Wolfsliebe von --Tina-- ================================================================================ Kapitel 2: Zoe -------------- Die Versammlung des Rudels war wie erwartet ziemlich hitzig gewesen. Während Ulrich und sogar Samuel der Meinung waren, dass man besser als erste die Vampire angreifen sollte, bevor die auf dieselbe Idee kommen würden, wollte Rosalynn sogar die Kneipe und die Firma aufgeben, um die Familie zu schützen. Michael und Alexei waren eher neutral eingestellt und wollten sich an den Vorschlag des Vampirs halten. Ich hatte mich erst zurück gehalten, doch als Ulrich ziemlich bildlich erklärte, was er mit jedem einzelnen Vampir anstellen würde der ihm zu nahe kam, war meine Geduld zu Ende. Eine Weile ließ es Alexei zu, dass Ulrich und ich uns verbal die Köpfe einschlugen, doch als wir handgreiflich wurden, schlichtete er den Streit energisch. Danach war die Diskussion zwar immer noch hitzig, doch hielten wir uns jetzt etwas mehr an Fakten und verzichteten auf persönliche Beleidigungen. Die Versammlung kam zu einem Ende, als Niko von der Schule nach Hause kam, denn er sollte nicht mitbekommen, für wie gefährlich wir die Sache hielten. Alexei sprach ein Machtwort, entschied wie weiter verfahren wurde, schließlich war er der Rudelführer. Als Ergebnis war heraus gekommen, dass wir die Vampire in Ruhe lassen würden, doch besondere Vorsicht walten lassen würden. Niko würde nach dem dunkel werden nicht mehr allein draußen rumlaufen, wir würden vorsichtig sein und ansonsten so tun, als wäre nichts geschehen. Und nun, zwölf Stunden später, saß ich auf einem Bürostuhl in dem Eingangsbereich eines riesigen Bürogebäudes und starrte Bildschirme an. Die ganze Zeit schon kam es mir so vor, als stände ich neben mir, denn die Begegnung mit Sinas Vater hatte mich unter der Gürtellinie getroffen. Ich hatte gerade mein Leben wieder so weit auf der Reihe, dass ich es genoss und nun bekam ich das Vampirmädchen nicht mehr aus meinem Kopf. Ich wollte Sina suchen, mit ihr reden und wusste selbst nicht genau wieso. Andererseits konnte ich doch mein Rudel nicht in Gefahr bringen, nur weil ich aus einem Bauchgefühl heraus gegen das Kontaktverbot beider Familienoberhäupter verstoßen wollte. Und vor allem, wo sollte ich anfangen nach Sina zu suchen? Sie könnte überall in dieser Stadt und der näheren Umgebung wohnen, wenn sie überhaupt hier war. Na gut, die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass Henry Benoir seine Familie in der Nähe haben wollte, doch mit Sicherheit sagen konnte man das nicht. Und ob Sina mich überhaupt sehen wollte, stand sowieso in den Sternen. Doch schaden könnte es doch nicht, zumindest ein bisschen zu suchen, oder? Die Nacht war noch lang und ein fast leeres Gebäude zu bewachen war manchmal sehr langweilig. Ich hatte mich entschieden, ich würde nach Sina suchen und mit fliegenden Fingern tippte ich Sinas Namen in eine Internetsuchmaschine. Der Computer gehörte eigentlich der Empfangsdame, die hier tagsüber saß, doch sie würde es wohl nicht stören, wenn ich mir mal kurz ihren Rechner auslieh. Wie zu erwarten, war nicht sonderlich viel bei der Suche herausgekommen. Die meisten Einträge führten zu dem Blog eines Teenies mit demselben Namen oder zu den Spielergebnissen einer Tennisspielerin, die auf regionaler Ebene sogar ziemlich gut war. Doch nur eine Hand voll Einträge bezog sich auf das Mädchen, nach dem ich suchte und dann waren