anfangs eher als recht nervig und unerfreulich betrachtet, kroch langsam die schmerzhafte Gewissheit in ihn, dass er sein Gedächtnis vielleicht nie wieder finden würde. Dabei wollte er alles zurück, all seine Erfahrungen, die guten und schlechten Zeiten, die er durchlebt haben musste, Menschen, die er kennen gelernt hatte, die Aufenthalte im Ausland, und natürlich auch seine Gefühle. Es kam ihm so vor, als wäre ihm ein Teil seiner Identität geraubt worden und von den anderen von allem berichtet zu bekommen, reichte ihm nicht aus, denn es gab ihm nicht das Gefühl, all dies wirklich erlebt zu haben. Vielleicht war es noch zu früh, sich darüber Sorgen zu machen, doch Ruki bekam langsam Panik, dass er zu dem Teil der Menschen gehörte, deren retrograde Amnesie für immer anhielt und nicht nach einigen Tagen wieder verschwand. Wie sollte es dann weiter gehen? Mit ihm, Kai und der Band? Er hatte keinen Zweifel daran, dass das Label ihn einfach weiter alle Texte auswendig lernen und dann so weitermachen ließ, wie zuvor, aber privat lag so viel im Argen, dass Ruki die Angelegenheit einfach nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. Er wollte endlich wieder er selbst sein und nicht von einem Fettnäpfchen ins andere treten, nur weil plötzlich jemand in seinem Kopf herum radiert hatte. Als seine Wunde soweit verheilt war, dass die Fäden gezogen werden konnten, sprach er anschließend mit seinem behandelnden Arzt. Dieser jedoch konnte ihm vorerst auch nichts anderes als eine entsprechende Therapie empfehlen. Eine Operation wäre zu risikoreich und zu diesem Zeitpunkt völlig verfrüht, da sich die Erinnerung immer noch auf natürlichem Wege wieder einfinden konnte. Ruki war auch nicht besonders scharf drauf, sich den Schädel aufsägen zu lassen, damit man ihm im Kopf rumstochern konnte und er am Ende einer Gehirnblutung oder ähnlichem erlag. Nein, da verzichtete er doch lieber auf die letzten drei Jahre und ging weiter brav zu seiner Therapie, die bisher aber auch noch recht fruchtlos gewesen war. Zwar waren ihm die neuen Songtexte beim Lernen irgendwie bekannt vorgekommen, die Materialien, die sie bei seinen Sitzungen durchgingen, weckten allerdings keine Assoziationen in ihm. Ruki war sich nicht sicher, ob er sich Hypnotisieren lassen wollte. Sein Therapeut hatte ihm dies als Methode vorgeschlagen, um herauszufinden, ob es etwas in Rukis Leben gab, an das er sich gar nicht mehr erinnern wollte und deswegen die Gedächtnisfunktion blockierte. Ruki glaubte nicht, dass es ein solches „traumatisches Erlebnis“ gegeben hatte. Es sei denn natürlich, innerlich wehrte er sich immer noch dagegen, seine „Zusammenkunft“ mit Kai zu akzeptieren. Vielleicht tat er das wirklich. Er konnte schließlich nicht leugnen, dass er anfangs alles dafür getan hatte, um Kai vor den Kopf zu stoßen und ihm klarzumachen, dass er an ihm nicht interessiert war. Das Zusammenleben mit Kai verlief mittlerweile relativ normal, sie verstanden sich gut und Annäherungsversuche hatte es nicht mehr gegeben, aber Ruki war sich trotzdem sicher, dass Kai sich Hoffnungen machte. Konnte er ihm auch nicht verdenken, denn nach drei Jahren Beziehung würde sich wohl jeder wünschen, den Partner endlich wieder zurück zu haben. Er war ja sogar enttäuscht gewesen, als Ruki ihm vor ein paar Tagen mitgeteilt hatte, dass er ihm nicht mehr beim Haare waschen helfen musste, weil seine Platzwunde soweit verheilt war, dass er wieder normal duschen konnte. Natürlich