Deep in the cold winter von Hana_no_Kon (Wenn ich in der Kälte gefangen bin, holst du mich dann und rettest mich?) ================================================================================ Kapitel 1: In einer kalten Nacht ... ------------------------------------ Leise und ohne jede Hast rieselt der Schnee vom Himmel auf den kalten Asphalt. Nur wenige Menschen spazieren noch durch die kalte, dunkle Winternacht. Unter den Schuhsohlen der gehenden Leute knirscht das Eis. In einer kleinen, engen Gasse erkennt man eine Gestalt. Ein junges Mädchen, ungefähr 17 Jahre alt, hat lange, blonde Haare und ihre Arme und Beine sind mit Kratzern und blauen Flecken versehen. Ihr Blick wirkt leer und in ihren goldenen Augen scheint kein bisschen Glanz. Als wäre sie ... tot ... Aber dennoch kann man sie leise atmen hören und die Kälte lässt ihren Atem sichtbar werden. Einsam und scheinbar ohne ein Fünkchen Leben in sich hockt sie mit dem Rücken an der Mauer der Gasse gelehnt im kalten Schnee. Kein Mensch scheint ihr auch nur ein kleines Bisschen Beachtung zu schenken. Entweder bemerken sie sie nicht oder sie werfen ihr nur einen bemitleidenden Blick zu und gehen weiter ihren Weg. Niemand scheint sich für sie zu interessieren. Alle sind mit sich selbst beschäftigt. Alle ... bis auf eine einzige Person. "Ist alles in Ordnung?" Langsam kehrt etwas Leben in das blonde Mädchen, als sie die Stimme hört, von der Person, die vor ihr steht. Die ihr als Einzige Beachtung schenkt. Die sie als Einzige nach ihrem Befinden fragt. Der Blick der Blonden wandert vom Schnee unter den Schuhen der Person über den Körper bis hin zu ihrem Gesicht. Von der Statur und dem Gesicht her nachzuurteilen müsste sie im selben Alter wie die Blonde sein, wenn auch nicht jünger. Sie hat weiße, reine Haut, und ihre silbernen Haare sind kurzgeschnitten. Als Haarschmuck trägt sie zudem eine zur Seite runter hängende, dunkle Schleife. Dann fällt der Blick der Blonden auf die Augen der Unbekannten. Tiefblau. Rein. Leuchtend. Wunderschön. "Was ist passiert?", fragt das silberhaarige Mädchen mit einem zur Seite hängenden Kopf. Statt eine Antwort zu geben fällt der Blick der Blonden wieder zu Boden. Wie sollte sie auf diese Frage antworten ... wo sie selber nicht weiß, was passiert ist. In ihrem Kopf ist nur Leere und Schwärze. Einfach nichts ... Für eine Weile passiert nichts und die beiden Mädchen sind umgeben von rieselndem Schnee und erdrückender Stille. Dann jedoch reicht die silberhaarige Unbekannte der Blonden die Hand. Verwundert schaut diese auf. Das Gesicht der Person vor ihr wird von einem mitfühlenden, warmen, zarten Lächeln verziehrt. "Wenn du nicht weißt, wohin du gehen willst ... dann komm mit mir. Ich will dir helfen." ~~ Schwer und schlaftrunken öffnet das blonde Mädchen ihre Augen. Sie ist überrascht keinen bewölkten Himmel zu erblicken. Stattdessen fällt ihr ein grüner, mit weißen Federn geschmückter Traumfänger ins Auge. Schweren Herzens richtet sie sich auf. Daraufhin lässt sie ihren Blick um ihre Umgebung schweifen. Es handelt sich hier eindeutig um ein Zimmer. Ein ordentliches, warmes Schlafzimmer. Und sie selber ... liegt in einem gemütlichen Bett. Was ist bloß passiert? Wo ist sie? Nachdenklich fährt sie ihre Hand durch