Darkness of the Phoenix von _Nira_ (Die Gefahr wohnt in deiner Seele) ================================================================================ Kapitel 12: Erbe ---------------- ~ Drei Monate später ~ Der Winter hielt Einzug in Russland und das mit eisigen Temperaturen. Es war Mitte November und so wie sich das Wetter zeigte, würde es nicht mehr lange dauern, bis die erste Schneedecke vom Himmel fiel. Die Black Bladers, die nun nur noch aus vier Bladerinnen bestanden, waren in eine neue WG in der Nähe der Innenstadt, umgezogen. Stefania hatte sich gut eingelebt. Sie war richtig glücklich in dem neuen Team zu sein. An diesem Morgen waren die vier alle noch ziemlich verschlafen und keiner wollte so richtig aufstehen. Gestern hatte alle vier das Feuer gepackt und sie hatten bis in die späten Abendstunden trainiert – so lange bis sie nicht mehr konnten. Danach waren sie einfach nur noch mehr schlecht als recht ins Bett gefallen. Miena stand gerade unter der Dusche und hörte im Flur eine Tür klacken. Irgendwer hatte sich wohl auch aus dem Bett gequält. „Morgen, Miena!“ Dumpf drang die Stimme zu ihren Ohren, aber sie erkannte eindeutig, dass es Jess war. „Morgen, ich komm gleich!“ rief Miena zurück. „Ja, ist gut“ erwiderte Jess und gähnte herzhaft. Schlaftrunken tapste sie zurück in ihr Zimmer und suchte sich passende Klamotten aus ihrem Kleiderschrank. In ihrem Zimmer zog sie sich an und ging dann runter in die Küche um Teewasser und Kaffee aufzusetzen. Immer noch gähnend, begann sie den Tisch zu decken, als es plötzlich an der Tür läutete. „Wer kann das sein? Es ist doch erst halb zehn!“ fragte sie sich, ging aber trotzdem zur Tür und öffnete diese. Der Besuch erstaunte sie. „Mr. Dickenson? Kai?!“ fragte Jess nun völlig von der Rolle. „Guten Morgen, Jess. Dürften wir reinkommen?“ fragte Mr. Dickenson nun. „Klar“ sagte Jess nur und trat beiseite. Die drei setzten sich ins Wohnzimmer und Jess hatte immer noch keine Ahnung, was hier eigentlich los war. „Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?“ fragte sie schließlich. „Nun, das kam mir vor zwei Tagen zu. Es dürfte euch beide ziemlich interessieren“ sagte Mr. Dickenson und holte zwei weiße Umschläge aus seinem Jackett hervor und drückte jeweils einem der beiden einen in die Hand. Jess schaute immer noch ziemlich verwundert drein, nahm sich den Brieföffner, der auf dem Tisch lag und öffnete den Brief. „Vorladung?“ fragte sie verwirrt. „Ja, bei einem Rechtsanwalt, hier in der Stadt“ bestätigte Mr. Dickenson. „Und was sollen wir da?“ fragte Kai nun. „Der Anwalt hat mich gestern angerufen und gefragt, ob ich diese Briefe erhalten hätte und das ihr beide unbedingt diesen Termin wahrnehmen sollt. Mehr wollte er mir nicht verraten“ sagte Mr. Dickenson. „Das ist ja schon in zwei Stunden“ stellte Jess fest, als sie sich den Termin genauer ansah. „Ihr müsst beide eure Ausweise und Geburtsurkunden mitnehmen“ fügte Mr. Dickenson noch hinzu. „Wofür denn eigentlich?“ fragte Jess verwirrt. „Wie gesagt, ich weiß es nicht“ sagte der BBA-Chef nur. „Kai, dein Flug geht heute Abend um 19:00 Uhr zurück nach Tokyo. Ich muss leider schon los. Wir sehen uns“ Bevor Jess den älteren Herren weiterlöchern konnte, stand er auf und verschwand aus der Tür. „Was zum Henker geht hier eigentlich ab? Und das alles vor dem Frühstück!“ beschwerte sie sich und setzte sich aufs Sofa. „Ich hab selbst keine Ahnung, was das zu bedeuten hat“ erwiderte Kai. „Ich auch nicht. Komm, du kannst mit uns Frühstücken. Nach Mr. Dickenson bist du noch eine Weile hier“ bot Jess an. Miena kam auch gerade die Treppe runter. „Sag mal, Jess, was war denn-? Oh, hallo Kai“ begrüßte sie den Halbrussen völlig überrumpelt. „Mr. Dickenson war gerade hier und hat uns eine Vorladung beim Rechtsanwalt in die Hand gedrückt. Wir haben beide keine Ahnung, um was es eigentlich geht“ erklärte Jess schnell. „Egal, erst mal frühstücken. Dann denkt es sich besser!