Syros von yukio-kun (Die Rückkehr des letzten Wächters) ================================================================================ Kapitel 3: Aufbruch ------------------- Am Ende der Treppen hatte sie keine Stadt erwartet, wie Yu es sich vorgestellt hatte. Und das, was er sah, ließ auch nicht unbedingt auf ein fortgeschritten zivilisiertes Land schließen. Denn obwohl es Strom und Züge gab, eine Großstadt war nicht in Sicht. „Sagen Sie mal, welches Jahrhundert haben Sie hier?“, fragte Yu skeptisch. Rengaru konnte nur lauthals lachen. „Das gleiche wie bei euch, Junge. Nur haben wir hier nicht mal halb so viel Technikkram wie ihr. Frag mich nicht wie das kommt, aber die Leute hier lehnen den schnellen Fortschritt einfach ab. Also wenn du hier Computer und Fernseher suchst, wirst du sehr lange brauchen und zwar so um die paar Jahrhunderte.“ „Na endlich! Rengaru! Wo wart ihr so lange?“ Yukio blickte von dem alten Mann nach vorne. Es hatten sich ihnen drei Männer in den Weg gestellt. Sie hatten schwere Lederrüstungen an, die mit einigen Eisenteilen und etlichen Lederriemen versehen waren. Der Mann, der gerade gesprochen hatte, hatte einen riesigen Zweihänder auf dem Rücken geschnallt und die Arme vor der Brust verschränkt. Die anderen Beiden blickten wachsam durch die Gegend, eine Hand immer auf dem Schwertknauf eines normalen Einhandschwerts. Rengarus Miene wandelte sich sofort zu einem düsteren Blick. „Sei nicht so überheblich, Deromar. Immerhin hab ich das gerade gebogen, das ihr Gardisten verbockt habt!“ „Was haben wir den bitte verbockt? Wir haben bei ihm den Ausgang blockiert. Wir haben ihm die Fahrkarte hinterlegt. Was denn noch?!“ „Ihr habt den Jungen in der Finsternis sitzen lassen! Er weiß ja nicht einmal was hier los ist und durch die massive Steinwand da unten hätte er graben sollen?!“ Yu hätte nicht gedacht, dass die sanfte Stimme dieses alten Mannes so laut und angreifend werden konnte. „Woher hätten wir denn das wissen sollen? Wir dachten Seri hätte ihn unterwiesen!“ „Und wie denn bitte?! Seri ist-“, Rengaru hielt inne. Seine freie Hand, die sich nicht auf den Stock stützte, massierte seine Schläfe. „Seri ist schon sehr lange weg, das wusstet ihr. Ihr solltet überhaupt froh sein, dass er den Eingang selber rechtzeitig gefunden hatte und ihr ihn nicht holen musstet!“ Der Gardist namens Deromar sah den alten Mann nur mit steinerner Miene an. „Und wenn schon. Er ist da, das ist alles was zählt.“, antwortete er. Rengaru quittierte das nur mit einem Schnauben. „Ähm… Rengaru… Was ist hier los und… wer ist das?“ Yu kam sich gerade sehr dumm vor, denn offensichtlich sollte er eine ganze Menge wissen, aber das tat er nicht. Und was hatte sein e Mutter damit zu tun? Anscheinend war sie hier gewesen. Die Leute kannten sie… Vielleicht konnte ihm hier irgendjemand etwas über sie erzählen. Sein Vater sprach so gut wie nie über sie. Bei dem Gedanken wurde Yukios Blick traurig, doch er fasste sich schnell. Rengaru seufzte laut. „Das hier-“ er deutete auf den großen Gardisten vor ihnen „-ist Deromar, der stellvertretende Leiter der Garde. Er und sein Gefolge hätten die Aufgabe gehabt dich nach Syros zu bringen. Du hast selbst miterlebt wie gut das alles verlaufen ist.“, erklärte er in verächtlichem Ton. Deromar sah den Alten ebenso verächtlich wie überheblich an. Offenbar meinte er, es sei unter seiner Würde sich vor dem Greis zu rechtfertigen. Der alte Mann setzte seine Erläuterung fort. „du bist jetzt in Syros, Junge, und du hast hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, aber ich bin nicht der Richtige u dir das alles zu erklären. Dieser Herrschaften werden dich ab jetzt begleiten. Sie werden dich nach Canthar bringen, das ist die Hauptstadt von Syros und gleichzeitig die größte und stärkste Festung, die dieses Land zu bieten hat. Dort wirst du deine Lehre beginnen.