Blut & Seele von abgemeldet (The sign of the black cross) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Disclaimer: Die Charaktere von Weiß Kreuz gehören nicht mir, sondern ihren Erschaffern! Es liegt mir Fern aus dieser Geschichte Profit zu machen, oder das Copyright zu verletzen. Sie soll lediglich zur Unterhaltung beitragen... Anmerkung: Das Ende der Serie – Weiß Kreuz - war etwas unbefriedigend für mich, also entschloss ich mich zu einer Fortsetzung. Vorbemerkt sei noch, dass ich das Ende von WK zu meinen Gunsten etwas abgeändert habe: Rans Schwester Aya liegt nach wie vor im Koma und somit haben die Jungs den Blumenladen noch einige Zeit weitergeführt. Sonst entspricht alles der Serie, soweit in dieser über die Vergangenheit, der Figuren bekannt geworden ist. Ich hoffe ich werde den Lesern, die der Serie bisher nicht ansichtig wurden, gerecht, indem ich die Geschehnisse an geeigneter Stelle kurz umreiße. Die Geschichte habe ich 2002 bereits auf yaoi.de veröffentlicht. Sie ist also schon etwas älter. Der Stil hat sich verändert. Rechtschreibung und Grammatik waren damals auch schon nicht so meine Stärke gewesen ^^;; Da ich in letzter Zeit häufiger Anfragen bezüglich eines neuen Teils der Fortsetzung erhalten habe, beschloss ich, zunächst die Vorgeschichte hier online zu stellen. Der Glasgarten, den ich zusammen mit Coco schreibe steht klar an erster Stelle. Tokio-Privatklinik Aya stand am Fenster des Aussichtszimmers. Sein Blick war unfokussiert in die kalte Winterlandschaft gerichtet. Inmitten der weißen, geräuschdämpfenden Pracht, lag ein kleiner See, unzugänglich, eisig und kalt. Seine Oberfläche zugefroren, nur weiter unten in der Dunkelheit des Grundes wurde es wärmer... Er wünschte er würde unter dieser Eisdecke liegen. Ohne zu denken, ohne zu atmen, ohne zu leben. Dann müsste er nicht schon wieder diese ganze Scheiße mitmachen. Seine Schwester wieder an diesen verdammten Kabeln hängen sehen. Den kleinen, abgemagerten Körper in dem, mit Luftkissen gefüllten Bett sehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufwachte war verschwindend gering. In all dieser Zeit, in der er voller Hoffnung gewesen war, die Ärzte falsch verstanden hatte, in all der Zeit war er blind gewesen. Warum wachte er jetzt auf? Weil sie jetzt wieder auf der Intensivstation lag? Sich ihr Zustand verschlechtert hatte? War er so blind gewesen? Hatte diese Verschlechterung ihn wachgerüttelt und ihm gezeigt, dass es keine Besserung geben würde? Warum hatte er nicht auf die Ärzte gehört, als sie ihm gesagt hatten, dass Aya bestenfalls eine leblose Hülle bleiben würde, ihr wacher Geist eingesperrt ohne eine Chance auf Befreiung aus ihrem Gefängnis? Bestenfalls... Er hätte am liebsten laut aufgeschrieben, seine Wut seine Hoffnungslosigkeit hinaus gebrüllt, doch er tat es nicht. Er stand weiterhin an dem breiten Panoramafenster, seinen Kopf an die kühle Scheibe gelehnt und starrte blicklos auf die verschneite, stille Landschaft. Unwirklich kam sie ihm vor, als wäre dort draußen ein Ort, der ihm Ruhe und Frieden versprach und hier drinnen die grausame Wirklichkeit, die auf ihn einprasselte. Selten fühlte er sich von der Realität entrückt, dies war jedoch einer dieser Momente. Ohne festen Boden, ohne jemanden, der ihn wieder zurückholte, ihn festhielt ihm Schutz gab, drohte er sich selbst in seinen eigenen düsteren Gedanken zu verlieren. Er verschränkte die Arme vor der Brust um sich ein wenig Wärme zu verschaffen. Sein Mantel hing über einer Stuhllehne, er war lediglich zu faul um sich aus seiner Haltung zu lösen. Es war bereits später Abend und die Beheizung des Raumes fiel wohl etwas geringer aus als unter Tags. Die Privatklinik hatte ihre Pforten für Besucher nur nachmittags geöffnet, deshalb war der Warteraum im Moment außer Aya leer. Die indirekte Beleuchtung war auf ein Minimum reduziert. Aya war es ohnehin lieber wenn er, das leuchtende Weiß, des Schnees draußen auf sich wirken lassen konnte. Es passte so ganz gut zu seiner düsteren Stimmung. Nach einer Weile hörte er eine weibliche Stimme, die vor der etwas entfernten Tür, mit jemand anderem sprach. Die Tür öffnete sich geräuschvoll und das Licht wurde um einige Stufen höher gestellt, gleich darauf hin jedoch wieder zurück. Aya rang sich durch und hob seinen Kopf etwas an. Er wollte nicht unhöflich sein, die Leute hier konnten schließlich nichts für sein beschissenes Leben. Er erkannte die Ärztin, die seine Schwester betreute bereits an ihrer Silhouette, als sie sich ihm näherte. Sie brachte eine kleine Rauchfahne mit sich, hatte sich wohl gerade eine kleine Pause gegönnt. „Fujimiya Ran. Verzeihen Sie die Verspätung.“ Aya nickte lediglich. Begrüßt hatten sie sich bereits, als er vor zwei Stunden ins Haus gekommen war. Ms. Thompson war eine gute Ärztin soweit er es beurteilen konnte und Omis Recherchen anging. Sie kam aus Europa, im Rahmen eines Austauschprogramms, nach Japan und arbeitete erst seit Kurzem in dieser Klinik. „Kann ich zu ihr?“ Seine Stimme hörte sich in seinen Ohren seltsam müde und gefasst an. Er konnte ihr Gesicht im dämmrigen Licht nur schemenhaft erkennen. Sie wies ihn an, sich auf einen der gepolsterten Sessel zu setzen. Aya folgte der Aufforderung nur widerstrebend. Irgendwie wollte er sich jetzt nicht bewegen, sich nicht in die Nähe einer anderen Person begeben. Er tat es trotzdem, nahm neben der Ärztin Platz und wartete bis sie anfing zu sprechen. „Wie ich Ihnen schon sagte, hat es eine Komplikation gegeben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ihr Zustand verschlechtert. Es stellt sich nun die Frage inwieweit wir weiter machen sollen.“ Ihre Worte waren weder zögerlich noch unsicher, lediglich leise und eindringlich, ganz so als wollte sie sicher gehen, ob er auch alles verstand was sie sagte. Aya wusste auf was dieses Gespräch hinaus laufen sollte. Er hatte es kommen sehen, Angst davor gehabt, wie ein Feigling war er davongelaufen, hatte es nicht wahrhaben wollen, das Unausweichliche hinaus gezögert um sich einer Illusion hin zu geben. Einer Illusion, die nur Leid brachte. Für seine Schwester und für ihn selbst auch. Sein Blick verlor sich auf ihrem Namenschild, er wollte fliehen, wollte weg von hier, wollte die Frage nicht beantworten, fürchtete sich davor. „Wir können ihren Körper für einige Zeit künstlich am Leben halten, doch es würde das unausweichliche nur hinauszögern. Wir werden noch einige Untersuchungen durchführen, um ganz sicher zu gehen, doch erwarten Sie sich nicht zu viel davon.“ Stille breitete sich zwischen ihnen aus, bis sie von den nüchternen Worten unterbrochen wurde. „Die erneute Hirnblutung hat dem Gehirn irreparable Schäden zugefügt, wir können nur warten bis sich eine Änderung einstellt. Da jedoch die Ausgangssituation schon schlecht war, befürchten wir in den nächsten Stunden eher eine Verschlechterung ihres Zustandes. Sollen wir...“, fing sie an, doch Aya kam ihr zuvor. „Nein, sollen sie nicht“, sagte er fest. Er stand auf und schüttelte leicht den Kopf. „Sie sagen selbst, dass es auf Dauer nichts bringt, also warum sie unnötig quälen? Ich hätte mir schon viel früher über die Situation im Klaren sein müssen. Wäre sie in einem staatlichen Krankenhaus gewesen hätte sie es längst hinter sich.“ Die gleich große Ärztin erhob sich etwas steif und fuhr sich mit der linken Hand über ihren Nacken. Sie überhörte einfach seine vor Zynismus triefende Antwort. „Ich kann nicht behaupten, dass wir mit unseren Forschungen und neuen Methoden bei dieser schweren Art der Verletzung einen großen Erfolg hatten. Vielleicht hätte mehr Zeit uns geholfen, aber so...“, sie ließ den Satz unvollendet, wandte sich zum Gehen. Zeit? Wie viel Zeit? Mit der Aussicht, das seine Schwester für immer in ihrem Körper eingesperrt wäre ohne sich rühren zu können, ohne etwas sagen zu können, lediglich mit den Lidern zu kommunizieren. Gefangen im eigenen Körper? War das Leben? „Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu Ihrer Schwester, sie liegt jetzt wieder auf der Intensivstation auf der sie zu Anfang ihres Aufenthaltes bereits lag. Das Personal kennt sie bereits.“ Er griff sich seinen schwarzen, langen Wildledermantel, mit hellgrauem Pelzimitat im Innenfutter und folgte der Ärztin. Der Mantel war ein Geschenk von Yohji gewesen, von wem auch sonst? Fragte er sich selbst in Gedanken. Dessen letzter Besuch in Mailand war der Grund für einen kleinen Kaufrausch gewesen und hatte ihnen alle Designerklamotten beschert. Geld genug hatten sie ja, daran sollte es nicht scheitern. Und wenn Yohji dann glücklicher war und ihnen – vor allem Aya – nicht mehr auf die Nerven ging, umso besser. Außerdem fühlte Aya sich wohl in dem Fell, es gab ihm etwas Wärme und vielleicht auch den Hauch von Geborgenheit, Gefühle, die er vermisste. Der Krankenhausflur war nicht sehr lang und am Ende kam ein Aufzug in Sicht. Ein schwacher Geruch nach desinfizierenden Reinigungsmitteln lag in der - durch die Klimaanlage gefilterten und temperaturangepassten – Luft. Die Wände des Ganges waren zweifarbig. Getrennt durch einen roten dünnen Farbstrich, der als Leitsystem funktionierte und den Besuchern, den richtigen Weg zur gesuchten Abteilung des Krankenhauses wies, dominierten hier das kühle Blau und die Farbe der Hoffnung – ein zartes Grün. Aya starrte dieses Grün an und konnte innerlich nur höhnisch lachen. Hoffnung? Für wen? Auf dem Weg zur Intensivstation... Hoffnung... „Wir fahren in den vierten Stock, die neue Intensiv ist in der Nähe der Operationssäle“, unterbrach die Ärztin seine zynischen Gedanken. Sie fuhren nach oben und betraten den Schleusenraum. Leises Piepen drang durch die noch geschlossene Flügeltür, die sich nur durch Drücken eines Türöffners nach innen öffnete. Aya kannte dieses Piepen, ein markanter Alarmton, wie er nur von einem Beatmungsgerät kommen konnte. Oft genug hatte er den Anblick seiner Schwester in sich aufgenommen, wie sie von diesem Gerät abhängig war, nicht selbst atmen konnte. ‚Künstliche Beatmung‘, nannten die Ärzte es. Aya fand es schrecklich. Den Atemrhythmus von einer Maschine vorgegeben, die von Menschenhand ihre Einstellung erhalten hatte und den Brustkorb in regelmäßigen Abständen hob und senkte. Ein Vorgang, der für Aya die Hoffnung, nur einen Hauch von Leben in seiner Schwester nach außen dringen zu sehen, zunichte gemacht hatte. „Ziehen Sie bitte diesen Überwurf über Ihre Kleidung. Den Mantel können Sie hier in den Schrank hängen.“ Aya folgte den Anweisungen innerlich ruhig und gelassen, als könne das Kommende ihn nicht belangen, als betreffe es ihn selbst nicht. Fertig angezogen, öffnete die Ärztin die Schleuse und sie traten zusammen ein. Das einzige... .....was bleibt, ist Hoffnung. Und die... ...stirbt als Letztes. Kapitel 2: Alpha: Traumfänger ----------------------------- 1. Vierzehn Monate später... Der leuchtende Vollmond hüllte die düstere Großstadt in kaltes Licht, seine volle Leuchtkraft nur von einer zarten Wolkenschicht verdeckt, war er der einzige Zeuge, der nun folgenden Zusammenkunft. In den tief, gähnenden Schluchten der aufstrebenden Wolkenkratzer näherten sich zwei Männer ihrem vereinbarten Treffpunkt. Ihre schnelle Art des Fortbewegens ließ sie in den Augen möglicher Beobachter lediglich zu Schatten werden. Lautlos trafen sie fast gleichzeitig auf dem Flachdach eines Hochhauses ein. „Sind alle Protagonisten an den vorgesehenen Orten?“, fragte der dunkelhaarige Mann, sein langer, dünner Mantel wehte wie ein unheilvolles Banner hinter ihm. Der zweite Mann trug enganliegende, derbe Stoffhosen, schwere hohe Schnürstiefel und eine ärmellose, taillierte Weste, deren silberner Reißverschluss im Schein des nächtlichen Himmelskörpers matt schimmerte. Die dunkle Kleidung schmiegte sich vortrefflich an den athletischen Körper des jungen Mannes. Sie war für dieser Art nächtlicher Ausflüge wie gemacht. „Wie eure präkognitiven Fähigkeiten es gezeigt haben“, bestätigte der Angesprochene. Ein kurzes Nicken, und eine beiläufige Geste mit der schlanken Rechten zur Respektbekundung, sonst zeigte sich keine Regung in dem ausdruckslosen Gesicht. Nichts verriet seine Gedanken. „Gut. Es wird noch etwas dauern. Wir werden warten.“ Die Stimme des Langhaarigen war befehlsgewohnt, barg aber eine gewisse Sanftheit, als er sein Gegenüber ins Visier seiner, dunkel wirkenden, Augen nahm. Wind kam auf und zerrte an Mantel und Haar des Dunkelhaarigen. Die beiden Männer standen sich, wenige Meter gegenüber. Die braunen Haare fielen dem Kurzhaarigen ins ausdruckslose Gesicht. Sie standen im schönen Kontrast zu den hellblauen Iriden, die nun leichte Verwirrung wiederspiegelten. „Weshalb warten? Ist die Gefahr nicht unmittelbar? Warum wollt Ihr sie ohne Schutz lassen?“ fragte er monoton, ohne eine Schwankung im Timbre. Die hellbraunen Augen des Langhaarigen blitzten vor Vergnügen, er neigte leicht den Kopf und wandte sich ab. „Zweifelst du meiner Entscheidungen, Coldpain? Oder verwirre ich dich?“ Der Langhaarige, zweifelsohne in der Rangordnung über Coldpain, konnte sich ein wissenden Lächeln nicht verkneifen, verbarg es aber geschickt. Die dunklen Strähnen wehten im Höhenwind ihres gewählten Treffpunktes, als er sich langsam seinem Ziel näherte, dass augenscheinlich etwas verwirrt war. Große Augen sahen ihn verwundert an und forderten eine glaubhafte Erklärung für diese außerordentliche Planänderung. „Ihr habt den Plan geändert“, stellte er das Offensichtliche, mit ausdrucksloser Stimme und Mimik, für sich fest. Der Langhaarige hob seine behandschuhte Linke und legte sie federleicht auf die kühle Wange seines Gegenübers. Ein kleines irritiertes Blinzeln, von Seiten Coldpains, war die erneute Reaktion auf das seltsame Verhalten des Ranghöheren. „Möchtest du nicht wissen, weshalb?“ Fragte dieser nun hintergründig. „Es steht mir nicht zu, die Beweggründe des Trigon zu hinterfragen“, kam es lehrbuchgetreu als Antwort. Der Blick des Langhaarigen wurde wieder undurchdringlich. „Natürlich steht es dir nicht zu“, erwiderte er kalt und nahm seine Hand wieder zurück. „Nur, woher weißt du, ob es die Beweggründe des Trigons sind, die mich leiten?“ Er wandte sich ab, die langen Haare verdeckten sein schmales Gesicht. „Ihr wollt das Trigon hintergehen, Blutengel?“ Ein kleines hinterhältiges Lächeln breitete sich auf den aparten Gesichtszügen aus, wusste er doch, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Wie immer ein unermüdliches Bestreben seinerseits den unterkühlten Coldpain zu einer Gefühlsregung zu bringen. „Beschuldigst du mich des Verrates?“ fragte er leise. Das entsetzte Keuchen, das Coldpains Lippen entfloh, war der Lohn seiner kleinen verbalen Falle. „Nein, natürlich nicht... ich…“, stotterte Coldpain und wich einen Schritt zurück. Das Einzige, was er sich an Regung über die Ungeheuerlichkeit seiner Frage anmerken ließ. Blutengel fuhr herum und blitzte sein Gegenüber anklagend an. „Für diese Unterstellung...“ Seine Hand schnellte vor, umschlang mit eisernem Griff den schlanken Hals Coldpains. Für ihn war es ein leichtes Coldpain zu berühren, trug er doch Spezialhandschuhe. Für jeden anderen wäre eine Berührung dieser köstlichen, von der Sonne gebräunten Haut tödlich. „...wirst du bestraft.“ Seine Lippen waren nur einen Hauch von Coldpains entfernt. Zu weit um den tödlichen Kuss zu initiieren, doch nah genug um sich selbst einem gewissen Nervenkitzel auszuliefern. Eine falsche Bewegung und er würde sich nicht mehr bewegen können. Er wäre durch das Depolarisieren seiner Nervensynapsen, ausgelöst durch Coldpains Nervenentladungen, die sich bei einem Hautkontakt übertrugen, mit grausamen Schmerzen im Innersten, gelähmt. Vor allem das Aussetzen der lebenswichtigen Hirnnerven, die durch eine Überladung der Nervenüberleitungen ausgeschaltet würden, käme einem Todesurteil gleich. Der ‚Kalte Schmerz‘, war oft tödlich, je nachdem wie aufgewühlt Coldpain war. Coldpain blieb ruhig, nichts, kein Zittern deutete darauf hin, dass er Unwillen verspürte, oder sogar Angst. Blutengel lockerte seinen Griff etwas, fuhr spielerisch über das feinmodellierte Kiefer und ließ dann sein Objekt der Begierde wieder los. „Du wirst den fehlenden Mann ersetzen. Du bist wie geschaffen für diese Aufgabe, eine Bereicherung für das Team.“ „Ich unterstehe nicht eurer Befehlsgewalt. Meine Einsätze im Außendienst wurden bisher nicht ausreichend geprüft um...“, „Suchst du nach Ausflüchten Coldpain?“, unterbrach Blutengel ihn spöttisch. Coldpain antwortete ihm nicht, sah ihn lediglich etwas verwirrt an. Langsam entwickelte sich dieser Abend zu einer wahren Fülle an Überraschungen für Blutengel. „Ab heute unterstehst du mir, niemand anderem. Oder willst du mich erzürnen?“ Coldpain schüttelte den Kopf, seine hellblauen Augen wirkten leer. Für ihn war diese Sache erledigt. Er würde nichts mehr in Frage stellen. Es machte für ihn keinen Unterschied wessen Befehlen er gehorchte. Ob es nun Blutengel oder die der anderen beiden Lords waren. Blutengel lachte nur leise, hatte er diese Reaktion doch vorausgesehen. „Wenn wir noch etwas...“, er stockte. „Nein... ich denke wir werden nun Phase 1 starten. Phase 2 wird ohne meine ausdrückliche Order beginnen, sobald sich das erste Team auf den Weg macht. Hast du alle Instruktionen, die ich dir zukommen ließ, studiert?“ „Ja.“ „Gut. Dann geh und bedenke, wir brauchen alle Zielobjekte lebend.“ Coldpain neigte leicht den Kopf, stieß sich ab und sprang kopfüber in die Tiefe. „Lasst die Spiele beginnen...“, leises Lachen durchzog die Nacht. 2. Es war ein Uhr nachts, als Crawford und Schuldig von einem Auftrag zurückkehrten. Schuldig war, gelinde gesagt, „etwas“ gereizt. Er warf die Wagenschlüssel mit Verve auf die Kommode im Flur. Harte Beats, in schneller Abfolge dröhnten in martialischer Lautstärke durch das mehrstöckige Haus. Von der Außenwelt durch eine schalldichte Verkleidung abgeschnitten traf die beiden Neuankömmlinge das herbe Stakkato unvorbereitet. ‚Nagi. Stell diese Scheiße ab. Oder ich reiß dir deinen kleinen Arsch auf!‘ Er bekam keine Reaktion auf seine wenig schmeichelhafte Aufforderung. Wahrscheinlich hatte der Kleine sein Interface eingeschaltet und sämtliche Außeneinflüsse gedanklich abgestellt. Schuldig lehnte sich an die Wand des kleinen Vorraumes und presste seine zitternde Hand an die feuchtklamme Stirn. „Du solltest dich ausruhen“, kams vom großen Anführer Crawford, der sich in das große Atrium ihres Domizils begab. Schuldig beachtete ihn gar nicht, folgte Crawford mit verbissenem Trotz und sah sich suchend nach dem Verursacher dieses Höllenlärms um. Musik konnte man das wahrlich nur im Entferntesten nennen. Electronic nannte sich diese monotone Dauerbeschallung, die sich Nagi seit Wochen ohne Unterlass reinzog. Ein japanischer Künstler, ein Meister in dieser Musikrichtung, schien es Nagi angetan zu haben. Das Zeug hämmerte nun schon viel zu lange durch ihr trautes Heim. Drei Galerien übereinandergelegen in quadratischer Anordnung, ein Kunstwerk aus Glas, Stahlstreben und Licht war das Zentrum ihres – man könnte sagen – Heim. Schuldig musste innerlich über diesen Bezeichnung lachen. Er hatte nie ein wirkliches Zuhause besessen, aber dies kam dem schon sehr nahe. Von diesen drei Galerien gingen jeweils neun großzügig geschnittene Zimmer in alle vier Himmelsrichtungen ab. Der Komplex war in vier große Flügel unterteilt. Für welchen Zweck sie neun Schlafzimmer brauchten war ihm ein Rätsel, aber Crawford wollte es so und jeder der drei hatte seine speziellen Wünsche mit in die Verwirklichung dieses Hightech-Traumes mit eingebracht. Crawford wollte neun Zimmer, also hat er sie bekommen. Auf Nagis Konto ging der ganze Hightechkram, wofür Schuldig ihm insgeheim sehr dankbar war. Bequemlichkeit und Luxus hatte er schon immer sehr geschätzt. Schuldig dagegen hatte sich um die Materialien und die Schutzmaßnahmen gekümmert. Vor allem die Innenbeleuchtung des Komplexes war seine Idee gewesen. Er hatte extra aus seiner Heimat Experten auf diesem Gebiet engagiert. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Kaskadenartige Wandleuchten, beleuchtete Fußbodenplatten aus schwerem Milchglas und kunstvolle Glasornamente gaben dem Raum eine fantastische Atmosphäre in der sich Schuldig wohlfühlte. Er musste sich nicht mehr in seine eigene Welt flüchten, konnte im dies und jetzt verweilen, sich auf seine Umgebung einstellen und diese auf sich wirken lassen. Schuldig liebte diesen Raum. Nagi hatte sein Interface auf, hing wie vorausgesehen in der selbstkreierten Welt, als Crawford ihm auf einem der fünf leicht versetzten Plasmaschirme etwas eintippte – nämlich in die Wirklichkeit zurückzukehren. Der Kleine riss sich hektisch das Interface runter und blinzelte etwas verwirrt. „Das ging ja schnell.“ „Stell den Krach ab“, wies ihn Crawford mit seinem unverwechselbaren Charme einer Distel an und deutete auf Schuldig. Sogleich verstummte das ohrenbetäubende Wummern. Schuldig ließ sich leicht stöhnend auf der Couch nieder und hielt seinen dröhnenden Schädel. Die beißenden Kopfschmerzen hatten nichts von ihrer Intensität eingebüßt, quälten ihn seit Tagen, sobald er versuchte telepathisch Kontakt aufzubauen. Irgendetwas störte seine kognitiven Fähigkeiten. Ein Auftrag konnte sich für ihn in dieser Situation zum Höllentrip entwickeln. Wenn das so weiterging war er untauglich, für weitere Aufträge. Er konnte seine telepathischen Fähigkeiten nur auf bekannte „Wellen“ einstellen, Fremde waren ihm seit dem Beginn der Kopfschmerzen unzugänglich geworden. „Scheiße.