Heavens Hell Act von Angie_Cortez (Wenn der Himmel zur Hölle wird) ================================================================================ Prolog: -------- So, hier mal etwas ganz anderes von mir, was sich von meinen anderen Arbeiten vielleicht wesentlich unterscheidet. Ihr werdet das besser einschätzen können, als ich, aber ich denke wir geben hier mal der Fantasy eine kleine Chance. Ein wenig Shonen-Ai darf dabei trotzdem nicht fehlen ;) Eure Angie ~+~+~+~+~+~ Prolog Sie waren alle schön, unvergleichlich und rein. Sie alle waren Geschöpfe des Himmels und niemand konnte ihnen das Wasser reichen, doch er, er war noch mehr. Er war schöner, er war reiner und er war verdammt. Ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass ich mich von ihr niemals wieder reinwaschen kann. Und doch frage ich mich: Kann Liebe Sünde sein? Sie predigen Liebe, sie Verkünden Frieden, sie wollen nur das Beste. Keine Lüge könnte jemals über ihre Lippen kommen. Sie sind ehrlich und vollkommen. Und doch: auch sie haben ihre Fehler. Riesige Fehler. Fatale Fehler, die den Tod bringen und ihre Reinheit in meinen Augen beschmutzen. Göttliche Wesen, ja, so schimpft ihr euch. Selbstgerecht und niederträchtig! Ich wünschte ich könnte euch alle töten, nur um ihn zu rächen. Ich wünschte das alles wäre ihm niemals widerfahren. Fahrt allesamt in die Hölle, ich würde euch in die Ewige Dunkelheit jagen, dass ihr für immer so leidet wie er! Ihr alle habt den Tod verdient, nicht er. Nicht ich. Nicht unsere Liebe… Oh Samsa … ich war so machtlos. Ich konnte nichts tun und fühle mich elend und schwach. Was auch immer nach unserem Leben kommen mag, ich werde dich finden, das schwöre ich. Wir werden vereint sein, dass weiß ich. Nach nichts strebe ich mehr. Mein Engel, mein Geliebter, mein Leben. Kapitel 1: Die Liebe Gottes --------------------------- Kapitel 1 Die Liebe Gottes Er schlug die Augen auf. Das helle Licht blendete ihn nicht, nein es war sogar angenehm. Er lag auf dem Boden und sah sich mit seinen neuen Augen um. Gott hatte ihm einen Körper geschenkt, den Körper eines Engels und auf seine fragilen Züge schlich sich ein Lächeln. Er streckte seine Arme und Finger, wie um zu probieren, ob es wirklich wahr war. Ja, und es fühlte sich so gut an. Er kniete sich hin und betrachtete seine Umgebung aus eisblauen Augen. Überall wimmelte es von Engeln. Einige waren stehen geblieben und betrachteten ihn entzückt. Es passierte nicht oft, dass ein neuer Engel geboren wurde. Ihre Gesichter waren hell und freundlich, sie waren wunderschön und liebreizend anzusehen. Einige trugen das blonde Haar zu einem Zopf gebunden, andere ließen wallende Locken über ihre Gewänder fließen. Andere wiederum hatten kurzes Haar und schärfer geschnittene Gesichter. Er verstand den Unterschied noch nicht. Doch dann kam die Eingebung. Die einen, mit den weichen Gesichtern, dem runden Busen und dem wallenden Haar waren weibliche Wesen. Die anderen, etwas grober, mit kurzen Schopf aber ebenso schön waren männlich. Er war durch und durch glücklich. In dieser Welt wollte er sein ewiges Leben verbringen und nirgendwo anders. Samsa war sich dessen bewusst, dass er selbst unter den Engeln, die alle wunderschön waren, noch als etwas Besonderes galt. Es machte ihn glücklich und auch ein wenig stolz, doch nicht überheblich. Im Himmel galt er als das reinste Wesen ihrer Art und Gott selbst hatte ihn zu seinem persönlichen Schützling gemacht. Er diente ihm direkt. Samsa lief die Strecke zum göttlichen Palast. Er wollte den hohen Herrn nicht wütend machen, weil er womöglich zu spät erschien. Die Wachen öffneten ihm schon das Tor, als er ihnen entgegenlief. „Seid gegrüßt“, sprach er sie höflich an, bevor er jetzt behutsam weiter ging. Zwar hatte er oft die große Ehre den göttlichen Palast betreten zu dürfen, dennoch beeindruckte er ihn jedes Mal wieder mit seiner atemberaubenden Architektur. Samsa setzte seinen Weg fort und blieb dann unwillkürlich stehen. Langsam ließ er sich auf die Knie nieder und murmelte ergeben. „Ich grüße Euch, Eure Heiligkeit.“ „Sei auch du gegrüßt, Samsa“, schallte nun die tiefe Stimme des Herrn aus dem nichts durch den Raum. Samsa lächelte. „Womit kann ich Euch dienen, mein Schöpfer?“ fragte er und senkte wieder den Kopf. „Ich habe einen besonderen Auftrag für dich. Es behagt mir nicht, dass du der Einzige bist, den ich zu schicken wage, denn es wird äußerst gefährlich sein, doch mir bleibt nichts anderes übrig. Du Samsa hast mein volles Vertrauen.“ „Ich danke Euch“, wisperte der junge Engel unterwürfig und lauschte dann aufmerksam der tiefen, reinen Stimme seines Schöpfers, die ihn in einen Auftrag einwies, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Memnoch, der Herr der Unterwelt hatte vom Schöpfer verlangt, einen Engel in sein Reich zu entsenden, um über die Seele eines Menschen zu verhandeln. Die Wächter am goldenen Tor hatten seine Seele aufgenommen, obwohl der Fürst der Finsternis einen Anspruch auf sie hatte. Nun wollte er diesen Anspruch geltend machen. „Es ist die Seele eines Kindes, Samsa. Kinderseelen sollten nicht in der Hölle schmoren, egal wie schlecht ihre Taten gewesen sein mögen. Mache dies dem Fürsten verständlich und kehre mit seiner Zustimmung zu mir zurück, dann werde ich dich belohnen, mein Sohn. Nimm meinen Segen mit auf deinen Weg und meine unendliche Liebe. Trage Sorge dafür, dass diese Kinderseele niemals die Qualen der Hölle erleiden muss.“ Samsa nickte und verbeugte sich tief vor dem Thron seines Herrn. Noch nie war ein Engel ins Reich der Dämonen gereist. „Sei besonders umsichtig auf deinem Weg. Du bist das reinste Wesen in diesem Universum und das werden die Dämonen spüren. Sie werden dir sehr feindlich gegenübertreten. Gebe dich niemals mit ihnen ab und höre nicht auf ihre giftigen Worte. Sie werden versuchen wollen deine Reinheit zu zerstören. Gib ihnen keine Gelegenheit dazu.“ Die Reise bis zu den Toren der Hölle war lang und führte den jungen Engel über die höchsten, vereisten Gipfel der Berge, in Regionen, die kein Mensch jemals erreichen würde. Samsa spürte die Kälte nicht. Auch die dünne Luft, die jedem Menschen den Tod gebracht hätte, bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten. Er bestaunte die Schönheit der unberührten Natur und war entzückt von dem treibenden Schnee, den Hohen Gebirgszügen und der Sonne, die hier so unendlich fern schien. Am zweiten Tag nach seinem Aufbruch aus dem Himmel erreichte Samsa das Tor zur Hölle. Es schien direkt aus dem Fels gemeißelt zu sein, dass es umgab und jeder unkundige, der sich hierher verirrte konnte es für eine Zeichung halten. Sie war prunkvoll und doch düster. Samsa trat näher und besah sich das Tor genauer. Es musste einen Weg hinein finden, denn es schien niemand anwesend, der ihn einlassen würde. Da erklang ein gackerndes Lachen hoch über ihm. Samsa zuckte erschrocken zusammen und trat ein wenig zurück, um den Witzbold sehen zu können. Hoch oben auf dem höchsten Punkt des Tores, lag ein menschliches Skelett und schien aus leeren Augenhöhlen auf ihn hinunter zu glotzen. Wieder erklang das Lachen und das Skelett warf den Kopf in den Nacken. Es schien sich köstlich zu amüsieren. Samsa betrachtete das Geschöpf staunend. Ob es ein Dämon war, oder nur eine verzauberte Kreatur? „Sei gegrüßt mein Freund. Was ist denn so lustig?“ sprach Samsa es furchtlos an und wieder erlag das Skelett einem Lachanfall. „Ein Engel!“ brachte es gröhlend hervor. „Ein Engel vor diesen Toren! Und Freund nennt es mich, das Engelein!“ „Du bist wirklich sehr unhöflich“, bemerkte Samsa gekränkt. „Bitte sag mir, wie ich hinein komme. Mein Schöpfer gab mir einen Auftrag. Ich muss zu deinem Fürsten.“ „Pha! Nein, niemals! Mir hat niemand erlaubt einen Engel einzulassen. Wenn sie es also vergessen haben, musst du wohl warten, bis sich jemand erinnert. Nein, ich lasse keine Engel ein. Bei eurem Leuchten und eurer Schönheit werden mir die Dämonen erblinden und Memnoch macht Knochenstaub aus mir. Niemals!“ schimpfte das Wesen und machte es sich auf seinem Vosprung gemütlich. „Gut, sie werden mich schon nicht vergessen haben“, gab Samsa freundlich zurück. „Sag mir, um uns etwas die Zeit zu vertreiben, wer bist du?“ Das Skelett gackerte wieder. „Der Torwächter, Dummchen! Der Wächter der Tore zu Hölle. Das siehst du doch mit deinen himmelblauen Augen.“ „Bist du ein Dämon, oder ein anderes magisches Wesen?“ fragte der Engel unbeeindruckt von der Unhöflichkeit des anderen weiter. Seine Wissbegier war entfacht. Es gab so viel zu lernen hier unten. „Ein Dämon!“ Die Kreatur seufzte. „Nein, ich bin kein Dämon, Junge. Dämonen sind wie du, nur leuchten sie nicht so. Sie sind eben keine Engelchen, sondern Kreaturen des Bösen. Trotzdem werden dich ihre hübschen Fratzen noch verwundern. Das Böse kommt immerhin unbedingt als Troll daher. Ich bin nur ein Mensch. Vielmehr war ich einer. Ein besonders gemeiner, wie du dir vorstellen kannst. Der Fürst hat meine bleichen Knochen unsterblich gemacht und lässt mich dafür seine Tore hüten. Es ist gar kein schlechter Job, glaub mir. Nur diese Kälte, sie steckt mir so in den Knochen!“ Er kicherte. „Wäre deine Seele rein gewesen und in den Himmel eingezogen, so müsstest du nicht hier ausharren“, belehrte Samsa ihn liebevoll. „Dann täte es ein anderer, na und?“ gab der Haufen Knochen zurück und klackerte mit seinen Kiefern. „Hast du einen Namen?“ fragte Samsa. „Rumpelstilzchen!“ kam die schlagfertige Antwort, gefolgt von einem erneuten Gackern. Doch Samsa verlor noch lange nicht die Nerven. Er war ein Engel und hatte somit eine Engelsgeduld. „Nun sag schon. Ich sage dir auch meinen Namen. Ich bin Samsa. Und du?“ Das Wesen stutze. „Samsa? Samsa? Warum sagst du das denn nicht gleich? Samsa ist er! Der Fürst macht mich zur Schnecke und verspeist mich dann! Oh … ooohhhh!“ jammerte er. Die Tore gaben ein knackendes Geräusch von sich und schwangen dann lautlos auf. Samsa trat einen Schritt zurück und blickte in den gähnenden schwarzen Abgrund vor sich. Wärme schlug ihm entgegen und der Schnee zu seinen Füßen schmolz augenblicklich in der heißen Luft. „Willkommen“, ein Dämon tauchte unvermittelt vor ihm auf, doch dieses Mal erschrak Samsa nicht. Kapitel 2: Daimon ----------------- Kapitel 2 Daimon „Jacob, wieso lässt du unseren heiß ersehnten Gast so lange hier draußen stehen? Hast du etwa vergessen, was ich dir aufgetragen habe?“ Der Dämon hatte eine betörende Stimme, die einige Sekunden lang Samsas Verstand benebelte, bevor er dieses unangenehme Gefühl mit einem Blinzeln vertreiben konnte. Trotz dem er mit dem Skelett sprach, ließ der Dämon seinen Blick auf dem Engel ruhen. Ein unerklärliches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Er hat nicht gesagt, wer es ist!“ kreischte Jacob. „Das habe ich wirklich nicht. Verzeiht, ich wusste nicht, was mich erwartet“, Samsa neigte leicht den Kopf um seinen Dank zu zeigen. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Daimon. Ich bin der erste Sohn des Fürsten der Finsternis und wurde geschickt, um dich zu ihm zu führen. Du wirst verstehen, dass es nicht ganz ungefährlich ist für einen, zugegeben so wunderschönen Engel wie dich, die Hölle zu betreten. Ich trage Sorge dafür, dass dir kein einziges goldenes Haar gekrümmt wird.“ Daimon lächelte wieder. Samsa wusste nicht genau, wie viel er den Worten seines Gegenübers trauen konnte. Immerhin war er ein Dämon und der Schöpfer hatte ihn ausdrücklich vor deren geübten Zungen gewarnt. „Ich bin dir zum Dank verpflichtet“, erwiderte Samsa aufrichtig. Der Dämon hatte glänzend schwarzes Haar und ebenso schwarze Augen. Seine Haut war makellos weiß, wie die eines Engels. Doch allein das Haar und die Augen sangen davon, dass er kein Geschöpf des Himmels sein konnte. Seine Schönheit war trotz dieses Umstands betörend. Samsa hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Dämonen und Engel sich so ähnlich waren. Memnoch hatte wahrlich ein Gegenstück zum Himmel geschaffen. Daimon griff nach Samsas Hand. Seine Berührung war erschreckend warm. Ohne federlesen führte er Samsas Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Bitte folge mir“, sagte er und wandte sich dann um. „Jacob, ich denke in diesem Fall kommst du noch einmal davon. Aber erlaube dir nie wieder so einen Fehler. Ich wurde dich in Scheibchen schneiden, wenn unser Ehrengast nicht gerade ein feiner Engel wäre.“ Mit zitternden Knien folgte Samsa seinem Führer. Es würde schwerer werden, als er es sich vorgestellt hatte, viel schwerer. Dieser Dämon war die reinste Verführung und Samsa wusste, welche Strafe ihn ereilen würde, wenn er dieser Verführung erlag. Die riesigen Tore schlossen sich hinter ihnen und langsam gewöhnten sich Samsas Augen an die anhaltende Dunkelheit. Er hielt sich dicht an Daimon, um nicht vom Weg abzukommen, der an tiefen Schluchten und brodelnder Lava vorbeiführte. „Es ist unerträglich heiß hier drin“, sagte Samsa leise. Er wollte seinen Führer nicht kränken, doch das Atmen fiel ihm immer schwerer. „Oh nein. Es ist unerträglich kalt im Himmel“, behauptete Daimon mit einem koketten Lächeln. „Sag, bist du wirklich ein Sohn des Fürsten?“ fragte Samsa ehrfürchtig. „Natürlich. Meinst du ich würde es wagen, eine Lüge dieser Art auszusprechen? Ihr armen prüden Engelchen“, Daimon lachte und nahm Samsas Arm um ihn etwas zu stützen. Selbst durch die wallenden Gewänder war seine Wärme noch zu spüren. „Memnoch schuf sich, nachdem ihn der Schöpfer verbannte, als erste eine Dämonin von unendlicher Schönheit. Er taufte sie Elria und nahm sie zur seiner Königin. Sie ist meine Mutter.“ „Das ist Sünde“, sagte Samsa leise. „Pha, Sünde!“ Daimons Augen schienen für einen Moment blutrot zu glühen, doch es war so schnell vorbei, dass Samsa seinen Augen nicht traute. „Du bist wirklich ein perfekter Engel. Ein armes, dummes Lämmchen. Ihr merkt nicht, wie widersprüchlich euer Leben ist. Ihr predigt von Liebe und den Spross der Liebe, die körperliche Liebe, das Gebären der Frucht der Liebe, das verachtet und verabscheut ihr!“ „Oh nein, nein du weißt, dass wir es nach dem ehernen Bund bei den Menschen als Segen betrachten und ihnen gute Eigenschaften mit auf den Weg geben um ein glückliches Leben zu führen. Also …“ Doch Samsa wurde jäh unterbrochen. „Und was ist mit euch selbst? Dürft ihr lieben?“ fragte Daimon herausfordernd und blieb stehen. „Hast du jemals geliebt?“ Samsa konnte ihn nur anstarren. „Ich …“ „Ja, die Antwort liegt auf der Hand Samsa Gottessohn. Du hast niemals geliebt. Dein Herz ist kalt wie das Eis dort zwischen den Höchsten Bergen. Kalt wie ein Gletscher. Gott hätte dich nicht auf diese Reise geschickt, wenn er dich für eine liebende Kreatur halten würde. Du bist einsam nicht wahr? Du bist wunderschön, doch du hast keine Freunde, gib es zu. Nichts ist leichter zu durchschauen ein Gotteslämmchen. Ihr habt keinen eigenen Kopf, keine eigenen Ziele. Ihr seid abhängig wie ein Drogensüchtiger. Doch lass dir eines gesagt sein, Schönling. Hier unten ist kein Gott, hier unten regiert kein Gott. Hier gibt es dich und mich und tausende Dämonen die mit deinem Körper Dinge tun würden, wie du sie dir in keinem Alptraum ausmalen könntest. Also beginne deinen Verstand einzusetzen. Du musst nicht dumm sein.“ Diese leidenschaftliche Ansprache hatte Samsas Gedanken völlig durcheinander gebracht. Er musste an die Worte seines Schöpfers denken, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Wortgewandtheit der Dämonen war gefährlich. „Du versuchst mich zu verunsichern und mich auszuschalten seit du aufgetaucht bist. Bitte lass das. Lass uns nicht streiten. Du lebe dein Leben und ich werde es nicht mehr wagen dies zu bewerten. Im Gegenzug lass mir mein Leben. Bald werde ich so wie so wieder verschwunden sein.“ Daimon nickte und wandte sich um. „Komm, Memnoch wartet.“ Sie schritten einige Minuten stumm nebeneinander her. Samsa versuchte all seine Eindrücke und Gedanken zu ordnen, wobei sein Blick immer wieder den Dämon streifte. Er hatte ihn ungewöhnlich höflich empfangen. Es behagte ihm nicht, dass sie nun schwiegen. „Daimon, darf ich dich trotzdem etwas fragen?“ richtete er sich unvermittelt wieder an den Dunkelhaarigen. „Natürlich.“ „Wenn du es in menschliches Maßstäben misst, wie viele Jahre lebst du dann schon?