Clover von -Moonshine- (Three leaves are lucky enough) ================================================================================ - 3 - ----- Hannah steckte sich ein auf der Gabel aufgespießtes Kuchenstück in den Mund. Bei "Billy's" gab es den besten Kuchen der Welt, und Hannah und ihre Freundinnen versammelten sich oft in der kleinen Bar, um ihre Alkohol- und Zuckerreserven wieder aufzustocken. Sicherlich war es nicht üblich, Kuchen zu Cocktails zu essen, und das an einem Sonntag Abend, wo doch am nächsten Tag alle zur Arbeit mussten, aber es war ein Nottreffen anberaumt worden und außerdem musste Hannah sich dringend von dem Teenagerhormonlastigen Wochenende erholen. Ihre Schwester Tess und deren Ehemann waren wieder zurück und Hannah hatte den beiden dankbar und erledigt ihre Kinder übergeben und war sogleich geflüchtet. Was sie jetzt brauchte, war nur ein bisschen Entspannung und eine erwachsene Konversation. Oder so was in der Art. Maggie und Rose, ihre beiden Freundinnen, saßen ihr gegenüber, jede jeweils mit einem Kuchen und einem Cocktail bewaffnet. Sie brannten geradezu darauf, die Geschichte von Nathan zu hören, und Hannah war nur allzu bereit, die Geschehnisse der letzten drei Tage zu schildern, alles in seine Einzelteile zu zerlegen und zu analysieren, so, wie es sich gehörte. Sie merkte allerdings selbst, dass sie sich, anstatt alles der Reihe nach zu erzählen, dauernd in Schwärmereien und Kleinigkeiten verlor. Falls Maggie und Rose ihr allerdings nicht mehr folgen konnten, ließen sie sich das nicht anmerken. "Und als ich das Thema Sex angesprochen habe", kicherte sie gerade, als Maggie einen großen Schluck von ihrem blauen Cocktail nahm, "ist er richtig verlegen geworden. Mit roten Ohren und so." Rose machte großen Augen und ließ ihre Kuchengabel sinken. Sie hatte einen leckeren Himbeer-Käsekuchen bestellt, den Hannah ihr am liebsten sofort abgeluchst hätte. "Du hast schon beim ersten Treffen mit ihm über Sex gesprochen?!", wollte sie ungläubig wissen. Rose war schon immer etwas zart besaitet gewesen. Sensibel und vorsichtig. Ganz im Gegensatz zu Maggie. Deshalb liebte Hannah ihre Freundinnen so. Sie waren so unterschiedlich und doch gehörten sie alle zusammen. "Nein, nein", widersprach sie, "Das war nur eine Anmerkung zu seiner Unterrichtslektüre." Rose schüttelte verwirrt den Kopf – sie hatte Mühe, diesen beiden Themen im Kopf zu vereinen. Aber Maggie grinste breit. "Wow, du gehst ja ran. Dir ist schon klar, was du ihm damit vermittelst, oder?" Hannah schnaubte, fassungslos über diese dreiste Unterstellungen ihrer Freundin. "Hör auf, Maggie. Nathan ist nicht so einer." "Aber du anscheinend schon. Beim ersten Treffen eine Anmerkung über Sex fallen zu lassen, ist... na ja. Du weißt schon. Es weckt gewisse Hoffnungen und eigentlich ist klar, worauf das hinauslaufen soll. Gewagt." Hannah runzelte die Stirn. "Quatsch...", murmelte sie zögernd, doch es klang nicht besonders überzeugend, selbst in ihren Ohren. Das hatte sie nicht gemeint, als sie diesen kurzen, humorvollen Verbesserungsvorschlag gemacht hatte. Sie hatte nur etwas Witziges sagen wollen. Oder? Steckte dahinter doch viel mehr, so wie Maggie vermutete? "Vielleicht", kam Rose zu Hilfe, "hast du es ja darauf abgesehen, ohne es selbst zu wissen? Ich meine, da denkt doch jede mal dran, wenn sie einen gutaussehenden Kerl trifft..." "Nein." Hannah schüttelte den Kopf, jetzt viel entschiedener. "Bestimmt nicht... Glaube ich." Sie hielt inne und überlegte kurz. Sie war schon damals total in Nathan verknallt gewesen. Hatte da nicht etwas in ihr Klick gemacht, als sie ihm am Freitag wiederbegegnet war? Wollte sie ihn nicht immer noch? "Oh nein... was ist, wenn du Recht hast? Nathan ist nicht so jemand... Das kann ich nicht tun." Es war ganz und gar unvorstellbar. Ein Techtelmechtel mit Nathan? Der immer alles so gewissenhaft und ernst nahm? Niemals! Aber warum hatte sie dann zu ihm gesagt, was sie zu ihm gesagt hatte? Bisher hatte sie sich eingeredet, dass sie es nicht ernst gemeint hatte. Sie hatte ihn nur aus dem Konzept bringen können, und das war ihr