“ Er war genervt. Mühsam öffnete er die Augen und blickte in zwei ausdruckslose Gesichter. Zumindest würde das ein Außenstehender denken. „Schon wieder Kopfschmerzen?“ Nagis Stimme war tonlos, bar jeder Emotion, doch Schuldig konnte zwischen den Zeilen lesen. Die Körpersprache des Jungen drückte Besorgnis aus, als er auf ihn zukam und ihm die zierliche Rechte auf die Stirn legte. Schuldig konnte nur nicken. „Ist die Transaktion abgeschlossen?“ Crawford, gewohnt ganz der Geschäftsmann öffnete ein weiteres Fenster, des unteren Bildschirmes. Nagi verzog den kleinen Mund zu einem überheblichen Grinsen und wandte sich wieder Crawford zu, der dies lediglich mit einer gehobenen Augenbraue quittierte. „Der Datentransfer nach Übersee erwies sich, als etwas problematisch. Unsere amerikanischen Freunde scheinen ein Liquiditätsproblem zu haben. Die Bezahlung wurde nicht zum vereinbarten Zeitpunkt durchgeführt, also habe ich etwas nachgeholfen.“ Schuldig raffte sich jetzt doch auf um Nagis Werk zu begutachten. Crawford machte dem Jungen Platz und dieser öffnete vier weitere Fenster auf den restlichen Bildschirmen. Prozentuale Angaben, über erfolgreiche Eingänge auf ihren Konten füllten sich langsam, in Balkenform dargestellt. Drei unterschiedliche Transaktionen, die ihnen alle das Gleiche einbrachten: Die Bezahlung für Auftragsmorde. Die Balken blinkten blau, die Gelder waren somit erfolgreich auf ihre Konten überwiesen. Amerika sollte lediglich einen Datentransfer durchführen. Ein neuer Auftrag, samt Vorschuss. Und der Vorschuss ließ auf sich warten. „Ich habe ihre Konten angezapft und nehme mir jetzt selbst was uns gehört. Keine Rückverfolgung möglich. Unser Signal könnte von überall herkommen, habe einige kleine Umleitungen über den Erdball verteilt.“ Auf dem vierten Bildschirm erschien eine Weltkarte mit lauter kleinen roten Punkten. Schuldig starrte auf die Monitore, versuchte sein malträtiertes Gehirn, den verschwommenen Input durch seine Augen ordentlich verarbeiten zu lassen. Nur leider war außer einem gehörigen Schmerzintervall nichts anderes aus seiner internen Datenverarbeitung rauszuholen – würde Nagi sagen... er selbst... dagegen würde sagen: Sein Kopf dröhnte viel zu sehr, als dass er sich so einen Mist jetzt reinziehen konnte. Das war ihm jetzt alles zu viel. „Ich knall mich hin.“ Schuldig wandte sich ab, schnappte sich seine Jacke und stapfte in Richtung Treppe. Crawford und Nagi würden sich schon darum kümmern, dass sie ihre Kohle für die Aufträge erhielten. Für die nächsten drei Jahre hatten sie ausgesorgt. Schuldig erklomm die Stufen ins dritte Stockwerk und sah nochmals hinunter zu Crawford und Nagi, die sich in trauter Zweisamkeit über verschiedene Karten, Schaltkarten und Daten berieten, die nun über den Bildschirmen scrollten. Die Daten waren augenscheinlich vollständig eingetroffen. Langsam verschwamm ihm wieder die Sicht vor Augen, als eine erneute Schmerzwelle über ihm zusammenschlug. „Wenn das so weitergeht gewöhne ich mich noch daran“, bemerkte er sarkastisch. Was war das nur? Solche Schmerzen hatte er zuletzt bei SZ verspürt als... Ihm kam eine Idee... Eine Beeinflussung von außen durch stufenhöhere Telepathen, kam durchaus in Frage. Waren übriggebliebene, fanatische Anhänger von SZ ihnen auf der Spur? Waren sie vielleicht ganz in der Nähe? Leichte Übelkeit überkam ihn. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er sich an die Brüstung klammerte. „Hey Brad!“ Seine Stimme dröhnte in seinem Kopf, doch eine andere Art der Kommunikation hielt er im Moment, in Anbetracht seines Zustandes und seiner Befürchtungen für zu riskant. „Überprüf die Anlagen und schaltet die Selbstschussanlagen ein.“ Innerlich bereitete er sich darauf vor diese Forderung ausreichend und für ihren Leader glaubhaft zu begründen als dieser bereits nickte. ‚Nanu, was war denn heute los?‘ Schuldig grinste vielsagend und winkte fahrig, bevor er seine Zimmertür öffnete. Er ließ sie ins Schloss fallen und lehnte sich erschöpft dagegen. „Was weißt du schon wieder, was du uns verschweigst?“ fragte er leise in die Dunkelheit seines Zimmers. Erneut raste eine Schmerzwelle heran und schlug über ihm zusammen. Mit fest zusammengepresstem Kiefer, tastete er nach dem kleinen Plasmabildschirm neben der Tür. Ein in die Wand eingelassener Bildschirm mit Touchscreenfunktion, im Moment im Sleepmodus kümmerte sich um seine Ansprüche und fügte sich weniger auffällig, als ein Standgerät in die Einrichtung ein. Jedes der Zimmer war damit ausgestattet. Er tippte die gewünschten Parameter ein und bestätigte die Aufträge. Sofort sprang das sanfte Licht, der indirekten Beleuchtung an, tauchte seinen privaten Wohnraum, in für ihn, erträgliches Halbdämmer. Sanfte Streicherklänge beruhigten seine angespannten Nerven etwas, als er sich seine Stiefelschnallen öffnete, herausschlüpfte und das robuste Schuhwerk achtlos stehen ließ. Schnell waren die Waffengurte an beiden Oberschenkeln geöffnet und die Waffen auf Magazinfülle untersucht. Heute Nacht hatte er nur wenig Schuss verbraucht, lag wohl an seiner Unpässlichkeit, dachte er missmutig. Crawford hat die meiste Arbeit gemacht. Seltsam war das schon, warum hatte Brad ihn deswegen nicht zusammengestaucht? Auf dem Weg ins angrenzende Badezimmer zog er sich sein schwarzes Rollkragenshirt und seine Hose aus. Er fühlte sich dreckig und verschwitzt nach einem Auftrag und wollte meist sofort unter die Dusche. Unterwäsche und schwarze Socken landeten auf dem gläsernen, aufgerauten Fußboden als er unter die entspannende Dusche stieg. „Scheiß Tag“, murmelte er seufzend und zog seinen Haargummi aus der orangen Haarpracht. Aber Aufträge waren gut. Meist hielten sie ihn davon ab über ihre Vergangenheit nachzudenken, als sie Schwarz waren. Damals, als sie auf der künstlichen Insel zusammen den letzten Kampf gekämpft hatten, bis schließlich keine Rettung an Land mehr möglich gewesen war, die Insel in sich zusammen fiel wie ein Kartenhaus und sie alle ins Meer stürzten. Schuldig konnte sich noch gut an den Augenblick erinnern als er luftschnappend an die Oberfläche des Salzwasser durch die Gischt gebrochen war. Wie der Bug eines Brechers bohrten sich die Trümmer durch die Wellen, drohten ihn in einen Sog wieder in die Tiefe zu ziehen. Der Lärm war ohrenbetäubend gewesen. Und in diesem Moment kämpfte er ums Überleben wie nie in seinem Leben zuvor. Er wollte leben! Ein Entschluss der ihm, entgegen der aussichtslosen Situation, Kraft und Stärke gab. Schuldig hatte sich in diesem Wasser, dem tosenden Lärm der versinkenden Insel, dem Wellenschlag gefühlt als hätte ihn dieser Sturz, dieser Fall, wachgerüttelt. Bis auf Farfarello hatten sie sich alle retten können. Mit vereinten Kräften waren sie an Land gelangt. Weshalb sollten nur sie mit dem Leben davongekommen sein? Er wusste das Weiß noch lebte. Dass sie einige Zeit weiter gemacht hatten, bis ihnen eine Untergrundorganisation buchstäblich die Bude unterm Arsch weggesprengt hatte. Ohne ein Savehouse zu haben, lebten sie mal hier mal dort. Schuldig hatte anfangs über diese Ironie des Schicksals gelacht, doch als er Aya eines Abends während eines Auftrages beobachtet hatte, war es ihm schlagartig vergangen. Der Weiß Anführer hatte einen Riss in der Flanke, den er sich mit Isolierband zusammenflickte um weiterkämpfen zu können. Dieser Anblick löste in ihm ein seltsames für ihn schwer zu beschreibende Gefühl aus. Etwas das ganz tief in ihm verborgen war, das er glaubte längst vergessen zu haben regte sich wieder als er diesen gebrochenen Blick sah. Seither konnte er nicht mehr über das Schicksal der Weiß-Jungs lachen. Es hatte Spaß gemacht sich mit ihnen zu prügeln. Gut es war ein bisschen mehr als Prügel gewesen, die sie ausgetauscht hatten, aber war es das wirklich? Weiß waren Schwarz nie überlegen gewesen. Er stellte das Wasser etwas heißer ein und wusch sich das Haar. Zum wiederholten Male bestätigte sich seine Meinung, dass es auf dieser Welt keine Gerechtigkeit geben konnte. Weshalb konnten die Weiß -Jungs nicht ebenso ein Leben in Luxus führen wie sie selbst es taten? Waren sie nicht die Good Guys? Das Weiß? Crawford hatte ihm verboten die Jungs zu bespitzeln, womöglich wurden sie noch auf Schuldig aufmerksam, das sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Ayas Blick jedoch hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Ein Blick den er an dem Rotschopf ganz und gar nicht gewohnt war und so auch nie gewollt hatte. Nein, das war nicht richtig. Er wollte ihn brechen. Aber nie hatte er es sich so schmerzhaft vorgestellt das Ergebnis wirklich vor sich zu sehen. Es war ein Spiel gewesen, ein persönliches Ziel, dass er sich während ihrer Auseinandersetzung gesetzt hatte. Schlussendlich hatte er gewonnen. Auch wenn der Sieg schal und leer schmeckte. Er wünschte sich dieses funkensprühende, blitzende Violett zurück. Diese vortreffliche Mischung aus dunklem Saphir und blutigem Karneol, die ihn vom Beginn ihrer seltsamen Beziehung in seinen Bann geschlagen hatte. Voller Hass, Wut und Zorn, ein nur mühsam kontrollierter Körper, vom rachsüchtigen Geist unterjocht um den Schuldigen zu zerreißen, zu vernichten. An manchen Tagen auch ein dunkles Grau ein düsteres, kaltes Wechselspiel zwischen grauen,- und sanften blauen Tönen. Doch nicht diese Leere. Glanzlose violette Seen in einem abgehärmten Gesicht, hölzerne Bewegungsabläufe, perfekt ausgeführt, jedoch ohne die frühere ihm innewohnende Eleganz und Geschmeidigkeit. Ein wandelnder Toter. Schuldig wollte das nicht. Vielmehr wollte er seinen alten Gegenspieler wieder zurück. Er hatte sich im Laufe ihrer blutigen Treffen an den Rotschopf gewöhnt. Als er die Tür zur Dusche berührte stellte der Sensor automatisch das Wasser ab. Schuldig schlug seine Haare in ein Handtuch ein, trocknete sich gedankenverloren ab und schlüpfte in seinen weißen, knöchellangen Bademantel. Während er sich die Haare kurz abfrottierte versuchte er sich nicht wieder in diese unsinnigen Gedanken ziehen zu lassen. Routiniert putzte er sich die Zähne mit seiner Lieblingszahnbürste, die ihm Nagi geschenkt hatte. Der Kleine hatte schon einen etwas seltsamen, herben Geschmack was Geschenke anging. Aber es war schließlich von Nagi, also was sollte er schon groß sagen! Also steckte er sich die Power-Puff-Girl Zahnbürste in die rechte Backentasche. Auf dem Weg ins Schlafzimmer sammelte er seine Klamotten wieder auf und stopfte sie in den Wäschesack. Gedankenverloren stand Schuldig mitten in seinem Zimmer, schrubbte sich mit mäßigem Elan seine Beißerchen und starrte auf das einzige Bild, das sein Zimmer zierte. Das Kunstwerk war eine perfekte Replik seiner Träume. Grelles Licht und inmitten dieser weißen Flut ein Augenpaar... Ayas Augen. In denen ein eiskalter Sturm tobte. Schattenhafte, zart stilisierte Konturen durchzogen das grelle Weiß des Bildschirmes. Zeichneten sanfte Umrandungen, lose Haarsträhnen, weiche Übergänge nach. Durch den Plasmabildschirm entstand der Effekt eines dreidimensionalen Bildes. Das Hauptaugenmerk des Betrachters wurde auf die ausdrucksstarken Augen gezogen. Schuldig hatte die Vorlage aus einer Akte von Kritiker mit Nagis Hilfe entwendet. Ein Bild das Aya in seiner Anfangszeit bei Kritiker zeigte. Das multimediale Kunstwerk war meist nachts an, Schuldigs einzige Lichtquelle, während er schlief. Ohne Licht hatte er unruhige Träume, suchten ihn die grauenhaften Erinnerungen an das Trainingslager in der Akademie heim. Der Künstler hatte ihn damals gefragt wem diese Augen gehörten, Schuldig hatte gelacht und ihm geantwortet: ‚Dem Mann meiner Träume‘ Der Mann hatte nur genickt und sich wieder an seine Arbeit gemacht. Schuldig hatte die Gedanken des Mannes gelesen, Augen so voller Hass und Rachsucht, wie konnte man davon träumen? Doch Schuldig hatte längst keine Träume mehr, sie waren Albträumen gewichen. Albträumen in denen diese Augen leer und tot waren. 3. Wumm! Schuldig war sofort hellwach, alle seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt, als er sich blitzschnell aufsetzte und aus dem Bett hechtete. Seine Waffe griffbereit neben dem Bett routiniert entsichert und bereit ihr Ziel an zu visieren. Das Ziel ein etwas kleinerer Mann, dunkles, wirres Haar, das ihm leicht ins Gesicht fiel und die stechenden Augen verdeckte. Schuldig jedoch brauchte sie nicht zu sehen um zu wissen, dass es ein helles aquamarin war. Er kannte den Eindringling nur zu gut. Längst verdrängte Erinnerungen aus seiner wenig erbaulichen Vergangenheit drangen an die Oberfläche seines Geistes und verdrängten kurzzeitig die aufkommende Panik. „Coldpain.“ Entsetzen und Verwunderung mischten sich in seine Stimme und er konnte nicht verhindern, dass sie etwas zitterte. Coldpain deutete mit einem Finger auf seine Waffe. Seine Finger waren mit Metallkrallen besetzt... „Nimm sie runter. Ich bin schneller als die Kugeln.“ Prägnant und geradeheraus wie er ihn von früher kannte. Schuldig war jedoch zu keiner Regung fähig, sein vom Schock betäubtes Gehirn, konnte die Worte zwar aufnehmen, sie aber nicht umsetzen, nicht entsprechend reagieren. Sie waren geliefert. Alles war verloren. Die Organisation hatte sie gefunden, all ihre Sicherheitsmaßnahmen waren vergebens gewesen. Nur weil er diese verdammten Kopfschmerzen gehabt hatte. Er hätte besser aufpassen müssen. Er war einfach unfähig irgendetwas richtig zu machen. Während er weiterhin auf Coldpain zielte, verlor er sich in Selbstzweifeln, bemerkte nicht, wie dieser langsam auf ihn zukam, ihm vorsichtig die Waffe aus der Hand nahm. Peinlichst darauf bedacht, nicht seine Hand zu berühren. Wie hypnotisiert starrte er auf die metallverstärkten Handschuhe Coldpains. Im Kampf würde er die Handschuhe ausziehen. Lediglich mit seinen nackten Fäusten und den etwas überlangen metallbewährten Fingernägeln kämpfen. Coldpains ganzer Körper war eine tödliche Waffe. Seine dürftige Kleidung war nicht unbedacht gewählt. In der Akademie hatte er oft gesehen wie Coldpain freizügige Kleidung getragen hatte. Im Kampf stellten die schutzlosen nackten Körperstellen eine verlockende Falle für jeden Gegner dar. Doch jeder Treffer auf diese samtig, braune Haut wurde mit dem Tode bezahlt. Jede Berührung dieses Körpers, egal an welcher Stelle barg meist das gleiche Ergebnis. „Du hast dich verändert, Schuldig.“ Coldpain sicherte die Waffe und reichte sie wieder an ihren Besitzer zurück, der sie lediglich anstarrte. „Was... was soll das alles?“ brachte Schuldig mühsam heraus. Er hörte gar nicht mehr was der Kleinere gesagt hatte. Irgendetwas lief hier nicht ganz nach dem Akademie-Protokoll ab, das besagte, dass die Zielperson sofort und ohne Verzögerung eliminiert zu werden hatte. Das hier war jedoch eine solche Verzögerung, Coldpain war jemand, der sonst jedoch nur nach Protokoll agierte. Hier war etwas faul. „Zieh dich an, du hast einen Einsatz. Wenn du fertig bist, komm runter.“ Schuldig starrte noch immer auf seine Waffe, als er das Gesagte vernahm. Altbekannte Wut blitzte in ihm auf. „Ich gehe nicht wieder zurück!“ sagte er entsetzt, da ihm die ganze Tragweite dieser nächtlichen Aktion bewusst wurde. Er würde auf keinen Fall wieder zur Akademie zurückkehren. Niemals. In diese Hölle würde er sich nicht noch mal begeben! Coldpain wandte sich von ihm ab, hielt auf Höhe der Zimmermitte an und warf einen neugierigen Blick auf das leuchtende Bild von Ayas Augen. Es schien, als habe er ihn überhaupt nicht gehört, als er auch schon eine Antwort erhielt. „Es liegt keine Veranlassung dafür vor. Ich agiere nicht auf Befehl der Akademie.“ Nicht? Schuldig war nun endgültig verwirrt. Was sollte dann die ganze Aktion? Als Coldpain sich wieder in Bewegung setzte konnte Schuldig so etwas wie ein Lächeln auf den ausdruckslosen Zügen erkennen. Aber er konnte sich auch getäuscht haben. An seiner demolierten Tür – die wohl der Grund für sein Erwachen war – angekommen blieb er nochmals stehen und sah zu ihm. „Willst du dir nicht eher die Realität greifen, als nur Träumen nach zu jagen?“ Ohne eine weitere Erklärung zog er ab, ließ einen verwirrten Schuldig zurück. Der Typ hatte früher schon in Rätseln gesprochen, schien sich kaum verändert zu haben. Auch wenn Schuldig das ungern zugab, Coldpain war einer der wenigen gewesen, die er gut leiden hatte können. Die melancholische, traurige Aura, die den jungen Mann umgab, hatte ihn schon früher für Schuldig eingenommen. Schuldig ließ sich auf sein Bett fallen, stützte seine Ellbogen auf die Knie und raufte sich die Haare. Seine Waffe baumelte achtlos in seiner Rechten. „Was für eine Scheiße!“, murmelte er in seiner Heimatsprache deutsch. Wie lang hatte er eigentlich geschlafen? Konnte noch nicht lange her sein, seit er sich hingelegt hatte. Er kam sich vor wie ein Zombie, eigentlich sollte er todmüde sein. Aber durch die Aktion hatte ihm Coldpain viel zu viel Adrenalin in den Blutkreislauf gepumpt um jetzt einen auf müde zu machen. Ob es den anderen beiden gut ging? Wenn dem nicht so wäre, dann konnte er im Moment nichts dagegen unternehmen. Gegen Coldpain hatte er keine Chance. Soweit er sich erinnern konnte hatte Coldpain Anzeichen von Levitationfähigkeiten besessen, als Crawford, Nagi und er selbst in den Außendienst berufen wurden. Augenblicke später hatte er sich aufgerafft und griff sich frische Klamotten aus seinem Schrank. Die gleichen schwarzen Kleidungsstücke wie am Abend zuvor. Er zog jedoch andere Stiefel an. Kleine Schlitze bargen an den Außenseiten Platz für jeweils einen Langdolch pro Bein. Wer weiß was auf ihn zukam, da wollte er nicht unvorbereitet sein. Wenn seine telepathischen Fähigkeiten noch... Er hatte keine Kopfschmerzen mehr...wie ihm plötzlich auffiel. Na, immerhin etwas. Seine beiden automatischen Waffen mit L.A.S.E.R. Zieleinrichtung schnallte er sich wieder an die Außenseiten beider Oberschenkel. Schneller Zugriff und Bewegungsfreiheit waren ihm so garantiert. Seit er Probleme mit seinen Fähigkeiten hatte und sie nicht mehr gegen Weiß antreten mussten hatte er sich zunehmender auf Waffen und Dolche verlassen müssen. Etwas das immer öfter an seinem Selbstbewusstsein nagte. Als Letztes schnappte er sich noch einen Haargummi, band sich die Mähne locker im Nacken zusammen und war auch schon auf dem Weg nach unten. Dort warteten bereits, sehr zu seiner Erleichterung Nagi und Crawford. Beide in ihrer „Arbeitskleidung.“ Seit dem Fall von SZ und dem glanzlosen Dahinscheiden Takatoris mussten sie nicht mehr öffentlichen Schein waren und sich in Anzüge zwängen. Gerade bei nächtlichen Einsätzen war dies doch recht unpraktisch. Crawfords Kleiderrepertoire reichte jedoch oft eher in die Businessschiene, während er heute ein Longshirt mit hohem Kragen anhatte. Bewehrte grobe, schwarze Stoffhosen, rundeten das Bild des Leaders ab. Nagi dagegen, hielt sich mal wieder am bewerten Leder fest. Enge Lederhosen, kurzes Shirt, das einen schmalen Hautstreifen bei einer Bewegung freiließ, vorne und hinten mit V-Ausschnitt versehen. Seine Hände waren in den Handgelenk und Unterarmschützern zu Fäusten geballt. Er war angespannt. Crawford schien die Ruhe selbst, lehnte mit über der Brust verschränkten Armen am wuchtigen Schreibtisch aus edlem Holz und ließ Coldpain nicht aus seinen bernsteinfarbenen Augen. Nagi dagegen hatte einen trotzigen, fast kindlich wirkenden Ausdruck auf dem Gesicht, fiel in seine frühere Rolle wieder zurück. Alles wartete augenscheinlich auf ihn. Was war los? Fielen sie wieder in ihre alten Verhaltensmuster zurück, nur weil einer von der Akademie rein schneite und ihnen seine Aufwartung machte? „Ohne mich läuft wohl nix, was?“, schnodderte er die drei an, sein übliches Grinsen auf dem Gesicht, als er bei ihnen ankam. Crawfords Augenbraue wanderte leicht nach oben, das einzige was er an Missbilligung zuließ, Nagi warf ihm nur einen unsicheren Blick zu. Coldpain sagte nichts. „Nachdem sich alle hübsch gemacht haben, dürften wir vielleicht den Grund für dieses Eindringen hier erfahren?“, fragte Crawford leicht gereizt. Oha! Das war neu. Crawford einmal nicht mr-ich-weiss-alles-deswegen-schockt-mich-gar-nix-mehr. Hatte er es vielleicht nicht vorausgesehen? Waren seine Fähigkeiten ebenfalls blockiert? Keineswegs eingeschüchtert nickte Coldpain bedächtig. Er deutete auf einen der Monitore, der in großen Lettern die aktuelle Uhrzeit anzeigte. „Bei folgender Ausführung möchte ich nicht unterbrochen werden. Fragen werden im Nachhinein beantwortet. Von jetzt an haben wir fünfzehn Minuten für die Klärung des Sachverhaltes. Ab dann startet die Mission. Verstanden?“ Alle nickten, wenn auch wenig enthusiastisch. Er hasste diese Art von militärischer, befehlender Sprache, er fühlte sich wieder in die Zeit zurückversetzt. „Nagi.“ Sagte Coldpain auffordernd. Nagi betätigte die Fernbedienung und auf den vier Bildschirmen leuchtete es hell auf, als einige Daten über die Bildschirme scrollten. „Folgende Zielpersonen werden im Laufe der heutigen Mission in Gewahrsam genommen. Unser Auftrag stellt die Verteidigung, den Schutz und das Überleben der Zielpersonen und uns selbst dar.