Der Gesang der Klingen von Lea ================================================================================ Der eisige Wind fegte über das Land und ein unheilvolles Heulen folgte ihm nach. Dichter Schnee fiel vom Himmel, sodass man nur wenige Schritte weit sehen konnte. Nowor seufzte und band sich seine Tücher fester um den Kopf, sodass sie ihn besser vor der klirrenden Kälte schützten. Obwohl er als Elendar in der Lage war Magie zu wirken und sich dadurch gegen den alles einfrierenden Wind schützen konnte, tat er es nicht. Wie allen Völkern der Alben war auch ihnen die Magie heilig. Magie war für sie die Essenz des Lebens und damit etwas, dass man nicht als selbstverständlich hinnehmen sollte. Die Natur selbst hatte ihnen diese Gabe gegeben und niemand wusste was passieren würde, wenn diese Kraft ins Ungleichgewicht kam. Nowor konnte nicht verstehen wie die Nomaden von Skan Vien es in diesem kalten Land aushalten konnten. Er war als Bote zu diesen unterwegs und konnte es kaum erwarten wieder den Rückweg anzutreten. Es war ihm unverständlich wie man seine Heimat als "totes Land" bezeichnen konnte. Im Gegensatz zu diesen weißen Dünen, strotzte der Sumpf nur voller Leben. Nowor erstarrte als er vor sich einen Schatten wahrnahm. Es war jedoch nicht die Größe, sondern dessen Form, die ihn beunruhigte. Er fragte sich was ein Mensch in diesen unwirtlichen Regionen machte. Plötzlich begann sich der Schneesturm zu legen und die Sicht klärte sich. Nowors Nackenhaare stellten sich auf, als er ein Kribbeln auf der Haut spürte. Hier wurde Magie gewirkt! Sein Gegenüber konnte kein Mensch sein, da nur wenige Individuen dieser dazu in der Lage waren. Schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass sich der Sturm nicht gänzlich legte, sondern nur zwischen ihnen und ihrer näheren Umgebung zum Stillstand kam. Argwöhnisch musterte Nowor den Fremden. Es war unverkennbar, dass es sich um einen Waldläufer aus dem Waldreich Tyr Wihlar handelte, da sich sonst kein Volk wie diese kleidete. Die Art der Stoffe und wie diese zusammen genäht waren, die Farben, einfach alles passte genau zu den Kriegern, die einst seinen Stamm besucht hatten. Wie Gras nach dem Winter, spross rotes Haar aus dem Tuch, welches den Kopf des anderen einhüllte, hervor und verstärkte Nowor in seiner Annahme. Auch wenn er keinem Menschen gegenüberstand, so wären ihm diese allemal lieber als ein Jäger aus dem Waldreich. Obwohl die beiden Völker seit langer Zeit verfeindet waren, kam es nie zu einem Krieg. In den meisten Fällen ging man sich aus dem Weg und ignorierte einander. Aufgrund der räumlichen Distanz kam es selten zu Begegnungen. Noch seltener kam es zu diesen so fern ihrer beiden Heimaten. Die Anspannung, die sich langsam zwischen ihnen aufbaute, ließ erneut Nowors Nackenhaare aufstehen. Trotzdem mahnte er sich selbst zur Vernunft und Ruhe. Noch gab es die Möglichkeit einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Er war bestimmt kein Feigling, aber er hatte noch nie ein ernsthaftes Gefecht gegen jemand anderen geführt. Die Duelle die er in seinem Dorf ausgefochten hatte, waren alle lernender, aber nie lebensbedrohlicher Natur gewesen. Doch obgleich sein Gegenüber um zwei Köpfe kleiner war als er, griff dieser zu seiner Waffe und zog den Dolch aus seiner Scheide. Nowor war erstaunt, da die Waldläufer für gewöhnlich ihre langen Bögen einsetzen, um den Feind auf Distanz zu halten. Entweder hielt sich sein Kontrahent für so überlegen, dass er auf den Vorteil seiner natürlichen Waffe verzichtete, oder er wollte es unbedingt auf einen Kampf ankommen lassen. Nowor ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern und zog ebenfalls seinen Dolch. Er hielt diesen verkehrt, mit der Klinge neben seinem Unterarm, hoch, um einen Angriff leichter abwehren zu können. Es wurde ruhig um sie herum. Nur das Geräusch der Atmung und seinen Herzschlag, der Nowor viel zu laut vorkam, konnte er noch hören. Es knirschte leise unter seinen Sohlen, als er sein Gewicht etwas