“ Yu starrte ihn verständnislos an. „Lehre?“ „Ja, du wirst zum Wächter ausgebildet. Wie ich bereits sagte, du hast eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Doch dafür musst du erst mal lernen. Und zwar schnell und viel auf einmal.“, seufzte Rengaru. „Was ist ein Wächter?“ „Wie gesagt, das wirst du alles erfahren, aber nicht von mir.“ Nun wandte sich der Alte dem Gardisten zu. „Deromar. Du kennst deinen Befehl. Da er ein Wächter ist, unterliegst du seinem Kommando, aber…“ Nun sah er wieder zu Yu herüber. „Junge, obwohl du die da rumkommandieren darfst, solltest du dich im Hintergrund halten. Zwar haben sie die Sache mit deiner Ankunft dezent verbockt, aber sie kennen die Umgebung am besten und wissen über ihre Gefahren bescheid. Also bitte halte dich an ihre Anweisungen und bau keinen Mist. Du bist wichtig und wir brauchen keinen halbtoten Wächter!“ Yukio sah von Rengaru zu Deromar und den anderen Gardisten. Irgendwie überschlugen sich die Ereignisse gerade. Er blickte einfach nicht mehr durch. „Was ist… wenn ich nicht mitkommen will? Was ist wenn ich wieder heim will?“, wollte Yu wissen. Immerhin hielt man es hier nicht für nötig nach seiner Meinung zu fragen… „Dann schleifen wir dich eben bis nach Canthar!“, schnaubte Deromar. „Halt dich zurück, du hast hier nichts zu entscheiden!“, fauchte Rengaru zurück. Dann wandte er sich wieder dem Jungen zu. „Junge, ich weiß für dich ist das alles gerade sehr viel, aber hier geht es um die Zukunft von ganzen Völkern. Syros wird untergehen, wenn du uns nicht hilfst. Von daher wird dir wohl keiner helfen wieder zurück zu kommen, eine Fahrkarte kannst du dir auch nicht leisten und ich will wissen wie du wieder aus dem Bahnhof raus kommst, denn der Eingang auf eurer Seite ist versiegelt worden und du hast von Zauber überhaupt keine Ahnung, geschweige denn von lösen von Siegeln. Also weit würdest du nicht kommen.“ Yu sah den alten Mann ungläubig an. Er überlegte und blickte dann zu Deromar, der nur überheblich da stand, wie schon die ganze Zeit. Der Junge musste sich eingestehen, dass er nur sehr wenige Optionen hatte und die beste davon war mit Deromar und seinen Leuten mitzugehen. „Na gut… Ich komme mit.“, antwortete Yukio schließlich. „Weise Entscheidung, Junge. Ich wünsch euch viel Glück und eine gute Reise.“ Rengaru nickte ihnen zu. „Aber warte… Kommst du nicht mit uns mit?“, fragte Yu verwirrt. „Nein, Junge, ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich nach Canthar kann. Aber ich werde dort auf euch warten. Und jetzt geht, die Zeit wird knapp.“ Deromar drehte sich zu den anderen beiden Gardisten um. „Kindril! Sengrath! Wir brechen auf!“ Darauf hin marschierte der Anführer der Truppe los, Yu folgte ihm und Kindril und Sengrath bildeten die Nachhut. Schüchtern sah Yukio dem Muskelpaket vor ihm nach. „Äh… Deromar?“ Keine Reaktion seitens des Gardisten. „Äh… Wie lange dauert der Weg nach Canthar?“ „Dreieinhalb Tagesmärsche, wenn wir uns beeilen. Aber vorher müssen wir in dem nächstgelegenen Dorf halten um dir entsprechende Kleidung zu besorgen. So kannst du nicht herumlaufen. Und du wirst eine Waffe brauchen um dich im Ernstfall verteidigen zu können.“, antwortete Deromar ohne sich umzudrehen. Waffe? Ernstfall? Verteidigen? Langsam beschlich Yu ein beklemmendes Gefühl. Nervös blickte er um sich. „Sengrath, gib ihm den Mantel.“, rief der Leiter der Truppe. Kurz darauf hatte einer der Gardisten Yu eingeholt und hielt ihm stumm ein großes Stück dunkelbraunen Stoff entgegen. Yukio nahm das Bündel und breitete es aus. Es war ein ärmelloser Umhang mit Kapuze. „Zieh das an, damit bist du getarnt bis wir Kleidung für dich haben.