es alle nur Erwähnungen im Nebensatz. Mich interessierte nicht, dass der ach so liebe Henry Benoir auf irgendwelchen Klatschseiten als großzügig dargestellt wurde, weil er das arme Waisenkind Sina Meyers adoptiert hatte. Ich suchte nach Informationen wo genau die Vampirfamilie wohnte oder zumindest danach, wie es Sina ging. Missmutig löschte ich die Buchstaben in der Eingabezeile und wollte nach Henry Benoirs Namen suchen, der wohl mehr Treffer liefern würde, doch hörte ich Schritte von hinten kommen. Meine Güte, was war ich für ein Werwolf? Erst erstarrte ich heute Morgen im Angesicht von einem Vampir und jetzt überhörte ich, dass mein menschlicher Kollege David Correns von seinem Rundgang zurückkam. „Na na, im Internet surfen, während der Arbeitszeit! Und dann auch noch völlig wegtreten.“, tadelte er mit belustigtem Unterton und als ich mich umdrehte, sah ich ihn gespielt missbilligend mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herumwackeln. „Hey!“, protestierte ich in dem gleichen spielerischen Ton, den David gerade angeschlagen hatte. Ich verzog beleidigt den Mund und verschränkte meine Arme vor der Brust, wie es mein Kollege wohl von mir erwartete. Ich war gar nicht in der Stimmung für so oberflächliches Getue, doch hatte ich noch weniger Lust auf ein ernsthaftes Gespräch mit meinem Kollegen, denn das war David für mich. Nicht mehr, nicht weniger. Vielleicht würde ich morgen früh mit Samuel reden, doch selbst darüber war ich mir nicht im Klaren. Ich durfte bei dem Thema Vampire wohl kein allzu großes Verständnis von ihm erwarten. „Aber der Chef hat mich schon gewarnt, dass du heute vielleicht etwas durch den Wind sein könntest.“, erklärte Correns und ließ sich auf den zweiten Stuhl hinter dem Empfangstresen fallen. Verärgert sah ich meinen Kollegen an. Dass Alexei jetzt sogar hinter meinen Rücken mit meinem angeblich verwirrten Geist hausieren ging, brachte mich dank meines sowieso schon aufgewühlten Gemüts sofort auf hundertachtzig. Traute mir Alexei nicht oder machte er sich Sorgen um mich? Was immer auch der Grund war, ich musste hier raus. Energisch schnappte ich mir meine Taschenlampe und das Funkgerät und stand so schwungvoll auf, dass der Drehstuhl ein paar Meter nach hinten rollte. „Ich gehe dann mal die Tiefgarage kontrollieren.“, knurrte ich und sah mit Genugtuung, wie sich ein leicht ängstliches Flackern in Correns Augen schlich, doch sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen. David wusste, was Sam, Alexei oder ich waren, denn er war einmal dabei gewesen, wie ein irrer Junkie mit einem Baseballschläger auf Samuel losgegangen war. Das die Verletzungen so schnell wieder verheilten, hatte es nötig gemacht David Correns in unser Geheimnis einzuweihen und nach einigen Tagen, wo er sich an den Gedanken mit Werwölfen arbeiten zu müssen gewöhnt hatte, war David ziemlich gut damit umgegangen. Na ja, zumindest so lange man ihn nicht anknurrte. „Mal sehen, ob ich wieder ein paar Obdachlose raus werfen muss.