Macht Spiele von JinShin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Plötzliches grelles Licht weckte Farfarello. Beim Bewegen spürte er die vertraute raue Berührung der Zwangsjacke, als er sich auf die Seite rollte, hörte er Kettenrasseln. Er lächelte und schmeckte noch sein eigenes Blut auf den Lippen. Die weißen Kacheln tauchten den Raum in ein steriles Licht, aber ihm kam es vor, als ob er in der Unendlichkeit schweben würde. Er spannte die Muskeln an und spürte die eingearbeiteten harten Dornen an ausgesuchten Kanten der Zwangsjacke, er seufzte zufrieden. Trotzdem konnte er sich nicht wirklich erinnern, was gestern geschehen war. Vielleicht konnte ihm Schuldig einiges erklären, dessen heißen Geruch er schon auf dem Gang wittern konnte. Die Tür schwang ohne ein Geräusch auf, und Schuldig stand in der Öffnung. Schuldig trat nur zögernd näher. Seine Lippen zeigten nicht sein süffisantes Lächeln wie sonst, wenn er diesen Raum betrat; sie bildeten einen schmalen Strich, der seine Anspannung widerspiegelte. Wortlos beugte er sich hinunter und löste die Ketten. Seine Hände zitterten dabei. „Steh auf“, sagte er leise und mit rauer Stimme. Farfarello gehorchte sofort, wie immer bei ihm, allerdings blickte er ihn dieses Mal direkt in die smaragdenen Augen und nicht wie sonst auf den Boden. "Ich rieche deine Angst," raunte er Schuldig zu. "Warum?" Jetzt klang seine Stimme zögernd und klein, wie die eines zurückgewiesenen kleinen Jungen. Doch aus seinem Blick sprach weder Herausforderung noch Zögern, er war leer. „Gleich“, kam die ausweichende Antwort, und wieder war da dieses Zögern. Schuldig sah ihn an, als wollten seine Augen etwas anderes sagen, und doch bekam Farfarello keine mentale Botschaft. „Dreh dich um.“ "Ich ... bitte ..." Farfarello verstummte, selbst erstaunt über diese Worte. Sein Auge zuckte unstet. Er atmete bewusst, wie es ihm beigebracht worden war. In ihm krochen die Dunkelheit und die Gier nach Blut erneut hoch. Ein knurriger Seufzer kam aus seiner Kehle. Er senkte den Kopf, Schuldig würde schon wissen was zu tun ist. Ein warmer Schwall seines, Schuldigs, Geruchs wehte ihn an, und er ließ die Dunkelheit zu und schloss das Auge mit noch immer gesenktem Kopf. Schuldig legte seine Hände auf die Schultern des Iren und drehte ihn gleichermaßen sanft und bestimmend mit dem Rücken zu sich. Er begann, die erste Lederschnalle zu öffnen, als er plötzlich laut aufstöhnte und sich mit beiden Händen an die Stirn fasste. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick. Ein dünner, roter Faden lief ihm aus der Nase über die blassen Lippen, Farfarello konnte das frische Blut riechen. Schuldig wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Okay. Du behälst die Jacke an. Komm.“ Seine Stimme klang seltsam ausdruckslos, als er Farfarello vorsichtig Richtung Tür schob. Farfarello lächelte erleichtert und ließ die Schultern ein bisschen sacken. Es gab niemanden sonst, dem er so vertraute, er wollte ihn nicht töten. Mechanisch ließ er sich weiter schieben, wehrte sich weder geistig noch körperlich. Ein kleines Stück seines Geistes war von seiner liebevoll-blutigen Dunkelheit unangetastet. Doch darauf konnte er sich nicht konzentrieren, er schwamm auf einer Welle glühender blutiger Erinnerung. Sein Kopf taumelte leicht zur Seite. Aber er gehorchte Schuldig ohne weiteres. Der junge Deutsche führte ihn schweigend die Treppe hinauf in den oberen Teil des Hauses, das Crawford für die Zeit ihres Aufenthaltes gemietet hatte. Eigentlich müssten die beiden alleine sein, denn ihr Anführer war mit Nagi in der Schweiz, im Hauptquartier. Als Schuldig Farfarello jedoch Richtung Wohnraum drehte, übermittelte er ihm das Wissen, dass sie erwartet wurden. Eine hochgewachsene, kräftige Gestalt in einem langen, schweren Ledermantel mit einem Gürtel, der vorne x-förmig zusammenlief. Der Mann trug seine langen, blonden Haare offen. Farfarello kannte ihn: Marcel Belga, oberster Direktor von Rosenkreuz und ein äußerst begabter Telepath. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag in der Ausbildung von Schülern, daher hatte Farfarello nicht viel mit ihm zu tun gehabt. Farfarello hatte die meiste seiner Zeit bei Rosenkreuz in dem unterirdischen Labor in den österreichischen Alpen verbracht. Belga stand mit dem Rücken zu ihnen, als sie den Raum betraten, und blickte aus dem Fenster in den von dichten Büschen umgebenen, etwas verwilderten Garten. Farfarello gab ein unbewußtes Ächzen von sich, sein Körper spannte sich an und sein Kopf hing, soweit möglich, noch weiter herunter. Aber die demütige Haltung war nur die Hälfte seines Wesens, nur das antrainierte Wesen. Die andere Hälfte wartete ab und wollte zuhören. Belga ließ sich Zeit. Erst nach einem langen Moment wandte er den beiden Schwarz-Mitgliedern seine Aufmerksamkeit zu. Seine stahlblauen Augen streiften kurz Schuldig, dann unterzog er Farfarello einer eingehenden Musterung, begleitet von einem flüchtigen Mentalcheck, den der Ire als fremde Anwesenheit spürte, die leicht an der Oberfläche seines Bewusstseins entlang strich. „Was ist gestern Nacht geschehen?“ fragte er in ruhigem Ton. „Es war meine Schuld, ich habe n...“ Schuldig setzte sofort zu einer Antwort an, wurde jedoch in barschem Ton unterbrochen: „Dich habe ich nicht gefragt, Schuldig! Ich will die Antwort von Farfarello hören.“ Seine schweren Stiefel gaben seinen Schritten einen bedrohlichen Klang auf dem Laminat als er auf Farfarello zuging. //Abwarten und zuhören ist jetzt nicht gefragt//, hallte Belgas telepathische Stimme in seinem Kopf wider, mit einer Prise Autorität gewürzt. Eine Stimme, die keinen Widerspruch dulden würde. „Also?“ Farfarello hob den Kopf, sah erst Schuldig an, ließ dann den Blick an ihm entlang gen Boden wandern, um an Belgas Statur hinauf zu gleiten. Seine Schulter senkten sich wieder ein wenig, als er mit trägem Blick in sein Gesicht sah, den Augenkontakt jedoch vermied. "Ich habe getötet." Belga entdeckte ein kleines Aufblitzen von Aufbegehren in dem einen Auge. „So. Kannst du dich erinnern, wen du getötet hast?“ Das Gesicht des Telepathen blieb völlig ausdruckslos. //Sieh mich an!// Farfarello sah wie von unsichtbaren Fäden gezogen auf, sein Auge suchte diesmal den Blick Belgas. In seinem Geist formte sich willentlich ein einzelner rebellischer Gedanke, mit dem er sein Gegenüber bedachte. //Den Falschen.// "Nein. Kann ich nicht." Dann schwamm er wieder in seine Dunkelheit zurück, das Auge begann wieder, sich unstet zu bewegen, er seufzte rau. Belga bemerkte allerdings, dass Farfarello um sein Bewußtsein kämpfte. Wieder glitt er in seinen Geist, diesmal tiefer, forschend und eingreifend. Er stimulierte ein wenig die Nervenzellen im Schmerzzentrum, was normalerweise als mittelstarker Schmerz wahrgenommen wurde, um Farfarellos Bewusstsein auf sich zu lenken. Er war jetzt als starke Präsenz in Farfarellos Kopf spürbar, ein sehr unangenehmes Gefühl. //Denk an gestern Nacht. Ich will alles wissen!// Ein lautloser Schrei löste sich von Farfarellos Lippen, er sackte in die Knie. Und dann schloss er seinen Geist, riss sich diese Präsenz aus dem Hirn und schnellte hoch, um auf Belga zuzustürmen. Belga trat im richtigen Augenblick einen Schritt zur Seite und nutzte Farfarellos Schwung, um ihn von den Füßen zu reißen und auf den Boden zu werfen. Sofort stellte er einen Fuß auf Farfarellos Kopf und drückte ihn nach unten, während er sich gleichzeitig zu Schuldig umdrehte, der seinem Teamkollegen zu Hilfe springen wollte. Doch so weit kam er nicht. Belgas Augen verschmälerten sich, ansonsten rührte er keinen Muskel. Schuldig verharrte mitten in der Bewegung, doch sein Blick sprühte vor Hass gegen seinen ehemaligen Lehrer. „Lass ihn sofort los!“ Schuldig sagte diese Worte nicht nur, sondern versuchte gleichzeitig, Belgas Schilde zu durchdringen. Stumm fochten sie ihr mentales Duell aus. Ein lauteres Stöhnen kam von Farf, der versuchte, sich mit Winden aus dieser Situation zu befreien. Kurze Zeit danach lag er wieder still, Blut lief ihm aus Mund und Nase. "Was willst du denn?" Völliges Unverständnis von Farfarello, er hatte sich mit dem Sprung auf Belga ebenfalls aus seiner Dunkelheit katapultiert und konnte es nicht wirklich glauben, was er da gemacht hatte. Sein Auge schielte zu Belga hoch. "Wenn da jemand ist, töte ich ihn. Ich denke nicht. Bestraf mich endlich und lass uns dann in Ruhe." Farfarellos Worte kamen in einem jetzt fast gelangweilten Ton, dann leckte er sich nur kurz das Blut von den Lippen. Der Druck der harten Sohle auf seinem Kopf verschwand sofort. //Na bitte//, erklang die Stimme des Telepathen in seinen Gedanken. Gleichzeitig sagte Belga verbal zu Schuldig: „Ich sehe, deine Mentalkraft hat sich verbessert. Dafür lässt hier die Disziplin sehr zu wünschen übrig.“ //Du Arschloch. Deine Meinung interessiert hier keinen.// Schuldig gab sich keine Mühe, seine Gedanken zu verbergen, da er wusste, dass es sinnlos wäre. Außerdem hatte er trotz seiner deutlichen Nervosität auch gar keine Lust dazu. Belga bedachte ihn mit einem kurzen, gefährlichen Lächeln, in dem gleichsam Belustigung und eine Drohung lagen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Farfarello zu: „Ich habe nicht vor, dich zu bestrafen. Aber ich denke, diese Angelegenheit bedarf einer genaueren Untersuchung. Ich werde dich mitnehmen.“ Farfarello wagte einen kurzen, für Schuldig fast flehend wirkenden Blick zu seinem Kollegen. Dann wälzte er sich in eine kniende Position. "Ich komme mit." Fügsam stand er auf. "Packen muss ich nicht, ich hab schon alles." Ein vollkommen klarer, Hass sprühender Blick aus dem bernsteinfarbenen Auge traf Belga und fixierte ihn starr. Die Dunkelheit hatte sich in seinem Hirn auf die Lauer gelegt, seine Konzentration bestand darin, nicht noch einmal zu Schuldig zu sehen. Wieder leckte er unbewusst das Blut von den Lippen „Gut.“ „Moment!“ Schuldig trat wieder einen Schritt vor. „Farfarello geht nirgendwo hin. Crawford hat gesagt...“ „Crawford hat hierbei gar nichts zu sagen“, wurde er von Belga unterbrochen. „Das betrifft Rosenkreuz. Und Rosenkreuz bin ich.“ Er fasste Farf mit einer Hand an der Seite und drückte dabei wie zufällig eine der in die Jacke eingearbeiteten Dornen tief in seine Haut. //Wage es nicht//, warnte er Schuldig und wandte sich zum Gehen. Farfarello vermied es weiter, Schuldig in die Augen zu sehen, obwohl sich alles in ihm danach sehnte. Er war verwirrt wie selten in seinem Leben und obwohl er genau wusste, oder zumindest ahnte, dass Belga so leicht zu seinem Hirn Zugang hatte, wie er in eine Kirche, überdachte er seine Rolle in der letzten Misson. War etwas anders gewesen? Crawford hatte ihm gezeigt, welchen Raum er betreten sollte, und die in ihm anwesenden Personen würden ihm gehören, also so wie immer. Oder nicht? Konzentriert auf sein Nachdenken drückte er sich unbewusst gegen die Hand, die ihn hielt und hasste sich sofort dafür. //Das gefällt dir, nicht wahr?// Der Telepath erwiderte den Druck. Natürlich las er Farfarellos Gedanken, diesmal jedoch ohne dass der junge Ire die stille Anwesenheit bemerkte. Schließlich hatte er Farfs mentalen Schirme und seine Mentalkraft gerade eben getestet. Ebenso wie Schuldigs, und sie waren noch nicht fertig. Schuldig war schneller als die beiden an der Tür und versperrte ihnen den Weg: „Er bleibt hier. Crawford braucht ihn. Und ich bin für ihn verantwortlich.“ „Ich habe dich gewarnt.“ Farfarello spürte das plötzliche Eindringen von Belgas Geist und bevor er reagieren konnte, verschwamm sein Blick und Stille herrschte. Er schwebte. Das Ereignis dauerte nur einen winzigen Augenblick, doch es reichte, um ihn zusammensacken zu lassen, als sein motorisches Zentrum keine Impulse mehr zu seinen Muskeln sandte. //Farfarello!// Schuldigs Stimme war ein gellender Schrei. Belga zog den Iren wieder in den Stand und schob ihn nach draußen. Schuldig lag auf dem Fußboden und ein kleiner See aus Blut lief aus seiner Nase. Farfarellos Körper brannte, aber diesen Schmerz konnte er nicht geniessen. Er ließ sich willig nach draußen zerren. Worte kamen wie von selbst über seine Lippen, hatte er die Worte selbst gedacht? Schu konnte es nicht gewesen sein, er berührte ihn nicht geistig. Die Worte kamen in seiner Stimmlage. "Du machst Fehler und bemerkst sie nicht." Er sehnte sich nach seinem Raum, bei allen Teufeln, und wie er sich danach sehnte. //Scheint so, als könne ich von dir noch lernen, n’est-ce pas?// Belga verbarg seine gute Laune nicht. Kapitel 2: ----------- Vor dem Haus parkte sein roter BMW. Geisel stand wartend an den Wagen gelehnt und grinste Farfarello an: „Na, hallo!“ Die beiden hatten nie viel miteinander zu tun gehabt, da Geisel – wie viele andere auch – mit der seltsamen Art des Iren nichts anfangen konnte. Er öffnete die Autotür und wartete, bis Farfarello auf der Rückbank saß. Dann deutete er mit dem Kinn Richtung Haus und fragte: „Soll ich die Bude abfackeln?“ Farfarello wusste, dass er Pyrokinese in hoher Potenz beherrschte. „Nein“, antwortete Belga und ging um den Wagen herum. „Du fährst.“ „Oh, wirklich? Super.“ Geisel schmiss die hintere Tür zu und nahm auf dem Fahrersitz Platz. Belga setzte sich neben Farfarello nach hinten und sah ihn an. //Ich gebe zu, ich habe dir bisher wenig Beachtung geschenkt. Das werde ich nachholen.// Farfarello schenkt ihm eines seiner Unschuldslächeln und neigte den Kopf leicht zur Seite, um sich dann zum Fenster zu drehen. Er saß auf der hausabgewandten Seite des Wagens, aber er verspürte auch keinerlei Lust zu fliehen. Ganz zu schweigen, dass er in der Jacke eh die Tür nicht aufbekam. Sein Blick ging nach vorne und genüsslich malte er sich aus, wie er mit einer wundervoll großkalibrigen Waffe den Hinterkopf Geisels über das Armaturenbrett verteilen könnte. Sein Lächeln verstärkte sich noch, als er in seiner Vorstellung den süß-metallenen Geruch des verspritzten Blutes und der Gehirnmasse in sich aufnahm. Wäre nur schade um den Wagen, er mochte schnelle Autos. Dann sah er wieder zum Fenster. "Kannst du's für mich öffnen?" Belga grinste über Farfs Gedanken. //Manchmal stelle ich mir Ähnliches vor. Aber jetzt ist nicht die Zeit dazu.// Laut sagte er: „Das Fenster bleibt zu.“ Der Ire schaute weiterhin aus dem Fenster, als Geisel anfuhr und den BMW auf Touren brachte. Das Haus entfernte sich mehr und mehr. Nach mehr als fünfzehn Minuten brach er das Schweigen. "Nach der nächsten Kurve kommt ein Parkplatz. Er…", er nickte mit dem Kinn in Geisels Richtung, "… sollte kurz anhalten. Und entweder du machst mir die Jacke auf, oder jemand wird meinen Schwanz beim Pinkeln festhalten müssen." Belga schaute interessiert zu Geisel, der verächtlich den Mundwinkel verzog. Farfarellos Stimme klang noch immer tonlos, als er fortfuhr. "Oder du sagst mir, wie lange diese Farce hier noch dauert, Belga." Dann spürte Belga, der mit einem seiner geistigen Fühler stetig eine Verbindung mit dem Einäugigen hielt, wie sich wieder etwas vor Farfarellos Bewußtsein schob. Würde er es jemandem erklären wollen, hätte er es mit langsam zersetzender Säure umschrieben. Für ihn war es kein Problem, es zu umgehen. „Du hältst bitte an“, sagte er zu Geisel, der leicht genervt mit den Augen rollte, jedoch gehorsam auf den Parkplatz fuhr und den Wagen anhielt. //Ich halte aber nicht seinen Schwanz!// //Nein. Du steigst aus und lässt uns allein. Wir sehen uns dann im Institut.// Geisel kannte seinen Lehrer und Vorgesetzten gut genug, um diese Anordnung nicht in Frage zu stellen. Rasch entfernte er sich erst ein paar Straßen, bevor er sich ein Taxi rief. Belga neigte seinen Kopf zu Farfarello: „Dies ist keine Farce. Was würdest du jetzt gerne tun?“ //Nach dem Pinkeln//, setzte er in Gedanken hinzu. "Ich würde gern die Jacke ausziehen." Seine Nasenflügel bebten, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Dann lächelte er weich. "Ich würd gern Walzer lernen." Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er leckte sich leicht über die Lippen. "Ich ... ich würde gern ein Stück zu Fuß gehen." Er hob den Kopf und sah zu Belga auf. "Die Toccata von Bach ist fantastisch, kennst du sie? Nein, du hast Recht, jetzt ist es in Ordnung." Dann sah er wieder zu Boden, drehte Belga den Rücken zu, als ob er den letzten Satz schon wieder vergessen hatte. Belga runzelte leicht irritiert die Augenbrauen. „Alles zu seiner Zeit.“ Er stieg aus, ging auf die andere Seite des Wagens, öffnete dem Jüngeren die Tür und zog ihn aus dem Fahrzeug. „Zunächst gehen wir ein Stück zu Fuß.“ Er legte beinahe sanft einen Arm um Farfs Taille und drückte leicht mit der Hand auf seine Blase. //Ein wenig hältst du wohl noch aus.// Fast wie ein Liebespaar gingen die beiden durch die Straßen von Münchens Randbezirk, und die Menschen, die ihnen entgegen kamen, nahmen kaum Notiz von ihnen. Wem auffiel, dass einer von ihnen mit einer Zwangsjacke gefesselt war, kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken und wandte sich anderen Dingen zu. Eine Kirchenglocke schlug sechs mal. Da es November war, war es schon dunkel. Belga achtete auf jede kleinste Regung in Farfs Gedanken, als er wie zufällig in Richtung Kirche ging. Farfarello ließ sich von Belga leiten, die Gedanken jetzt bei dem verstörenden Bild von Schuldig, wie er blutend auf dem Boden lag. War es wirklich geschehen? Crawford hatte ihm noch gesagt, dass er seine Sache besonders gut gemacht hatte, oder halt, war das nicht gestern gewesen? Jedenfalls war Crawford nicht da, sondern Belga, auch egal. Sie waren sich ähnlich genug, er konnte auch Belga folgen. Obwohl... Den Gedanken dachte er nicht zu Ende, denn Kirchenglocken drangen in ihn. Volltönend, lockend, der Ruf Gottes an seine Kinder. //Ich bin hier!// Aber es war Belga, nicht Crawford, hier musste er wohl oder übel neue Regeln lernen, bis... bis er wieder frei sein konnte. Er lächelte. Die Glocken wurden lauter und lauter, dröhnten in seinen Ohren, schrieen ihn an, die Sünder zu befreien. Sein Blick ging zu Belga hinüber, der unbeteiligt nach vorne schaute, dem jedoch keine Regung des Iren entging. Sein Schritt ging unbewusst zum Vorplatz der Kirche, Belgas Griff hielt ihn fest genug, um ihm zu signalisieren, wer hier derjenige mit der Macht war. Sein Auge begann voller Vorfreude zu funkeln. Er würde das Licht wieder in sich aufnehmen können. Belga blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken, um das hohe Gebäude zu betrachten. Seine langen Haare bewegten sich sacht in dem eisigen Herbstwind. „Ich war schon lange nicht mehr in einer Kirche“, sagte er mit dunkler Stimme. „Wusstest du, dass ich als Kind genauso katholisch war wie du? Auch ich habe den ganzen verfickten Scheiß geglaubt, den sie uns erzählt haben.“ Er lachte rau und blickte nachdenklich in das vernarbte Gesicht. //Zeig dich mir, Farfarello.