“ grinste Miena. „Deck noch für Kai mit. Stefania steht eh erst später auf“ sagte Jess schnell und legte den Zettel auf die Küchenzeile. Nach dem Frühstück ging Miena nach oben und Jess und Kai machten es sich im Wohnzimmer bequem. „Biovolt ist unerwartet zurück getreten“ sagte Kai plötzlich. Jess grinste. „Ich weiß“ „Sag mir nicht, dass du nachgeholfen hast“ meinte Kai. „Na ja… eigentlich schon“ erwiderte Jess und erzählte ihm kurz von ihrem leichtsinnigen Deal mit Voltaire. „Sei froh, dass das nicht ins Auge gegangen ist“ war Kais Meinung. „Ist es nicht, aber ich hab mein Ziel erreicht, auch wenn es mit der WM im Endeffekt nicht so geklappt hat“ sagte Jess grinsend. Anderthalb Stunden später machten sich die beiden auf den Weg zu dem Rechtsanwalt. Jess war öfters schon mal daran vorbei gelaufen, so wusste sie genau, wo es war. Vor der Tür zum Anwaltsbüro im Inneren des Gebäudes blieben die beiden kurz stehen, bis Jess beherzt anklopfte und eine Stimme von innen sie herein bat. „Ah, wie schön. Ich habe Sie bereits erwartet“ sagte der Mann im Anzug höflich, reichte beiden die Hand und forderte sie auf Platz zu nehmen. „Mr. Dickenson war heute Morgen bei mir und hat mir und Kai ihre Vorladung in die Hand gedrückt“ fing Jess an zu erklären. „Was sie sagen will, wir würden gerne wissen, warum wir hier sind“ sagte Kai. „Nun denn, eins nach dem anderen. Zuerst würde ich gerne Ihre Geburtsurkunden und Personalausweise sehen“ meinte der Anwalt nun. Nachdem ihm alles vorgelegt wurde und er es eingehend geprüft hatte, setzte er seine Brille ab und wandte sich an die Halbgeschwister. „Der Grund, warum Sie heute hier sind, ist folgender: Ihr Großvater ist vor wenigen Tagen verstorben und bat mich Ihnen beiden sein Testament auszuhändigen“ Kais Augen wurden groß und Jess fiel die Kinnlade herunter. „Was?!“ kam es wie aus einem Munde. „Ja, Sie haben beide geerbt und nach den Unterlagen zu Urteilen, sogar nicht gerade wenig“ sagte der Anwalt banal. Er griff unter seinem Schreibtisch in eine Schublade und holte zwei weitere Umschläge in beigefarben hervor. Jess und Kai schenkten sich kurz verwunderte Blicke. Sie hätten beide mit Einigem gerechnet, aber definitiv nicht damit. Der Anwalt legte den beiden die Umschläge hin. Jess zögerte kurz, griff aber dann beherzt danach und öffnete ihn. Recht zittrig begann sie die handgeschriebene Seite zu lesen und ihre Augen wurden groß. „Wow…“ hauchte sie erstaunt. Kai fragte nicht nach, sondern schnappte sich seinen Umschlag und stand auf. „Kai, warte mal“ sagte Jess überrumpelt. Doch er hörte nicht, nahm seine Jacke und ging raus. „Entschuldigung. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt auch gehe“ meinte Jess nun und verabschiedete sich von dem Anwalt. „Ja, gerne doch“ erwiderte er. Auch Jess schnappte sich ihre Jacke und ging aus der Tür. Draußen vor dem Gebäude stand Kai und seine Halbschwester verstand jetzt gar nichts mehr. „Sag mal, was ist denn los?“ fragte sie verwundert. Kai antwortete ihr nicht, sondern hatte nur den Blick auf den nassen Bürgersteig unter ihm gerichtet. „Kai, was ist los?