auf den linken Fuß verlagerte. Dann wurde es vollkommen still. Es war die Ruhe vor dem Sturm, welcher so schnell losbrach, dass Nowor fast nicht reagieren konnte. Der Angriff kam so plötzlich, dass es ihm erst im letzten Moment möglich war diesen abzuwehren. Leise knisterten die Schneekristalle, als sie unter der Last des Waldläufers zerbrachen und Nowor damit die Möglichkeit gaben die nächsten Züge seines Gegners zu erraten. Die Aufregung des Kampfes berauschte seine Sinne. Er merkte, wie der Kampf, je länger er andauerte, ihn immer mehr in Ekstase versetzte. Bald nahm er nur noch den Gesang der Klingen wahr, wenn diese die Luft zerschnitten. Ein leises Flüstern umgab die Kämpfer, welches nur selten von einem hellen Klirren unterbrochen wurde. Die Stimmen der Waffen fochten den Streit ihrer Meister aus, doch keine konnte die andere zum Verstummen bringen. Ein Mensch hätte dem Tanz der beiden Krieger nicht folgen könnten, da sie sich für die Augen dieser zu schnell bewegten. Selbst Nowor hatte Schwierigkeiten mit der Geschwindigkeit seines Kontrahenten mitzukommen, da dieser nicht nur kleiner sondern auch wesentlich wendiger war. Obwohl der andere offensichtlich ebenso dick angezogen war wie er selbst, wirkte er trotzdem zierlich. Abermals prallten die Dolche aneinander und das leise Klirren brachte die Luft zum Vibrieren. Nowor konterte den Angriff und stieß seinen Gegner mit Leichtigkeit von sich. Das was der Waldläufer ihm an Schnelligkeit voraus hatte, fehlte ihm an Stärke und dieses Wissen machte sich der Elendar zunutze. Es war der Zeitpunkt gekommen, an dem jeder die Schwächen des anderen ausgemacht hatte und versuchte diese zu seinen Gunsten zu verwenden. Trotz alledem schaffte es keiner der beiden dem anderen auch nur den geringsten Kratzer zuzufügen. Nowor ließ es zu, dass sein Kontrahent ihn am Arm verletzte. Dadurch gelang ihm schließlich diesen zu fassen zu kriegen und rücklings in den Schnee zu befördern. Sogleich entwaffnete er den anderen, indem er dessen Messer mit einem kräftigen Schlag hinfort schleuderte. Doch der Kleinere konterte mit einem Faustschlag gegen seine Waffenhand, wodurch auch Nowor das seine verlor. Mit leisem Sirren segelten die Klingen durch die Luft, bis sie schließlich im Schnee landeten und verstummten. Jetzt da sie ihre Herren verloren hatten, schwiegen die beiden Dolche. Der Elendar nutzte die Gelegenheit und kniete sich schnell über den anderen, um ihn am Boden zu halten. Doch der Waldläufer dachte nicht daran sich schon seinem Schicksal zu ergeben und holte mit der leeren Hand aus. Jeder der beiden versuchte die Oberhand über den anderen zu gewinnen und diesen in das kalte Weiß zu drücken. Das Resultat war jedoch, dass sie gemeinsam durch den Schnee rollten. Schließlich brachte Nowors Gewicht den entscheidenden Vorteil dem anderen gegenüber, als er auf diesem zu liegen kam und sich dieser nicht mehr befreien konnte. Als der Elendar die Handgelenke des Waldläufers zu fassen bekam, war der Kampf zu Ende. Der zierliche Körper hatte nicht die Kraft den Größeren von sich zu drücken oder sich in irgendeiner Weise gegen ihn zur Wehr zu setzen. Für Nowor war es ein leichtes die Handgelenke mit seiner Rechten festzuhalten, sodass er seine Linke frei hatte. Ein erschrockenes Stöhnen kam von dem anderen als Nowor ihm die bandagenartigen Tücher vom Gesicht riss. Nowor erstarrte. Unter dem Kälteschutz kam das Gesicht einer jungen Albin zum Vorschein und nicht das eines alten erfahrenen Kriegers, welches er erwartet hatte. Es war nicht so, dass es keine weiblichen Kämpfer gab, doch in dieser trostlosen Gegend hatte er nicht damit gerecht eine zu treffen. Erst recht nicht mit einer Frau, die so schön anzusehen war. Obwohl ihre Erscheinung überaus ungewöhnlich war, faszinierte sie ihn ebenso. Sie hatte die roten Haare und Kleidung der Alben Tyr Wihlars, aber ihre Haut war fast so blass wie die der Nomaden von Skan Vien. Sogar ihre Augen schienen das Grün der Waldläufer und das Blau der Schnee liebenden