“, erklärte ich in einem neutraleren Ton und mit einem entschuldigenden Lächeln. Schließlich konnte David ja eigentlich nichts dafür, dass ich schlechte Laune hatte, weil andauernd ein zierliches Vampirmädchen in meinem Kopf herum spukte. Anscheinend nahm mir David mir meinen kleinen Ausbruch nicht übel, denn er nickte nachsichtig und wandte sich wieder den Monitoren zu. Ich winkte noch einmal in seine Richtung und verließ die Vorhalle des riesigen Bürogebäudes, um die Treppe in das ebenso große Parkhaus hinunter zu nehmen. Hier parkten um halb zwölf nachts nur noch sehr wenige Wagen, denn selten arbeiteten die Frauen und Männer in ihren Büros so lange. Doch selbst mit den vielleicht knapp zehn Autos, war es hier unten ziemlich dunkel und nur meiner leicht verbesserten Sehkraft hatte ich es zu verdanken, dass ich überhaupt die Umrisse der diversen Säulen und der wenigen Wagen in den entfernten Ecken erkannte. Doch so wirklich achtete ich nicht darauf was hier war, ging eigentlich nur durch die dunkle Halle, weil ich etwas Bewegung und Abstand brauchte. Lieblos leuchtete ich mit meiner Taschenlampe hin und her, war mit den Gedanken aber immer noch bei Sina. Erst jetzt kam mir der Gedanke, was ich wohl machen wollte, wenn ich Sinas Adresse hätte heraus bekommen können. Sollte ich da einfach auftauchen und Guten Tag sagen? Das wäre wohl etwas unpassend. Würde mich das Vampirmädchen auch sehen wollen oder würde sie laut nach ihrer Familie rufen? Was wusste ich schon, das war doch alles verrückt. Wieso mussten meine verfluchten Gedanken auch immer wieder zurück zu Sina wandern? Wieso konnte ich sie nicht einfach als Vergangenheit abhaken und sie endlich ganz vergessen? Gerade jetzt, wo ich mich an mein Leben, so wie es jetzt war, gewöhnt hatte, musste … „Tom, hast du einen totalen Gehirnschaden?“, knarzte das Funkgerät und ich konnte Davids Stimme deutlich seinen Missmut anhören. Ja, was hatte ich denn jetzt schon wieder gemacht? Doch bevor ich noch die entsprechende Frage stellen konnte, setzte er hinzu: „Da hinter dem Seat in der Ecke, ist jemand. Soll ich runter kommen?“ Sofort spannte ich mich an und zumindest für den Moment verdrängte die Konzentration auf den möglichen Angreifer alle anderen Gedanken. Wie hatte ich die Person nur überhören können? Mir war sofort klar, dass hier etwas nicht stimmte, etwas mit den Geräuschen oder dem Geruch. Ja der Geruch war es. Wieso war mir das nicht eher aufgefallen? Natürlich, ich hatte ja unbedingt an etwas Unerreichbares denken müssen. „Nein, das ist eine Familienangelegenheit. Sag Alexei, dass er vorbei kommen soll.“, erklärte ich in das Funkgerät und wusste, dass David mit der Andeutung schon dahinter kam, dass unser ungebetener Gast ein Werwolf war. Langsam und vorsichtig bewegte ich mich auf den schon etwas älteren Seat zu, der ein paar Meter entfernt stand und umfasste meine Taschenlampe fester. Ich hoffte nur, dass der andere Werwolf nur einen Schlafplatz gesucht hatte und nicht darauf aus war, irgendetwas in diesem Bürogebäude zu entwenden, denn gut gefüllte Safes gab es in einigen der edlen Firmensitzen oder Anwaltskanzleien bestimmt. Ich würde mich nur ungern zwischen einen Wolf und seine Beute stellen. Bald hatte ich das Auto erreicht und mein Herzschlag hatte sich eindeutig erhöht. Doch war es nicht Angst, die meinen Puls hoch trieb, sondern ironischerweise die Jagdfreude, ich freute mich darauf, vielleicht in wenigen Augenblicken meine Kraft mit jemandem meiner Rasse zu messen. Anscheinend war mir die ständige Grübelei über Sina nicht gut bekommen. „Verpiss dich!