ihre langen Haare. Dabei fällt ihr etwas auf. Um ihren Arm wurde ein Verband gelegt. An der Stelle, wo sie zuletzt noch einen tiefen Kratzer gesehen hat. Sie schaut runter zu ihrem Körper. Das sind nicht ihre Klamotten. Nun hat sie einen weichen, hellblauen Schlafanzug an. Er riecht zudem, als wäre er erst vor kurzem frisch gewaschen worden. Wie kommt sie nur zu diesen Sachen? Und wie kommt sie hierher? Von all den Fragen, die in ihren Gedanken schwirren, fängt ihr Kopf fürchterlich zu drücken an. Von Schmerzen geplagt hält sich die Blonde ihren Kopf. Nach einiger Zeit hört sie ein dumpfes Geräusch von außerhalb des Zimmers. Das sind Schritte. Da scheint jemand hierher zu kommen. Vielleicht jemand, der alle ihre Fragen beantworten kann. Von diesem Gedanken mit Hoffnung erfüllt, springt sie aus dem Bett, rennt zur Tür und öffnet sie ruckartig. Sofort fällt der Blonden beinahe eine Person in die Arme. Doch sie findet noch schnell ihren Halt wieder. Für einige Zeit schauen sich die beiden Mädchen einfach nur überrascht an. Dann fällt es der Blonden wieder ein. Sie ist es. Das silberhaarige Mädchen mit der dunklen Schleife, dass sie zuletzt noch gesehen hat. "Du bist wach ...", stellt die Silberhaarige fest. Befindet sich die Blonde etwa in ihrem Haus? Hat sie sie hierher gebracht? "Wo ... bin ich?" "Bei mir zu Hause", antwortet die Unbekannte, "gleich nach unserer Ankunft, bist du ohnmächtig geworden. Du musst sehr lange dort im Schnee gesessen haben. Du fühltest dich unheimlich kalt an." ... Verdattert schaut die Blonde die Unbekannte an. Also hat sie ihre Wunden gepflegt. Hat sich um sie gekümmert. Sie vor dem Kältetod bewahrt. Erschöpft von ihrer Hast von vorhin setzt sich die Blonde aufs Bett und hält sich ihren Kopf. "Verzeihung, wenn ich frage, aber", gibt die Silberhaarige von sich, "woher hattest du diese Verletzungen? Woher kommst du?" Woher sie kommt ... ja ... woher kommt sie eigentlich? So sehr sie auch versuchen will, sich zu erinnern, es gelingt der Blonden einfach nicht. Es herrscht nichts als Schwärze in ihrem Kopf. Enttäuscht über ihr eigenes Versagen antwortet sie kopfschüttelnd: "Ich ... ich weiß es nicht ..." "Wo ist deine Familie? Dein Zuhause?" "Ich weiß es nicht ..." Deprimiert über ihre Unwissenheit lässt die Verletzte ihren Kopf hängen. Besorgt schaut die Silberhaarige ihren Gast an. Eine unangenehme Stille macht sich im Zimmer breit. Dann geht die Unbekannte langsam auf die Blonde zu und setzt sich neben sie. "Du scheinst dein Gedächtnis verloren zu haben ...", meint sie. Die Verletzte erwidert nichts und schaut weiterhin ins Leere. Etwas leiser und vorsichtiger fragt das unbekannte Mädchen dann: "Und dein Name? Kannst du dich auch nicht an deinen Namen erinnern?" Ihr Name ... Moment ... da war was ... Langsam formen sich im Kopf der Blonden Buchstaben. Dann ordnen sie sich, vertauschen sich an einigen Stellen, bis sie schließlich einen Namen bilden. Ihr Name ... Ihr Name war ... "Marisa." Die Silberhaarige schaut auf. Ihr in die Augen schauend wiederholt die Verletzte ihre Antwort: "Ich glaube ... mein Name ist ... Marisa." Erst etwas überrascht sieht die Unbekannte Marisa an. Dann bildet sich auf ihrem Gesicht ein schüchternes, leichtes Lächeln. "Marisa ... schöner