“ fragte Jess nochmals – dieses Mal mit Besorgnis in der Stimme. Dann geschah etwas, von dem Jess glaubte, es niemals in ihrem Leben zu sehen zu bekommen. In Kais Augen bildeten sich Tränen und eine davon lief über seine Wange, bevor er es verhindern konnte. Jess sagte nichts. Sie wusste, dass er jetzt nichts hören wollte. Wortlos umarmte sie ihn einfach und wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte, was erfahrungsgemäß auch nicht sehr lange dauerte. „Ich glaube, das war einfach die Erleichterung“ sagte Kai nach einer Weile leise. Jess lächelte. „Komm, lass uns nach Hause gehen. Ich hab den anderen was zu erzählen“ meinte sie und ging los. In der WG angekommen, wurde Jess sofort von ihren Teamkameradinnen gelöchert, was dieser Anwalt denn gewollt hätte. Sie setzten sich alle ins Wohnzimmer. „Also, jetzt mach’s nicht so spannend! Raus mit der Sprache“ forderte Miena Jess auf. „Ich hab geerbt“ sagte die Teamchefin kurz. „Du… was? Ja, aber von was denn?“ fragte Stefania irritiert. „Voltaire ist vor einigen Tagen gestorben und hat uns beiden – also Kai und mir – sein Testament hinterlassen“ erklärte Jess. „Ja, und weiter? Was genau hast du jetzt geerbt?“ fragte Miena hibbelig. „Mir gehören 49 % der Biovolt Corp. – also von dem übrig gebliebenen Vermögen. Das sind umgerechnet ca. 3,5 Millionen US Dollar“ „WAS?!“ platzte es den anderen dreien heraus. „Man, damit hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt!“ sagte Miena perplex. „Scheint wohl so“ meinte nun auch Irina ebenfalls so verblüfft. „Das ist einfach Wahnsinn“ brachte Stefania nur heraus. „Und wem gehören jetzt die restlichen 51 % vom Unternehmensvermögen?“ fragte Miena nach. „Kai. Wenn es die Organisation noch geben würde, wäre er jetzt der Boss“ erwiderte Jess. „Und was ist mit den ganzen Gebäuden?“ fragte Irina interessiert. „Keine Ahnung… Bei mir steht nichts drin“ erwiderte Jess. „Kai, wie sieht’s bei dir aus?“ „Nein, nichts“ antwortete er nur. „Hmm… seltsam“ wunderte sich Miena nun. „Ja, schon, aber mit der Abtei hätte ich sowieso nichts anfangen können“ sagte Jess daraufhin. „Was heißt das jetzt konkret für uns? Ich meine, Voltaire ist zwar weg, aber wir dürfen Boris nicht vergessen“ räumte Stefania nun ein. „Biovolt gibt es nicht mehr und das Vermögen davon, haben Kai und Jess geerbt. Wenn dieser größenwahnsinnige Depp wieder was auf die Beine stellen will, soll er doch. Wir und die nächste Generation werden das sowieso wieder vereiteln. Von daher mache ich mir keine Sorgen“ meinte Miena nun und lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück. „Sie hat Recht. Das ist weiß Gott das Letzte worüber wir uns den Kopf zerbrechen sollten“ nickte Irina. Eine Weile herrschte Stille. „Es schneit“ sagte Stefania plötzlich unvermittelt. Jess ließ sich auf der Couch zurückfallen. „Nicht schon wieder Winter. Ich hasse diese verdammte Kälte“ seufzte sie. „Was denn? So schlimm finde ich das gar nicht!“ grinste Miena zurück „Ich spendiere dir eine Reise nach Alaska, du Schneemensch. Vielleicht ist es dir ja da kalt genug. Manchmal meckerst du noch, dass es bei minus zwanzig Grad zu warm ist“ erwiderte Jess. „Wirklich?“ fragte Miena mit gespielter Begeisterung. „Na logisch. Gleich nachdem ich hier das Wetter geändert hab und wir hier Sahara-Klima haben“ meinte Jess daraufhin sarkastisch. Irina lachte kurz auf und Stefania grinste breit. „Wenn du Kälte und Temperaturen unter Null Grad so verabscheust, warum wohnst du dann in der mitunter kältesten Stadt der Welt?“ fragte Kai nun. „Weil das hier mein Zuhause ist. Auch wenn es hier wirklich verdammt kalt wird und ich das hasse wie die Pest, würde ich es um nichts in der Welt missen wollen. Ich bin in Moskau groß geworden und hier hängen so viele Erinnerungen. Ich würde hier niemals freiwillig weg wollen“ erwiderte Jess lächelnd. „Dich soll mal einer verstehen“ sagte Stefania verwundert. „Die ist mindestens so komplex wie der Sinn des Lebens, also an deiner Stelle würde ich mich nicht mit ihr auseinandersetzen“ lachte Irina zurück. „Hey, für eine Frau bin ich noch ziemlich unkompliziert“ erwiderte Jess grinsend. „Das stimmt allerdings auch wieder“ nickte Miena. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)