“ fragte Samsa. Den Menschen konnte man es ohne weiteres ansehen, wie alt sie waren, doch bei Engeln und Dämonen hatte man keine Chance. Manch ein Engel wusste es selbst nicht genau. „Vielleicht 2000 Jahre, ich weiß es nicht ganz genau“, sagte Daimon achselzuckend. „Ich war der erste Dämon, nach der Geburt Jesu. Sozusagen die Antwort auf dieses Puppentheater, das die Menschen dazu bringen sollte endlich ihrem Schöpfer zu huldigen, wie er es wollte. Und du?“ Samsa dachte einen Moment darüber nach, dann sagte er langsam: „Noch nicht einmal ein ganzes Jahr.“ Ein leises Kichern erklang. Samsa wunderte es, wie viel Gelächter er seit seiner Ankunft vor den schwarzen Toren schon gehört hatte. Im Himmel herrschte meist vornehmes Schweigen. „Noch fast ein Baby.“ „Noch fast ein Baby.“ „Saya, Geya, beleidigt nicht unseren Ehrengast.“ Samsa fand, dass feiner Spott in Daimons Stimme mitschwang. Er sah sich suchend nach den Neuankömmlingen um. Zwei absolut identische Dämonen traten aus dem Schatten. Auch sie standen Daimon in Schönheit und Anmut in nichts nach. Der eine Zwilling lehnte sich gegen die Schulter seines Bruders und betrachtete Samsa wachsam und neugierig. „Ein Engel“, sagte er verblüfft. „Ein echter Engel“, echote sein Bruder. Selbst ihre Stimmen unterschieden sich nicht voneinander. Samsa warf einen hilfesuchenden Blick auf Daimon, der irgendwie liebevoll lächelte. Es war ein paradoxes Bild und wollte so gar nicht zu dem passen, was man Samsa über das Leben und Verhalten der Dämonen beigebracht hatte. „Das sind meine Brüder“, sagte Daimon, der Samsas Blick bemerkt hatte. Einer der Zwillinge huschte an Daimons Seite und musterte Samsa mit einem schelmischen Blick. „Was macht er hier?“ „Wozu ist er hier?“ Daimon lachte und tätschelte beiden Zwillingen das Haar. „Sei ihnen nicht böse, sie sind noch sehr jung.“ „Warum spotten sie dann über mein Alter?“ fragte Samsa. In seiner Stimmen schwang keinerlei Schärfe oder Kränkung mit. Er konnte selbst Beleidigungen in einem Ton aussprechen, der wie ein Gebet klang. „Sie sind jung und verspielt. Das ist alles. Lass dich nicht von ihnen ärgern. Jungs, berichtet unserem Fürsten, dass unser Gast angekommen ist. Wir sind auf dem Weg. Beeilt euch!“ Die Zwillinge kicherten begeistert. „Schnell wie der Wind!“ Sie nahmen sich an der Hand und waren prompt verschwunden. Samsa starrte auf den Fleck, auf dem die beiden wunderschönen Zwillinge noch eben gestanden hatten. „Ich bin sehr … sehr verwirrt“, gab Samsa schließlich preis und sah Daimon an, als suche er die Antwort auf all seine Fragen in dessen schwarzen Augen. „Frag mich, ich werde dir alles erklären, was ich kann“, bot Daimon ihm an. „Hast du gar keine Angst, dass ich diese Dinge als Engel … also praktisch als dein Feind, lieber nicht wissen sollte?“ tastete sich Samsa vor. „Ich befürchte niemand würde dir im Himmel so offen gegenüber treten.“ „Das wundert mich gar nicht. Frag ruhig. Es tut gut einen Engel zu treffen, der ein wenig bei Trost zu sein scheint. Immerhin hat es gut 2000 Jahre gedauert, bevor ich diese Erfahrung sammeln durfte.“ Sie setzten ihren Weg langsam vor. Daimon wollte dem Engel in dieser völlig ungewohnten Umgebung nicht zu viel zumuten. Samsa stellte seine Fragen und bekam für jede eine Antwort, die ihn jedes Mal auf Neue überraschte. Es gab so viel zu lernen über die Dämonen und sie waren den Engeln gar nicht so unähnlich wie man annehmen wollte. Gab es Dinge, die Daimon verschwieg? Bemühte er sich vielleicht nur so, um den Engel abzulenken? Samsa wusste es nicht genau und das war die einzige Frage auf die er keine Antwort bekam, denn er stellte sie nicht. Kapitel 3: Die Heimat des Todes ------------------------------- Kapitel 3 Die Heimat des Todes Die Verhandlungen über die Kindesseele waren schwierig und Samsa brauchte viele gute Worte und viel Einfühlungsvermögen, um Memnoch überhaupt dazu zu bewegen zu verhandeln. Tag um Tag verstrich, an dem er im Thronsaal des Fürsten saß und bettelte und dem Herrscher der Hölle gut zuredete. Nach scheinbar endlosen Stunden kam er dann in die Gemächer von Daimon zurück, jedes Mal ausgelaugt und müde. „Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagen soll“, klagte er am dritten Abend seines Aufenthalts und ließ sich auf sein behelfsmäßiges Lager fallen. Daimon musterte ihn nachdenklich. „Sag, Samsa, kennst du den Tod?“ fragte er vorsichtig. „Nein“, Samsa setzte sich auf. „Aber er lebt bei euch, nicht wahr?“ „Ja, er bringt die Seelen mit und leitet sie dann dahin, wo sie hingehören. Er wählt zwischen Himmel und Hölle und er hat für diese Seele die Hölle gewählt. Frag ihn nach seinen Beweggründen und versuche ihn als Verbündeten zu gewinnen. So könntest du meinen Vater vielleicht überzeugen. Er gibt viel auf Katos Meinung. Und Kato gibt viel auf meine Meinung.“ Daimon lächelte Überlegen und Samsa brauchte einen Moment, um zu begreifen, was der Dämon da gerade gesagt hatte. „Das soll wohl eher heißen, dass ich dich als meinen Verbündeten brauche?“ fragte Samsa geradeheraus und Daimon lachte. „Gut kombiniert“, lobte er schelmisch. „Oh du …“, Samsa biss sich beinahe auf die Zunge, um keinen Fluch auszusprechen. Er hatte in den letzten Tagen zu viele böse Worte gehört hier unten. Am besten verbannte er sie aus seinem Gedächtnis bevor er zurück in den Himmel ging. „Ja sag es, sag es!“ stachelte Daimon in an. Seine Augen blitzen fröhlich. „Sag es und ich helfe dir!“ „Du willst mich nur verderben. Lass das!“ forderte Samsa. Daimon reichte das noch lange nicht. Er wollte den Engel richtig wütend sehen. Diese ewige Geduld machte ihn wahnsinnig. „Sag es, wirf es mir an den Kopf. Niemand hier unten wird dich dafür bestrafen. Ich helfe dir nicht, wenn du es nicht sagst!“ „Mistkerl!“ Es war mehr ein Hauch, als eine Beleidigung, aber Daimon amüsierte sich trotzdem prächtig. Das hatte er wirklich noch nie erlebt. Ein echter, reiner Engel, der fluchte. In Samsa steckte einiges an Potential. „Na gut“, lenkte der Dämon ein, nachdem er sich beruhigt hatte. „Wir werden Kato besuchen.“ Die Hölle war weit verwinkelt. Ohne einen Führer, wie Daimon wäre Samsa hoffnungslos verloren gewesen. Noch immer machte die Hitze ihm zu schaffen, obwohl sie nicht durch seine Haut zu dringen schien, die noch immer kalt war, wie das Eis auf den Gipfeln der Berge. „Daimon!“ Jemand sprang von hinten auf den Rücken des Dämons, das dieser vor Schreck zusammenfuhr. „Saya, was soll das?!“ fuhr er den Jüngeren an. Er griff nach hinten, erfasste seine Arme und schwang ihn über seinen Kopf hinweg. Saya landete sicher auf den Füßen vor seinem großen Bruder. Samsa konnte die Zwillinge noch immer nicht voneinander unterscheiden, doch schien es ihm merkwürdig, dass Sayas zweite Hälfte nirgendwo zu sehen war. Auch Daimon entging das nicht. Sein Blick schweifte einen Moment suchend durch den Gang. Saya schniefte vernehmlich und warf sich in die Arme seines großen Bruders. Rücksichtsvoll trat Samsa einen Schritt zurück und senkte den Blick. Er ahnte Schlimmes und sein Gefühl trog ihn nicht. „Ein Drache, ein Drache. Sie haben einen Drachen auf uns gehetzt“, schniefte der junge Dämon und klammerte sich weiter an seinen großen Bruder. „Deya wollte ihn verjagen, aber er hat sich übernommen, der Drache war zu stark, er hat die Magie einfach aufgesogen. Er konnte es nicht stoppen! Diese widerlichen Arschlöcher!“ Samsa zuckte zusammen. Da waren sie wieder, die Flüche. Traurig sah er zu Boden. Drachen, Magie … er wusste wirklich nicht viel über die Hölle, aber Familienbande, das hatte er gelernt, waren hier etwas Unzertrennliches. Im Himmel gab es diese nicht. Warum? „Scheiße“, Daimon nahm Sayas Gesicht in die Hände und zwang ihn den Blick zu heben. „Hast du Vater davon erzählt.“ Saya nickte unter Tränen. Sie liefen rosa seine weißen Wangen hinab. Ein einsamer Zwilling. „Er hat sie betraft, hat sie zu Asche verbrennen lassen. Ihre Schreie haben die Seelen aufgeschreckt. Kato ist wütend. Vater hat nämlich ihre Seelen auch zerstört, hat sie zerrissen, so dass nichts mehr von ihnen übrig blieb, rein gar nichts. Ich wünschte er könnte es noch einmal tun. Sie haben nicht genug gelitten, nein das reicht einfach nicht!“ Samsa wollte nicht zu genau hinsehen, auch nicht zu genau hinhören, doch er konnte nicht anders. Zerstörte Seelen. Eine höhere Strafe gab es auf der ganzen Welt nicht, auch keine höhere Qual. Ihn schauderte. Daimons Hände zitterten, als glaube auch er, dass die Strafe noch längst nicht grausam genug war. „Mehr können wir nicht tun“, sagte er bemüht ruhig. Er zog Saya wieder in seine Arme und küsste sein Haar. Der jüngere weinte immer noch erbärmlich. „Hab keine Angst. Wir werden alle bei dir sein.“ „Aber ich will nicht sterben …“ Samsa erwachte aus seiner Starre, als er das hörte. Aber warum denn sterben? Entsetzt betrachtete er die beiden Brüder. „Komm mit zu Kato. Samsa muss ohnehin mit ihm reden. Komm.“ Mit einem Ruck fuhr Saya zu dem Engel herum, dass dieser vor Schreck einen Satz zurück machte. In der nächsten Sekunde kniete er vor dem Engel und sah ihn mit dunklen, leidenden Augen an. „Du bist doch ein Engel! Du kannst ihn zurückholen! Du hast die Macht dazu. Nicht wahr? Ihr Engel habt doppelt so viel Magie in euch, hat Vater gesagt und du kannst Deya zurückholen und verhindern, dass wir beide sterben müssen!“ Samsa konnte ihn nur wortlos anstarren. Er konnte was? Einen Toten erwecken? Oh nein, das hatte der Schöpfer ihnen unter Strafe verboten. Aber was, wenn dieser Tote kein Mensch war, sondern ein Dämon, was dann? Galten dieselben Regeln? Galt dieselbe Strafe oder gar eine Schlimmere? Der Schöpfer hatte ihn gelehrt, dass die Dämonen die finstersten aller lebenden Wesen waren. Ihr scheiden verlangte keine Trauer. Nur weil sie unter dem Schutz des Fürsten standen konnte der Schöpfer ihnen nichts anhaben. „Die Seelen von Zwillingen sind untrennbar miteinander verbunden“, sagte Daimon und kniete neben seinem Bruder nieder. „Da Deya tot ist wird Saya auch nicht mehr lange leben können. Deyas Seele zerrt seine früher oder später mit in den Seelenstrom hinunter zu Kato. Es kann jede Sekunde passieren.“ Samsa wurde zum ersten Mal in seinem kurzen Leben heiß. Die Wärme der Hölle kroch ihm unter die Haut und brachte jede einzelne Zelle zum kribbeln. „Und du hast gesagt er ist jung!“ Sayas Stimme überschlug sich fast. „Das heißt es müsste noch leichter für ihn sein!“ Wie viel dieser junge Dämon über ihn wusste und wie wenig Samsa über die Dämonen wusste. Es war zum verrückt werden. Daimon sah Samsas entsetzten Blick und zog seinen Bruder unter widerstand vom Boden hoch. „Er hat Angst vor der Strafe, Saya. Er wird es nicht tun. Du weißt, dass Gott“, er spuckte das Wort aus wie eine Beleidigung, „nicht einmal einen Gedanken übrig hat für Wesen wie uns. Wenn Samsa uns hilft, wird es ihm nicht viel besser gehen, als den Mördern Deyas.“ „Wozu seid ihr verdammten Engel denn überhaupt gut!?“ Es schien einen Moment, als wollte Saya auf den Engel losgehen, doch dann verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz und er sackte in die Knie. „Festhalten“, Daimon kniete neben ihm nieder. „Halt sie fest, solange du noch kannst. Halt sie fest!“ Samsa konnte das Leuchten in Sayas Brust erkennen. Das war sie, seine Seele die sich nach der ihres Zwillings verzehrte, so sehr, dass sie mit in den Seelenstrom wollte, hinaus aus diesem Körper. Saya presste sie Hand auf die Stelle, von der das Leuchten ausging. Es war so mächtig, dass Samsa jeden Knochen, jede Ader und das fließende Blut in Sayas Hand erkennen konnte. Er wollte sich nicht vorstellen welche Schmerzen der Dämon erleiden musste und doch. Sein Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust. „Ich tu es!“ hörte Samsa sich sagen. Gottes Strafe würde grausam sein. Daimon schenkte ihm einen langen Blick in dem alles zu liegen schien, was er in diesem Moment fühlte. „Komm schnell, wir müssen zu Kato. Hilf mir“, gemeinsam stützten sie Saya. Das Leuchten unter seinen Fingern begann zu pochen, als wäre es sein Herz, nicht seine Seele die dort nach draußen drängte. Samsa besah sich die Wände während sie rannten. Dieser Tunnel war zu eng um zu fliegen. Verdammt. Er formte die Lippen zu einem Vater Unser als Entschuldigung für seine Sünde. Doch es kam ihm nicht falsch vor, was er tat. Sie kamen vor einer schweren Holztür zu stehen. Schmucklos beendete sie den verflucht schmalen Gang. Daimon hämmerte mit der Faust dagegen. „Kato, wir brauchen deine Hilfe.“ Die Tür schwang auf. Niemand stand dahinter um sie zu begrüßen, doch Daimon schien das gewohnt zu sein, denn er zog Samsa und seinen Bruder ohne zögern mit sich. Sie betraten einen einfachen Raum, von dem drei Türen abgingen. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, an diesem saß ein Mann in einem tiefschwarzen Mantel. Er hatte die Arme verschränkt und die Beine überschlagen. Seine Mine war vollkommen ausdruckslos und er wandte sich nicht einmal zu seinen Gästen um. Der Tod, Kato mit Namen, unterschied sich gründlich von den Dämonen. Er war weder so schön wie sie, noch so furchteinflößend. Samsa hätte ihn mit einem normalen Menschen verwechselt, wären da nicht die violetten Augen gewesen, die sich jetzt ihm zuwandten und ihn kritisch musterten. „Da schleppt der Kerl mir einen Engel an“, fluchte Kato leise, erhob sich und kam auf sie zu. „Saya du solltest nicht …“ „Halt die Klappe, verfluchter Knochenzähler!“ stieß Saya zwischen den Zähnen hervor und erntete dafür ein ungeduldiges Seufzen von Kato. „Was zur dreimal verfluchten Hölle habt ihr vor?“ wandte er sich an Daimon. „Samsa holt ihn zurück“, erklärte Daimon knapp und bettete Saya auf den Tisch, der inzwischen beide Hände auf die leuchtende Stelle presste. „Unmöglich“, Kato lachte ohne Freude. „Was kann man einem Engel bieten, dass den Verlust seiner Flügel wett macht?“ Samsa rann es eiskalt den Rücken herunter. Er erstarrte mitten in der Bewegung. „Bitte was?“ fragte er entsetzt. „Sie werden dir die Flügel abschneiden, wenn du einen toten Dämon ins Leben zurückholst, aber mach nur weiter, mein Freund. Vielleicht legt der Fürst ja ein gutes Wort für dich ein. Armer Dummkopf. Der Schöpfer muss dich hassen, dass er dich ahnungslosen Trottel hierher schickt. Schneller wird man einen Engel nicht los.“ Kato lächelte seltsam. Er beugte sich über Saya und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der junge Dämon entspannte sich etwas. Das Leuchten nahm ab. Kato ließ den entsetzten Samsa zurück und verschwand durch eine der drei Türen. Als er sie öffnete flutete Licht herein, dass sie augenblicklich blendete. „Der Seelenstrom“, murmelte Daimon. Er wandte dem Licht den Rücken zu und beugte sich über seinen sterbenden Bruder. Er strich über sein Haar, küsste seine Stirn. Sayas perfektes Antlitz war grau geworden vor Schmerz, Angst und Trauer. „Bekomm ich Deya wieder?“ wisperte er kraftlos, bevor er das Bewusstsein verlor. Augenblicklich presste Daimon seine Hände auf Sayas Brust um die Seele festzuhalten. „Samsa, hilf mir!“ Der Engel schüttelte den Kopf. Trat dann aber doch auf den Tisch zu und legte eine Hand auf die von Daimon. Sie war angenehm warm. Er spürte den Druck, den Sayas Seele ausübte. Er konnte sie weinen hören, hörte wie sie nach der Zwillingsseele verlangte und bettelte, dass man sie freiließ. Ohne, dass er es merkte, liefen auch Samsa Tränen über das Gesicht. Kato kehrte wieder zurück. Es schien als trüge er einen kleinen Feuerball in den Fingern. Die Seele schrie auf, Daimon wurde rückwärts davon geschleudert, doch Samsa konnte sich mit Leichtigkeit an seinem Platz halten. Sayas Seele pochte unter seinen Fingern, doch sie spürte, dass sie in guten Händen war und drängte nicht weiter. Einsam, so einsam. So grausam. Ich bin so einsam. „Daimon, was machst du da eigentlich? Du musst schon Deyas Körper holen, wenn du willst, dass sie beide überleben!“ Samsa konnte weder den Tod noch Daimon sehen. Da war nur das Leuchten, das seinen gesamten Sichtkreis einnahm und das Flüstern der Seele. Das Licht blendete ihn nicht, wie es bei Daimon der Fall war, nein er fand es sogar angenehm. Während Kato fluchte, das Daimon viel zu lang bräuchte, lief die Zeit wie Sand durch Samsas Hände. Er konnte mit der Seele sprechen, konnte sie beruhigen und ihr sogar erklären, dass das Leid, das sie fühlte bald zu Ende sein würde. Dann kehrte Daimon zurück, seinen bereits toten Bruder auf den Armen und legte ihn neben seinen Zwilling auf den Tisch. „Hier!