Name. Ich heiße Youmu." Kapitel 2: Wenn der Schnee in der Nacht fällt ... ------------------------------------------------- Mitten in der Nacht wird Marisa wach. Sie beobachtet vom Bett aus, wie der Schnee ruhig in der kalten Luft runter rieselt. Wenigstens etwas, was ruhig bleiben kann. Marisa kann keinen friedvollen Schlaf finden, so sehr sie es auch will. Dafür geht ihr zu viel durch den Kopf. Durch was hat sie ihr Gedächtnis verloren? Was ist passiert? Wer ist sie? Dann fällt der Blonden ihre Retterin wieder in den Sinn. Youmu ... Wer ist sie? Warum hat die Silberhaarige Marisa überhaupt geholfen? Warum war sie die Einzige, die sie beachtet hat, als sie draußen in der Seitengasse im Schnee saß? ... und warum lässt sie die Verletzte sogar noch in ihrem Bett schlafen? "Mach dir keine Gedanken. Es gibt hier genug Zimmer. Werde du erstmal gesund", war alles, was Youmu sagte, als Marisa sie darauf ansprach. Trotzdem ... Marisa kann das nicht wirklich nachvollziehen. Sie kann eigentlich alles, was Youmu bisher für sie gemacht hat, nicht nachvollziehen. Die Silberhaarige weiß so gut wie gar nichts über sie. Marisa könnte vielleicht eine Art Verbrecherin sein ... sie könnte ihr vielleicht alles nur vorspielen, um ihr dann was anzutun. Selbst wenn sie sich nicht erinnern kann, weiß die Blonde ganz sicher, dass sie mit solchen Angelegenheiten nichts am Hut hat. Aber ... Youmu weiß das nicht. Sie weiß nichts. Und trotzdem kümmert sie sich so rührend und liebevoll um Marisa ... ... als würden sie sich schon ewig kennen ... Die Verletzte wird einfach nicht schlau aus dem unbekannten Mädchen. ... Die Unruhe in Marisa will kein Ende nehmen. Sie blickt durch das Fenster neben ihr. Immer weiter fallen die Schneeflocken vom Himmel runter auf die Erde. Unbeschwert. Ohne Sorgen. ... Vielleicht kann sie endlich Ruhe finden, wenn sie etwas von der kühlen Luft von draußen einatmet, denkt sich Marisa. Sachte verlässt die Blonde das Bett. ~~ Durch die kalte Luft wird ihr Atem sichtbar. An die Mauern des Hauses gelehnt und mit zusammen gezogenen Beinen sitzt Youmu auf dem Balkon und beobachtet die Schneeflocken, die vom Himmel fallen. Beobachtet, wie jede einzelne Flocke in der Nacht auf den Untergrund zugleiten. Mit dem Winter verbinden viele Menschen vielleicht die schönsten Momente ihres Lebens. Eine Zeit der Hoffnung. Youmu verbindet mit dem Winter auch bestimmte Erinnerungen ... Nur sind es keine glücklichen Erinnerungen ... Langsam kommen ihr die Momente wieder hoch. Die tiefblauen Augen der Silberhaarigen werden glasig. "Du ..." Überrascht wendet sich Youmu zu der Person, die sie angesprochen hat. Marisa. Einige Zeit lang schauen sich die beiden Mädchen nur gegenseitig an. Bringen keinen Ton von sich. Es wirkt fast so, als würde die Zeit still stehen. Einzig und allein der Schnee gleitet weiter runter auf den Boden. Dann kehrt in Marisa wieder Leben ein und fragt: "Ähm ... darf ich mich setzen?" Sie deutet auf die freie Sitzgelegenheit neben Youmu. Die Silberhaarige sieht die Blonde erst etwas überrascht an, schaut dann neben sich und nickt schließlich. Daraufhin macht Marisa es sich bequem. Beide sind vollkommen in Gedanken versunken. Sie achten nur noch auf den Himmel der kalten Winternacht. Sehen den