“, meinte Sengrath, dessen Stimme deutlich freundlicher war, als die des mürrischen Gardistenführers. Yu nickte und hüllte sich in den filzigen Stoff ein. „Stylisch…“, murmelte Yu ironisch zu sich selbst. „Sobald wir in die Stadt kommen, ziehst du dir die Kapuze über. Du musst so lange wie möglich unerkannt bleiben.“, befahl Deromar. Dieser Typ war sicher der Stimmungsmacher auf jeder Party. Yukio zog eine Schnute. Das würde sicher eine lange Reise werden, da war sich Yu sicher. Er lies ein resigniertes Seufzen hören. „Sag bloß du machst jetzt schon schlapp!“, rief Deromar mürrisch über seine Schulter. „Nein, nein.“, antwortete der Junge schlicht. --- Schon vor zwei Stunden, schätzte Yukio, war das kleine Dorf vor ihnen in Sicht gekommen, doch erst jetzt hatten sie die ersten Felder erreicht, die sich vor der Ansammlung von Hütten und Häusern erstreckten. Der Himmel hatte bereits eine feuerrote Farbe angenommen und verkündete eine baldige Nacht. Deromar blieb stehen und drehte sich zu der kleinen Gruppe um. „Ich schlage vor, wir übernachten hier, machen morgen in der Früh unsere Einkäufe und brechen dann in Richtung Canthar auf. Einwände?“ Yu schüttelte den Kopf. Darauf hin setzte die Truppe ihren Weg wieder fort. Yukio erinnerte sich an Deromars Worte und stülpte die Kapuze des Umhangs über seinen Kopf. Kurze Zeit später hatten die vier auch schon die ersten Häuser erreicht in denen bereits warmes Licht von Öllampen brannte. Sie blieben vor einem größeren Steinhaus stehen auf dem ein hölzernes Schild ausgehängt war. „Zum Drachentöter“, las Yukio in Gedanken. Offenbar eine Herberge. Sie betraten den stickigen Raum des Hauses. Es war voll, viele Bauern hatten sich versammelt um nach getaner Arbeit einen guten Schluck Bier zu trinken und mit anderen Dorfbewohnern die größten Neuigkeiten auszutauschen. „Du sagst nichts, verstanden?“, zischte Deromar durch das laute Gegröle der Kneipenbesucher. Yu nickte. Die Gruppe trat zum Tresen heran, an dem ein glatzköpfiger Wirt damit beschäftigt war einen großen Krug mit Bier zu füllen. Er blickte auf und grinste sofort. „Was für eine Ehre! Das sich sogar Herren der Garde in mein bescheidenes Lokal verirren! Was kann ich für die ehrenwerten Herrschaften tun?“, fragte der Wirt enthusiastisch. „Wir möchten hier nächtigen. Zwei Zimmer mit jeweils zwei Betten.“, antwortete Deromar kühl. „Aber natürlich! Kein Problem. Nur eine Nacht die Herren? Das macht drei Goldstücke, pro Person.“ Der Wirt grinste übers ganze Gesicht. Deromar schnaubte nur. „Tse, weil Sie es sind, gebe ich ihnen zwei Goldstücke pro Person. Beuten Sie hier jeden so aus, oder sind das nur Sonderpreise für Gardisten?“ „Oh, aber nicht doch, das sind meine Standartpreise. Aber wenn Sie meinen Tarif nicht akzeptieren können Sie ja versuchen eine andere Herberge zu finden, die Herren…“, meinte der Wirt immer noch grinsend. Empört verfolgte Yu das Gespräch. Anscheinend waren drei Goldstücke viel Geld, so wie Deromar reagierte. Nun trat Kindril vor und legte behutsam sein Schwert auf den Tresen. Auch er hatte nun ein Grinsen aufgesetzt. „Oder wir machen Ihnen einen Vorschlag.“, meinte Kindril übertrieben freundlich. „Und der wäre?“ das Lächeln des Wirts war bereits etwas nach unten gerutscht. „Nun, ganz einfach, Sie nehmen die acht Goldstücke von uns und freuen sich über den übertriebenen Gewinn, den Sie durch dieses Geschäft machen. Oder… wir prügeln dich windelweich und nehmen uns die Zimmerschlüssel einfach.“ Die Stimme des Gardisten war hart und unfreundlich geworden. „Du willst doch, dass deine Schenke ganz bleibt, oder?