Die Schicksalswächter von Holofaye ================================================================================ Kapitel 2: Die Seherin von Eopal -------------------------------- Shari blickte auf. Zwar hörte sie weder die hallenden Schritte ihrer Wächter noch sich nähernde Stimmen, aber sie spürte, dass sich jemand auf dem Weg zu ihr befand. Jemand, der nicht war wie die anderen, gewöhnlichen Gäste die sie sonst täglich begrüßen musste. Jemand, der sich aus ehrenvollen Gründen zu ihr begab; nicht die üblichen habgierigen Fragen über Macht und Reichtum stellen wollte. Jemand, der sich nicht für sein eigenes Schicksal interessierte, sondern bereit war die Verantwortung für das Schicksal der gesamten Welt zu übernehmen. „Jemand, der mir den Himmel zeigen kann.“, flüsterte sie und heftete ihre Augen hoffnungsvoll auf die Flügeltüren zu ihrem Gemach, ihrem Gefängnis. Das war es was sie sich wünschte. Ein eisiger Schauer überkam Brynn als er die Schwelle des Turms übertrat. Schon als er das erste Mal zu seinem König gerufen wurde und von der geheimen Mission erfuhr, hatte er kein angenehmes Gefühl bei Sache. Er hatte gezögert, überlegt, nach anderen Möglichkeiten gesucht, die ihm weniger unheimlich und mysteriös – realistischer – erschienen. Doch nach allem was in der Zwischenzeit passiert war, was schief gelaufen war und einigen seiner besten Männer das Leben gekostet hatte, war dies die letzte Option die ihm geblieben war. Schweigsam folgte er dem Mann der ihm Eintritt in den Turm verschafft hatte durch schmale Gänge deren schwarzes Gemäuer nur durch blasses Kerzenlicht erhellte wurde. Sein Führer, ebenso in dunkles Schwarz gekleidet, führte ihn durch ein Labyrinth aus Gängen, Treppen und Zimmern, bis Brynn nicht einmal mehr sagen konnte, ob sie den Turm in die Höhe erklommen oder vielleicht sogar in die Tiefe hinab stiegen. Gerne hätte er einige Fragen über den Turm und seine Bewohner gestellt. Eine Frage die sich ihm besonders aufdrängte war, warum sie niemandem auf ihrem Weg begegneten, wo der Turm doch angeblich hunderte von Shalmaren beherbergte. Doch man hatte ihm nahe gelegt still zu sein und seine Fragen für sich zu behalten – es würde sie ohnehin niemand beantworten. Nach einer Weile, die Brynn in diesem düsteren und ungastlichen Gemäuer wie eine halbe Ewigkeit vorkam, erreichten sie schließlich einen kleinen, runden Vorraum. Brynn hörte, wie der Führer die Tür hinter ihnen verschloss und sah sich misstrauisch um. Der Raum war spärlich eingerichtet. Ein schlichter Holztisch und zwei Stühle standen auf der rechten, ein Schränkchen auf der linken Seite und ein runder, schwarzer Teppich lag in der Mitte des Raumes. Zwei Frauen, von Kopf bis Fuß gehüllt in undurchsichtige, schwarze Gewänder, die lediglich den Bereich der Augen und die Hänge frei gaben, erhoben sich von den Stühlen und forderten ihn auf seine Waffen und sein Bündel auf den Tisch abzulegen. Brynn löste den Tragegurt seines Kurzschwertes, holte die versteckten Dolche aus seinem Ärmel und seinem Stiefel und legte alles auf den Tisch. Eine der Frauen deutete ihm an sich in die Mitte des Raumes, auf den Teppich zu stellen. Sie begann damit Brynns Körper nach weiteren, besser versteckten Waffen zu untersuchen, hielt zudem nach Krankheitsmerkmalen Ausschau, während die andere Frau sich durch den Inhalt seines Bündels wühlte. Brynn gefiel das nicht sonderlich. Ihm war unwohl dabei, dass die Frau ihn systematisch auch an den intimsten Stellen abtastete und kritisch beäugte, spürte den eiskalten Blick seines Führers im Nacken, der sich gegen die Tür lehnte und ihm wortlos zu verstehen gab, dass er den Turm nicht mehr verlassen würde, sollte er Ärger machen. Den Blick nach vorne, auf die massive, eiserne Flügeltür gerichtet, deren einzige Verzierung aus zwei großen, in das Metall hinein gearbeiteten Augen bestand die ihn eindringlich anzustarren schienen, eins auf dem rechten, eins auf dem linken Flügel, trug ebenfall nicht zu seiner Beruhigung bei. Die beiden Wächter davor, ausgerüstet mit Krummschwert und einem stechenden Blick, taten ihr übriges. Die Seherin der Shalmaren – versteckt in einem dunklen Labyrinth, bewacht von erbarmungslosen Wachen, geschützt durch ein eisernes Tor. Sie war ein wertvoller Schatz für ihr Volk, weissagte ihnen die Zukunft und brachte willkommener weise viel Kundschaft von außerhalb, die bereit war horrende Summen für einen Blick in ihr eigenes Schicksal zu bezahlen. Das Volk der Shalmaren wusste schon immer seine spirituellen Fähigkeiten auszubilden und – was noch viel wichtiger war – gekonnt zu verkaufen. Es gab einige gute Wahrsager unten in der Stadt die einem einen kurzen Blick in die Zukunft geben konnten indem sie Karten legten, aus der Hand lasen, pendelten. Ebenso handelte sich um ein offenes Geheimnis, dass jeder Königshof, und auch jedes Fürstentum das es sich finanziell leisten konnte, einen Seher oder eine Seherin bei sich beschäftigte. Und sie alle waren gut, waren Meister ihres Faches, wurden bereits im Kindesalter ausgebildet sobald man das besondere Talent bei ihnen entdeckte. Die Seherin von Frelim, Aleesha, hatte bereits zu Beginn des Krieges Frelims Untergang und Ralgreims Siegeszug vorhergesagt. Doch Kerold, König von Frelim, erzürnte bei dieser Weissagung sehr, ließ die Seherin in ihre Gemächer sperren, stürzte sich und sein Volk unbeirrt in einen erbitterten und – laut Aleesha – bereits verlorenen Kampf. Und das taten sie tatsächlich - verlieren. Eine Schlacht nach der anderen endete in einer blutigen Niederlage für Frelim. In seiner Verzweiflung suchte Kerold die Seherin schließlich erneut auf, reuevoll, entschuldigend, flehend um eine erneute Weissagung in der Hoffnung, dass Aleesha sich vielleicht doch geirrt hatte. Doch diese schüttelte nur den Kopf. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Frelim würde fallen, Ralgreims Armeen siegen. Was Frelim brauchte um den Krieg zu gewinnen war keine neue Vorhersagung – sondern ein neues Schicksal. In diesem Zusammenhang fiel zum ersten Mal Sharis Name. Was folgte, waren Verhandlungen über ihren Preis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)