Schnee runter rieseln. Atmen die kühlen Luft ein. Nach einiger Zeit hat Marisa ein seltsames Gefühl. Jetzt, wo sie den Schnee so sieht. So ein seltsames vertrautes Gefühl. Als würde in einem der vielen Schneeflocken die Antwort auf alle ihre Fragen stecken. Als würde eine von ihnen ihre Erinnerungen beinhalten. Dann treten wieder Schmerzen in den Kopf der Blonden ein und diese reißen sie wieder von ihren Gedanken fort. Vor Pein an den Kopf fassend krümmt sich Marisa und stöhnt leise auf. Youmu bemerkt das und legt besorgt die eine Hand auf den Rücken der Verletzten und den anderen auf ihre Schulter. "Was hast du? Bist du okay?" "Mein Kopf ... er tut so weh ...", gibt Marisa von Schmerzen geplagt leise wieder. Reflexartig zieht die Silberhaarige die Blonde näher an sich, streichelt ihr zur Beruhigung über den Kopf. Sie spürt das Zittern der Verletzten, die in ihren Armen liegt. Sie will ihr Halt geben, um die Verspannung zu lösen. Langsam hören die Schmerzen in Marisas Kopf auf. Vorsichtig regt sie sich aus Youmus Armen heraus. Beide Mädchen hocken vor der Anderen, schauen sich an. "Warum machst du das alles? Warum tust du das alles für mich?", kommt Marisa die Frage wieder in den Sinn und nun auch über die Lippen. Etwas verdattert über die eben gestellt Frage sieht Youmu die Blonde einfach nur an. Findet keine Worte. Auf ihrem Gesicht bildet sich langsam eine leichte Röte. Ja, warum überhaupt. Warum hilft sie dieser wildfremden Person? Aus Mitleid? Aus reiner Nächstenliebe? Youmu kann es sich selber nicht erklären. Weiß keine Antwort. Ihr Blick senkt sich. Vielleicht auch ... ... vielleicht hofft die Silberhaarige auch ... ... hofft, jemanden gefunden zu haben, der sie versteht. Jemand, die das Leid und die Qual kennt, die sie verspürt. ... jemand, der sie aus ihrem Käfig aus Angst, Einsamkeit und zerstörter Träume befreit ... Ja, vielleicht macht sich Youmu einfach Hoffnungen ... oder auch zu viele Hoffnungen ... Marisa bemerkt den gesenkten, todtraurigen Blick ihrer Retterin. Sofort bereut sie, diese Frage gestellt zu haben. "Entschuldigung", sagt die Blonde leise, "ich wollte dich nicht bloßstellen oder irgendwie kränken. Tut mir Leid." Die blauen Augen der Silberhaarigen wandern zurück zum Gesicht des Mädchens vor ihr. Sie erkennt die Reue in den goldenen Augen der Verletzten. In Youmu treten Schuldgefühle ein. Sie wollte ganz sicher nicht irgendwelche negativen Empfindungen in Marisa auslösen. Sie soll sich erholen und wieder gesund werden. Die Silberhaarige versucht sich an einem schüchternen Lächeln und schüttelt leicht den Kopf. "Du musst dich nicht entschuldigen. Ich will einfach nur ... dass es dir wieder besser geht ... und dass du dich wieder an alles erinnern kannst." Nun steht es an Marisa, das Mädchen vor ihr überrascht anzuschauen. Sie sieht das Glänzen und Leuchten der blauen Augen vor ihr. Aus heiterem Himmel spürt die Blonde etwas. Was ganz Besonderes. Hoffnung. Hoffnung, dass es ihr gelingt, ihre Erinnerungen wieder zu finden. "Youmu?" Fragend sieht die Silberhaarige die Verletzte an, die sie angesprochen hat. Und Marisa fragt: "Wenn ich dich fragen würde ... würdest du mir dann helfen, dass ich meine Erinnerungen wieder bekomme?" Inmitten der kalten Winternacht fällt der