// Die schwere Eingangstür aus dunklem Holz gab auf seinen Druck nicht nach, aber Belga gelang es rasch, das Schloss mit Hilfe eines Dietrichs zu öffnen. Er folgte dem Iren in das Gotteshaus. Im Vorraum blieb dieser abrupt stehen. "Ich brauche meine Hände, Belga." Sein Blick schien die Quader alten Steins zärtlich zu streicheln, seine Stimme klang sanft tadelnd, fast als ob ein geduldiger Vater seinem geliebten Sohn einen Fehler aufzeigen würde. "Und, sprich nicht so anmaßend von deinem Glauben. Wenn es Gott gibt, wird er kämpfen, wird er es nicht, können sie ihm ihren Schmerz persönlich ins Antlitz schreien." Er drehte sich rücklings zu seinem hochgewachsenen Begleiter und fiel auf die Knie, dieselbe Haltung, die er bei Schuldig annahm, den Kopf gesenkt, den Puls beschleunigt, auf die Berührungen wartend. Und die Berührungen kamen. Eine Hand drückte seinen Kopf noch weiter nach unten, bis die Bänder seiner Wirbelsäule auf das Äußerste gespannt waren und sein Körper in dieser demütigen Haltung fixiert war. Mit grober Kraft wurden nacheinander die ledernen Schnallen geöffnet; nicht ohne vor dem Loslassen nochmals bis zum Anschlag durchgezogen zu werden. Der Druck um seinen Brustkorb ließ nach, die Arme kamen frei. Die Finger glitten durch sein kurzes Haar, dann löste sich die Hand von seinem Kopf. Anders als Schuldig zog ihm der Franzose die Jacke nicht aus, sondern trat zurück und beobachtete ihn mit vor der Brust verschränkten Armen. Mit der Stirn auf den eiskalten Steinboden gelehnt, kam ein raues Stöhnen aus seinem Mund. Langsam hob er seinen Oberkörper, breitete wie in Vorfreude die Arme aus, die Spitzen der Schnallen schabten mit einem ächzenden Geräusch über die Steine. Er streckte den Rücken durch und es krachte eindrucksvoll. Noch immer auf dem Boden kniend neigte er in schneller Bewegung den Hals nach rechts und links, um dann langsam die steifleinernen Ärmel von sich zu streifen. Mit einem satten Geräusch fiel die Jacke vor ihm auf die Steine. Dann stand er auf, aus seiner schwarzen Lederweste zog er sein Stilett. An seiner Spitze schimmerte ein dunkler Bluttropfen. Mit einer eleganten Drehung wandte er sich Belga zu, die Arme ohne Anspannung neben sich, das Stilett zeigte nach unten, den Kopf schräg geneigt. "Es ist immer bei mir." Er hob die Waffe mit dem überraschenden Mechanismus bis in Bauchhöhe. "Es schmeckt Blut, wenn nicht anderes, dann meins." Farfarello lächelte ihn strahlend an, ein Kerzenschimmer beleuchtete Belgas Gesicht von der Seite. "Du bist eine marmorne Statue, Belga." Jetzt grinste er ihn an, wandte sich wieder um und schritt auf eine weitere Verbindungstür zu. Mit der linken Hand, die mit dem Stilett, stippte er zwei Finger in das Weihwasser und zog mit der Waffe in der Hand das Kreuz von seiner Stirn zum Herzen. Marcel folgte ihm langsam. Jetzt, wo Farfarello sich ungehindert bewegen konnte, wurde es interessant. Er ließ seinen freigelassenen Gefangenen nicht aus den Augen. Auch mental beobachtete er ihn, in Erwartung, was weiter geschehen würde und sorgsam darauf bedacht, jeden Gedanken an Flucht oder Angriff schon im Keim zu erkennen. Er wusste nur zu gut, dass Farfarellos Unterwürfigkeit lediglich ein oberflächlicher, antrainierter Teil seines Charakters war, dass er unberechenbar war. Gefährlich. Nur als der Telepath an dem Becken mit dem Weihwasser vorüber ging, ließ er einen winzigen Moment von ihm ab und spuckte verächtlich in das heilige Nass. Im Inneren der Kirche war es überraschend warm, auf der Empore erklangen Schritte, ansonsten war die Kirche leer. Zärtlich glitt Farfarellos Hand über einen Handlauf der Kirchenbänke, als er auf eine der Nischen zustrebte. Die dunkle Atmosphäre der Kirche und der Klang seiner Schritte auf dem Steinboden brachten ihm eine berauschende Sinneserlebung. Sein Körper war angespannt, jeder Muskel, jede Sehne vibrierend. Vor einer Marienstatue blieb er stehen, mit einem bösen Lächeln auf den Lippen. Die Klinge seines Stiletts strich durch seine gewölbte Handfläche. Mit einem ausgestreckten Zeigefinger voll des schimmernden Blutes färbte er die Lippen Marias. "Hallo, Hure des Herrn." Dann ging er wieder auf den Kreuzgang herüber. Belgas Präsenz immer hinter sich spürend. Von der Orgelempore erklang eine junge männliche Stimme. "Hallo Sie, der Vespergottesdienst fällt leider aus, die Heizung wird gerade repariert." Unbeeindruckt strebte Farfarello auf den schon vorweihnachtlich geschmückten Altar zu. "Äh, kann ich Ihnen irgendwie helfen? Warten Sie, ich komme runter zu Ihnen." Belga blieb hoch aufgerichtet zwischen den Bankreihen stehen. Mit einer speziellen telepathischen Technik sorgte er dafür, dass er für den jungen Mann, der nun die Treppe im hinteren Teil der Kirche hinunter geeilt kam, nahezu unsichtbar war. Der sollte sich ruhig mit Farfarello alleine beschäftigen. Es war eine gute Gelegenheit, Farfs dunkle Seite kennen zu lernen. Farfarello nahm derweil die Schmuckgegenstände vom Altar, legte jedes Stück vorsichtig auf die linke Seite des massiven Marmorblocks. Als der junge Priester schon fast auf Armeslänge an ihn heran war, strich er noch einmal glättend über das leuchtend weiße Damasttuch und murmelte der Gestalt am Kreuze zu. "Lasset die Kinder zu mir kommen, was?" Dann spürte er die fremde Hand an seinem Arm. Jedoch nur kurz, der junge Mann in der schwarzen Soutane war zurückgezuckt, als hätte er eine Leiche berührt, so kalt und wesenlos fühlte sich dieser Arm an. Farfarello drehte sich zu ihm um, und Belga bemerkte wieder das Schrägneigen des Kopfes und das beginnende Muskelzucken um das unangetastete Auge. Der junge Mann vor ihm bemerkte nur das andere Auge, oder besser, das Fehlen desjenigen, und seine Miene drückte kurz Entsetzen aus. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und lächelte leicht nervös. "Also, wie kann ich Ihnen helfen? Gehören Sie zum Gemeindekomitee?" Fragte er mit einem kurzen Blick auf die weggeräumten Gegenstände. Der Altar war bloß, bis auf die Bibel, den Abendmahlskelch und ein etwa armgroßes gusseisernes Kreuz. Farfarello hob die rechte Hand, und bevor der Priester etwas dagegen machen konnte, strichen diese kalten Finger eine dunkle Augenbraue entlang, folgten der Wölbung der Wange, strichen am Kinn entlang und legten sich dann fest um den Hals. Marcel spürte deutlich die Angst des Geistlichen. Und er spürte, wie ihn diese Angst erregte. Wie schade, dass er nicht zum Vergnügen hier war. //Du wirst ihn nicht töten. Nicht bevor du die Erlaubnis dazu hast.// Der deutliche Befehl in seinem Hirn verwirrte Farfarello ein wenig, und der Griff lockerte sich unmerklich. Der junge Mann schnappte nach Luft, war aber zu benommen und viel zu geschockt, um einen Ton von sich zu geben. Widerstand gegen Belga regte sich bei dem Iren, wurde allerdings sofort von einem krächzenden Laut des jungen Priesters fortgewischt. Farfarello zog ihn näher, sein Atem strich über die eben berührte Wange, seine Nasenflügel bebten, als er den köstlichen Geruch der Angst einatmete. Die Hand mit dem Stilett zog einen Halbkreis in der Luft, um unter dem Auge des Priesters anzuhalten. "Auge um Auge. Habe ich dich erschreckt?" erklang Farfarellos Stimme rau und beinahe liebevoll. Der junge Mann kniff kurz sein Auge zusammen, um ihm dann vollkommen verwandelt ins Gesicht zu starren. Aus seinem Mund kam jetzt eine geächzte Antwort, denn Farfarello hatte seinen Griff weiter gelockert. "Was macht dich so furchtsam, Freund? Wovor hast du Angst? Gott wird dir helfen können." Das bernsteinfarbene Auge blitzte belustigt auf. "Du ruhst in deinem Gott, nicht wahr?" Er spürte eine nickende Erwiderung. "Und nichts, was ich mache, würde dich von ihm abbringen?" Jetzt lächelte der junge Mann sogar, gequält zwar, aber er brachte es tatsächlich zustande. "Du hältst dich für den Verführer? Du bist auch nur ein einfacher Mensch, mein Freund." Komischerweise freute es Farfarello, dass dieser Priester ihm nicht einfach so wimmernd wegstarb, sondern tatsächlich kämpfte und ihm dadurch eine Menge Spaß bringen könnte. "Ich bin kein gewöhnlicher Mensch, Priester." Der Angesprochene fuhr sich über die trockenen Lippen, seine Antwort kam fast gehaucht. "Ich kann dir helfen, mit der Hilfe Gottes werde ich dir helfen können." Farfarello neigte den Kopf näher zu dem schmalen Gesicht des jungen Mannes, leise Worte in sein Ohr flüsternd. "Ich werde dich brechen, denn ich brauche keine Hilfe von deinem Gott. Er sollte aber vielleicht dich gut im Auge behalten, denn du wirst bald sein Antlitz schauen. Erzähl ihm von mir, Priester. Sag ihm, ich bin wieder da." Und er verstärkte den Griff um den Hals langsam, nicht tödlich, sondern unterband dadurch nur, dass der junge Priester sprechen konnte. Jetzt zeigte dessen Blick wieder deutliche Angst und keinerlei Mut zum Kämpfen. Farfarello seufzte bedauernd. "Du bist ein solches Kunstwerk deines Schöpfers, Priester." Er strich mit der Klinge über die pulsierende Halsschlagader und sah mit Erstaunen ein Erschauern und beginnende Gänsehaut auf der sichtbaren Haut des Halses. "Er wird sich freuen, dich bei ihm zu haben." Der Geruch der Angst verstärkte sich. "Aber du wirst ihn nicht sehen können, denn du wirst durch mich ins Fegefeuer kommen." Farfarellos Hand hielt die Waffe nur zwischen Daumen und Zeigefinger und strich langsam an der Soutane herunter. "Denn du wirst Freude an deinem Tod verspüren." Tatsächlich verhärtete sich der Schritt des jungen Priesters, der gepresst und verzweifelt atmete, das bißchen an Luft, was er bekam, förmlich einsaugte, die Augen weit geöffnet. Farfarello näherte sich noch weiter dem Kopf seines Gegenübers, lehnte jetzt seine Wange gegen die des Priesters. Seine Zungenspitze leckte leicht und schnell an dessen Ohrläppchen. "Oh, was bist du bereit für mich, mein Schöner." Aus dem Mund des Priesters kam nur noch ein gedemütigtes Ächzen, doch Farfarello witterte das Gemisch aus Angst und Wollust und lachte grollend auf. „Benötigen Sie Hilfe, Pater?“ Klar hallten die Worte durch das Gewölbe, begleitet von langsamen Schritten, die sich dem Altar näherten. //Was?// Bestürzung und glühendheisse Wut brandeten in Farfarello auf. Wie konnte jemand es wagen, ihm in die Quere zu kommen. Seine Hand quetschte den Hals des Priesters so fest zusammen, dass er das Zerbrechen des Adamsapfels spürte. Mit dem jungen Mann, der trotz allem noch immer am Leben war, kreiselte der Ire in angespannter Bewegung herum, um sich Belga gegenüberzusehen. Sein Auge schien zu leuchten wie der heisseste Punkt des ewigen Kerzenlichtes auf dem Altar. Die Hand mit dem Stilett zog beiläufig bei dieser Drehung eine Linie an dem Arm des Priesters entlang, die Schneide glitt mühelos durch den Stoff bis in die Haut. Der Wehlaut des jungen Mannes ging in ein jammervolles Japsen über. „Schade.“ Marcels Stimme war kalt wie Eis. „Die Session ist vorbei.“ Er war wütend über Farfarellos Reaktion. Sie hätten eine Menge Spaß haben können. Aber der Ire brauchte anscheinend erst einmal eine Lektion darüber, wer hier die Spielregeln bestimmte. Der Geistliche blickte den großen Mann voller Hoffnung an. Für ihn war er die Hilfe, die der Herr ihm sandte. Marcel lachte laut auf. „Tut mir leid, Pater. Bedauerlicherweise muss ich das hier abkürzen.“ Der junge Priester konnte dem mentalen Schlag nichts entgegensetzen, und mit einem letzten röchelndem Atemzug sackte sein Körper leblos zusammen. Blut lief ihm aus Ohren, Nase und Augen. „Wir gehen.“ Mit einem kreischenden Wutschrei hob Farfarello den toten Körper in die Luft und warf ihn auf Belga. Sein Stilett steckte dabei unter der Achselhöhle des Priesters und ein Blutstrom rann ihm am Handgelenk entlang. "Er war mein! Hörst du? MEIN!" Belga war dem Leichnam ohne Probleme ausgewichen. Farfarellos Geist war eine einzige schmerzhafte Wolke, kaum zu durchdringen. Aber er stürmte nicht auf den Direktor von Rosenkreuz zu, wie dieser halb erwartet hatte. Stattdessen zog er sich die Klinge von der Wange bis zum Adamsapfel und hielt ihm dann die triefende Waffe vor. "Dies ist mein Blut. Das nächste Blut wird deines sein." Er schob die Hand mit der Waffe in seine schwarze Weste, drehte Belga den Rücken zu und urinierte auf die Leiche des Priesters. Dann wandte er sich wieder um. Sein Ausdruck war nicht mehr zu deuten, das Auge glänzte fahl. "Ich komme." „So nicht, mein Lieber.“ Belga sprach gefährlich leise und seine stahlblauen Augen funkelten vor unterdrückter Wut. „Zunächst müssen wir einiges klar stellen. Es gelten jetzt andere Regeln als bei Schwarz. In erster Linie gehörst Du zu Rosenkreuz. Und Rosenkreuz bin ich. Vereinfacht gesagt, heißt das...“ Die nächsten Worte sagte er lauter und drang gleichzeitig mit seiner telepathischen Stimme in ihn ein: //...dass du mir gehörst!// Er schnellte vor, packte Farf mit der rechten Hand an der Kehle, mit der linken drückte er das Stilett gegen seinen Brustkorb und nutzte den Schwung aus, um den Iren rücklings gegen den Altar zu stoßen. Ehe Farfarello reagieren konnte, lag er mit durchbogener Wirbelsäule auf dem Tisch des Herrn, bewegungsunfähig, während Belga sich gegen ihn drückte, und ihm seinen Kopf entgegenneigte, Auge in Auge. //Du gehörst Rosenkreuz, und das bedeutet, dass ich bestimme, wen du tötest, ich bestimme, wessen Blut fließt, ich bestimme, wann du frei bist, wann wir gehen, wann du pinkelst, selbst wann du atmest!// Kräftig drückte er ihm die Luftzufuhr ab, um kurz bevor Farfarello ohnmächtig wurde wieder locker zu lassen. //Hast du mich verstanden?!// Farfarello spürte Verblüffung, unbändige Wut und – glühendheiße Erregung. Etwas in ihm wollte sich mit Zähnen und Klauen wehren, den Mann vor ihm, an ihm, zerreißen, zerfleischen und gleichzeitig wimmernd auf jede Regung seiner Hand warten. Er bleckte die Zähne. Niemand hatte ihn jemals so behandelt, so behandeln können. Farfarello spürte die harte Kante gegen seine Nieren drücken, sowie die Unnachgiebigkeit Belgas, die ihm tatsächlich Schmerz bringen konnte. Er atmete zischend aus und drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen Belga, ohne etwas ausrichten zu können. Drückte sich gegen die tödliche Umklammerung der Hand, die seinen Hals umschlossen hielt und drückte, bog sich weiter, wand sich mit schmerzhafter Erregung unter ihm. Sein Hirn hatte die Worte Belgas deutlich verstanden. Rebellisch lehnte sich seine Logik dagegen, aber seine endgültige Antwort kam aus dem gierig blutigen, ekstatisch im Schmerz schwelgenden Teil von ihm. //Ja, benutz mich. Ich gehöre dir.// Marcel beugte seinen Kopf noch tiefer, seine langen Haare strichen über Farfarellos Haut. „Oh ja, du gehörst mir“, zischte er Farf ins Ohr und drückte sich noch fester gegen den sich windenden Körper. „Und ja... ich kann dir Schmerz bringen...“ Farfarellos Erregung übertrug sich auf ihn, pulsierte kraftvoll in seinen Lenden. Er spürte seinen erigierten Penis gegen den Stoff seiner Hose spannen, jede Bewegung unter sich lustvoll aufnehmend. Er liebte dieses Gefühl der absoluten Macht. Seine linke Hand packte Farfarellos Arm und streckte ihn auf den Altar. Dann glitten seine Fingernägel die Haut entlang, zogen rote Linien bis zur Achsel, strichen dort weiter den Brustkorb entlang und verweilten an seiner Seite. Mit einem einzigen geübten Druck seiner Fingerknöchel brach er eine Rippe. //Schmerz, Farfarello... und Ekstase, ich gebe dir beides!// Und er öffnete ihm seinen Geist ein wenig, ließ Farf seine Erregung spüren. Und seine Überlegenheit. Farfarellos Mund stand halb offen, seine vollen Lippen formten einen Kreis. Und ein erschauerndes, jungmädchenhaftes 'Oh' traf mit einem kurzen Atemhauch auf Belgas Wange auf. Dann sog er seufzend die Luft ein und stieß sie mit einem kehligen Grollen wieder aus. Er hatte das Auge geschlossen, erspürte das mentale Geschenk Belgas, ganz vorsichtig diese Übernahme, dieses Überschwemmen annehmend, gab sich der vollkommenen Unterwürfigkeit dieser peinigenden Lust hin. Behutsam hob er seine linke Hand, strich unendlich sacht an der Rauheit des Ärmels des schweren Ledermantels entlang, eine von Belgas Haarsträhnen wehte an seinem Handrücken entlang und verschreckt, das er ihn tatsächlich berührt hatte, diese Erregung fühlen und weitergeben wollte, zog er sofort seine tastenden Finger zurück. Mit einem fleischlichen Klatschen fiel der Arm wie knochenlos wieder an die Kante des Altarsteines zurück. Der zersplitterte Bruch an seiner Seite bohrte sich so köstlich quälend in seine Muskulatur, er konnte sein eigenes Blut fühlen, riechen, wie es sich einen Weg durch die Fasern webte. Der Ältere hielt ihn so hart auf den Altar gedrückt, dass seine Fersen den steinernen Boden nicht mehr berührten. Er schob instinktiv ein Bein an der vorderen Wand hinauf, um sich gegen die noch immer drückende Hand an seiner Kehle zu schützen. Dabei strich seine pulsierende Erektion an Belgas im Stoff gespannter Härte entlang. Sein gesamter Körper verspannte sich, das Auge, so leuchtend, voller demütigem Verlangen und eiskalter Härte öffnete sich langsam und der Arm, den Belga auf den Altar gestreckt hatte, ertastete das schwere gusseiserne Kreuz. Kräftige Finger umspannten fest sein Handgelenk und pressten es auf die harte Unterlage. „Was soll denn das? Hab ich dir das erlaubt?“ Belgas Stimme klang leicht außer Atem, jedoch nicht verärgert. Eher ein wenig amüsiert. Seine Augen leuchteten und er blickte unverwandt in Farfarellos Auge. „Wieviel Schmerzen hältst du aus? Möchtest du das wissen?“ //Lass es los!// Und mit gezielter Drehung verrenkte er die Hand, dass im Inneren des Gelenkes mit einem hörbaren Krachen irgendetwas zerriss. Farfarello hörte das Klirren der Sehne, das Zerspringen und sein Körper bog sich empor. Sein Hinterkopf hämmerte gegen den Stein, ächzend und rau kam die Antwort zischend zwischen seinen Lippen hindurch. "Pass auf, dass ich es nicht zu sehr genieße." // Willst du fühlen, was ich fühle?// Die hellschimmernde Iris schien Funken zu sprühen, auch er konnte den Blick nicht von Belga lösen. Marcel lachte leise und rieb sich an Farfarellos harter Mitte. //Ja, ich will.// Wieder lachte er kurz auf, ob der Bedeutung dieser drei Worte in einer Kirche. Er löste die reglosen Finger von dem gusseisernen Kreuz und stieß es hinunter. Seine andere Hand hielt weiterhin Farfarellos Hals umklammert, als er sich ein wenig von ihm zurückzog. Grob schob er mit dem Knie Farfs abstützendes Bein zur Seite, sodass sich der Druck um seine Kehle wieder verstärkte. Er riss seine Weste auf, schleuderte das Stilett, das sich darunter befand, außer Reichweite und begann, mit der Hand über Farfarellos entblößten Brustkorb zu streichen. Schwer ließ sich Farfarello gegen die Hand an seiner Kehle sacken, sein Auge begann zu zucken und drehte sich dann leicht nach oben, dann öffnete er den Teil seines Geistes, den bis jetzt nur Schuldig betreten hatte. Belgas Geist wurde mitgerissen, doch im Gegensatz zu Schuldig, der sich nach zu kurzer Zeit immer wieder befreit hatte, stabilisierte der Telepath sich und ließ sich auf diese Reise mitziehen. Er spürte seine eigenen Berührungen an Farfarellos Brust und die Verletzungen, die er ihm zugefügt hatte, brennend, ätzend und gleichzeitig mit einem solchen lustvoll gierigen Wollen, ekstatischer als jeder körperliche Orgasmus. Farfarello ließ ihn in sich ein, vollständig und unbekümmert bis auf den schwärzesten Grund seiner Seele. Der Franzose hätte ihn mit einem Schnippen seines mentalen Fingers in eine zerfetzte, blutige Masse verwandeln können. Bis auf diese eine kleine Sache lag alles vor ihm. Ein unmöglich kleiner Teil dieses gestörten Gehirns war zu gut versiegelt. Farfarello selbst hatte davon nichts bemerkt. Die Hand, die er noch immer frei neben sich auf der Altarkante liegen hatte, krallte sich jetzt kraftvoll in das schwere Leder des Ärmels und zog den Älteren mit einem Ruck näher an sich heran. Den Blick jetzt wieder intensiv auf die Augen Belgas gerichtet, leckte er mit der Zungenspitze eine Spur von dessen rechten Mundwinkel beginnend zum Ohr, dann stieß er ihn wieder von sich, soweit dieser es zuließ. Kniff sein Auge zusammen und verzog den Mund zu einem sarkastischen zähnefletschenden Lächeln. Eigenartigerweise bekam Belga geistig den Duft von Vanilleschoten übermittelt. Den Kopf leicht zur Seite geneigt und überstreckt, schien er ihm mit diesem Lächeln seine Kehle anzubieten. Der Telepath sog tief die Luft ein. Wie gern würde er dieses Angebot annehmen, diesen Hals küssen, beißen, ihm die Hose vom Leib reißen, ihn sich nehmen, schweben auf Wellen der Lust und des Schmerzes, Unterwerfung und Hingabe, auf dem Altar des Herrn, der Kirche zum Hohn und Zeichen seiner Macht. Doch er tat es nicht. Deswegen war er nicht hier. Jetzt nicht. Er hatte erreicht, was er wollte, hatte alles von Farfarello gesehen, alles bis auf dieses kleine Geheimnis, von dem nun er allein wusste. Für den Moment reichte ihm das. Er würde sich zu einer anderen Zeit eingehender damit beschäftigen. Noch eine letzte Liebkosung seiner Hand über der gebrochenen Rippe, dann ließ er von ihm ab, mit einem kurzen Lächeln. Seine Haare strichen über Farfarellos Haut als er ihm den Rücken zuwandte, um in gelassener Ruhe das Stilett aufzuheben. Seines Haltes beraubt, rutschte Farfarello mit den Hacken auf den Boden, lehnte sich mit den Ellenbögen gegen den Altar. Sein Kopf fiel vornüber, er atmete keuchend auf und starrte dann auf Belgas Rücken. //Er hat sich abgewandt?// Sein heiseres irres Lachen dröhnte durch die Kirche, als er das verletzte Handgelenk zurechtschlenkerte und sich abstieß. Dann, das plötzliche Enden der Lache, und unendlich sacht hob er den Leichnam des Priesters auf. Sein Blick fiel auf das massive Kreuz, an dem der Gekreuzigte gleichmütig auf ihn herabschaute. Mit der leichten Last auf den Armen erkletterte er den Altar und spießte den toten Körper dergestalt an die Balken, dass das Haupt des Gesalbten sich durch die Brust des Priesters wölbte und dessen Arme sich um die des Hölzernen wanden. Dann sprang er Belga vor die Füße, ordnete seine Weste und streckte die Hand aus. "Es gehört zu mir." Marcel hatte das Stilett schon unter seinem Mantel verschwinden lassen. „Ich weiß. Du bekommst es zurück. Später.“ Wieder wandte er ihm den Rücken zu und ging Richtung Ausgang. An der Stelle, wo er ihm die Zwangsjacke abgenommen hatte, blieb er stehen und stieß sacht mit der Stiefelspitze gegen den starren Leinenstoff. „Zieh dich wieder an.