hatte er diese Enttäuschung nicht offensichtlich gezeigt, aber Ruki kannte ihn gut genug, um es trotzdem zu erkennen. Kai war vielleicht doch der Grund, wieso Ruki sich nicht erinnern wollte. Kai hatte sein Leben jetzt schon durcheinander gebracht und als natürliche Abwehrreaktion verschloss sich sein Körper vor jeglichen romantischen Gefühlen, die den Drummer betrafen. So erklärte es sich Ruki zumindest. Er hatte keine Ahnung, ob das medizinisch korrekt war, aber bisher hatte er seinem Therapeuten nicht erzählen wollen, dass er eigentlich schwul war. Das ging schließlich niemanden etwas an (und es war ihm leicht peinlich dies vor einem Fremden zuzugeben) und deswegen wollte er jetzt auch keine Hypnose, bei der dieses kleine Detail eventuell zum Vorschein kommen könnte. Vielleicht würde er es erwähnen, wenn in einem Monat sein Gedächtnis immer noch nicht zurück war, aber momentan war Ruki nicht dazu bereit, ein so intimes Detail mit jemanden zu teilen, den er überhaupt nicht kannte. Ärztliche Schweigepflicht hin oder her. Man wusste ja nie. Vielleicht war er in dieser Hinsicht auch einfach verkappt, denn obwohl seine Texte oft nicht ohne waren, befand Ruki, dass sein eigentliches Sexualleben niemanden etwas anging. Dennoch überlegte Ruki, ob er nicht selbst etwas dagegen tun konnte, falls er unterbewusst wirklich verdrängte, was er eigentlich mit Kai hatte und seine Maßnahme lautete deswegen: Konfrontation. In den Medien hörte man doch ständig davon, dass Menschen ihre Angst vor Spinnen dadurch bekämpften, indem sie dem direkten Kontakt mit diesen Tieren ausgesetzt wurden. Konnte Rukis Homophobie nicht genauso verschwinden, wenn er sich Kai etwas annäherte? Er würde sicher nicht mit ihm ins Bett springen, aber einfach mal etwas seine Nähe suchen, würde sicher auch nicht weh tun. Wenn Kai da nur mitspielte… Da zweifelte Ruki momentan noch etwas dran, denn Kai ging durchaus auf Distanz, wollte sich wahrscheinlich selbst nicht in Versuchung bringen. Schlussendlich brauchte Ruki weitere vier Tage, bis er sich zu seinem ersten Annäherungsversuch überwinden konnte. Es war wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt, da am nächsten Tag der erste Fernsehauftritt seit seinem Unfall stattfinden sollte und er sich deswegen genug Ruhe gönnen sollte. Er hatte ein wenig Angst davor und dass er mit der Situation nicht umgehen konnte. Zwar war abgemacht, dass Kai das meiste des Interviews übernehmen sollte, aber man konnte ja nie wissen und am Ende vergaß Ruki doch den Text bei der anschließenden Performance. Zwei Lieder würden sie spielen und obwohl Ruki alles in- und auswendig konnte, war er nervös und dies würde wiederum vielleicht dazu führen, dass er wie der letzte Depp auf der Bühne stand, weil er einen Blackout hatte. Der Auftritt war für den späten Nachmittag festgesetzt, weswegen sie nicht allzu früh aufstehen mussten, sondern ausschlafen konnten und Ruki wusste, dass er den Schlaf brauchte, um den morgigen Tag durchzustehen. Dennoch wollte er heute Phase 1 seines Konfrontationsplans durchsetzen. Es war bereits recht spät und Kai und er lagen schon im Bett – natürlich jeder brav auf seiner Seite, so wie jede Nacht. Die unsichtbare Grenze zwischen ihnen wurde immer eingehalten. Heute allerdings gedachte Ruki, den Abstand zwischen ihnen zu verringern, so dass er wirklich Seite an Seite mit Kai schlief. Jetzt musste er das dem Drummer nur so verklickern, dass der nicht gleich sonst was