“ Schuldig lag bereits eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, verbiss sie sich aber als er Crawfords drohenden Blick auf sich gerichtet sah. Überleben? Zielpersonen wurden ausschließlich von ihnen getötet. Überleben.... Die Daten wurden von Bildern abgelöst, zunächst noch klein, zoomten sie bis zur vollen Bildschirmgröße heran und zeigten vier Gesichter die ihnen nur allzu bekannt vorkamen. „Omi Tsukiyono alias Takatori jr. Codename Bombay, Yohji Kudou Codename Balinese, Ken Hidaka Codename Siberian und Ran Fujimiya Codename Abyssinian sind die Zielpersonen Schuldig traute seinen Augen kaum. Sie sollten WAS? Die Weiß Jungs kidnappen? Und was dann? Am Rande bemerkte er wie Nagi abfällig zischte. Panik machte sich in Schuldig breit. „Soweit es unsere Informationen besagen werden die Zielpersonen in wenigen Minuten von PSI Akteuren der Klasse Fünf angegriffen. Ihr Auftrag ist die Elimination unserer Zielpersonen. Wie im erlernten, Akademiespezifischen Modus, werden sie die vier auseinander treiben und einzeln ausschalten. Hier kommen wir ins Spiel. Jeder von uns wird einem der vier zugeteilt. Die PSI-Akteure werden ohne Ausnahme vernichtet. Ende der Mission ist die Rückkehr zum Ausgangspunkt. Hierher.“ Die Bildschirme zeigten wieder ein Standbild der Großaufnahmen der vier Weißkiller. Stille herrschte im Raum. Keiner sagte etwas. „Wir...wir...sollen…“ Schuldig Stimme lediglich ein Krächzen ...wir sollen ihnen helfen?“ brachte er mühsam heraus, sprach das letzte Wort wie ein böses Omen aus. Coldpain neigte leicht den Kopf zur Seite, als müsse er noch überlegen ob das wirklich so war wie Schuldig es sagte. Man, der Typ war echt seltsam, dachte Schuldig übellaunig. „Zusammenfassend läuft es darauf hinaus“, antwortete er dann nach, wie es schien reiflicher Überlegung. Nur keine voreiligen Entscheidungen treffen, das entspricht schließlich nicht dem Akademieprotokoll, amüsierte sich Schuldig in Gedanken über das Verhalten des Kleineren. „Und wenn sie unsere Hilfe nicht wollen?“ giftete Nagi. „Darum geht es nicht. Es spielt keine Rolle was sie wollen. Ihr Überleben hängt von uns ab.“ Crawfords Blick hing ebenfalls auf den Bildern, er war aber still. „Warum sollten wir uns drauf einlassen?“ Nagi blickte mit angewidertem Ausdruck zu seinem geliebten Computer, als würden schon allein die Bilder der Vier sein Heiligtum verunreinigen. „Weil ihr nur so überleben werdet. Das nächste Ziel werdet ihr sein, wenn ihr ihnen nicht zuvor kommt. Fragt euren präkognitiven Akteur.“ Drei Augenpaare richteten sich auf den stillen Hellseher. „Er hat Recht. Nur wenn die Vier überleben, wird unsere Existenz gesichert sein. Die Frage ist, ob sie sich nicht selbst helfen können?“ Coldpain schüttelte einmal den Kopf. „Nein, meine Beobachtungen haben ergeben, dass ihre physischen so wie psychischen Kraftreserven am Limit sind. Der heutige Angriff wird für sie letal enden, falls wir nicht eingreifen.“ „Na klasse. Und was sollen wir mit Level Fünf Akteuren machen? Die sind uns doch fast gleichwertig!“ Schuldig hatte sich einigermaßen wieder im Griff. „Wir haben es hier mit vier Gegnern zu tun. Sie haben jeweils die Fähigkeiten: Bilokation, Levitation, Telepathie und Telekinese. Ich denke, dass sie keine große Herausforderung darstellen sollten. Unser Vorteil ist der Überraschungsmoment und die zahlenmäßige Überlegenheit. Was eure Fähigkeiten anbelangt... Mein Auftraggeber hat eure, speziell die Fähigkeiten von Schuldig, geblockt um eine Entdeckung eurerseits durch andere Elemente zu verhindern. Deshalb die Kopfschmerzen. Über diesem Gebiet wird nach der Sicherstellung der Zielpersonen ein Aversionschild der Stärke sieben errichtet werden, das ebenfalls diesen Zwecken dient.“ Wenn sie nichts davon bemerkt hatten, dann war ihr sogenannter Auftraggeber ein Akteur über dem zehnten Level, mindestens... In was für einen Mist wurden sie da hineingezogen? Ging das schon wieder los? Wurden sie schon wieder für irgendetwas missbraucht? Wann hörte das endlich auf? Ihm blieb jedoch keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Wie damals in der Akademie, Zeit zum Nachdenken wurde unterbunden in einem 24 Stunden Trainingsplan der eingehalten werden musste, wenn man nicht bestraft werden wollte. „Hättet ihr eure Fähigkeiten weiter trainiert würdet ihr bereits über den sechsten Level liegen. Ihr seid ungeschult. Folgende Zuteilung gilt: Schuldig wird sich um Fujimiya, Crawford um Kudou, Naoe um Hidaka und ich selbst mich um Tsukiyono kümmern. Die Codenamen sind veraltet, sicherlich haben sie sich in der Zwischenzeit neue zugelegt, deshalb werden in diesem speziellen Fall die reellen Namen benutzt. Bedenkt, dass alle vier körperlich geschwächt sind. Es liegt an euch.“ War das ein Traum? Wachte er jetzt gleich auf und es war alles wieder in Ordnung? Er sollte sich um Aya kümmern? Ihn retten? Wer hatte sich denn diese Scheiße ausgedacht? Das konnte doch nur schief gehen! Aya wird ihm nach aller Wahrscheinlichkeit bei nächstbester Gelegenheit sein übergroßes Messer zwischen die Rippen jagen. „Und was dann? Sollen wir sie zum Tee einladen, mit ihnen über die guten, alten Zeiten plauschen?“ Schuldigs Stimme troff vor beißendem Sarkasmus. Coldpain wischte sich mit einer grazilen Handbewegung die Haare aus den Augen und blitzte ihn aus seinen hellblauen Augen irritiert an. „Sie werden sich fügen. Sie haben keine Wahl, genau so wenig wie ihr eine habt. Es ist beschlossene Sache. Es hat lange gedauert bis sie endlich so weit waren um endlich gefügig gemacht werden zu können. Ihnen wurden sowohl Zufluchtsort, als auch ihre Kraftreserven genommen. Ihnen ist nichts geblieben.“ „Systematische Vernichtung feindlicher Elemente“, sagte Crawford, dessen Blick immer noch auf dem Bildschirm festklebte. „Verdammt! Das sind Akademiemethoden!“, rief Schuldig wütend aus. „Die Methoden mögen dem Akademieprotokoll entnommen sein, doch sie dienen ganz sicher nicht dem gleichen Zweck. Sie würden sich niemals freiwillig in ein Team mit euch begeben. So viel steht fest. Seit dem Fall von SZ steht ihr und Weiß unter der Beobachtung einiger mächtiger Leute in elitären Kreisen. Selbst als ihr die ausländischen Konten von SZ geplündert habt, blieb dies nicht unbemerkt.“ Nagi bekam große Augen und sah Coldpain gelinde gesagt entsetzt an. Kurz darauf verengten sich die Augen wieder als Coldpain fortfuhr. „Selbstverständlich unterliegt dies strengster Geheimhaltung. Die Akademie ist über den Verbleib der verschwundenen Gelder nicht informiert. Vielmehr wird eine Unterschlagung von Seitens SZ vermutet.“ „Ihr arbeitet gegen die Akademie?“, fragte Schuldig erstaunt. Coldpain blieb ihm die Antwort schuldig, wandte sich ab und deutete auf den Bildschirm. „Die Mission beginnt. Zielort: das Hafenviertel VI (Docks).“ „Dafür brauchen wir eine Stunde bis wir dort sind.“ Resümierte Crawford und schob sich seine Brille zurecht. „Exakt. Deshalb müssen wir auch jetzt los. Sonst bleibt nicht mehr viel von ihnen übrig.“ Schuldig hatte ein verdammt ungutes Gefühl im Magen, als er sich seine kurze Jacke schnappte und sich die Wagenschlüssel seines Sportwagens griff. Lieber wäre er ja mit dem Motorrad gefahren, aber in Anbetracht eines Verletztentransportes entschied er sich dagegen. Es war schon lange her, seit er dieses Kribbeln empfunden hatte, meist waren es die Konfrontationen mit Weiß gewesen, die es ausgelöst hatten... Kapitel 3: Beta: Irrlichter --------------------------- 4. Hafenviertel Docks Omi und Aya standen im Schutz einer Lagerhalle. Sie hatten wenig Zeit. Ihr letzter Aufenthaltsort war entdeckt worden und jetzt waren ihnen ihre Verfolger wieder auf den Fersen. Seit einem halben Jahr waren sie regelrecht auf der Flucht. Sie hatten noch nicht herausgefunden wer ihnen ans Leder wollte, denn dazu ließ man ihnen auch nicht genügend Zeit. Kritiker gab ihnen weiterhin Aufträge, konnte sie aber nicht länger schützen. Zu schwach war diese Organisation geworden, seit Persha weg war. Birman und Manx hielten ständig Kontakt mit ihnen, organisierten Unterkünfte und löschten ihre Spuren aus. Dennoch fanden ihre Verfolger sie immer wieder. Nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass diese übersinnliche Fähigkeiten hatten, denen von Schwarz nicht unähnlich. Das war aber schon die einzige Gemeinsamkeit. Ihre Gegner waren aggressiver als Schwarz und hatten eindeutig den Auftrag sie zu töten. Schwarz war ihnen niemals so gefährlich nahe gekommen. Das musste sogar Aya einsehen. Omi keuchte neben ihm auf, als er kurz um die Ecke spähte. Dem Kleinen war die Müdigkeit deutlich anzusehen. Sie waren einfach schon zu lange unterwegs. Von Ort zu Ort ohne wirklich ausruhen zu können. Ständig Angst zu haben von einem schattenhaften Gegner von allen Seiten angegriffen zu werden, dem sie nichts als ihrer Körperkraft und ihre Intelligenz entgegen zu setzen hatten, kostete sie ihre ganze Kraft und zerrte an ihren Nerven. Omi nickte ihm zu, hob zwei Finger und deutete hinter sich. Zwei waren in der Nähe. Wo Yohji und Ken waren wusste Aya nicht, er konnte nur hoffen, dass sie es schafften. Sie wurden getrennt, als sie angegriffen worden waren. Er musste auf Omi achten, egal was passierte. Die Jäger waren zu Gejagten geworden. Schnell deutete er Omi ihm zu folgen und sie entfernten sich lautlos auf die andere Seite der Halle. Das Wasser des Hafenbeckens platschte im Wellengang gegen den befestigten Kai, sonst waren nur die entfernten Geräusche der Schiffsverladungen zu hören. Hier in diesem entlegenen Abschnitt des Hafens wurde nur tagsüber gearbeitet. Ein lautes Lachen zerriss, die bedrohliche Stille und kurz darauf zischte etwas an Aya vorbei in die Mauer, prallte von dem harten Gasbeton ab und landete mit einem hellen Geräusch auf dem Boden. Ein Messer. „Auf dem Dach!“ rief er Omi zu, der sich von ihm entfernte, um Schutz zu suchen. Sie durften nicht getrennt werden... Von seinen Instinkten geleitet sprintete er auf Omi zu, wurde aber von einem wahren Kugelhagel daran gehindert. Zwei davon trafen ihr Ziel in seiner Schulter, streiften seine rechte Flanke und rissen ihn mit voller Wucht wieder zurück an die Mauer. Er versuchte sich etwas in den Schatten zu schieben um somit vor weiteren Angriffen geschützt zu sein. Hastig wandte er den Blick und sah sich suchend nach Omi um. Das volle Ausmaß des Schmerzes durch die Ausschüttung diverser Hormone noch nicht registrierend presste er sich an, die mit einer hölzernen Plakatwand versehene, Mauer. Verdammt, solange der Typ da oben stand kam er nicht weg. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts, noch einmal, einer dieser Kerle vor ihm auf, und rammte ihm zwei Dolche in den Körper, nagelte ihn an der linken Schulter so glatt an der Wand fest. Das andere Messer steckte in seinem Oberschenkel. Nur einen kurzen Moment war der Mann vor ihm aufgetaucht, einer Halluzination gleich, ein kurzes Aufblitzen einer grinsenden Gestalt, die ihm zwei Messer in den Körper jagte, nur um gleich wieder im Land der Albträume zu verschwinden... Er hatte nicht mal Zeit gehabt sein Schwert hochschnellen zu lassen, als der Typ schon wieder weg war. Wo war nur Omi? Hatten sie ihn... erwischt? Aya versuchte seine Schulter zu bewegen, zuckte aber nur unter dem heftigen Schmerz zusammen. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, lief ohne die Augenbrauen zu beachten in seine Augen. Heftig blinzelnd versuchte er seinen Gegner auszumachen, erkannte weiterhin eine schemenhafte Gestalt auf dem gegenüber liegenden Flachdach. Er zog wieder an der Schulter, schluchzte wütend auf, als sich zwar das Messer etwas bewegte, aber ihn nicht von der Wand freigab. Erneut tauchte der Mann vor ihm, wenige Meter entfernt auf, lächelte ihn mit blitzend weißen Zähnen siegessicher an. Im fadenscheinigen Licht der gelben Hafenbeleuchtung wirkten die leicht verschoben Gesichtszüge grotesk und abstoßend. Bizarre Mordlust flackerte in den dunklen Augen. Aya sah wieder auf das Flachdach. Der Typ stand noch immer dort. Der Dreckskerl vor ihm kam nicht näher, streckte ihm lediglich eine Hand entgegen und grinste hämisch. Aya spürte sofort die Wirkung dieser Aktion. Die Messer, die in seinem Körper steckten und sein Katana zogen mit minimaler Kraft an ihm. Er versuchte das Schwert festzuhalten, seine Muskeln anzuspannen, doch die Kugel in seinem rechten Arm hinderte ihn daran. Mit einem groben Ruck wurde es ihm aus der Hand gerissen. Aya hörte seine eigenen gequälten Schreie, als sich die Messer, mit einer leichten Winkelveränderung wieder auf ihren Weg zurück befanden, durch Sehnen, Muskeln, Nerven und Gefäßbahnen, erneut Fleisch durchtrennten. Schwindel überfiel ihn, doch er hielt sich noch auf den Beinen, wollte nicht vor diesem Sadisten winselnd auf den Knien liegen. Das Messer, das ihn an die Wand gepinnt hatte, steckte wie die anderen beiden, zwar weiterhin in ihm, doch er war frei. Aya sah, wie sein Gegner langsam sein Schwert aufhob und sich ihm näherte. Ganz gemächlich, als habe er alle Zeit der Welt. Seine Gedanken rasten. Er würde durch sein eigenes Schwert sterben. Nein. Verdammt! Mit einem Aufschrei zerrte er sich das Messer aus der linken Schulter. Als hätte dies das Startzeichen bedeutet lief Ayas Gegner mit erhobenem Schwert auf ihn zu. Aya erkannte schnell, dass er kein Schwertkämpfer war, lotete blitzschnell seine Chancen aus und warf sein Messer. Die Trefferwahrscheinlichkeit war gering, da er selbst, erstens kein Messerwerfer und zweitens verletzt war. Trotzdem traf er, wenn auch nur oberflächlich. Es bremste seinen Angreifer nur gering. Aya sah das Unausweichliche schon kommen, als er einen Schuss hörte, Blut aufspritzte und der Sadist vor ihm das Katana aus seiner zerfetzten Hand fallen ließ. Beide starrten den Neuankömmling an. Während der Messerschwinger einen Satz zurück machte und sich nun den Kopf kreischend hielt war Aya erstarrt und blickte wie gebannt auf die hochgewachsene Gestalt. Langes, leuchtendes Haar, selbst hier bei dieser Beleuchtung eine Signalfarbe die Aya überall erkannt hätte. Das Grinsen auf dem Gesicht ein weiteres Indiz zur Identifizierung. Schuldig. Aber... er lebte? Oder war er es nicht? Bildete er sich etwas ein, spielte sein minderversorgtes Gehirn im Moment verrückt? Die Haare waren zusammengebunden, lose Strähnen hingen dem Schwarzkiller seitlich umrahmend um das schmale Gesicht. Aya schluckte. Das war definitiv Schuldig, wenn auch in einem etwas anderen Outfit, als er es von dem Killer früher gewohnt war. Das überhebliche Grinsen, das er ihm jetzt allerdings zuwarf war immer noch dasselbe. Aya warf wieder einen Blick auf den Typ auf dem Flachdach hoch, der ihn hier mit seinen Kugeln festgehalten hatte. Er sah wie sich, die Gestalt dort oben ebenso wandte und ihren Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen hatte. Schuldig kam gelassen näher, als hätte er alle Zeit der Welt, blieb vor Aya stehen und nahm beide Männer – den mit der zerschossenen Hand und den auf dem Flachdach mit zwei Waffen ins Visier. Ohne zu zögern feuerte er gleichzeitig ab. Beide Männer fielen zu Boden, wie Aya aus den Augenwinkeln erkennen konnte. Der Typ vor ihm zuckte ein letztes Mal und blieb dann regungslos liegen. Eine Blutlache breitete sich unter seinem Kopf aus, kroch langsam über den Asphalt. Aya sah sich nach seiner Klinge um, wog seine Möglichkeiten erneut ab. Sein Atem ging schwer, seine Kehle fühlte sich trocken und ausgedörrt an, die Schmerzen seit Schuldigs Auftritt leicht in den Hintergrund getreten kehrten jetzt, mit voller Wucht zurück, als er sich etwas aufrichtete. Diesen Kerl wurde er wohl nie los, war sein erster wirklicher Gedanke. „Nein. Du hast ja keine Ahnung wie recht zu damit hast“, antwortete dieser prompt und grinste ihn an. Das Gedankenlesen hatte er wohl noch nicht verlernt. Er steckte die Waffen in seine Gurte an den Oberschenkeln und kam langsam auf ihn zu. Das Gesicht lag nun im Schatten, doch die makellosen Zähne zeigten ein deutliches Grinsen. „Solltet...ihr... nicht... tot... tot sein...“, keuchte Aya grimmig, versuchte sich in einer nicht zu würdelosen Position zu halten. Schuldig zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Nö. Farfarello haben wir nicht mehr gefunden, entweder ersoffen oder von der Akademie eingefangen worden. Keine Ahnung.“ Entgegnete er salopp. Aya hielt sich verbissen auf den Beinen, eines der beiden Wurfmesser steckte noch in seinem Körper. An die Kugeln wollte er gar nicht erst denken... Schuldig hob langsam eine Hand. Aya dagegen versuchte auszuweichen, wurde aber von der Mauer hinter ihm daran gehindert. Er hatte völlig vergessen, dass er sich immer noch an dieser verfluchten Wand befand. „Ruhig. Ich will mir nur das Messer ansehen. Es muss raus, sonst kommst du hier nicht weg. Und ich hab nicht die geringste Lust länger als nötig hier abzuhängen.“ Sagte der Langhaarige, beugte sich nach unten und riss Aya sein rechtes Hosenbein weiter auf um den Schlitz zu vergrößern. „Hübsches Teil“, grinste er Aya wieder an. „Arsch!“, zischte dieser als Antwort. Schuldig zuckte nur mit den Schultern, besah sich die Eintrittswunde. „Das wird gehen.“ Aya hielt still, war verwundert darüber und schrieb es dem Blutverlust zu. Er konnte nicht mehr klar denken. Verfolgte die Handlungen Schuldigs mit verschleiertem Blick. Beiläufig registrierte er, wie sich sein Körper gegen den Blutverlust wappnete. Seine Atmung beschleunigte sich leicht, sein Puls jagte im wilden Rhythmus hinterher. Schuldig gurtete ein Pistolenhalfter von seinem Oberschenkel, riss das Gurtsystem auseinander und schob eines der Lederriemen Aya zwischen die Zähne. „Los, beiß drauf. Hab keinen Bock das noch mehr von diesen Typen hier antanzen, bei deinem Geschrei.“ Aya spießte ihn förmlich mit einem tödlichen Blick auf, erntete aber nur ein fahriges Grinsen. Die andere Hälfte, des Doppelgurtes, landete zunächst neben der abgelegten Waffe auf dem Asphalt. Aya wusste was nun kommen würde, auch wenn er nicht verstand warum Schuldig ihm half. Er spürte wie Schuldig ihm einen Gurt oberhalb des Messers umschnallte und dann rücksichtslos anzog. Unwillentlich entschlüpfte ihm ein heiseres Stöhnen, als er den brennenden Schmerz und das einsetzende Pochen in seinem Bein spürte. Er war froh über das Stück Leder, das er zwischen den Zähnen hatte, denn es dämpfte seine Schmerzlaute etwas. Schuldig presste ihm seine Faust in die Leiste und drückte sein Becken gegen die Mauer um einen Widerstand zu haben. Da das Messer leicht verdreht war, würde es die Hölle werden es wieder zu entfernen. „Es geht los.“ Schuldig wartete noch einen Augenblick, dann spürte Aya wie sich eines der Messer in seinem Oberschenkel bewegte. Ayas Brustkorb drohte zu zerreißen, als er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, die Schmerzen weg zu atmen. Die schlanken Finger kratzten über die raue Mauer, suchten einen Halt, fanden keinen, rissen sich blutig. Seine Augen längst zusammengepresst verließen Tränen des Schmerzes, die über sein schmutziges Gesicht liefen. Sein Schrei kam erst nach dem Herausziehen des Messers, das bis zum Schaft in ihm steckte. Aya bemerkte wie der Beißschutz ihm weggenommen wurde, ihn erneut ein dumpfer Schmerz an derselben Stelle durchzuckte. Schuldig löste den Gurt aus seiner Leiste, setzte ihn neben den anderen um möglichst viel Druck auszuüben und zog die Schnalle mit einem Ruck zu. „Das sollte etwas halten.“ Aya fühlte kühle Hände, die seinen Kopf aufrichteten, seine Sinne waren seltsam betäubt, als ginge ihn das ganze nichts mehr an. Eine Nachwirkung des Blutverlustes? Er hörte Schuldigs besorgt klingende Stimme wie aus weiter Ferne... Schuldig und besorgt? Er wollte lachen... laut auflachen... doch er hörte lediglich ein Wimmern aus seiner Kehle entweichen. ...schwerelos... ....dunkel... ...schmerzfrei... ...gefühllos... Nichts. Wortfetzen drangen durch seinen benebelten Verstand. „...sie operieren... finanziell... Problem sein...“ ...operieren...“ wiederholte er in Gedanken. Was hieß das noch mal? Er driftete wieder weg... Traumlose Dunkelheit... Verwirrendes Halbdämmer... Körperlos... Bewegungslos… Verharrend... Zeitlos... Stimmen, Geräusche... Aya öffnete die Augen. Hell... gleißend... Er schloss sie wieder. Ließ die Geräusche um ihn herum auf sich wirken. Mit den Geräuschen kam auch seine andere Wahrnehmung wieder. Eine weiche Unterlage, Wärme die ihn umhüllte... und... stechende Schmerzen beim Luftholen, ein lähmendes Ziehen in seiner rechten Schulter. Aber was am Schlimmsten war... Durst... er hatte schrecklichen Durst. Er konnte kaum seine Zunge bewegen, so ausgetrocknet war sie. Sein Mund fühlte sich an, als hätte er tagelang mitten in der Wüste gelegen, ohne einen Tropfen Wasser. „Mach dus doch!“, hörte er eine wütende Stimme, leicht gedämpft wie durch eine Tür. „Du weißt, dass es nicht geht.“ Antwortete eine ruhige Stimme. „So eine Scheiße! Ich spiel doch hier nicht die Krankenschwester für diesen Rotschopf!“ „Er ist dein Partner. Nur du wirst dich um ihn kümmern, kein anderer. Du musst lernen...“, weiter hörte Aya nichts mehr, da eine Tür aufgerissen wurde und mit einem lauten Knall wieder ins Schloss fiel. „Hat der eine Ahnung...“, zischte eine Stimme näherkommend. Schuldig! Mit einem Ruck richtete sich Aya auf, achtete dabei weder auf das Stechen in seiner Schulter noch auf das heftige Pochen in seinem Bein. Jeder Atemzug tat weh. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er sein Gegenüber wahrhaftig, als den Schwarz Killer identifizierte. Altbekannter Hass flackerte in ihm auf, eine nur noch glimmende Glut wurde in Windeseile zu einem brodelnden, lauernden Vulkan in seinem Innern. Emotionen, längst verdrängt, unter einer Schicht aus Kälte und Gleichgültigkeit strebten ihren Weg nach außen hin an. Pfeifend zogen seine Lungenflügel Luft in seinen Körper, seine Kehle unfähig seinem Geist zu gehorchen, dem Feind Verwünschungen entgegen zu brüllen. Sein Körper war nicht bereit, sich seinem Willen zu fügen, den Gegenüberstehenden zu vernichten. Stattdessen starrten sie sich still an. Schuldig sprach kein Wort, blickte ihn mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck an. Dann legte er den Kopf leicht schief und spielte mit einer Haarsträhne, die andere Hand in der Hosentasche vergraben, während er Aya mit beginnendem breitem Lächeln musterte. „Scheint ja noch alles dran zu sein.“ Aya sagte nichts, verfolgte jedoch jeden seiner Schritte, als dieser sich umwandte. Schuldig öffnete eine Tür... das Badezimmer. Aya hörte Wasser laufen. Und wieder fiel ihm auf das er Durst hatte... Kurz sah er sich um. An die Beleuchtung gewöhnt, erkannte er ein spartanisch eingerichtetes Zimmer, das lediglich einen Tisch, einen Stuhl und ein Bett, in dem er lag, als Ausstattung besaß. Er sah an sich herunter, erkannte dass sein Oberkörper nackt war, fühlte die raue Unterlage auf seiner bloßen Haut. Was ging hier nur vor? Die Decke etwas wegschiebend, tastete er über das dicke Pflaster auf seinem Oberschenkel. Sofort fuhr seine Hand zur rechten Schulter und fühlte eine ebensolch schützende Wundabdeckung. Die Klebeverbände zogen und spannten auf seiner Haut. Erst jetzt bemerkte er das, dass Wasser aufgehört hatte, zu rauschen. Schnell hob er den Kopf und wurde mit zwei sezierenden grünen Augen konfrontiert. Schuldig stand vor dem Bett mit einem Glas Wasser in der Hand, bedachte ihn mit einem lauernden Lächeln. „Durst?“, fragte er scheinheilig. Aya schwieg verbissen, wandte den Blick ab. „Oh!? Doch keinen Durst?“ fragte Schuldig enttäuscht. Aya hörte wie er einen Schluck nahm. „Mmh..., ist zwar nicht berauschend vom Geschmack her, aber hey, es ist Wasser!“ Aya hob die Hand, spürte wie ihm das Glas in selbige gedrückt wurde und sah in das durchsichtige, klare Wasser aus dem kleine, kohlensäurehaltige Bläschen an die Oberfläche perlten. Er hatte schon befürchtet Schuldig hätte ihm Leitungswasser angedreht. Er hatte keine Lust sich irgendeine Krankheit einzufangen. Wenn er schon das zweifelhafte Glück gehabt hatte überleben zu dürfen. „Was ist...“, er nahm vorsichtig einen Schluck, ... „was ist mit den anderen?“ Leer getrunken reichte er, ohne den anderen anzusehen das Glas wieder zurück. „Sind alle hier. Denen geht es besser als dir. Habs wohl verbockt. Die anderen hatten leichte Verletzungen, du dagegen..., na ja nach deiner Operation..., die Rechnung für diesen Fehlschlag werde ich wohl noch erhalten.“ Aya sah zur Seite, Schuldigs Beine in lässigen, leicht ausgestellten Jeans kamen in Sicht. „Sind wir Gefangene?“ Schuldig atmete tief ein. „Tja... hmm..., genaugenommen vermutlich, ja. Ähm... allerdings sind wir das auch. Ich meine Crawford, Nagi und mich, das ist aber noch nicht alles, vor allem nicht so einfach zu erklären. Schuldig entfernte sich wieder, verschwand aus Ayas stoisch nach unten gerichtetem Blickfeld und sagte etwas. Jedoch nicht zu ihm. „Nagi, schick sie runter.“ „Wo sind meine Sachen?“ fragte Aya eisig. „Das Schwert ist in deinem Zimmer, wie alles andere auch.“ Aya fragte nicht nach, warum er an diesem fremden Ort ein eigenes Zimmer hatte. Fest stand jedoch, dass ihm diese Tatsache äußerst missfiel. „Warum hast du...“, er konnte das letzte Wort nicht aussprechen. „Warum ich dir geholfen habe?“, hörte er Schuldigs Stimme mit leichtem Amüsement durchzogen. „Weil ich keine Wahl hatte. Genauso wenig wie ihr eine Wahl haben werdet“, sagte er jetzt ernst. Aya konnte sich nicht erinnern Schuldig schon einmal etwas in normalem Tonfall sagen zu hören, ohne Spott und herablassende Bemerkungen. „...keine Wahl?“, fragte er noch mal und sah auf. Schuldig lehnte neben der Tür an einem Monitor der in die Wand eingelassen war. Sein Gesicht frei von dem sonstigen überheblichen Grinsen, spiegelte Zweifel wieder. Nachdenklich sah er Aya an, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Omi auf eben diesen zugestürzt kam. Mit einem erleichterten Lächeln und besorgtem Blick warf er sich auf das Bett und in seine Arme. „Es tut mir so leid Aya. Es tut mir so leid... bitte verzeih... ich... bitte...“, stammelte der Kleine. Aya drückte ihn trotz der Schmerzen kurz an sich, genoss den kurzen Körperkontakt, die Wärme eines vertrauten Menschen. „Was ist denn los Omi, ist doch alles in Ordnung“, versuchte er ihn zu beruhigen. „Aber ich hab dich im Stich gelassen, ich dachte du würdest..., aber dann..., irgendwie hat dann...“. Omi wurde von Aya unterbrochen, der ihm durch die Haare fuhr. „Ist schon gut Kleiner, die waren uns einfach überlegen.“ „Wenn wir nicht ausgepowert gewesen wären, hätten wir sie zur Hölle geschickt!“ Yohji kam durch die Tür gefolgt von Ken, Nagi und Crawford. „Aber sicher“, ätzte Nagi und warf Yohji einen gelangweilten Blick zu. „Halts Maul, Kröte!“, sagte Ken böse. „Das brauch ich mir von einem debilen Fußballer wie dir nicht sagen lassen!“, keifte Nagi seinerseits. „Lieber debil, als ein Freak!“, zischte Ken. Ein Wort ergab das andere und ein ordentlicher Streit entbrannte, indessen Folge Nagi unsanft gegen die Wand gequetscht wurde. Was den kleinen Schwarz-Killer nicht daran hinderte Ken weiter zu provozieren. Crawford und Yohji dagegen, waren in ihrer eigenen kleinen Welt gefangen wie es schien, maßen sich mit unterschiedlichen Blicken, die jedoch deutlich in ihren Aussagen waren. In Ermangelung von realen Waffen begnügten sie sich, ihr Gegenüber mit imaginären Dolchspitzen in ihren Blicken zu töten. Crawfords spöttische Herausforderung in den dunklen Augen, stachelte Yohjis hitziges Gemüt an. Aya hielt sich stöhnend den Kopf und zog die schmalen Brauen verärgert zusammen. Womit hatte er das nur verdient? „Das geht schon seit Tagen so, echt schrecklich...“, murmelte eine, längst vergessene Person neben ihm in dreister Vertrautheit, in sein Ohr. Ein sanfter, warmer Atemhauch kitzelte ihn und reflexartig fuhr er sich über die Ohrmuschel. Verärgert, über diese unwillkürliche Handlung seinerseits, presste er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Ohne seinem inneren Drängen nachzugeben und Schuldig eine reinzuhauen schob er Omi wieder etwas von sich. „Seid ruhig, Verdammt!“ Rief er mit unterdrückter Wut in der Stimme. Bei dem Gegröle konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Ständig prasselten neue Informationen in sein von Medikamenten noch umnebeltes Gehirn. „Was soll das alles hier?“ Sein Kopf hämmerte nach wie vor wie verrückt und er war hier umgeben von lauter krakeelenden sich anschreienden Kleinkindern – ihres Zeichens Killer – die nichts Besseres zu tun hatten, als sich Verwünschungen an den Kopf zu werfen. Sollten sie nicht versuchen, sich wenigsten zu töten? Ein trockenes Lachen kam von seiner inneren Stimme, die sich bis dato noch zurückgehalten hatte. „Jetzt wäre eigentlich der Augenblick günstig um unseren gro~ßen Anführer anzukündigen..., nur leider ist der im Moment scheinbar beschäftigt. So was! Und das, obwohl du ihm sein Stichwort geliefert hast...“, tadelnd hob Schuldig den Zeigefinger und zog eine übertrieben strenges Gesicht. Was ihm wohl keiner im Raum wirklich abnahm. Ayas Geduldfaden war nahe am Zerreißen, da halfen auch Omis wässrige Augen nur wenig. „Verschwindet. Jetzt. Und zwar alle!“, sagte er überdeutlich in die eintretende Stille, den letzten Satz mit einem leichten Kopfwenden an Schuldig gerichtet. „Ich erwarte euch in zehn Minuten in der großen Halle zu einer Besprechung“, hörte er eine monotone Stimme, die ihre Anordnung durch die Sprechanlage in diesem Raum kundtat. Aya bemerkte Omis erschrecktes Zusammenzucken, seinen ängstlichen Blick, der ruckartig zum Eingang schnellte. Hatten sie ihm etwas angetan? Dieser besagte Anführer? Warum war Omi so verängstigt? Das Wichtigste war doch, das sie lebten. Noch lebten, bemerkte er für sich selbst. Sie waren zusammen, ein Umstand, den er vor wenigen Tagen noch angezweifelt hätte. „Na ja, zwar nicht aufs Stichwort, aber immerhin hat er sich doch noch gerührt.“ Schuldigs enttäuscht klingende Stimme unterbrach Ayas Gedanken. „Los macht euch davon, und einer von euch besorgt ihm seine Klamotten aus seinem Zimmer!“ Kommandierte Schuldig die Meute und Aya konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass Schuldig den Rauswurf keineswegs auch auf sich selbst bezog. „Kommst du mit der Ratte klar, Aya?“ Yohjis Blick war ernst und Aya nickte lediglich. Wenn Schuldig ihn etwas antun wollte, hätte er dazu genug Gelegenheit gehabt, während er weggetreten gewesen war. Ken schubste Nagi noch mal kräftig gegen die Wand bevor er den Kleineren losließ und sie sich aus dem Raum verzogen. Aya war aufgefallen, dass Nagi seine Kräfte nicht benutzt hatte und auch Schuldig hielt sich mit seinen blöden Kommentaren aus seinem Kopf heraus. Konnten sie ihre telepathischen Kräfte nicht einsetzen, wollten sie es nicht, oder wurde es ihnen verboten? Aya erkannte aus den Augenwinkeln eine Bewegung an seiner Seite und riskierte einen vorsichtigen Blick in diese Richtung. Schuldig streckte sich ausgiebig und entblößte dabei seinen flachen Bauch, den eine längliche Narbe senkrecht bis unter den Bund seiner hellen Jeans bedeckte. Sie war bereits weiß, die Verletzung musste also schon länger zurückliegen. Wütend über sein eigenes Starren schwang er seine Beine aus dem Bett und versuchte Schuldig zu ignorieren, der noch ein herzhaftes Gähnen hinter her setzte. Was kümmerte ihn eigentlich, dieser Typ? Hatte er im Moment nicht andere Sorgen? „Hey wo willst du hin?“ Es war ihm auch egal, ob Schuldig ihn nun nackt sah oder nicht, also zog er die Decke weg. Der Boden fühlte sich rau aber warm an. Er hörte Schuldig auf ihn einreden, registrierte aber nur unwesentlich den groben Zusammenhang dieser Schimpftirade. Es hatte alles damit zu tun, das Aya besser auf seine Kleidung warten solle, sich helfen lassen, nicht so störrisch sein sollte und überhaupt... Aya biss die Zähne zusammen, es fiel ihm immer noch nicht leichter zu atmen aber er konnte im Moment nichts dagegen unternehmen, die Wunden waren versorgt, die Verbände sahen sauber aus, Fragen würde er später stellen. Jetzt musste er nur noch zur Toilette kommen, möglichst ohne seine Würde zu verlieren und sich von dem orangehaarigen Monster neben ihm helfen lassen zu müssen. Leichter Schwindel überkam ihn, als er sich probehalber etwas aufrichtete und sein Gewicht auf seine noch wackeligen Beine verlagerte. Mit seinen Gedanken bereits auf die zu bewältigende Wegstrecke konzentriert, spürte er erst verspätet, wie ihm Schuldig einen Arm um die Schulter gelegt hatte und ihn seitlich dadurch abstützte. Aus einem plötzlichen Impuls heraus wehrte er sich gegen diese Hilfe und legte seine ganze Kraft in einen Stoß den er Schuldig vor die Brust gab. Dieser nicht minder überrascht versuchte sein Gleichgewicht zu halten und zog Aya näher zu sich. Aya, der sich selbst kaum auf den Beinen halten konnte, und durch diese Aktion aus dem Gleichgewicht gebracht worden war, verlor seinen Halt auf dem sicheren Boden und knallte rücklings auf die Liege zurück. Reflexartig hatten sich seine Finger in Schuldigs Shirt gekrallt, Schutz- und Sicherheit suchend, und diesen somit mitgerissen. Aya konnte noch nicht einmal schreien, lediglich ein Ächzen entrang sich seiner trockenen Kehle. Seine Lungen versuchten schmerzhaft Luft einzuatmen, wurden aber vom Gewicht, das auf die Brustwand von außen drückte daran gehindert. Stechende Schmerzen trieben ihm die Tränen in die Augen, als plötzlich das Gewicht von ihm genommen wurde und er gierig Luft in seine Lungen zog. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Oberlippe und Stirn. Übelkeit und Schwindel überkamen ihn erneut, als ihn jemand aufrichtete und in die sitzende Position brachte. Aya schluckte mehrmals kräftig um die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen, blieb ruhig sitzen bis sich der Schwindel gelegt hatte und öffnete probehalber seine Augen. Schuldig saß in der Hocke auf dem Boden und hielt sich den Kopf, das Gesicht von den langen Haaren verborgen zur Wand hin abgewandt. Seine Finger in die langen Strähnen verkrallt wiegte er sich leicht vor und zurück, nur ein leises Wimmern von sich gebend. „Was...?“, wollte Aya gerade den Grund für diesen jämmerlichen Anblick erfahren, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln registrierte. Beiläufig bemerkte Aya, dass Ken ihn in der Aufrechten hielt. Aya drehte leicht den Kopf und konnte so den Neuankömmling in Augenschein nehmen. Dunkles, langes Haar, gefühlskalte Augen, klare Gesichtszüge, ein ironisches Lächeln um die Lippen und die imposante Größe ließen den Mann, der im Türrahmen stand, einnehmend und respekteinflößend wirken. Er hatte etwas an sich, dass Aya ein ungutes Gefühl bereitete. Dieser Mann war brandgefährlich, wenn man ihn unterschätzte. Schuldigs Wimmern riss ihn aus seinen Beobachtungen und er wandte seinen glasigen Blick wieder dem Häufchen Elend auf dem Boden zu. „Ich dulde hier keine Fehltritte, Schuldig“, sagte der Dunkelhaarige im freundlichen Tonfall, der in dieser Situation auf Aya äußerst deplatziert wirkte. „Hast du mich verstanden?“ Schuldig sagte nichts, reagierte auch sonst nicht auf die Frage des Dunkelhaarigen. Bis er spitz aufschrie und seinen Kopf gegen die Wand schlug. Daraufhin folgte wieder das Wimmern. Aya wusste nicht wie er auf diese Situation reagieren sollte. Was ging hier nur vor? War er im falschen Film? Schuldig wurde hier eindeutig, vorsätzlich gequält, wer war dazu nur fähig? Jemandem einer solchen Folter zu unterziehen, dass er solche Schreie von sich gab? Und das ohne ihn zu berühren? Hatte dieser Mann die gleichen Kräfte wie Schuldig? Erneut schrie Schuldig auf, ließ seinen Kopf wieder gegen die Wand krachen. „Ich frage dich noch einmal. Hast du mich verstanden?“ Der entgegenkommende Tonfall des Dunkelhaarigen strafte sein grausamer Blick lügen. Aya reichte es. Sein müder Blick war auf Schuldig gerichtet, der zusammengekauert auf dem Boden kniete, zu einer Kugel eingerollt um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Und doch konnte er demjenigen der ihn folterte nicht entkommen. Aya war bereit ein Gefühl der Genugtuung zuzulassen. Er wartete förmlich auf irgendeine Empfindung um aus dem erniedrigenden Anblick Schuldigs, den Schmerzen die dieser erlitt, seine Befriedigung zu ziehen. Doch es wollte sich nichts einstellen. Nichts was er sich erhoffte... Ganz im Gegenteil kam in ihm eine Art Unruhe auf, die es ihm unmöglich machte weiterhin zuzulassen was mit dem Telepathen gemacht wurde. Warum konnte er keine Schadenfreude empfinden? Wo war nur sein ewiger Durst nach Rache hin? Gelöscht... mit dem sterilen, stillen Tod seiner Schwester? Aya schüttelte die Bilder seiner toten Schwester ab, die sich in seinem Kopf formten. Die Vergangenheit konnte nicht mehr verändert werden auch wenn er sie nicht loslassen wollte. Tatsache war, dass er es nicht zulassen wollte wie jemand gefoltert wurde- auch wenn dieser Jemand Schuldig hieß. Nicht zuletzt deshalb weil ihm dieser Blutengel sofort unsympathisch war. Er hatte Schuldig vor seinen Augen verändert, hatte Aya seinen übermächtigen Feind genommen... seinen dunklen Traum, dem er nachgehetzt war... und nur eine schlechte Kopie zurückgelassen die nun vor ihm kauerte. Die zwar genauso aussah wie Schuldig... aber in Ayas Augen nie der Schuldig war wie er ihn kennen gelernt hatte. Wie er ihn hassen gelernt hatte. Diese Situation war entwürdigend. Er wollte Schuldig zurück, so wie er ihn kannte, gleichwertig und stark... damit er wieder ein Anrecht auf seine Wut und seinen Hass haben konnte. Er machte sich von Ken los, der die Szene mit gemischten Gefühlen zu verfolgen schien. Auf dessen Gesichtszügen spiegelten sich Unglaube, Angst und Mitleid wider. Aya biss die Zähne zusammen, ignorierte die schwarzen Punkte vor seinen Augen, als er vorsichtig zwei Schritte bis an die Wand ging und sich langsam an ihr herabgleiten ließ bis er vor Schuldig saß. Aya warf dem Dunkelhaarigen einen tödlichen Blick zu und legte Schuldig die Hände auf die verkrampften Finger. Dieser sah sofort erschrocken auf, Blut lief ihm, aus der Nase und auch aus dem rechten Mundwinkel. Die blauen Augen panisch aufgerissen, flehten sie ihm nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. „Er hat verstanden“, beantwortete Aya die Frage des Dunkelhaarigen an Schuldigs Stelle, der dazu im Moment nicht in der Lage schien. „Gut. Er ist dafür verantwortlich, dass du diese Verletzungen davon getragen hast. Wäre er schneller gewesen, hättest du nicht operiert werden müssen. Diese Abweichung vom üblichen Plan hätte vermieden werden können.“ Er warf Schuldig noch einen unlesbaren Blick zu, bevor er durch die Tür wieder verschwand. „Wir verschieben die Besprechung zwanzig Minuten nach hinten. Das müsste Zeit genug sein, damit er sich erholt“, fügte der Mann an, ohne sich umzudrehen. Ken blieb noch etwas sitzen, löste sich aber dann aus seiner Erstarrung und beugte sich zu Aya herunter um ihm aufzuhelfen. „Geht schon...was machst du überhaupt hier?“ „Ich wollte dir deine Klamotten bringen und da hab ich gesehen wie Schuldig über dir lag und du dich gewehrt hast. Ich dachte er hat dich angegriffen, so wie du geröchelt hast. Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte, kam auch schon Blutengel und hat ihn mittels Telekinese von dir runter geschleudert.“ Ken war das immer noch nicht geheuer, so nüchtern wie er den Vorgang beschrieb schien ihm der Schock noch in den Knochen zu sitzen. Schuldig hatte sich inzwischen beruhigt und lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand. „Wer ist dieser Typ? Blutengel? Ein Codename?“ Ken nickte. „Scheint so. Er ist hier der Boss. Er und dieser Coldpain. Wenn wir ihnen nicht gehorchen und uns nicht fügen, ergeht es uns vielleicht wie Schuldig. Bisher hat Blutengel nicht so reagiert.“ Aya dachte nach, doch sein umnebeltes Gehirn ließ komplizierte Gedankengänge nur im geringen Maße zu und so verschob er sie auf ein andermal und kümmerte sich vorerst um die einfachen Dinge. „Hilf mir mal...“ Ken begleitete Aya bis zur angrenzenden Toilette, und assistierte ihm dabei in seine Kleidung zu schlüpfen. „Wir haben unser Zeug, samt den Autos, hierher gebracht. Dein Schwert liegt oben in deinem Zimmer“, sagte Ken leise, während er ihm beim Anziehen half. Er sprach nur das Notwendigste, als wüsste er, dass Aya im Moment nur wenige Informationen aufnehmen konnte. Oder fühlte sich Ken dermaßen eingeschüchtert und unwohl in diesen Räumen, mit diesen undurchsichtigen Gestalten, dass er ihre Unterhaltung auf ein Minimum reduzierte? Sonst redete er doch auch mehr. Wurden sie hier abgehört? Ken wollte ihn zur Tür führen, als Aya seinen Arm aus dem sicheren Griff zog. „Ich komme nach.“ Aya konnte genau sehen, wie es in Ken arbeitete, dieser ihm widersprechen wollte und sich dagegen entschied. Die Folge war lediglich ein kleines Lächeln und ein fester Blick bevor er sich abwandte und den Raum verließ. Kapitel 4: Gamma: Unsichtbare Ketten ------------------------------------ 5. Schuldig hatte sich wieder einigermaßen im Griff. Er lehnte seinen schwammigen Kopf an die kühle Außenwand und ließ die Nachwehen der Schmerzattacke des levelhöheren Telepathen Blutengel verklingen. Seine Bestrafung für sein Versagen hatte er somit hinter sich gebracht. Es war wie früher. Dieselbe gottverdammte Scheiße! Sie hatten ihm damals weder seine Würde, noch seinen Stolz gelassen. Wimmernd und winselnd wollten sie ihre Untergebenen vor sich sehen, falls diese nicht spurten. Schuldig hasste es, wenn er so ausgeliefert, erniedrigt und gedemütigt wurde, noch dazu vor Aya. Ein Faktor, der ihm zu seiner Erniedrigung fast den Verstand raubte. Wie aus weiter Ferne hörte er leise Worte, die Aya an Ken richtete. Schuldig interessierten sie nicht. Bald wären sie weg und er konnte aufstehen und sich seinen Mund ausspülen. In der ersten Schrecksekunde hatte er sich auf die Innenseite seiner Lippe gebissen, er schmeckte noch immer den charakteristischen, eisenhaltigen Geschmack, den Blut an sich hatte, in seinem Mund. Ein kleines Rinnsal, eben dieser Körperflüssigkeit lief ihm vermutlich gerade aus der Nase. Fahrig mit zitternden Fingern wischte er sich das vermeintliche Blut ab, er hatte keine Lust seine schweren Augenlider zu heben, nur um sich das Offensichtliche, visuell zu bestätigen. Wieder wurden Worte gesprochen, eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Sie waren weg. Endlich. Er legte seine Hand an die stützende Wand und schob sich langsam vorwärtstastend mit geschlossenen Augen nach oben. Ohne eine Spur von Schwindel oder sonstigen Nachwehen öffnete er die Augen, bemerkte die verwischten Blutspuren an der Wand, als er sich aufgerichtet hatte und wandte sich Richtung Badezimmer. Aya. Dieser stand so unmittelbar vor ihm, dass er unwillkürlich etwas zurückschreckte. Er war nicht gegangen? Was wollte er denn noch hier? Sich über ihn lustig machen? Mitleidig auf ihn herab blicken? Nein, danke. Schuldig fühlte sich, als hätte Aya ihn mit seiner Anwesenheit zusätzlich einen Schlag verpasst. Und dieser Schlag, der ihm ein Gefühl der vollkommenen Auslieferung und Scham gab schmerzte mehr als Blutengels Bestrafung. Er war vor Aya auf den Knien gelegen, hilflos und klein. Schuldig spürte wie sich vertraute Gefühle in ihm regten, blinde Wut, die es ihm ermöglichen würde seinem Selbstbewusstsein einen Schubs aus dem schwarzen Loch heraus zu geben, in das es gefallen war. Doch er musste sich zusammenreißen, durfte nicht die Kontrolle aufgeben. Kontrolle war so wichtig, so verdammt wichtig. „Und? Hast du es genossen? Die Vorstellung war doch bestimmt geil für dein Ego!