“ Ohne Farfarello anzusehen, zündete er sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug, während er nachdenklich zu dem grotesken Szenario blickte, welches sie am Altar zurückließen. In Farfarellos Hirn beherrschte diese Lache wieder sein gesamtes Ich, grell, durchdringend und mit einem ziemlich verächtlichen Unterton. Doch seine Mimik war starr, der Mund leicht geöffnet, als er sich zu seiner Jacke beugte, mit einem rauen Seufzer den kratzigen Stoff auf den Armen fühlte und sich dann mit dem Rücken zu Belga postierte. Kein Niederknien, kein demütiges Senken des Kopfes, nur ein Warten auf das Schließen der Schnallen. Die Zigarette wurde in eine der Bankreihen geschnippt. Ein Satz und Marcel trat ihm von hinten in die Kniekehlen. Seine Beine knickten augenblicklich ein, und er fiel hart in eine kniende Position. Grob und rasch wurden die Schnallen geschlossen. //Was, verdammt noch mal, findest du eigentlich so witzig!// Die groben Berührungen abwartend, kniete der junge Ire auf dem kalten Stein. Es kam keine gedankliche Erwiderung, Farfarello drehte nur den Kopf, sein Mundwinkel, von der feinen Narbe eh schon leicht verschoben, zog sich nur weiter nach unten. "Schmerz. Ich finde Schmerz witzig." Diesmal lachte er auf und erhob sich. So rasch, dass Belga einen Schritt zurücktreten musste, um den Hinterkopf nicht beim Aufstehen abzubekommen. "Wie findest du Schmerz?" Und wie bei einem besonders gelungenen Scherz lachte er lauthals auf, um noch immer kichernd zwei Sätze dahinter zu hängen, bevor er wieder vollkommen still wurde. Geistig wie körperlich. "Ich brauche kein Messer, weißt du, nicht mal Hände. Nicht mehr." „Grand Dieu! Du bist wirklich total irre. In diesem Zustand hättest du das Labor gar nicht verlassen dürfen.“ Marcel schob ihn aus der Kirchentür hinaus und dann weiter zurück zum Auto. Den ganzen Weg schwieg er und überlegte, was er beunruhigender fand: das irre Lachen oder die geistige Stille, die darauf gefolgt war. Nun, eines war sicher. Dieses aufgeblasene Wunderkind aus den Staaten musste sich schon was einfallen lassen, um seinen Schützling wieder zu bekommen! Marcel war noch nicht fertig mit ihm. Kapitel 3: ----------- Schuldig kam nur langsam wieder zu sich. Zunächst war er völlig orientierungslos. Unzählige Stimmen, Gefühle, Gedanken wirbelten wie ein Feuersturm durch seinen Kopf. //...was soll ich heute nur kochen...// //...ich verpasse den Bus...// //...er wird mich töten, oh mein Gott...// //...die rote oder die blaue Bluse...// //...du liebst mich nicht...// //...Scheißenglischvokabeln...// Es war ein Lärm, als befände er sich inmitten einer riesigen Menschenmasse, während ihm ein glühender Hammer gegen den Kopf schlug. Stöhnend schlug er die Augen auf. Ein grauer Teppich, und Blut, soviel Blut. Langsam hob er den Blick und sein Schädel schien zu explodieren. Schlagartig wurde ihm so übel, dass er sich übergeben musste. Erschöpft und elend lag er wieder eine Weile still, aber wenigstens wusste er nun, wohin er gehörte: zu der Übelkeit und zu den hämmernden Kopfschmerzen. Was war nur geschehen? Langsam kroch seine Hand über den rauen Stoff und legte sich auf seine Stirnmitte, kreiste behutsam über dem Stirnchakra, jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Es gelang ihm nicht, die lärmende Menge aus seinem Kopf zu verbannen. //Verdammt!// Er versuchte, sich auf die nahe Umgebung zu konzentrieren. Wo war Farfarello? Schuldig war nicht sicher, doch er schien allein zu sein. Er fror. Wo waren die anderen? Ach ja: Crawford war mit Nagi in der Schweiz, und... Jetzt fiel es ihm wieder ein! Die Auseinandersetzung mit Belga... darum tat ihm der Kopf so weh! Er biss die Zähne zusammen, um nicht wieder aufzustöhnen und schleppte sich Zentimeter für Zentimeter zu dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa. Dort lag sein Telefon. Nur mit Mühe konnte er sich soweit aufrichten, um das Telefon zu greifen. Er tat dies alles, ohne groß nachzudenken, es war zu schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch automatisch wählte sein Finger die Nummer von Crawfords Handy. Eine tiefe Stimme meldete sich. "Ja?" "Brad ... ich ..." Der Rest des Satzes verklang in einem ächzenden Seufzer. Der Mann am anderen Ende runzelte beunruhigt die Stirn, dann glättete sie sich wieder, während seine Augen sich für andere unsichtbar verschleierten, für Nanosekunden nur. "Du wirst ihn finden, Schuldig. Er kann keinesfalls bei Belga bleiben." Aus der Leitung kam ein gequältes Schnaufen. Crawfords Stimme wurde ein bißchen weniger barsch. "Aber ruh dich erst ein wenig aus, Schu. Wir brauchen auch dich. Er wird auf sich aufpassen können, eine Zeitlang." Der hochgewachsene Anführer schaute kurz auf sein Handgelenk. "Wir kommen so schnell wie möglich zu dir. Aber wir sind hier noch nicht fertig." Crawford spürte Schuldig am anderen Ende der Leitung, dieser gab weiterhin keinen Laut von sich, nur dieses schmerzerfüllte Atmen. Crawford verbot sich mitleidige Gedanken in Bezug seines Kollegen, mit Belga war nicht zu scherzen. Und wenn er Farfarello hätte... wirklich hätte... "Schuldig, finde Farfarello und bring ihn wieder zurück zu uns. Du kannst das." Schuldig, mit dem Kopf auf dem Sofa, hörte nur noch ein leises Klicken als Crawford aufgelegt hatte. „Brad...“ Er ließ das Handy fallen. //Ich kann nicht//, dachte er immer wieder. //Arschloch... ich... kann das nicht!// Dann überließ er sich wieder den Stimmen und hörte auf zu denken. Crawford hatte nachdenklich aufgelegt, Nagi sah kurz zu ihm herüber, mit einem fragenden Gesichtsausdruck. "Wir werden die Sache hier beschleunigen. Buche für uns bitte zwei Rückflüge nach München. Schuldig hat Schwierigkeiten." Nagi nickte knapp, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. „Hai Crawford. Zu wann?“ "Innerhalb der nächsten zwei Stunden wäre ausgezeichnet. Nimm ansonsten einfach den raschesten." Konzentriert ging er nochmals die Dokumente durch, die er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. "Du wirst verfolgt werden, lass sie bitte in dem Glauben, dass sie unentdeckt sind. Aber sei vorsichtig, einer in Schwierigkeiten reicht vollkommen aus." Nagi hob kurz eine Augenbraue und verschwand leise aus dem Raum. Kapitel 4: ----------- Als sie bei seinem BMW ankamen, öffnete er den Kofferraum. „Los, rein da. Ich hab erstmal genug von dir.“ Farfarello stemmte die Beine gegen das Pflaster. "Beantworte mir bitte eine Frage." Er wirkte in sich gekehrt, dann lächelte er wieder strahlend. "Was fragt die Sphinx ihre Opfer? Und kennst du ihre Antwort?" Dann lehnte sich gemütlich gegen die ihn haltende Hand. "Nein, kennst du nicht. Wie schade." Er beugte den Oberkörper zur Seite, um Belga anzusehen. "Du riechst nach Orange." Farfarello sog genüsslich die Luft ein, zuckte die Schultern und zeigte dann mit dem Kinn auf den geöffneten Kofferraum. "Ich geh da nicht rein." Belga knurrte ungeduldig, ihm riss jetzt langsam der Geduldsfaden. „Du hast es anscheinend noch immer nicht verstanden.“ Er schlug Farfarello mit der Handkante fest ins Genick, so dass er zum zweiten Mal unfreiwillig auf den Knien landete. Sorgsam achtete er auf jede, auch geistige, Reaktion Farfarellos. Auf keinen Fall wollte sich Marcel von ihm überrumpeln lassen; er wusste, wie unberechenbar und gewalttätig der junge Ire war. Niemals würde er ihm etwas durchgehen lassen, was seine Autorität untergraben könnte. Gleichzeitig fand er ihn schon wieder äußerst attraktiv, wie er vor ihm auf dem feuchten Pflaster kniete, die Arme fest an den Körper gefesselt. Wieder würde er sich am liebsten diesen schlanken, unbeugsamen Körper einfach nehmen, hier und jetzt. Doch das musste warten. //Du tust, was ich sage!// Nur kurz währte die Benommenheit des Handkantenschlags. Geistig grinste Farf in sich hinein, und Belga bekam kurz einen absoluten Schauer tiefreichendster Erregung zugesandt. Danach ging alles blitzschnell. Ein Bein anwinkeln, sich mit dem anderen abstützen, leicht den Oberkörper zusammenziehen und mit dem freien Bein leichthin nach vorn ausgerichtet mit einem nicht mal so großen Halbkreis den vor ihm Stehenden aus dem Stand hebeln. Belga ging zu Boden. Natürlich hatte er beide Hände frei, trotzdem fand er den irischen Berserker plötzlich auf sich knien, das gesamte Gewicht des Oberkörpers mit den Knien auf seine beiden Oberarme verteilend. Und um es noch unangenehmer zu machen, bohrte Farfarello beide Fußspitzen schmerzhaft in seine Nierengegend. Dann beugte er den Kopf, setzte mit leicht vorschießender Zungenspitze einen sanften, ziehenden Kuss auf die zornig zusammengepressten Lippen, versetzte ihm dann einen kräftigen schmerzhaften Hieb mit der Stirn auf die Nasenwurzel und stand auf. Nicht ohne ihm, wie bei einem störrischen Gaul noch einmal die Fußspitzen in die Seiten zu dreschen. „Du hast mir kein Stück Scheiße zu sagen, a ghaoil." Er wandte sich ab. Belga glühte vor Zorn. Genau das war passiert, was er auf jeden Fall hatte verhindern wollen, und das nur, weil er sich einen kleinen Moment der Schwäche gestattet hatte, weil ihn Farfarellos Anblick gefesselt hatte. Dieser Fehler würde ihm kein zweites Mal unterlaufen. Langsam erhob er sich und straffte die Schultern. Konzentrierte sich. „Schön. Gut. Du hast mich überrascht. Doch das bedeutet gar nichts.“ Seine Stimme klang eiskalt. „Viel wichtiger ist doch, wer von uns am längeren Hebel sitzt. Du kannst nichts ausrichten. Du wirst tun, was ich dir sage. Das verspreche ich dir, du wirst diese Lektion lernen.“ Und er drang mit geballter Kraft in Farfarellos Geist ein, eine ungeheure Präsenz, groß und mächtig. Gnadenlos riss er Erinnerungen in Farfs Bewusstsein, schmerzhafte, verdrängte Erinnerungen aus der Tiefe seiner Seele, nahe des kleinen versiegelten Bereiches. Seine Eltern am Boden, blutbesudelt. Der kleine Körper seiner Schwester in ein rotdurchtränktes Tuch mit Engelmotiv gehüllt, reglos. Blut an seinen Händen. Eine vertraute Stimme aus der Vergangenheit: „Jay... sie ist nicht deine Mutter...“ //Wer hat sie getötet, Jay? Hast du die Einbrecher gesehen?// Marcel lachte, laut und gemein, und sein Gelächter hallte durch Farfarellos Schädel. Der fast sofort wieder in die Knie brechende Ire schrie unartikuliert auf, riss ohne Erfolg in den Ärmeln seiner Jacke, um sich zu befreien, um sich den Kopf zu schützen, um den vor ihm stehenden grimmig Lächelnden erneut anzugehen. Die feinen Äderchen in seinem Auge platzten, färbten den weißen Glaskörper rot. Die körperlichen Schmerzen ließen ihn rückwärts und zur Seite beugen, bis er schließlich wimmernd in der Gosse hinter dem BMW lag. Doch das war nichts. Nichts im Vergleich zu der geistigen Vergewaltigung Belgas. Jede noch so kleinste Regung seines verletzten Kinderherzens, jedes damalige Verletzen des Vertrauens in seiner kleinen Welt, die Angst vor sich selbst, der so ersehnte Wunsch, doch nur geliebt zu werden, das alles breitete er in ihm aus und zermalmte dies und seinen Selbstschutz mit Leichtigkeit. //Wer hat sie getötet, Jay? Hast du die Einbrecher gesehen?// "Nein!" Langgezogen schrie Farfarello dieses eine Wort wieder und wieder. Schrie, bis ihm die Stimme brach, und er mit verzerrtem Gesicht die Wange mit geschlossenem Auge an den dreckigen Asphalt schmiegte. Ein einzelner Blutstropfen rann unter seiner Augenklappe über seine Lippen. Und sein Geist war stumm, drückte sich haltsuchend an den Duft von Vanille. In aller Ruhe schnürte der Telepath die Bänder an Farfarellos Hose fest zusammen, während der jüngere so hilflos vor ihm lag. Dann strich er sehr zart durch sein kurzes, weißes Haar. „Schsch. Jay. Es ist vorbei“, sagte er leise und in tröstendem Ton. Mental suggerierte er ihm Vertrauen und wendete sich dabei gezielt an Farfarellos inneres Kind. „Komm... steh auf und steig ein. Ich helfe dir dabei. Wir können nicht hier bleiben.“ Farfarello hielt das Auge fest zusammengekniffen, die Erinnerungen konnte er nicht aufhalten, genauso wenig wie das eigenartige schmerzhafte Zusammenziehen seiner Brust - es tat... weh. Er ließ sich gefügig wie eine Schaufensterpuppe hin und her drehen, jede noch so kleine körperliche Regung war ausgeschaltet. Bis auf diesen eiskalten Schauer, der über seinen gesamten Körper ging und der mit der Berührung und diesen Worten zusammenhing. Nur, dass es damals... jemand anderes war. 'Schsch. Jay. Es ist vorbei.' Dann die Berührung. Da war das schmerzhafte Zusammenziehen der Brust wieder. 'Es ist vorbei.' "Das stimmt doch gar nicht!" kam es mit undeutlicher kindlicher Stimme zwischen seinen Lippen hervor. Wellen von Erinnerung wechselten sich mit vollkommener Stille in seinem Geist ab. Er hielt sein Auge fest zusammengekniffen, bis sich vor seinem Lid Lichtpünktchen bildeten, dann öffnete er es langsam wieder. Er sah Belga blicklos an, nur seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen und entspannten sich dann sofort wieder. Er ließ sich in den Kofferraum heben, hob die Beine selbst an und legte die Knie zur Seite. Stumm sah er nach oben. Wieder strich Marcel ihm durch das Haar. Dann öffnete er ein Fach an der Seitenwand und hob eine schwarze Kette heraus. Sacht und von schwerem Kettenrasseln begleitet, legte er sie Farfarello um den Hals und befestigte sie straff an einer Halterung im Rücksitz. Strich ihm wieder durch das Haar. Und wiederholte dasselbe an seinen Knöcheln. „Und jetzt...“ Er umfasste ohne Druck Farfarellos Unterkiefer. Die andere Hand hielt er außerhalb Farfarellos Sicht. „Jetzt öffne deinen Mund.“ Eigenartigerweise beruhigte ihn das Kettenklirren in dem Durcheinander seiner wirren Gedanken. //Ich habe einen Fehler gemacht und werde bestraft.// Sein Auge zeigte zwar noch immer diesen abwesenden Schimmer, aber die Panik war größtenteils daraus verschwunden. Das war eine Situation, die er kannte. Gehorsam öffnete er den Mund und spürte wieder die warme Haut von Belgas Hand an seinem Kiefer. Die Kettenglieder drückten schwer gegen sein Halsband und verstärkten das Gefühl von Erniedrigung um ein Vielfaches. Auch sein Atem beruhigte sich zusehends, er fühlte das rasche Regenerieren der gebrochenen Rippe. Bedächtig schob Marcel ihm die harte Gummikugel eines Knebels zwischen die Zähne und schnallte ihn fest. Danach entfernte er die Augenklappe und sah Farfarello einen langen Augenblick an. „Ohne diese vielen Narben“, und er strich mit einer Fingerkuppe an der längsten entlang über die Wange und die Nase und stoppte an der vernarbten Augenhöhle, „wärst du ein richtig hübscher Junge.“ Er zog ein Tuch aus der Tasche und wischte ihm das Blut vom Gesicht. Noch ein langer Blick, dann griff er nach oben und schlug die Kofferraumklappe zu. Es wurde dunkel um Farfarello. Marcel setzte sich hinter den Fahrersitz, schob Nightwish in den CD-Player, zündete sich eine Zigarette an und ließ den harten Rhythmus aus den Boxen dröhnen. Langsam und genussvoll sog er den Rauch in seine Lungen. Gut, dass der Ire sich wieder beruhigt hatte. Er wollte nicht, dass Farfarello sich endgültig in den Wirren seines Geistes verlor. Doch dieses Risiko würde er jederzeit wieder eingehen. Nur die Starken kommen durch, nur die wirklich Guten. Dieses Prinzip herrschte seit jeher bei Rosenkreuz und Belga würde bestimmt nichts daran ändern. Und er wollte, dass Farfarello begriff, wer von ihnen beiden das Sagen hatte. Um jeden Preis. Von nun an würde er ihm nichts mehr durchgehen lassen, Marcel hatte genug gesehen. Allein bei dem Gedanken daran, wie der Neunzehnjährige vor ihm über dem Altar lag, wie er sich den Schmerzen hingab, die er, Belga, ihm zufügte, spannte sich seine Hose wieder angenehm eng an seinem Schritt. Er warf die Zigarette aus dem Fenster und fuhr mit durchdrehenden Reifen an. Die Fahrt dauerte bei zügigem Tempo gut vier Stunden, bis er den Wagen die Serpentinen hinauf zu dem hochabgelegen Labor in den österreichischen Alpen lenkte. Er fuhr am Haupteingang vorbei zum Westflügel des langgezogenen, flachen Gebäudes, wo eine Nebentür direkt in seine Privaträume führte. Er bremste hart, stieg aus und öffnete den Kofferraum. Wortlos beugte er sich hinab und entfernte die Kette von den Füßen. Die Riemen der Hose lockerte er soweit, dass Farfarello kleine Schritte würde gehen können. Dann löste er die zweite Kette aus der Halterung, ließ sie jedoch um seinen Hals geschlossen, sodass er das lose Ende wie eine Hundeleine in der Hand hielt. Spielerisch zog er daran: //Komm, steh auf.// Die Heckkante des BMW war so hoch gearbeitet, dass Koffer bei offener Klappe nicht herausfallen würden, dass hieß also, dass Farfarello sich sozusagen darüber winden musste, um aus dem vorigen Dunkel zu kommen. Entzückt lauschte er dabei dem Aneinanderklirren der Kettenglieder. Als er wieder auf den Füßen stand, gönnte er sich einen langen Rundblick. Hohe Tannen schienen sich zu den Gebäuden herüberzuwölben, irgendwo quietschte ein ihm unbekanntes Tier, etwas kleines Rotbraunes huschte mit buschigem Schweif von einem der riesigen Bäume zum anderen, und über den Wipfeln konnte er diese erhabenen Bergspitzen sehen. Und diese reine klare Luft! Tief sog er sie in die Lungen, nicht wissend, ob er diese Luft jemals so schnell wieder kosten dürfte. Dann schüttelte er noch einmal den Kopf, nur um dieses so exquisite Lied der Kettenglieder noch einmal zu hören. Farfarello hob den Kopf, streckte den Rücken gerade und stand mit dieser so wunderbar arroganten Haltung animalischer Eleganz gefesselt in seiner Jacke da, mit schwarzen Kettengliedern geschmückt. Sein Blick suchte Belgas, ein Mundwinkel zog sich trotz des dehnenden Knebels aufwärts und er zwinkerte ihm mit diesem leuchtenden Auge zu. //Du bist schön. Du darfst nie Narben haben.// Dann schloss sich das Auge wieder halb, die Haut über der eingefallenen Augenhöhle spannte sich gleichzeitig mit dem Bewegen des anderen Lides, und er wartete mit dieser Mischung aus Demut und Stolz auf Belgas nächstes Tun. Dieser lachte leise: //Ich gebe mir Mühe.// In leicht spöttischem Ton sagte er: „Du hast die Ehre, mich in meine Privatgemächer zu begleiten. Komm.“ Wieder zog er etwas an der Kette, auch er genoss den Klang des Metalls, und führte ihn langsam zu seiner Wohnung. Kapitel 5: ----------- Die Eingangstür war mehrfach gesichert; dahinter befand sich ein großräumiger Flur, von dem mehrere Türen abgingen, die jedoch alle geschlossen waren. Außer einer Garderobe mit Schuhschrank und einem kleinen Beistelltisch mit Sitzgelegenheit war der Raum leer. An den Wänden hingen expressionistische Bilder eines unbekannten französischen Malers und zeigten bizarre Landschaften in kräftigen Farben. Am hinteren Ende führte eine schmale Wendeltreppe nach unten. Dorthin wandte sich Belga: „Sei mein Gast.“ Er ließ Farfarello voran gehen, bis die Treppe an einer Tür mündete. Er öffnete sie und schob den Iren in den dunklen Raum, bevor er das Licht einschaltete. Was Farfarello sah, entsprach einer kleinen Folterkammer. Die Wände waren in weinrot gestrichen und teilweise mit schwarzen Tüchern verhängt. An der linken Wand stand ein aus schwarzen Balken gezimmertes Andreaskreuz. Auf der rechten Seite befand sich ein großer antiker Schrank aus dunklem Holz, daneben ein ungefähr eineinhalb Meter hoher Käfig mit dicken, schwarzen Eisenstangen. Ein Bock, eine schmale Holzbank und eine Art Primatenstuhl, wie ihn Farfarello aus dem wissenschaftlichen Labor kannte, waren in dem Zimmer verteilt. Neben der Eingangstür standen zwei Sessel neben einem runden, hochbeinigen Tischchen. Die gegenüberliegende Wand war vollständig von schwarzem Stoff verdeckt. An der Decke, den Seitenwänden und dem Fußboden waren Haken und Ösen verteilt, überall hingen Ketten und Seile griffbereit, in schwarz, dunkelrot und silber. Eine Spreizstange hing von der Decke, und ein Pranger aus schwerem altem Holz vervollständigte die Einrichtung. „Ja, sieh dich ruhig um.“ Belga streckte sich und konnte so die Zimmerdecke mühelos erreichen. Lose hängte er das Kettenende an einem gewundenen Haken ein. Er beobachtete jede kleinste Regung in Farfarellos Gesicht. Sichtlich unbeeindruckt schaute dieser sich um. //Wieviele hat er wohl selbst mal ausprobiert?// Seine Gedanken schweiften zu einer ziemlich lustvollen Begebenheit, als er in Tokyo einmal abends nach einem besonders langweiligen Missionsabend einer verlockenden Blutspur nachgegangen war. Seine Belohnungstour, sozusagen. Eigenartigerweise wurde sie immer frischer, je näher er dem Endpunkt kam. Und dann stand er vor dieser Frau, schlanke lange Beine, jungenhafte Figur mit hochangesetzten Brüsten in einer schwarzglänzenden Montur, eine angewärmte Brustklemme in der rechten Hand. Vor ihr kniete ein Mann, maskiert, blind, nur auf Gefühl angewiesen. Von ihm ging ein solch kindisches Verlangen nach Schmerz, gepaart mit hündischer Verehrung aus, dass Farfarello gar nicht anders konnte, als sie mit glühendem Blick anzugrinsen. Die Frau hatte die Augenbraue angehoben und er hatte ihre dunkelroten Lippen mit seinem Zeigefinger berührt. 