“, fauchte mich jemand an, als ich um den Wagen herum trat und ich machte vor Überraschung große Augen. Der Schein meiner Taschenlampe fiel auf die Person und bestätigte meinen Verdacht, der durch Stimmlage und Umrisse der Gestalt geschürt worden waren. Der bösartige, einbrechende Werwolf war eine Frau! Genauer gesagt, fast noch ein Mädchen. Ich hätte sie auf irgendwo zwischen sechzehn und zwanzig geschätzt, doch sah man das ziemlich schlecht, da die Kleine die Hände gegen das helle Licht der Taschenlampe erhoben hatte und so die Hälfte ihres Gesichts verdeckte. Das Mädchen saß zusammengekauert hinter dem Wagen als wolle sie sich verstecken und ein Rucksack samt Schlafsack machten ziemlich deutlich, dass sie hier nicht gerade einbrechen wollte, um etwas zu klauen. Ich schnupperte etwas in der Luft und konnte ihre Angst riechen, ich würde zwar nicht den Fehler begehen und sie unterschätzen, doch ich war wohl der bessere Kämpfer von uns beiden. „Ziemlich unfreundlich kleines Wölfchen.“, meinte ich betont lässig und ließ den Strahl der Taschenlampe von ihrem Gesicht kurz über ihr Gepäck gleiten, bevor ich auf den Boden zwischen uns leuchtete. Ich wollte sie zwar nicht gerade reizen, aber die Kleine hatte sich den falschen Tag ausgesucht, um mich dumm von der Seite an zu machen. Einen Moment starrte mich das Mädchen erschrocken an, bevor sich ihr Gesicht zu einer Fratze aus Wut verzerrte und sie sich jetzt doch etwas aufrichtete. „Wie hast du mich genannt? Ich bin nicht so ein Monster!“, kreischte sie und ich verzog jetzt ebenfalls das Gesicht, jedoch deswegen, weil ihre Stimme laut von den Wänden der Tiefgarage widerhallten und in einem unangenehmen Frequenzbereich lag. Verdammt, hatte der Kleinen niemand beigebracht, wie man sich einem anderen Wolf gegenüber verhielt? Man schrie auf jeden Fall nicht so, dass einem förmlich die Ohren schlackerten, auch wenn das Mädchen wirklich noch ziemlich jung schien, doch das konnte bei unserer Rasse bekanntlich täuschen. „Ich habe nichts von Monstern gesagt, Mädchen. Wer würde sich schon selbst beschimpfen.“, meinte ich ruhig. Hatte sie denn nicht bemerkt, dass ich ebenso ein Werwolf war, wie sie selbst? Anscheinend nicht, denn sie sah plötzlich völlig verängstigt aus, rutschte an dem Wagen entlang in Richtung Wand, ohne mich aus den Augen zu lassen, bis sie schließlich an die Wand stieß. Ich seufzte auf und rollte mit den Augen. Für so etwas hatte ich heute wirklich keinen Nerv! Sollte sich doch jemand anders um das verängstigte Mädchen mit der schrillen Stimme kümmern, ich hatte darauf absolut keine Lust. Aber mein Problem war, dass hier niemand anders war, denn es würde noch ein paar Minuten dauern, bis Alexei hier auftauchen würde. Also hatte ich wohl die Werwölfin an der Backe kleben und musste sie dazu bringen, dass sie nicht vor lauter Angst weglief, irgendwelche Leute auf sich aufmerksam machte und sich etwas beruhigte. „Keine Angst, ich habe noch nie jemanden gebissen.“, erklärte ich, trat zwei Schritte zurück und ließ mich an einer der breiten Säulen herab gleiten, so dass das Mädchen mir gegenüber vielleicht vier Meter entfernt auf dem Boden saß. Erst als ich den Satz ausgesprochen hatte, wurde mir der doch etwas makabre Hintergrund bewusst, schließlich musste sie ja irgendwann auch mal Kontakt mit den Zähnen eines Werwolfs gemacht haben. Aber was brachte es auch, mich völlig zu verstellen, um dem Mädchen zu gefallen? Ich war schon an normalen Tagen nicht besonders sozial eingestellt und heute erst recht nicht freundlich oder gar sensibel. Trotzdem würde ich wohl irgendwas sagen müssen, dass die Kleine beruhigte, wenn ich nicht Ärger mit Alexei bekommen wollte, denn eine hysterisch in der Tiefgarage rumjaulende Werwölfin konnten wir nun wirklich nicht gebrauchen, wo doch neben den Vampiren anscheinend auch ein paar Jäger in der Gegend waren. „Du hast wohl die falschen Wölfe kennen gelernt. Es gibt auch bei unserer Rasse gute und böse Personen, so wie bei den Menschen eben auch.