“, meinte Kindril bedrohlich. Eingeschüchtert legte der Wirt zwei silberne Schlüssel auf den Tresen. „Zimmer acht und neun. Eine angenehme Nacht wünsche ich…“ „Vielen Dank.“ Deromar legte acht goldene Münzen auf den Tresen, nahm die Schlüssel entgegen und ging in Richtung Treppe. Der Rest der Gruppe folgte ihm. Der nächste Morgen war schnell gekommen. Yus Rücken schmerzte von dem unbequemen Bett. Deromar, Sengrath und Kindril schienen die Nacht wesentlich besser verkraftet zu haben, denn alle drei standen schon in aller Frühe munter in seinem Zimmer, während er noch murrend unter seiner Decke lag. „Na los, steh auf, wir haben viel zu tun, bevor wir losgehen!“, rief Deromar befehlshaberisch. Nur mühsam konnte sich Yu aus dem Bett quälen und seine Klamotten anziehen. Sengrath und Kindril beobachteten das Spektakel fröhlich. Der Wirt sah ihnen mit finsterem Blick hinterher, als sie das Haus verließen und ins Freie traten. „Können wir frühstücken bevor wir was anderes machen?“, wollte Yukio müde wissen. „Machen wir alles im Dorf. Ein Bauer wird uns sicher ein wenig Obst verkaufen.“, antwortete Deromar. Yu quittierte dies nur mit einem Murren. Die beiden Gardisten, die ihnen folgten, kicherten nur. „Zunächst brauchst du eine ordentliche Waffe. Etwas womit du dich verteidigen kannst, falls es zum Ernstfall kommt, was wir nicht hoffen wollen…“, fuhr Deromar fort. „Ich kann doch gar nicht kämpfen. Was soll ich da mit einer Waffe?“, quengelte Yu. „Ohne eine Waffe können wir dir nichts beibringen, und glaub mir, wenn es um dein Leben geht wirst du kämpfen können.“, lachte Kindril. Der Rothaarige fand das weniger amüsant. Wenn es um sein Leben ging? Das bezweifelte er. Egal was auf dem Spiel stand, wenn er noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hatte, würde er auch nichts tun können, außer seinem grausigen Schicksaal in die Augen zu sehen. Unmut überkam ihn. Nach kurzem Suchen, hatte die Gruppe einen kleinen Schmied gefunden. Doch die Auswahl war natürlich beschränkt. In so einem kleinen Dorf konnte man sich kein großartiges Waffenarsenal erwarten. „Was kann ich für die edlen Herren tun?“, fragte der Schmied mit einem aufgesetzten Lächeln. „Nun, wir suchen eine geeignete Waffe für diesen jungen Mann. Ich möchte ihn in der Kampfkunst unterweisen, doch dafür braucht er erst einmal eine gute Schneide für den Anfang…“, erklärte Deromar dem muskelbepackten Kerl vor ihm. „Ich verstehe… Nun, viel habe ich leider nicht anzubieten, doch für’s erste solltet Ihr doch ein geeignetes Stück für den jungen Herren finden. Glücklicherweise habe ich von einem fahrenden Händler etliche Waffen zugekauft, da die hier wohnhaften Bauern nach mehr Schutz verlangen. Gefährliche Zeiten…“, antwortete der Schmied. Redeten die Leute eigentlich immer so geschwollen? Nein, wohl nur wenn sie sich miteinander gut stellen wollten oder Handel betrieben. Irgendwie fand das Yu amüsant. „Was soll es denn sein? Ich hätte ein Schwert anzubieten, oder vielleicht doch eher eine Eisenkeule? Ich schätze… ein Kriegshammer kommt nicht in Frage, für den Anfang. Eine Lanze, möglicherweise?“, bot der Händler sein Arsenal auf. „Vielleicht solltest du dich selber entscheiden.“, meinte Deromar zu Yukio gewandt. Er nickte und sah sich nach den Waffen um. In einem hatte der Schmied ohne Zweifel Recht, den Kriegshammer würde er wahrscheinlich nicht einmal ordentlich heben können, geschweige denn damit kämpfen… Die Lanze erschien ihm auch nicht gerade sympathisch. Was sollte er also wählen? Das Schwert? Die Keule war zu barbarisch. „Das da…“ Yu zeigte auf einen Kampfstab an dessen Enden jeweils eine geschwungen Klinge befestigt war. „Gute Wahl, doch eher schwer für den Anfang…“, bemerkte der Schmied. „Hmm, na wenn du das lernen willst, wieso nicht…“, meinte Deromar schulterzuckend. Es klang