dachte und doch über ihn herfiel, weil er auf Entzug war. Kai war schließlich ein Mann, so wie Ruki auch und Ruki würde sich eine solche Gelegenheit normalerweise nicht entgehen lassen. Männer dachten eben nicht immer mit dem Kopf… Ruki legte das Buch, in dem er bis jetzt gelesen hatte, beiseite, seine Brille daneben und drehte sich zu Kai, der mit seinem Gameboy spielte und so sehr darin versunken war, dass er nicht mal merkte, dass Ruki ihn gerade beobachtete. Sein Gesichtsausdruck war höchst konzentriert, manchmal klappte ihm der Mund etwas auf, manchmal legte er die Stirn in Falten oder presste seine Lippen verstimmt zusammen. Ruki war sich gar nicht bewusst gewesen, wie interessant es sein konnte, jemanden bei einem Computerspiel zu beobachten. Nach einigen Minuten hatte er allerdings genug. Er wollte schlafen. „Kai?“ „Mmh?“, brummte dieser, ohne von seinem Spiel aufzuschauen. Steckte wahrscheinlich gerade in einem schwierigen Level oder was auch immer. Ruki besaß ja selbst keine Spielekonsolen und hatte auch nicht wirklich Interesse daran. Als Kind hatten ihm seine Eltern verboten damit zu spielen und mittlerweile hatte er auch keinen Spaß daran, mal auf den Konsolen seiner Freunde zu spielen. In seinen Augen waren diese Spielereien sowieso hirnrissig und pure Zeitverschwendung. Wie konnte man die wenige Freizeit, die man hatte, nur derart verschwenden? „Ich wollte mal mit dir reden.“ „Ist grad ganz schlecht, Ruki“, erwiderte Kai. „Also wenn du mir nicht grad sagen willst, dass du dein Gedächtnis wieder gefunden hast, dann verschieben wir das Gespräch, okay?“ Ruki traute fast seinen Ohren nicht. Kai war dieses blöde Spiel wichtiger als eine Unterhaltung mit ihm? Erbost setzte er sich wieder auf und riss Kai den Gameboy aus den Händen. Kais Augen weiteten sich erschrocken, er schnappte nach Luft und schien kurz davor, Ruki windelweich zu prügeln, wenn der ihm nicht den Gameboy zurückgab, doch dann hatte Ruki schon den Powerknopf zurückgeschoben und alle Lichter der Konsole gingen aus, während Kai aufjapste. „Sag mal, was soll das denn? Ich war grad kurz davor das Spiel endlich zu beenden. Weißt du eigentlich, wie lange ich dafür gebraucht habe? Und jetzt konnte ich nicht mal abspeichern“, meckerte Kai gleich los und riss Ruki den Gameboy dann doch aus den Händen und legte ihn auf sein Nachtschränkchen. „Sorry“, lächelte Ruki entschuldigend, „aber indirekt geht es schon um die Sache mit meinem Gedächtnis.“ „Achja?“ Kai schien nicht überzeugt, hatte noch immer die Arme vor der Brust verschränkt und schmollte ein wenig. Ruki war ziemlich froh, dass er zum Schlafen ein T-Shirt trug, sonst hätte er sich wohl nicht getraut, sein Vorhaben durchzuziehen. Nähe okay, aber nackte Haut ging ihm dann doch einen Schritt zu weit. „Also du weißt ja, dass es Teil meiner Therapie ist, meine Erinnerungen zu stimulieren. Und da das bisher durch Bilder und all den Kram nicht geklappt hat, dachte ich mir, dass das doch auch anders gehen könnte“, erklärte er langsam und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Hoffentlich wurde er nicht allzu rot! Mehr erklären wollte er eigentlich nicht, obwohl Kai ihn immer noch so ansah, als würde er nichts verstehen. Verständlicherweise. Ruki wollte ihm lieber zeigen, was er mit seinen Worten meinte. Er nahm sein Kissen und legte es direkt neben Kais, welcher ihn nun wirklich verwirrt anschaute, jedoch nichts sagte. Wahrscheinlich trauerte er immer noch seinem dämlichen Gameboy hinterher. Ruki schluckte seine Verunsicherung runter, nahm seine Decke und zog sie mit sich mit, als er näher an Kai heranrobbte und sich dann einfach neben ihn legte, von unten unsicher angrinste. Kai schien immer noch wie versteinert und rührte sich nicht, weswegen sich Ruki kurz wieder aufrichtete, sich über ihn beugte und die Nachttischlampe ausschaltete. „Also dann, gute Nacht!