“ Sagte er stattdessen. Schuldig grinste spöttisch, fixierte die ruhigen, kalten Augen vor sich, entschied dass er ihnen in seiner gegenwärtigen Situation nicht lange standhalten konnte und zischte abfällig, als er sich an Aya etwas grob vorbeischob und das Badezimmer anstrebte. „Es war unterhaltsam, stimmt. Aber um mein Ego zu befriedigen braucht es schon etwas mehr“, erwiderte Aya kühl. Schuldig wusch sich das Gesicht, strich seine Haare beiseite und legte einen kalten Waschlappen auf seinen Nacken. Er bezweifelte dass Aya es nicht ernst meinte und dieser so etwas wie Humor besaß. Auch wenn dieser Humor etwas Schwarz sein würde. Müde lächelte er in sich hinein. Schuldig stand in dem dunklen Bad, leicht auf das Waschbecken gestützt und wartete bis sich sein Nasenbluten gelegt hatte. „Willst du nicht endlich abhauen?“ „Nein.“ Na klasse, kommentierte Schuldig in Gedanken. „Und was willst du hier noch?“ Langsam hörte es auf zu bluten, er nahm den Waschlappen aus dem Nacken säuberte sich nochmals im Gesicht und warf seinem wenig erbaulichen Spiegelbild im Halbdunkel einen unwirschen Blick zu. Sein Shirt wies leuchtend rote Blutflecke auf. Du siehst Scheiße aus, sagte er sich selbst, bevor er die Tür schloss und zu Aya ins Zimmer trat. „Wissen, wer der Typ ist. Er wirkt richtig sympathisch, wenn du vor ihm derartige Kniefälle machst.“ Ayas Stimme troff vor Sarkasmus, sein Gesicht war bar jeder Emotion. Nur seine Augen blitzten gefährlich. „Du stehst wirklich drauf, was? Hast du es mal mit einem Sado/Maso Studio probiert?“ Schuldig betrachtete einen Moment den lediglich um wenig kleineren Mann interessiert, wandte sich schließlich mit einem hintergründigen Grinsen ab und öffnete die Tür. „Du hast nicht den leisesten Schimmer zu was dieser Typ fähig ist. Genau das war es, was Crawford, Nagi, Farf und mich dazu bewogen hat unser eigenes Ding durchzuziehen. Es war, und ist uns noch immer Scheißegal was anderen um uns geschieht, solange wir nicht die sind, die leiden. Wir haben die Schnauze gestrichen voll davon, uns ständig von anderen ausnutzen und benutzen zu lassen. Lieber eine Welt voller Anarchie und Chaos oder den Tod, als noch mal dasselbe durchzumachen.“ Er spürte wie erneuter Hass in ihm das lang antrainierte Gefühl von Gleichgültigkeit und Überheblichkeit überlagerte. Wut und Hass gegen alles um ihn herum, gegen diese Welt voller selbstgerechter und heuchlerischer Menschen. „Niemals wieder... hörst du?! Niemals... lasse ich wieder zu, dass sie mich kriegen...“, flüsterte er bedrohlich und verließ den Raum. Er ließ Aya einfach stehen, flüchtete vor ihm, vor diesen Augen, die ihn dazu gebracht hatten, dass er seine Kontrolle aufgeben musste, dass er wieder so wurde wie früher... Rannte weg vor dieser düsteren, einnehmenden Aura, diesem Mann dessen Ausstrahlung den ganzen Raum zu füllen schien, keinen Platz mehr ließ für jemand anderen. Wie ein schwarzes Loch das alles in sich aufsaugte, sobald es geboren war und sich jemand in seine Nähe begab. Er entfernte sich vom Behandlungsraum, der neben den Trainingsräumen und der Schussübungshalle lag und machte sich ins obere Stockwerk auf, schließlich hatte er keine Lust noch mehr Minuspunkte bei Blutengel zu sammeln. Warum hatte er das eben gesagt? Was war es nur, dass ihn dazu veranlasste, sich wieder wie früher zu geben? Warum hatte er nur den brennenden Wunsch dem Rotschopf ständig eine reinzuwürgen? Hätte er sich nämlich nicht beherrscht, hätte er Aya mit Sicherheit, in seiner unterdrückten Wut, gegen die nächste Wand geworfen. Im großen Wohnraum angekommen empfingen ihn schon mehrere neugierige Augenpaare. Wobei die Neugier zwar bei allen zu sehen war, doch in unterschiedlichen Abstufungen von anderen deutlich lesbaren Gefühlen überlagert wurde. Genugtuung bei Yohji, Mitleid bei Ken, Unsicherheit bei Omi, Nervosität bei Nagi... und Crawford... schien etwas besorgt zu sein!? Er musste sich das einbilden, beruhigte er sich selbst. Crawford war nahe dran Schuldigs Weltbild auf den Kopf zu stellen, so wie dieser sich in der letzten Zeit aufführte. Nicht erst seit die anderen Jungs hier waren, konnte Schuldig neue Seiten an Crawford erkennen. Nur minimale Andeutungen, Bemerkungen, die er früher so nie geäußert hätte. Schuldig warf sich unflätig in einen der Sessel und enthielt sich ausnahmsweise einmal eines Kommentars. „Du hast Aya allein gelassen?“, fragte Ken plötzlich in die eingetretene Stille, seit er sich in den Ledersessel, knirschenderweise, geworfen hatte. „Ja und? Ist der noch nicht groß genug um allein zu sein, oder was?“ Schnodderte Schuldig übellaunig. „Das war ja wieder so klar!“, sagte Ken enttäuscht und wollte sich bereits wieder aufmachen um wohl Aya zu holen, als dieser bereits mit einem etwas verbissenem Gesichtsausdruck langsam die Treppe hochstieg. Schuldig musste zugeben, dass der Rotschopf unnatürlich blass aussah, er schonte seinen rechten Arm und verzog, bei jedem Schritt den er machte, das Gesicht leicht. Leicht unbehaglich wandte sich Schuldig ab und richtete seinen desinteressierten Blick auf Coldpain, der neben Blutengel stand und scheinbar darauf wartete, dass sich die ganze Rasselbande endlich versammelte. Er hörte noch ein kleines Ächzen, dass Aya von sich gab. Schuldig widerstand jedoch der Versuchung den Kopf zu wenden und dem Anderen dabei zuzusehen wie er sich auf der Couch niederließ. Es sollte auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er den Rotschopf dort unten allein gelassen hatte. Nie und nimmer hatte ER ein schlechtes Gewissen... er wusste ja schon gar nicht mehr was das war! Schlechtes Gewissen... wo kam denn dieses verstaubte Ding plötzlich her? Aus den Tiefen seines Unterbewusstseins? Da sollte es aber auch bitteschön wieder hin! Schuldigs Blick schweifte kurz zu Blutengel, dessen Miene Strenge und Unnachgiebigkeit ausdrückte. Die Augen waren kalt und als sie nun Schuldig direkt fixierten, hatte dieser das untrügliche Gefühl, als würde die Temperatur im Raum merklich kühler werden. Er wandte den Blick ab und heftete ihn wieder auf Coldpain, der mit seinen Ausführungen begann und gleich ohne Umschweife und Vorgeplänkel zum Kern der Sache kam. Schuldig rollte nur genervt mit den Augen, als er die ersten Worte vernahm. „Durch Schuldigs Zeitverlust bei der Suche nach Aya, erlitt dieser einige schwerwiegende Verletzungen, die es nun unmöglich machen den vorgesehenen Zeitplan einzuhalten. Wie ich euch bereits berichtete ist es von größter Notwendigkeit, dass die Teams zusammenarbeiten. Ohne die Existenz beider Teams, vereint, wird weder Weiß noch Schwarz weiter bestehen können.“ Blutengel tauschte einen kurzen Blick mit Coldpain und übernahm dann das weitere. „Ab sofort untersteht ihr mir. Hinter mir steht keine Organisation wie Kritiker oder SZ. Ihr seid nur mir Rechenschaft schuldig, Versagen wird sofort bestraft, eine Weigerung nicht akzeptiert.“ Schuldig spürte die lähmende Furcht, die in seinem Inneren aus gut verdrängten Gefilden hervorkroch, ihn innerlich zusammensinken ließ. Er wollte zu Crawford, zu Nagi blicken, ihre Gesichter sehen, wenn er schon nicht ihre Gedanken lesen konnte, wissen ob sie das gleiche dachten, fühlten, doch sie standen hinter ihm und umdrehen wollte er sich nicht, das hätte nur lächerlich gewirkt. Es war alles wie früher, wie damals...alles wie damals... Panikartig versuchte er, die nach außen drängenden Gefühle wieder dorthin zu schieben wo sich nach seiner Meinung hingehörten: Tief in seine Seele, dorthin wo keiner sie sehen konnte. Unwohl ruckelte er sich in seinem Sessel zurecht, ließ sich etwas weiter hineinrutschen, streckte die Beine von sich und brütete mit düsterem Blick vor sich hin. „Ihr werdet euch perfekt ergänzen. In täglichen Trainingseinheiten werdet ihr euch die fehlenden Eigenschaften aneignen, diejenigen die ihr beherrscht verfeinern und sie auf euren Partner abstimmen.“ „Partner?“ unterbrach ihn eine tiefe Stimme, die Aya so charakterisierte. Blutengel ließ sich zu einem kleinen, feinen Lächeln herab. „Ihr werdet zu vier Teams zusammengefasst, jedes Team umfasst einen PSI Akteur und einen Inaktiven mit materiellen Waffen. In euren psychologischen Gutachten, zu finden bei Kritiker, die umfangreiche Charakterfiles von euch angelegt haben, sind genaue Angaben über eure Teamfähigkeit und andere nützliche Gutachten zu finden gewesen.“ Schuldig hätte jetzt nur allzu gern gewusst was in den einzelnen Köpfen vorging, aber vor allem interessierten in Ayas Gedanken. „Eure Arbeit wird sich von eurer vorherigen kaum unterscheiden, nur werden die Gegner härter, wesentlich härter sein. Sie besitzen ähnliche Fähigkeiten, wie diejenigen, die euch vor eurem Zusammentreffen zugesetzt haben. Nur in verstärkter Form. Ziel wird es sein, diese feindlichen Elemente auszuschalten, ihnen keine Chance zu lassen eure Identität zu ergründen. Die nächsten Wochen werdet ihr euch an euren Partner gewöhnen, um eine perfekt aufeinander abgestimmte Einheit zu bilden. Eure Gegner müssen gnadenlos bekämpft werden, nur durch eine perfekte Zusammenarbeit werdet ihr sie ausschalten können. Versagt eine der beiden Hälften ist die andere nicht fähig dieses Versagen auszugleichen.“ Schuldig fühlte sich im Fokus Blutengels, sah aber nicht auf, sondern starrte nach wie vor blicklos auf den gläsernen Boden. Das war schon kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, das war vielmehr ein ganzer Laternenmast! Gott verdammt! Er hatte es ja verstanden! Wie oft denn noch!? Stille herrschte im Raum, die ihn vermuten ließ, dass jeder Anwesende, das Gesagte erst auf sich wirken und in seinen Verstand einsickern lassen musste. ‚Partner‘, wiederholte er wie betäubt in Gedanken. Das hatte Coldpain gemeint, mit ‚er ist dein Partner‘. Ihm schwante Übles, und noch bevor er aufbegehren konnte, hörte er Crawford kalte Stimme hinter sich. „Wie lautet die Zusammenstellung?“ „Ihr habt euch bereits miteinander warm gemacht, wie ich beobachtet habe. Eure Differenzen werdet ihr in den nächsten Tagen beilegen.“ Warm gemacht? Unbewusst schlich sich ein kleines Grinsen auf Schuldigs Gesicht, seine blauen Iriden, die in dieser Beleuchtung leicht grünlich wirkten, glitzerten vor Belustigung. Das er nicht lachte! Wären in den letzten zwei Tagen nicht ständig Blutengel oder Coldpain anwesend gewesen, hätten sich die beiden gegensätzlichen Gruppen zerfleischt. Nagi probte regelmäßig gegen Ken den Aufstand, nur um sich von dem körperlich, weitaus überlegeren Killer anschließend verdreschen zu lassen. Entweder vergaß der Kleine, in seinem Zorn, dass er seine Fähigkeiten innerhalb des abgegrenzten Bereiches des Aversionsschildes nicht einsetzen konnte, oder er stand auf Prügel. Wobei... Ken war der einzige, den Nagi so richtig auf dem Kieker hatte. Wenn Schuldig das Verhalten ihres Jüngsten einmal genau betrachtete, war es schon außergewöhnlich wie der sich gerade aufführte. Früher, als sie sich anfangs in der Akademie kennen gelernt hatten, war es ähnlich gewesen, Nagi hatte sich mit jedem angelegt. Dann nach der systematischen Umerziehung in der Akademie wurde er stiller, kälter, entfernte sich weiter von der Realität. Damals, als Nagi Tot begegnet war, hatte diese Bekanntschaft etwas Ähnliches wie einen Beschützerinstinkt bei Nagi wachgerufen. Als Tot wieder aus seiner Nähe verschwand, Crawford und Farf dem Jungen zeigten, dass ihn dieses Mädchen nicht zu interessieren hatte, letzterer sie einfach aus dem Leben tilgte, wurde er wieder zu dem Nagi, den die Akademie herangezüchtet hatte. Dass der leicht schusslige Ken so extrem auf die Provokationen des Jungen ansprang, war schon auch eine interessante Beobachtung. Verdammt! Jetzt hatte er schon die Fähigkeit in die Köpfe der Anwesenden zu sehen, und konnte sie nicht einsetzten. Vermutlich versuchte Blutengel genau dies zu verhindern. Denn Schuldig hätte sich nicht um alles in der Welt davon abbringen können, etwas Chaos und Verwirrung zu stiften. Schuldig fand langsam Gefallen an diesem Vortrag. „Die Aufteilung gilt nach wie vor, wie zu Beginn dieses Experimentes.“ Leichte Belustigung war aus seiner Stimme herauszuhören und Schuldig sah kurz auf. Experiment? „Das heißt?“, fragte Ken. „Eure jeweiligen Partner haben euch bereits aus der ersten misslichen Lage gerettet. Diese Aufteilung bleibt. Ken wird Nagi zugeteilt. Nagi ist von körperlicher Statur zu schwach um allein zu kämpfen“, Schuldig hörte den Kleinen neben sich leise fluchen und konnte sich ein kleines, innerliches Grinsen nicht verkneifen. Es stimmte, Nagi hatte zwar ein großes PSI-Talent, doch ein levelhöherer Telekinet würde Nagi in Grund und Boden stampfen. „Deshalb wird Ken ihm zugeteilt, dessen körperliche Kräfte eine hervorragende Ergänzung darstellen. Hier werden Nahkampf, sowie Fernkampfwaffen verbunden.“ Schuldig durchschaute langsam das Konzept. Nagi war nicht nur schwach, sondern auch ein ungeliebtes, verstoßenes, verzogenes, Kind, das versuchte sich mit Gefühllosigkeit und Kälte vor der rauen Welt zu schützen. Und Ken konnte doch hervorragend mit kleinen Gören umgehen, oder nicht? Nur wenn sie sich jetzt schon derart in der Wolle hatten, konnte das nur noch mehr Ärger heraufbeschwören. Nicht, dass Schuldig sich darüber beschwerte, war es doch ein zwar magerer, aber doch tröstender Ersatz für den ortsbegrenzten Verlust seiner telepathischen Fähigkeiten. „Crawford und Yohji bilden das zweite Team. Crawford ist ein hervorragender Schütze, stellt die Fernwaffe, Yohji, die Nahkampfwaffe. Wobei er mit seinem Draht auch Gegner auf Distanz erledigen kann.“ Aha. Der undisziplinierte, leichtlebige Yohji, bekommt einen provokanten, Aufpasser vor die Nase gesetzt, der die Wörter Disziplin und Gehorsam scheinbar schon mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Nicht destotrotz konnte Crawford ein Arschloch und Dreckskerl sonder gleichen sein, wenn man es darauf anlegte. Und Yohji würde es mit Sicherheit darauf anlegen! Eine explosive Mischung... Schuldig trauerte immer mehr seinen Fähigkeiten nach. „Als nächstes folgen Coldpain und Omi. Coldpain gehört zu den Akteuren der oberen Klassen. Seine Fähigkeiten halten Omi den Rücken frei um seine Waffen einzusetzen.“ Schlau eingefädelt, sinnierte Schuldig. Coldpain, der nicht wusste, was Gefühle überhaupt sind, den kleinen Weiß zuzuteilen, der ein wandelnder, übersprudelnder Quell derselbigen war, grenzte schon an Wahnsinn. Nicht auszudenken was geschah, wenn Coldpain herausfand, dass es noch etwas anderes außer der Akademie gab. Und vor allem war er sich sicher, dass Omi sich vor Coldpain zurückzog, was wiederum ein Problem darstellte. Dass dürfte interessant werden. „Coldpains Fähigkeiten werden noch genau erläutert, haltet euch an die Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit ihm. Doch kommen wir zu unserem letzten Team. Ran und Schuldig. Rans Schwert stellt eine effiziente Waffe dar, zusammen mit Schuldigs Telepathie sind sie unsere offensivste Kraft.“ Tja, und da waren sie wieder, seine drei Probleme...frotzelte er in Gedanken. Sie hatten ihm Aya an die Seite gestellt um zu verhindern, dass er Mist baute, soviel war klar. Dachten sie eine Sekunde daran, dass Aya ihn hasste? Dass es keine Verbindung zwischen ihnen geben konnte? Außer dem Hass? Und selbst das war vermutlich nur eine einseitige Sache. Denn Schuldig teilte dieses Gefühl nicht mit Aya. „Die Versorgung und die Pflege der Räumlichkeiten werde ich in die Wege leiten. Ihr absolviert die Trainingseinheiten zusammen mit euren Partnern oder allein, so wie es die Stundenpläne vorsehen. In abschließenden Tests wird geprüft, wie weit ihr fortgeschritten seid. Ihr werdet die Fertigkeiten eures Partners in den Grundzügen erlernen, zumindest soweit um sie abzuwehren, zu verstehen und mit ihnen umzugehen.“ Er deutete kurz auf Nagis Computeranlage. „Die Pläne werden von Coldpain und Nagi ausgearbeitet. Mit Ausnahme von Schuldig und Aya beginnen heute die ersten Stunden. Ich werde nach einer Woche die erste Prüfung ansetzen. Damit ist diese Besprechung beendet. Noch Fragen?“ „Können wir raus? Ich meine...“,fing Yohji mürrisch an. Blutengel überlegte einen Moment wie es schien. „Ihr könnt euch innerhalb der gesicherten Zone frei bewegen. Diese geschützte Zone, mit einem Aversionsschild versehen, erstreckt sich über einige Hektar. Außerhalb dieses Gebietes seid ihr gefährdet. Solltet ihr dennoch den Wunsch verspüren, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, meldet dies bei mir an, damit ich euch die Eintrittsmöglichkeiten nenne. Sonst würdet ihr nicht mehr zurückfinden, selbst wenn euch eure Gegner verfolgen. Ihr würdet nicht mehr hier her wollen. Mir ist bewusst, dass dem jetzt schon nicht so ist. Doch, wie schon erwähnt, hätte euer Leben bereits in der Nacht geendet als Schwarz euch zu Hilfe kamen. Entfernt euch nicht ohne eure Partner aus dem Aversionsschild. Die Grenzen kann euch Nagi genauestens aufzeigen. „Gegen wen kämpfen wir?“, erinnerte Aya wieder an seine Anwesenheit, die Stimme ausdruckslos und dunkel. „Gegen die Brut der Hölle! würde wohl Kritiker heroisch euch auf euer Band sprechen.“ Blutengel lachte freudlos. „Aber ich fürchte so einfach ist es nicht. Ihr kämpft gegen die, die euch töten wollen. Mehr kann ich euch im Moment nicht sagen. Vor eurer ersten Mission werdet ihr mehr erfahren. Ihr kämpft unter anderem um euer Leben, wie bisher auch. Bezahlt werdet ihr nach bestandener Prüfung, in von euch gewünschter Form. Sucht euch etwas aus, wie diese Bezahlung auszusehen hat. Geld, Autos, neue Waffen, Freigänge, Reisen, Frauen, egal, es spielt keine Rolle.“ Schuldig warf Yohji einen grinsenden Seitenblick zu, der zunehmend unruhiger wurde. Der Playboy im Moment ohne Zigaretten, weil Rauchen lediglich in seinem Zimmer, und außerhalb des Komplexes gestattet wurde, und auf lange Sicht kein Ziel, in das er seinen Schwanz stecken konnte, erheiterte Schuldig ungemein. Der Dunkelblonde wurde zunehmend unruhiger, bis er etwas überstürzt aufstand und mit einem gemurmelten „bin frische Luft schnappen“, in Richtung Terrasse verschwand, seine Kippen wie einen Rettungsanker fest umklammert. Bei all dem Spott den Schuldig gerade in eine Bemerkung legen und dem Weißkiller hinterher schicken wollte, fiel ihm auf, dass Yohji wie ein Tier in Gefangenschaft durchdrehen würde. „Hey! Wenn du dich anstrengst, kannst du raus und so viele Weiber flachlegen wie du willst!“, rief er dem Blondschopf provozierend hinterher und wandte sich halb in seinem Sessel um, damit er die Reaktion des Ladykillers nicht verpasste. Yohji tat ihm aber leider nicht den Gefallen und sprang, wie gewünscht, verärgert darauf an. Der Playboy zeigte ihm nur den Mittelfinger, setzte ein Herzensbrecherlächeln auf und sagte mit honigsüßer Stimme: „Fuck yourself!“, bevor er die Tür zur Terrasse öffnete und sich ein Plätzchen zum Rauchen suchte. Als Schuldig sich mit einem gespielt enttäuschten Gesichtsausdruck umwandte, streifte er kurz Crawfords Gestalt mit einem forschenden Blick. Der Schwarz-Anführer offenbarte aber keine Gefühlsregung auf seinem Gesicht. Nur die Augen funkelten ihn dunkel, bedrohlich an. Was denn? Durfte er jetzt keinen Spaß mehr haben? Schulterzuckend setzte er sich wieder bequemer hin, als Blutengel fortfuhr. „Von jetzt an, werden sich nur noch die jeweiligen Partner um die gegenseitigen Belange kümmern. Folglich wird nur Schuldig Ran dabei helfen in sein Zimmer zu kommen. Daran schließt sich ebenso ein Verbandswechsel wie sonstige Notwendigkeiten an. Das ist keine Schikane, es dient lediglich dazu euch mit euren Partner abzustimmen und eure Differenzen aus der Vergangenheit beizulegen.“ Schuldig konnte nicht verhindern, dass sich ein diabolisches Grinsen auf sein Gesicht stahl, als er sich umdrehte und Blutengel nachsah, der gerade im Begriff war den Raum zu verlassen. Differenzen beilegen? Sich um Aya kümmern? Auf welchen Stern war er denn jetzt gelandet? Aber würde das Ganze schon für sich zu nutzen wissen. Darauf konnte sich Blutengel verlassen. Das Grinsen perlte jedoch schnell ab, als er einen Blick auf genau dieses Objekt seiner fiesen Gedanken warf. Aya versuchte sich krampfhaft aufrecht zu halten, hatte den Oberkörper leicht vorgeneigt und den Arm, gleich einem kaputten Flügel, an sich gepresst. Seine Atmung ging oberflächlich, die Augenbrauen leicht zusammengezogen, als wollten sie dieses Ärgernis, das wohl Schmerz hieß nicht die Oberhand gewinnen lassen. Ken und Omi versuchtem ihm aufzuhelfen, doch ohne sichtlichen Erfolg, Ayas Körper war verkrampft, seine Muskeln noch nicht willens sich ihm zu unterwerfen. Die Überanstrengung war zu viel für ihn gewesen, er hätte sich noch schonen sollen... geisterten seltsame, fremde Gedankengänge durch Schuldigs Gehirn. „Lasst ihn hier liegen. Gebt ihm zu trinken und stopft ihn mit Tabletten voll. Danach wird’s schon gehen. Aber hört auf an ihm rumzuzerren, das kann ja nicht mal ich mit ansehen.