'Shht' Und sie hatte mitgespielt, einfach so. In dem noch warmen Blut des Mannes hatte er sie genommen, sich nehmen lassen, und die Gefühle des Mannes wandelten sich endlich zu wahrer Furcht und Todesangst. Sie hatte ihm wirklich interessante Dinge gezeigt. In einem Raum, der diesem ähnelte. Leicht verlagerte er seinen Stand und lächelte, wie schön, an sie zu denken. Ihr Haar, dass sich um seine Kehle schlang, diese Zunge, die lockend und schmerzhaft über seinen Körper ging, die scharfgeschliffenen, metallenen, aufgesetzten Fingernägel, silberne Versuchung, die dieser Zunge folgten. Ihre raue Stimme, das Seufzen, das heisere Schreien, ihrer beider Blut, dampfend, den Mann als Spielball benutzend, bis er langsam, bettelnd, gebrochen von ihrer Hand gestorben war. Ihr Blick war so köstlich, ein wahres Geschenk. Neben ihm nahm er eine Gestalt war. //Ach ja, ich bin ja bei Belga.// Sein Kopf wurde nach hinten gerissen und Belgas Stimme flüsterte heiß in sein Ohr: „Ja, du bist bei mir. Aber denk nur weiter an solche... anregenden Begebenheiten.“ Begleitend zu diesen Worten fuhr seine zweite Hand zwischen Farfarellos Beine und blieb dort. „Machst du weitere Fehler, reiße ich dir die Beine weg. Solche Sätze sage ich nur einmal.“ Ein kleiner Biss in die Ohrmuschel, gefolgt von einem stärkeren, dann wurde sein Kopf losgelassen. Marcel hatte seinen Mantel ausgezogen, darunter trug er eine schwarze Lederhose und ein dunkelgrünes Hemd. Seine Krawatte hatte er abgelegt und die oberen zwei Knöpfe geöffnet. Er kniete sich auf einem Bein vor seinen Gefangenen und begann langsam seine Hose zu öffnen. „Heute Nacht gehört dein Körper mir. Mir ganz allein.“ Farfarello stieß die Luft durch die Nase aus, heftig. Seine Bauchmuskeln verkrampften sich schlagartig und seine harte Erektion drängte sich um hinaus zu können. Und er wollte und konnte nichts dagegen tun. Mit halbgeschlossenem Auge hörte er Belgas Stimme wieder und wieder in seiner Erinnerung. //Schmerz, Farfarello... und Ekstase, ich gebe dir beides!// Dass der Franzose ihm gedroht hatte, war ihm egal. Es war ja gerade diese Aura der Gefahr, der Blutdurst und der Gewalt, die ihn so an ihn fesseln konnten. Er wartete atemlos, bewegte die Beine nur ein wenig auseinander, um mehr Stand zu haben. Ganz vorsichtig, wie um ein gereiztes Raubtier nicht noch weiter auf sich aufmerksam zu machen. Sein Blick ging auf den vor ihm Knienden. Und er bekam schlagartig einen weiteren Satz Belgas ins Gedächtnis geliefert. //Ja, ich will.// Ein hilfloses Prusten entkam seinem Mund und ein kleiner Faden Speichel floss ihm am Kinn entlang. Sein Kichern hallte in seinem Kopf und sein Auge zuckte ganz kurz, unter halbgeschlossenen Lidern. //Ein Sakrileg.// Und natürlich würde es Belga sein, wer auch sonst. Farfarello ließ sich in eine Wolke von Vanille fallen, wie er es immer tat, als Einladung. Doch alle Sinne waren auf Belga ausgerichtet, so dass jede Berührung schon unsichtbare Wunden auf seine Haut brennen sollte. Er würde keinen Fehler machen, er würde genießen, mit zitterndem Herzen. Warme Finger schoben seine Hose nach unten, glitten an der Innenseite seiner Schenkel aufwärts und widmeten sich wieder seiner Erektion. Fest umschlossen sie die pulsierende Eichel, während Belga aufstand, hinter ihn trat und ihn eng an sich zog. Rhythmisch fordernd bewegte er sich hinter ihm, liebkoste ihn, bis ihrer beider Atem stoßweise ging, nur um plötzlich wieder still zu stehen und den Griff um Farfarellos Penis schmerzhaft zu verstärken. „Kommst du ohne meine Erlaubnis, werde ich dich bestrafen.“ Er trat ein wenig zurück und zog Farfarello mit sich, sodass sich sein Schwerpunkt verlagerte und sein Stand instabil wurde. Nur die Aufhängung an der Decke verhinderte, dass er nach vorne fiel, und der Druck der Kette um seinen Hals vergrößerte sich. Er bekam zwar noch Luft, spürte jedoch, wie sich der Blutfluss staute. Lange würde er das nicht durchhalten. Marcel verlor auch keine Zeit, löste rasch die Schnallen der Zwangsjacke und streifte sie ihm ab. Die Hände hielt Farfarello an seine Oberschenkel gedrückt, er würde sich keine Erlösung suchen, indem er mit ihnen an seinen Hals fuhr. Außerdem wäre es sowieso zwecklos, ein Fehler wahrscheinlich auch. Seine Finger strichen an der Außenseite seines Schenkels entlang, als er sie leicht krümmte, sie entspannte. Er atmete flach, um seinen Körper an die geringere Blut- und Sauerstoffzufuhr zu gewöhnen. Nicht abzuspritzen war wirklich das kleinste Problem, schlimmer fand er momentan, dass mit dem Blutstau seine Empfindungsfähigkeit abnahm. Sehr ärgerlich in Bezug auf diese Situation. Es war recht kühl im Raum und dummerweise bildete sich eine Gänsehaut auf seiner Haut. Wieder wählte er schwarze Ketten, für jedes Handgelenk eine. Er zog die Arme nach oben und befestigte sie mit einem Karabiner an der Halskette. Dann schob er ihn wieder in eine senkrechte Position, begutachtete sein Werk. Er ging die paar Schritte zu dem antiken Schrank und schwang die Türen auf. Farfarello konnte nicht sehen, was sich darin befand, doch als Belga sich wieder zu ihm umdrehte, hielt er ein großes Messer in der Hand. „Hübsch, n’est-ce pas?“ Er zeigte es ihm. Es war tatsächlich von ausgezeichneter Qualität, made in Japan. Und es war sehr scharf, es durchschnitt mühelos den Stoff seiner Kleidung, als Marcel ihn auszog. Farfarello war sich seines Körpers, seiner Muskulatur, seines Fleisches und Blutes sehr bewusst. Der Strich, der mit dieser exquisiten Klinge durch seine Kleidung ging, war wie der Beginn einer köstlichen Tortur. Das Geräusch, mit dem sie durch den Stoff der Hose fuhr und die Kälte, die die Schneide der Klinge auf seine Haut ausstrahlte, das zusammen brachten ihn dazu, die Zähne fester auf das schwarze Gummi in seinem Mund zu pressen. Seine Nasenflügel blähten sich und sein Brustkorb hob sich merklich. Farfarello stand dann wieder bewegungslos da, nackt, die Arme empor gehalten von diesen schwarzen Fesseln der Qual und Lust, jeder Muskel gespannt, nur der steil aufgerichtete Penis zitterte kaum merkbar. Sein Auge hing gebannt an dem Messer, erwartete Belga eine Antwort? Besser, er gehorchte ihm, also nickte er ruckartig mit verkrampftem Kiefer. Bis auf seine Schuhe war er jetzt nackt. Marcel war gerade dabei, die Verbände zu lösen, die Schuldig ihm angelegt hatte. Vor einer Ewigkeit, wie es schien. Der Franzose strich um ihn herum und betrachtete ihn genau. Seine Finger tasteten über den Brustkorb, an der Stelle, wo er ihm die Rippe gebrochen hatte. Der Bruch war bereits verheilt. Belga pfiff leise durch die Zähne. //Du wirst einiges mehr aushalten als das Gesocks, das ich sonst hier habe.// Er schlang weitere kurze Ketten um seine Fußgelenke oberhalb der Schuhe und verband sie lose miteinander, sodass der Gefesselte hüftbreit stehen konnte. „Du befolgst die Regeln. Das ist gut. Mach nur weiter so.“ Wieder riss Belga seinen Kopf nach hinten, dass die Ketten klirrten. Die zwei losen Enden der Handfesseln reichten bis zu seiner Taille und liebkosten ihn, indem sie leicht gegen seinen Rücken schlugen. Die Hand fest in seine kurzen Haare gekrallt, küsste Marcel ihn zärtlich auf die Wange, dann auf den Hals, und dann biss er zu. Dieses Spielchen liebte er und wiederholte es gleich an seiner Schulter: Liebkosung, Liebkosung, Schmerz. Er löste den Knebel und nahm ihn Farfarello aus dem Mund. „Du darfst schreien. Aber sprechen nur nach Erlaubnis.“ Er trat wieder an den Schrank und kam mit einem kleinen Beutel zurück. Eine nach der anderen nahm er silberne, gezackte Klemmen heraus und befestigte sie an seinem Gefangenem. Rechte Brustwarze. Linke Brustwarze. Rechter Hoden. Linker Hoden. Und vier an seinen Händen, in die empfindliche Haut zwischen den Fingern. Es war ein heller Schmerz, der zunächst vergeht, doch umso heftiger zurückkehrt und bleibt. Blut sickerte hervor, tropfte auf den Steinfußboden und malte rote Linien auf Farfarellos bleiche Haut. Silberner Schmerz, köstlich und intensiv. Farfarello spreizte die Finger, spannte die Haut an und keuchte rau. Er leckte sich über die Lippen und tatsächlich entkam ein weiterer kehliger Laut ihnen. Ein Ton, der in ihm selbst widerzuhallen schien. Ihm selbst Schauer über den Rücken rieseln ließ. Nur dieser Empfindung wegen wollte er den Ton nochmals hören. Er wollte gar nicht reden. Er redete sowieso nicht viel. Doch er spürte sein Blut seinen Körper verlassen. In heißen Linien malte es Bewegungen auf seine Haut, jedem Tropfen konnte er folgen, bis er ihn verließ. Ihn verließ mit diesem besonderen Ton, den nur kostbares Blut hervorbringen konnte, wenn es auf Stein traf. Seine Barrieren waren offen, sein Geist bestand aus seinen so animalischen, nur auf Sinneserlebung ausgerichteten Synapsen. Sein Auge war offen, doch er sah nicht wirklich den Raum in dem er sich befand. Wieder keuchte er hart auf. „Ja, das gefällt dir, nicht wahr?“ Marcels Stimme klang samtig und dunkel. Er umfasste den jungen Mann von hinten und ließ ihn sich spüren, die pulsierende Härte in seiner Hose. Seine Finger umschlossen erneut den aufgerichteten Penis und liebkosten ihn. „Wir sind ein ideales Paar, findest du nicht auch?“ Marcel lachte schallend. Er fasste härter zu und zog und zwirbelte unendlich sanft mit der anderen Hand an den Brustklemmen, bedeckte Farfarellos Arme mit Küssen. Und Bissen. Jedes Geräusch von Farfarello, jede Bewegung, steigerte seine Erregung. Er presste sich gegen Belgas Härte, soweit er ihn sich spüren ließ und wünschte sich mehr. Mehr. Wandte seinen Körper diesen Lippen zu, presste sich gegen ihn, wand sich, krümmte sich, um näher für ihn zu sein. Es war kaum mehr möglich, jeder harte Strich von Belgas Hand wurde schmerzhafter vor unterdrückter Lust. Er hätte kaum gedacht, dass es wirklich so schwer werden würde. Sein Atem ging abgehackt und seine Muskeln zuckten, und er wollte mehr. Mit gebleckten Lippen atmete er stoßweise aus, hob den Brustkorb und spürte dabei verstärkt das Zupfen Belgas an den Klemmen. Und er wollte mehr. Und jede Anstrengung, sich zurückzuhalten, klärte seinen Geist von allem Unwichtigen wie Überleben, Schwarz oder Loyalität. Er wollte mehr. Und er wollte es von Belga. Ein Geräusch der Wonne entkam ihm aus tiefster Seele, doch er ließ unvermittelt von ihm ab. //Du bekommst es. Ich gebe dir mehr.// Er näherte sich Farfarello wieder von hinten und legte ihm sorgfältig eine Augenbinde an. Dann trat er zurück und beobachtete den jungen Iren eine Weile. Was er sah, gefiel ihm sehr. Ein durchtrainierter Körper voller ungebändigter Kraft. Noch immer stand er stolz und gerade. Belga bekam Lust, diesen aufrechten Körper zu beugen. Er löste die Kette aus dem Deckenhaken und zog Farfarello daran so abrupt vorwärts, dass der Gefesselte unweigerlich stürzen musste. Eine der Brustklemmen sprang bei dem Aufprall ab und riss ein Stück Haut mit sich. Marcel zog erbarmungslos an der Kette und fuhr ihn grob an: „Los, mach schon! Steh wieder auf!“ Farfarello fauchte, seine linke Gesichtshälfte war auf den Steinboden geprallt. Nach dem sanften Umbinden der dunklen Binde war er nicht auf diese Kraft gefasst gewesen. Dieses rohe Zerren der Ketten ließ ihn vibrieren dort auf den Steinen. Durch die völlige Dunkelheit drang Belgas Stimme hart und fordernd, mit einem dunklen Timbre der Lust. Farfarello winkelte sehr bewusst, seine Muskeln spürend, die Beine an, absichtlich die Arme nicht benutzend, um sich dann geschmeidig wieder aufzurichten. Sein Geruchssinn verstärkte sich maßlos. Die Hände erst an die Brust gedrückt, dann die Arme ausgestreckt, bot er Belga die Klemme auf seiner Handfläche an. Die Narbe an dem Winkel seiner Lippen verzog sich, als er in dessen Richtung lächelte. Ihm, Belga, lächelnd wieder ein Stück des Schmerzes darbrachte. „Merde“, knurrte Belga und dachte: //Wieso haben sich die Handketten gelöst?// Solche Pannen beim Spiel schätzte er überhaupt nicht. Es war halb so schlimm, wenn das Opfer dem Tod geweiht war, doch dieser hier sollte die Nacht überleben. Wütend ignorierte er die dargebotene Klemme und schnappte sich stattdessen das Kettenende, das lose vom Handgelenk nach unten baumelte. Irgendwie mussten sich die Karabiner geöffnet haben. Seltsam. Diesmal riss er den Jüngeren an den Handketten nach vorne und schleifte ihn zu dem am Boden festgeschraubten Bock. Belga trat geschmeidig einen Schritt zur Seite und ließ Farfarello, der nichts sehen konnte, ungebremst gegen das harte Leder knallen. Unterstützt durch den Schwung drückte Belga seinen Oberkörper nach unten und klemmte sich seinen Kopf fest zwischen die Knie. Dann neigte er sich zur Seite und fesstelte seine Hände rechts und links an die hölzernen Beine des Bocks. Und wiederholte das gleiche an seinen Beinen. Bevor er wieder zu dem Schrank ging, kontrollierte er nochmals sorgfältig alle Ketten und Haken. Diesmal würde sich nichts ohne sein Wollen öffnen. Klirrend ließ er eine weitere, kalte Kette auf Farfarellos Rücken rieseln und schlug ihm mehrmals mit der flachen Hand auf den Hintern. Nicht wegen des Schmerzes, sondern wegen der Erniedrigung, wie ein Kind den Hintern versohlt zu bekommen. „Du warst wirklich sehr unartig.“ Er lachte laut. Seine Hände hinterließen warme, rote Abdrücke. Er zog die Kette quer über Farfarellos Rücken und hakte sie rechts und links an den Seiten straff ein. Dann zog er das Ende der metallenen Halsfessel entlang der Wirbelsäule nach oben und befestigte sie an der Kette, die über Farfs Taille gespannt war. So fixierte er seinen Kopf in einer überstreckten Haltung. Grob schob er ihm einen großen, metallenen Plug in den Mund: „Leck ihn ab. Mehr Gleitmittel gibt’s nicht.“ Farfarellos Zunge fuhr um das raue Metall, das Ding war sehr groß. Belga wusste was er tat, und mit der rauen Oberfläche würde sein Speichel in Null Komma Nix getrocknet sein, bevor er an seinem Bestimmungsort angekommen war. Trotzdem liebkoste seine Zunge diese geschmeidigen, brutalen Wölbungen. Er liebte dieses Gefühl und den Geschmack von Metall auch. Außerdem konnte er, so blind und bewegungslos er gerade war, sowieso nichts anderes tun. Durch die erzwungene Blindheit war sein Geruchssinn verschärft, und zwar in dem Maße, dass er jedes Detail genauer als mit seinem einen Auge erkennen konnte. Belga stand also eher auf schmalere Knaben, jedenfalls hatte einer sein Sperma in der hinteren Ecke nicht ordentlich entsorgt. Um die 15, vielleicht schon 16. Farfarello machte das nichts aus, in dem Alter war er selbst ziemlich tolerant tastenden Fingern gegenüber gewesen. Jungs sind in dem Alter recht experimentierfreudig. Er jedenfalls. Er fühlte, wie hoch dieser Bock war. Oder besser, wie klein er darauf wirkte. Er hasste das. Seine Arme und Beine hingen noch mindestens fünfzehn Zentimeter über dem Steinboden. Und dann Belgas Schläge auf den Hintern. Er hasste das. Und er erahnte, wie sehr sich Belga darüber freute. Zumindest grinste er zufrieden und seine Wut war auch verebbt. Zurück blieb drängende Erregung. Aber ein wenig wollte er sich noch zurückhalten, bevor er diesen hilflosen Körper vor sich beherrschen würde, ganz und gar. „Gut, das reicht jetzt.“ Mit dem Plug in der Hand trat er hinter ihn, steckte sich kurz den Zeigefinger der anderen Hand in den Mund und umschmeichelte mit ihm Farfarellos Anus, bevor er ihn vorsichtig durch die kleine Öffnung schob. Langsam bewegte er sich in ihm und dehnte ein wenig das Loch. „Ah. Du bist ganz schön weit.“ Sein Finger stieß tiefer und fand zielsicher die Stellen, die Ekstase verheißen konnten. Sanft stimulierte er die Prostata, während er weiter sprach: „Treibst es wohl ziemlich oft mit Schuldig. Wie ist das?“ Sein Finger rieb fester. „Und? Darfst du bei ihm auch mal stechen? Ist er immer noch so schön eng, wie ich ihn kenne?“ Er entzog ihm ruckartig den Finger und stieß kraftvoll den Plug bis zum Anschlag in ihn. Gänsehaut zog sich über seinen Rücken, als der Finger ihn so sanft bearbeitete. Er ruckte mit dem Hintern unbewußt hin und her und spürte dabei mehr als verstärkt die Klemmen an beiden Hoden, die er fast vergessen hatte. Als Belga ihn brutal mit dem Plug pfählte, stieß er ein ächzendes, kehliges Stöhnen aus, das lang genug anhielt um mit einem rauen Schmerzenslaut zu enden. Seine Empfindungen waren vollkommen durcheinander. Und warum sprach Belga über Schuldig? Der ging ihn doch gar nichts an. //Er gehört mir.// Mit einer Wolke von Vanilleduft und ein klein wenig trotzig. Wieder stöhnte er auf, als er mit seiner inneren Muskulatur den Plug fester umschloss. Belga sollte sich um ihn kümmern. //Nichts gehört dir... nicht einmal dein eigener Körper. Schon vergessen?// Belga lachte wieder laut. Er nahm den Rohrstock zur Hand und begann damit, Farfarello auf die Gesäßmuskeln zu schlagen. Einzelne, harte Schläge. Der Schmerz kam in sekundenlanger Verzögerung und brannte wie Feuer. Jeder Schlag hinterließ einen dunkelroten Streifen. Dann schlug er gegen die Beine und gegen den Rücken, solange, bis kein Stück Haut verschont geblieben war. Schließlich schlug er ihn heftiger, dass an einigen Stellen die Haut aufriss, bis der Rohrstock bei einem Schlag auf den Rücken in zwei Teile zerbrach. Er trat zurück und zündete sich eine Zigarette an. Rauchend stellte er sich hinter Farfarello und drückte mit seinem Oberschenkel gegen den Plug. Farfarello lauschte hingerissen dem Aufplatzen der Haut, fühlte, wie die zarten Striemen anschwollen. Wie das Blut sich knapp unter seiner geschundenen Haut sammelte und es nur bei diesen einzelnen köstlichen Schlägen wagte herauszutreten. Er wünschte, er könnte sich sehen, rot in Verbindung mit seiner so blassen Haut, besonders wenn es sich um Blut handelte, erregte ihn besonders. Belgas Duft wurde von dieser verdammten Zigarette fast überlagert. Wenn die Leute wüssten, wie sehr sie damit diese so wunderbaren eigenen Düfte zerstörten, sie würden’s lassen. Er runzelte die Stirn, seine Konzentration kam langsam wieder. Und seine Schmerzunempfindlichkeit leider ebenfalls. Marcel ging um den Bock herum und blies Farfarello den Rauch direkt ins Gesicht. „Das ist sehr schade, dass dich die Zigarette stört. Aber vielleicht gefällt sie dir so besser.“ Er näherte sie der Haut zwischen den Schulterblättern, bis sie sie berührte, ganz sacht, damit die Glut nicht abfiel und verharrte dort einen langen Augenblick mit einem brennenden Schmerz. Dann zog er langsam glühende Linien über seinen Rücken, wobei er die blutigen Wunden selbstverständlich nicht ausließ. Schließlich hatte er keine Lust mehr, herumzuspielen. Er entsorgte die Zigarette, indem er sie mit der heißen Spitze voran in eines von Farfarellos Nasenlöcher steckte. Überrascht kam doch ein kurzer Schrei aus seiner Kehle. Dann blies er mit einem heftigen Schnaufen den Stummel aus dem Nasenloch. //O-oh.// Aber weg war weg. Mit angespannten Muskeln wartete er auf die Strafe. Grinsend. Die brennenden Linien auf seinem Rücken hatten seine Nervenbahnen mehr angesprochen, als die harten Schläge der Rute. Doch er konnte auch das Bild, dass Belga ihm eine Kippe in die Nase steckte, nicht abschütteln. Der Mann war echt krank. Und er würde den Geruch tagelang nicht aus den Schleimhäuten kriegen. Farfarello ruckte an seinen Handfesseln, aber sie waren diesmal zu fest. Schienen sich sogar noch weiter zuzuziehen. Und außerdem brannte der Plug ebenfalls in ihm. Der Schmerz zog sich langsam aber sicher und zunehmend durch seinen Körper. Und das brachte ihm ein Bild, was er genoss. Belga auf diesem Bock. Doch die erwartete Strafe blieb aus. Marcel drückte lediglich Farfarellos Kopf leicht nach unten, sodass ihn die Kette unangenehm würgte und lachte leise. „Welch amüsante Vorstellung. Jedoch völlig abwegig! Unser gemeinsamer Freund allerdings hatte einige Male das Vergnügen.“ Vor Farfarellos innerem Auge erschien das Bild, wie Schuldig, ähnlich wie er selbst gerade, an den Bock gefesselt war. Es musste schon einige Jahre her gewesen sein, denn Schuldigs Haare waren blond und noch nicht gefärbt. Er riss an den Fesseln, die schon ganz blutig waren, und er stöhnte leise. „Verdammt, Marcel... bitte...