sicher kindisch, doch mit diesem Kampfstab in der Hand fühlte sich Yu irgendwie männlicher. Ja, es klang doof… Zumindest in Yus Ohren… Nun steuerten sie einen Obstbauern an, den sie bei ihrer Ankunft vor dem Dorf gesehen hatten. Dort wollten sie etwas zu essen kaufen um vor dem Dorf dann gleich mit dem Training beginnen zu können, wie Deromar sagte. Yukio wäre es bei weitem lieber gewesen in der Schenke zu essen, auch wenn das den Wirt wohl weniger freuen würde. Deromar hatte jedoch abgelehnt. „Wir werden den Vormittag trainieren, danach kehren wir zum Gasthaus zurück, essen dort zu Mittag, holen unsere Sachen und reisen dann weiter.“, hatte der Anführer der Gardistentruppe beschlossen. „Guten Morgen.“, begrüßte Deromar den Bauern. „Guten Tag, edle Gardisten, wie kann ein bescheidener Mann wie ich ihnen denn helfen?“ Wieder diese geschwollene Sprache. Yukio hielt das Kichern zurück. „Wir würden gerne etwas von ihrem Obst kaufen, falls das möglich ist.“, antwortete Deromar einfach. „Natürlich, was darf es denn sein?“ „Wir nehmen acht Stück von deinen saftigsten Äpfeln.“ „Das wird doch wohl nicht reichen.“, protestierte Yu, doch der hochrangige Gardist ignorierte ihn. Der Bauer eilte davon und brachte nach kurzer Zeit acht große, saftige Äpfel. Auch wenn diese sehr appetitlich aussahen, konnte sich Yukio nur schwer vorstellen davon satt zu werden. Doch Deromar bezahlte und führte die Truppe dann ein Stück weg auf ein Wiesenstück, wo sie sich niederließen. Die Früchte wurden verteilt und Sengrath holte aus seiner Tasche Brot, welches er ebenfalls an alle austeilte. Ein recht einfaches Mahl, doch musste Yu zugeben, dass er genug hatte. Zumindest bis zum Mittagessen. Deromar wandte sich an seine zwei Männer. „Sengrath, sei so gut und bringe dem jungen Wächter hier den Umgang mit dem Kampfstab bei. Kindril, wir werden die Route planen.“ Die beiden Gardisten nickten und Yukio folgte dem langhaarigen Sengrath zu einem Baum. „Darf ich mal?“, Sengrath deutete auf den Kampfstab. Yu reichte ihm die Waffe wortlos. Der Gardist holte aus und mit drei eleganten Hieben hatte er einen schlanken Ast von kleineren Trieben befreit. Mit einem letzten Schnitt trennte er ihn vom Baum ab. Letztendlich brach er das zu dünne Stück ab und hielt nun einen provisorischen Kampfstab in den Händen. Den klingenbestücken Stab gab er Yu zurück. „Soweit so gut. Ich werde dir einmal die grundlegenden Techniken beibringen, damit du dich im Ernstfall verteidigen kannst. Natürlich werden Dero, Kin und ich bei einem Kampf alles daran setzten, damit dir nichts passiert, aber es kann sein, dass uns ein Fehler unterlauft. In diesem Fall solltest du nicht unbedingt zusehen, wie dir der Bandit das Schwert in die Brust rammt…“, erklärte er gelassen. Yukio nickte skeptisch. „Also, zunächst, den Kampfstab haltet man so.“ Sengrath zeigte es vor, Yu machte es nach. „Gut. Fangen wir mit dem Blocken an. Wichtig ist, du kannst mit dem Stab selber Fausthiebe und Tritte einfacher Schläger abwehren, aber sobald dich eine Klinge angreift, musst du dich mit deinen Eigenen verteidigen, denn der Stab alleine würde zerschnitten werden, obwohl das Holz doch verflucht stabil ist… Also ich zeig dir mal langsam die Grundlagen und du versuchst sie gleich nachzumachen.“, erklärte Sen. Yukio war nach dem Training erschöpft in der Wiese eingeschlafen. Sengrath hatte Deromar jedoch überreden können, dass er ihn schlafen lies und nicht weiter Richtung Canthar schleppte, wie es eigentlich geplant gewesen war. „Wir sollten noch einen Tag hier bleiben, oder zwei… Dann kann der Junge ordentlich die Grundlagen lernen und wir können ungehindert weiter reisen.