auch gelungen. Ihn ein bisschen verwirren. Aber was wäre gewesen, wenn er wirklich noch mit reingekommen wäre? Sie hätte doch nicht... Vielleicht hätte sie ja doch. Diese Erkenntnis raubte ihr fast den Atem. "Vielleicht magst du ihn ja?", warf Rose ein. Hannah's Stimme überschlug sich, so eifrig redete sie. "Sicher mag ich ihn. Ich mochte ihn schon damals. Und er ist noch immer total süß. Als wir auf dem Riesenrad waren-" "Du warst auf einem Riesenrad?!", unterbrach Maggie sie entsetzt. "Ja." Hannah wollte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Die Aufregung ihrer Freundin ging völlig an ihr vorbei. Sie war schon wieder bei Nathan, genauer gesagt seiner Hand auf ihrer. Alles andere war unwichtig. "Die Kinder, du weißt schon-" "Warte." Rose hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. "Mit 'wir' - meinst du da Nathan und dich, oder dich und die Kinder?" Hannah blinzelte irritiert. "Uns. Alle zusammen. Jedenfalls, hört doch einfach mal zu. Wir waren also auf dem Riesenrad und ich hab total Panikanfälle bekommen - also richtig peinlich. Und Nathan hat seine Hand auf meine gelegt und fing an, irgendwelchen süßen Schwachsinn über Sicherheitstechnik und so zu erzählen." Verzückt grinste sie. Maggie und Rose starrten befremdet zurück. "Und dann", fuhr sie weiter fort, "sagte er etwas von Stromausfall, was mich richtig erschreckt hat, und als er das merkte, meinte er doch tatsächlich..." Sie räusperte sich, um ihren nächsten Worten mehr Ausdruck zu verleihen. "'Ich hab dir Angst gemacht, entschuldige bitte.'" Begeistert sah sie ihre Freundinnen an und wartete auf eine Reaktion. Rose und Maggie jedoch tauschten lediglich vielsagende Blicke mit hochgezogenen Augenbrauen zwischen einander aus. Hannah war verwirrt. "Was?" "Dich hat's ja echt erwischt, oder?", wagte Rose sich langsam vor. Hannah schüttelte verdrießlich den Kopf. "Nein. Hört ihr mir gar nicht zu?!" Ihre Freundinnen schauten sie gespannt an, ohne etwas zu sagen. "Ich meine", holte sie tief Luft, "wann hat ein Typ das schon mal zu euch gesagt? Es hat mich nicht erwischt. Das würde ja bedeuten, ich bin in den sieben Jahren nicht über ihn hinweggekommen. Aber ich hatte wirklich vergessen, wie süß er ist. Nachdem ich ihn auf die Wange geküsst habe, war er so durch den Wind, dass er über den Blumenkübel an der Treppe von Tess' Haus gestolpert ist." Sie kicherte bei der Erinnerung daran, wie sie Nathan noch durch das Fenster beobachtet hatte. Warum sie das getan hatte, wusste sie auch nicht, aber man hatte ihm deutlich ansehen können, wir verwirrt er gewesen war. Er war sich mit der Hand durch die Haare gefahren, hatte sich umgeguckt, als würde er nach einer versteckten Kamera suchen, sich umgedreht - und wäre prompt über den Blumentopf gefallen, wenn er nicht noch rechtzeitig das Gleichgewicht wiedergefunden hätte. Hannah hatte sich ein Lachen verkneifen müssen. Und dann war da noch etwas anderes gewesen... Eine Art zartes Ziehen in ihrem Brustkorb. "Oh man." Das war Maggie. Sie verzog das Gesicht zu einer fast schon schmerzhaften Grimasse. "Dich hat es total erwischt." "Eindeutig", pflichtete Rose ihr bei. "Ist er überhaupt Single?" Hannah wollte gerade widersprechen, aber Rose's Frage lenkte sie ab. "Ja, er hat keine Freundin, hat er gesagt." Rose riss die Augen auf. "Du hast ihn tatsächlich gefragt?!" "Nein, Lucy hat ihn gefragt." Maggie, die nicht so leicht zu erschüttern war, lachte laut auf. "Was, du hast deine Nichte vorgeschickt? Hannah, du bist echt härter, als ich dachte." Irgendwie entwickelte sich das Gespräch in die falsche Richtung, merkte Hannah. "Nein", widersprach sie verdrießlich. "Hab ich nicht. Sie hat ihn ganz von sich aus gefragt. Warum, weiß ich auch nicht. Ich glaube, sie wollte ihm ein schlechtes Gewissen einreden, dass er den Abend mit uns verbringt und nicht mit seiner Freundin, aber das hat wohl nicht ganz so funktioniert, wie sie sich das gedacht hatte." Maggie grinste verschlagen. "Kam dir ganz gelegen, hm?" "Oh", machte Hannah, als würde ihr gerade ein Licht aufgehen. "Ich, äh... oh. Vielleicht. Ich weiß nicht... Er ist