“ Seine Stimme klang ganz klein, ganz verloren, so wie Farfarello ihn noch nie hatte sprechen hören. Und dann begann er zu schreien. Hier endete die Erinnerung, Marcel war wieder nach hinten gegangen und zog den Plug ein wenig heraus, gerade soweit, dass das dicke Ende den Schließmuskel bis aufs Äußerste dehnte, nur um ihn mit einer schnellen, brutalen Bewegung wieder in ihn zu stoßen. Ziehen, stoßen. Ziehen, stoßen. Immer schneller, immer härter stieß er zu. Mitgerissen von der fremden Erinnerung riss Farfarello ebenfalls an den Ketten, konnte von seinem, Schuldigs Gesicht die Qual lesen und wollte sich aufbäumen. Ihn von dort fortreißen. Die Erinnerung an diese vielen Abende, zusammengerollt im Bett, wie Schuldig ihm leise und hastig genau diese Erinnerung schilderte. Eine heiße Welle unbeschreiblicher Wut überschwemmte ihn. Farfarellos Muskeln zogen sich zusammen, er wollte aufspringen. Dann bekam er Belgas brutale Wucht zu spüren. Und er schrie auf, laut und anhaltend. Und er konnte sich kein bißchen bewegen, egal wie sehr er zerrte. Und die Stöße wurden fester. Farfarello schluchzte gequält. Ein Bild kam ihm in den Sinn. Schuldig in seinem Blut. Ganz kurz. //Nein! Ich würde es fühlen!// Er hörte sein eigenes Ächzen und konnte es nicht aufhalten. Jeder Stoß ließ ihn hilfloser zurück und stachelte gleichzeitig seine glühendheiße Wut an. "Nnngg!" Endlich hatte Marcel ihn soweit! Zutiefst genoss er Farfarellos Schreie, seine Wut, die Hilflosigkeit. Vergewaltigung war für ihn nicht nur Lustbefriedigung, sondern gleichzeitig eine gewaltige Machtdemonstration, die in den meisten Fällen einen lang anhaltenden Eindruck hinterließ. //Ich bin alles. Du bist nichts.// Marcels Hand und der Plug waren inzwischen voller Blut. Das war genug Gleitmittel. Er schleuderte das metallene Spielzeug zur Seite und öffnete seine Hose, befreite endlich sein pulsierendes Geschlecht aus dieser Enge und rammte es tief in Farfarellos glühende Öffnung. Stundenlang hatte er sich zurückgehalten, seit der Kirche, und nun konnte sich endlich die gesamte angestaute Begierde entladen. Endlich konnte er diesen Körper in Besitz nehmen! Sein Rhythmus war hart und fordernd, seine Fingernägel kratzten über den geschundenen Rücken, rissen neue Wunden und alte wieder auf. Farfarellos Schreie hatten sich in ein tiefes nichtmenschliches Grollen verändert. Zu nichts anderem mehr fähig, als diese Monstrosität hinter sich zu spüren, die sein Inneres zerriss. Mit Klauen ihn zu zerreißen schien. Er konnte nicht weg. Alle Instinkte waren auf Abwehr, auf Töten, auf Flucht geschaltet. Aber er konnte nicht weg. Er wollte diese Bestie in die Finger bekommen, ihn in seinem eigenen Blut ersticken lassen. Mit eiskalten Händen sein Herz zerquetschen und ihn als blutigen Schleim auf dem Fußboden zurücklassen. Aber – er – konnte – hier – nicht – weg. Wieder brüllte er und versuchte, sich von den Ketten zu lösen. Belgas Stöße, so hart, erbarmungslos, von seiner Macht getrieben, trafen ihn völlig unvorbereitet. Kein Genuß mehr, kein angenehm brennendes Ziehen des Schmerzes. Nur noch hämmerndes Bezwingen seines Körpers, seines Geistes. Und er konnte nicht weg. Hart schluchzte er auf. Natürlich beeindruckte das Marcel überhaupt nicht, im Gegenteil: Seine Schreie, sein Schluchzen, das verzweifelte Klirren der Ketten gaben ihm den letzten Kick. Sein Atem ging nur noch stoßweise, er griff nach der Kette, die entlang Farfarellos Wirbelsäule zu seinem Hals lief und zog, bis Sterne vor Farfarellos Augen tanzten. Nach einem letzten, tiefen Stoß verspannten sich kurz seine Muskeln, und er ergoß sich heiß in ihm. Die Kette lockerte sich wieder, doch Marcel blieb hinter ihm, in ihm. Entspannt legte er seinen Oberkörper auf Farfarellos Rücken und zog sanfte, liebkosende Linien über seine Haut. Sein Körper pulsierte, er fühlte sich als ob er verbrennen würde, als Belgas Samen in ihn schoss. Sein Geist war eine einzige lodernde Flamme, ein Schwall Blut, er fühlte seinen Blutrausch, und er konnte sich nicht mitreißen lassen wie sonst immer. Die Ketten hinderten ihn überall. Und die sanfte streichelnde Hand an seinen Seiten verwirrte ihn. Es passte nichts zusammen. Jeder vorige Satz, den Belga zu ihm gesagt hatte, war von diesem Blutschwall weggeschwemmt, sollte Belga in seinen Geist eintauchen, würde er in einer heißen animalischen Lust, einem brutalen Szenario der Gewalt schwimmen. Seine eigenen Taten gemalt mit Farben perverser Begierde wie ein direktes fühlbares Bild auf dem verworrenen Geist des jungen Iren. Hin und hergerissen. Farfarello spannte sich unbewusst an und umschloss damit Belgas erschlaffende Härte ohne es wirklich zu wollen. Ein tiefer, wohliger Laut kam aus Belgas Kehle, und er bewegte sich wieder in ihm, diesmal langsam und vorsichtig. Seine Finger fuhren mit den Liebkosungen fort, und er zog sachte an den schon verheilenden Wundrändern und drückte leicht in das beschädigte Gewebe der blauen Striemen. Er tauchte ein in Farfarellos Lust und Begierde, ließ sich mitreißen und spürte, wie er erneut hart wurde. Diese Erregung, zusammen mit einem Echo von Farfarellos eigenen Empfindungen, sandte er dem jungen Iren zurück und wartete ab, was mit ihm geschehen würde. Die Ketten klirrten, als Farfarello versuchte sich aufzubäumen, jede Faser seines Körpers angespannt, jeder Muskel zum Zerreißen angespannt. In seinem Geist erlebte er dieses Echo, seinen gefesselten, so herrlich geschundenen Körper, die Macht und den Stolz Belgas, ihn so vor sich zu haben. Inmitten seines Geistes wallte ungebremst die Kraft auf Belga zu, mit der er unvorsichtigeren Telepathen schwere Schäden beibringen konnte. Und er ließ sich einfach in seinen Blutrausch fallen, suhlte sich in seinem Geist, dort war er beweglich. Dort konnte er seiner Lust nachgeben, und er erschuf ein Szenario der Jagd. In seinen Gedanken formten sich unvollständige Bilder Belgas, in seinem Griff, seiner Klinge ausgesetzt, und dann war dort nur noch Gefühl. Und aus seiner Kehle rollte ein tiefes Lustgrollen. Mit diesen verbundenen Gefühlen, Gedanken und dem sanften Druck von Belgas Händen, spannte er sich weiter und weiter an. An einer der fest geschweißten Kettenglieder knackte es leise, ein winzig kleiner millimeterbreiter Spalt öffnete sich. Belga gelang es gerade noch, Farfarellos mentalem Angriff unbeschadet auszuweichen. Zum zweiten Mal nun schon war er unvorsichtig gewesen und fast von dem Iren überwältigt worden. Nur mit Mühe konnte er sich aus dem Szenario von Jäger und Gejagtem befreien, und sein Herz klopfte schnell und laut gegen seinen Brustkorb, und für einen Augenblick empfand er reine Angst. Abrupt löste er sich von Farfarello, mental und auch körperlich. Nach einem tiefen Atemzug richtete er seine Hose und lachte rau auf. „Du verdammtes kleines Stück Scheiße. Ich werde dich so lange hier hängen lassen, bis dir solche Gedanken gründlich vergehen. Glaub mir, ich bin bisher noch mit jedem fertig geworden.“ Er krallte seine Hand wieder in Farfarellos Haare und zog seinen Kopf noch weiter in die Überstreckung. „Und solltest du eine Ausnahme sein... werde ich dich mit Vergnügen töten. So, wie du es magst: Langsam, Stück für Stück, werde ich deinen Körper und deinen Geist in Fetzen reißen, bis du nur noch ein sabberndes, jammerndes...“ Er wurde unterbrochen, weil sein Handy aus seiner Manteltasche heraus quer durch den Raum klingelte. Er ließ von Farfarello ab und meldete sich mit einem geschnauzten: „Was ist?“ Dann war er einen langen Moment still. „Ja, ist gut. Ich bin gleich da.“ Er hob den Plug vom Boden auf und rammte ihn Farfarello wieder in den Hintern. Ein kurzes Tätscheln seiner Pobacke, dann ging er zu der rückwärtigen Wand und schob den schwarzen Vorhang zur Seite. Dahinter befand sich eine Tür. Er betrat den dahinter liegenden Raum, ein kleiner Schlafraum mit großem Metallbett, einem Kleiderschrank und einem Waschbecken. Er wusch sich rasch sauber und zog sich frische Sachen an. Schließlich füllte er einen Eimer mit heißem Wasser. Die Tür ließ er dabei offen stehen, sodass er Farfarello die ganze Zeit im Blick behalten konnte. Und Farfarello hatte inmitten seines Rausches die ganze Zeit diesen kurzzeitigen, süßen Duft der Angst in sich. Rein und ganz dünn zwischen Belgas Spuren des Spermas und seinem Schweiß, dessen Geruch nach prallen Orangen, seinem eigenen Geruch des Blutes. Er roch den strengen Duft des Leders unter sich, von unzähligen Menschen durchgeschwitzt, in Todesangst beritten worden. Und er saugte diesen süßen, seltenen Duft ein, Belgas Angst. Ganz still hielt er, um keinen einzigen Faden dieses Aromas zu verlieren. Nichts in ihm war noch menschlich getrimmt, noch immer watete er in seinem Blutdurst, verdonnert zur Unbeweglichkeit. Ohne Atem, mit heißen Striemen voller Blut und Schmerz auf seinem Rücken, dem Brennen in seinem Anus. Aber, oh, dieser so wahrhaft überraschende Duft. Farfarello blieb ganz still und fast andächtig, atmete ganz vorsichtig ein und aus, und kostete behutsam diesen Duft aus. Belga spürte natürlich, womit Farfarello sich gedanklich beschäftigte, und er hasste sich für diesen kleinen Moment der Schwäche. So etwas hätte nicht passieren dürfen! Er musste Farfarello die Erinnerung daran wieder herausreißen! Dieser verdammte irische Bastard! Dafür würde er bluten! Und ausgerechnet jetzt gab es irgendwelche Computerprobleme. Es musste ernst sein, sonst hätte Geisel ihn nicht deswegen angerufen. Und es sollte wirklich ernst sein, sonst würde Geisel nichts zu lachen haben für diese Störung! Nun, bestimmt würde es nicht lange dauern. Er würde sich das Problem erörtern lassen, entsprechende Anweisungen geben, und dann zu Farfarello zurückkehren. Und was sollte er mit ihm anfangen? Am liebsten würde er ihn eigenhändig erwürgen, aber noch brauchte er ihn lebend, solange, bis die Sache mit Crawford geklärt war. Dass ausgerechnet dieser verrückte Ire ihn dazu bringen konnte, so dermaßen aus dem Konzept zu geraten, hätte er nie gedacht. Diese Empfindung, die er schon so lange nicht mehr selbst empfunden hatte. Schon sehr, sehr lange. Angst. //Nein! Ich will nicht! Aua! Bitte! Papa! Hilf mir! Papa? Ah! NEIN!// Angst. Sein Vater hatte dafür bezahlt. Damals hatte sich Marcel geschworen, nie wieder das Opfer zu sein. Nie wieder unterlegen zu sein. NIE WIEDER. Das Wasser plätscherte aus dem Eimer in das Waschbecken. Er drehte den Hahn zu und kippte ein wenig Wasser aus, damit er den Eimer ohne Überschwappen zu dem Bock tragen konnte. Er wollte sich schließlich nicht verbrühen. Er hatte den Boiler auf „Kochend“ eingestellt. Vorsichtig stellte er ihn neben Farfarello auf den Boden. Dampf stieg auf und formte mysteriöse Gestalten in die kalte Luft. Wortlos beugte sich Marcel hinab und kontrollierte gründlich die Fesselung. Den milimeterkleinen Spalt in dem einen Kettenglied bemerkte er nicht. Dann richtete er sich auf, hob den Eimer und ließ das heiße Wasser langsam über Farfarellos Körper laufen. Sofort färbte sich die Haut des Iren knallrot, und an einigen Stellen bildeten sich große Brandblasen. Wie flüssiges Feuer umspülte das Wasser seinen Rücken, seine Beine, seine Arme und tropfte in dampfenden Perlen auf den Steinfußboden. Den Kopf sparte Marcel aus, und sorgfältig beseitigte er alle Blut- und Spermaspuren bis der Eimer leer war. „Ich bin gleich zurück. Du wartest hier.“ Er lachte hämisch. Und verließ den Raum. Farfarello hatte nicht wirklich geglaubt, was Belga jetzt mit ihm anstellte. Okay, es war nur eine kurze Zeitlang gewesen, dass das kochende Wasser ihn berührt hatte, nicht wie schon einmal im Labor, als sie ihn langsam und stetig in kochendes Wasser getaucht hatten. Er musste würgen, er presste sich gegen die Halsfessel, und er schrie. Nun, es war für ihn kein Wunder, woher gerade Belga wusste, womit man ihm am ehesten Schmerzen zufügen konnte. Sein Hass auf den Telepathen schwoll wieder an, doch durch die plötzlichen Schmerzen des Wassers war sein Blutrausch vergangen und wich einem kalten, grausamen Gefühl der Rache. Das, und der feine Hauch Belgas Angst. Trotz der unglaublichen Schmerzen lachte er heiser, wissend, dass Belga es hören würde. Da! Er hatte es nochmals fein knacken gehört, fast wie Halswirbelknochen zwischen seinen Fingern. Das heiße Wasser würde die Struktur des Metalls verändern, es weicher machen. Also würde er diese Tortur aushalten. Er spürte die Brandblasen, spürte die Spur des beißenden Wassers, erspürte, roch vor allem die Endgültigkeit um Belgas Gestalt, er würde handeln müssen, ansonsten würde er hier verbrüht über dem Bock mit nacktem Arsch verrecken. Farfarellos Geist wand sich wieder zwischen Klarheit und reinster Panik. Und er hasste das Gefühl ebenfalls. Belga hatte sacht die Tür hinter sich geschlossen. Farfarello sah auf eine der mit schwarzen Tüchern verhängten Wände. Er fühlte sich ausgelaugt und würde so gerne einfach einschlafen, sich umhüllen lassen von der Dunkelheit, ganz egal welcher. Er zuckte zusammen, als er sich unbewusst bewegte und damit eine der Brandblasen auf der weichen Innenseite seines Oberschenkels gegen das harte Leder des Bockes rieb. Aber das brachte ihn wieder zur Besinnung. „Okay.“ Seine Stimme klang seltsam apathisch im Raum. Eine einzelne Träne rann über seine Wange, den Hals hinunter, auf eine von Belgas Waschung aufgeriebene Blase und ließ ihn erschöpft aufstöhnen. Ein eigenartiges Gefühl hielt ihn noch zurück, sich soweit aufzuwölben, dass sich vielleicht noch mehr von den Ketten öffneten. Warum sollte er noch mal versuchen, sich zu befreien? Da war doch noch etwas. Und dann bekam er einen regelrechten Schlag ins Gehirn, eine ebensolche Erschöpfung, ein Zurückfallen in die Dunkelheit und den Duft, diesen aufrührerischen, rebellischen, wunderbar greifbaren, alles wieder gutmachenden Duft von Vanille. Dann war es ihm egal, ob er sich selbst erwürgte, es würde klappen, und Schuldig würde alles wieder gut machen, und Nagi wäre da und würde mit seinem „Tz!“ und einem kaum sichtbaren Grinsen zu ihm herschauen und Crawford? Crawford würde ihn einfach ansehen und ihm zunicken. Es klirrte, das bekam er noch mit, und dann wurde es schwarz um ihn, und der nasse Steinboden prallte gegen ihn. Kapitel 6: ----------- Schuldig spürte, wie jemand in den Raum trat, dann sank er wieder in die wohltuende Umarmung des Nichtfühlens und Nichtdenkens. Crawford sah sich um. "Nagi, versuch den Teppich rein zu bekommen. Und dann brüh bitte Tee auf." "Hai." Der junge Japaner runzelte die Stirn, machte sich aber gleich an die Arbeit. Währenddessen seufzte Brad einmal, legte die Arme unter den schlaffen Körper des Deutschen und hob ihn auf. In einem der Schlafzimmer legte er ihn vorsichtig auf das Bett, um dann leise die Jalousien zu schließen. Dann setzte er sich neben die reglose Gestalt und wartete eine kleine Weile. "Ich weiß, das du dein Bestes gegeben hast, Schuldig. Du bist der Beste, sonst wärst du nicht bei uns." Es kam keine Reaktion aus dem Dunkel und Brad sprach weiter. "Aber es ist nötig", er betonte das letzte Wort eindringlich, "dass wir Farfarello finden." Keine Reaktion. //Ich bin unten.// Er stand auf und ging leise auf die Tür zu. Die Hand schon auf der Klinke, zögerte er. Etwas würde geschehen. Er ließ die Vision in sein Bewusstsein: ein dumpfes Geräusch und Nagi mit einer Beule am Kopf auf dem Fußboden. Fast im gleichen Augenblick wurde die Tür von außen geöffnet und Nagi stand vor ihm, eine Wärmflasche auf dem Arm und versuchte an ihm vorbei nach Schuldig zu sehen. „Ist er ansprechbar?“ fragte der Junge leise. „Nein. Wir sollten ihn ausruhen lassen.“ Damit wollte Crawford hinausgehen, doch wieder hielt er inne. Nagi würde noch etwas sagen. „Ja?“ Sein jüngstes Teammitglied sah ihn überrascht an, dachte einen Augenblick nach und sagte: „Ich kann ihm vielleicht helfen. Ich könnte das ganze Haus gegen Telepathie abschirmen... Dann hat er mehr Ruhe.“ Er stockte unsicher, aber als der Amerikaner nichts dazu sagte, sprach er langsam weiter: „Wenn keine Telepathie raus geht, wofür ich es gedacht hatte, kommt auch keine rein... ich hab das noch nicht ausprobiert, aber es müsste funktionieren. Ich arbeite da seit zwei Monaten dran. Ich muss nur meinen PC an den Sicherungskasten anschließen...“ Crawford nickte knapp, und ehe er sich versah, hatte Nagi ihm die Wärmflasche in die Hand gedrückt: „Die ist für Schu, ihm ist bestimmt kalt. Der Tee ist auch fertig.“ Und weg war er. Elektrische Tüftelei war tausendmal besser als Blutflecke aus dem Teppich zu schruppen! Die Hand noch immer auf der Klinke, hörte er undeutlich Schuldigs Stimme: „Brad, bist du hier?“ //Geh nicht weg...// Er bewegte sich unruhig. „Bitte... du bist doch hier...?“ Nagi hatte die Tür geschlossen, Brad war noch immer im Raum. Eigentlich ein wenig gegen seine Überzeugung; eigentlich, nein, eigentlich nicht. Da war noch diese Wärmflasche. Verwundert blickte er auf das glucksende Gummiding in seiner Hand. "Ich bin hier." Er kam wieder näher zum Bett. "Ich bin noch bei dir." Unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, und gleich darauf wütend auf sich selbst wegen dieser Zögerlichkeit, zog er sich einen Stuhl zum Bett und setzte sich. "Nagi wird einen telepathischen Schild aufbauen, damit du ... in Ruhe gelassen wirst." Brad neigte den Oberkörper leicht nach vorne und hob die Hand. "Ich hab hier eine Wärmflasche." Unter der hellen Bettdecke rührte sich jetzt nichts mehr, auch bekam er keine mentale Nachricht von seinem Teamkollegen. Ihn musste es wohl doch schwerer erwischt haben, als er das gedacht hatte. "Ich ... äh ... ich leg die Wärmflasche mal auf ... an die Seite hier." Der Amerikaner hob die Decke ein wenig an, um die Wärmflasche vorsichtig an Schuldigs Flanke zu legen. Dann ging sein Blick zum Gesicht des Deutschen, bleich und wächsern im abgedunkelten Zimmer. Er räusperte sich. "Shit, Lukas. Ich bleib 'ne Weile da. Okay?" Und im Dunkel des Zimmers beugte sich Brad vor, um sich auf die übergeschlagenen Beine mit einem Ellenbogen aufzustützen, den Zeigefinger nachdenklich quer über seine schmalen Lippen gelegt, seinen Blick wachsam auf das Gesicht im Bett gerichtet. Schuldig lag keinesfalls so ruhig, wie es den Anschein hatte. Seine Augen huschten unter den Lidern hin und her, immer wieder zog er die Augenbrauen zusammen und in unregelmäßigen Abständen zuckte sein Mundwinkel, sein Arm oder ein Bein. Crawford hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als aus dem Keller ein dumpfer Knall zu hören war. Gleichzeitig sprangen Schuldigs Stereoanlage und das Deckenlicht an, nur um mit einem hellen Ping sofort wieder zu verlöschen, als der dünne Draht in der Leuchte zerriss. Aus den Lautsprecherboxen drang ein leises Rauschen, die Stimme von Yvonne Catterfeld tönte von unten aus dem Küchenradio durch das Haus und konkurrierte mit der tausendsten Wiederholung der „Golden Girls“, die aus dem Fernseher im Wohnzimmer ihre Sprüche zum Besten gaben. Schuldig öffnete langsam die Augen, ließ seinen Blick ziellos durch das Zimmer wandern, bis er bei Crawford stehen blieb. „Crawford, ich...“ Er stockte. „Es tut mir leid, ich konnte nicht... Farfarello ist...” "Mh." Crawford nickte ihm zu und stand auf, um die Stereoanlage abzuschalten. Von unten hörte man ein kurzes Fluchen und dann verringerte sich die Lautstärke ebenfalls auf ein Nichts. Der Amerikaner setzte sich wieder auf den Stuhl, sein Blick ging auf einen Punkt über Schuldigs Kopf. Seine Miene wurde noch verschlossener, als man es bei ihm sowieso schon gewohnt war. Dann nickte er noch einmal. "Du wirst dich erst wieder erholen, bevor du ihn nochmals zu finden versuchst. Verstehst du?" Er lehnte sich an den Rücken des Stuhls. "Für mich gibt es nichts zu tun, als hier zu sitzen, also schlaf oder was auch immer dich erholt." Crawford holte tief Atem und schloss sitzend die Augen. „Nichts lieber als das.“ Der junge Telepath ließ ebenfalls seine Lider wieder absinken. //Er ist im Labor. Kein Kontakt mehr möglich. Er war... Marcel hat... Ich habe verdammte Scheißkopfschmerzen! Es geht um dich, Brad. Marcel will dir Schwarz wegnehmen. Ich... konnte seine Absichten erkennen, darum ist er so ausgeflippt. Er wird Farfarello versuchen, zu brechen... was ist denn das?// Seine Hand fühlte etwas warmes, wabbeliges an seiner Seite. Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Grinsen. //Eine Wärmflasche?// Er zog den glucksenden Beutel auf seinen Bauch und drehte sich auf die Seite, zu Crawford hin. //Kann ich etwas gegen die Schmerzen haben?// "Er... lebt, würde ich sagen. Das reicht erst einmal." Brad stand auf, strich sich mit der rechten Hand das Hemd glatt und verließ das Zimmer. Bald darauf war er wieder im Raum, ein Glas in der Hand haltend. "Komm, heb den Kopf." Schuldig wurde eine Tablette in den Mund gesteckt, und das Glas wunderbar kalten Wassers berührte seine Lippen. "Verschluck dich nicht." //Ich rede zuviel.