“, hatte Sengrath vorgeschlagen. Deromar war strikt dagegen gewesen, doch zuletzt hatte er sich doch von den beiden Gardisten umstimmen lassen. Demnach hatten Yukio und Sengrath das Training über zwei weitere Tage hinweg fortgesetzt. Doch die ungewohnt hohe Menge an Bewegung machte Yu zu schaffen. „Ich kann nicht mehr… Machen wir ne Pause.“, stöhnte er erschöpft. Sengrath kicherte und setzte sich neben Yu. „Wenn Dero fragt, wir haben Theorie gemacht…“ „Ist gut.“ Es wunderte den jungen Wächter, dass der Gardist seinen eigenen Befehlshaber so ‚hinterging’. „Bekommst du nicht Ärger mit Deromar?“, fragte Yu seinen Gedanken entsprechend. Sengrath lachte. „Und wenn schon. Er weiß selber, dass er dich nicht gleich von Anfang an so hart rannehmen kann. Auf der anderen Seite verstehe ich ihn auch. Er muss dafür sorgen, dass du heil in Canthar ankommst und du dich in der für dich neuen Welt gut zu Recht findest und dich schnell mit den Regeln hier vertraut machst. Du musst zugeben, dass das keine einfache Aufgabe ist.“ „Ja… Das stimmt.“ Yukio blickte betreten zu Seite. Sen stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Ach komm, so schlimm ist es auch nicht. Streng dich an, dann kann sich auch keiner beklagen. Und glaub mir, du wirst es dann auch einfacher haben.“, meinte Sengrath grinsend. Irgendwie war dieser Gardist wie ein großer Bruder für Yu. Auch wenn sie sich nicht wirklich kannten, seine Ausstrahlung war einfach vertraut. Der junge Wächter schmunzelte. „Na dann lass uns weiter machen!“ Yu sprang auf. „Sicher? Wir haben noch nicht lange gerastet.“ „Keine Sorge, ich bin wieder fit. Das geht schon.“ Yukio wirbelte den Stab spielerisch durch die Luft. „Na wenn du meinst… Dann zeig mal was du drauf hast, Wächterjunge.“ Sengrath sprang auf. Zwei tage Training hatten zufolge, dass der Baum, an dem Sen und Yu immer übten einige Äste weniger, Yukio einige blaue Flecken mehr und Sengrath einen halbierten Kampfstab hatte. „Junge, du lernst schnell. Hätte ich nicht erwartet.“, meinte Sen grinsend. „Danke“ Yu musste zugeben, dass es so um einiges mehr Spaß machte, als das Kämpfen in Videospielen, auch wenn das wohl im echten Kampf anders aussehen würde. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass Sengrath ihn den letzten Kampf hatte mit Absicht gewinnen lassen. „Wie sieht’s aus? Morgen wollten wir wieder los.“, fragte Deromar als er zu ihnen herüber trat. „Nicht schlecht, der Junge kann schon was. Ich denke wir können unseren Weg wie geplant fortsetzten, den Rest kann ich ihm ja unterwegs beibringen…“, berichtete der Gardist fast schon etwas stolz. Deromar nickte. „Okay, das hört sich ja ganz gut an. Dann brechen wir morgen wie geplant auf.“ „Deromar…“ Yukio wandte sich an den Gardistenführer. „Was ist mit dem alten Mann? Rengaru? Wo ist er?“ „Ich schätze der wird schon in Canthar sein…“, antwortete der Griesgram beiläufig. „Wie kann das sein? Er ist doch viel langsamer als wir! Und er ist gar nicht in die richtige Richtung gegangen…“ „Der Alte benutz andere Methoden um von A nach B zu kommen. Ist nicht mein Spezialgebiet…“, meinte Deromar genervt und lies somit den Jungen einfach stehen. Während dessen schwebten über Yukios Kopf lauter Fragezeichen. Diese Welt war voller Rätsel. „Yukio, wir gehen in das Dorf um unsre Vorräte aufzufüllen. Du kannst derweil spazieren, oder so, aber nicht ohne Kapuze, kapiert?“, rief Kindril dem rothaarigen Wächter zu, der im Schatten des Trainingsbaumes saß. „Verstanden.“ „Gut! Wir sind in zwei Stunden wieder da, dann bist du auch hier, wir wollen dich nicht im ganzen Dorf suchen!“ Yu nickte, stand auf und stülpte sich den Mantel über. „Yu! Warte… Hab hier noch was für dich…“ Sengrath kam zu ihm herüber und überreichte ihm einen Ledergurt. „So kannst do dir deinen Kampfstab umschnallen und musst ihn nicht dauernd tragen.