Blutrote Rosen von Yami_no_cookie ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Der eiskalte Wind trieb dem Jungen Tränen in die Augen und er zog sich seinen Anorak höher zu. Ein knallroter Anorak. Der Junge hasste diese Farbe. Sie stach so hervor; alle wurden sofort auf ihn aufmerksam! Er wollte nicht bemerkt werden, wollte untertauchen in der Menschenmasse und nie wieder gesehen werden. Es war ihm peinlich, wenn sie ihn ansahen und grinsten und dann hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Er hasste sie dafür. Ja, wie sehr er sie doch hasste. Als wenn sie nicht ihre eigenen Probleme hätten. Der Junge lies sich von der Menschentraube mitziehen, die Straßen entlang, quer über den Weihnachtsmarkt. Keiner beachtete ihn hier, dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass alle Welt ihn anstarrte, mit gaffenden Augen und offenen Mündern, jederzeit dazu bereit über ihn zu lachen. Seht mich nicht an, schaut weg, schaut weg! Er beschleunigte seine Schritte drängte sich zwischen den Leuten hindurch und immer weiter weg. Bald hatte er die großen Massen hinter sich gelassen und nur noch vereinzelte Stände tauchten vor ihm auf. Es dämmerte bereits. Nicht mehr lange und es würde dunkel sein. Die Stimmen, die aus dem geschäftigen Treiben an sein Ohr drangen, nahm er kaum war. Zwei Betrunkene torkelten vor ihm über den Bürgersteig und grölten laut „Oh du fröhliche“ und „Oh Tannenbaum“. Der Junge wich ihnen aus; kuschelte sich tiefer in seine Jacke und vergrub die Hände in den Taschen. Ihm war kalt. Wenigstens hatten die Zwei ihren Spaß. Aber Recht hatten sie: Weihnachten lies sich wirklich nur im Suff aushalten. Verbittert dachte er an die heiligen Abende der letzten Jahre zurück. Sie waren alle in einem Punkt gleich gewesen: Keine schöne Erinnerung… Insbesondere letztes Jahr… Sein Vater hatte sich dermaßen einen hinter die Binde gekippt, bis er sich nicht mehr zusammen reißen konnte und zusammen mit seinen Freunden seine Frau vergewaltigt hatte. Der Junge konnte sich noch gut daran erinnern. Die Schreie und Tränen seiner Mutter… Wie sie sich verzweifelt gewehrt hatte… Und er hatte nichts getan; hatte sich ängstlich unterm Schreibtisch zusammen gekauert und darauf gehofft, dass er verschont wurde, anstatt Hilfe zu holen. Er verstand nicht, warum seine Mutter später keinen Ton gesagt hatte. Weder zu ihm, seinem Vater, noch zu sonst irgendwem. Sie hätte die Polizei rufen müssen, aber das tat sie nicht. Sei es, weil sie Angst vor ihrem Mann hatte oder verzweifelt versuchen wollte die Familie zusammen zu halten, als würde diese nicht sowieso nur noch aus Trümmerstücken bestehen… Der Junge wusste es nicht. Und vielleicht war es auch besser, es nicht zu wissen. Sein Vater war vor einem halben Jahr abgehauen und hatte ihn mit seiner Mutter zurückgelassen. Schade um ihn war es nicht gewesen. Der Junge wünschte ihm, dass er irgendwo in einer schmutzigen, feuchten Gosse lag und langsam und unter Schmerzen verreckte. Warum seine Mutter geweint hatte, war ihm ein Rätsel geblieben. Er verstand nicht, wie man Tränen für dieses Schwein vergießen konnte… Es war mittlerweile dunkel geworden. Im Licht der Straßenlaternen sah der Junge, wie sein Atem gefror und sich als kleines Dunstwölkchen in der Luft verflüchtigte. Er wünschte, er könne sich auch so einfach auflösen. Verschwinden und nie wieder kommen... Auf der Bahnhofsbrücke blieb er stehen und schaute auf die Schienen die darunter verliefen. Sie schimmerten leicht im Lampenlicht. Hinter ihm lief ein junges Pärchen Arm in Arm vorbei. Na super, die zwei liebten sich. Der Junge verzog unwillkürlich das Gesicht. Es war, als hätte ihm jemand eine eiskalte Nadel ins Herz gestochen. Liebe… Das war etwas, wonach er sich sehnte… Schon seit er denken konnte. Aber das, dachte er und musste sich zusammen reißen um nicht zu weinen, das ist etwas, dass ich nie bekommen werde! Er starrte wieder auf die Schienen. Es wäre nur ein kurzer Schmerz…Dann wäre alles vorbei… Alles wäre überstanden. Er müsste sich nicht mehr quälen… Wenn er die Jacke auszog, war die Chance, dass man ihn fand bevor der nächste Zug kam oder es wieder hell wurde ziemlich gering. Irgendetwas zog ihn hinab in die Tiefe. Er wollte frei sein! Seine Hände pressten sich gegen das kalte Metall des Geländers als er seinen Körper nach oben drückte und - „STOPP! NICHT SPRINGEN!!“ Erschocken taumelte der Junge zurück und drehte sich um. „Was..?“ Hinter ihm stand ein anderer Junge, der ihn entsetzt aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Er starrte ebenso entsetzt zurück. Der Fremde verzog das Gesicht. „Oh“, stieß er hervor. Seine Wangen und die Nase waren leicht gerötet und in seinen dunkelbraunen Haaren hatten sich ein paar Schneeflocken verirrt. „Tut mir Leid, ich hab dich verwechselt! Ich dachte du wolltest…“, er nickte in Richtung der Schienen „na ja, du weißt schon… springen!“ Er lächelte ihn unsicher an. Oh, wie recht er doch mit dieser Annahme hatte. Aber der Junge hatte nicht vor ihm das unter die Nase zu binden. „Macht ja nichts“, sagte er also und sah den Fremden mit festem Blick an. Nach einer Weile senkte dieser den Kopf. „Na dann“, flüsterte er „Frohe Weihnachten.“ Und mit diesen Worten lächelte er noch einmal und ging weiter, bis die Dunkelheit ihn verschluckte, als hätte es ihn nie gegeben. Der Junge starrte dem Fremden hinterher. Er hatte Glück gehabt, das hätte auch schief gehen können. Er wandte sich wieder dem Abgrund zu. Frohe Weihnachten, pah! Als wenn man an so einem Tag froh sein könne… Er starrte auf die Schienen und wartete darauf, dass dieses schmerzhafte Gefühl der Verzweiflung wieder in ihm aufloderte. Aber es kam nicht. Er horchte ganz tief in sich hinein, stöberte durch alte Erinnerungen, als könne er es damit wieder heraufbeschwören. Doch es kam nicht… Die Schienen vor seinen Augen verschwammen. In ihm war nichts, er war vollkommen leer gewesen. Aber jetzt war da etwas, das ihm wehtat und ihn trotzdem ans Leben fesselte. Ein Funke, der in ihm entfacht worden war. Und die Träne rann warm über sein kaltes Gesicht und tropfte über die Brüstung in den schwarzen Abgrund… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)