// Brad grinste leicht, schüttelte sacht mit dem Kopf und verstärkte den Halt an Schuldigs Hinterkopf leicht. Ein Seufzer und das Schluckgeräusch zeigten ihm an, Schuldig wieder loszulassen. "Weißt du, Schuldig, Belga ist ein Nichts gegen uns. Selbst wenn er uns trennt, hat er nicht die geringste Chance." Fast hätte er den Arm des Deutschen berührt, um ihn zu trösten. Rasch und mit belustigtem Grinsen im Dunkel des Raumes verstärkte er seine mentalen Barrieren wieder. //Ich würde dir gerne glauben...//, zweifelte Schuldig. //Da war noch mehr... Scheiße, aber ich weiß nicht mehr alles. Er hat versucht, mir die Erinnerungen wieder herauszureißen. Arschloch! Ist ihm auch fast gelungen... Ich muss versuchen, zu schlafen. Crawford...// Schuldig klang jetzt ein klein wenig belustigt. //Du brauchst hier nicht sitzen und auf mich aufpassen. Ich werde brav liegen bleiben und Schäfchen zählen, bis ich einschlafe.// In mentalen Bildern ließ er Crawford sehen, was er unter Schafezählen verstand: eine Art von „Fifty ways to kill Marcel Belga“. Crawford ließ ein leises Lachen hören und stand auf. "Dann hoffe ich ja fast, dass du über 50 zählen kannst. Viel Spaß... und schlaf gut." Die letzten drei Worte waren kaum zu hören, als er die Tür schon fast hinter sich geschlossen hatte. Natürlich hatte Nagi den Teppich nicht gereinigt, aus seinem Zimmer kamen die unüberhörbaren Tastenanschläge. Crawford steckte den Kopf kurz zwischen Türblatt und Rahmen hindurch, aber Nagi war so mit seiner Arbeit beschäftigt, das er ihn nicht bemerkte. Crawford lächelte, als er, die Tür einen Spalt offen lassend, in das verwüstete Wohnzimmer zurückkehrte. Der Jüngste war immer so bedacht darauf, ständig aufmerksam, wachsam und zum Kampf bereit zu sein. Und diese Spannung fiel einfach so von ihm ab, wenn es darum ging, jemandem seiner kleinen 'Familie' zu helfen. Allerdings würde Brad sich hüten, ihn darauf jemals anzusprechen. Er selbst gönnte sich solche Gedanken nicht oft, aber dank Marcels unhöflichem Eingreifen konnte er sie nicht mehr ignorieren. Er hatte keine Ahnung, wann es angefangen hatte, tiefer zu gehen, als bloßes Zusammenarbeiten. Während er den Teppich mit kaltem Wasser behandelte, zog er die Augenbrauen zusammen. Nein, eine Schwäche wird es nicht werden, obwohl... So weit konnte er die Linien, die sich vor ihm ausbreiteten nicht verfolgen. Diese 'Sache' mit Schuldig und Farfarello, nun ja, das war vorauszusehen, selbst für jemanden ohne seine Fähigkeit, aber dass sich Nagi so um Farf sorgen würde, das überraschte ihn doch. Tja, und dann er selbst, der sich grad über alle hier sorgte. Er lachte in die Stille des Wohnzimmers, in Gedanken ein Bild von sich, als Familienvater, die 'Kleinen' um sich versammelt und aus dem Buch 'Fifty ways to kill Marcel Belga' Gute-Nacht-Geschichten vorlesend. Schmunzelnd rieb er über den Teppich, die Zeit, die sie verloren hatten, war nicht mehr aufzuholen, aber das war nicht so schlimm. Er kannte den Ort des Showdowns ja. Schuldig war viel zu wichtig für diese Mission, als dass er nicht seine volle Kraft wiederherstellen sollte. Also wartete Brad Crawford und er hasste es. Schuldig seufzte tief, nachdem Crawford den Raum verlassen hatte. Er genoss die Ruhe in seinen Gedanken, die Nagi ihm durch die elektrische Abschirmung des Hauses verschafft hatte. Nur ab und zu sickerte ein einzelner Gedanke durch Nagis oder Crawfords mentalen Schilde durch. Doch mit der Stille wurden seine eigenen Gedanken wieder hörbar. Er hatte teilweise mitbekommen, was mit Farfarello geschah. Immer dann, wenn seine Gefühle sehr intensiv wurden, konnte Schuldig ihn aus den anderen tausenden Menschen heraus wahrnehmen und sich auf ihn konzentrieren. Doch er konnte nichts tun als still beobachten, wie ein Geist ohne Körper, handlungsunfähig und gefangen in der Gegenwart des Augenblicks. Manchmal kam es ihm vor, als spüre Farfarello seine Anwesenheit, doch sobald sich der Ire wieder beruhigte, wurde Schuldig von ihm fortgerissen zu anderen, intensiveren Empfindungen anderer Menschen. Er rollte sich auf die andere Seite und legte seine Handfläche über die Stirn. Gerade begann er mit einer Regenerationsübung für sein geschädigtes Stirnchakra, als er daran denken musste, wie Crawford ihnen Belga-Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Er grinste innerlich über den Gedanken seines Teamchefs. Was hatte Schuldig für ein Glück gehabt, zu dem Amerikaner zu kommen. Die französische Alternative hatte Schuldig gerade hinter sich. Mit den Erinnerungen an sein erstes Treffen mit Crawford schlief er ein. Nagi betrat den Raum ohne anzuklopfen, und blieb dann aber direkt neben der Tür leise stehen, bis Crawford ihm seinen Blick zuwendete. „Das war keine offizielle Rosenkreuzmission“, sagte der Junge in seiner ruhigen Art. „Ich hab auf dem Hauptrechner, dem seiner Sekretärin und Belgas Privat-PC nachgesehen. Nirgends steht ein Hinweis auf Farfarello oder Schwarz. Was passiert jetzt?“ Die schmalen Finger des Amerikaners bearbeiteten noch immer mit einem Lappen den Blutfleck. "Er ist im Labor. Mr. Belga wird uns erwarten, also werden wir zuvorkommend sein, und ihm einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Das ist der grobe Plan, ich werde bei dieser wunderbar entspannenden Arbeit hier über die Feinheiten nachdenken." Er zog kurz einen Mundwinkel hoch. Eine der ihn umgebenden Zukunftslinien ließ er zu, seine Finger verharrten kurz über dem schon sichtlich verkleinerten Fleck. "Außerdem warten wir darauf, das Schuldig sich erholt und... und Farfarello wird Belga noch eine Weile beschäftigen. Es wäre hilfreich, wenn du soweit möglich alles Neue herausfilterst, was du von ihm findest." Brad bemerkte den leicht fragenden Blick und winkte ab. "Egal was, ich weiß es nicht genau, ich schau es mir dann durch." Sein Kopf nickte zur oberen Etage. "Ich werde ihn in drei Stunden wecken, mehr hat er nicht. Vorher komme ich bei dir vorbei." Er nickte in Nagis Richtung und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. „Verstanden.“ Nagi betrachtete ihn noch einen Moment, dann verließ er den Raum so leise, wie er ihn betreten hatte. Auf dem Weg zu seinem Zimmer hatte er noch immer das Bild vor Augen, wie Crawford vor ihm auf dem Boden kniete und eine Arbeit verrichtete, die er Nagi aufgetragen hatte. Der Junge hatte es schlicht vergessen, dennoch verlor Crawford kein Wort darüber. Selbst als Nagi vor seinem Computer saß, dachte er noch darüber nach und konnte sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren. Er bewunderte Crawford, und er hatte Schwarz Loyalität geschworen, doch seit jenem Tag in Tokyo versuchte er, zu den drei anderen Distanz zu wahren. Seit jenem Tag als Crawford Nagi geschlagen und Farfarello nicht davon abgehalten hatte, Tot, Nagis einzige Freundin, zu erstechen. Er wollte keine Nähe zu Menschen, denen er gleichgültig war. Doch jetzt war Farfarello fort, und Crawford machte sich Sorgen, nicht nur um den Iren und nicht nur um Schuldig, sondern auch um ihn. Das hatte Nagi deutlich gesehen. Konnte Belga tatsächlich einfach Mitglieder aus Crawfords Team abziehen? Dann könnte das gleiche auch mit ihm passieren. Nagi spürte plötzlich ganz deutlich, dass er das nicht wollte. Er wollte bei Crawford bleiben. Und er wollte auch, dass Schuldig und Farf blieben. Er hasste Marcel Belga dafür, dass er die vermeintliche Sicherheit, die Schwarz ihm trotz allem geboten hatte, zerstörte. Er hatte es satt, immer wieder diejenigen zu verlieren, mit denen er vertraut war. Dafür würde er Belga gerne so richtig weh tun! Fifty ways to hurt Marcel Belga! Und dann wusste er plötzlich auch, wie. Doch vorher musste er noch seine Arbeit für Crawford erledigen. Er konzentrierte sich, schloss die Augen. Er wurde förmlich eins mit dem Computer, er brauchte keine Tastatur, er lenkte die Energie direkt so, wie er sie benötigte. Nagi war in der Lage, Elektrizität zu spüren, und wie alle Rosenkreuzer angewiesen, seine Begabungen zu verfeinern und weiter zu entwickeln, und so hatte er geübt, Elektrizität auch zu beeinflussen. Er verstand intuitiv, wie sein Rechner funktionierte. Wenn er am PC arbeitete, dachte er wie sein Rechner. Dadurch hatte er selbst seinen Informatiklehrern gegenüber einen entscheidenden Vorteil, ohne den es ihm jetzt wohl kaum möglich gewesen wäre, alle Sicherungen zu umgehen und Rosenkreuz innerhalb kürzester Zeit sämtliche Daten zu stehlen, die für Crawford interessant sein könnten. Danach infizierte er das System mit einem Virus. Crawford hatte den Blutfleck vollständig entfernt. Und doch blieb er auf den Knien hocken, seine Gedanken hatte er nicht ganz im Griff. Es waren so viele verschiedene Stränge und nur allzu viele deuteten auf einen nicht ganz so angenehmen Ausgang des Ganzen hin. Alle, bis auf einen, tatsächlich. Und den zu treffen, Brad seufzte. Wie wünschte er sich jetzt Schuldigs Leck-mich-am-Arsch-Mentalität oder Nagis Vertrauen auf alles, was mit Technik zu tun hatte. In Wahrheit hatte er, der die Zukunft in seinen Händen halten konnte, keine Ahnung, was exakt zu tun war. Am liebsten würde er sich in einen dunklen Raum verkriechen und das Interieur zertrümmern. Oder Marcel Belga. Käme aufs Gleiche raus. Nur dieser verschissene Plan ‚Rein und drauf’ und alle warteten auf eine Eingebung. Zum Kotzen! Er legte die Stirn auf die Kante vom Sofa, wie vormals Schuldig. Er würde sich beruhigen müssen. Und dieses ‚Belga-Problem’ ein für alle Mal lösen. Der fünfzehnjährige Japaner blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen still sitzen und genoss den Nachklang dieses elektrisierenden Kribbelns, das wie immer durch seinen Körper lief, wenn er auf solche Art arbeitete. Dann blickte er zur Uhr und runzelte die Stirn. Gut zwei Stunden waren vergangen. Wo blieb Crawford? Er hatte doch noch die Daten durchgehen wollen, bevor er Schuldig wecken wollte. Es war völlig ruhig im Haus. Nagi verließ leise sein Zimmer. Als er ihren Teamchef noch immer auf dem Fußboden vorfand, blieb er unschlüssig stehen. So kannte er Crawford gar nicht. Was war nur los? „Ich folge dir bis in den Tod“, sagte der Junge mit gleichmütiger Stimme, und fügte hinzu, was er eigentlich hatte sagen wollen: „Ich bin jetzt fertig.“ Brad nickte kurz, stand auf und ging ihm voran in dessen Zimmer. Wie er es vermutet hatte, Belga hatte keinerlei Berechtigung, ihm in sein Team zu pfuschen. Und diese Dateien mit den Monatsnamen. Er rückte seine Brille zurecht. „Eigenartig. Mh. Aber irrelevant, momentan jedenfalls.“ Er klickte sich rasch durch Dateien und Unterprogramme. Die Texte, Grafiken und Bilder schimmerten als Geisterbilder auf seinen Gläsern. Dann lachte er kurz auf. „Er wird sich den Hals brechen!“ Der Amerikaner lehnte sich leicht auf den Stuhl zurück, dann schwang er sich von der Sitzfläche. „Ich wecke Schuldig. Wir holen uns Farfarello wieder.“ Er grinste kurz. //Fifty ways to kill Marcel Belga. Really really slow.// Sein Blick fixierte Nagis. „Du hast ausgezeichnete Arbeit geleistet.“ Und leise aber klar von der Tür aus gesprochen: „Danke, Nagi.“ Der Junge erwiderte darauf nichts. Als Crawford den Raum verlassen hatte, blickte sich Nagi in seinem Zimmer um. Hier gab es nichts, was er mitnehmen würde. Sein Laptop war noch unten im Keller. Obwohl er es schon seit einigen Monaten bewohnte, gab es nichts Persönliches von ihm in diesem Zimmer außer einigen, abgegriffenen Manga, die verstreut überall herumlagen. Die Serie, „X“ von Clamp, handelte von Menschen mit Fähigkeiten wie Rosenkreuzer sie beherrschten. Nagi mochte den Hauptcharakter, denn der konnte Telekinese, so wie er selbst. Es war nicht das normale Zimmer eines fünfzehnjährigen Jungen mit Postern von Stars oder Fußballern an den Wänden. Aber was war schon normal an Nagi? Sein Bick strich bedauernd über seine drei Computer, dann hob er die Handflächen in ihre Richtung und zerstörte sie mit einem gezielten Energiestoß. Reine Vorsicht, falls er nicht zurückkehren sollte. Danach ging er nach unten, um sein Laptop zu holen. Schuldig schlief noch, als Crawford ins Zimmer trat. Draußen war es leicht diesig geworden, er öffnete das Fenster, in der vermeintlichen Hoffnung, ihn mit offenen Augen im Bett liegen zu sehen. Dann runzelte Crawford die Stirn. „Ich weiß, dass du wach bist. Wir wollen los.“ Hinter der wieder geschlossenen Tür im Flur grinste Brad kurz. Es begann wieder alles nach Plan zu laufen. //Steh auf, Dornröschen.// Er ging die Treppe herunter. //Ha. Und wo bleibt mein Kuss?// Schuldig versuchte, entrüstet zu klingen, doch er klang einfach nur müde. Er setzte sich auf, wartete bis der Schwindel in seinem Kopf nachließ und atmete tief die kalte Nachtluft ein, bevor er das Fenster schloss. Er spürte nur einen dumpfen, klopfenden Schmerz und war sich bewusst, dass die Schmerztablette noch wirkte. Belga hatte ganz schön in seinem Geist gewütet, und drei Stunden waren nicht gerade lang, um sich zu erholen. Er freute sich schon auf die Autofahrt, wo er weiterschlafen würde. Jede schnelle Bewegung vermeidend zog er sich langsam, jedoch ohne zu trödeln, frische Sachen an. Die alten, blutigen Kleidungsstücke ließ er achtlos auf dem Boden liegen. Er verbot sich, an Farfarello zu denken. Schritt für Schritt ging er die Treppe hinunter, eine Stufe nach der anderen. Crawford würde wissen, was zu tun war. Er würde Farf zurückholen. Schuldig wagte nicht, daran zu zweifeln. Farf und er waren schon oft getrennt worden. Und sie hatten sich immer wieder getroffen. Immer. So würde es auch diesmal sein. Crawford wartete schon mit Nagi auf ihn. Beide sahen ihn an, und er versuchte ein Grinsen. „Ahoi.“ Er fühlte sich wie ein Matrose auf hoher See, mindestens Windstärke zwölf und der Boden ganz glitschig, weil seine Beine so wackelig waren. Nagi rollte innerlich die Augen: //Kann der denn niemals ernst sein?// Schuldig grinste nur weiter. Aber er hatte ein wenig Sorge, was mit ihm geschehen würde, wenn er das Haus verließ. Er hoffte nur, dass die drei Stunden ausgereicht hatten, um zu verhindern, dass die „Stimmen“, die Gedanken der vielen Menschen um ihn herum, sein Bewusstsein wieder überrollten. Er warf Crawford einen fragenden Blick zu: //Na, wie sieht’s aus? Werde ich mich da draußen gleich in einen sabbernden Idioten zurückverwandeln?// Crawford sah ihn ernst an. "Der Wagen steht direkt an der Garage. Wir werden sofort losfahren. Und auf dem Rücksitz liegt dein MP3-Player, falls du ihn brauchst." Dann sah er ihn nochmals an, packte ihn kurzerhand fest unter dem Ellenbogen und nickte Nagi zu. "Wir gehen." Der Mercedes donnerte über die Autobahn, Nagi lehnte mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen an der Kopfstütze. Schuldig auch, allerdings aus einem anderen Grund. Brad hatte sich umgehend seine Hörer eingestöpselt, für den Fall, dass doch irgendjemand etwas lauter Musik hören wollte. Allerdings sah der 'Jemand' grad eher aus wie Käse in der ersten Molkephase. Brads Kopf nickte leicht zu der Musik, als er zügig an einem längeren LKW-Konvoi vorbeizog. Nagi hatte sein Laptop auf den Knien liegen und klappte jetzt den Deckel auf. Seine schlanken Finger huschten über die Tastatur. Er warf Crawford einen prüfenden Blick zu und beschloss, ihn nicht zu stören. Er neigte sich nach vorne, öffnete den Aschenbecher, zog den Knopf des elektronischen Zigarettenanzünders heraus und stöpselte stattdessen ein Kabel hinein, das jetzt seinen Rechner mit der Elektrik des Wagens verband. Die Tastatur bewegte sich leise. Dann geschahen mehrere Dinge kurz hintereinander. Als erstes ging das Licht aus. Komplett. Sowohl die Scheinwerfer als auch die Beleuchtung des Armaturenbrettes. Dann stockte der Motor, sprang jedoch sofort wieder an. Die Scheibenwischer legten los in höchster Geschwindigkeit, die Scheibenwaschanlage befeuchtete das Ganze, wie es sich gehörte, die Alarmanlage heulte in höchsten Tönen, das Radio sprang zeitgleich mit der Lüftung an, und Nagi sagte: „Scheiße.“ Höchst konzentriert starrte er auf seinen Bildschirm, seine schlanken Finger hämmerten auf die Tasten, und innerhalb von Sekunden war alles wieder normal. Bis auf die Schweißperlen auf Nagis Stirn. Schuldig grinste. "Es gibt auch Akkus, Nagi", war alles, was Crawford von sich gab. Im Rückspiegel hatte er Schuldigs Grinsen bemerkt, und war eigenartig erleichtert darüber gewesen. Er verzog leicht den Mund. Sein Mienenspiel drückte sehr kurz Besorgnis aus, als er an Farfarello dachte. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass es gerade er sein würde, den er sich als ersten abfangen würde. Nagi sah ihn kurz an und schluckte, sagte jedoch nichts. Blicklos starrte er auf seinen Labtop. Schuldig beugte sich vor und berührte ihn leicht an der Schulter: „Manchmal bist du Gold wert, Nagi. Schätze, du hast jetzt was gut bei mir.“ Mental wandte er sich an Crawford: //Dein Wagen ist jetzt gegen Telepathie abgeschirmt. Dann haben wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite, wenn wir beim Labor ankommen.// Er rollte sich auf dem Rücksitz zusammen und schloss die Augen. //Und ich kann vielleicht noch ein wenig schlafen.// "Mh-mh." Weiter sagte er nichts. In zwei Stunden würden sie ankommen, ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihm an, dass es sich Schuldig längs ausgestreckt mit den Schuhen auf den Sitzen bequem gemacht hatte. Wenigstens wusste er jetzt genau, wer nach dem ganzen Schlamassel seinen Wagen aussaugen durfte. Mit seinen langen, schmalen Fingern trommelte er auf dem Lenkrad herum, nicht angespannt, sondern im Takt seiner Lieblingsmusik. Niemand würde ihm seine Leute auseinander reißen, niemand. Aus den Augenwinkeln sah er kurz zu dem jüngsten Teammitglied herüber, um sich gleich danach wieder auf seine Musik zu konzentrieren. Nagi runzelte leicht die Stirn. Hatte Schuldig das ernst gemeint, Nagi hätte jetzt etwas gut bei ihm? Ohne die Hand zu heben, klappte der Junge den Sonnenschutz an der Windschutzscheibe vor ihm hinunter und betrachtete nachdenklich in dessen eingearbeitetem Spiegel den schlafenden Rotschopf auf der Rückbank. Crawford hatte die Kopfhörer aufgehabt, es gab also keinen Zeugen für dieses Versprechen. Dennoch würde er diese Schuld sorgsam aufbewahren. //Schlimmer als Wagenaussaugen kann’s ja kaum werden.// Nagi zuckte kurz zusammen, als er die Stimme des Telepathen plötzlich in seinem Kopf hatte. Er warf dem scheinbar Schlafenden einen ärgerlichen Blick durch den Spiegel zu: //Hör auf, meine Gedanken zu lesen!// //Dann hör du auf, so laut zu denken.// Diesen Dialog hatten sie schon oft geführt, und Nagi ignorierte wie üblich die letzte Bemerkung. //Wieso Wagenaussaugen?// fragte er stattdessen. //Crawford überlegt schon, wer nach dieser Sache seinen Benz reinigt. Und du bist perfekt geeignet für diese Aufgabe.// //Baka. Ich glaube nicht, dass Crawford gerade so etwas denkt!// //Wollen wir wetten?// //Mit dir wette ich nicht.// //Jetzt überlegt er gerade, wie du wohl als Footballspieler aussehen würdest. Typisch amerikanischer Daddy...// Wütend fuhr Nagi herum und funkelte Schuldig wütend an: //Hör endlich auf mit dem Scheiß! Schlaf lieber, damit du ausgeruht bist!// Schuldig öffnete die Augen, und Nagi sah die Erschöpfung in ihnen. Und die Nervosität. Seine Wut verschwand, als er verstand. Seufzend drehte er sich wieder um. //Also gut. Folge mir.// Der junge Japaner lehnte seinen Kopf wieder gegen die Kopfstütze und schloss die Augen. Er stellte sich einen buddhistischen Tempel vor. Den hellen Ton einer Klangschale in der Stille. Den Landschaftsgarten mit moosbedeckten Flächen, einem Wasserlauf. Dem Klang des Wassers. Rote Ahornblätter, die sich drehend, schwebend, langsam auf die Steinplatten und das Moos sanken. So lange, bis sie beide eingeschlafen waren. Kapitel 7: ----------- Belga starrte seinen leitenden Informatiker fassungslos an. „Was soll das heißen, Ausfall sämtlicher Systeme?“ Der Angesprochene, ein Mann in den Vierzigern mit beginnender Glatze, fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, als er antwortete: „Genau, was ich gesagt habe, Herr Direktor. Der Virus hat sich unbemerkt auf alle Rechner ausgebreitet, bevor er aktiv wurde. Wahrscheinlich sind schon alle Systeme infiziert.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, ging in diesem Moment das Licht aus. Einen Augenblick dauerte es, bevor flackernd die Notbeleuchtung ansprang und Belgas Büro in ein gedämpftes, gelbliches Licht tauchte. „Meine Leute arbeiten schon daran, den Virus unschädlich zu machen“, beeilte sich der Mann zu versichern. „Das will ich meinen. Sie sollten sich beeilen, bevor wir hier ganz im Dunkeln sitzen.