“ Der Gardist wirkte tatsächlich etwas verlegen. „Danke, Sen.“ Yukio nahm das Geschenk entgegen und probierte es gleich aus. Der Stab saß wie angegossen, ohne beim Gehen zu wackeln. Zufrieden lächelte Sengrath seinen Schützling an und eilte dann seinen Kollegen hinterher. Yu zog sich die Kapuze über und ging dann schließlich schlendernd zum Dorf. Es war schon seltsam, doch in den letzten zwei Tagen hatte sich der Rotschopf immerhin doch ganz gut eingefunden. Obwohl ihm alles noch irgendwo wie ein verkorkster Fantasytraum vorkam, hatte sich der Wächter in Spe langsam mit seinem sogenannten Schicksal abgefunden. Trotzdem plagten immer noch einige Fragen. Es gab so viele Unstimmigkeiten, oft dachte er die halbe Nacht darüber nach, bevor er erschöpft vom Training mit Sengrath in den Schlaf fiel. Anfangen tat es mit dem verlassenen U-Bahnhof, bei ihm zu Hause. Wie konnte es sein, dass niemand von diesem „Tor“ in ein anderes Paralleluniversum wusste? Wie war die Fahrkarte neben ihm aufgetaucht? Wieso waren auf dem Zug so eigenartige Schriftzeichen gewesen und die Schrift in dieser Welt wieder vollkommen normal? Wie war Rengaru in die Halle gekommen und danach nach Canthar? Und wieso konnten die Gardisten nicht den gleichen Weg nehmen? Doch das größte Rätsel war Yukios Mutter… Was hatte sie mit dieser Welt zu tun? Offenbar war sie auch eine Wächterin gewesen. Doch was war mit ihr und den anderen Wächtern passiert? Und was genau tat ein Wächter eigentlich? Der Name führte darauf hin, dass sie etwas bewachten, aber was? Es war ein verfluchter Teufelskreis und Yu vermag es nicht sich daraus zu lösen. Bevor er jedoch wieder groß in Gedanken versinken konnte, befand er sich schon im Dorf und er fing an sich aufmerksam umzusehen. Er sah Bauern durch die Straßen eilen, wie sie Waren schlappten, oder Bäuerinnen, die mit ihren Kindern einkauften. Man konnte Händler rufen und Weiber tratschen hören. Alles in allem ein friedliches Dorf. Doch der Schein trübte… ---Flashback--- „Yukio… Egal mit welcher Waffe du auch kämpfst, es ist wichtig, dass du deine Umgebung im Auge behälst, genauso gut wie deinen Gegner selbst. Im Kampf kannst du deine Umgebung wirkungsvoll in deine Strategie mit einbeziehen, du musst nur wissen wie. Nütze Höhenvorteile aus, kämpfe im Sonnenlicht, sodass dein Gegner geblendet wird, oder dräng ihn in die Enge. Das alles können im Kampf entscheidende Vorteile sein, die über Sieg oder Niederlage – Leben oder Tod, entscheiden. Deshalb musst du auch lernen bewusst auf dein Umfeld zu achten. Versuch bei deinem nächsten Spaziergang zum Beispiel Bäume und Vögel zu erkennen, ohne von deinem eigentlichen Weg abzukommen. Auch das ist eine äußerst wichtige Eigenschaft eines erfahrenen Kriegers…“ ---Flashback end--- Sengrath hatte damit natürlich sehr Recht gehabt. Und nützlich war diese Fähigkeit alle mal. Ohne sich groß umzusehen müssen, konnte er Details erkennen, wie einen kleinen Jungen, der einem Händler zwei Äpfel vom Wagen stahl und in einer Seitengasse verschwand oder er fing einige wenige Gesprächsfetzen auf, die meistens von „diesem komischen Kapuzenburschen mit dem Kampfstab“ handelten. Perfekt war es natürlich noch bei weitem nicht, doch Yukio war erstaunt wie lernfähig er war. In kürzester Zeit hatte er doch recht viel begriffen. Auch wenn sein Kampfstil etwas happig war und er ab und zu ein Paar Schläge kassierte, war er im Großen und Ganzen sehr stolz auf sich. „Hei! Junge!“ Yukio Drehte sich um. Großer Fehler. Plötzlich befand er sich umringt von drei nicht sehr nett aussehenden Männern. „Du siehst aus wie ein schlauer Bursche, stimmt‘s?“, sprach der eine, mit einer Narbe auf der Stirn. Yu senkte den Kopf. „Dann wirst du auch sicher so klug sein und uns dein Geld freiwillig geben.