“ Schuldig schüttelte unwillig den Kopf und zuckte mit den Schultern, als er einen bösen Blick von Ken einfing. „Macht doch was ihr wollt.“ Er schlenderte zu Nagi und sah dem Jungen über die Schulter, der sich mit Coldpain an die Ausarbeitung der Stundenpläne gemacht hatte. Das war allerdings auch nicht viel interessanter, also machte er sich daran einen der geschickt getarnten Wandschränke zu öffnen und zog eine weiche Decke hervor, die er unnötig hart nach Aya warf. Der sollte nur nicht denken, Schuldig würde weich werden oder sonst was utopisches! Aya lehnte mit seinem Oberkörper seitlich an der Rückenlehne, die Beine ausgestreckt, den Flügel noch immer an sich gezogen. Die roten Strähnen legten sich an die fahle Wange, ein Kontrast, der den jungen Mann blass und zart wirken ließ. Schuldigs Deckenattacke jedoch ließ ihn kurz aufsehen und ein warnendes Knurren abgeben. Und schon war es wieder vorbei mit der Zartheit, feixte Schuldig innerlich. Die halb geöffneten Augen wirkten etwas trüb, das Violett matt und glanzlos. Omi kam mit einer Flasche Wasser zurück und Ken hatte eine Packung Tabletten in der Hand. Schuldig beugte sich zu Nagi herunter und flüsterte ihm ins Ohr. „Dimm das Licht etwas.“ Nagi nickte lediglich, tippte etwas in seinen Rechner und schon fuhr das Licht stufenweise runter. Er ignorierte den Blick, den Aya ihm gerade zuwarf, als er mit festem Griff das Glas an seine Lippen führte und die zuvor platzierte Tablette mit großen Schlucken hinunterspülte. Aya hatte ihn keinen Augenblick währenddessen aus den Augen gelassen. Wo war eigentlich Crawford abgeblieben?, lenkte er sich selbst, von den verwirrenden und unbehaglichen Gefühlen ab, die er verspürte wenn ihn diese durchdringenden Augen fokussierten. Schuldig ging zur Terrasse und spähte hinaus. Der Himmel hatte sich mit tiefhängenden dunklen Wolken überzogen, die ersten Tropfen hatten schon Bekanntschaft mit der Erde gemacht. Yohji hockte auf der steinernen, hüfthohen, überdachten Balustrade und rauchte. Er hatte ihm den Rücken zugekehrt, mit Blickrichtung auf den undurchdringlichen Wald. Verlorene Gestalt im Regen, dachte Schuldig melancholisch, schüttelte diese Art Gedanken sofort wieder ab. Crawford war hier nicht. Warum sollte er sich auch bei Yohji aufhalten? Schuldig machte sich in die Küche auf, registrierte beiläufig eine Unterhaltung zwischen Ken und Omi die sich über ihre Situation unterhielten, möglichst leise um Aya nicht zu stören. In der Küche war keiner, sie wirkte steril, als würde keiner jemals in ihr gekocht haben. Nun, zum Teil stimmte das auch, er fragte sich, ob sich dies nun ändern würde. Seine Suche erstreckte sich nun auf den unteren Teil ihres Domizils. Vor der angelehnten Tür zum Trainingsraum blieb er verblüfft stehen, als er Blutengels Stimme von innen heraushörte. „...werden wir sehen“, sagte Blutengel bestimmt. Es entstand eine Pause und Schuldig wusste zunächst nicht mit wem Blutengel sprach, als Crawfords schneidende, kalte Stimme antwortete. „Wir brauchen es früher, als die anderen. Ansonsten kann ich für nichts garantieren.“ „Ich verstehe. Es sind tickende Zeitbomben. Alle, du gehörst auch dazu, bilde dir nicht ein, du wärest anders.“ Es entstand wieder eine Pause. „Aber ich denke du hast recht. Ich teile dir mit, wann.“ Schuldig entfernte sich lautlos etwas von der Tür und lehnte sich mit angewinkeltem Bein an die Wand als die Tür aufging. Er hatte nicht vor zu leugnen, das Gespräch belauscht zu haben. Wozu? „Na Brad?!“, grinste er den gleichgroßen Mann an, der ihm nur einen, wenig überraschten, Blick schenkte, ehe er an ihm vorbeiging. Blutengel blieb im Trainingsraum, Schuldig hätte zu gern gewusst was er dort drin trieb, letztendlich folgte er jedoch Crawford nach oben, immer noch das belauschte Gespräch im Kopf hin und her analysierend. Aya hielt die Augen geschlossen, Ken und Omi waren nicht aufzufinden, Coldpain und Nagi arbeiteten nach wie vor und Yohji saß weiterhin draußen. Wurde es dem Typen nicht endlich mal zu kalt oder was? Das Zeitbombenthema bezog sich eindeutig auf die Teams, ja, das war klar. Nur was bedeutete: Wir brauchen es früher als die anderen. Ansonsten kann ich für nichts garantieren`? Was war es? Wofür konnte Crawford nicht garantieren? Schuldig langweilte sich. Selbst nach mehreren, anfangs annehmbaren, Theorien kam er nicht darauf, was Crawford und Blutengel nun besprochen hatten. Missmutig ließ er sich auf den schmalen, einzig freien Platz neben Ayas Füßen plumpsen, quetschte sich zurecht und nahm wie selbstverständlich dessen Füße auf seinen Schoß, die aus der Decke hervor spitzten. Was war es nur? Bezog sich dieses ES nun auf sie alle, oder nur auf… Er stockte, als er sich bewusst wurde was er hier eigentlich völlig in Gedanken versunken tat. Und dieses plötzliche Eintreten in die Realität rührte daher, dass er registrierte hatte, wie kalt sich sein zeitvertreibendes Objekt unter seinen streichelnden Händen angefühlt hatte. Schnell zog er die Decke etwas heran und wickelte die beiden Eisklötze ein. Die schwarzen Socken waren viel zu dünn um... Halt. Stopp! Was zur Hölle dachte er denn jetzt schon wieder? Wann war er denn bitteschön zur Glucke mutiert? Wenn er Glück hatte, dann hatte niemand bemerkt wie er Ayas Füße bearbeitet hatte, ganz zu Schweigen vom Rotschopf selbst... Dieser Gedanke ließ ihn vorsichtig den Kopf wenden, nur um mit einem verschleierten Blick beehrt zu werden, in dem so was wie Hass, Kälte und Abscheu in der Lightversion, zu erkennen waren. Durch die Tablette, die langsam ihre Wirkung tat, die Auswirkungen des Blutverlustes und die Schmerzen, waren diese sonst so deutlich ablesbaren Emotionen überlagert und somit abgeschwächt. Schuldig erkannte sie trotz alledem, er kannte einfach diesen speziellen Blick, den der Rotschopf scheinbar nur für ihn reserviert hatte. Schließlich hatte er eine Großaufnahme, ein Prachtexemplar dieses Blickes in seinem Zimmer. Würden diese Augen ihn jemals mit einem anderen Ausdruck beehren? Schuldig beantwortete sich selbst diese Frage: Wohl nicht. Aber er genoss es, hier zu sitzen und Aya nahe zu sein. Es war das erste Mal, daas sie auf diese Weise Kontakt hatten. Eine stille Akzeptanz... oder war es einfach nur, weil Aya zu krank war um sich zu wehren? Schwierig würde es werden, wenn Aya das Bild sehen würde. Schuldig konnte schon förmlich das Schwert des Killers quer durch den Bildschirm metzeln sehen. Am Besten er redete mal mit Nagi, vielleicht konnte der Kleine ein anderes Bild hochladen. Schuldig hatte sich wieder abgewandt, dachte nicht daran dem Blick Folge zu leisten, der ihm eindeutig sagte, dass er die Finger von Aya lassen und sich verpissen sollte. Er wäre nicht Schuldig, wenn er es nicht genoss, jemand Anderem auf die Nerven zu gehen. Und wenn es Aya war, machte die Sache nur noch mehr Spaß. Seltsam, war er noch vor wenigen Tagen niedergeschlagen und voller Gedanken an seine Vergangenheit, so war das mit dem Auftauchen von Coldpain, der anschließenden Mission und der Begegnung mit Aya wie weggewaschen. Oder nur übertüncht? Würden sie wieder durchbrechen? Er blieb noch eine Weile so sitzen, in seine Gedanken vertieft, legte seine Hände wieder auf die Decke und grübelte mit wechselnden Gesichtsausdrücken vor sich hin. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er fast eine dreiviertel Stunde sinnlos herumgesessen war, die Füße des Rotschopfes noch immer auf seinen Oberschenkeln. Dieser schlief, wie ihm ein schneller, fast schon hektischer, Seitenblick bestätigte. Ein würziger Geruch reizte plötzlich Schuldigs Nase, sagte ihm, dass es bald etwas zu Essen geben würde. Ihm lief bereits das Wasser im Mund zusammen, als Ken die Tür der Küche öffnete um sie zum Essen zu rufen. Crawford kam die Treppe wieder herunter, war also in seinem Zimmer gewesen und ging zielstrebig auf die Küche zu. Schuldig wollte ihm nach, schließlich musste er herausfinden, was die beiden da unten besprochen hatten, vergaß aber das Aya seine Füßchen immer noch auf seinem Schoß hatte und riss sie schlussendlich mit vom Sofa als er übereilt aufsprang. Ein verhaltenes Stöhnen drang zu Schuldig durch und er musste schließlich von seinem ursprünglich erdachten Plan, Crawford zu löchern, kurzfristig absehen und sich doch noch seinem ‚Partner‘ widmen. Er drehte sich genervt um.. „Jetzt stell dich nicht so...“, er stockte. Aya schlief immer noch, Schuldig musterte die entspannte Gestalt kurz, ihm fielen die feuchten Flecken am Shirt auf und er runzelte die Stirn. Er hatte jetzt bestimmt keine Lust, irgendwelche Verbände zu machen. Ganz bestimmt nicht. Überzeugt von sich selbst und seinem Entschluss ging er in die Küche. Crawford saß am Tisch, sah nicht auf, als Schuldig sich neben ihn setzte und ihn mit durchdringendem Blick fixierte. Die Stille im Raum wurde nur durch die nötige Geräuschkulisse des Essvorganges oder Geschirrgeklapper unterbrochen, eine seltsame Stimmung. Während die anderen still aßen, selbst Coldpain und Nagi sich in die Küche begeben hatten, starrte Schuldig immer noch Crawford an, ohne mit der Wimper zu zucken. „Was willst du?“, fragte Crawford schließlich nach geschlagenen zehn Minuten. „Um was genau ging es da unten?“ Crawford sah ihn gelangweilt an. „Nun scheinbar bist du zu spät gekommen. Sonst hättest du gehört um was es gegangen ist.“ Er stand auf und verließ mit einem Kopfnicken Richtung Ken und Omi die Küche. Schuldigs Augen verengten sich. Arsch. Ihm war der Appetit vergangen, er schlenderte zurück ins Wohnzimmer und er konnte nicht verhindern, dass der erste Blick sich auf die Couch richtete. Na, das Problem löste sich wohl nicht von alleine. Er piekte Aya mit dem Zeigefinger in die Schulter, bekam aber keine Reaktion. Da musste er dann doch härtere Geschütze auffahren. „Hey! Wach schon auf, ich hab keine Lust dich hochzutragen!“, sagte er und drückte etwas fester auf den bandagierten Oberschenkel, der durch die Hose nur durch eine kleine Erhebung zu erkennen war. Schuldig verfolgte die halbherzigen Abwehrversuche seiner drückenden Hand mit argwöhnischem Blick, Aya wachte trotz seiner Bemühungen nicht auf, konnte nicht einmal die Hand richtig heben. Das leichte Drehen des Kopfes, offenbarte ihm das Gesicht Ayas, die aufgesprungenen Lippen, die rot schimmernden Wangen. Als er so da saß und jede Facette dieses Anblicks in sich aufnahm, verspürte er wieder, wie altbekannte Gefühle an die Oberfläche drangen. ...so vollkommen hilflos... mir ausgeliefert... ich kann mit ihm machen was ich will... jetzt.... ...ihn töten...ihn zerfleischen... ihm das Weiße aus dem Leib schneiden…ihn quälen... ihn foltern...jetzt... so nah... er ist so nah... ihm alles nehmen was er besitzt... selbst seinen Körper... alles... seine Seele... seinen Geist… bis nichts mehr übrig ist... bis alles mir gehört... mir... mir... mir allein.... Er verlor sich immer mehr in seinen hassenden, nach Vergeltung gierenden Gedanken, auf seinem Gesicht eine Fratze aus Bosheit, Neid und Hass. Als hätten eben genau diese Gedanken einen Weg in Ayas fieberbenebelten Verstand gefunden, hoben sich die schweren Lider leicht an, gaben den Blick in verschleierte, müde violette Augen frei. Hielten einige Momente Schuldigs infernalischen Blicken stand, schlossen sich dann mit einem gequälten Aufstöhnen aus einer trockenen Kehle wieder. Als wäre das ein Signal gewesen, kehrte Schuldig wieder in die Realität zurück, war der Bann gebrochen, der sich ihm aus seiner Vergangenheit bemächtigt hatte, ihm für wenige Augenblicke gesagt hatte, dass Aya derjenige war, den es galt zu bestrafen, für das, was Schuldig in seiner Jugend angetan worden war. Warum kehrten diese Gefühle gerade jetzt zurück? Hatte er sie nicht verdrängt? Sie tief eingeschlossen, nachdem sie sich von der Akademie losgesagt hatten, die sie für Tod hielten. Warum konnte er sie nicht mehr kontrollieren, sie verbannen? Er presste die Lippen fest zusammen, atmete tief durch und wartete einen Moment, bis sich seine Nerven wieder etwas beruhigt hatten. Der Rotschopf löste Dinge in ihm aus, die er nur in einem gut versteckten Bereich seines Geistes aufbewahrte. Seufzend stand er auf und schob die Decke beiseite. Danach legte er sich Ayas linken Arm über seine Schulter, lud sich die Beine auf den Unterarm indem er Aya unter den Kniekehlen fasste und hob ihn hoch. Er spürte wie sich eine Hand in sein Hemd krallte, sich Ayas heißes Gesicht in seine Halsbeuge legte, ihn der warme Atemhauch leicht über seine Haut strich. Für einen kurzen Moment blieb er so stehen, genoss die süße Schwere, die er empfand, als er Aya so in den Armen hielt. Die Wärme des Anderen, Ayas Körper so dicht an seinem, der zarte Duft nach Ayas eigenem Körpergeruch, so unwiderstehlich, so neu und doch vertraut. Schuldig konnte die Empfindungen, die durch seinen Körper purzelten, nicht mehr klar einordnen. Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er zog Aya dichter an sich heran. Resignierend schloss er die Augen für einen kurzen Moment. ‚Es hat keinen Sinn. Nichts hat einen Sinn.‘ Schuldig brachte ihn in den ersten Stock in Ayas Zimmer, das – vermutlich von Blutengel arrangiert – neben seinem lag. Er ließ Aya langsam auf das Bett gleiten, legte ihn leicht seitlich gekippt und schob ihm das Hemd am Rücken hoch. Aya ließ alles mit sich machen, zuckte weder zusammen, als Schuldig ihn wieder auf den Rücken drehte, ihm das Shirt über den Kopf abstreifte, oder sich an den Verbänden vergriff. ...zu viel Bewegung... Die Wunden sind noch zu frisch, registrierte er den Sachverhalt und holte neues Verbandszeug. Während er die Verbände wechselte und seine kühlen Finger ab und an mal die aufgeheizte Haut des Jüngeren berührten, breitete sich rasch eine Gänsehaut auf dem Körper aus und Aya schauderte. Schuldig betrachtete den nackten Oberkörper des Schlafenden. Sein düsterer, gedankenversunkener Blick glitt über alte Narben, verursacht von Stich- und Schussverletzungen, wie aus ihrer Form zu lesen war. Wie einer Landkarte gleich zogen sich die hellen Mahnmale über den schlanken Körper. Es waren nicht viele... doch für Schuldig waren es genug. Er fragte sich, wie viele Narben auf dieser Haut auf sein Konto gingen? Wie viel Hass er in Aya geschürt hatte? Wie viel er noch schüren würde...? Wie viel Schuld er sich in Ayas Rechtsprechung aufgeladen hatte und was für ihn als Buße vorgesehen war? „Du wirst mich niemals akzeptieren...“, sagte er leise, nur begleitet von Ayas leisen Atemzügen. Denn dies war seine Buße. Sein Kreuz, das er zu tragen hatte. Sich gerade von dem Mann angezogen zu fühlen, wie die Motte vom Licht, dem er im Kampf immer gegenüber gestanden hatte. Dem er so viel angetan hatte. Dem er die Schwester entführt, sie für Leute geraubt hatte, die sie für ihre widerlichen Zwecke missbrauchen wollten. Und hatte er nicht auch dazu gehört? Damals war es anders gewesen, war er anders gewesen. Hätte Gefühle positiver Art niemals zugelassen. Doch nach seinem Fall... nach diesem Sturz... war er aufgewacht... aus diesem Albtraum. Warum sollte Aya, dieser stolze Mann, ihm jemals verzeihen? Oder gar ihn an seiner Seite akzeptieren, ihn... wollen? Aya war für ihn das Licht. Ein Licht, das ihn schmerzte, das in ihm brannte, eine Intensität besaß, die es ihm unmöglich machte diese glühende, weiße Hitze zu berühren. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals wirklich „gewollt“ gewesen zu sein. Er hätte nie geboren werden dürfen. Nicht wahr? Wie alle anderen PSI-Kinder. Missgeburten, die nur Probleme machten, nicht wussten, wohin mit sich selbst. Einem „Selbst“, dass sie nur schwer verstanden. Ihren Gefühlen ausgeliefert, hilflos, unwissend und bereit sich von solchen Leuten, wie denen aus der Akademie auffangen zu lassen. Froh das jemand sie verstand, sie nicht beschimpfte, Angst vor ihnen hatte und alles taten was ihnen einen gewissen Status einbrachte um dieses neue Gefühl der Akzeptanz zu bewahren. ALLES. Dabei verloren sie allerdings auch den Blick für das, was sie taten. Ethik und Moral wurden, in der Akademie in der er ausgebildet worden war, nicht unterrichtet. Schuldig legte seinen Kopf aufs Bett, berührte mit seiner Wange die Hand des anderen Rotschopfes. Aya war für ihn immer noch so weit entfernt, obwohl er ihn berühren konnte. Doch Berührung würde Aya nur zulassen, wenn diese, in der von ihm gebilligter Form von Statten gehen würde… Aya sah ihn als Feind an und deshalb hatte Schuldig die unausgesprochene Erlaubnis ihn im Kampf zu berühren. Mit Schlägen, Tritten, Waffen, immer verletzend, immer schmerzend. ‚Wenn ich nur Schmerz von dir bekommen kann... wird es nur Schmerz sein, den ich mir von dir ersehne... die einzige Art der Berührung die du zulassen wirst.‘ Er spürte wie sein Herz schwer wurde. Warum nur machte er sich selbst solche finsteren Gedanken? Warum zog er sich selbst hinunter in das schwarze Loch das ihn verschlingen würde? Schuldig richtete sich wieder auf und schluckte seine Selbstvorwürfe und seine Zweifel hinunter. Früher hätte er anders reagiert, hätte sich genommen was er wollte, darum erbittert gekämpft, egal mit welchen Waffen oder Methoden. Doch wenn er nur einmal in seinem Leben etwas richtig machen wollte dann durfte er die gleichen Fehler nicht noch einmal begehen. Nicht bei ihm. Er lächelte sanft, als er Aya die Haare aus der Stirn schob. Fieber. Das würde eine lange Nacht werden, seufzte Schuldig in Gedanken. 6. Er sollte Recht behalten. Das Fieber war leider nicht so hoch, dass Aya brav alles befolgte was Schuldig ihm sagte. Nachdem die Wirkung der Tablette nachgelassen hatte war Aya wieder der Alte. Er wollte weder Kens Suppe, noch etwas trinken, knurrte sie alle nur an, machte Schuldig das Leben schwer und warf ihm bissige Blicke zu, wenn sich dieser nur näherte. So beschloss Schuldig das Feld vorerst zu räumen und überließ den Endfight Omi und Ken, die von ihrem Training gerade zurückkamen und mit Sicherheit noch etwas Energie hatten um Ayas mürrische Launen auszuhalten. Die erste Woche sollten sie überwiegend ihre körperlichen Fähigkeiten allein trainieren. Danach folgte der schleichende Übergang in das Partnertraining und den PSI – Unterricht. Die zwei unterschiedlichen Gruppen hielten sich soweit es möglich war voneinander fern, vermieden es an einem Ort zur gleichen Zeit zu sein. Schuldig hatte es sich zur Aufgabe gemacht – er wollte sich schließlich wenigstens etwas amüsieren – die anderen zu beobachten. Aya war nach zwei Tagen wieder oben auf und absolvierte bereits die erste, ihm gestellte Prüfung von Blutengel, ohne ersichtliche Einschränkung. Wobei Schuldig bezweifelte, dass der Rotschopf gejammert, oder sonst irgendwie geäußert hätte, dass er Schmerzen hätte. Schuldig führte wie Crawford Schussübungen durch, verfeinerte seine Wurftechniken und übte sich im Nahkampf mit seinen Langdolchen. Nagi musste sich Sprachcodes einprägen, Programme schreiben, ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärken, Schalttafeln studieren, Pläne ausarbeiten. Schuldig linste dem Jungen oft über die Schulter, verstand aber nur die Hälfte von dem was dieser von sich gab. Ken war meist mit Yohji beim Laufen und im Geräteraum. Omi war oft auf dem Schießstand, tüftelte an seinen Waffen herum oder erledigte, die ihm gestellten Aufgaben wie Nagi am Computer. Zusätzlich war er für die Hardware, ihre kleinen technischen Hilfsmittelchen in den Einsätzen verantwortlich. Nur einen sah Schuldig so gut wie gar nicht. Aya glich einem Schatten, wenn Schuldig morgens seinen Astralkörper aus dem Bett quälte, war dieser im Trainingsraum, oder an der frischen Luft und hatte sich bereits aufgewärmt. Nur um anschließend sein Schwert zu schnappen und sich irgendwo hin zu verziehen und einstudierte Bewegungsabläufe immerwährend zu wiederholen. Aya war, dem von Coldpain aufgestellten, Zeitplan meist um Längen voraus, sodass Schuldig ihn kaum zu Gesicht bekam. Kam Schuldig gerade in die Küche, verließ Aya sie gerade, beachtete ihn nicht. So ging es bis nach der ersten Prüfung, danach sollten sie die einzelnen Pläne langsam überlappen, bis die Paare zu den gemeinsamen Trainingseinheiten in denen PSI-Kräfte sowie Kampftechniken im fließenden Übergang trainiert wurden. Seit er Aya mit zweierlei Gefühlen entgegentrat, sich sein früheres Ich in Gegenwart des Rotschopfes wieder bemerkbar gemacht hatte, sah er den kommenden Wochen mit unguten Vorahnungen entgegen. Kapitel 5: Delta: Kalter Stahl ------------------------------ 7. Yohji kam aus dem Geräteraum, ein Handtuch um den Hals gelegt und war ganz zufrieden mit sich. Heute hatte er seine Prüfung bei Blutengel bestanden und sich auch schon für abends einen Freigang genehmigen lassen. Gespräche der vier über ihre Lage ergaben, dass sie wohl keine Wahl hatten, als sich zu fügen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als Blutengel zu folgen. Es hatte sich im Prinzip, verglichen mit ihrem vorherigen Leben, nicht viel geändert, nur dass sie ihre Freiheit noch mehr einschränken mussten. Ein Umstand, der ihn fast um den Verstand brachte. Dass er mit Crawford zusammenarbeiten musste war, ein großes Problem für ihn. Er könnte kotzen, wenn er an diese unumstößliche Tatsache dachte. Wie zur Hölle sollte er mit dieser Ratte auskommen? Das ging nun wirklich über sein Begriffsvermögen hinaus. Ihr Verhältnis zueinander war von provozierenden, herablassenden und spöttischen Bemerkungen geprägt und Yohji wartete nur darauf bis sich die Spannungen endlich entladen würden. Er war jedes Mal kurz davor dem Bastard eine reinzuwürgen. Heute Abend würde er sich volllaufen lassen, sich ein hübsches Mädchen krallen und bestimmt nicht vor morgen früh wieder hier auftauchen. Er stolzierte in die Küche, ein kleines zufriedenes, vorfreudiges Lächeln auf den Lippen, schnappte sich eine Wasserflasche und stürzte sich den halben Inhalt die lechzende Kehle hinunter. Omi kam herein, als er einen hungrigen Blick in den gut gefüllten Kühlschrank warf. Der Cateringservice den Blutengel engagiert hatte und der ihnen, durch Nagis online Bestelllisten, ihre Lebensmittel an den Rand des Aversionsschildes brachte, hatte mal wieder alle Register gezogen. Mit sehnsüchtigem Blick schloss er die Tür des wuchtigen, stahlverkleideten Designerkühlschranks. Darüber würde er sich allerdings später hermachen, zunächst galt es Omi etwas aufzumuntern, der sich mit sorgenvollem Gesicht an den Tisch setzte und Yohji stumm ansah. Oh Man! So kannte er den Kleinen nicht, und so wollte er ihn auch gar nicht kennen... Der Kleine tat ihm leid, Coldpain war zwar keiner ihrer Erzfeinde. Er ließ Omi in Ruhe, doch die ständige, omnipräsente Gefahr, die von ihm ausging, war nicht von der Hand zu weisen. „Was ist los Omittchi?