“ Belgas Gedanken rasten, während er beinahe tonlos weiter sprach: „Die Sicherung der Daten hat absolute Priorität. Außerdem wünsche ich, dass sie herausfinden, wo dieser Virus hergekommen ist und wie er in unsere Computer gelangen konnte.“ Der Informatiker nickte und war erleichtert, als Monsieur Belga sich nun dem führenden Wissenschaftler und dem Sicherheitschef zuwandte. Nur kurz gestattete es sich Marcel zwischendurch an Farfarello zu denken. Diese Angelegenheit würde doch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, als er gedacht hatte. Nun, das war Pech. Umso länger musste der junge Ire in seiner unbequemen Lage ausharren. Marcel versuchte, einen Gedanken seines Gefangenen zu erhaschen. Nichts. Entweder funktionierte die telepathische Abschirmung seiner Privaträume noch, trotz des Ausfalls im Labor, oder der Ire war bewusstlos geworden. Tja, dann verpasste Marcel wenigstens nichts. Farfarello konnte nicht lange auf den Steinen gelegen haben, so etwas gönnte ihm sein Körper nicht lange. Als er sich aufstützen wollte, knickten beide Handgelenke hörbar ein. Sie waren blutig, zerfetzt, zerrissen, gebrochen von der Gewalt des Herausbrechens aus den Ketten. Die Ketten an den Beinen waren dicht über dem Stiefelschaft gerissen, die Fußschellen umschlangen seine Schienbeine noch. An beiden Seiten. Ebenfalls blutig, abgeschürft, aber nicht gebrochen. Die Sehne seines rechten Handgelenkes hatte sich gerade wieder erholt, und nun war sie erneut zerrissen. Sein Hals schmerzte, schlucken konnte er kaum, sein Kehlkopf war garantiert eingedrückt worden, jetzt hätte er wieder so eine Reibeisenstimme. Von seinen Rippen ganz zu schweigen, zum Glück hatte sich keiner der Knochen in die Lunge gebohrt. Er holte beide Hände, zu Klauen gekrümmt, an seine Brust, zog die Beine an und lag einfach nur da und wartete. Wartete darauf, dass sein Körper sein Werk begann. Glühendheiß durchzog es ihn, neue Zellen wurden erschaffen, bauten zerfleischte Muskeln auf, zogen an den Sehnen, flossen durch die zerstörten Knochen, verbanden, reparierten die gerissenen Blutgefäße. Er sog dieses Glühen in sich ein, wichtig waren seine Arme und Beine, seine zerschundene Haut würde warten müssen. Und seine Gedanken waren leer, wie jedes Mal, wenn er auf sich selbst lauschte. Das Licht im Keller flackerte und ging aus. Farfarello schloss kurz die Augen, ihm war das sehr willkommen. Doch dann flammten einige Lichter wieder auf. Sein Körper hatte sein Werk fast vollendet, doch er würde vorsichtig sein müssen, wenn er die Hände benutzte. Ansonsten könnte er sie gleich abreißen und Belga an den Kopf werfen. Der Boden war unendlich kühl und sanft, er würde noch ein kleines bisschen liegen bleiben. Nur noch ein kleines bisschen. Er war so erschöpft und er hatte keine Ahnung, warum. Seine Wange kühl auf dem Stein, fast zu kalt jetzt, sein gesamter Körper war mit Gänsehaut überzogen und irgendetwas IN ihm fühlte sich an, als ob Belga noch dort wäre. Der Plug... Seine Hand griff zwischen seine Beine, und der stumpfe Metalldorn fiel mit einem endgültigen Geräusch auf die Steinfliesen. Kurz spannte er unbewusst seine inneren Muskeln an, seufzte so stark, dass die Pfütze unter ihm sich leicht kräuselte und richtete sich auf. Farfarello legte die Hand an die Tür, die aus dem Kellerraum führte. Doch... so sehr er sein irisches Erbe liebte, wie seine Vorfahren nackt und mit gröhlendem Kampfschrei wollte er doch nicht auf die Menschheit lospreschen. Die andere Tür führte ihn in ein Schlafzimmer, zum Glück trug er noch seine eigenen Stiefel, Belga war so schon groß genug. Er würde in seinen Sachen wie ein verprügeltes Kind aussehen, da musste er nicht auch noch ausrutschen müssen, weil er aus den Schuhen schlappte. Belgas Duft lag auf seinen Anzügen, Farfarello hielt sich einen unendlichen Moment damit auf, bei geöffneter Schranktür diesen Geruch einzusaugen. Er würde daran arbeiten, dass der Urheber dieses Duftes denselben nicht mehr allzu lange verbreiten würde. Schließlich hatte er sich eine dunkle Bundfaltenhose so umgekrempelt, dass sie passen würde und kurzerhand von einem seidenen Hemd die Ärmel abgerissen. Das Geräusch freute ihn fast so sehr, wie die Vorstellung Belgas Gesichtes, wenn er ihn in seinem Hemd sehen würde. Er fuhr sich beim Verlassen des Schlafzimmers durch die Haare, grinste, nahm sich im Vorbeigehen von dem kleinen Tischchen an der Tür das wunderbar gefertigte japanische Messer und legte die Hand auf die Klinke der Kellertür. Verschlossen – natürlich. Schuldig hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als Nagis kalte Hand ihn leicht an der Schulter berührte. „Wir sind gleich da“, sagte der junge Japaner, und Schuldig nickte und setzte sich auf. Er sah nach draußen. Tatsächlich. Jeden Augenblick würde das Institutsgebäude vor ihnen auftauchen. Er kannte jede einzelne Kurve dieser schmalen Gebirgsstraße. Etwas in seinem Inneren krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er spürte Crawfords prüfenden Blick durch den Rückspiegel und kniff grimmig die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er wusste, dass Crawford ihn aus gutem Grund so lange wie möglich hatte schlafen lassen. So würde er nicht viel Zeit haben, nervös zu werden. Es gab nur wenige Dinge, vor denen Schuldig Angst hatte. Aber das Rosenkreuzlabor gehörte dazu und stand mit großem Abstand vor allem anderen. „Es geht los“, sagte Crawford mit ruhiger, konzentrierter Stimme. „Die Security hat uns bereits bemerkt.“ Er hielt den Wagen direkt vor dem Haupteingang und stieg aus. Schuldig und Nagi folgten ihm. Zwei dunkel gekleidete Männer lösten sich aus dem Schatten und traten auf sie zu, entspannten sich jedoch sichtlich, als sie näher kamen. „Ah, Mr. Crawford! Lange nicht gesehen”, begrüßte der ältere von den beiden den Amerikaner. Er kannte das schon, dass Crawford unangemeldet zu den unmöglichsten Zeiten auftauchte. Allerdings... Schuldig konzentrierte sich. //Er ist nicht gerade begeistert, dich zu sehen//, informierte der Telepath seinen Anführer. //Irgendwas stimmt hier nicht...// Er schloss halb die Augen und streckte seine mentalen Fühler aus, während Crawford die Wachhabenden in ein unverfängliches Gespräch verwickelte. Was war denn das? Überrascht sog Schuldig zischend die Luft ein. //Brad! Ich kann... sie haben Computerprobleme! Das gesamte Sicherungssystem funktioniert nicht. Da drin herrscht ein heilloses Durcheinander – warte! Farf ist... er ist gar nicht im Labor... er ist...// Seine Augen weiteten sich entsetzt, und er starrte an dem Gebäude entlang zu Belgas Privatwohnung. Ohne Nachzudenken setzte er sich in Bewegung. Crawford sah vor seinem inneren Auge, wie die Wachleute durch die Luft flogen und mit durch telekinetische Kraft verrenkten Gliedern gegen die Institutswand krachten. Schuldig lag mit dem Gesicht auf dem Asphalt, und auf der Rückseite seines grünen Mantels breitete sich ein roter Fleck aus. „He! Wo willst du hin?“ rief einer der Wachleute, der jüngere von den beiden, Schuldig hinterher und griff nach seiner Waffe. Schuldig reagierte nicht. Er war in Gedanken schon bei Farfarello. //Farf! Wir sind jetzt hier. Wir holen dich zurück. Ich bin gleich bei dir!// Farfarello wurde eingehüllt in einen Hauch von Vanille. Crawford reagierte besonnener, als er denjenigen, der die Waffe gezückt hatte, mit einem kurzen Handkantenschlag ausschaltete. Schuldig war aus dem Blickfeld des anderen Wachmannes verschwunden, der jetzt relativ konzentriert auf die hochgewachsene Gestalt des Amerikaners zustrebte. Crawford wunderte sich ein bisschen, dass er das tat, er an seiner Stelle hätte aus angenehmer Entfernung auf ihn geschossen. Nicht, dass es etwas an dem Ausgang des Ganzen geändert hätte. Nun ja, jedenfalls war der Weg frei. Und niemand sonst schien sich um sie zu kümmern. Er nickte Nagi zu, der sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck vom Auto abstieß und ihm folgte. Farfarello lehnte an einer der kühlen Wände des Kellers, mit der ganzen Gestalt an den Steinen entlang ausgestreckt. Er musste nachdenken, er musste aus diesem Keller verschwinden. Er wollte – was war denn das? Vanille? //Farf! Wir sind jetzt hier. Wir holen dich zurück. Ich bin gleich bei dir!// Eigentlich wollte er standhaft warten, aufrecht, bis Schuldig durch diese Tür kommen würde. Aber seine Beine knickten weg, und er rutschte an der Wand entlang und hockte unbequem auf seinen Hacken. Er hatte keine Ahnung, wie sehr er sich nach diesem, Schuldigs, mentalen Strich gesehnt hatte, bis er in seinem Hirn zu fühlen war. //Ich dachte, du bist... Hier ist abgeschlossen, ich bin im Keller//, dachte er. Crawford sah kurz zu Nagi, als sie auf den privaten Trakt zustrebten. „Geh mit rein, ich sichere ab.“ Und er zog seine Beretta. Doch nach wenigen Minuten überkam ihn ein ungutes Gefühl. Es würde nicht funktionieren. Er horchte in sich hinein, versuchte, ein genaueres Bild zu bekommen. Nagi und Schuldig würden nicht wieder heraus kommen – von Farfarello ganz zu schweigen. Und hier draußen würde nichts geschehen, bis die Wachleute wieder zu sich kommen würden. Ohne zu zögern folgte Nagi Schuldig in die Wohnung, von der er wusste, dass es Belgas Privatbereich war. Er war hier noch nie gewesen, wusste jedoch, dass es Schuldig nur so leicht geglückt war, das Schloss an der Eingangstür zu knacken, weil die elektronische Sicherung zufällig gerade ausgefallen war. Zufällig... Nagi beglückwünschte sich innerlich zu seiner Tat. Es war der erste Computervirus, den er selbst entwickelt hatte, und er schien bestens zu funktionieren – besser, als er selbst erwartet hatte. Er sah gerade noch Schuldigs flammendrote Mähne auf der Wendeltreppe nach unten verschwinden. Er wunderte sich nicht, dass der Telepath sich anscheinend bestens in Belgas Wohnräumen auskannte, es war schließlich kein Geheimnis, dass er quasi Belgas rechte Hand gewesen war – bevor Crawford ihn für sich gefordert hatte. Allerdings wunderte er sich, was zur Hölle Farfarello hier zu suchen hatte. Er holte Schuldig vor der Tür am Fuße der Treppe ein. „Lass mich mal“, schob er den mit einem Dietrich hantierenden Deutschen zur Seite. Er hob die Hände, schloss kurz die Augen, und die Tür flog krachend auf. Dann stockte ihm der Atem, als er in dem dahinter liegenden Raum die Folterinstrumente erkannte. Grob stieß Schuldig ihn zur Seite und stürzte auf Farfarello zu, der mit bleichem Gesicht an der Wand kauerte. „Farf! Was bin ich froh...“ Schuldig unterbrach sich, als er die verbrühte Haut und die blutigen Spuren der Fesseln an Farfarellos Armen und Hals sah. „Heilige Scheiße! Kannst Du aufstehen?“ Nagi riss sich von der Betrachtung des Rauminventars los und zwang sich, sich auf Schuldig und Farfarello zu konzentrieren. Brauchten sie seine Hilfe? Er trat einen Schritt vor, doch dann explodierte ein Schmerz in seinem Hinterkopf, und es wurde schwarz um ihn. Geisel fing den leichten Körper auf, bevor er zu Boden fiel und hielt ihn nun, rücklings fest mit einem Arm an seine Brust gedrückt. In einer flüssigen, schwungvollen Bewegung drehte er seine Pistole, mit deren Griff er zugeschlagen hatte, wieder herum und grinste zu Schuldig und Farfarello hinüber: „Wer hat euch denn eingeladen?“ Crawford sah sich noch ein weiteres Mal um, konzentrierte sich gleich danach auf das Innere des Hauses und kniff dann die Augen verärgert zusammen. Geisel – diese Geissel... Ruhigen Schrittes ging er durch den hellen Flur. Die Bilder an den Wänden gefielen ihm, sehr kraftvoll, nur das kleine Tischchen kam ihm ziemlich spießig vor. Das war wohl Belgas kindliche Ader, all diese zierlichen Dinge hier. Unten im Keller befand sich alles in einer unangenehmen, gespannten Pattsituation. Nagi war bewusstlos, Schuldig viel zu konsterniert von dem Raum und Farfarello? Nachher. Er schlich die Treppenstufen herunter und sah die Szenerie so, wie seine Vision es ihm gezeigt hatte. Er hob grüßend die Waffe. „Gruezi, Geisel. Und was willst du jetzt tun?“ Kaum merkbar schüttelte er in Richtung Schuldig den Kopf, als Geisel sich einen Schritt an die Wand zurückzog, seinen lebendigen Schild etwas höher hielt und seine Waffe weiterhin auf Schuldig gerichtet ließ. Blitzschnell zogen verschiedene Zukunftsstränge vor seinem inneren Auge entlang, dann holte er sie näher an das Jetzt heran und der dringlichste entwirrte sich vollständig und sofort. /Feuer zog sich mit saugender, verheerender Kraft durch die engen Kellerräume und hinterließ vier bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen. / //Schuldig? Wie lang braucht Nagi noch? Versuch, ihn vorsichtig zu wecken, ich hätte gern, dass er Geisel sanft schlafen schickt.// Und laut zu dem Pyrokinet hinüber: „Ich hoffe, du hast Zeit mitgebracht. Wie du weißt, hab ich davon eine ganze Menge. Nett, dich mal wieder zu sehen, wie geht’s denn so?“ Wieder drängten sich Visionen auf, und wieder pflückte er sie auseinander, bis sich eine einzige herauskristallisiert hatte. /Totales Chaos im Labor. Schwitzende Wissenschaftler und Marcel mit einer netten steinernen Miene. Immer mehr Menschen kamen in den Raum. Das würde noch dauern./ Und dann behielt er Geisel sowohl im Jetzt als auch in ihrer aller möglichen Zukunft im Blick. Geisels Blick wechselte zwischen Crawford und Schuldig mit Farfarello hin und her, ohne sein Grinsen zu verlieren. „Spar dir diese Scherze, Crawford“, antwortete er nicht unfreundlich dem Amerikaner. „Unten im Labor könntet ihr euch im Moment wirklich nützlicher machen. Im Übrigen hat Belga es nicht gerne, wenn jemand seine Wohnung ohne Einladung betritt. Das solltest du, Schuldig, eigentlich wissen.“ „Du weißt, was du mich kannst“, knurrte Schuldig zurück. Und zu Crawford: //Nagi ist wieder wach. Aber er sollte noch eine Weile Ruhe haben.// Obwohl Nagi noch immer den Kopf baumeln ließ und die Augen geschlossen hielt, drehte Geisel die Pistole nun so, dass der Lauf an der Schläfe des Jungen lag. „Ihr seid in einer schwierigen Lage, also nimm die Waffe runter“, sagte Geisel mit leiser Stimme zu Crawford. „Besser für euch, wir regeln das friedlich.“ Es meinte es ernst, es würde keinen Feuerangriff geben, und er würde auch auf Nagi nicht schießen, solange sie ruhig blieben. Schuldig sah allerdings nicht danach aus, er würde mit einem sarkastisch gezischten Kommentar – „Sieht das hier“, damit meint er Farfarellos Zustand und den Bock mit den eindeutigen Blutspuren, „für dich etwa friedlich aus?!“ – die Situation Richtung Eskalation lenken. Und es war Farf, der sich dann an Crawford mit einer Bitte wandte, noch bevor Schuldig irgendetwas sagen konnte. „Könnten wir den Raum verlassen?“ Crawford nickte ihm zu, Geisel im Blick. „Ich denke schon.“ Er schob die Waffe mit einem zynischen Grinsen ins Schulterholster zurück. Farfarello legte Schuldig nur kurz die Hand auf die Schulter und seufzte mental auf. //Schu. Kannst du damit was anfangen?// Und er gab eine Sequenz mit allen Gefühlen und Gedanken Belgas weiter. /Angst. //Nein! Ich will nicht! Aua! Bitte! Papa! Hilf mir! Papa? Ah! NEIN!// Angst./ Farfarellos Griff wurde fast schmerzhaft fest, lockerte sich dann, um den Monolog auf der mentalen Schiene, die noch nie von einem Dritten durchbrochen wurde, weiterzuführen. //Zweimal. Schu. Er hält sich so jämmerlich fest an seinem Leben. Aber ich will ihn draußen haben, Schu. Draußen.// Sein linker Mundwinkel verzog sich leicht nach unten, dann war sein Gesicht wieder so reglos wie zuvor. Sein Blick hatte Crawford als Brennpunkt anvisiert. Nur die Hand lag noch immer auf Schuldigs Schulter. Schuldig runzelte die Stirn und starrte Farfarello an. //Davon weiß ich nichts... doch warte! Er hat mal erwähnt, dass seine Eltern tot sind. Und dass es ihm ein Vergnügen war, sie ins Jenseits zu befördern. Aber natürlich hat er mit mir nie über sein Kindheitstrauma gesprochen… Aber, Farf, wie gut zu wissen, dass er eins hat!// Er übermittelte Crawford umgehend die neue Information. //Vielleicht kann uns das nützlich sein. Scheint ja mal ne Schwachstelle zu sein. Und jetzt raus hier!// Mit finsterem Blick zu Geisel steuerte Schuldig auf die Wendeltreppe zu. Geisel nickte Crawford zu, voran zu gehen. Seine Hand legte sich um Nagis Kehle. „Und du“, zischte er ihm ins Ohr, „gehst gefälligst allein die Treppe hoch. Werde dich nicht tragen! Und versuch keine Tricks!“ Um diese Worte zu unterstreichen, drückte er den Lauf der Pistole noch fester gegen die Stirn des jungen Japaners. Nagi keuchte leise, aber gehorchte. Er öffnete die Augen, und in ihnen war eine Mischung aus Angst und Wut zu lesen, als er Crawford einen kurzen Blick zuwarf. Unmerklich war die kleine verneinende Kopfbewegung in Nagis Richtung und der leicht nach oben verzogene Mundwinkel, als er die Treppe voran wieder aufstieg, Schuldig direkt hinter sich. //Beatrix ist ebenfalls hier. Außerdem will ich mit Belga sprechen. Halt mich auf dem Laufenden mit den beiden kleinen Lakaien hier.// //Verstanden.// Nagi stolperte hinter den anderen die Treppe hoch, deutlich spürte er Geisels Hand an seinem Hals und das Metall seiner Pistole an seiner Schläfe. Wie demütigend! Ihn einfach so von hinten außer Gefecht zu setzen! Zu gern würde er diese Knarre mitsamt der Hand, die sie hielt, in tausend Winkel verbiegen... Doch Crawfords Anweisung war klar. Angst verspürte der Junge nicht mehr, er war sicher, wenn unmittelbare Gefahr drohen würde, hätte der Amerikaner anders reagiert. Und würde nicht mit dem Rücken zu Geisel seelenruhig die Treppe hoch gehen! Obwohl... Leiser Zweifel schlich sich in seine Gedanken, als er wieder an die Situation dachte, als Crawford in Tokyo eiskalt Schreiend entsorgt hatte, inklusive des Mädchens, das Nagi geliebt hatte. Würde er ihn, Nagi, auch ohne mit der Wimper zu zucken opfern, wenn es nötig wäre? //Baka! // mischte sich Schuldig plötzlich ungefragt in seine Überlegungen. //Mich und Farf sicher. Dich? Niemals. Und jetzt konzentrier dich wieder auf die Gegenwart.// Es war nicht das erste Mal, dass Schuldig eine Anspielung in dieser Richtung machte. Irgendwann würde er ihn darauf ansprechen. Doch nicht jetzt und nicht hier! //Hör auf, meine Gedanken zu lesen!// blaffte Nagi, ihr altes Spielchen. //Dann hör auf, so laut zu denken//, war Schuldigs übliche Antwort. Doch diesmal setzte er ernst hinzu: //Ich bin nicht der einzige Telepath hier.// Shit, shit! Ausnahmsweise hatte er Recht! Nagi konzentrierte sich kurz auf seine mentale Abschirmung, und dann hätte er sie fast wieder verloren, als er draußen vor Crawfords Wagen Beatrix stehen sah. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken, aber das ging ja nicht, weil Geisel ihn immer noch fest hielt, was war das nur für eine peinliche Situation, und wieso durfte er nichts dagegen unternehmen!! Er linste wieder zu Crawford, und vermied den Blick des jungen Mädchens, die etwa in seinem Alter war und die im gemeinsamen Unterricht ständig mit ihm konkurriert hatte. „Konnichi wa, Schwarz!“ sagte sie leise und kam ihnen langsam entgegen. „Am besten wartet ihr im offiziellen Empfangszimmer auf Monsieur Belga. Wie es sich für Besucher gehört“, sagte Geisel und schob seine Geisel – Nagi – in Richtung Haupteingang. Crawford neigte, ganz Gentleman, leicht den Kopf in Beatrix' Richtung: "Auch Ihnen einen guten Tag, Ms. Beatrix." Dann war er an ihr vorbei und die nächsten Sätze gingen an ihren männlichen Begleiter: „Und ich denke, Nagi ist gut in der Lage, allein zu gehen. Danke, Geisel. Wie es sich für Besucher gehört.