“, sagte er, als wäre das, was er gerade tat, das normalste auf der Welt. Es dauerte noch einige Momente, bis Kai sich wieder regte und runter auf die Matratze rutschte. Er lag jetzt ganz dicht an Ruki dran, welcher vor Aufregung ganz schönes Herzklopfen hatte. Kai war ihm so nah, dass sie sich fast berührten. Er spürte seine Wärme und konnte seinen Atem fühlen, weil Kais Gesicht ihm zugewandt war. „Ähm Ruki?“, durchschnitt die Stimme des Drummers schließlich die Stille. „Ich weiß zwar nicht so richtig, worauf du hinaus willst, aber würde es bei deiner Therapie auch helfen, wenn ich die Arme um dich lege?“ „Nein!“, kam es sofort aus Ruki herausgeschossen. Das ging nun wirklich etwas zu weit. „Vielleicht morgen oder übermorgen oder so“, schickte er allerdings versöhnlich hinterher, um Kai jetzt nicht zu verärgern, und hoffte, dass er sich damit zufrieden geben würde. Zu seiner Erleichterung schien Kai damit einverstanden, denn er ließ ein kurzes „Okay“ verlauten und blieb ruhig liegen. Ruki schlief nicht sofort, sondern versuchte sich wachzuhalten, indem er darüber nachdachte, wie sich die Situation gerade für ihn anfühlte. Sie lagen zwar sehr nah beieinander, berührten sich aber nicht und wurden außerdem von ihren Bettdecken getrennt. Eigentlich war das auch nichts anderes als in den vergangenen Nächten, wo etwas mehr Abstand zwischen ihnen gewesen war. Vielleicht hätte er Kai doch erlauben sollen, zumindest einen Arm um ihn zu legen, damit etwas mehr Kontakt da war. Andererseits musste man es ja nicht schon jetzt übertreiben. Für die erste Nacht reichte es vollkommen, dass sie fast aneinander gekuschelt da lagen. Ruki fühlte sich okay in der jetzigen Situation und morgen konnte man ja vielleicht einen Schritt weitergehen. Zuversichtlich, dass seine Selbsttherapie Erfolge zeigen würde, schloss er schließlich die Augen und schlief auch recht bald ein. * Ruki wachte alleine, bzw. neben einem kleinen, gelben Zettel auf, auf dem Kai ihm mitteilte, dass er schon am Morgen in die Company gemusst hatte, um noch etwas zu erledigen, ihn aber am Nachmittag für den Auftritt zusammen mit den anderen abholen würde. Das war Ruki nur recht, denn er hatte schon erwartet, dass Kai am Frühstückstisch mit ihm diskutieren wollte, wie sie seine „Therapie“ in Zukunft schneller voran treiben könnten. Kai würde die letzte Nacht sicher nicht kommentarlos stehen und sich als Versuchsobjekt missbrauchen lassen, ohne eigene Ansprüche zu stellen. Er stand auf und ging erst mal ausgiebig duschen, genoss es, endlich wieder richtig unter dem Wasser stehen zu können. Anschließend gab es ein kurzes Frühstück, ehe er zu einem langen Spaziergang mit Koron in den Park aufbrach. Wieder saß er auf der Bank, auf der er vor ein paar Tagen noch mit Kai gesessen hatte und ließ sich seinen Plan durch den Kopf gehen. Er wusste, dass er sich auf ziemlich dünnem Eis bewegte, denn mit seinem Verhalten machte er Kai nur noch mehr Hoffnungen. Bevor sie heute Abend schlafen gingen, sollte er sich doch nochmal mit ihm zusammen setzen und ihm genau