“, erklärte ich missmutig, aber doch in beinahe dem nachsichtigen Ton, den ich manchmal bei Niko anschlug. Das Mädchen war wohl nicht gerade viel älter als der Welpe unseres Rudels. Tatsächlich schien der ruhige Ton, zu dem ich mich allerdings sehr bemühen musste, sie zu beruhigen, denn sie sah zwar immer noch verängstigt aus, schien aber nicht mehr durch die Wand hinter sich verschwinden zu wollen. „Mein Name ist Tom und deiner? Wann bist du verwandelt worden? Ich vor dreizehn Jahren.“, versuchte ich leicht verärgert wieder ein Gespräch anzufangen, weil mich nach etlichen Sekunden das Mädchen immer noch verschreckt ansah, doch kein Wort sagte. Also, wenn die Kleine jetzt nicht antwortete, dann könnte sie sich ein Gespräch sonst wohin stecken. Dann würde ich hier auf Alexei warten und ihm die Aufgabe überlassen, einem noch jungen Werwolf etwas Verstand einzubläuen, dass man nicht in videoüberwachte Parkhäuser einbrach. Ihre verängstigte Art ging mir auf den Zwirn, so wie sie mich mit großen, blauen Augen anschaute. Das passte nicht zu ihrem flippigen, an Punker erinnernden Kleidungsstil und ihre wilde Frisur. Sina war dagegen so offen, freundlich und furchtlos … und ich würde nicht mehr über sie nachdenken. Nicht jetzt und auch sonst nicht, zumindest nahm ich mir das vor. „Ich heiße Zoe. Vor dreizehn Jahren? Du kannst nicht älter als dreißig sein, da warst du ja noch jünger als ich, als du gebissen wurdest!“, staunte das Mädchen neugierig und trotz aller Angst. Ich war dankbar dafür, dass sie etwas leiser sprach, denn dann quietschte ihre Stimme nicht so in meinen empfindlichen Ohren. Etwas nachsichtiger schüttelte ich den Kopf, das Mädchen wusste wirklich noch nichts viel von ihrem neuen Leben, schien noch nicht mal zu wissen, dass sie nicht altern würde. Meine Güte! „Zoe, ich wurde mit 26 Jahren gebissen und bin seit dreizehn Jahren keinen Tag gealtert. Du wirst auch nicht älter werden.“, erklärte ich offen und schonungslos. Ich war nicht gerade jemand, der sensibel war, doch über ihr neues Leben musste das Werwolfsmädchen einiges lernen und zwar möglichst schnell. Sie sah mich wieder völlig erschrocken mit ihren großen Augen an, doch diesmal war es wohl nicht die Angst vor mir, sondern der Schrecken über das was ich gerade gesagt hatte. Ich hatte auch gebraucht, mich an ein so langes Leben zu gewöhnen, hatte es wohl immer noch nicht ganz. Vor allem hatte ich Angst, dass ich mich auf die Dauer langweilen würde. Was sollte ich auch die ganze Zeit machen? Michael hatte seine Bücher, sog jedes Wissen förmlich in sich auf, Rosalynn und Alexei hatten sich und jetzt auch noch einen Sohn und Sam sah jeden Tag seines Lebens als Abenteuer. Ulrich und ich, tja wir waren noch etwas jung, um ernsthafte Langeweile aufkommen zu lassen und zur Not würden wir uns einfach ein bisschen prügeln. Auch die Gedanken der jungen Wölfin schienen in die gleiche Richtung gewandert zu sein wie meine, denn sie fragte: „Nicht gealtert? Ist das nicht einsam?“ „Nein, nicht wenn man die richtigen Leute kennt.