“ Kato hielt Samsa die Zwillingsseele hin. Er löste die Hände von Sayas Brust und umrundete den Tisch hab, um zu seinem Bruder zu gelangen. „Das verdammte Leuchten ist unerträglicher als ein Heiligenschein!“ Samsa senkte die Seele auf Deyas Körper hinab. Freudig nahm sie ihren Platz wieder ein. Das leuchten verschwand und Samsa wurde schwarz vor Augen. „Sehr verlockend, so ein ohmnächtiger Engel.“ „Nimm die Finger weg, er hat dich von den Toten zurückgeholt. Du solltest ihm dankbar sein.“ „Bin ich doch, trotzdem, … er ist wirklich schön.“ „Das ist er vermutlich.“ Die Stimmen waren noch etwas wirr, aber langsam konnte Samsa sie wieder einigermaßen ordnen. Er hörte eine Tür gehen, hörte Schritte auf dem steinernen Boden. „Schafft mir den Engel hier raus. Mir spielen die verdammten Seelen verrückt!“ „Lass sie doch spielen“, sagte Daimons Stimme etwas abwesend. Eine warme Hand glitt über Samsas Wange. Ein merkwürdiges Gefühl, so vertraut und doch erschreckend. Viel zu nah, viel zu zärtlich. Samsa schlug die Augen auf und fuhr von seinem Lager hoch. Drei Dämonen und der Tod höchstpersönlich sahen ihn an. „Ah wie schön, er ist wach. Jetzt kann er selbst gehen.“ „Hör gar nicht auf ihn“, wiegelte Daimon den mürrischen Kommentar ab. „Er ist immer so.“ Das war vielleicht kein Wunder, wenn man der war, der immer das Leid zu anderen brachte. Samsa nickte vorsichtig. „Ich frage mich, wie lange es wohl dauert, bis die Heilige Garde vor unseren Toren steht. Und das nur, weil ihr so einen Unsinn macht. Verwöhnte Prinzen!“ Kato warf hilflos die Arme in die Luft, dass sein nachtschwarzer Mantel flatterte. „Ich muss gehen. Wehe jemand von euch betritt den Raum der Seelen, das würde euch sehr leidtun!“ Mit diesen Worten setzte er die dunkle Kapuze auf und verschwand aus dem Raum. Samsa sah ihm nachdenklich nach. Er war vielleicht mürrisch, aber so unrecht hatte er vielleicht nicht. Wie schwer würde Gottes Strafe ausfallen? „Vater ist dir sehr dankbar“, Saya ließ sich dicht neben ihm nieder und lächelte unwiderstehlich, süß und irgendwie infantil. „Er sagt du bekommst die Seele, die du Gott bringen sollst. Niemand wird dir ein Lied tun. Er gibt dir einen Brief mit, darin steht, dass Deyas Heilung die Bedingung dafür gewesen wäre, dass er die Seele bekommt. Er hält dafür die Hand über dich. Du kannst in den Himmel zurückkehren, ohne Angst vor einer Strafe.“ Samsa fiel ein wahrer Stein vom Herzen. Er konnte es kaum glauben. Die Mission war erfüllt und niemand war wütend auf ihn. Vielleicht hatte er doch alles richtig gemacht. Auch wenn die Gunst des Fürsten der Finsternis eine zweifelhafte Ehre für ihn war. Dennoch, Memnoch besaß eine gewisse Macht, die dem Schöpfer ebenbürtig war. Ansonsten hätte es kein Himmel und Hölle gegeben. Sie verließen Katos Behausung schnell wieder, um ihn nicht noch mehr zu verärgern. Die Zwillinge waren unendlich glücklich und obwohl Samsa immer noch etwas wacklig auf den Beinen war, bereute er nicht, was geschehen war. Er hatte viel gelernt und viel verstanden. Diese Erfahrung würde ihn sehr bereichern. „Ich danke dir sehr“, sagte Daimon auf dem Weg zurück in ihre Gemächer. „Du solltest wissen, die Familie oder der Clan ist das einzige, was uns heilig ist. Wir hüten und schützen ihn, wie einen Schatz. Wenn einen Clanmitglied etwas zustößt, dann bekommt der Verursacher und sein kompletter Clan die Rache stets in aller Grausamkeit zu spüren. Es werden wohl noch einige Köpfe für diesen Vorfall rollen.“ „Ich hatte sehr viel Angst davor“, gestand Samsa. „Aber du hast sie überwunden. Ich bin sehr beeindruckt von dir. Noch nie habe ich einen Engel getroffen, der dir glich. Die Meisten sind selbstverliebt und egoistisch. Sie schieben ihren Herrn vor und werfen mit Moral nur so um sich. Du bist anders.“ Samsa nahm es als Kompliment eines Dämons und hoffte, dass er bald wieder gehen konnte. Er würde den Schöpfer um Verzeihung bitten müssen. Vor ihnen erklang das helle Lachen der Zwillinge und Samsa sah zu ihnen auf. Sie hatten eine größere Halle betreten und hier konnten sie ihre pechschwarzen Schwingen ausbreiten. Sie schienen zur Hallendecke emporzuschweben, verspielt wie kleine Kinder. Das Böse kam wirklich in eigenartigen Gestalten daher. „Sie sind die Jüngsten in unserem Clan“, sagte Daimon nachdenklich. „Es scheint, dass sie jeden in ihren Bann ziehen. Vor allem Menschen verfallen ihnen Reihenweise, aber auch Dämonen. Deyas Mörder, er war einer von denen, die er verschmäht hat. Dummkopf. Als würde nicht jeder sehen, dass sie ihre Herzen längst vergeben haben.“ Die beiden Zwillinge tanzten durch die Luft wie Schmetterlinge und fanden immer wieder zusammen. Saya schlang die Arme um den schlanken Körper seines Bruders. Vielleicht … vielleicht hatte er wirklich alles richtig gemacht. Liebe, sie war doch das höchste Gut, das es immer zu schützen galt. Daimon lachte leise in sich hinein. „Was ist so lustig?“ fragte Samsa verwundert. „Oh nein, sieh‘ bloß weiter hin. Gleich wird dir die Sünde ins Gesicht springen, ich verspreche es dir.“ Samsas Blick glitt wieder hoch zu den Zwillingen und die Sünde sprang ihm nicht nur ins Gesicht, sie riss ihn beinahe von den Füßen, verhöhnte ihn, lachte ihn aus. Die Zwillinge schwebten noch immer in der Luft und tauschten zärtliche Küsse, wie Liebende. Ihre blassrosa Lippen spielten miteinander, bis sie vereint blieben. Diese Liebe hatte er geschützt. Verlogene Dämonen. Kapitel 4: Kerker des Himmels ----------------------------- Kapitel 4 Kerker des Himmels Samsa rannte den Weg zurück zu den Toren der Hölle. Er wollte keiner Sekunde länger bleiben, wollte nicht mehr an diese Bilder denken, die sich tief in sein Gehirn gebrannt hatten. Sünde, nichts als Sünde. Wie naiv war er, daran zu glauben, dass es um wahre Liebe ging. Nein, hier zählte nur das körperliche. Mit Tränen und betteln hatten sie ihn an den Abgrund gestellt. Niemals würde der Schöpfer ihm das verzeihen. Warum hatte er auch nicht auf ihn gehört?! „Samsa!“ Daimon tauchte so plötzlich vor ihm auf, dass er fast gegen ihn rannte. Wütend schleuderte der Engel ihm einen Zauber entgegen, dem er jedoch geschickt aus dem Weg sprang. „Lass mich in Frieden, Dämon! Was willst du nicht von mir? Hast du mir nicht schon genug geraubt? Reicht dir mein Leben nicht? Es kümmert dich wahrscheinlich nicht, doch du bist eine verabscheuungswürdige Kreatur!“ „Was ist denn in dich gefahren?“ rief Daimon wütend und packte ihn um ihn zu schütteln. „Niemand hat dir irgendetwas geraubt! Du hast Deyas Leben gerettet und wir stehen tief in deiner Schuld dafür. Was ist los?“ „Glaubst du irgendetwas kann mich noch retten?“ Er hatte versucht es zu verhindern, aber die Tränen kamen trotzdem, so rein, so klar, dass man sie nicht gesehen hätte, fingen sie nicht jeden Lichtstrahl ein der sie erreichte. „Ich habe einem Dämon das Leben gerettet, allein das kostet mich Kerker und Folter. Ich habe einen Dämon von den Toten zurückgeholt, das kostet mich meine Flügel. Und noch viel schlimmer, ich habe zugelassen, dass ihr hier ein Hohelied auf die Sodomie singt. Gott ist gnädig, aber das würde nicht mal ich selbst mir verzeihen!“ Daimon verschränkte die Arme und sah mitleidlos auf ihn hinab. „Lass mich gehen. Ich werde meine Strafe dankend entgegennehmen, denn ich bin es nicht mal mehr wert ein Engel genannt zu werden.“ „Du hast eine reine Seele, Samsa. Du konntest nicht zulassen, dass jemand leidet, egal wer dieser jemand war. Das macht dich zum besten Engel, den es je gegeben hat. Doch was die Sodomie angeht, unterliegst du einem gewaltigen Irrtum. Liebe kennt keine Grenzen, sie unterscheidet nicht zwischen Mann und Frau. Das haben einige Menschen schon verstanden, doch viele auch noch nicht. Die meisten der Unwissenden laufen unter Euren Fahnen. Das wundert mich nicht mehr, wenn ich dich so reden höre. Weißt du, was mit den Seelen der Toten passiert, Samsa?“ „Natürlich, wenn sie in den Himmel kommen, dann schenkt Gott ihnen ein neues Leben in einem neuen Körper. Es ist wie Wiedergeburt. Kommen sie jedoch in die Hölle ist es eure Aufgabe sie zu vernichten“, sagte er trotzig. „Genau. Gott schickt uns regelmäßig die Seelen der Homosexuellen. Wir lassen sie alle frei und schenken ihnen genau so ein neues Leben wie allen anderen. Natürlich gibt es Ausnahmen, das ist keine Frage, aber wenn sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, vergeuden wir unsere Zeit an ihnen.“ „Das ist nicht Gottes Wille“, wisperte Samsa wütend. Er wollte es nicht verstehen, wollte es nicht wissen. Er erkannte sie Sünde, wenn er sie sah und diese beiden wunderschönen Jungen, in einem leidenschaftlichen Kuss vereint, das war die reine Sünde. „Kurz nach meiner Geburt habe ich sehen müssen, was mit denen passiert, die die Geschlechter nicht trennen können!“ „Anthonie“, sagte Daimon wissend. „Ich kenne ihn. Er konnte fliehen und lebt jetzt als gefallener Engel auf der Erde.“ „Ich kenne ihn nicht, doch es hat mir klar gemacht, wie Gottes Meinung dazu lautet. Sein Geliebter wurde getötet. Mitsamt seiner Seele. Die Schreie hat man bis zur Erde hinunter gehört.“ „Du hast Angst“, stellte Daimon fest. Er löste die Verschränkung seiner Arme und schüttelte leicht den Kopf. „Du hast also einfach nur Angst, dass dir dasselbe wiederfahren könnte. Glaubst du denn, dir könnte ein anderer Mann das Herz stehlen?“ „Niemals, bitte lass mich jetzt gehen. Ich muss zurück!“ verlangte Samsa. Daimons Worte hatten ihn verlegen gemacht. Sein Herz pochte wie wild gegen seine Rippen. Er erinnerte sich wieder an die warme Berührung von Daimons Hand. Oh nein, das durfte einfach nicht sein. Sie wollten ihn nur alle wahnsinnig machen! „Samsa, du hast meine Brüder gerettet. Ich habe dir erklärt, wie wichtig, dass für mich ist. Ich werde nicht zulassen, dass man dich bestraft und wenn ich dafür mit einer Armee in den Himmel einfalle. Denke an meine Worte.“ Damit trat er zur Seite. Samsa funkelte ihn böse an. Das sollte er bloß sein lassen. Keine Armee der Welt hätte eine Chance gegen die Heilige Garde. Samsa kniete zitternd auf dem kalten Boden. Noch nie war er ihm kalt vorgekommen, noch nie hatte ihn der Himmel in all seiner Schönheit frieren lassen, doch jetzt nachdem er die Hitze der Hölle gespürt hatte, vermisste er sie. Töricht. „Du hast die Aufgabe erfüllt, die ich dir anvertraute, doch dabei hast du viele Fehler gemacht“, brach die Stimme des Schöpfers über ihn herein. Er senkte den Kopf noch tiefer, seine Stirn berührte den Boden fast. „Es tut mir leid, mein Herr“, wisperte er untertänig. Er hatte jede Strafe verdient, die man ihm auferlegte, trotzdem verspürte er Angst. „Ich werde dich jedoch schonen Samsa, denn es gab kaum einen anderen Weg, um die Seele des Kindes zu retten und deine Beichte zeugt von der tiefen Reue in deinem Herzen. Doch erlaube dir keine groben Fehler mehr, mein Sohn. Nun geh.“ Samsa erhob sich hastig, verbeugte sich noch einmal tief und trat rückwärts vom Thron des Herrn zurück. So viel Gnade hatte er nicht verdient und doch war es erleichtert. Sein Gott war weise und wusste, was richtig und falsch war. Daran hatte Samsa keinerlei Zweifel. Er urteilte niemals falsch. Samsa blieb auf dem großen Platz vor dem Palast des Schöpfers stehen und schlang die Arme um sich. Die Kälte wurde immer unerträglicher, doch so war es mit der Wärme auch gewesen. Er würde sich daran gewöhnen müssen. Hoffentlich geschah das bald. Ein paar vorbeieilende Engel warfen ihm einen schiefen Seitenblick zu. Natürlich, wie sollten sie auch verstehen, dass er fror? Dass er sich plötzlich einsam fühlte, dass es ihm hier viel zu ruhig war? Die Stimmen fehlten ihm irgendwie, auch wenn sie oft bösartig gewesen waren und Worte sprachen, die er vorher nicht gekannt hatte. Das Lachen der Zwillinge hallte immer wieder durch seinen Kopf und beschwor das Bild des sich küssenden Paares herauf. Sie hatten einander und waren nie allein. Konnte diese Liebe Sünde sein? Der Schöpfer hatte es ihm eingetrichtert, dass es falsch war. Noch ein Fehltritt Samsa und es ist vorbei mit dir. Nicht vielen Seelen wird die Ehre zuteil im Körper eines Engels weiterzuleben. Und vielen wird diese Ehre schnell wieder entrissen, fügte Samsa in Gedanken hinzu. Gedankenverloren wandte er sich um und sah sich plötzlich einem Dämon gegenüber. Erschrocken wich er zurück. Ein Dämon? Im Himmel? Das bedeutete nichts Gutes. „Du bist Samsa, nicht wahr?“ Sie betrachtete ihn aus ihren dunklen Augen, die stark geschminkt waren. Ihr Kleid war knapp geschnitten und Samsa konnte sich nur an ihren Augen festhalten, um nicht ihren üppigen Busen anzustarren, oder die langen schönen Beine. Sie trug rot, die Farbe des Feuers, der Hölle und paradoxerweise auch die der Liebe. Schwarze Rüschen zierten den Saum des Kleides und ihre schwarzen Flügel umrahmten ihre schreckliche Schönheit vollendend. „Du solltest nicht hier sein“, sagte Samsa vorsichtig und machte noch einen Schritt zurück. Wenn einer der anderen Engel sie sah, würde er sofort Alarm schlagen. Kein Dämon durfte den Himmel betreten. Auch darauf wartete die Todesstrafe. Was durfte man eigentlich überhaupt noch, ohne sich den Tod einzuhandeln. „Ich weiß selbst gut genug, was ich sollte und was nicht, Engel“, fauchte sie wütend. Erst jetzt bemerkte Samsa das lange, blitzende Schwert, das schmal in ihren zarten Fingern lag. Sie war gekommen um zu töten. Gekommen um ihn zu töten? „Dein Tod heißt Irina.“ Samsa brauchte eine Sekunde, um sich darüber klar zu werden, wie gefährlich diese Situation war. Irina, wie sie sich nannte, war schwer bewaffnet, er hatte rein gar nichts, außer seiner Magie. Seit er jedoch Deya von den Toten zurückgeholt hatte, fühlte er sich noch bedenklich ausgelaugt. So ein Ritual erforderte einiges an Kraft. Sie hob das Schwert über den Kopf, stieß sich kraftvoll vom Boden ab und er konnte nichts tun, als sein letztes Gebet zu sprechen. Sekunden bevor die Klinge seinen Kopf spalten konnte besann er sich wieder seines Körpers und sprang zur Seite. Die polierte Klinge Riss ein Loch in den Boden. Wie stark sie war. „Was soll das?“ wollte Samsa etwas panisch wissen. Sie konnte doch nicht einfach hierher kommen und ihn töten. Warum gerade ihn!? „Du hast mein Leben zerstört, Engel!“ fluchte sie wütend. Ein Fauchen entrang sich ihrer Kehle. „Jetzt zerstöre ich deines!“ „Was soll ich getan haben? Bitte, was?!“ Wo waren die anderen Engel, wenn man sie brauchte? „Du hast Daimons Herz gestohlen. Es hätte mein sein sollen. Schon seit einhundert Jahren kämpfe ich darum und du zerstörst mit ein paar Worten alles was ich aufgebaut habe!“ Rosa Tränen rannen ihr über das Gesicht. Samsa hätte sie gern getröstet, doch er wusste nicht, wovon sie sprach. Daimons Herz? Wieder begann sie einen Angriff, dieses Mal so heftig, dass er nicht mehr ausweichen konnte. Er schloss die Augen und wartete auf den Schmerz, doch stattdessen ertönte ein metallischer Knall. „Wag es nicht“, hörte er eine vertraute Stimme sagen. „Wag es bloß nicht, ihm ein Haar zu krümmen, Schlampe. Mein Herz hat dir nie gehört und es wird dir auch nie gehören!“ Als Samsa verwirrt die Augen öffnete entbrannte vor ihm ein Kampf, der seinesgleichen suchte. Klingen prallten so hart aufeinander, dass Funken sprühten und er konnte die beiden Kämpfenden nur noch als schwarze Schemen durch die Luft sausen sehen. Sie kämpften mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, wohl wissend, dass jeder Angriff der letzte sein könnte. Es zählte nur noch, wer mehr Ausdauer haben würde. Samsa sah sich gehetzt um, doch noch immer war kein anderer Engel weit und breit zu sehen. Vielleicht hatten sie Glück und niemand würde auf sie aufmerksam werden. Noch ein Fehltritt Samsa und es wird dein letzter gewesen sein … Ein gellender Schrei durchbrach seine Gedanken. Blut begann auf den makellosen Boden zu tropfen, vereinigte sich zu einer Pfütze und wurde immer größer. Irinas Körper klatschte in die Pfütze wie ein nasser Sack, besudelte alles mit noch mehr Blut. Ihr Kopf landete kaum eine Sekunde später daneben. Rufe ertönten von überall. Jetzt hatten sie es bemerkt, jetzt würde die Heilige Garde kommen und ihn … Daimon tauchte hinter Samsa auf und legte ihm die blutverschmierte Klinge an den Hals. „Was …“ „Sei ruhig. Tu einfach so, als hätten wir beide dich angegriffen. Sie müssen nicht wissen, dass du keinen Alarm geschlagen hast“, Daimons Körper und sein Atem waren heiß auf Samsas Haut. Er wünschte er könnte noch mehr von dieser Wärme spüren, die er so vermisst hatte. „Das ist eine …“ „Lüge ich weiß“, unterbrach Daimon ihn. „Aber du solltest es tun, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Die ersten Gardeengel tauchten auf und umringten sie, nicht weniger bewaffnet als die beiden Dämonen. Sie waren ausgerüstet um Leben zu nehmen, unwürdiges Leben, wie das von Daimon. „Kommt keinen Schritt näher, oder er geht drauf!