erklären, wie er sich sein Vorhaben vorstellte. Der Fernsehauftritt am Nachmittag lief relativ gut. Fragen zur Musik beantworteten die anderen, allerdings war das komplette Interview sowieso vorher mit der Band abgesprochen worden, so dass selbst die Frage nach Rukis Amnesie nicht überraschend kam. Da das Label alles andere als begeistert gewesen war, als er der Welt in seinem Blog mitgeteilt hatte, dass sein Gedächtnis futsch war, hatte man ihn gebeten so zu tun, als wäre wieder alles in Ordnung mit ihm und das tat Ruki auch. Niemand schien Verdacht zu schöpfen, alle nahmen ihm ab, dass er wieder der Alte war. Der Auftritt klappte ebenfalls. Ruki fühlte sich zwar komisch dabei, einen Song zu singen, von dem er nicht wusste, dass er ihn geschrieben hatte, weil er sich nicht recht in die Emotion versetzen konnte, die damit übertragen werden sollte, aber technisch gesehen war er perfekt und eigentlich machte es auch Spaß auf der Bühne zu stehen. Es gab Ruki wieder etwas mehr Selbstsicherheit, auch wenn er nicht wusste, ob ein schwarzer Paillettenanzug mit roten Lederhandschuhen wirklich seinem Geschmack entsprach. Oder war das etwa Ausdruck seiner Homosexualität? Er wollte kein Klischeeschwuler sein! Er musste Kai unbedingt fragen, ob er einer war. Oder nein, lieber jemand anderes. Kai war ja selbst schwul und damit nicht objektiv. „Sag mal, Reita“, sprach er den Bassisten in einer ruhigen Minute an, als sie draußen vor dem Gebäude des Fernsehsenders standen, eine Zigarette rauchten und auf die anderen warten, um nach Hause zu fahren. „Mmh, was denn?“ „Würdest du sagen, dass man mir ansieht, dass ich schwul bin? Also ich meine, bin ich tuckig oder so?“ Reita schmunzelte, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Wie kommst du darauf?“ „Mein aktuelles Bühnenoutfit. Diese Pailletten. Und der Hut!“ Jetzt lachte Reita wirklich und klopfte Ruki auf die Schulter. „Tja, das musst du mir nicht sagen, aber als wir die Outfits ausgewählt haben, bist du sehr begeistert gewesen. Aber wenn es dich beruhigt, nein, normal läufst du nicht wie eine Tunte rum. Hast du dich denn mittlerweile mit deiner Homosexualität angefreundet oder wie? Dann lass Kai doch mal wieder ran. Er ist in letzter Zeit so schnell gereizt“, lachte Reita. Komisch konnte Ruki nun wirklich nichts daran finden und deswegen bedachte er Reita auch nur mit einem dunklen Blick, konnte die Diskussion sowieso nicht fortsetzen, da ihr Fahrer mit dem Van vorgefahren war und die anderen nach und nach auch aus dem Gebäude kamen. Zurück zu Hause ließen Kais fragende Blicke nicht lange auf sich warten, Ruki verabschiedete sich aber erst mal unter die Dusche, um das juckende Bühnenmake-up loszuwerden und seine verklebten Haare zu waschen. Kaum hatte er das Bad verlassen, verschwand Kai darin und Ruki machte es sich im Wohnzimmer gemütlich, legte sich schon mal die Worte zurecht, mit denen er Kai seinen Plan erklären wollte. Ab und zu gingen ihm auch Reitas Worte durch den Kopf, aber Reita war sowieso ein Depp und wahrscheinlich selbst schuld daran, wenn Kai gereizt war. Trotzdem wurde er ein wenig rot um die Nase, wenn er daran dachte Kai „ranzulassen“. Reita war wirklich ein Depp! „Also“, fing Kai an, nachdem er aus dem Bad kam und sich zu Ruki setzte, „erklärst du mir jetzt nochmal ganz genau, wie deine Therapie aussehen soll? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das gestern richtig verstanden habe.