Schnee unbeschwert und sanft vom Himmel auf den Boden. Nichts ist draußen in der kalten Luft zu hören. Unf auf die eben gestellte Frage antwortet Youmu: "Ja, Marisa, das werde ich." Kapitel 3: Wenn der Wind heult ... ---------------------------------- "So ... alles verheilt." Außnahmsweise schneit es nicht draußen. Es ist alles ganz ruhig, die Straße ist vollkommen weiß vom letzten Schneefall. Nur ein eiskalter Wind bläst durch die im Winter ruhende Stadt. Geschützt vor der Kälte des Winters sitzt Marisa im Wohnzimmer und betrachtet ihren Arm. Der gerade noch am Arm befestigte Verband wurde von Youmu gelöst. Bis vor wenigen Tagen zierrten noch schlimme Wunden den Arm der Blonden. Doch nun ist fast nichts mehr von ihnen zu sehen. Auch an allen anderen Körperteilen sind keine blauen Flecken oder Kratzer mehr zu entdecken. Das bis vor kurzem noch verletzte Mädchen grinst über beide Ohren. "Als wäre ich nie verletzt gewesen. Vielen Dank." "Gerngeschehen." Auf Youmus Gesicht hat sich ein leichtes Lächeln gebildet. Sie legt den Verband ins Badezimmer und setzt sich neben Marisa auf das weiche Sofa. Es herrscht Schweigen im Wohnzimmer. Einzig und allein der Fernseher und der Wind, der gegen die Fensterscheiben des Hauses pustet, sorgen für Geräuschkulisse. Im Fernsehen läuft nur eine Dokumentation über den Pazifischen Ozean und die vielen unterschiedlichen Fische und Lebensformen, die dort leben. Sonst war nichts Interessantes in den verschiedenen Kanälen. So mussten sich die beiden Mädchen entscheiden zwischen dieser Doku und einem kitschigen Liebesfilm. Marisa muss mit dem Gedanken ankämpfen, vor Langeweile nicht einzuschlafen. Allerdings war es nicht besonders einfach. Ihre Augenlieder sind sehr schwer und würden jeden Augenblick zusammenfallen. Die Blonde stößt ein leises Gähnen aus. Wenn sie weiterhin auf den meist blauen Fernsehbildschirm schaut, würde sie auf jeden Fall einnicken. Ablenkung muss her. Marisa lässt ihren Blick auf Wanderschaft gehen. Dabei erspäht sie zwei Blumenvasen, drei Schränke, mehrere eingerahmte Fotos ... Bei eins der Fotos erwacht Marisa aus ihrer Trance. Auf ihm erkennt man drei Personen. Die eine ist ein kleines, schüchtern lächelndes, silberhaariges Mädchen. Es ist nicht schwer zu sehen, dass das Mädchen Youmu ist. Als sie ein Kind war. Die zweite Person ist ein älterer Mann mit silbernen, langen Haaren, einem langen Bart und einer stolzen, sicheren Körperhaltung. Und zu guter Letzt ist noch eine wunderschöne Frau auf dem Foto abgebildet. Sie trägt ein blaues Kimono mit Kirschblütenverziehrung, hat leicht gelockte, rosa Haare und ihr Lächeln strahlt eine tiefe Wärme aus. Beim Anblick des Bildes kommen Marisa Erinnerungen in ihren Kopf. An den Tag, als sie das Foto zum ersten Mal gesehen hat. Als sie Youmu gefragt hat, wer die Leute auf dem Bild sind. ... als sie den traurigen, glasigen Blick der Silberhaarigen sehen musste ... "Youmu ... wegen letztens ... mit dem Bild ..." Marisa dreht sich zu dem Mädchen neben ihr und will sich wegen dem Vorfall nochmal entschuldigen. Allerdings verwirft sie ihre Idee wieder. Youmu liegt zusammengekauert neben der Blonden auf dem Sofa. Sie ist eingeschlafen. Der Wind hat entzwischen aufgehört zu wehen. Es ist vollkommen still und