“ drohte Daimon ihnen. Samsa glaubte es fast selbst. Der Stahl seiner Klinge presste sich so fest gegen seinen Hals. Was ging hier vor sich? Er verstand die ganze Welt nicht mehr. „Angreifen“, hörte Samsa den Hauptmann der Garde noch sagen. Kaum zu fassen, wie wenig ihnen ein Leben bedeutete. Ihr wollt Engel sein. Daimon stieß ihn von sich, sodass er der Länge nach in Irinas erkaltendem Blut landete. Er erschlug zwei der Gardeengel und bahnte sich so seinen Weg durch ihre Reihen. „Es sind zu viele“, wisperte Samsa, als er grob gepackt wurde. „Sehr merkwürdig, findest du nicht auch?!“ einer der Gardisten zog ihn ziemlich grob vom Boden hoch. „Das er dich einfach laufen lässt statt dich zu töten.“ „Geh weg von mir“, rief Samsa wütend und stieß den fremden Engel weg. „Du hast nicht die geringste Ahnung.“ „Wir fangen ihn so wie so!“ schleuderte der andere ihm entgegen. Wie hasserfüllt er war, wie wütend, schlimmer als jeder Dämon. „Und dann werdet ihr beide …“ Bevor er seinen Satz beenden konnte zerteilte ihn Daimons Schwert in der Mitte. Seine beiden Körperhälften fielen auseinander und sein Blut mischte sich mit dem von Irina. Samsa konnte keinen Unterschied erkennen. „Stop, stop!“ brüllte er den restlichen Gardeengeln zu, die Daimon wieder umringt hatten. Kritische eisblaue Augen musterten ihn. Doch bevor er noch etwas sagen konnte schleuderte Daimon ihm einen Fluch entgegen, der ihn zu Boden gehen ließ. „Er muss verwirrt gewesen sein, warum sonst sollte er versuchen einen Dämon in Schutz zu nehmen?“ fragte eine sanfte Stimme. Samsa spürte eine kalte Hand auf seiner Stirn. „Aber der Dämon hat ihn nicht getötet!“ hielt jemand dagegen. „Nun hör doch auf! Er hätte ihn mit diesem Fluch fast getötet, was willst du denn noch? Sei froh, dass er nicht starb, so wie die anderen. Dieser Dämon ist weitaus mächtiger, als alle, die mir je begegnet sind. Sicher hatte er seine finsteren Gründe ihn zu schonen. Weißt du, was in seinem Kopf umher geht? Vielleicht wollte er, dass wir ihn hier für einen Verräter halten.“ Die andere Stimme schwieg, doch selbst das Schweigen klang skeptisch. „Geh, selbst deine Worte sind so scharf, wie die Klingen, die man dir gab. Wir werden es nie erfahren, wenn er mir unter meinen Händen stirbt.“ Schwere Schritte entfernten sich und Samsa wartete noch einige Atemzüge lang, bis er die Augen öffnete. Eine Frau saß an seinem Bett und betrachtete sein Gesicht. „Du bist schon länger wach, nicht wahr? Es ist schwer diese ganzen aggressiven Hohlköpfe von hier fernzuhalten, mein Lieber. Du hast sehr viel Wirbel verursacht“, sagte sie und lächelte einsichtig. Samsa hatte sie noch nie gesehen. „Wer bist du?“ fragte er und setzte sich vorsichtig auf. Sein Körper protestierte mit Schmerz dagegen. „Jemand wie du“, sagte sie und sah ihn lächelnd an. „Jemand von der Abschussliste Gottes. Wer weiß, wie viele Tage uns noch bleiben. Unsere Seelen waren die reinsten der reinen und deshalb sind wir hier. Deshalb dürfen wir Engel sein. Doch der Himmel hat unsere Seelen verdorben. Du zweifelst auch manchmal, nicht wahr. Du hast Recht.“ Sie erhob sich von seiner Bettkante und durchmaß mit ihren Schritten den Raum. Ihr wallendes weißes Kleid umspielte die nackten Füße. „Wie ist es in der Hölle, Samsa?“ fragte sie leise. „Warm“, kam es über seine Lippen und wieder musste sie so lächeln. „Ja … Wärme. Liebe schafft Wärme und Wärme schafft Sünde und Sünde schafft Sünder und Sünder gehören getötet. Das ist die Philosophie des Himmels“, sie kam zurück zu seinem Lager geeilt und setzte sich wieder zu ihm. „Hör zu. Ich möchte dir helfen, aber du bist so tief in dieser Misere, dass man dir kaum noch helfen kann. Der Schöpfer will dich sehen, sobald du wieder bei Bewusstsein bist und dann wird er dich von seinen Gardisten töten lassen. Er selbst macht sich niemals die Hände schmutzig. Samsa, wenn du Mut hast, kannst du dich und deinen Freund retten. Willst du das?“ Samsa konnte sie nur stumm ansehen. Wollte er das? Was wollte er eigentlich? Bestimmt stand ihm nicht der Sinn danach getötet zu werden. „Wo ist Daimon?“ fragte er leise. „In den Kerkern, dort, wo kein Licht der Welt hinkommt, bis der Wahnsinn ihn sich selbst zerfleischen lässt“, antwortete sie, die Augen voller Trauer. „Sei schnell!“ Er war schon auf den Beinen bevor er überhaupt wusste, was mit ihm geschah. Samsa konnte und wollte nicht zulassen, dass Daimon starb, denn nur er selbst hatte den Tod verdient. Noch niemals in seinem Leben war er so gerannt wie in diesem Moment. Er stürzte auf die Wendeltreppen zu, die niemand bewachte, da niemand es wagen würde freiwillig hinunterzugehen. Wie eine Spirale wand sie sich immer tiefer, das Licht wurde immer spärlicher. Unten angekommen, fand er sich vor einer Tür wieder, die ihn an das Tor zu Hölle erinnerte, nur dass sie viel kleiner war. Beinahe hörte er Jacob, den knöchrigen Wächter wieder gackern. Die Tür ließ sich einfach aufdrücken, doch dahinter war ein matt erleuchteter Gang von dem tausende Türen abzugehen schienen. Nur vor einer einzigen stand ein Wächter, ein Gardist wie die, die Daimon angegriffen hatten. „Hey du!“ sprach er Samsa an und verließ sogleich seinen Posten. Doch Samsa merkte sich die Tür. „Was machst du hier? Das ist kein Spielplatz. Wie siehst du überhaupt aus?“ Samsa wagte einen Blick an sich herunter. Noch immer klebte das getrocknete Blut der Dämonin an seinen Kleidern. „Ihr haltet einen Freund von mir gefangen“, sagte Samsa ruhig. „Freund?! Unmöglich, hier sitzt nur ein Dämon, niemand sonst.“ Samsa seufzte, ihm war klar, dass es nicht mehr viel zu verlieren gab. Entweder scheiterte er, oder sie würden eine geringe Chance haben, dem Himmel zu entfliehen. Traurig erhob er die Hand und der Wächter zerfiel von seinen Augen zu Staub. Schnell fand er die Schlüssel, für die Zelle in seinen Überresten und eilte auf eine weitere dunkle Tür zu. Sie ließ keinen Spalt Licht hindurch, sagte man. Sie machte einen Wahnsinnig mit ihrer vollkommenen Dunkelheit. Sie ließ keinen Laut hindurch, blieb ewig stumm. Mit zitternden Fingern steckte Samsa den Schlüssel ins Schloss und drückte sanft gegen das Holz. Es gab unter seinen Fingern nach. Totale Finsternis schlug ihm entgegen, schien an seiner Haut zu lecken, als könne sie es kaum erwarten ihn zu verschlucken. „Daimon?“ flüsterte er in die Dunkelheit. Einen Moment lang geschah rein gar nichts, doch dann wurde er mit animalischer Kraft in die Zelle gezerrt, die Tür klappte hinter ihm zu und er flog ruckartig mit dem Rücken dagegen. Benommen blinzelte er, doch die Dunkelheit war so vollkommen, wie ihr Ruf. Samsa schmeckte Blut im Mund, dann war da plötzlich Wärme, ja sogar Hitze, die auf seiner Haut zu brennen begann und doch wollte er nicht, dass sie wieder verschwand. „Gib es zurück“, sagte Daimons Stimme direkt neben seinem Ohr. „Was denn?“ fragte er unschuldig, wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr er die Nähe genoss, jede Sekunde in der sich ihre Körper fast berührten. „Was du mir gestohlen hast, du kleiner Dieb“, selbst sein Atem war heiß und jagte dennoch Schauder über seinen Rücken. „Wir sollten von hier verschwinden“, Samsa gab sich immer noch Mühe dem Dämon nicht zu verfallen, auch, wenn es ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen war. „Du bist doch grad erst angekommen. Und niemand wird uns sehen, das schwöre ich.“ Ein Lächeln schlich sich auf Samsas Lippen. Eigenartig, wie glücklich er sich hier fühlte, auch wenn die Angst ihm noch fest in den Knochen saß. „Aber niemand kann uns mehr helfen, wenn wir uns nicht beeilen“, schalt Samsa sanft. Daimons Hände strichen seine Arme hinab, hinterließen auf ihrem Weg ein warmes Kribbeln und brachten Samsas Herz dazu, sich fast zu überschlagen. Ihre Finger verschränkten sich sanft miteinander. Diese Wärme tat so gut. „Bin ich immer noch so kalt?“ fragte Samsa leise in die vollkommene Dunkelheit. Etwas streifte seine Wange und er konnte nur erahnen, dass es Daimons Lippen waren. Weich und zärtlich strichen sie über seine Haut. „Nicht mehr ganz so kalt, wie als wir uns das erste Mal sahen“, murmelte Daimons Stimme gegen seinen Hals. „Aber du bist immer noch genauso wunderschön.“ „Du weißt, dass es nicht sein sollte …“, begann Samsa, auch wenn sein Herz dagegen anschrie, doch der Dämon unterbrach ihn. „Erzähl mir nicht was sein sollte. Dein Gott, sollte barmherzig und gut sein, dennoch ist er nichts von beidem. Wem hat er dann noch zu sagen, ob Dämonen und Engel sich lieben dürfen? Wem kann er noch vorschreiben, dass Engel keinen Sex haben dürfen? Wir haben unseren eigenen Verstand und können tun und lassen was wir wollen.“ Die Luft in der Zelle schien Samsa knapp zu werden. Unsicher was er überhaupt noch glauben sollte, wem er überhaupt noch trauen konnte lehnte er seine Stirn gegen Daimons und seufzte leise. Niemand würde das glauben, dass er so dumm war sich in einen Dämon zu verlieben. Was, wenn Daimon ihn nur benutzte? „Töte mich, oder flieh mit mir, aber bitte meine beides ernst“, forderte Samsa flüsternd. Er wünschte sich Daimons Augen zu sehen, Ihn nur zu spüren war so nervenaufreibend. „Ich werde mit dir fliehen. Ich werde dir meine Liebe schwören und ich werde dich vor allem und jedem mit meinem Leben beschützen, wenn …“ Einen quälenden Moment lang schwieg er und Samsa meinte ihre Herzen pochen zu hören. „Wenn du mir erlaubst dein Geliebter zu sein, dich zu küssen und dich zu berühren.“ Samsa biss die Zähne zusammen, um eine voreilige Antwort zu schlucken. „Ich bin ein Engel“, sagte er leise, kaum hörbar. Er glaubte selbst nicht an dieser Argument. „Für dich wird kein Platz mehr hier sein“, antwortete Daimon ihm ebenso leise. „Das weißt du, also mach dir nichts vor.“ Er hatte ja Recht, hatte so Recht, das es fast körperlich wehtat. Samsas Wangen wurden feucht von Tränen, doch er schlang die Arme um Daimon und versenkte seinen Kopf an dessen Halsbeuge. „Lass uns endlich fliehen“, brachte er unter Schluchzern hervor, genoss die Wärme, die ihm ein wenig Trost und Sicherheit gab. Die Hoffnung hatte er längst verloren. Kapitel 5: Gefallene Engel -------------------------- Soe hier das neue Kapitel. Es ist nicht besonders lang, aber auch eigentlich nur ein Zwischenspiel, vor dem nächsten Knall sozusagen ^^ Ich hoffe es gefällt euch trotzdem. Angie ~~+~~+~~++~~+~~+~~ Kapitel 5 Gefallene Engel Sie öffneten die Kerkertür ganz leise und Daimon spähte hinaus, bevor er es wagte einen Fuß vor die Tür zu setzten. Noch hatte niemand bemerkt, was hier unten vor sich gegangen war und das sollte im besten Falle auch noch ein Weilchen so bleiben. Sanft zog er den Engel hinter sich her, der immer noch ziemlich verstört war. Daimon konnte es ihm nachfühlen. Wer wurde schon gern aus seiner Heimat verstoßen, ohne Hoffnung und ohne Schutz? Hastig liefen sie an dem Häufchen Asche vorbei, dass von dem Wächter übrig geblieben war. Daimon warf Samsa dafür einen anerkennenden Blick zu, den dieser jedoch gar nicht bemerkte. Am Fuß der Wendeltreppe blieben sie stehen. Die Angst in Samsa Augen, war selbst für einen Blinden nicht mehr zu übersehen. Daimon nickte ihm aufmunternd zu und sie rannten so schnell ihre Füße sie trugen die Stufen hoch. Vor Daimons Mund bildete sein Atem kleine Wölkchen. Der Himmel war wirklich kalt. Kaum, dass sie die Treppe verlassen hatten griff Daimon sich Samsas Hand. Schwarze Flügel sprossen aus seinen Schultern und er zog Samsa mit sich hoch. Schnell wie der Wind rasten sie über den Himmelsboulevard. Natürlich blieben sie dabei nicht völlig unbemerkt. „Es ist unsere einzige Chance schnell zu sein“, hatte Daimon Samsa unten im dunklen Kerker erklärt. „Alles Schleichen wird nichts nützen. Hier gibt es kaum Möglichkeiten sich zu verstecken und ich falle auf wie ein bunter Hund!“ Es dauerte tatsächlich verhältnismäßig lange, bis die Gardeengel ihnen auf den Versen waren. Sie erreichten den Rand des Himmels, ein riesiges Loch, durch das man hinunter auf die Erde gelangen konnte. Im Sturzflug sausten sie hindurch, immer, immer tiefer und die Kälte wich allmählich einer eher gemäßigten Temperatur. „Afrika wäre mir lieber!“ rief Daimon über den tosenden Wind Samsa zu. Er schaffte es selbst in dieser Situation relativ ruhig zu bleiben. „Aber Europa ist näher!“ Sie landeten sanft auf saftig grünem Rasen, doch diese Schönheit konnte Samsa nicht bewundern, obwohl er noch nie auf der Erde gewesen war. Panisch suchte er mit den Augen den Himmel ab, in der Angst dort eine ganze Armee von Engel zu finden. Daimon stellte sich schützend neben ihn, den Blick ebenfalls nach oben gerichtet. „Noch haben wir Vorsprung!“ Er griff wieder nach Samsas Hand und zog ihn mit sich. „Ich habe eine Idee, wo wir unterkommen könnten. Bis zur Hölle schaffen wir es nicht. Wir brauchen schneller Beistand!“ Wieder erhoben sie sich in die Luft. Der Wind zog an ihren Flügeln und Kleidern. Samsa kam sich unendlich langsam vor, obwohl die Stadt zu der Daimon ihn führte, in rasantem näher kam. Ehe er wusste wie ihm geschah, fand er sich zwischen einigen Wolkenkratzern wieder. Daimon dirigierte sie hindurch, als wäre dies ein Kinderspiel. Sein Versuch die Gardeengel abzuschütteln gelang allerdings nur teilweise. Samsa blickte sich immer wieder panisch um, doch sie wollten einfach nicht verschwinden, kamen sogar näher, trotz ihrer schweren Bewaffnung. Die Sonne stand schon sehr tief am Himmel, bald würde es dunkel sein, vielleicht war das ihre Chance. Dunkelheit war für die Engel keine gute Voraussetzung, für Daimon jedoch umso mehr. Unvermittelt zog Daimon den Engel mit sich in Richtung Boden. „Hier muss es irgendwo sein!“ rief er. Samsa sah sich um, konnte jedoch nichts entdecken, das irgendwie nach Rettung aussah. Ihm bereitete es eher sorgen, dass sie genau auf eines dieser gigantischen Gebäude zuhielten. Daimon ließ seine Hand los. Das kam so unerwartet, das der Engel einige Meter davon trudelte und direkt in ein großes Fenster krachte. Das Glas um ihn herum splitterte protestierend und der ungewollte Sturzflug endete hart auf dem Fußboden einer Wohnung. Samsa rappelte sich hastig wieder hoch, die Schmerzen ignorierend. Unzählige spitze Glasscherben hatten teils kleine, teils tiefe Kratzer in seine Haut geschlagen. Das Fenster war völlig hinüber. Entsetzt sah er sich um. Wenn hier Menschen wohnten … Plötzlich ging ein klirren durch die Scherben, sie schwebten langsam in die Höhe, setzten sich wieder zusammen und flickten das Loch, das Samsa hinterlassen hatte. Mit donnerndem Herzen kam Samsa wieder auf die Beine und wollte zum Fenster stürzen, als ihn jemand festhielt. „Stopp, Stopp, Stopp!“ sagte eine Stimme ruhig. Samsa fuhr herum und blickte in ein paar blaue Augen, wie sie nur ein Engel haben konnte. Entsetzt zog er seinen Arm zurück. An den Händen des Fremden blieben einige Tropfen Blut kleben. Er schenkte Samsa einen durchdringenden Blick und huschte dann an ihm vorbei, um nach draußen zu sehen. „So ein Wahnsinn. Was sollen die Menschen denken? Ach verdammt noch mal!“ Er stieg auf das Fensterbrett und betrachtete den Himmel über sich prüfend. Mit einem Sprung, der zu leichtfüßig für einen Menschen war, sprang er zurück auf den Fußboden und wandte sich wieder Samsa zu, der am ganzen Körper zitterte, obwohl ihm glühend heiß war. Die Schnitte und Wunden brannten auf seiner kühlen Haut. „Wer bist du?“ fragte er und wich noch etwas zurück, unsicher ob er Freund oder Feind vor sich hatte. „Die Frage ist wohl eher: Wer bist du? Ich habe selten solchen Besuch wie dich und noch seltener zerlegt er mir dabei die halbe Wohnung!