“ „Naja. Ich möchte meinem Körper zeigen, dass ich nicht homophob, sondern gern in deiner Nähe bin. Und weil es folglich kein traumatisches Erlebnis gibt, das ich blockieren muss, will ich so meine Erinnerung wieder erlangen“, erklärte er seine Gedanken, die für Kai wenig einleuchtend erschienen, denn er sah ihn nur verwirrt an. „Bitte was?“ „Also es ist so!“, fing Ruki erneut an und gestikulierte wild mit seinem Armen, während er zu seiner komplizierten Erklärung ansetze. „Dass ich mich nicht erinnern kann, könnte auch daran liegen, dass ich mich nicht erinnern will, weil etwas passiert ist in den drei Jahren, das ich heute nicht wahrhaben will. Und das kann ja nur die Sache zwischen dir und mir sein. Und da habe ich mir gedacht, wenn ich jetzt mehr in deiner Nähe bin, zeige ich mir, meinem Körper oder was auch immer für mein Gedächtnis verantwortlich ist, dass es nichts gibt, das ich verdrängen will. Und so kommt dann auch hoffentlich meine Erinnerung wieder. Ist das jetzt klarer für dich?“ Kai sah ihn kurz an, nickte dann langsam, schien jedoch nicht wirklich überzeugt. „Hat das dein Therapeut gesagt oder hast du das selbst diagnostiziert?“ „Najaaa. Also eigentlich ist das meine eigene Idee gewesen. Ich habe meinem Therapeut noch nichts von dir und mir erzählt. Das ist mir irgendwie unangenehm“, gab Ruki schulterzuckend zu und lächelte entschuldigend. „Okay. Ich kenn mich mit so was nicht aus, aber wenn es dir hilft… Und ich sag bestimmt nicht nein. Aber erklär mir doch mal, wie du dir das jetzt vorgestellt hast. Also wie soll das genau ablaufen?“ „So wie gestern Abend? Neben dir einschlafen?“, fragte Ruki zögerlich. Mehr konnte er sich im Moment einfach nicht vorstellen. „Oder hast du was dagegen, wenn wir im Prinzip…ähm…kuscheln?“ „Nein, hab ich nicht. Ich kann’s dir auch besorgen, wenn du willst“, grinste Kai und lachte kurz auf, ehe er den geschockten und blassen Ruki wieder beruhigte. „Hey, das war ein Witz. Wobei…machen würde ich das schon, aber nur wenn du auch willst. Wir machen alles in deinem Tempo und ehrlich gesagt freu ich mich auch drüber, dass du so was ausprobieren willst. Vielleicht klappt’s ja auch.“ „Ja, vielleicht…“ Ruki war jetzt doch etwas unwohl geworden. Was, wenn Kai nun doch mehr erwartete und vielleicht Sex mit ihm wollte? So was wollte er doch gar nicht! Andererseits hatte er gesagt, sie würden nur das tun, was Ruki wollte und Kais Worten durfte man eigentlich immer Vertrauen schenken. Er würde es einfach auf den Versuch ankommen lassen müssen. Sie saßen noch eine Weile beieinander und sahen einen Film im Fernsehen an, auf den Ruki sich aber nicht konzentrieren konnte, da er sich die ganze Zeit überlegte, ob er auch jetzt zu Kai ranrutschen sollte. Momentan saßen beide noch in jeweils einer Ecke des Sofas mit großzügigem Abstand zwischen sich. Letztendlich entschied er sich dazu, dass neben einander schlafen erst mal ausreichte, obwohl er gerade tatsächlich das Verlangen nach menschlicher Nähe verspürte. Als der Abspann über den Bildschirm flackerte, stand er auf und machte sich bettfertig, las wieder ein Kapitel in seinem aktuellen Buch und wartete darauf, dass Kai auch ins Bett kam. Noch lag er auf seiner Seite, würde gleich aber wieder zu Kai rutschen. Es dauerte nicht mehr lange und Kai löschte alle Lichter in der Wohnung, ging kurz ins Bad und kam zu Ruki, der jetzt jede von Kais Bewegungen mit den Augen verfolgte. Als er neben ihm lag, legte er sein Buch und seine Brille wieder weg und rutschte