“, kicherte ein anderer mit mausgrauem Haar. „Und du wirst auch bestimmt nicht um Hilfe schreien, damit deine kleinen Gardistenfreunde hier nicht auftauchen, klar?“, fügte der letzte hinzu, der sich durch seinen langen, schwarzen Pferdeschwanz auszeichnete, denn dreckig und hässlich waren sie alle drei, fand Yukio. „Solltest du Macken machen, wirst du dich sehr schnell mit einem Messer in der Brust auf dem Boden wieder finden.“, lachte der erste. „Beziehungsweise auch nicht… wenn du verstehst!“, stimmte der zweite mit ein. Yu war erstarrt. So oft hatten Sen und er einen Überfall geprobt, so oft hatte er gut reagiert und jetzt… konnte er keinen Finger rühren. Seine Hände waren krampfhaft zu Fäusten geballt. Seine Knie zitterten. Wie konnten all die Passanten das nur nicht sehen?! Ein Raub am helllichten Tag und keiner kümmerte sich darum! Yukio gestand sich ein, er hatte versagt. Das Training war für nichts und wieder nichts gewesen. Vielleicht stimmte ja das, was sein Vater ihm immer vorgehalten hatte. Er war unfähig, dumm und lernte gar nichts. Yu war kein Held. Auch kein Wächter. Er war bloß schwach. Eine Träne fand ihren Weg über Yukios Gesicht. Dann fasste er einen Entschluss. „Wenn ich schon sterben muss… Dann nehme ich wenigstens einen von euch Bastarden mit mir!“ Mit einem schnellen Ruck hatte Yu seinen Kampfstab gezückt und holte nach dem Typen mit dem grauen Haar aus. Er sah nicht nach ob er getroffen hatte, wirbelte herum und lies die Klingen an den beiden Enden seiner Waffe um sich kreisen. Seine Zähne taten weh, wie fest er sie zusammengebissen hatte, er hörte aufgebrachte Schreie, Menschen trampelten durch die Gegend, doch es war ihm egal. Gleich war alles vorbei. Der Wächterjunge senkte die Waffe und wartete zitternd auf den Tod. Doch als auch nach etlichen Momenten nichts geschah, blickte er auf. Alle drei Banditen lagen auf dem Boden. Den ersten hatte er an der Brust erwischt. Tot. Dem zweiten hatte es die Kehle durchgeschnitten. Tot. Der dritte windete sich schmerzverzerrt auf dem Boden und hielt sich beide Hände auf sein rechtes Auge. Fassungslos sank der Rotschopf auf die Knie. Um ihn herum hatte sich ein Ring von Leuten gebildet, die alle entsetzt starrten und tuschelten. Nun brach er endgültig in Tränen aus. „Gott verdammt, was ist hier los?!“ Es war Deromars Stimme. Yukio sah auf und erblickte die drei Gardisten. Dero kochte vor Wut und Sengrath und Kindril sahen sich nur erstaunt das Szenario an. „Sauber.“, bemerkte Kin mit einem Nicken. „Verflucht, was hast du angestellt?! Nur weil du jetzt eine Waffe hast, heißt das nicht, dass du gleich jeden abschlachten musst!“ „I-Ich… k-kann nichts daf-für…“, schluchzte Yu. „S-Sie haben m-mich eingekreist und b-bedroht… Sie wollten mich umbringen!“ „Was?!“ „S-Sie haben gesagt, w-wenn ich ihnen kein Geld gebe, t-töten sie mich!“, erkläre Yukio aufgebracht. „Ich w-war in Panik!“ Deromar drehte sich um und packte den einzigen überlebenden am Kragen. „Ah! Mein Auge! B-Bitte! Tut mir nichts! Ich stehle auch nie wieder!“, schrie der Bandit schmerzverzerrt. Der Gardist knurrte nur und lies ihn wieder zu Boden fallen. Sengrath war mittlerweile zu Yu gegangen und hatte ihm aufgeholfen. „Schon gut, das war okay. Aber versuch das nächste Mal die Leute am Leben zu lassen…“, kicherte er. Der Wächterjunge nickte nur und versuchte sich wieder zu beruhigen. Kindril sorgte derweil dafür, dass sich die Menschenmenge langsam löste und alle wieder ihres Weges gingen. „Machen wir endlich, dass wir aus diesem Drecksloch rauskommen!“, fauchte Deromar gereizt und schritt schnellen Schrittes voran. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)