“ Der Fremde stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete Samsa halb wütend, halb neugierig. Sein Haar war hellbraun und hin ihm in die Stirn, er trug normale menschliche Kleidung und doch war sich Samsa sicher, dass er kein Mensch war. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich kleinlaut. „Ich wollte hier nicht so hereinplatzen, aber ich wurde … verfolgt und …dabei …“ „Verfolgt?“ fragte der fremde Schönling. „Von wem?“ Samsa zögerte einen Moment. Wo war Daimon? Hoffentlich ging es ihm gut, hoffentlich hatten sie ihn nicht wieder gefangen, oder ihn gar getötet. Er schluckte seine Sorge herunter, auch wenn er meinte fast daran zu ersticken. „Von Gardeengeln“, sagte er leise und wartete auf die Reaktion des anderen. „Diese hirnverbrannten Idioten“, der Fremde trat an Samsa heran und zog ihn mit sich zu der gemütlichen Couch, die den Mittelpunkt des Wohnzimmers bildete in das Samsa so unfreiwillig eingedrungen war. „Wie ist dein Name?“ fragte er. „Samsa“, antwortete der Engel wahrheitsgemäß. „Ich bin Anthonie. Ich bin ein gefallener Engel, wenn du so willst.“ Samsa betrachtete ihn nun um einiges interessierter. „Ich kenne deinen Namen“, sagte er vorsichtig. „Du bist damals geflohen, kurz nach meiner Geburt. Du hattest einen Geliebten und Gott wollte es nicht zulassen. Habe ich Recht?“ „Vollkommen“, sagte Antonie bitter. Er senkte den Blick, als könne er es nicht ertragen Samsa anzusehen. „Was ist mir dir? Was war dein Vergehen?“ „Ich habe mich mit einem Dämon eingelassen“, sagte Samsa schüchtern und knetet die Hände in seinem Schoß. Als hätten seine Worte es beschrien hörten sie plötzlich Türen auffliegen. Antonie sprang auf, griff nach einem Samurai Schwert, das als scheinbare Dekoration an einer der hell getünchten Wände hing und ging in Abwehrhaltung. Daimon tauchte in Raum auf, schwer atmend und mit Blut bespritzt. „Lass uns verschwinden“, er zog Samsa vom Sofa hoch und beachtete Antonie kaum, der verwirrt das Schwert sinken ließ und den Dämon irritier anstarrte. „Daimon?“ fragte er vorsichtig. Der Angesprochene wandte sich zu ihm um. Sein Blick war etwas kalt, wie Samsa fand. „Danke“, sagte er nur und zog Samsa mit sich, der es geschehen ließ. Wem, wenn nicht Daimon sollte er schon folgen? „Hey, hey warte!“ rief Antonie und versperrte ihnen den Weg. Samsa lugte hinter Daimons Rücken hervor, wie ein verängstigtes Kind. Seine geschundenen Arme wirkten mitleiderregend. „Was habt ihr jetzt vor“, wollte Antonie wissen und betrachtete Samsa besorgt. Es war sehr ungewöhnlich einen Engel und einen Dämon so zusammen zu sehen und es schrie praktisch nach einer aussichtslosen Situation. „Wir gehen in die Hölle“, sagte Daimon knapp und strafte den neugierigen Antonie mit einem Blick ab. „Der Rest geht dir rein gar nichts an.“ Antonie ließ sie gehen, auch wenn ihm das nicht zu behagen schien. Er musterte Samsa noch mit einem langen Blick, bevor er zur Seite trat. Vielleicht ahnte oder wusste er sogar, dass es keine Hoffnung mehr gab. Zumindest Samsa war von diesem Gedanken überzeugt. Er hatte seinen Gott verloren und mit ihm seinen Glauben. Es gab nichts mehr, an dem er sich festhalten konnte, denn alles um ihn herum zerfiel wie ein labiles Kartenhaus. Er blickte sehnsüchtig zum Himmel auf, als sie auf die lärmende Straßen traten. Die Menschen konnten sie zwar sehen, aber nicht ihre Flügel und so blieben sie hier unten unerkannt. „Wie bist du entkommen?“ fragte Samsa leise. Die Erde war noch laut und nervenaufreibend, doch bald würde sich der Lärm senken und ein wenig Ruhe einkehren. „Ich habe sie getötet“, gab Daimon unverblümt zu. „Ich wollte nicht, dass du es mit ansiehst. Verzeih mir, das ich dich nicht vorgewarnt habe.“ Er betrachtete besorgt Samsas Wunden. Sie brannten glühend rot, auf seiner makellos weißen Haut. Eine Schande. Sie eilten in die Berge, zu den höchsten Gipfeln. Der Torwächter der Hölle ließ sie sofort passieren, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben, geschweige denn ein lachen. Selbst sein lebloser Schädel wirkte unsicher, vielleicht sogar ängstlich. Die Wärme umfing sie und das vertraute Gefühl von Angst beschlich Samsa. Zwar konnte er fast schon von sich behaupten, die Hölle gut zu kennen, doch es war einfach kein Ort, an dem sich ein Engel wohlfühlen konnte. „Ihr kanntet euch“, sagte Samsa und schlang die Arme um seinen Oberkörper. Noch war seine Haut eiskalt, doch schon bald würde die Wärme die Kälte bannen. „Vielleicht“, sagte Daimon nur. Er zog Samsa in seine Arme und strich über sein goldblondes Haar. „Wir sind in Sicherheit.“ Vielleicht waren sie das, vielleicht aber auch nicht. „Ich habe trotzdem Angst“, gab Samsa zu. Kapitel 6: Höhere Macht ----------------------- Kapitel 6 Höhere Macht „Eure Majestät!“ Ein Dämon kann herbeigeeilt und kniete vor Daimon nieder. Er sah ihn unsicher von unten herauf an, als könnte jedes falsche Wort sein letztes sein. Samsa betrachtete sie beide aufmerksam. Daimon strahlte eine Autorität aus, die nur ein Herrscher haben konnte. Diesen Respekt hatte er sich blutig erkämpft. In letzter Zeit hatte Daimon wenig Geduld. Immer wieder berichtete man ihm über Engel, die vor den Toren der Hölle umherstreiften. Jacob, der untote Torwächter verhöhnte sie und rief jedes Mal die Kriegerdämonen um sie töten zu lassen. Doch die meisten von ihnen entkamen. Die Zeit rückte näher, das spürte Samsa genau. Sie wussten alle, dass es aussichtslos war, doch Daimon kämpfte wie ein Besessener. „Mein Sohn“, hatte Memnoch zu ihm gesagt, „es besteht kein Zweifel daran, dass er im Unrecht ist, doch die Macht, die er besitzt geht über alles hinaus, was du jemals gesehen hast. Ihr könnt euch einen Monat verstecken, vielleicht auch ein halbes Jahr, doch sobald es ihm gefällt, wird nichts ihn mehr aufhalten können. Er hat diese Welt erschaffen, egal ob uns das behagt oder nicht. Seiner Macht kann niemand trotzen.“ Daimon hatte nicht zuhören wollen. Sein Widerstand hatte mit seinem Zorn gefochten. Samsa konnte es in seinen Augen sehen. Ihre Liebe war die höchste Sünde und Samsa würde dafür bezahlen müssen. Es war nur eine Frage der Zeit. „Sprich“, wies Daimon den Boten ungeduldig an. Seine Hand wanderte wie von selbst zu dem Schwert an seiner Hüfte. Samsa schloss die Augen. Für jede schlechte Nachricht wollte sein Geliebter Köpfe rollen lassen. Doch er tat es nicht. „Ein ganzes Heer von Engeln steht vor unseren Toren. Sie wollen, dass wir den Verräter ausliefern ansonsten wollen sie durch die schwarze Pforte brechen und uns restlos vernichten. Sie werden nicht weichen. Ihr Befehl kam von ganz oben und sie kämpfen bis zum Tod. So lautet ihre Botschaft.“ „Sie können euch nicht vernichten“, sagte Samsa leise. Zwei Paar dunkle Augen wandten sich ihm zu. Er gab ein reichlich skurriles Bild ab, ein Engel in schwarzen Kleidern, unbeschreiblich schön und doch irgendwie fehl am Platze. Die Augenbrauen des Dämons zogen sich kaum merklich zusammen. Samsa konnte sich denken, was er dachte. „Es würde das Gleichgewicht zerstören“, sagte Samsa. Er hielt ihren Blicken nicht statt und so senkte er den Kopf und betrachtete den steinernen Boden. „Ihr seid es, an denen sie ihre Reinheit messen können. Nur, wenn das augenscheinlich Gute und Böse besteht, kann das Gleichgewicht existieren und das Gleichgewicht ist der Stützpfeiler dieser Welt.“ Sie schwiegen betreten. Samsa spürte Daimons warme Hand auf seiner, als er sich neben seinen Platz kniete wie ein König neben seine geliebte aber totkranke Königin. „Er wird nicht durch dieses Tor kommen“, sagte Daimon beschwörend. Samsa wusste nicht, wem er das einreden wollte. Gott war der Schöpfer, der Schöpfer war Allmächtig, denn es war seine Welt in der sie wandelten. „Er hat die Hölle nicht erschaffen, sie gehört nicht ihm und unterliegt nicht seinen Gesetzen. Wir sind ein Krebstumor in seiner oh so reinen Welt und wir können seine Schöpfung sterben lassen.“ Samsa schloss die Augen. Immer wieder dasselbe. Hochmut und Zorn. Todsünden … Er lehnte den Kopf zurück und starrte hinauf zur Decke. Das musste ein Ende haben. Ihre Liebe konnte er nicht höher stellen, als den Bestand der Welt. Was war sein Leben gegen tausende? „Samsa …“ begann Daimon, doch der Engel unterbrach ihn und legte ihm einen Finger auf die Lippen. Daimon verstummte. Seine dunklen Augen sprachen von Liebe und Sorge. Sie waren so viel schöner als der ewige Hass. „Ihr werdet mich ausliefern“, sagte Samsa. Er strich über Daimons Wange. „Niemals!“ „Ihr werdet mich ausliefern“, wiederholte Samsa bestimmt. „Es gibt nur diese eine Möglichkeit. Ich möchte nicht verantwortlich dafür sein, dass deine Brüder sterben müssen und dass du dich in noch mehr Gefahr begibst. Ich bekomme was ich verdiene. Das Beste ist, du würdest mich einfach vergessen.“ Keine Hoffnung. Nicht einen Funken mehr. Nur noch der Wunsch alldem endlich ein Ende zu machen. „Das könnte ich niemals“, sagte Daimon leise, etwas atemlos vor Entsetzen. „Du weißt, dass ich das nicht könnte.“ Die Erde unter ihnen begann zu beben, ein Grollen rollte durch die unterirdischen Hallen und Gänge. Bevor Samsa wusste wie ihm geschah, schloss Daimon ihn schützend in die Arme. Das Grollen verstummte. Ein wenig Staub rieselte von der Decke. Samsa nahm das Gesicht seines Geliebten in die Hände und sah ihn eindringlich an. „Lass mich gehen“, verlangte er. „Ich will dich nicht verlassen müssen, ohne dass du es wenigstens verstehst.“ „Ich verstehe nicht, warum du ein Märtyrer für diese Wahnsinnigen sein willst. Ich verstehe nicht, warum du dich immer wieder vor ihm beugst!“ Daimon zitterte. Erneut erbebte die Erde. Von draußen drangen Kampfgeräusche zu ihnen durch. „Das reicht“, Samsa schüttelte den Kopf. Er schlang die Arme um Daimons Nacken und küsste ihn ängstlich, verlangend. Überrumpelt erwiderte Daimon den Kuss. Das Herz des Engels hämmerte in seiner Brust, zählte die letzten Schläge, die ihm noch blieben. „Ich liebe dich“, hauchte Samsa gegen die Lippen des Dämons und stieß ihn dann von sich. Daimon blieb keine Gelegenheit ihn noch zu greifen. Eine Schlacht, wie sie vor den Toren der Hölle tobte, hatte noch niemand je gesehen. Der blütenweiße Schnee färbte sich rot vom Blut der Krieger. Es war ein ungeordnetes Gemetzel zwischen Engeln und Dämonen, ein Gemetzel in dem schwarz und weiß zu grau verschmolzen. Doch als Samsa das Schlachtfeld betrat schien die Zeit stehen zu bleiben. Die Kämpfe verebbten. Zielstrebig trugen ihn seine Füße durch den besudelten Schnee. Die Engel zögerten, anscheinend musste er sich noch aufwecken. Samsa murmelte einen tödlichen Fluch und richtete ihn auf den obersten Befehlshaber der göttlichen Garde. Ein Aufschrei ging durch die Engel, als ihr Anführer mit einem qualvollen Todessschrei zu Asche verbrannte und diese als ein widerlicher Grauer Schleider zu Boden rieselte. Einige der Gardeengel stürzten sich wütend auf Samsa, doch sie wurden von zwei flinken Gestalten getötet. Saya und Deya landeten rechts und links neben Samsa. „Wenn ihr ihn holen wollt …“ „ … dann müsst ihr erst an uns vorbei!“ Deya schwang sein graziles Schwert lässig hin und her und bedachte scheinbar jeden der Gardeengel mit einem feindlichen Blick. „Niemand tötet den, der mir das Leben gerettet hat“, sagte er zu Samsa, jedoch ohne den Blick von seinen Feinden zu wenden. Saya lächelte. So schrecklich schön. „Hat man dir nicht beigebracht, dass Selbstmord eine Sünde ist, also wirklich.“ Sie schienen älter geworden zu sein, in der kurzen Zeit, die Samsa sie nicht gesehen hatte. „Versprecht mir auf euren Bruder aufzupassen“, erwiderte Samsa und fegte die beiden mit einem Flug von seiner Seite, verschaffte den erneut heranstürmenden Engeln freie Bahn. Viel Energie hatte er nicht mehr übrig. Er hoffte, dass sich ihm niemand mehr in den Weg stellte. Es waren genug unschuldige gestorben. Der Schnee hier oben würde wahrscheinlich auf ewig rot bleiben. Die Gardeengel kreisten ihn ein, blieben vorsichtig, denn er hatte ihnen demonstriert wozu er fähig war. Er wehrte sich nicht, als sie ihre Waffen senkten, und immer näher kamen. Das war es also, das Ende. Nicht einmal der Schöpfer selbst würde sich mehr die Hände an ihm schmutzig machen. Samsa schloss die Augen und atmete ein letztes Mal tief ein. Wieder schien die Zeit unendlich träge an ihm vorbeizufließen. Als sich die erste Waffe in seinen Körper bohrte war der Schmerz geradezu unerträglich, doch irgendwann wurde er taub für all das. Ein schwarzes Tuch legte sich über seine Augen. Scheinbar weit entfernte Geräusche erreichten sein Bewusstsein noch. Das Rascheln von Flügeln, der Schrei eines Mannes. Dann war es vorbei. Samsas toter Körper landete im Schnee, tränkte die Stelle mit Blut auf der er aufschlug. Die Gardeengel traten mit triefenden Waffen zurück. Sie hatten Gottes Urteil vollstreckt. Jetzt fehlte nur noch eine Kleinigkeit. Ein Leuchten erhob sich aus Samsas Brust, wurde immer greller. Bald würde es seinen Körper verlassen, dann war es an ihre die Seele endgültig zu zerstören. Doch sie hatten sich verrechnet, hatten nicht gewusst, welchen Blutrausch sie ausgelöst hatten. „Tötet sie, tötet sie alle!“ Die Stimme klang wie die eines Wahnsinnigen. Doch sie hatten nicht mehr lange Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Das Heer der Dämonen fiel über sie her, als säße Satan persönlich ihnen auf den Schultern und metzelten sie Engel grausam nieder. Schwerter und Flüche zertrennten Sehnen und Knochen, brachten Herzen zum Stillstand. „Die Seele“, Daimon konnte das Leuchten nicht aus den Augen lassen, das sich pulsierend immer weiter von seinem einstigen Körper entfernte. Er musste es aufhalten, doch die Gegner die sich ihm entgegenstellten waren zu zahlreich, hielten ihn zu sehr auf, wie sehr er auch den Tod unter sie streute. Auch seine Brüder konnten sich nicht vorkämpfen, konnten Samsas Seele nicht erreichen. Saya knickte unter dem Hieb eines Engels zusammen. Sein Zwilling warf sich schützend über ihn. Keine Chance die Seele zu fangen. Die übrigen Engel begannen zu fliehen. Doch nur wenige fanden ihren Weg zurück in den Himmel. Daimon interessierten sie nicht. Er breitete seine nachtschwarzen Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte, der ziellosen Seele folgend, immer ihr Leuchten vor Augen. Sie war flink, doch sie schien nicht vor ihm zu fliehen. Einer winzigen Fee gleich tanzt sie um den Dämon herum, entwand sich immer wieder seinen Fingern, bis er sie schließlich doch halten konnte. In seinem Kopf hatte eine Idee Gestalt angenommen. Kapitel 7: Ein Mensch --------------------- Ich muss mich mal eben selbst loben ;) weil ich so schnell wieder ein neues Kapitel vorlegen kann. Ehrlich gesagt kenne ich das gar nicht von mir ^^ Na ja, gut für euch. Viel Spaß! ~+~+~+~+~+~+~ Kapitel 7 Ein Mensch Simon schreckte aus dem Schlaf hoch. Sein Pyjama war schweißgebadet und er tastete mit zitternden Fingern nach dem Schalter seiner Nachttischlampe. Endlich fand er ihn und das grelle Licht blendete seine blauen Augen. Mit immer noch rasendem Herzen schlang er die Arme um die Knie. Sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Der Schweiß ließ ihn frieren, doch die Kälte, so unangenehm sie auch war, lenkte ihn nicht von dem ab, was ihm Angst machte. Immer wieder hatte Simon schreckliche Träume. Er stand mitten auf einem Schlachtfeld, umgeben von Kriegern. Die einen waren schwarz gekleidet, die anderen komplett weiß. Während die kämpften verschwammen die Farben, wurden zu grau und schließlich zu rot, zu Blut, zu ganzen Seen voll Blut. „Simon“, Jemand legte ihm von hinten die Arme um die Taille und drückte ihn sanft an sich. Ein beruhigendes Gefühl. Der warme Körper gab ihm wieder etwas Realität zurück. „Schon wieder dieser verdammte Traum, Toni“, sagte er leise. „Es kommt immer öfter. Wenn das so weitergeht kann ich vor lauter Angst nicht mehr einschlafen.“ „Es ist alles gut. Es ist nur ein Traum“, sagte Antonie ruhig. Er legte das Kinn auf Simons Schulter. Es tat so gut, dass er immer da war. Seit Simon denken konnte, war Antonie an seiner Seite. Er war ein ungewöhnlicher Mensch, wunderschön und intelligent. Toni schien alles zu wissen, alles zu kennen und konnte Simon jede Frage beantworten. Nur zu den Träumen sagte er nichts. „Das Unterbewusstsein“, hatte er einmal gesagt. Dabei war es geblieben. In Simons Unterbewusstsein spielte sich etwas ab, was er nicht ergründen konnte. Er glaubte, dass Antonie es wusste, es aber nicht wagte Vermutungen anzustellen. Vielleicht war es zu schrecklich? Simon seufzte leise. Er war elendig müde, doch er wollte die Augen nicht schließen. Was, wenn die Bilder und der Traum zurückkamen? Blut, überall Blut. Simon konnte kein Blut sehen. Er wurde jedes Mal beinahe ohnmächtig. „Weißt du was?