“, gebrauchte Yohji den verhassten Spitznamen. So oft hatte er den Jungen damit aufziehen können, doch seit sie hier in dieser Enklave waren, hatten sich die Bande zwischen ihrer Gruppe distanziert. Sie waren alle angespannt, belauerten sich gegenseitig, waren auch nicht fähig, sich über alltägliche Dinge zu unterhalten, also gingen sie sich aus dem Weg. Alltägliche Dinge? Über was sollten sie sich unterhalten? Hier gab es doch nichts außer der hintergründigen Gefahr, die ihnen ständig auflauerte, wie ein bedrohlicher Schatten in Form der Schwarzkiller. Ihre Zeitpläne waren so eng gesteckt, dass Yohji gerade Zeit fand etwas zu Essen, oder sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen zu stecken. Beließ er es bei Zweitem, merkte er schnell, dass er so zu keinerlei Leistung fähig war. Fernsehen oder sonst etwas zur Ablenkung, zur Entspannung blieb ihnen verwehrt, sie hatten schlichtweg keine zeitlichen Ressourcen. Omi setzte sich an den Tisch, sich die blonden, leicht überlangen Strähnen, aus der Stirn fahrend, und blickte Yohji verzweifelt aus seinen kornblumenblauen Augen an. „Morgen muss ich mit Coldpain Nahkampfübungen machen“, sagte er tonlos. Yohji lehnte sich gegen die Wand neben dem Kühlschrank, die kleine Flasche Wasser noch immer in der Hand. „Ich verstehe“, das war nun nicht unbedingt eine Hilfe, Yohji, sagte er sich selbst Doch was sollte er ihm schon groß sagen... Omi, alles halb so schlimm! Wird schon werden! Das war doch alles Blödsinn. Der Junge hatte Recht damit, vor Coldpain Angst zu haben. Der Typ konnte Omi mit bloßem Körperkontakt töten. Und morgen hatten sie Nahkampf auf dem Plan stehen. Wie sollte der Kleine sich schon fühlen? Da halfen auch irgendwelche Phrasen nichts. Schweigend sahen sie sich an, bis Omi eines seiner, unerschütterlichen Lächeln hervorzauberte, wo auch immer er diesen riesigen Vorrat in seinem Inneren aufbewahrte, er musste unerschöpflich sein. Yohji erwiderte es, doch er spürte schon, dass es seine Augen nicht wirklich erreichte, es nur aufgesetzt war, erzwungen um Omi nicht allein lächeln zu lassen. Er ging zu dem Jungen, und wuschelte ihm einmal kurz durch die Haare, eine Geste, die Omi auf die Nerven ging, doch diesmal ließ er es zu, auch als Yohji ihn umarmte, sagte er nichts, drückte sich im Gegenteil enger an den Älteren. „Wir schaffen das schon Kleiner“, murmelte Yohji, kraulte leicht durch Omis Haare. „Hmm... wo ist Aya?“ Yohji ließ ihn wieder los, zuckte ratlos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vermutlich hat er sich irgendwo verkrochen um Schuldig nicht sehen zu müssen. Ich frag mich sowieso, wie die beiden ein Team bilden sollen, bei dieser ‚außerordentlichen‘ Antipathie...“ Omis Mund verzog sich leicht missbillig. „Das frag ich mich bei uns allen Yohji, nicht nur bei den beiden. Allen voran du und Crawford.“ „Weshalb denn das? Ich meine, dass Schuldig und Aya ein viel schwierigeres Team abgeben werden“, murmelte er, fast schon beleidigt. Na klar, Crawford und er hassten sich wie die Pest, aber konnte er sich nicht zusammenreißen? War es so offensichtlich? „Im Gegensatz zu Aya gehst du deinem Partner nicht aus dem Weg. Du steckst ständig in irgendeinem verbalen Schlagabtausch mit Crawford. Sei vorsichtig Yohji. Diese kalten Augen... sie sind berechnend.“ Omi schien sich wirklich Sorgen zu machen. „Hey! Ich bin kein Anfänger! Dem Hundesohn werde ich´s schon zeigen, keine Sorge Süßer.“ Omi schien nicht wirklich überzeugt zu sein, also schob er eines seiner üblichen Herzensbrecherlächeln Marke Aufriss hinterher und präsentierte den altbekannten Yohji, der mal wieder auf Ärger mit ihrem Chibi aus war. Es wirkte. Omi verdrehte die Augen, jedoch mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Na also, so gefällst du mir schon wesentlich besser, Chibi!“ „YOHJIII!“, quietschte Omi vorwurfsvoll, weiteren Verniedlichungen Einhalt gebietend. Yohji verzog gespielt schmerzhaft das Gesicht, und rieb sich über das rechte Ohr. „Ähhh, hör auf meinen Namen so zu verunstalten, das Gequietsche hält ja keiner aus...“, ächzte er malträtiert und nahm auch prompt Reißaus. Omis Augen verengten sich in bester Killermanier und er setzte zur Verfolgung an. Weit kamen sie nicht, da ihnen Ken im Weg stand und Yohji dadurch leicht ins Straucheln kam, der gläserne Fußboden sein Restliches tat, er sich der Länge nach hinlegte und alle Viere von sich streckte. Ken und Omi konnten sich kaum noch zurückhalten vor Lachen, als Yohji ihnen einen leicht belämmerten Gesichtsausdruck von seiner Position her zuwarf. Als er sich jedoch aufrappelte, war es zu spät. Die Dämme brachen und schallendes Gelächter füllte den großen Raum. Er konnte nicht anders und schlussendlich lachte er mit. Auch wenn es seine ungraziöse Kür war, die dieses befreiende Lachen ausgelöst hatte, es tat verdammt gut, und es war schön, die anderen beiden endlich wieder wie früher zu sehen. „Ich würde sagen, das gibt eine äußerst miserable Haltungsnote Yohji!“, prustete Omi noch immer. Ken – der Verursacher - wischte sich gerade die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Na, aber immerhin war der Ausdruck und die Kreativität unvergleichlich!“ Yohji streckte ihnen die Zunge raus und machte sich auf in sein Zimmer, das im Westflügel lag. Er hatte noch immer ein Grinsen im Gesicht, als er duschte. Diese kleinen Scherzkekse. Schadenfreude war doch immer noch die schönste Freude. Vielleicht sollte er sich öfter schwungvoll auf den Boden legen, oder sonst irgendwie möglichst lächerliche Aktionen bringen, wenn es diese Wirkung hatte. Seit sie auf der Flucht gewesen waren, hatten sie nicht mehr so ruhig und... ja... sicher... war es wirklich Sicherheit, die sie hier hatten? War es tatsächlich so? Trotz der aufgezwungenen Lage, konnten sie sich hier sicher fühlen... Yohji blickte auf die Uhr während er sich fertig machte. Sein Kleiderschrank gab nicht viel her, er hatte nur zwei Taschen in seinen Wagen geladen, den Rest hatten sie zurück lassen müssen. Aber zumindest waren es seine Lieblingsklamotten. Er zog sich eine schwarze Hose an, streifte sich ein dunkelrotes, enges Shirt über und schnappte sich im Vorbeigehen seine schwarze Wildlederjacke. Ein kurzer prüfender Blick in den Spiegel sagte ihm, dass er besser aussah als noch vor zwei Wochen, als sie von einem Ort zum anderen getingelt waren. Im Wohnraum angekommen, erwartete ihn scheinbar schon Crawford, der mit verschränkten Armen und sezierendem Blick in der Tür zum Flur stand. Yohji übersah ihn bewusst, ging an ihm vorbei und strebte den Weg zu den Garagen an. Er knipste das Licht in dem kühlen Raum an, das auch schon mit einem kleinen Surren ansprang und wollte sich gerade zu seinem heißgeliebten Wagen begeben, als er auch schon Schritte hinter sich hörte. Die metallene Tür wurde aufgerissen und Crawford stand im Rahmen. „Willst du mit?“, fragte Yohji ironisch, machte Anstalten das Garagentor elektrisch zu öffnen. „Du wirst hier bleiben“, hallte Crawfords eiserne Stimme durch den weitläufigen Raum. Yohji, gab unterdessen in aller Seelenruhe den Code für das Öffnen des Tores ein, äußerlich täuschend ruhig, innerlich kochend vor Zorn. Er drehte sich um und erkannte, dass Crawford sich unterdessen geschickt positioniert hatte um ihn daran zu hindern, an seinen Wagen zu kommen. „Was willst du eigentlich?“, herrschte Yohji ihn nun an, er spürte wie Hass in ihm aufstieg, der sich in seinen grünen Augen widerspiegelte. „Blutengel hat dich gehen lassen?“ „Ja, verdammt! Und jetzt mach dich vom Acker“, giftete Yohji leise, setzte noch ein „Bastard“, nach und wollte an Crawford vorbei, der ihn unsanft am Oberarm packte und ihn zurückriss. „Du wirst warten. Erst morgen.“ Sagte er drohend, die emotionslosen Augen aus dem arroganten Gesichtsausdruck herausstechend. Yohji riss sich los, gab Crawford einen Schlag vor die Brust. „Bastard! Einen Dreck werde ich! Du hast hier nichts zu melden!“, schrie Yohji außer sich. Wut brandete in ihm auf und schlug einer Welle gleich über ihm zusammen, ließ alles fahren was rational war. Crawfords Augen verengten sich zunehmend, dessen ungeachtet brüllte Yohji jedoch weiter, stachelte die gärende Wut in dem anderen Killer mehr und mehr an, ohne sich dieses Umstandes voll bewusst zu sein. „Du Arsch! Du verdammter Scheißkerl, lass mich vorbei.“ Yohjis leicht gewellte Haare hingen ihm wild ins Gesicht, die grünen Augen glimmten hitzig im düsteren Licht der Garagenbeleuchtung. Vereinzelte Strähnen hafteten an den aufgeheizten Wangen. „Du wirst bis morgen warten.“ Befahl Crawford mit drohendem Tonfall, der jedem anderen gesagt hätte, dass das Maß voll war und jeder zusätzliche Tropfen es zum Überlaufen bringen würde. Yohji dagegen war für derlei Beobachtungen schon viel zu weit in seiner Rage fortgeschritten, als dass es ihm möglich gewesen wäre, die Warnung in den dunklen Iriden wahrzunehmen und Crawford Folge zu leisten. Sein Stolz, der erschwerend hinzu kam, hätte niemals zugelassen, sich dem Befehl des Anderen zu beugen. Er machte einen weiteren Schritt auf den größeren Mann zu, dessen Körperhaltung Yohji hätte warnen sollen. Ihm hätte die Anspannung des Kiefers, die geballte Faust oder das gefährliche Glitzern in den hellbraunen Augen signalisieren müssen wie selbstmörderisch seine Handlung gerade war. Doch seine Wahrnehmung beschränkte sich auf die visuellen Reize, die die bedrohliche Stimme von Crawford gar nicht zu ihm durchdringen ließ. Yohji sah den selbstgefälligen Blick, den Mund, der sich zu einem spöttischen Lächeln verzog, Beobachtungen, die ihn in seiner Meinung über Crawford nur weiter bestätigten. Die sich sein Ego herausfilterte um ein Anrecht auf den brodelnden Zorn, seine Aggressivität zu haben. Die angestauten Emotionen der letzten Woche stachelten in zusätzlich an, machten ihn taub für die Worte. Er machte noch einen Schritt, wollte an Crawford vorbei, um zu seinem Auto zu gelangen. Ohne Vorwarnung schlug ihm dieser seine Faust in den Oberbauch. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, sein Zwerchfell kapitulierte, ob dieser schmerzhaften Reizung und Yohji stieß ein heiseres Krächzen aus, dass einem Husten ähnelte. Seine Knie knickten ein, doch noch bevor er den Boden erreichte wurde er grob an seinen Oberarmen gepackt und gegen die nächste Wand gedonnert. Schwarze Punkte, gemischt mit gelben Flecken tanzten vor seinen zusammengekniffenen Augen, dumpfer Schmerz breitete sich in dem malträtierten Areal aus. Schraubstockartig legte sich eine Hand um seinen Kiefer, als er die Augen einen Spalt breit öffnete. Er spürte den schmerzhaften Druck der von Crawfords Daumen auf seinen Kehlkopf ausgeübt wurde. Seine Hände schnellten hoch, versuchten sich aus der Umklammerung zu befreien, fuhren jedoch immer zielloser umher, als die Finger stetig ihren Radius verengten. Schmerzhaft eng war sein Brustkorb geworden, Schwärze breitete sich vor seinen Augen aus, auf seiner Zunge spürte er einen seltsamen Geschmack, der ihn an eine einsetzende Bewusstlosigkeit erinnerte. Er hörte seine eigenen, röchelnden, jedoch zwecklosen Versuche, Luft in seine Lungen zu ziehen wie aus weiter Ferne. Es rauschte und dröhnte in seinen Ohren, unnatürlich laut hörte er seinen eigenen Puls in schneller Schlagfolge, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Doch nicht der Teufel selbst, sondern nur sein Abgesandter, ein Dämon mit dunklen, schwefelgelben Augen hatte seine Klauen um seinen Hals gelegt und drückte mit kalkulierter Brutalität zu. Kraftlos sank Yohjis Kopf nach vorne als der Griff sich lockerte, sein Körper sich seiner Kontrolle entzog. Er war nicht bewusstlos, nein, doch sein Verstand schwebte auf der Schwelle, konnte sich nicht entscheiden, zwischen der erlösenden, Zuflucht bietenden Dunkelheit und seiner gegenwärtig, hilflosen Lage. Kurzfristig seiner Stütze beraubt schwankte er mit dem Oberkörper leicht nach vorne, als er auch schon den Boden unter den Füßen verlor und er wie ein lebloser Körper über Crawfords Schulter gelegt wurde. Yohji stöhnte vor Schmerz auf, als sich die Schulter in seine schmerzempfindlichen Organe bohrte, die zuvor bereits Bekanntschaft mit Crawfords Faust machen durften. „Du wirst heute hier bleiben“, hörte er die kalten Worte. Trotz seiner Niederlage, oder gerade deshalb, schrie alles in ihm nach Rebellion, als er den Sinn der Worte erfasst hatte. Durch diesen aufrührerischen Gedankenfetzen angespornt regte sich, auch schon wieder seine Lebensgeister und Yohji stemmte sich bereits gegen seinen Gegner, als er plötzlich mit einem Ruck abgeworfen wurde. Eine mittelharte Matratze federte seinen Aufprall ab. Dennoch lag er zunächst etwas unsortiert da und versuchte sich erst auf seine Atmung zu konzentrieren, die durch den vorhergehenden Angriff und den unwürdigen Transport etwas eingeschränkt gewesen war. Er schluckte und verzog das Gesicht vor Schmerz, als ihm dieser Vorgang wieder schmerzhaft in Erinnerung rief, dass sich nur wenige Minuten zuvor Crawfords Finger um seine Kehle gelegt hatten. Reflexartig fuhr seine rechte Hand an seinen Hals, befühlte vorsichtig die geplagte Region und er durchsuchte mit hassverzerrtem Blick den Raum nach dem Verursacher. Crawford stand mit verächtlichem Gesichtsausdruck vor dem Bett, blickte auf ihn herab, als wäre das die einzige Position in der er Yohji für angemessen hielt. „Hast du es so nötig? Brauchst du es derartig dringend?“ Crawford verzog angewidert das Gesicht, sah auf ihn, als wäre Yohji nicht mal wert, dass man auf ihn spukte. „Leck mich!“, zischte Yohji, seine Stimme rau und angegriffen. Crawfords Blick verfinsterte sich wieder, ein eiskaltes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Zu was bist du gut, Kudou? Zum Ficken?“ Crawford war so schnell über ihm, dass er kaum Gelegenheit hatte, selbst, an eine Flucht zu denken, geschweige sie denn auch erfolgreich durchzuführen. Die Finger schmerzhaft in seine Haare vergraben, wurde Yohjis Kopf nach hinten gezogen. Seine Hände abwehrend gegen Crawfords Brust gepresst, kniete dieser über ihm, seinen Kopf mit der Linken haltend, eine automatische Waffe in seiner Rechten. Yohji bekam Panik, seine Atmung drohte auszusetzen, als er in Crawfords Gesicht blickte, dessen Augen ein irres Leuchten besaßen. Yohjis Atmung setzte stockend wieder ein, eine Mischung aus tiefer Bauchatmung und einer oberflächlichen, hektischen Brustatmung, das Einzige was ihm in dieser Lage den nötigen Sauerstoff verschaffte. Er hörte die Worte, die der Ältere leise und rau sagte. „Hättest du gern den Lauf einer Knarre in deinem vorlauten Mund?“ Yohji wollte schlucken, doch die Überstreckung seines Kopfes verhinderte dies und er keuchte zunehmender, als die Angst ihn zu überwältigen drohte. Er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, konnte nur noch auf den Lauf der Waffe blicken die Crawford ihm an die Lippen hielt. Angespannt presste er seine Zähne zusammen, als er das kühle Metall an seinen zitternden Lippen spürte, sein ganzer Körper war verkrampft, seine Finger krallten sich mehr und mehr in Crawfords Hemd. Speichel sammelte sich in seinem Mund, während die Sekunden verrannen, als wären es Stunden. Sein Oberkörper lag nicht auf dem Bett auf, wurde durch Crawfords abgewinkeltes Knie gehalten, sein Kopf weiter in den Nacken gezogen. Speichel rann Yohji über die Wange, da er unfähig war ihn zu schlucken. Die Angst trieb ihm die Tränen in die Augen, ließ seinen Blick verschwimmen, ein gequältes und kapitulierendes Schluchzen von sich gebend, gestand er seine erneute Niederlage ein, löste seine Finger aus Crawfords Kleidung und wurde ruhiger. Erniedrigt. Sinnlos. Dieses stumme Einlenken annehmend, nahm Crawford die Pistole wieder weg, wischte mit der Außenseite der Waffe den Speichel von seiner Wange und ließ ihn nach einem siegessicheren Lächeln achtlos fallen. Verloren. 8. Crawford löschte das Licht des Raumes, warf einen letzten, resignierten Blick auf die reglose Gestalt Yohjis auf dem Bett, während er die Tür öffnete und sich mit Blutengel konfrontiert sah. Er schloss die Tür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen, die unausgesprochene Anklage im Blick seines Gegenübers registrierend. „Musste es sein?“, fragte ihn Blutengel. Crawford überlegte einen Moment, bevor sein kalter Blick etwas abschwächte, seinem Gesicht einen etwas milderen Ausdruck verlieh. „Du hast es ‚mitverfolgt‘“, stellte er fest. Blutengel nickte, ließ ihn nicht aus seinen hellbraunen Augen, deren Farbton nur um eine Nuance heller wirkte als Crawfords. „Gesehen und gefühlt. Meinst du es wird ihn davon abhalten?“ Leise Zweifel schwangen in der dunklen Stimme mit. „Bis jetzt sehe ich noch keine Änderung. Du blockst meine Fähigkeiten mit deinem Schild nach wie vor.“ „Genau wie Schuldig ist er sehr labil. Schuldig ist jedoch weitaus schwieriger zu lenken, als Yohji. Er ist ein Risiko. Die Instabilität beider zusammengenommen, könnte uns den Kopf kosten. Aya und du, ihr seid die einzigen kompatiblen Partner, die sie unter Kontrolle halten können.“ Er überlegte einen Moment, ein harter Zug legte sich um die weich aussehenden Lippen. „Wobei ich mir bei dir, nach der gerade eben erlebten Szene, nicht mehr so sicher bin. Du bist regelrecht ausgetickt. Für eine winzige Sekunde hattest du dich nicht mehr unter Kontrolle, Bruder. Etwas, dass ich von dir nicht gewohnt bin.“ Crawford wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. „Wir haben uns auch schon länger nicht mehr gesehen“, sagte er tonlos und blickte, in das ihm, so ähnliche Gesicht. „Stimmt. Trotzdem Brad. Du weißt, wie gefährlich es sein kann für uns, die Kontrolle zu verlieren. Reiß dich zusammen.“ Blutengel sah ihn ernst an. Crawford zog fragend eine Augenbraue hoch, sein Blick drückte kurz Verwirrung über die eindringlichen Worte aus. Als er sich in sein Zimmer aufmachte, war sein Blick jedoch wieder ausdrucksloser Kälte gewichen. Er sah kurz aus dem Fenster, als er über die Freitreppe, die aus einer Stahlkonstruktion bestand, zu seinen Räumen ging, die auf der Ostseite des kreuzförmigen Komplexes lagen. Die Dämmerung setzte ein, es hatte aufgehört zu regnen und leise strichen die Äste des angrenzenden Baumes, durch den milden Wind animiert, an die östliche Hauswand. Crawford öffnete die Balkontüren weit, ließ die kühle Abendluft in sein Zimmer. Er setzte sich in seinen schwarzen Ledersessel, überschlug die Beine und wartete. Er wartete darauf, dass Yohji sich aus dem Haus schlich, die Uhr immer im Blick. Nach zwei Stunden, stand er auf, wechselte seine Kleidung, schloss in aller Ruhe die Balkontüre, warf noch einmal einen Blick auf die Uhr und machte sich auf den Weg nach unten ins Untergeschoss. Im Trainingsraum angekommen, der einzige Ort an dem er seine Fähigkeiten ungehindert einsetzen konnte, setzte er sich in die Mitte des Raumes und wartete auf eine Vorhersehung. Wenig später verließ er das Haus, der schwarze Sportwagen raste über den Kiesweg der Auffahrt und zog breite Reifenspuren hinter sich. 9. Kurze Zeit danach... Der Club, voller Lärm und dunstiger Schwaden aus der Nebelmaschine, war erfüllt von erhitzten Leibern, dicht gedrängt standen sie um die Tanzfläche, beobachteten, sezierten, loteten die Möglichkeiten aus. Harte Trommeln, tiefe Bässe und die aggressive Stimme des Sängers, die durch die Boxen dröhnte, übertrugen sich auf die tanzenden, verwandelten das Areal zu einem brodelnden Hexenkessel. Heizten die ohnehin schon erhitzten Körper noch mehr an, verbrannten Kalorien, verbrauchten Flüssigkeit, die sie wenig später mit alkoholisierten Getränken wieder auffüllten. Yohji gab sich der Musik hin, ließ sich treiben, seinen Körper die Kontrolle übernehmen, verdrängte den noch immer tiefsitzenden Schock, über Crawfords Attacke vor wenigen Stunden. Schlussendlich hatte Yohji gewonnen, seinen Willen durchgesetzt. Zu keinem Zeitpunkt hatte er verstanden warum Crawford zu dermaßen ausgeflippt war. ‚Zu was bist du gut, Kudou? Zum Ficken?