wie am Abend zuvor mit Kissen und Decke zu Kai. Kai wünschte ihm eine gute Nacht, löschte das Licht und dann…kam nichts mehr. Ruki hatte erwartet, dass Kai wieder fragen würde, ob er ihn in den Arm nehmen dürfe und diesmal hätte er ja gesagt, doch die Frage blieb aus und Ruki traute sich nicht, sie selbst zu stellen. Also fasste er sich ein Herz und legte selbst einen Arm um Kai. Dieser rückte sofort näher an Ruki und legte jetzt auch einen Arm um ihn, aber was Ruki gerade viel mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass ihre Oberkörper sich jetzt berührten, weil beide auf der Seite lagen. Kai konnte sicherlich spüren, wie sehr sein Herz gerade klopfte. Ruki wurde es warm. „Ist das so in Ordnung für dich?“, fragte Kai und Ruki nickte zaghaft, hauchte ein leises ja, obwohl das mehr Nähe war, als er sich vorgestellt hatte. Aber er würde jetzt keinen Rückzieher machen und schlecht fühlte es sich auch nicht an, so neben Kai zu liegen. Es machte ihn nur etwas nervös. Am nächsten Morgen löste sich Ruki aus Kais Umarmung, nachdem er einige Minuten wach gelegen und die Nähe und Wärme genossen hatte. Ungeachtet der Tatsache, dass es Kai war, der ihn hielt, fand er es einfach schön, mal wieder jemand nah zu sein. So viel beruflichen Erfolg man als Musiker auch hatte, privat war es schwer jemanden zu finden, der in einem nicht den Musiker sah, sondern einen normalen Menschen. Wenn er Frauen kennen lernte, hielt er meistens zunächst geheim, was er beruflich machte, denn er wollte nicht, dass sein Job die Zuneigung seiner potentiellen Partnerin beeinflusste. War er deswegen bei Kai gelandet? Weil er und Kai das gleiche Schicksal teilten und sich deswegen aufeinander verlassen konnten? Er stand auf, blieb aber vor dem Bett stehen und betrachtete Kai für einige Momente. Der Drummer hatte sich zwischenzeitlich auf Rukis Platz gerollt und hielt nun sein Kissen an sich gedrückt, schien ansonsten noch tief zu schlafen. Eigentlich recht ungewöhnlich für den Frühaufsteher. Ruki machte Frühstück für sie beide und als der Kaffee durch war, betrat ein verschlafener Kai die Küche. „Hey, du kommst genau richtig“, lächelte Ruki und deutete auf den bereits gedeckten Tisch. „Kennt man ja gar nicht von dir. Du entwickelst dich noch zum richtigen Hausmann“, lachte Kai und setzte sich auf seinen Platz, während Ruki ihm eine Tasse Kaffee einschenkte. „Naja, übertreiben wollen wir es auch nicht gleich, aber ich hab ja sonst nicht viel zu tun und da du noch geschlafen hast…“ „Mmh ja, und ich hab recht gut geschlafen“, erwiderte Kai bedeutungsschwanger und Ruki wandte sich verlegen ab. Bestimmt würde es jetzt Fragen hageln, ob Ruki denn genauso gut geschlafen hatte. Und er sollte Recht behalten. „Wie hat’s dir denn gefallen?“, fragte Kai prompt. Ruki tat so, als wäre er gerade ultrabeschäftigt damit, im Kühlschrank etwas zu suchen. „War schon okay“, nuschelte er, bevor er den Kühlschrank wieder zuknallte. Zu seiner Erleichterung behielt Kai alle weiteren Kommentare für sich, allerdings entging ihm auch, wie der Drummer zufrieden lächelte und mit seinen Blicken an Rukis Körper hängen blieb. Hätte Ruki den Ausdruck in seinen Augen bemerkt, hätte er vielleicht einen Gang zurückgelegt, denn auch Kais Selbstbeherrschung hatte ihre Grenzen und sollte an genau diese wenige Tage später getrieben werden. ---------- Ja der Ruki...Selbsttherapie kann ja gar nicht gut gehen ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)