“ Crawford war bei den Worten in gemächlichem Schritttempo weitergegangen, ganz entspannt. Farfarello starrte einige Zeit auf die Tannen, die am Rand der weitläufigen Wiese standen, eine Hand berührte flüchtig sein Halsband, und ein kleines bösartiges Grinsen huschte fast unsichtbar über seine Lippen. Genau wie sein Leader war sein Gang entspannt, und sein Blick war danach fest auf Crawfords Rücken geheftet. Das Gelände war weitläufig genug, so dass sie noch einige Schritte in der milden Abendluft spazieren konnten. Und genau so sah es aus, ein kleiner entspannter Spaziergang unter Freunden. Das kleine rotbraune Tier mit diesem buschigen Schwanz war wieder zwischen den Baumstämmen umhergehuscht. Farfarello hätte gern gewusst, was das für ein Ding war. Und warum Belga ihn überhaupt so lange ‚behalten’ hatte, er hatte am Anfang nicht wirklich den Anschein gehabt, ihn für seine Spielchen zu nehmen. Er hatte nach ganz anderen Absichten 'gerochen'. Und den vielen Geruchsspuren im Keller zu urteilen, hätte er ihn ja nicht wirklich nötig gehabt. Und sie alle waren vollkommen anders behandelt worden. Zuckerbrot und Peitsche. Oh, er hätte ihn gern... Ein Blick zu Schuldig, der mit bösartigem Funkeln aus den Augenwinkeln heraus zu ihm herüberschaute, und er verbot sich weitere Gedanken. Sofort. //Belga. Mh//, war noch sein letzter nachdenklicher Gedanke. Schuldig nickte ihm zufrieden zu. Auch Nagi hielt seinen mentalen Schutz jetzt aufrecht, auch als Geisel ihn abrupt losließ, und er einige Schritte stolpern musste, bis er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Schuldig konnte sich auch so gut vorstellen, wie Nagi dies in seine geistige Liste der Dinge aufnahm, die Geisel irgendwann zurück bekommen würde. Und Crawford? Perfekte Blockade, wie immer. Crawford funktionierte fehlerfrei wie ein Schweizer Uhrwerk. Davon hing ihr aller Leben ab. Ohne weitere Worte durchschritten sie den Eingangsbereich. Lange waren sie nicht hier gewesen, und Schuldig wünschte sich, dieses Gebäude nie wieder betreten zu müssen. Alle Rosenkreuzer hatten hier die schlimmste Zeit ihres Lebens verbracht. Und keiner von ihnen, Schuldig könnte wetten, nicht einmal Trix und Geisel oder sogar Crawford, würde ohne mulmiges Gefühl in das fünfte Untergeschoss zurückkehren. Niemand von Rosenkreuz, außer vielleicht Marcel. Schuldig ließ diese Gedanken weiter fließen, während sie den langen Gang zu dem offiziellen Besuchszimmer neben Marcels Büro entlang gingen. War Marcel deswegen so versessen gewesen auf den Posten des Direktors? Führte er deswegen mit so hartem Regime das Zepter in der Hand? Nie wieder das Opfer sein. Nie wieder unterliegen. //Nein! Ich will nicht! Aua! Bitte! Papa! Hilf mir! Papa? Ah! NEIN!// Angst. //Schuldig. Willkommen daheim.// Schuldig blieb schlagartig stehen, als Marcels Stimme mit einer Präsenz erklang, die eigentlich die Wände zum Erzittern gebracht hätte, wäre sie nicht nur in Schuldigs Gehirn existent. //Daheim! // Schuldig spuckte ihm dieses Wort entgegen, mit allem Abscheu, den er dabei empfand. //Ich weiß jetzt, was du an dem Iren findest.// Marcel ließ keinen Zweifel daran, wie er die spöttischen Worte meinte: //Du magst es also immer noch, hart genommen zu werden. Vermisst du mich so sehr?// Schuldig musste sich mit aller Gewalt dagegen wehren, ihm nicht zuzustimmen, wie damals, als Marcel ihm immer wieder vorgemacht hatte, er würde es doch wollen, ihm würde es doch genauso gefallen. //Du bist ein verdammtes Arschloch, Marcel! Verschwinde!// Und er warf sich ihm mit aller Kraft, allem Hass und aller Wut entgegen, und Marcel zog sich zurück. Mit einem keuchenden Geräusch atmete Schuldig aus und fand sich selbst auf dem Fußboden wieder, mit einer Hand auf den Fliesen gestützt, die andere vor die Stirn gedrückt. Verdammt, die Kopfschmerzen meldeten sich leise wieder. Farfarello neben ihm war stehen geblieben, wartete bis Schuldig wieder auf die Beine kam. Mit stoischem Gesichtsausdruck und wildem Funkeln in dem einen Auge. Dieser herbsüße Duft nach Orangen war nur von einer Tür von ihm getrennt. Farfarello strahlte eine ungewöhnliche Hitze aus, er spürte seinen Pulsschlag so heftig, wie das Stoßen Belgas vor noch nicht einmal einer Stunde. Und nur ein lächerlich schmales Stück Holz war zwischen ihm und Belga. Zweimal kurz davor, und aller guten Dinge sind drei, oder? Seine Lippen zogen sich zu einem breiten Grinsen auseinander, während er dort auf dem Flur kurz vor dem Besucherraum stand und auf Schuldig wartete. Crawford drehte leicht den Kopf in die Richtung der Beiden, fixierte intensiven Blickes Farfarellos Blick, ließ die Lider kurz zu schmalen befehlsgewohnten Schlitzen schließen und wieder öffnen, Befehle in Nanosekunden, ohne Worte: „Keine Sperenzien hier, alle beide nicht.!“ Dann sah er Nagi an: „Wartet im Besucherraum. Ich bin in...“, er wandte seinen Blick kurz vom Gesicht des zu ihm hochschauenden jungen Japaners ab zur Tür, die direkt zu Belgas Büro führte, dann sah er ihn wieder mit zuversichtlichem Ausdruck an. „... knappen fünfzehn Minuten wieder draußen. Dann gehen wir.“ Noch ein kurzer Blick zu Schuldig, der noch immer die Stirn runzelte, und Farfarello, der hinter seinem Teamkollegen den Besucherraum betrat. Er trat vor die Bürotür, in dem Moment, als Belga sie öffnete. „Belga“, grüßte Crawford, mit leichtem Kopfnicken. Sollte der junge Direktor überrascht sein, ihn direkt vor seiner Tür vorzufinden, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Crawford“, grüßte er zurück, mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, und trat einladend einen Schritt zur Seite. „Was verschafft mir die Ehre?“ Mit einer Geste bedeutete er seinem Gast, Platz zu nehmen, hatte jedoch selbst nicht die Absicht, sich hinzusetzen. Er nutzte gern den psychologischen Vorteil, auf seinen Gesprächspartner herab zu blicken. Crawford blieb stehen, dieses Spielchen kannte er auch. Angelegentlich interessiert schaute er kurz aus dem Fenster, um dann den Mann anzusehen, mit dem er schon immer im Wettstreit gelegen hatte. Auch er verzog die Lippen zu einem Lächeln und verstärkte seine mentale Barriere. "Nein danke, so lange sollte es nicht dauern. Ich vervollständige nur das Team wieder." Seine obsidianfarbenen Augen blickten gleichzeitig kalt und belustigt. „Ja.“ Belga dehnte das Wort und fixierte den Amerikaner aufmerksam in dem Wissen, in seinem Gesicht genauso schwer lesen zu können wie in seinem Geist. Crawford gehörte zu den wenigen Menschen auf der Erde, deren Gedanken Marcel nahezu verborgen blieben. Sehr schade. „Leider kann ich Farfarello noch nicht gehen lassen. Es sind weitere Testreihen mit ihm erforderlich.“ Der Franzose kreuzte die Arme vor der Brust, seine Augen blitzten wie ein klarer Gletscherbach. Er würde keinen Millimeter weichen. Dennoch musste es eine Möglichkeit geben, hatte Crawford sie doch alle vier gehen sehen. Jetzt konzentrierte er sich auf die unmittelbare Zukunft, um dieses Ziel auch zu erreichen. Und eine düstere Ahnung nahm von ihm Besitz, dass Belga etwas von ihm wollte, es ging ihm nicht um Farfarello, auch wenn er das Gespräch eine Weile bei diesem Thema halten würde – Farfs Unzurechnungsfähigkeit. Aber Belga ging es um eine andere Sache, etwas, das Crawford nicht würde abschlagen können, weil Belga einen Trumpf ausspielen würde. Was genau, war noch nicht zu erkennen. Crawford blickte seinem Gegenüber in die Augen. „Weitere? Welche stehen aus? Sowie ich weiß, haben die Bluttests keinerlei Veränderungen gezeigt. Biokinetik lässt sich nicht genetisch verändern.“ Crawford wechselte sein Standbein, verschränkte die Arme und legte den Kopf leicht schräg. Obwohl er Zeit schinden wollte, um herauszubekommen, was Marcel wirklich von ihm wollte, schätzte er doch dessen Fähigkeiten, was Genetik betraf. So also war er wirklich interessiert an der Beantwortung der Frage. Außerdem wäre er über eine mögliche positive Veränderung von Farfarellos – nun ja, man könnte fast sagen – Seelenleben recht zufrieden, wenn Marcel ihm sozusagen aus Versehen so eine Möglichkeit anbieten würde. Doch solche ethischen Anwandlungen ließ er nicht durchblicken, hier niemals und schon gar nicht direkt Marcel Belga gegenüberstehend. „Dein Wissen ist schon korrekt.“ Belga sprach langsam und konzentriert und erwiderte den Blick, ohne auch nur eine Sekunde die Augen abzuwenden. „Allerdings habe ich den dringenden Verdacht, dass damals schlampig gearbeitet wurde. Ich habe Farfarello beobachtet. Eingehend, auch und vor allem in Stresssituationen. Er hat deutliche...“ Er zögerte kurz. „Nun, nennen wir sie mal Aussetzer. Mit dieser Persönlichkeitsstörung hätte er eigentlich nie auf Außenmission gehen dürfen. Es ist mir ein Rätsel, wie du ihn aus dem Labor bekommen hast.“ Sein Blick sagte mehr als deutlich: Hätte er damals schon die Leitung über Rosenkreuz gehabt, hätte er ihn nicht gehen lassen. „Und erzähl mir nicht, du hättest ihn unter Kontrolle. Vielleicht in einem gewissen Rahmen. Aber die Berichte aus Tokyo und nicht zuletzt die letzte Mission zeigen deutlich, dass er ein enormes Sicherheitsrisiko ist, und meine persönliche Prüfung hat das bestätigt. Wir haben neue Wissenschaftler, neue Medikamente. Ich ordne an, dass er auf unbestimmte Zeit in unser Untergeschoss zurückkehrt.“ „Das denke ich nicht. Deine Verdachtsmomente in Ehren, aber die tragen nicht dazu bei, dass er ohne mein Wissen Futter für obskure Wissenschaftler werden wird.“ Crawford erlaubte sich ein leichtes Lächeln. „Deine Anordnungen betreffen uns nicht. Das weißt du. Aber natürlich arbeiten wir gerne mit dir zusammen. Sag mir, inwiefern du Farfarello in Streßsituationen testen willst, und ich nehme es persönlich mit einem deiner ausgewählten Wissenschaftler in die Hand. Und keinesfalls stationär.“ Er machte einen Augenblick Pause und sprang dem Löwen ins geöffnete Maul – bildlich gesehen, natürlich. „Und natürlich würde die Leitung größtenteils bei dir liegen.“ Und dann wartete Crawford ab, Belga strebte so sehr nach Macht, dass er manchesmal sein Ziel leicht aus den Augen verlor und einfach mehr und mehr Macht um sich sammeln würde. Ohne die Konsequenzen zu beachten. Und vielleicht sprang Belga auch einfach auf diese andere Sache an. Crawford hatte momentan allzu viele Zukunftsstränge vor sich, als dass er einen fest greifen konnte, und momentan zählte auch mehr, sie alle heil aus dem Gebäude zu kriegen, erst einmal. Belga starrte Crawford einen Moment wortlos an. Dann hob er den Blick und begann schallend zu lachen, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Mir scheint, ich muss deutlicher werden: Natürlich betreffen euch in diesem Fall meine Anweisungen, dies ist eine interne Rosenkreuzangelegenheit. Und glaub mir, du wirst noch froh sein, wenn wir das unter uns regeln. Ohne SZ.“ Er neigte den Oberkörper leicht nach vorne, und seine Stimme wurde gefährlich leise, als er weiter sprach: „Oder stimmt es etwa nicht, dass Farfarello in jener Nacht in Tokyo einen der hohen Funktionäre getötet hat? Was, Brad, geschieht, wenn SZ davon erfährt?“ Auch Brad lächelte leicht, behielt aber seinen Stand bei. „Und warum weiß SZ noch nichts von deinen Behauptungen? Falls solche haarsträubenden Geschichten stimmen sollten, machst du dich zum Mitwisser aus Verschweigen. Und du bist vorsichtig genug, das einzukalkulieren, Marcel. Also was soll das? Und erzähl mir nicht, du handelst aus reiner Menschenliebe.“ Ein klein wenig an Wut hatte sich in seine Stimme eingeschlichen. Verdammt, warum wusste Marcel davon. Er hasste es, in solchen Situationen zu schwimmen, keinen Fuß auf den Boden zu kriegen. Er wusste und Marcel wusste wahrscheinlich auch, dass er sich gerade in hohlen Drohgebärden befand. Sein Verstand arbeitete fieberhaft, um wenigstens einen kleinen Trumpf in der Hinterhand zu haben. „Keine Sorge, so etwas würde ich doch nicht sagen. Ich wollte lediglich zuerst mit dir darüber sprechen, bevor ich SZ die Sache melde. Schließlich sind wir alle Rosenkreuzer. Sei dankbar. Allem Anschein nach möchtest du den kleinen Iren zurück. Ich denke, er gehört hier her. Meine Gründe habe ich dargelegt. Nenn du mir einen, ihn gehen zu lassen. Hat er vielleicht auf deine Weisung hin gehandelt, Brad?“ Marcel rieb sich die Hände. Nur innerlich natürlich. Endlich hatte er Crawford da, wo er ihn immer schon haben wollte: In seiner Hand. Sein Mundwinkel verzog sich zu einem überlegenen Grinsen. „Ich muss mich nicht erklären, um ihn mitzunehmen. Er gehört zu meinem Team.“ Dann zog Crawford herausfordernd eine Augenbraue hoch, hatte seine Stimme wieder unter eiskalter Kontrolle. „Wenn du meinst etwas 'besprechen' zu müssen, regelst du es mit mir. Nicht mit meinen Mitarbeitern.“ „Touches. Ich mag es auch nicht, wenn man ohne mein Wissen meine Wohnung betritt. Aber lenk nicht vom Thema ab.“ Noch überwog das Amüsement, doch Belga ärgerte sich ein wenig über Crawfords Arroganz. Gut, er hatte nicht erwartet, dass der Amerikaner um Gnade wimmernd vor ihm auf den Boden fiel. Es war schließlich Crawford. Doch wenigstens ein bißchen mehr Unsicherheit könnte er schon zeigen. Vielleicht war ihm der Ernst der Lage noch nicht so recht klar. Belgas Grinsen verschwand. „Jetzt hör mir gut zu, Brad Crawford. Es ist nicht eine Behauptung von mir, ich 8i]weiß, dass Farfarello wenigstens einen der Funktionäre getötet hat. Das allein ist schon Grund genug, ihn zu eliminieren. Die Frage, die sich mir stellt, ist die: Konntest du ihn nicht davon abhalten. Oder wolltest du es nicht? Diese Frage wird die SZ-Führung sicherlich genau so interessant finden wie ich. Ich bin jedoch so fair und höre mir erst an, was du zu sagen hast. SZ muss wirklich nicht alles wissen, n’est-ce pas? Also?“ Ein Zukunftsstrang drängte sich ihm förmlich auf. - Marcel Belga würde ihn sprechen lassen, interessiert, aber ohne mögliche Fallen für ihn und sein Team aufgebaut zu haben. – Und es war tatsächlich nur eine Frage von Tagen oder Monaten, bis irgendjemand anderes als Belga auf ihn zukam. Und Belga hatte ebenfalls Potential. Brads Blick blieb ernst, als er die nächsten Sätze formulierte. „Es ist dir vielleicht schon aufgefallen, wie furchtbar alt SZ ist, oder? Sie wollen die Welt ändern, drehen sich aber immer im Kreis. Nun, mir gefällt die Welt anders auch besser. Und ja, SZ muss wirklich nicht alles wissen. Also?“ Auch Marcel blieb jetzt ernst. „Bis dahin scheinen wir uns ja einig zu sein. Weiter.“ „Mich interessiert die Vergangenheit nicht. Wer wen wann getötet hat, ist mir völlig egal. Mich interessiert die Zukunft, die daraus resultiert.“ Crawford fixierte Belga und zog dabei die Augen leicht zu Schlitzen zusammen. „Und es ist mir auch egal, ob SZ dabei auf der Strecke bleibt. Oder wer auch immer mir im Weg steht.“ Dann hob er um einige Millimeter das Kinn, der Blick wieder offen und noch immer ernst. Marcel schien einen Moment zu überlegen, bevor er antwortete: „Im Moment steht Farfarello dir im Weg. Er wird für weiterführende Tests hier bleiben. Keine Sorge, ich habe nicht vor, SZ Meldung zu machen. Du kannst dir zur Vervollständigung deines Teams jemand anderen wählen.“ Sein Gesicht bekam kurz diesen nach innen gerichteten Ausdruck, den Crawford nur allzu gut von Schuldig kannte: Telepathische Kommunikation. Und dann kam es auch schon: //Scheiße, Brad! Was ist los?// Schuldig. Fünf bewaffnete Wachleute hatten den Besuchsraum betreten. //Verhaltet euch ruhig.// Und laut zu Belga: „Nein. Keinesfalls. Farfarello, sowie alle anderen gehören zum Team, jeder ist wegen seiner Fähigkeiten her ausgesucht worden.“ Brad atmete unbewusst tiefer ein als nötig. „Was willst du von mir? Die Wahrheit?“ //Schuldig. Laß Nagi Belgas 'Vater-Komplex' wissen. Er soll damit jede Kleinigkeit über ihn herausziehen, egal wie und egal wo. Und was auch geschieht, bleibt ruhig! Dann schaffen wir alle es raus hier. Das ist keine Bitte!// Seine Kiefermuskulatur verspannte sich kurz, dann sprach er weiter. „Um meine Ziele zu erreichen, benötige ich die Fähigkeiten der Drei dort draußen ebenso wie meine eigenen.“ Gottverdammt – er hasste Marcel Belga abgrundtief! „Mein Ziel, SZ zu zerstören.“ Stille trat ein, bis nach einem kleinen Moment seine Stimme erneut erklang. „Das ist alles.“ Die Stille, die diesen Worten wiederum folgte, wirkte beinahe erdrückend. Marcel zog eine Augenbraue hoch und stand wie erstarrt. Damit hatte er nun wahrhaftig nicht gerechnet. SZs Spitze aus dem Weg räumen, ja. Selbst das Zepter in die Hand nehmen, ja. Reformen, die jetzt nicht möglich wären, ja. Aber SZ zerstören? Auf so eine waghalsige Idee war selbst er noch nicht gekommen. Obwohl der Gedanke durchaus etwas für sich hatte, wenn er so darüber nachdachte. Er holte tief Luft und ließ sie langsam durch die halb geschlossenen Lippen entweichen. „Das ist alles? Mon dieu, Brad, weißt du, was du da sagst?“ Er ging ein paar Schritte hin und her und presste die Hände wie im Gebet kurz aneinander. „Das schaffst du niemals, das ist Wahnsinn!“ Er trat hinter den Schreibtisch und setzte sich in seinen ledernen Stuhl. „Jedoch“, er machte eine Pause, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und verzog die Lippen zu einem wölfischen Grinsen, „ich werde dich nicht davon abhalten. Ich werde schweigen wie ein Grab. Meinetwegen nimm Farfarello, nimm, wen immer du brauchst. Aber ich möchte eine Gegenleistung dafür von dir.“ Wieder verschwand das Grinsen so schnell, wie es gekommen war. „Setz dich doch.“ Jetzt nahm auch Crawford Platz, er kam sich vor, wie durch einen Reißwolf gezogen. Es wunderte ihn etwas, dass Marcel so ruhig geblieben war. Andererseits war er, Marcel, anscheinend mit ihm noch nicht fertig. Brad Crawford war ziemlich froh, dass er jetzt einen Sitz unter sich hatte, mit wackeligen Beinen vor Belga zu stehen, gehörte nicht wirklich zu seinen geheimen Wunschträumen. „Was willst du, Marcel?“ Wenigstens hatte er seine Stimme unter Kontrolle, wenn sie auch momentan recht flach wirkte. „Einen Gefallen. Du wirst mir etwas besorgen. Und darüber Stillschweigen bewahren. So wie ich auch dein kleines Geheimnis für mich behalten werde. Bist du dazu bereit?“ „Ja.“ Natürlich wäre er dafür - wofür auch immer - bereit. Dem Teufel die drei goldenen Haare stehlen, so oder so ähnlich schätzte er Marcels 'Gefallen' ein. "Die Informationen, hier und jetzt oder später?" „Da du schon mal da bist, gleich jetzt.“ Marcel zögerte, und sprach mit gesenkter Stimme weiter: „Es geht um die DNA-Proben, die uns hier entnommen wurden. Sicherlich weißt du von den Klonversuchen? Meinen Informationen zufolge existiert unterhalb des Hauptquartiers in der Schweiz ein geheimes Labor, wo sie Rosenkreuz-Klone züchten. Meine Anwesenheit dort würde auffallen. Du dagegen bist ständig da. Sie vertrauen dir. Ich möchte, dass du in das Labor gehst. Und mir einen Klon mit meinen Genen bringst. Lebend.“ „Habe ich freie Hand das Wie betreffend?“ Crawford zog die Brauen zusammen, seine Augen blickten kurzzeitig an Belga vorbei, dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck wieder. „Es wäre nötig, dass du mir...“, er lachte kurz und humorlos auf, „... nun ja, ‚vertraust’ ist das falsche Wort zwischen uns beiden, aber ‚nicht zweifelst’ würde passen... Nun, du hast mich aus der Schweiz fort gerufen, sozusagen, und meine Mission dort ist noch nicht beendet. Also werde ich mich wohl wieder auf den Weg machen.“ Er beugte sich leicht vor. „Und danach ist unsere kleine Unterredung erledigt“, schloss er, konnte aber eine kleine Anhebung der Modulation des letzten Wortes nicht verhindern und knirschte gedanklich mit den Zähnen. „Wir gehen. Alle.“ Er setzte sich in Bewegung, die Wachlakaien keines Blickes würdigend, aber noch einen visionären Blick in Belgas Büro gerichtet. //Na endlich!// knurrte Schuldig ungeduldig, doch Crawford kannte ihn gut genug, um die Erleichterung heraus zu hören. Und auch Schuldig warf noch einen Blick auf diese Bürotür, die so viele Erinnerungen barg, an die er lieber nicht mehr dachte. Er hasste diese Tür, und er hasste den Mann dahinter. Von Marcel war nichts zu sehen und nichts zu spüren. Was immer Crawford da drin mit ihm besprochen haben mochte, Marcel ließ sie gehen! Niemand stellte sich Ihnen in den Weg. Nur Geisel stand mit spöttischem Grinsen und selbstherrlich gekreuzten Armen neben dem Wagen. Erst im letzten Moment trat er zur Seite. //Dir wird das Grinsen schon noch vergehen//, fuhr Schuldig ihn an. Wie auf ein stilles Kommando drehte sich auch Nagi in Geisels Richtung, bereit, seine Wut über die Demütigung von vorhin im wahrsten Sinne des Wortes gegen ihn zu schleudern. Doch Crawfords Stimme durchschnitt die Luft und erstickte den aufkommenden Streit mit drei knappen Worten. Für Geisel hatte er nur einen kurzen, kalten Blick. „Wir fahren jetzt.“ Wie immer gehorchte sein Team sofort, und Schuldig und Nagi stiegen ein. Farfarello wurde von Schuldig auf die Rückbank gezogen, und Crawford fuhr mit durchdrehenden Reifen an, noch bevor sie die Tür geschlossen hatten. Geisels Gestalt verschwamm in der Staubwolke, die dieses Manöver auf dem losen Kies verursachte. Grimmig konzentriert lenkte Crawford den Wagen die engen Serpentinen hinunter. Obwohl er seine Gruppe wieder vollzählig hatte, war das Gespräch mit Belga alles andere als siegreich verlaufen. Nach Crawfords Meinung wusste Belga viel zu viel über Schwarz. Doch ein Problem nach dem anderen. Für Belga würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, später, wenn der Zeitpunkt günstiger sein würde. Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Grinsen. Er musterte durch den Rückspiegel Schuldig und Farfarello auf der Rückbank. Der Ire sah blass aus, selbst für seine Verhältnisse, und hielt die Augen geschlossen. Aber seine Selbstheilungskräfte ließen ihn nie im Stich. Crawfords Augen fingen Schuldigs Blick ein. „Wie waren sie noch gleich – die fünfzig Wege?“ Einer davon würde ihrer sein. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)