so..." "Süß", beendeten Maggie und Rose ihren Satz unisono. "Mhm", stimmte Hannah entrückt zu. "Und anständig. Und ernst. Und irgendwie ein bisschen... zerstreut. Und klug! Klug ist er natürlich auch. Ständig hält er irgendwelche Vorträge. Oh Gott!" "Was?", hakte Maggie gespannt nach. "Ich glaube..." Hannah schluckte und schaute ihre Freundinnen verzweifelt an. "Mich hat's... erwischt?!" Rose, die romantische Geschichten liebte, grinste. "Und nun?" "Weiß ich nicht", jammerte Hannah verzweifelt. "Ich weiß ja nicht mal, was er darüber denkt..." "Frag ihn", schlug Maggie vor. "Bei dir hört sich das immer so einfach an", schnaubte Rose verächtlich. "Sie kann doch nicht mit der Tür ins Haus fallen-" "Und was schlägst du vor, Miss Einfühlsam?" "Hört auf, zu streiten, ihr zwei", mischte sich Hannah ein, noch völlig überrumpelt von ihrer Erkenntnis. Aus Frust und Verwunderung schaufelte sie sich den Rest ihres Schokoladenkuchens rein. "Ruf ihn an!", verlangte Maggie resolut. "Lass dich anrufen", hielt Rose dagegen. "Hallo!", fuhr Maggie Rose an. "Wir leben im 21. Jahrhundert! Heutzutage dürfen auch Frauen zum Telefonhörer greifen." "Trotzdem", widersprach Rose ruhig, "sind männliche Gehirne nur wenig veränderte Kopien der primitiven Urhirne aus der Steinzeit. Eine zu forsche Frau kann einschüchternd wirken." Maggie verdrehte die Augen. "Ihr seid keine große Hilfe, wisst ihr das?", erwiderte Hannah trocken. Diese Unterhaltung hatte sie schon an die gefühlte tausend Mal gehört. Rose und Maggie hatten so gegensätzliche Ansichten, in allen Bereichen ihres Lebens, dass sie den ganzen lieben langen Tag nur darüber streiten könnten. "Hör zu." Rose ergriff das Wort, ehe Maggie ihr zuvorkommen konnte. "Er ist mit dir weggegangen, obwohl er gar nicht musste. Er hat deine Hand gehalten, war freundlich zu dir und hat sich von dir küssen und anscheinend auch anmachen lassen, ohne sich direkt wie ein Tier über dich herzumachen und die Situation auszunutzen und ohne dich zum Teufel zu jagen. Das ist doch gar nicht so schlecht. Versuch es. Mehr als scheitern kannst du nicht, oder? Und so, wie du ihn beschreibst, ist er fair genug und wird dir schon sagen, woran du bist, oder?" Hannah nickte nachdenklich, verzog aber besorgt ihre Mundwinkel. "Nicht schlecht", murmelte Maggie, fast schon ein wenig beeindruckt. "Du bist hoffnungslos romantisch, Rose." "Und du bist ein menschenfeindlicher Kaktus, Maggie", konterte Rose, immer noch leicht eingeschnappt. Aber Maggie lachte nur. "Schön. Hätten wir das auch geklärt. Hannah, du bist so still?" "Ich denke nur nach... Ich glaube, ich gehe nach Hause und überschlafe die ganze Geschichte. Das Wochenende war wirklich anstrengend und irgendwie... ach, ich weiß auch nicht." Niedergeschlagen ließ sie den Kopf sinken. "Ich fass es nicht, dass er mir nach sieben Jahren wiederbegegnet und mir schon wieder nicht aus dem Kopf geht!", brauste sie dann plötzlich auf. "Das ist doch... ein Teufelskreis! Das ist krank." "Tja. Er hat dich für alle anderen Männer verdorben", schwärmte Rose. "Das ist echt süß." Befremdet schaute Maggie sie von der Seite an. "Das ist nicht süß, das ist furchtbar. Stell dir vor, er will sie nicht, und sie wird nie wieder in der Lage sein, sich auf jemand anderen einzulassen." Hannah's Kopf schnellte nach oben und sie starrte Maggie entsetzt an. "Maggie!", zischte Rose empört und stieß ihr unsanft einen Ellbogen in die Seite. "Halt die Klappe!" "Ich gehe besser", schaltete sich Hannah irritiert ein. "Ihr macht mich noch viel wahnsinniger." Sie erhob sich und legte einen Geldschein auf den Tisch. "Lass dich nicht von ihr verrückt machen", riet Rose ihr tröstend. "Und meld dich unbedingt, wenn es etwas Neues gibt. Ich will alles wissen!", verlangte Maggie. Rose nickte. "Ich auch." Noch viel verwirrter als vorher machte Hannah sich auf den Heimweg. Sie war zu Fuß gekommen, und ein Spaziergang würde ihr jetzt ganz gut tun, überlegte sie. Frische Luft, Bewegung und ein klarer Kopf. Nur, dass sie befürchtete, zu letzterem nicht unbedingt in der Lage zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)