Wanderer in sich zu vereinen und bildeten eine Farbe, die Nowor nie zuvor gesehen hatte. Wenngleich er keinerlei Magie spürte, kam es ihm doch so vor, als würde sie ihn in einen Bann ziehen. Eine seltsame Wärme suchte seinen Körper heim, welche seine Sinne verwirrte. Er wollte wissen, ob sich ihre Haut genauso zart und weich anfühlte, wie sie aussah. Er wollte wissen, ob sie warm und lebendig war, oder ob sie wenn er sie berührte, wie der Schnee dahin schmolz. Er wollte wissen, ob er wirklich das vor sich hatte, was er sah. Vorsichtig hob er seine freie Hand an, als er plötzlich einen leichten Schmerz in seiner linken Seite spürte, welchen er jedoch ignorierte. Die Aufmerksamkeit des Elendar lag allein auf seinen Fingern, welche sachte die Wange der Albin berührten. Die Zeit schien still zu stehen. Nowor nahm nur noch dieses sanfte Geschöpf unter sich wahr. Obwohl sie noch einen Moment zuvor gegeneinander gekämpft hatten, kam ihm dieses Wesen plötzlich unglaublich zerbrechlich vor. Mit jedem Augenblick, den er sie betrachtete, wurden seine Lider schwerer, bis er sie schließlich nicht mehr öffnen konnte. Seine Gedanken hingen immer noch der schönen Albin nach, während sich alles um ihn herum in Dunkelheit hüllte. Als Nowor überrascht seine Augen aufschlug, beugte sich eine alte Nomadin über ihn und lächelte ihn freundlich an. „Keine Sorge. In ein paar Tagen bist du wieder wie neu.“ Ihre kratzige Stimme klang überaus weise und beschützend. Nowor wusste nicht wieso, aber er hatte sogleich das Gefühl wohl aufgehoben und behütet zu sein. Die klaren blauen Augen der Alten betrachteten ihn eingehend, während sie ihm ein kühlendes Tuch auf die Stirn legte. Schließlich sah sie ihn mit einem breiten Lächeln an. „Ich glaube, jemand muss sich bei dir noch entschuldigen. Ich werde euch beide deswegen alleine lassen“, sagte sie und erhob sich von einem kleinen Schemel, welcher neben Nowors Feldbett stand. Gerade als sich der Elendar zu fragen begann, von wem die Alte da gesprochen hatte, trat eine junge Frau an seine Ruhestätte heran. Feuerrotes Haar umrahmte ein schneeweißes Gesicht, welches mit zwei strahlenden blaugrünen Edelsteinen besetzt war. Nowor erkannte sofort die Albin, gegen welche er gekämpft hatte, was ihm jedoch vor einem Augenblick wie ein Traum vorgekommen war. Doch nun stand sie leibhaftig vor ihm. In dem dünnen, weißen Kleid, welches sich bei jeder Bewegung sanft wiegte, sah sie vollkommen anders aus, als in dem dicken Gewand, welches sie vor der eisigen Kälte geschützt hatte. Nowor war sich sicher, dass die Menschen so jemanden mit ihrem Wort ‚Göttin’ beschrieben hatten. Noch nie zuvor war ihm ein Wesen begegnet das ihn so sehr fasziniert hatte. Gerade als er den Mund öffnen wollte, um sie nach ihrem Namen zu fragen, spürte er ihren Finger auf seinen Lippen. Sie lächelte ihn sanft an, als sie seinen fragenden Blick bemerkte und setzte sich neben ihm auf das Bett. Vorsichtig hob sie ihre Hand an seine Stirn und berührte diese sachte. Obgleich sie ihre Lippen nicht bewegte, hörte er eine angenehme Stimme in seinem Kopf, welche um Verzeihung bat. Innerhalb eines kurzen Moments wusste er, welche Angst sie vor ihm gehabt hatte, als er plötzlich im Schneegestöber aufgetaucht war. Er spürte die Furcht, die sie empfunden hatte, als er auf ihre Drohgebärde nicht mit Flucht, sondern mit Konfrontation, reagierte hatte. Nowor erkannte die Panik, die sie erlebt hatte, als er sie zu Boden gerungen hatte. Der Schmerz, den er empfangen hatte, war der verzweifelte Versuch gewesen mit dem Leben davon zu kommen. Der Elendar schloss seine Augen, um ihr zu zeigen, dass er ihre Entschuldigung annahm. Sein Körper war jedoch so geschwächt, dass er diese nicht erneut öffnen konnte. Es blieb ihm nur zu hoffen, dass sie abermals vor ihm erscheinen würde, wenn er aus seinem Schlaf erwachte, als er plötzlich eine sanfte Berührung seiner Hand wahrnahm. Vorsichtig schlossen sich seine Finger um die der Albin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)