“ sagte er leise, um sich wachzuhalten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieser Körper nicht zu mir gehört.“ Das klang verrückt, war es sicher auch. Den Beweis dafür lieferte Toni ihm, als er leicht zusammenzuckte. „Wie kommst du darauf?“ sagte er sanft. Ein ungewöhnlicher Mensch, so lieb, so klug, so schön. Der beste Freund, den man sich nur wünschen konnte. Ein bisschen blass vielleicht und er hatte ein eigenartiges Faible für weiße Dinge. „Ich weiß auch nicht“, gab Simon zu. „Nur manchmal geistert mir diese Idee im Kopf herum und ich glaube zu spüren, wie mein Körper um mich herum zerfällt. Wie er älter wird und stirbt, obwohl mein Bewusstsein alterslos ist. Das ist verrückt, oder?“ „Als Theologe muss man verrückt sein“, Toni lachte leise und drückte Simon etwas an sich. „Das habe ich dir doch schon mal erklärt. Wärest du normal, würdest du unter deinen Kommilitonen noch unangenehm auffallen.“ „Ach du!“ Simon drehte sich in Tonis Armen herum und schubste ihn leicht. „Mach dich nicht über mich lustig, du Genie. Nicht jeder kann so schlau sein.“ „Das kann wirklich nicht jeder“, Toni lächelte. Ein strahlendes Lächeln, eine perfekte Reihe weißer Zähne und blitzende hellblaue Augen. In Simon erwachte wieder das Verlangen Toni zu umarmen, sogar noch mehr. Er sehnte sich danach ihn zu küssen, doch das stand auf einem ganz anderen Blatt. Toni liebte ihn sehr, das wusste Simon genau und doch wagte der Ältere es nicht ihm zu nahe zu kommen. Eine tröstende Umarmung, eine Schulter zum ausweinen, all das konnte Antonie ihm bieten, aber nicht mehr. Es war, als hätte er regelrecht Angst davor. Noch eine Antwort, die er Simon nicht geben wollte. „Vielleicht solltest du schlafen“, sagte Toni und riss Simon damit aus seinen Gedanken. „Morgen musst du wieder früh in der Uni sein.“ „Oh nein“, Simon zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte lustlos den Kopf. „Morgen habe ich eine Vorlesung über Monotheistische Religionen. Ich mag das nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen. Als er heute etwas von Dämonen und Engeln erzählt habe, bin ich bald wahnsinnig geworden …“ „Warum?“ unterbrach Toni ihn. Sein Blick war unergründlich und das Lächeln wie weggewischt. „Ich hatte Kopfschmerzen“, gab Simon zu. „Je mehr er erzählt hat umso schlimmer sind sie geworden. Ich musste aus der Vorlesung raus, wollte zum Arzt, doch als ich vor der Tür stand war plötzlich alles weg.“ „Keine Schmerzen mehr?“ fragte Toni besorgt. „Rein gar nichts. Das war komisch, deshalb bin ich wieder reingegangen, doch nach 5 Minuten war es wieder unerträglich. Ich konnte dem Professor nicht zuhören.“ „Du solltest wirklich schlafen“, wiegelte Toni das Thema ab. Endlich lächelte er wieder. Das tat unendlich gut. Er sprang leichtfüßig vom Bett und sah Simon auffordernd an. Dieser legte sich gehorsam wieder hin und Toni deckte ihn liebevoll zu. „Mach dir keine Sorgen, okay?“ sagte er und strich über Simons Haar. „Es wird sich alles klären, das verspreche ich dir.“ „Was …?“ fing Simon an, doch da wurden ihm schon die Lider schwer und er sank müde ins Kissen. Kaum zwei Sekunden später schlief er tief und fest. Kein Traum schreckte ihn wieder auf. Als Simon wieder aufwachte, war es schon sehr hell. Allein das war beunruhigend. Im Winter sollte es um diese Zeit nicht hell sein. Er fuhr aus dem Bett hoch und warf einen Blick auf seinen Wecker. Neun Uhr, das war wirklich nicht gut. Er hätte schon vor einer Stunde in der Uni sein müssen. Fluchend rannte er zu seinem Schrank, zerrte wahllos ein paar Klamotten heraus und stürmte aus dem Schlafzimmer. Er und Antonie hatten eine gemeinsame Wohnung, etwas wie eine Studenten WG, nur das sich eigentlich kein Student eine so große und perfekt eingerichtete Bleibe leisten konnte. Simon fragte nicht nach. Seine Eltern unterstützten ihn, doch die Wohnung bezahlte Toni. Wovon auch immer … Simon hatte irgendwann damit aufgehört darüber nachzudenken. Hastig stolperte er ins Badezimmer. „Entschuldige!“ keuchte er, als er bemerkte, dass er nicht allein war. Toni stand in der Mitte des gefliesten Raumes, nur ein Handtuch um die Schultern gewickelt, die Haare noch nass. Simons Blick fiel auf die grausamen Narben, die sein Freund auf dem Rücken trug. Sie begannen an den Schulterblättern und zogen sich bis hinunter zur Hüfte. „Ich wollte dich nicht wecken“, sagte Antonie verlegen. „Du hast so friedlich geschlafen.“ Simon blinzelte etwas verstört und musste einen Moment darüber nachdenken, war Toni eigentlich gesagt hatte. Immer, wenn er diese Narben sah begann irgendetwas in ihm zu flattern. Es war eine Art Nervosität die unter der Oberfläche kratzte, die herauswollte. Simon hatte immer das Bild einer großen Spinne in einem Pappbecher vor sich. Ihre haarigen Beine kratzten über die Oberfläche des Bechers, doch sie konnte nicht heraus. „Ist ja auch egal“, sagte Simon schließlich etwas lahm. Er hatte so wie so keine Lust auf die erste Vorlesung gehabt. Das Skript konnte er sich ja aus dem Internet holen. „Ich mache uns Frühstück, ja?“ Antonie lächelte und ging an Simon vorbei um das Badezimmer zu verlassen. Wieder musste Simon die Narben anstarren. Woher konnten sie kommen? So identische Narben auf dem Rücken, als hätte man ihm dort die Haut herausgerissen. Antonie sprach nicht darüber. Einen Unfall hatte er es genannt. Simon zog sich langsam auf und stieg in die Dusche. Genüsslich ließ er das warme Wasser über seine haut laufen, wärmte seine Finger, die fast immer kalt waren daran. Es gab so viele Geheimnisse, so viele Ungereimtheiten in seinem Leben. Und doch war es eigentlich so schön, dass er gar nicht zu tief bohren wollte. Simon war glücklich hier zu sein, bei Toni zu sein. Er hatte eine tolle Kindheit gehabt und liebevolle Eltern. Außerdem sah er gut aus und war auch halbwegs intelligent. Nicht so sehr wie Toni, aber immerhin. „Wenn ihr ihn holen wollt, dann müsst ihr erst an uns vorbei!“ Simon schwankte, konnte sich gerade noch an der nassen Wand abstützen. Die Worte hallten durch seinen Kopf, als hätte sie ihm jemand ins Ohr gebrüllt, doch er war vollkommen allein im Badezimmer. Ein rasender Schmerz fuhr durch seinen Kopf. „Hat man dir nicht beigebracht, dass Selbstmord eine Sünde ist, also wirklich.“ Simon ließ sich auf die Knie nieder und presste die Hände gegen die Schläfen. Was war das? „Du bist doch ein Engel! Du kannst ihn zurückholen!“ Engel? Der Spuk verschwand so schnell wie er gekommen war. Auch die Schmerzen verblassten und die Stimmen mit ihnen. Simon ließ seinen Kopf gegen die kalten Fliesen sinken. Es fühlte sich an, als hätte er Fieber und er begann zu zittern. Was war nur los mit ihm? „Du bist blass“, stellte Toni fest, als sich Simon zu ihm an den großen schwarzen Tisch setzte, auf dem eine hübsche weiße Decke lag. Toast, Marmelade und Käse standen bereit. Auch an Kaffee hatte Toni gedacht. „Ich fühle mich nicht gut“, gab Simon zu. Eine Traurigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, die er sich nicht erklären konnte. Simon hatte das Gefühl, dass ihm etwas fehlte was er schrecklich vermisste. Der Tisch verschwamm vor seinen Augen, als sie sich mit Tränen füllten. Sofort war Antonie an seiner Seite. „Was ist los?“ „Irgendwas passiert mit mir“, sagte Simon leise. Eine Träne fand ihren Weg über seine Wange. „Ich höre Stimmen und ich fühle mich schrecklich.“ Toni zog ihn von seinem Platz hoch, heraus aus der Küche und in den Flur. Simon konnte ihn nur entgeistert anstarren. „Zieh dir etwas an, es ist kalt draußen“, sagte er und reichte Simon seinen Wintermantel, einen Schal und Handschuhe. „Du solltest ein paar Antworten bekommen.“ „Antworten?“ Simon nahm den Mantel entgegen machte aber keine Anstalten ihn anzusehen. „Von wem denn?“ „Jedenfalls nicht von mir. Ich habe kein Recht sie dir zu geben. Meine Aufgabe ist es auf dich aufzupassen.“ Während er das sagte nahm Toni seinem Freund den Mantel wieder ab und legte ihn Simon über die Schultern. „Komm schon. Du solltest es endlich erfahren.“ Simon wollte weitere Fragen stellen, doch etwas ließ ihn stocken. Aus dem Augenwinkel sah er einen schwarzen Schatten an sich vorbeihuschen. Entsetzt fuhr er herum und erschrak heftig, als er zwei sehr junge Männer in schwarzen Kleidern in seinem Flur stehen sah. Die beiden mussten Zwillinge sein, denn ihre Gesichter glichen sich wie ein Ei dem anderen. Zwei Paar dunkle Augen ruhten forschend auf ihm. „Das muss schrecklich sein“, sagte der eine von ihnen und lehnte sich gegen die Schulter seines Bruders. Sie wirkten sehr vertraut miteinander, fast zärtlich. „Eingesperrt in einen Menschenkörper“, setzte der andere den Satz fort und seufzte leise. „Ein Körper der altert und zerfällt.“ Kapitel 8: Leben und Tod ------------------------ Ein kleines süßes Kapitel zum Start in die neue Woche ;) ~+~+~+~+~+~+~ Kapitel 8 Leben und Tod „So zerbrechlich“, die Zwillinge sahen sich an und nickten leicht, als hätten sie kommuniziert, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. Antonie schob sich zwischen Simon und die beiden Fremden, wie um ihn vor ihnen abzuschirmen. „Wer seid ihr?“ fragte er. Allein gegen zwei von ihnen würde er unterliegen, so viel war ihm klar. „Wer wir sind? Daimons Brüder“, bekam er als Antwort. Antonie stutzte. „Wir sind hier um dich abzulösen, denn der Schutz eines gefallenen, machtlosen Engels wird bald nicht mehr ausreichen um Samsa zu schützen.“ Sie nickten synchron und verschränkten die Arme vor der Brust. Ein eingespieltes Team. „Wo ist euer Bruder? Warum kommt er nicht selbst?“ fragte Antonie und schob Simon ein wenig in Richtung Tür. Was sollte das werden? Ein Fluchtversuch? „Er kann sich noch nicht zeigen“, sagten die Zwillinge. Einer von ihnen deutete auf Simon und sagte leise: „Er befürchtet, dass dieser fragile Verstand zerbrechen wird, wenn er sich zeigt. Die Erinnerungen könnten zu viel sein, der Körper könnte sterben, wenn die Seele zu mächtig für ihn wird.“ „Was soll das heißen?“ fragte Simon jetzt laut und schob sich neben seinen Freund, der mehr als besorgt aussah. „Und wer seid ihr. Ich habe das Gefühl euch zu kennen, aber … ich weiß es nicht genau.“ „Wir sind Saya und Deya. Du kennst uns, Samsa, aber du wirst dich nicht mehr erinnern können. Hat er dir nie erzählt, wer du bist?“ fragte der, der sich als Saya vorgestellt hatte und musterte Simon mit seinen dunklen Augen bedauernd. „Nein – Toni was -?“ „Ich glaube nicht, dass er es so erfahren sollte!“ ging Antonie dazwischen. „Ihr solltet Daimon holen. Ich denke nicht, dass er daran zerbricht, doch es muss jemand behutsam an die Sache herangehen, sonst wird er es einfach nicht glauben. Das ist die Natur der Menschen. Er träumt bereits von dem Tag an dem er gestorben ist und er steht oft völlig neben sich. Ich denke, dass es Zeit ist Daimon zu holen und ihm die Wahrheit zu sagen.“ „Welche Wahrheit?“ wollte Simon wissen, doch niemand beachtete ihn. „Engel“, sagte Deya und sah Antonie dabei an. „Dein Auftrag ist hiermit beendet. Wir werden ihn einfach mitnehmen und du kümmerst dich wieder um deine eigenen Angelegenheiten. Ich glaube nicht, dass du möchtest, dass Daimon hier auftaucht. Er ist … nun ja wütend auf dich.“ Deya lächelte kalt. „Warum?“ fragte Antonie verwirrt. „Warum sollte er wütend sein? Ich habe meine Aufgabe nach bestem Gewissen erfüllt und niemals versagt. Keiner hat ihm je ein Haar gekrümmt.“ Saya machte wütend einen Schritt nach vorn, so dass er ganz dicht vor Antonie stand, der nicht zurückwich, obwohl seine ganze Haltung extrem angespannt war. „Du bist ihm zu nahe gekommen“, zischte Saya wütend. „Dafür hättest du den Tod verdient, Engel. Glaube nicht wir hätten dich nicht beobachtet. Er ist der Geliebte unseres Bruders, er ist dadurch ein Mitglied des fürstlichen Clans geworden und wenn du ihn anrührst, dann wirst du die Rache dafür auch zu spüren bekommen. Wir halten zusammen, damit du es weißt!“ „Das reicht, okay? Ich habe nichts mit euch zu schaffen. Es gibt eine Abmachung zwischen mir und Daimon und ich werde euch Simon sicher nicht überlassen. Wer sagt schon, dass ich euch trauen kann? Ihr seid schließlich nichts weiter als Dämonen. Ihr lügt so viel, wie ihr atmet. Verschwindet von hier.“ Ein verächtliches Schnauben war die Antwort darauf, doch die Zwillinge lösten sich in Nichts auf und Simon und Antonie blieben allein zurück. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte Simon leise. „Wer ist Daimon?“ „Ich bin ein Engel.“ Wieder diese Stimmen. So laut, als würde jemand neben ihm stehen. Und der Schmerz der alle anderen Geräusche und Gefühle übertönte. „Für dich wird kein Platz mehr hier sein.“ Der Schnee fiel so dicht, dass er einem fast komplett die Sicht nahm. Die Welt war eine einzige weiße Wüste in der man Himmel und Erde nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Orientierungslos, verloren. Daimon streckte die Hand aus. Die Schneeflocken, die sie berührten schmolzen auf der Stelle. Keine Schneeflocke dieser Welt konnte sich auf ihm niederlassen, ohne das gleiche Schicksal zu erleiden. Dazu war seine Haut zu warm, sein Blut zu heiß. Schnee, so weiß wie die Haut eines Engels. Rein und so zerbrechlich. Ein wenig wärme konnte ihn einfach vernichten, zu Wasser werden lassen, das zwischen seinen Fingern verrann. Wie ironisch. Engel und Schnee hatten so viel gemeinsam. Auch Samsa war unter seinen Fingern gestorben. „Er gibt ihn nicht raus“, Daimon zuckte nicht einmal mit der Wimper, als seine Brüder rechts und links von ihm auftauchten. „Er verlangt sogar, dass du persönlich auftauchst und mit ihm redest. Uns könne er nicht trauen. Samsa weiß von nichts mehr. Er denkt wirklich er wäre ein Mensch.“ „Er ist ein Mensch“, stellte Daimon klar. Drei schwarze Flecken waren sie in dieser Eiswüste. Schandflecken? „Seine Seele steckt im Körper eines Menschen. Kato hat gesagt, wenn er sich erinnert dann wird auch sein Körper wieder der eines Engels, weil die Seele bestimmt …“ Daimon hob die Hand und sein Bruder schwieg sofort. Graue Theorie. Niemand wusste ob Kato recht hatte und ebenso viele andere behaupteten das Gegenteil. Die Engel sagten, dass ein menschlicher Körper keine heilige Seele beherbergen könne, ohne daran zugrunde zu gehen. Nun ja, Simon Winters Körper hatte es geschafft. Er war immerhin 20 Jahre lang von Samsas Seele geleitet worden. Nachdem Daimon Samsas Seele eingefangen hatte, war er in eine der großen Menschenstädte gereist. Er hatte ein Kind gesucht. Ein Baby, ein unausgereifter Körper, der Samsas Seele beherbergen konnte, bis er soweit war zurückzukehren. In einem Krankenhaus, aus der Entbindungsstation war er fündig geworden. In tiefster Nacht hatte er sich durch die Reihen der Babybettchen geschlichen. Sie alle hatten ruhig geschlafen, selbst die Krankenschwester, die sie beaufsichtigen sollte. Deshalb hatte sie auch nicht bemerkt, dass eines der kleinen Wesen längst nicht mehr atmete. Vor dem besagten Bett war Daimon stehen geblieben. Ein ganz normales Kind, allerdings tot. Die Seele in Daimons Fingern hatte leicht gezittert. Ja … sie wollte es versuchen. Keine Seele war gern ohne Körper. Daimon hatte sie losgelassen und das leuchtende Ding hatte sich auf die Brust des Babys gesetzt und war verschwunden. Daimon hatte das Kind beobachtet, doch an seinem Gesicht hatte sich nichts verändert. Den Eltern würde also nichts auffallen. Behutsam strich er über die Wange des Kleinen und verschwand dann lautlos. „Ich glaube wirklich, dass es stimmt“, sagte Saya leise. Seine Stimme wurde fast vom Wind davongetragen. „Er kann wieder Samsa werden, aber er sollte schnell wiedererweckt werden, bevor Gott auffällt dass sein Schäfchen kein wirklicher Mensch ist. Er könnte diesen Körper mit einem Handschlag töten.“ „Was geht hier vor, bitte sag es mir!“ Simon kam es vor als bettle er schon seit Stunden. Antonie ließ sich einfach nicht dazu bringen irgendetwas zu sagen. Er schüttelte nur bestimmt mit dem Kopf und seufzte ab und zu leise. Was hatten diese beiden Jungen zu bedeuten? Warum wirkten sie so irreal? Wer war Daimon? Warum hatten sie ihn Samsa genannt? „Ich kann es nicht sagen!