“, erklärte ich. Vor zwei Jahren hätte ich diese Frage noch ganz anders beantwortet, doch mittlerweile war ich wirklich nicht mehr einsam, auch wenn mir im Moment das Rudel doch etwas auf die Nerven ging und ich gerade etwas mehr Einsamkeit gebrauchen könnte. Wieder schwiegen wir eine Weile, was ich jedoch gar nicht so unangenehm fand, so konnte ich wenigstens meinen eigenen Gedanken nachhängen. „Was für Leute?“, fragte Zoe nach einer Weile und ich brauchte ehrlich gesagt einige Momente, bevor ich wieder wusste wovon das Mädchen redete. Gereizt knurrte ich, auch wenn Zoe dabei etwas zusammen zuckte. Was musste sie auch so plötzlich wieder loslabern, erst den Mund nicht aufkriegen und dann mich in meinen Gedanken stören. Trotzdem blieb mir wohl nichts anderes übrig, als die Fragen schön brav zu beantworten. „Mein Rudel. Sie sind alles Werwölfe, wie wir beide und ein recht zusammen gewürfelter Haufen. Sie sind meine Familie.“, erklärte ich und die Wärme in meiner Brust beruhigte mich etwas und sagte mir, dass ich hier gerade nicht log. Mein Rudel teilte mein Schicksal ein Leben irgendwo zwischen lange und ewig zu führen, doch darüber hinaus gaben sie mir das Gefühl dazu zu gehören und diese innere Ruhe, die man nur erlangte, wenn man jemanden hatte, der sich um einen sorgte. Kaum hatte ich die Sätze gesagt, hörte ich jemanden die Treppe hinunter zu der Tiefgarage nehmen, doch ich machte mir nicht einmal die Mühe aufzuschauen, als die schwere Eisentür zu dem Treppenhaus geöffnet wurde. Ich hätte gar nicht den individuellen Geruch von Alexei in der Nase gebraucht, um ihn zu erkennen, denn mittlerweile konnte ich jeden im Rudel an den Schritten auseinander halten. Zoe sah sich mit einem beinahe panischen Gesichtsausdruck zu Alexei um, versuchte durch die Scheiben des Wagens einen Blick auf ihn zu werfen. Vielleicht erkannte sie, dass es sich bei Alexei um einen Werwolf handelte, vielleicht auch nicht, aber das war im Moment wohl auch egal. Langsam, um sie nicht noch zusätzlich zu erschrecken, stand ich auf und lächelte sie halbherzig an. „Ich glaube, ab hier übernehme ich. Du kannst wieder auf deinen Posten gehen, Tom.“, hörte ich Alexeis sanfte Stimme hinter mir, doch war ich mir nicht sicher, wem die Wärme darin galt, dem Mädchen oder doch mir. Ich zuckte kurz mit den Schultern, nannte Alexei was ich von Zoe wusste, was wirklich nicht gerade viel war und ging langsam zu dem Treppenhaus zurück ohne mich umzudrehen. Ich war ehrlich erleichtert, denn Alexei war wirklich besser dazu geeignet, einem verängstigten, übervorsichtigen Wolf zu helfen. Und noch während ich das dachte, wurde mir klar, dass Alexei das auch vor zwei Jahren so bei mir gemacht hatte. Ein wenig musste ich schmunzeln, als ich an die ersten Tage und Wochen bei dem Rudel zurück dachte. Es war ein langer Weg gewesen, doch hatte es sich gelohnt ihnen mein Vertrauen zu schenken – und vielleicht bekamen wir ja jetzt noch ein Rudelmitglied mehr. Ich würde nicht das Vertrauen, was mir meine Leute entgegenbrachten, missbrauchen und sie in Gefahr bringen, auch wenn das hieß, dass ich nicht nach Sina suchen konnte, sie aus meinem Kopf bekommen musste. Ich hatte mich entschieden, wurde mir klar, als ich langsam die Stufen zu meinem Arbeitsplatz hinauf stieg. Ich hatte mich entschieden: für meine neue Familie und gegen das Mädchen, das in meinen Träumen rumspukte – auch wenn dieser Gedanke in meinem Brustkorb so ein beklemmendes Gefühl hinterließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)