‘ Dieser Satz war ihm ständig auf der Herfahrt durch den Kopf gegeistert. Es war nicht der Sex, den er so dringend gebraucht hatte. Gut, er wäre natürlich nicht abgeneigt, doch es war vielmehr die Enge, das Eingesperrtsein, das ihn fast den Verstand geraubt hatte. Die bestandene Prüfung nutzend um sich von Blutengel einen freien Abend, oder besser eine freie Nacht zu wünschen, war für ihn das einzige Ziel gewesen. Crawford sollte sich zum Teufel scheren, wenn er ihm diese Belohnung verwehrte. Das war schlimmer als bei Weiß. Er fühlte sich eingesperrt, wie ein Tier, unfähig sich auszustrecken, seine Arme auszubreiten und das pulsierende Leben zu umarmen. Es in all seinen schillernden Farben in sich aufzunehmen. Er wusste nicht wie lange er getanzt hatte, ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass es mehr als zwei Stunden her sein musste, dass er den Club betreten hatte. Zeit sich endlich etwas zulaufen zu lassen. Er schob sich durch die dicht gedrängte Menge, denn der Nachtclub war gut besucht, suchte sich einen freien Platz an der Bar und wartete bis ein Barkeeper auf ihn aufmerksam wurde. Einer rothaarige Barkeeperin, die ihn leicht gestresst ansah, brüllte er seinen Wunsch entgegen und rang ihr sogar mit einem entwaffnenden Lächeln ein Grinsen ab. Sie schob ihm seinen Drink nach ein paar Minuten mit einem Zwinkern zu und wandte sich dem nächsten Durstigen zu. Yohji lehnte sich an eine Wand, in einer Hand seine Flasche, ließ den Blick schweifen und sortierte die Angebote die ihm mit Blicken gemacht wurden nach Alter, Aussehen, Geschlecht und seinem Geschmack. Nach zwei weiteren Drinks, hatte er sich die Richtige ausgepickt und hielt gerade mit ihr in die abgedimmte chillout-Zone zu, in der leisere Musik gespielt wurde. Sie war hübsch, hatte kurzes schwarzes Haar, das wild mit Gel und Haarwachs in alle Richtungen stand, war nur mäßig geschminkt und hatte ein offenes Lachen. Ihre Augen sagten ihm, dass sie sich nicht mehr und nicht weniger, als er von dieser Nacht versprach. Und die Kleine wusste was sie wollte. Yohji fand sich auf einer schon etwas zerschlissenen Couch gedrückt vor, das Mädchen über ihm, verstrickte ihn in einen heftigen Zungenkuss. Das lief doch sonst immer anders ab..., dachte er zusammenhanglos. Das Mädchen, das Mei hieß heizte ihm gehörig ein und bald saß sie rücklings auf seinem Schoss, seine Hand auf ihrem Hintern platziert, ihre kroch gerade unter sein dunkelrotes, enges Shirt, seine Flanke entlang. Sie löste sich von seinen Lippen und sah ihn mit ihren dunklen braunen Augen an. „Kommst du mit? Nach draußen? Ich brauch frische Luft“, flüsterte sie ihm kehlig in sein Ohr, ließ ihre Zunge kurz darüber streichen. Yohji grinste, stand auf und hob sie gleichzeitig von seinem Schoß. Sie gingen auf die Rückseite des Gebäudes, Richtung Parkplätze. Yohji registrierte nur am Rande, dass die Kleine ihn führte, ihn lockte mit ihrer heißen Zunge, ihrem brennenden Blick, den kirschroten Lippen. Doch er verdrängte das Gefühl von Argwohn, einer inneren Vorahnung zugunsten der, einladenden Arme, die ihn an die Mauer zogen, wo sich das Mädchen nun anlehnte, ihren Kopf in den Nacken legte und ihn auffordernd aus halbgesenkten Lidern anblickte. Er kam der Aufforderung nur zu gern nach, nahm ihren Mund in Besitz, als wäre er ausgehungert, hungerte nach dieser Art von Gefühl von Wärme, das durch seinen Körper strömte, auch wenn es nur kurz war. Es nur eine flüchtiges Abbild dessen war, was er sich erhoffte, erwünschte. Nicht in diesem Leben, nein in diesem Leben würde er sich keiner Illusion mehr hingeben, sich nur das nehmen was er bekam, es genießen und nicht zurück blicken. Wenn man nichts in seinem Herzen bewahrte, konnte man auch nicht bestohlen werden, konnten diese Diebe einem auch keinen Schmerz mit dem Verlust zufügen. Doch hatte die Diebin, die ihm sein Herz gestohlen hatte, es ihm jemals zurückgegeben? Ohja, sie hatte. Nur einen kleinen Teil, ein winziges Stück war ihm geblieben, nur leider hatte sie ihm das falsche Teil zurückgelassen, lediglich einen kleinen, verkümmerten müden Abklatsch dessen, was er einmal besessen hatte. Dunkel, schwarz und klein, aber schmerzlos ohne Gefühl und kalt. Wollte er es denn wieder? Diesen anderen Teil, der mit ihr gegangen ist, als sie starb? Wenn man nichts besitzt, kann es einem auch nicht wieder genommen werden. Wenn man ein Gefühl nicht kennt... wieso sollte man es vermissen? Doch er kannte es... und er vermisste es... er wollte es zurück... auch wenn es wehtat.... Wenn man die Liebe nicht kennt... weshalb sollte man sie vermissen? Er vermisste sie... verdammte sich dafür, dass ihn dieses Gefühl verlassen hatte... warum hatte sie es nur mitgenommen? Warum hatte sie ihn so völlig leer zurückgelassen? Noch immer... so leer und ausgebrannt... Erschöpft und verätzt... von den Träumen, die ihn nicht losließen, Dämonen, die ihn mit ihren anklagenden, hämischen Blicken verfolgten, ihm keine Ruhe gönnten, keine Pause in seinen Selbstvorwürfen, seiner Selbstanklage. Er löste sich leicht von den Lippen des Mädchens, blickte ihr in die dunklen Augen, suchte die unausgesprochene Antwort auf seine stumme Frage. Schenk mir Wärme, schenk mir Ablenkung, lass mich in dir ruhen, nur für kurze Zeit, nur für eine Nacht... Nimm mich auf, lass mich in dich, hüll mich ein, mit deinem Körper, mit deinem Geist mit deiner Seele... nur für kurze Momente... gib mir das Gefühl, nur für einen Augenblick, dass ich lebe. Kalte Seele, zähes Blut... ...schwarzes Herz, das mich ersticken lässt. Hassende Seele, falsches Lächeln... ...rotes Licht, das mich vergessen macht. Gebrochene Seele gefangener Geist... ...eisiger Schmerz, der mich zurückbringt. Verletzte Seele, sündiger Körper... ...leere Hülle, die mich versklavt. Einsame Seele, geprüfte Maske... ...vergiftetes Grün, das mich schützt. Lichte Seele, dunkle Liebe... ...silberne Hoffnung, die zu mir zurückkehrt... 10. Der schwarze Jaguar fegte über die Schnellstraße, als wären die Höllenhunde hinter ihm her. Crawfords Augen immer wieder auf seine Uhr gerichtet, sich wiederholt bestätigend, dass er noch genügend Zeit hatte. Die Zeit... Wie er sie hasste. Sie benutzte, versklavte ihn. Ließ ihn sehen was kam, was kommen würde, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Doch er hatte gelernt. Ja, er hatte den Spieß umgedreht, er wusste wie er sie überlisten konnte. Und manchmal gelang es ihm auch etwas im Verlauf der Zeitlinie zu ändern. Doch heute hatte er versagt, zu lange gewartet, zu nachsichtig war er geworden. In diesem harten Geschäft, hatte er heute den Kürzeren gezogen, denn seine Geschäftspartnerin war eiskalt, ohne Gefühl, wollte man mit ihr arbeiten, musste man sich anpassen. Nur diesmal war es, als wollte sie nicht lockerlassen, sie hatte sich festgebissen, ließ sich nicht von ihm beeinflussen wie sonst. Selbst eine minimale Veränderung der Zeitlinie schreckte sie nicht ab, egal was er unternommen hatte, es gab immer das gleiche Resultat. Sie war stur heute. Sehr stur. Doch er würde sich diesmal von ihr nicht ins Handwerk pfuschen lassen. Es war wie ein Wettlauf, gegen sie, den er gewinnen musste, als fordere sie einen Beweis seines Könnens. Und die Belohnung, die ihn erwartete war von allerfeinster Qualität. Sie wusste das, sie arbeitete deshalb so vehement gegen ihn. Er drosselte sein Tempo, als er am Stadtrand ankam, riskierte einen weiteren Blick auf die Uhr, die Zeit, die gegen ihn arbeitete, zwischen seinen Fingern verrann. Es war seine Beute und er würde sie sich nicht wegnehmen lassen – von keinem. Eine weitere halbe Stunde später kam er an einem Bürogebäudekomplex an. Er fuhr seinen Wagen an den Rand, zog den Schlüssel ab und ließ die Tür leise zufallen. Während er lederne Handschuhe überstreifte orientierte er sich in der Gegend. Ein Hochhaus neben dem anderen, dunkle Einfahrten, schmale Aufgänge, diffuse Straßenbeleuchtung. Er nahm einen der Aufgänge in näheren Augenschein, suchte nach Yohjis Wagen... und da sah er den Seven auch schon, in einer dunklen Seitenstraße stehen – samt dem Besitzer. Crawfords Augen verdüsterten sich, die Lippen zu einem angewiderten, schmalen Strich zusammengepresst. Er sprang über das Geländer des Aufganges, landete weich im Gras und ging ohne einen Laut zu verursachen auf das nun Realität gewordene Bild seiner Vision zu. Yohji kniete auf dem Boden, mit dem Rücken und dem Kopf an seine Wagentür gepresst. Seine Handgelenke von einem Mann über seinem Kopf festgehalten und an die Scheibe des Wagens gedrückt. Der Mann hielt Yohji den Lauf einer Waffe in den Mund, redete mit hämischem Grinsen auf ihn ein. Crawford registrierte zwei bewegungslose Körper neben dem Auto liegen. Sie waren uniformiert, hatte alle das gleiche an, Einsatzkleidung der Akademie. Der Typ, der Yohji bedrohte, trug sie auch, die Waffe war im Moment entsichert, meldete sein Verstand, als er sich mit stoischer Ruhe weiter näherte. Er musste nur darauf achten das weder Yohji ihn sah, oder sich sein Spiegelbild auf dem Seven verriet. „...sag mir wo die anderen sind...“, hörte er den Killer. Yohji würgte nur, als sich die Waffe weiter in seinen Mund schob, Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen, seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Atmung ging stoßweise, Crawford konnte förmlich spüren wie er die Panik in seinem Inneren, die sich zweifellos in den grünen Augen widerspiegelte zurückzuhalten versuchte. Er musste schon länger in dieser Position verharren, bemerkte Crawford, als er eine Leiche mit dem Fuß antippte und die leichte Starre, die Steifheit spürte, sie wies Spuren von Yohjis Draht auf. Er näherte sich von hinten seinem Gegner, legte die linke Hand an dessen Oberkopf, die Rechte auf die andere Seite und brach ihm mit der erlernten Technik und einiges an Kraft das Genick. Das grausame Knacken der Halswirbel, das Durchtrennen der lebensnotwenigen Nervenbahnen ließ den Körper schlaff werden und zusammenbrechen. Crawford fasste blitzschnell die Waffe, die der Tote noch während seines Falles in der Hand hatte, entfernte sie vorsichtig aus Yohjis Mund, sicherte sie und legte sie neben den Toten. Yohji starrte ihn aus weit aufgerissenen grünen wässrigen Augen an, unfähig etwas zu sagen, oder sich zu bewegen. Die Arme hingen an seinen Seiten herunter, als gehörten sie nicht zu seinem Körper, die Haare klebten an den tränennassen Wangen, kein Laut löste sich aus seiner Kehle. Die blassen Lippen bebten, als sich seine blicklosen Augen klärten, Crawford fokussierten, begriffen, wer da vor ihm gerade in die Hocke ging. Yohji schüttelte ungläubig leicht den Kopf, als wollte er nicht einsehen, das Crawford es war der ihn aus dieser grauenhaften Situation gerettet hatte. Crawford beobachtete einen weiteren Moment die zitternde Gestalt vor sich, das jammervolle Bündel vor sich, das sein Preis war. Er hatte das Wettrennen gegen die Zeit gewonnen, war rechtzeitig gekommen und hatte ihr die Beute vor der Nase weggeschnappt. Ein siegessicheres Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ohne, dass es ihm bewusst war. Nur das verstärkte Zittern seines Gegenübers und der gebrochene Blick aus den katzenhaften Augen holte ihn aus seinen Gedanken, ließ sein Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske werden. „Steh auf. Wir gehen.“ Sagte er und wartete geduldig, bis sich sein Befehl zu Yohjis Verstand durchgeschlagen hatte. Doch die Extremitäten wollten nicht so recht, trotz aller Mühe sackte Yohji immer wieder zusammen, versuchte krampfhaft immer wieder die gleichen Bewegungen, ohne sichtlichen Erfolg. Crawford durchschaute Yohji, versuchte dieser doch lediglich seine Fassung zu bewahren, sein letztes Restchen Stolz für sich zu behalten. Der Schwarz-leader schob sich etwas die Brille zurecht und beschloss dem ein Ende zu bereiten. Er zog Yohji an sich, hielt ihn fest und stand langsam mit ihm auf, stellte ihn auf seine Beine. Er spürte das heftige Zittern des Anderen, die unterdrückten Schluchzer, das leichte Beben der Schultern. Yohji konnte sich kaum auf den Beinen halten, die Knie knickten immer wieder ein, zu schwach war sein Körper. Zu sehr war sein Geist mit der Situation beschäftigt, mit der Bekämpfung des Chaos im Inneren um sich den Körper Untertan zu machen. Also wartete Crawford, bis sich Yohji beruhigen würde. Spürte den Brustkorb an seinem, wie sich die Atemzüge minimal beruhigten, die Beine langsam stabiler wurden, die Last von seinem Körper genommen wurde und Yohji sich von ihm löste. Er sah ihm nicht in die Augen, vermied den Blick. Crawford führte ihn am Oberarm zu seinem Wagen, schloss auf und schob Yohji, der alles willenlos über sich ergehen ließ, auf die dunkelroten Ledersitze. „Warte hier. Ich fahr deinen Wagen weg.“ Crawford schloss die Wagentür, nahm aus dem Kofferraum einen kleinen Kanister, eine Sporttasche und kehrte zum Tatort zurück. Er schleifte die Leichen zum Wagen, möglichst dicht, zerrte einen der Kerle unter größter Anstrengung in das Innere. Es war eine schweißtreibende Angelegenheit, deshalb beließ er die anderen beiden auch außerhalb. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass von Yohji nichts Persönliches mehr im Wagen war, filzte er die Leichen noch, fand jedoch nichts Aufschlussgebendes. Die Waffen der Killer nahm er an sich, legte sie in die mitgebrachte Tasche, riss ihnen die kleinen unscheinbaren Markierungen an ihren Jacken ab und warf sie dazu. Anschließend übergoss er alles mit Benzin und entzündete es mit einem Streichholz. Er wartete noch etwas bis das Feuer sich ordentlich entfacht hatte und machte sich dann wieder samt Kanister und Tasche zu seinem Jaguar auf. Erneut huschte ein siegessicheres Lächeln über sein Gesicht, als er die Tasche im Kofferraum warf, die nächste Vision sich im zeigte. Wieder hatte er gewonnen. Die Timeline war wieder so wie sie gewesen war, bevor Yohji an diesem Abend ausgegangen war. Hätte er dessen Wagen und die Männer nicht den Flammen übergeben wären sie ihnen weiter auf der Spur geblieben, so fehlte ihnen jeglicher Anhaltspunkt. Es war so, wie Blutengel gesagt hatte, die Jäger der Akademie waren ihnen auf der Spur, sie waren verdammt nahe sogar. Das Mädchen, das Yohji gefickt hatte, war kein großer Risikofaktor, die Zeitlinie zeigte keine Gefahr von ihr ausgehend, in nächster Zukunft an. Er setzte sich hinters Steuer, startete den Motor und fuhr mit durchschnittlicher Geschwindigkeit, knapp über dem vorgeschriebenen Limit, von diesem Viertel in Richtung der Stadtgrenze. Dort angekommen gab er Gas. Yohji sagte nichts, saß noch genauso da, wie er ihn in den Sitz gedrückt hatte und starrte blicklos vor sich hin. Er spürte wie sein Unwille immer größer wurde, je näher er dem Aversionsschild kam. Während sie unmittelbar vor dem Schild waren konnte er aus den Augenwinkeln sehen wie Yohji nervös wurde, sich unwohl auf dem Sitz zurecht rückte. Er wusste, dass es das Schild war, äußerte sich vermutlich deshalb nicht über die drängenden Gefühle umzukehren. Beide wollten weg von hier, ihr Gefühl sagte ihnen, dass sie umkehren mussten. Sein eiserner Wille jedoch und das Bewusstsein, dass er dorthin musste, halfen ihm dabei, weiter zu fahren, bis sie durch die unsichtbare Wand hindurch waren. Wie eine schwere Last fiel das beklemmende Gefühl von ihnen ab, löste sich in Nichts auf, er hörte, wie Yohji aufatmete. Der Eintritt ins Schild war weitaus schwieriger, als der Austritt aus dem beschützten Areal. Sie fuhren noch weitere zwanzig Minuten, bis sie das auffällige Gebäude, das von Bäumen umgeben war, erreicht hatten. Crawford öffnete die Garage, noch während er in die Auffahrt bog, lenkte seinen Jaguar auf seinen angestammten Parkplatz und schaltete den Motor aus. Er wandte sich zu Yohji um, der seine Augen geschlossen hielt, die blonden Haare bildeten einen schönen Kontrast zu den dunkelroten, lederbezogenen Sitzen. Das Gesicht immer noch fahl, die Lippen blass und trocken. Die schmalen Hände zitterten immer noch unmerklich in seinem Schoß. Crawford riss seinen Blick los, stieg aus dem Wagen und knallte die Tür zu, hoffend das Yohji dadurch bemerkte, dass sie wieder zu Hause waren. Zu Hause? Für Yohji war es wohl eher ein Gefängnis. Er öffnete die Beifahrertür, zog Yohji am Oberarm heraus, und dirigierte diesen einer Marionette gleich ins Haus. Noch immer sprachen sie nichts miteinander. Sahen die trüben, grünen Augen denn etwas? Oder waren sie nur blinde Seen, nach innen gekehrt? Crawford zog ihn mit sich in sein Zimmer, holte aus Yohjis Räumen einige Klamotten und kehrte wieder zurück. Dieser saß in der Zwischenzeit immer noch genau in der gleichen Position auf seinem Bett wie er ihn hingesetzt hatte. „Steh auf und geh dich duschen.“ Mit einer nachlässigen Handbewegung warf er die Kleidungsstücke neben Yohji, doch dieser reagierte immer noch nicht, sah noch nicht einmal auf. Mittels einiger Bedienfunktionen stellte er die Fußbodenheizung der glatten Bodenfläche etwas höher ein. Danach streifte Crawford Yohji die Jacke ab, nahm ihm seine Uhr mit integriertem Draht ab, der in Yohjis Händen zu einer tödlichen Waffe wurde. Crawford legte das Teil auf die gläserne Ablage neben dem Bett. Er konnte nicht verleugnen, dass er es bewunderte, wie Yohji mit dieser Art Waffe umzugehen wusste. Nur wenige schafften es derart vielfältige Einsatzmöglichkeiten damit zu fabrizieren, Kraft und Technik waren von Nöten. Er hatte schon oft Yohji beobachtet wie dieser Sprungtechniken mit seinem Draht zu einem tödlichen Wirbel verbunden hatte. Ja, Yohji hatte Kraft und das in Verbindung mit Technik und vor allem Schnelligkeit war es, das ihn zu einer gefährlichen Raubkatze werden ließ. Crawford lächelte leicht und diesmal erreichte das Lächeln die braunen Augen. Diese Umschreibung gefiel ihm außerordentlich gut. Und was hassten Katzen? Crawford zog Yohji die Schuhe aus, packte ihn am Arm und schleifte ihn ins Badezimmer. Ohne großes Federlesen schob er den Blonden unter die Dusche, schloss von außen die Tür und schaltete durch ein Bedienfeld das kalte Wasser und alle neun Duschköpfe ein. Wasser. Katzen hassten Wasser. Crawford grinste, als er den Aufschrei nach wenigen Augenblicken hörte, das Gezeter zu einem wahren Funkenregen an Beschimpfungen auf ihn ausartete. Er gönnte sich noch wenige Minuten, schaltete dann das Wasser ab und stellte wieder die Sensorfunktion der Tür ein, die er zuvor ausgeschaltet hatte um Yohji an einem Fluchtversuch zu hindern. Und da kam sie auch schon, eine große nasse Katze, mit übler Laune und aggressiv leuchtenden Smaragden, die ihn anfunkelten. Crawford hatte nicht damit gerechnet, dass sich Yohji derart schnell auf ihn stürzen würde, verlor den Halt auf dem jetzt nassen Boden und schlug mit seiner Katze der Länge nach hin. „Du Bastard!“ Yohji schlug ihm die Brille herunter, verpasste ihm einen Kinnhaken, sodass er glaubte sein Kiefer würde brechen. Wassertropfen perlten von der bronzenen Haut ab, die immer noch etwas fahl schien. Yohji kniete über ihm, einen grimmigen Ausdruck im Gesicht, die Augen voller Wut und... Angst? Unsicherheit? Waren es tatsächlich Angst und Unsicherheit, die von der Wut verborgen wurden? Sie sahen sich einen Moment an, bevor Yohji schnaubte und von ihm runterging, jedoch nicht ohne ihm noch einmal sein Knie in seinen Unterbauch schmerzhaft zu drücken, als er sein Gewicht verlagerte und aufstand. „Verzieh dich“, brummte er. Crawford richtete sich halb auf, fuhr sich mit der Hand über das lädierte Kinn und zog eine Augenbraue provokant Richtung Stirn, als er das Gesagte hörte. Etwas orientierungslos tastete er nach seiner Brille, die aber im Moment noch außer seiner Reichweite lag. „Das ist mein Badezimmer, wenn du gehen willst, dann tu dir keinen Zwang an, aber komm nachher nicht an wenn dich böse Träume plagen, Kätzchen.“ Crawford fühlte sich zunehmend gereizter. Langsam trieb es Yohji zu weit, aber weshalb fühlte er sich gerade jetzt genervt, vorhin hatte ihm Yohjis Verhalten doch auch nicht sonderlich beeindruckt. Yohji zischte ihm ein „mir doch egal“ entgegen, bevor ihm wohl noch etwas Wichtiges einfiel... „Wo ist der Seven?“ Scheinbar hatte er sich wieder im Griff, zumindest hörte sich Yohjis Stimme sehr danach an. Crawford beschloss dem Ganzen einen kleinen Dämpfer zu versetzen. „In die Luft gegangen, um die Leichen zu beseitigen... ich benötigte Brennmaterial... der Wagen war ein Risiko. Viel zu auffällig.“ Noch bevor er fertig gesprochen hatte, hörte er das Knirschen und das Splittern von dünnem Glas. Also hatte sich Yohji an seinen Brillengläsern für das Hinscheiden seines geliebten Wagens gerächt. Wie gut dass er, noch ein Paar als Ersatz hatte anfertigen lassen. Er raffte sich auf, ignorierte die getaufte, mittlerweile vor Kälte – oder Wut - zitternde Katze, die im Türrahmen stand und ihn sichtlich böse anfunkelte und strebte sein Bett an. Er wollte sich hinlegen... ein schwer zu beschreibendes Gefühl überkam ihn, vermischt mit einem Druck im Kopf, einer plötzlichen Übelkeit und Schwindel... irgendetwas stimmte nicht... etwas passierte... Yohji sagte etwas zu ihm... er verstand es nicht... wollte sich nur hinlegen... nur aufs Bett legen... die Augen schließen...etwas… kam auf ihn zu… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)