“ fuhr Toni ihn plötzlich an. Er verlor die Geduld. Das hatte Simon noch nie erlebt. „Warum nicht?“ fragte er leise. „Weil ich nicht das Recht dazu habe und weil ich nur die halbe Geschichte kenne! Du wirst es schon noch verstehen, früher oder später. Bitte warte es bis dahin ab, okay?“ Simon sah ihn lange an, überlegte fieberhaft wie er etwas aus ihm herausbekommen konnte. Toni würde eisern bleiben, dass wusste er viel zu gut. Also musste er es anders versuchen. „Gibt es Engel?“ fragte er vorsichtig. Toni warf ihm einen scharfen, prüfenden Blick zu, bevor er in Richtung Fenster starrte und die Lippen zusammenpresste. „Ja, gibt es“, sagte er schließlich gepresst. „Engel, Dämonen, den Teufel und sogar Gott. Es gibt sie alle!“ Simon starrte ihn einen Moment lang sprachlos an, bevor er sich daran erinnerte, dass er vielleicht weiteratmen sollte. „Hast du … schon mal einen gesehen?“ fragte er schließlich heiser. „Du hast eben gerade zwei Dämonen gesehen. Und ich habe schon viele Engel gesehen“, stellte Antonie klar. Noch immer starrte er verbissen auf das Fenster. „Ich schätz du konntest ihre schwarzen Schwingen nicht sehen?“ „Nein“, gab Simon zu. „Menschliche Augen sehen sie nicht. Dämonen können sich vor menschlichen Augen vollkommen verbergen, wenn sie wollen. Genau wie Engel. Zumindest solange sie ihre Flügel noch haben.“ „Was meinst du damit?“ Simon rückte näher zu ihm heran. Sie hatten sich auf der ausladenden Couch in ihrem Wohnzimmer niedergelassen, nachdem Simon wieder Kopfschmerzen bekommen hatte. Jetzt waren diese jedoch vollkommen verschwunden. „Wenn ein Engel die Regeln bricht, dann werden ihm die Flügel abgeschlagen und er wird auf die Erde verbannt. Er wird zu einem gefallenen Engel und lebt dann meist unter den Menschen weiter“, Antonie wurde mit den letzten Worten immer leiser, dich für Simon ergaben sie einen fürchterlichen Sinn. „Du bist ein Engel“, stellte er unverblümt fest. „Ein gefallener Engel“, wehrte Antonie ab. Er erhob sich hastig von seinem Platz, als wolle er vor Simon fliehen, dessen Augen ihm folgten. Was, wenn er zu viel sagte? Was, wenn Simons menschlicher Verstand es wirklich nicht verkraftete? Daimon würde ihm schlimmeres antun, als er jemals erlebt hatte und Toni hätte ihn nicht einmal daran gehindert. Er wusste zu gut wie es war, seinen Geliebten zu verlieren. „Und dieser Daimon, er ist ein Dämon nicht wahr? Ein mächtiger Dämon. Bitte … erzähl mir etwas über den Himmel und die Hölle“, auch Simon erhob sich, trat an seinen Freund heran und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Du musst mir nicht sagen, was genau mit mir ist, wenn du nicht willst, aber erzähl mir von all den anderen Dingen.“ Auch wenn es schwer fiel. „Na gut, ich denke das ist okay“, Antonie rang sich ein Lächeln ab, um Simon etwas zu beruhigen. Zumindest drängt er nicht mehr darauf zu erfahren, dass Gott ihn hasste und seinen Tod herbeisehnte. Kapitel 9: Die, die wir lieben ------------------------------ Kapitel 9 Die, die wir lieben Er hatte lange dagegen angefochten, doch am Ende war die Müdigkeit stärker gewesen. Toni strich sanft über Simons Haar, der auf seinem Schoß schlief. Sein Gesicht sah so friedlich aus. Alles hatte er hören wollen, jedes Detail. Immer wieder hatte er sich gezwungen die Augen offen zu halten, zwecklos. Der Mensch brauchte seinen Schlaf. Toni seufzte in die Dunkelheit des Zimmers. Er hatte Simon in sein Herz geschlossen, viel mehr, als er es gewollt hatte. Und er wusste, dass auch Simon ihn liebte, mehr als er durfte. Fast kam er sich wie ein Verräter an seinem toten Geliebten vor. Doch selbst wenn er so fühlte, war Simon immer noch nur ein Gefäß für Samsas Seele und Samsas Herz gehörte Daimon. Einem Dämon … verrückt. Wieder strich Antonie über Simons Haar. Ob Daimon wusste, was er getan hatte? Ob er ahnte, dass die Seele des toten Kindes noch in diesem Körper war? Es klang theatralisch, doch in Simon steckten wirklich zwei Seelen. Toni konnte es deutlich spüren. Nur deshalb lebte Simon ohne Erinnerungen, nur deshalb hörte er Stimmen. Die fremde Seele in seinem Körper bahnte sich langsam einen Weg in sein Bewusstsein. Man konnte es als Schizophrenie bezeichnen. Antonie jedoch betrachtete es als eine Art Symbiose. Nur durch Samsas Seele konnte Simons Körper leben. Die Seelen liebten ihre Körper und verließen sie nur ungern. Die Zeit im Seelenstrom des Todes machte ihnen Angst. Ihr zu Hause war ein menschlicher Geist. Antonie ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Am Nachthimmel glitzerten Sterne. Sie leuchteten wie tausende körperlose Seelen. Und plötzlich verdunkelten sie sich. Antonie fuhr zusammen, als das zweite Mal das große Wohnzimmerfenster zersplitterte. Dieses Mal würde es keine kurze, aber ungefährliche Begegnung werden. Simon fuhr, vom Lärm geweckt hoch und Toni schnippte mit den Fingern. Das Licht im Zimmer ging an und zweigte ihnen drei stark gerüstete Engel. Gardeengel. Hochmütig wirkten sie, als wären sie sich ihrer Sache nur allzu sicher. Ein Gefallener und ein Mensch, was waren das schon für Gegner? „Was wollt ihr!?“ fuhr Toni sie an, während er Simon hinter sich zog. Es war seine Pflicht ihn zu verteidigen, auch wenn es das Letzte sein sollte, was er tat. „Geh aus dem Weg. Von dir wollen wir nichts. Wir wollen ihn. Er hat etwas, was ihm nicht gehört“, sagte einer der Engel. Seine Stimme klang sanft und liebkosend. Völlig unpassend zu der ganzen Situation. Eine Stimme von der man glaubte, man könne ihr ohne Überlegung trauen. Doch die Waffen sprachen eine ganz andere Sprache. „Verschwindet, sonst wird es euch leid tun hierhergekommen zu sein!“ Sie lachten, glaubten ihm kein Wort. Simon begann zu zittern. Engel, flüsterte es in ihm. Es war seine eigene Stimme und doch so anders. Das Zittern wurde immer stärker. Einer der Gardisten zog sein Schwert und trat auf Toni zu. In seinem Gesicht lag nichts. Seine Züge waren kalt. Er glaubte, dass die Worte seines Gottes unfehlbar waren. „Überlege dir ob du wirklich sterben willst“, sagte er. „Ich werde nicht weichen“, war die Antwort darauf. Womit wollte er sich verteidigen? Mit bloßen Händen? Das Schwert des Engels blitzte auf, Blut spritzte und Toni taumelte nach hinten. Simon schrie auf, konnte seinen Freund auffangen, trotz der zitternden Finger. Blut überall Blut. „Nein, nein …“, hörte Simon sich sagen. „Nein, bitte nicht.“ Seine eigene Stimme klang so fern. Er wollte weinen, wollte Schreien, doch er konnte nicht. Etwas anderes leitete ihn, etwas was viel mächtiger war. Es fühlte sich so an, als lege jemand einen Schalter in seinem Kopf um und plötzlich strömte alles auf ihn ein. Wütend ließ er von Antonies Körper ab. Kälte machte sich in ihm breit, legte sich über seine Haut. Flügel sprossen aus seinen Schultern. Sein dunkelblondes Haar wurde fast weiß. Die Engel betrachteten ihn geschockt. Das gab ihm genug Zeit die Hand zu heben und einem von ihnen seinen ganzen Hass entgegen zu schleudern. Der Engel schrie auf, warf sich zu Boden und wand sich wie ein Wurm vor Schmerz. „Wie könnt ihr es wagen?“ zischte er wütend. „Wie könnt ihr das tun!?“ Sämtliches Glas im Raum zersplitterte, als er seine Stimme erhob. Der Engel schrie ein letztes Mal auf und zerfiel dann unter den entsetzten Blicken seiner Begleiter zu Staub. Es sah aus, als wollten die fliehen. Mit so viel Widerstand hatten sie nicht gerechnet, doch es kam nie dazu. Aus dem Nichts tauchte eine tiefschwarze Gestalt hinter ihnen auf und fast zeitgleich rollten ihre Köpfe über den Boden. Enthauptet sanken auch die Körper in sich zusammen. Samsa beachtete sie nicht weiter. Er kniete sich neben Antonie. „Ich hab nichts falsch gemacht, oder?“ fragte er mit schwacher Stimme. Überall war Blut. Es tropfte auf den hellen Boden, bildete Lachen. „Nein, hast du nicht“, antwortete Samsa sanft und strich ihm die Haare aus der Stirn. „Bleib ruhig, ich kann dich vielleicht wieder heilen …“ „Nein“, Tonis Hand ergriff seine, doch der Griff war schwach, zu schwach. „Es ist … okay. Ich … bin fertig …“ Er atmete rasselnd und ein kleines Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkel. Seine Lider flatterten. „Simon würde nicht wollen, dass ich dich einfach sterben lasse!“ redete Samsa auf ihn ein, doch Antonie lächelte. „Zwei Seelen“, wisperte er. „Ich hatte … Recht.“ Er wollte noch einmal die Hand heben, wollte noch etwas sagen, doch seine Augen brachen und die Hand fiel mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden. Seine Seele verließ den Körper, schwebte einen Moment vor Samsas Gesicht und rauschte dann davon, fort, fort, fort … Eine warme Hand legte sich auf Samsas Wange. Er blickte hoch in Daimons dunkle Augen. Ihre Liebe überschwemmte ihn, trieb ihm Tränen in die Augen. „Das hättest du niemals tun dürfen“, flüsterte er, denn die Tränen schnürten ihm fast die Kehle zu. „Ich wollte es aber“, antwortete Daimon. Er sah aus, als könne er es kaum ertragen, Samsa weinen zu sehen. „Ich habe dir versprochen um dich zu kämpfen solange ich atme. Ich breche meine Versprechen nicht.“ „Und was ist mit ihm?“ Samsa legte eine Hand auf seine Brust. Auf Daimons Stirn bildete sich eine Falte. „Was meinst du?“ fragte er. „Dieser Mensch in dessen Körper du mich gezwängt hast. Er ist noch da. Ich kann ihn spüren. Sein Herz ist gebrochen.“ „Er ist noch da?“ fragte Daimon, entsetzt, verständnislos. Samsa konnte es nicht deuten, doch die Falte auf seiner Stirn zeigte, dass es nicht das war, was der Dämon sich erhofft hatte. „Ja ist er. Wenn ich mich nicht festhalte, dann kommt er wieder. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube unsere Seelen sind … verwachsen in den letzten Jahren. Ich habe durch seine Augen geblickt, doch es nie gewagt hervor zu kommen. Doch eben, eben …“, Samsa schüttelte den Kopf und warf sich in Daimons Arme. Er suchte Trost, suchte die Lösung all ihrer Probleme. Doch es schien keine zu geben. Nicht hier, nicht im Himmel und nicht in der Hölle. Daimon hielt ihn fest, doch die Hoffnungslosigkeit hatte auch ihn längst zermürbt. Er war weit gegangen um noch einmal Samsas Augen sehen zu können, ihn noch einmal berühren zu dürfen. So weit, dass selbst der Tod wütend auf ihn war. Kato hatte es nicht verstanden. Er hatte getobt und geflucht und gedroht Samsas Seele eigenhändig aus dem Kind zu reißen. „Es ist nicht deine Aufgabe die Seelen einzusammeln!“ hatte er geschrien. „Und es ist auch nicht deine Aufgabe zu entscheiden wohin sie gehen!“ Daimon seufzte und vergrub das Gesicht in Samsas Haar. Das Kind war doch Tot gewesen. Warum war seine Seele nicht entflohen, wie üblich? „Sie wird krank gewesen sein“, sagte eine Stimme über ihnen. Samsa fuhr zusammen. Kato war aufgetaucht. Er hielt Tonis Seele in den Händen und blickte wütend auf die beiden hinab. Der Tod. Die Seele eines Engels strahlte so viel heller, als die der Menschen. „Was meinst du warum ein Kind stirbt? Meist ist es die Seele, die bereits beschädigt ist. Ich sortiere sie aus, so gut es geht, doch manchmal kann man die Verletzungen nicht erkennen.“ „Was können wir tun?“ wollte Daimon wissen. Er zog Samsa mit sich auf die Füße und hielt ihn fest, als könne er sich nur so davon überzeugen, dass er lebte. „Gar nichts“, zischte Kato wütend. Er steckte Tonis Seele in einen schwarzen Beutel, aus dem es verdächtig leuchtete. Der Tod im Dienst. „Ihre Seelen sind verschmolzen. Untrennbar miteinander verbunden. Stirbt die eine, so stirbt auch die andere. Das bedeutet zu einem, dass du sie nicht trennen kannst und zum anderen, dass Samsa ein Menschenleben lang Zeit hat. Mit Simons Seele wird auch er sterben.“ „Aber …“, Samsa betrachtete seine Hände, als sähe er sie zum ersten Mal. „Nein, du alterst nicht“, fuhr Kato ihn wütend an. „Es ist ein hochkomplizierter und verbotener Prozess zwei Seelen zu verschmelzen. Deine Gestalt wird sich nicht verändern, denn du bist zur Hälfte ein Engel. Doch die menschliche Seele in dir altert und irgendwann hört dein Herz auf zu schlagen. Danach werde ich dafür Sorge tragen, dass diese Missgeburt nie wieder einen Körper bekommt!“ „Aber Simon ist gealtert“, sagte Samsa leise und presste sich etwas näher an Daimon, als suche er Schutz vor dem personifizierten Tod. „Jetzt ist sein Körper ausgewachsen, jetzt altert er nicht mehr“, murrte Kato. Er sah auf die Uhr an der Wand. Als würde ihn die Zeit interessieren. „Wie hoch ist Simons Lebenszeit?“ fragte Daimon. Es war mehr ein Knurren, als eine Frage. Samsa spürte an seinem Zittern wie wütend er war. Seine Wärme tat unendlich gut. „Ich kann sie nicht sehen“, gab Kato zu, immer noch die Uhr betrachtend. „Es ist zu verschwommen, zu unklar. Es könnten ein paar Minuten sein, vielleicht auch noch 80 Jahre. Er ist eben kein normaler Mensch mehr. Fakt ist, dass eine verletzte Seele früher oder später zerspringt. Meist früher …“, er grinste schief, als würde die Vorstellung ihm gut gefallen. „Wenn sie zerspringt, dann …“ „Dann reißt sie die andere Seele mit, du Narr! Es gibt keine Hoffnung. Vergiss ihn einfach. Töte ihm und mach diesem Unsinn ein Ende!“ Kapitel 10: Allein ------------------ Kapitel 10 Allein Daimons Hände bebten vor Zorn und seine Augen glühten bedrohlich rot, doch er hatte keine Möglichkeit seiner Wut Luft zu machen. Kato war der Tod, er war unantastbar für sie alle. Niemand konnte ihm etwas anhaben. Und doch wünschte sich Daimon in diesem Augenblick er könnte ihn ins Jenseits schicken für diese Worte. ‚Töte ihn und mach diesem Unsinn ein Ende.‘ Das konnte er nicht ernst meinen. Er wusste selbst gut genug, wie sehr Daimon an dem Engel hin und wie weit er für ihn gegangen war. Hielt er das alles für ein Spiel? Für Daimon war es keines. „Verschwinde“, fauchte er bedrohlich. Ängstlich sah Samsa ihn an und griff beruhigend nach seiner Hand. „Auf deine Ratschläge kann ich verzichten!“ Kato machte nur ein missbilligendes Geräusch und war daraufhin verschwunden. Doch Daimon beruhigte sich kaum. Er wollte irgendetwas zerstören, um seine Wut herauszulassen. Beherrschung war nicht unbedingt seine Stärke. Erst als er das Zitternd spürte, dass durch Samsas Körper kroch, wurde er von seinen Rachegedanken abgelenkt. Er fuhr herum und sah gerade noch rechtzeitig, wie sein Geliebter ohnmächtig zu Boden sackte. Seine Haare waren wieder dunkelblond, die Flügel verschwunden, die Haut nicht mehr weiß. „Verdammt“, fluchte er leise. Was war hier los? Konnte dieser Simon etwas zurückkommen, wann immer er wollte? Konnte er Samsa abschalten, wie es ihm gefiel? Und wenn ja, warum konnte Samsa das nicht? Simon atmete angestrengt und schlug die Augen wieder auf. Daimon schien er nicht wahrzunehmen, denn sein Blick landete sofort auf Antonie, dessen leerer Körper noch immer in einer Blutlache auf dem Boden lag. Mit einem Schluchzen wollte er sich aufrichten, wollte zu seinem Freund kriechen, doch Daimon hielt ihn unwirsch fest und zog ihn zu sich zurück. Simons Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er den Dämon endlich bewusst ansah. Dieser Blick. Daimon hätte ihn am liebsten geschlagen, hätte ihn geschüttelt, bis er Samsa wieder herausrückte. Es musste furchtbar sein in diesen Körper gesperrt zu werden. „Wer bist du?“ Simons Stimme war ein heiseres Flüstern. Er versuchte seinen Arm Daimon zu entziehen, doch es gelang ihm nicht. Wieder schlichen sich Angst und Entsetzen in seinen Blick. „Hast du das getan?“ Daimon konnte praktisch sehen, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, nur um diese dann lautlos über seine Wangen rollen zu lassen. Ein ganz gewöhnlicher Mensch, doch irgendwo da drin steckte sein Samsa. „Natürlich nicht“, sagte er ebenfalls leise, als könnten sie den Toten wecken. „Aber wenn dir etwas an deinem Leben hängt sollten wir hier verschwinden.“ „Wer bist du?“ fragte Simon noch einmal und versuchte jetzt etwas nachdrücklicher sich von Daimon zu befreien. Wieder ohne Erfolg. „Ich passe von jetzt an auf dich auf, denn du hast etwas, was mir sehr viel bedeutet, kleiner Mensch. Also hör auf zu zappeln!“ Daimon zog ihn grob auf die Füße. Er konnte Simons rasenden Herzschlag spüren, der sein Blut durch die Adern pumpte. Sein Atem ging hektisch und stoßweise. So viel Angst … natürlich. Menschen hatten von Natur aus Angst vor Dämonen. Daimon hatte keine Geduld für so etwas. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf, doch er fand keine Lösung für diese Misere. „Ich habe nichts, was dir gehört!“ Simons Stimme war zu hoch. Die Panik wäre Musik in Daimons Ohren gewesen, hätte er nicht seine eigenen Probleme zu bewältigen gehabt. Wie konnte er Simon dazu bringen zu verschwinden. Wie holte er Samsa zurück? „Und ob du das hast!“ Ungeduldig zerrte er Simon mit sich aus der Wohnung. Sie nahmen einen ganz natürlichen Weg heraus aus dem Wolkenkratzer, um nicht eventuell irgendwelchen Engeln in die Arme zu fliegen. Simon hatte leise zu Wimmern begonnen. „Bitte lass mich los. Ich habe nichts getan. Lass mich zu Toni … ich …“ „Du kannst nichts mehr für ihn tun. Er ist tot und seine Seele haben sie längst zurückgeholt, also schweig gefälligst!“ fuhr Daimon ihn an. Simon sackte fast in sich zusammen unter der Wucht seiner Worte. Sie kamen nicht viel weiter, bis Simon erneut sprach. „Wo bringst du mich hin?“ Daimon überkam wieder diese unbändige Wut. Er fuhr herum und packte Simon grob, der vor Angst und Schmerz aufschrie, als er mit dem Rücken gegen die Wand schlug. „Halt.Den.Mund!“ fauchte Daimon. Seine sonst schwarzen Augen glühten wieder rot auf. Er musste vorsichtig sein. Menschen waren fragil. Doch die Enttäuschung darüber Samsa so schnell wieder verloren zu haben trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. „Ich würde dich in Stücke reißen, wenn ich dich nicht brauchen würde, also höre auf mich weiter zu reizen.“ Die Erde unter ihm schien sich kaum zu bewegen, und doch schmerzte seine Lunge schon. Schneller, trieb er sich immer wieder an, schneller. Doch er konnte nicht mehr. Bei jedem weiteren Schritt glaubte er das Bewusstsein zu verlieren. Seine Seiten schmerzen von seinen unregelmäßigen Atemzügen. Wann würde Daimon merken, dass er fort war? Wann würde er ihn finden? ‚Bleib stehen!‘ forderte die Stimme in seinem Kopf. In letzter Zeit hörte er sie ständig. Die Stimme war der Grund dafür, dass dieser Dämon ihn gefangen hielt, sie war der Grund dafür, dass Toni hatte sterben müssen. Simons Knie gaben nach und er landete schmerzhaft auf halb gefrorener Erde. Weiße Schneeflocken rieselten vom Himmel und die kalte Luft brannte in seinem Hals. ‚Du wirst hier draußen nur erfrieren‘, drängte die Stimme wieder. Eigentlich war sie sanft und auf keinen Fall so angsteinflößend wie Daimons, doch trauen konnte Simon ihr trotzdem nicht. ‚Lass mich einfach nach vorn, dann wird alles gut. Dann brauchst du dir keine Gedanken mehr machen und keine Angst haben.‘ Nach vorn lassen. So nannte die Stimme es immer. Simon sollte ihr seinen Körper überlassen, doch das wollte er nicht. Allein der Gedanke machte ihn krank. Als die Stimme das letzte Mal nach vorn gekommen war, hatte es wehgetan. Daran erinnerte er sich noch. Und dann, als er wieder zu sich kam, war Toni tot gewesen. Nein, sicher würde er sein Bewusstsein nicht aufgeben, was auch immer sie ihm einzureden versuchten. Keuchend arbeitete er sich zurück auf die Füße. Er zitterte, halb vor Angst, halb vor Kälte. Der schwere Mantel den Daimon ihm gegeben hatte hielt das gröbste ab und doch wurde es zunehmend kälter. Seine Augen wurden immer schwerer je weiter er ging und Simon hatte kein Ziel. Nur fort, einfach weg. Wenn er einschlief würde er erfrieren, das war ihm klar. Daimon wollte nicht, dass er starb. Bestimmt hing auch das mit der Stimme zusammen. Vielleicht … vielleicht. Erfrieren, so hatte sich Simon seinen Tod nicht vorgestellt, aber wenn das der einzige Weg war um dem Dämon zu entkommen, dann würde er ihn in Kauf nehmen. Was sollte er noch auf dieser Welt, wenn Toni fort war? Die drückende Angst hatte lange die Einsamkeit vertrieben, doch jetzt holte sie ihn mit einem Schlag ein und raubte ihm fast die Sinne. Toni war schon seit vielen Jahren ein fester Bestandteil seines Lebens gewesen. Niemals hatte Simon jemand anderen geliebt als ihn. In seiner Brust tat sich ein schmerzhaftes Loch auf und es war plötzlich so schwer weiter zu atmen. ‚Quäl dich nicht mit deinem Schmerz. Lass dich einfach fallen, den Rest erledige ich. Bitte vertrau mir doch. Niemand wird dir je mehr wehtun können.‘ Simon verfluchte die Stimme. Mit jedem Atemzug klangen ihre Worte verlockender. Nein, eher würde er sie beide mitreißen, als seinen Körper wegzugeben. Wer wusste schon was sie mit ihm vorhatten? Der Tod war die sicherere Variante. Wer konnte ihm schon garantieren, dass er den Schmerz und die Einsamkeit wirklich nicht mehr fühlen würde, sobald er die Stimme nach vorn ließ? ‚Lass mich dir eine Geschichte erzählen‘, bot die Stimme plötzlich an. Simon zögerte. Sollte er zuhören? „Na gut erzähl sie mir“, sagte Simon leise. Sein Atem ließ weiße Wölkchen entstehen. Die Kälte kroch immer mehr unter den Mantel und strich über seine Haut. Und die Stimme erzählte, während Simon mühsam einen Schritt vor den anderen setzte. Sie erzählte vom Himmel, einem heiligen Ort dessen Schönheit jeden berührte. Simon konnte es sich lebhaft vorstellen und manchmal gelang es ihm kaum ein schmales Lächeln zu unterdrücken. Doch die Geschichte wendete sich viel zu schnell, auch wenn Simon die Stimme mit Fragen löcherte. Es entstand eine Geschichte, kurz und traurig. Die Geschichte einer Liebe, die niemand akzeptieren wollte. „Es klingt wirklich verrückt“, sagte Simon. Seine Stimme zitterte bereits wie der Rest seines Körpers. „Ein Engel der sich in einen Dämon verliebt? Ich kann mir nicht vorstellen, wie das zustande kommt. Sie sind doch viel zu unterschiedlich. Das hast du selbst gesagt. Glaubst du für so eine Liebe gibt es Hoffnung?“ ‚Glaubst du, dass es Hoffnung gibt?‘ fragte die Stimme. Sie klang traurig. „Ich weiß nicht“, gab Simon zu. Sie waren an einem kleinen Wäldchen angelangt und er lehnte sich müde gegen einen Baum. „Aber sollte die Liebe in guten Geschichten nicht immer siegen? So wie in den Märchen … Schneewittchen, Aschenputtel … Dornröschen. Über all siegt die Liebe.“ ‚Was aber, wenn es kein Märchen ist, sondern die Realität?‘ fragte die Stimme weiter. „In der Realität ist natürlich alles anders“, gab Simon zu. „Wahrscheinlich würden sie da einige Monate zusammen bleiben und sich das Hirn rausvögeln, bevor sie nicht mehr miteinander auskommen und sie mit bösen Worten trennen. Am Ende würde nur noch Hass übrig bleiben. Das wäre die Realität. Oder sie müssten sterben, so wie Romeo und Julia.“ ‚Du siehst also kein Happy End?‘ hakte die Stimme noch ein letztes Mal nach. „Nein, auf keinen Fall“, murmelte Simon müde. Er wollte nur eine Sekunde lang die Augen schließen, die von der Kälte brannten. Kapitel 11: Hilfreiche Worte ---------------------------- Kapitel 11 Hilfreiche Worte „Ich lege ihn in Ketten“, schnaubte Daimon wütend, als er Simon endlich wiederfand, der halb erfroren gegen einen Baum gelehnt im Schnee stand. Das würde ihm noch leidtun, einfach so zu verschwinden und sich und Samsa in Gefahr zu bringen. Daimon kam näher, doch Simon schien das gar nicht zu interessieren, er drehte sich zumindest nicht um. Selbst dieser törichte Mensch musste doch Daimons Schritte auf dem Schnee hören. Na gut, dann eben nicht, dann würde er ihn ohne Vorwarnung einfangen, bevor er wieder davonlief. Doch Daimons Zorn verrauchte augenblicklich, als sich der Gesuchte dann doch umdrehte und ihn strahlend blaue Augen unter der dunklen Kapuze anlächelten. „Samsa!“ Er schloss seinen Geliebten in die Arme, konnte es kaum fassen, dass er doch wieder da war. „Psst“, machte Samsa und legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Er ist eingeschlafen und wäre erfroren, deshalb konnte ich mich nach vorn stehlen. Weck ihn nicht auf“, sagte er leise. Noch immer umspielte dieses Lächeln seine Lippen. „Ich hätte ihn niemals aus den Augen lassen dürfen, diesen kleinen Bastard“, flüsterte Daimon und wieder kam die Wut etwas zurück. „Sei nicht ungerecht zu ihm. Er hat nur Angst, genau wie ich. Und er ist nur ein Mensch, wie soll er das begreifen, wenn selbst wir es nicht können …“, Daimon unterbrach seine Predigt, indem er ihm einen Kuss auf die Lippen drückte. „Ich habe auch Angst“, gab er dann zu und genoss jede Sekunde in der er Samsa ansehen konnte, seine Stimme hören und ihn berühren durfte. „Angst, dass ich dich auf ewig verliere. Ich könnte es nicht ertragen. Noch sind wir nicht sicher vor der Armee deines verfluchten Gottes, also lass uns schnell gehen.“ „Wo willst du hin?“ fragte Samsa vorsichtig. „In die Hölle, etwas anderes bleibt uns kaum noch übrig. Hier draußen sind bieten wir ihnen zu viel Angriffsfläche. Du darfst ihnen nur nicht noch einmal in die Arme laufen“, Daimon versuchte vorwurfsvoll zu klingen, schaffte es aber nicht wirklich. „Dann schnell, solange ich noch kann“, Samsa setzte sich schon in Bewegung. Sie machten keine Rast und legten ihren Weg schneller zurück, als sie es zu hoffen gewagt hatten. Noch war Simon nicht wieder aufgetaucht, doch Samsa lauschte oft nach seinem Bewusstsein, um herauszufinden, ob er noch tief genug schlief. „Aufmachen“, rief Daimon seinem Torwächter Jakob nur zu und der spurte so schnell, dass nicht einmal Zeit blieb für einen Kommentar. Samsa warf noch einen Blick zu ihm hoch und auch Jakobs leere Augenhöhlen schienen ihn anzustarren, bevor der Tore sich wieder hinter ihnen schlossen und die Kälte der Bergwipfel aussperrte. „Was passiert, wenn ich wieder ein Mensch werde?“ fragte Samsa unruhig und folgte seinem Geliebten hastig tief ins Innere der Erde. „Eigentlich dürftest du als Mensch die Hölle nicht sehen. Aber, wenn du erst einmal drin bist … das ist noch nie vorgekommen“, Daimon sah ihn ängstlich an, doch Samsa erwiderte seinen Blick nicht. Er schien wieder zu lauschen. „Dann werden wir bald erfahren, wie ein Mensch die Hölle sieht“, sagte er schließlich leise. „Er wird bald aufwachen …“ Die letzten Meter zu Daimons Gemächern legten sie rennend zurück und verschlossen die Tür hinter sich. Nur für alle Fälle. Egal ob Simon die Hölle sehen konnte oder nicht, die Dämonen würden ihn praktisch riechen. „Bitte sei nicht zu grob, ja?“ flüsterte Samsa schnell. „Je mehr du ihm Angst machst, umso mehr wird er sich verschließen. Sei vorsichtig und …“ Er brach ab und zum ersten Mal konnte Daimon beobachten, wie sich seine Augenfarbe veränderte, wie das weißblonde Haar stätig dunkler wurde. Enttäuschung war das einzige, was er dabei fühlen konnte, denn er wollte ihn nicht wieder gehen lassen, wollte nicht, dass er fort war. Die Zeit, die sie zu zweit gehabt hatten, war viel zu kurz gewesen und die lange Reise hatte ihnen diese kurze Zeit schon gestohlen. Simon wich ängstlich zurück, bevor er sich in Daimons Gemächern umsah. Er hatte nicht die geringste Ahnung wo er sich befand, so viel stand für Daimon fest. „Wo hast du mich hingebracht?“ fragte Simon und versuchte seine zitternde Stimme etwas fester klingen zu lassen. Schwache Wesen. „In die Hölle“, gab Daimon freimütig zu und bemerkte etwas amüsiert, wie Simons Augen riesengroß wurden. „Warum solltest du mich in die Hölle bringen?“ fragte Simon skeptisch. Etwas Respekt schien ihm schon abhanden gekommen zu sein und das gefiel Daimon gar nicht. „Vielleicht weil du in der Hölle sicherer bist, als draußen im Schnee!“ fuhr er Simon an um ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. „Und was hast du jetzt vor, wo du mich in die Hölle geschleppt hast?“ Er wurde wohl nie müde mit seiner Fragerei. Daimon wäre es lieber gewesen, er säße verängstigt in einer Ecke und gäbe keinen Laut mehr von sich. „Jetzt werde ich dich irgendwie dazu bringen, mir Samsa zurückzugeben!“ erwiderte Daimon schlagfertig. Nur entfernt dachte er daran, was Samsa gesagt hatte. Er solle nicht zu grob zu Simon sein. Das war nicht unbedingt leicht. Simon sah den Dämon nachdenklich an. „Warum willst du ihn wiederhaben? Sag es mir. Du bist ein Dämon. Für gewöhnlich müsstest du eigentlich ein böses Wesen sein. Was also willst du von einem Engel?“ Daimon dachte, er müsse explodieren. Hatte dieser unsäglich dumme Mensch das etwa noch nicht verstanden? Hatte er überhaupt irgendetwas verstanden? „Sag es mir!“ forderte Simon noch einmal. Er war etwas zurückgewichen. Daimon Wutanfall war ihm nicht entgangen. Er zog den schweren Mantel enger um sich, obwohl ihm nicht mehr kalt sein dürfte. „Na gut“, Daimon holte tief Luft. „Ich will, dass du verschwindest, weil ich Samsa liebe. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Und ja, auch Dämonen haben ein Herz! Ich will endlich auf ewig mit ihm vereint sein, denn immer wieder gab es Mächte, die uns getrennt haben. Ich wusste nicht, dass du noch in diesem Körper stecktest, als ich Samsa Seele hinein pflanzte um ihn vor der endgültigen Zerstörung zu retten. Du bist das Einzige, was uns im Moment noch im Wege steht!“ Simon sagte nichts dazu. Er war ruhig geworden, sehr ruhig. Daimon wusste nicht, ob das ein gutes, oder ein schlechtes Zeichen war. Seine Augen ruhten aufmerksam auf Daimon und er schien nachzudenken. „Was passiert nach dem Tod?“ fragte er schließlich ganz leise, ganz vorsichtig. „Ich möchte es wissen.“ „Deine Seele verlässt deinen Körper und der Tod sammelt sie ein. Dann leitet er sie. Entweder in den Himmel oder in die Hölle. Gemessen wird das an deinen Taten. Und jetzt hör bitte auf zu fragen!“ antwortete Daimon ihm ungeduldig. „Eine Frage noch, bitte“, inzwischen war kein bisschen Angst mehr in Simons Blick zu sehen. „Meinst du ich könnte sterben, ohne das Samsa etwas passiert?“ „Nein.“ Simon senkte den Blick und seufzte leise. Als er wieder hochsah konnte Daimon seinen Augen kaum trauen. Schnell machte er ein paar Schritte auf seinen Geliebten zu und sah ihn fragend an. „Er möchte sterben“, sagte Samsa traurig. „Er möchte nicht ohne Antonie leben, aber er will uns doch nicht im Wege stehen. Er hat so ein gutes Herz für einen Menschen.“ „Verrückter Engel“, sagte Daimon Kopfschüttelnd und küsste Samsas weißblondes Haar sanft. „Er mag ein gutes Herz haben, aber mich macht er verrückt.“ „Er sagt er will nicht wiederkommen.“ Hoffentlich. Es wäre zu schön um wahr zu sein. Samsa verkrampfte sich in seinen Armen und Daimon schob ihn erschrocken um Armeslänge von sich. „Was ist?“ Eine Antwort bekam Daimon nicht. Der Blonde sackte in sich zusammen, das Gesicht schmerzverzerrt und die Hände auf die Brust gepresst. Was zur Hölle ging hier vor? Daimon ließ sich neben ihm nieder. Samsas Atem ging gehetzt und entsetzt musste Daimon feststellen, dass es unter seinen Fingern zu glühen begann, so hell und durchdringend, dass er das Blut durch Samsas Finger fließen sehen konnte. „Dieser miese, kleine …“, setzte er an. Samsas schmerzerfüllter Schrei ließ ihn jedoch verstummen. Die Seele bahnte sich ihren Weg aus seinem Körper und blieb zwischen ihnen in der Luft hängen. Daimon konnte nicht anders, als sie anzustarren. Diese Seele war hell wie alle anderen, doch sie taumelte, schwebte nicht so grazil wie die anderen, die er gesehen hatte. Sie schwang in der Luft hin und her, drehte sich eigenartig, als würde sie keine Balance finden. „Sie ist verletzt“, hörte er Samsa sagen. Erschrocken riss er die Augen auf. Er lebte, er atmete und er starrte ebenfalls die merkwürdige Seele an. Wie war das möglich? Samsa streckte die Hände aus und die Seele kam zwischen seinen Handflächen etwas zur Ruhe. „Sieh nur“, er deutete auf einen pechschwarzen Riss, der sich auf dem leuchtenden Ball abzeichnete. Jetzt konnte Daimon es auch erkennen. „Tolle Show“, sagte jemand hinter ihnen und sie fuhren herum. Kato stand an die Tür gelehnt, als wäre es ein leichtes für ihn durch Wände zu gehen und sah die beiden mit einem säuerlichen Blick an. „Dürfte ich bitte die Seele haben, Engel? Das wäre wirklich reizend von dir. Schließlich ist es mein Job sie einzusammeln.“ Samsa ließ von der Seele ab und sie schwebte unsicher dem Tod entgegen, der sie mit seinem schwarzen Beutel einfing, der kein Licht mehr herausließ. „Er hat wohl seinen Besitz an diesem Körper abgegeben. Wirklich hoch interessant. Ich hätte nie gedacht, dass sowas möglich ist“, sagte Kato gelangweilt und blickte zu Samsa hinüber. „Ich kann seine Lebenszeit wieder sehen“, sagte er an Daimon gewandt. „Aber glaub mir, die willst du wirklich nicht wissen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)