friedlich auf den Straßen. Marisa ist etwas überrascht. Doch je länger sie die Silberhaarige beim schlafen zuschaut, desto herzlicher lächelt sie. Ist wohl besser so, denkt sich Marisa. Besser sie erinnert Youmu nicht nochmal an das Foto. Sie nochmal so traurig zu sehen würde Marisa nur Schuldgefühle einbläuen. Der Mann auf dem Foto ist Youmus Vater und die schöne Frau ihre Stiefmutter. Ihre richtige Mutter hat sie nie kennen gelernt. Ihre Eltern ... ihre Familie ... ... Als Marisa fragte, wo sich die beiden momentan aufhalten, gab Youmu keine Antwort. Stattdessen wurde ihr Blick trüb und ihre Körperhaltung verkrampfte sich zunehmend. Mit diesen traurigen Augen verharrte die Silberhaarige einige Zeit lang. Als die Blonde fragte, was los sei, torkelte ihre Retterin, weiterhin mit dem Blick, an ihr vorbei, ging ins Gästezimmer und verriegelte die Tür. Erst am nächsten Tag zeigte sie sich wieder. Marisa hat sich mindestens tausendmal bei Youmu entschuldigt, dass sie sie nicht in irgendeiner Weise kränken wollte. "Entschuldige dich nicht ... du konntest es nicht wissen ...", war immer die Antwort. Das Zimmer wird dunkler, als Marisa die Fernbedienung nimmt und den Fernseher ausschaltet. Ja, es ist doch besser, sie spricht das Thema nicht nochmal an. Einsamkeit tut entsetzlich weh, das weiß die Blonde nur zu gut. Das war ja das erste, was sie nach ihrem Gedächtnisverlust gespürt hat ... Einsamkeit ... Sanft nimmt Marisa die friedlich schlafende Youmu und trägt sie vorsichtig in ihr Zimmer. Die Blonde ist überrascht, wie leicht das Mädchen in ihren Armen ist. Sie braucht nicht großartig Kraft. Behütet legt sie die Schlummernde in ihr Bett und deckt sie zu. Leicht, ohne sie zu wecken, streicht Marisa über die weiche Wange der Silberhaarigen. In ihrem Körper sammelt sich Wärme die sich auf ihrem Gesicht verteilt und einen roten Schimmer auf ihren Wangen bilden. Bevor Marisa den Raum verlässt, nähert sie sich Youmus Gesicht. Sie stoppt vor ihrem Ohr und flüstert ihr leise zu: "Es tut mir Leid." ~~ Es weht ein kühler, kräftiger Wind draußen. Schnee fällt langsam vom Himmel runter auf den bereits weißen Asphalt. Marisa ist völlig in Gedanken versunken. Sie erinnert sich die ganze Zeit an den gestriegen Abend. Sie erinnert sich an den Vorfall mit dem Foto. Sie erinnert sich an ihre Rettung vor dem Kältetod. ... und an die Person, die immer da war, seit sie ihr Gedächtnis verloren hat ... Wer hat sie vor der Kälte gerettet und ins Warme gebracht ... Youmu. Wen hat sie an das Foto erinnert und sie damit sehr verletzt ... Youmu. Wen hat sie gestern ins Bett getragen ... Youmu. Sie ist immer da ... Und jetzt ... jetzt geht das Mädchen nicht mal mehr aus Marisas Kopf heraus. Selbst wenn sie ihre Erinnerung noch nicht zurück bekommen hat ... Marisa ist der Silberhaarigen jetzt schon mehr als nur dankbar. Alles, was die Blonde machen könnte für sie, wäre nur ein Minimum ihrer Dankbarkeit. Am liebsten würde sie ihre Retterin in den Arm nehmen und nie wieder gehen lassen. ... Moment, was denkt sie da? "Autsch! Himmel, Herr Gott nochmal!" Marisa flucht so laut, dass selbst die Spatziergänger draußen den Ausbruch hätten hören können. Zum vierten Mal nun hat sich die Blonde beim Zubereiten des Mittagessen mit dem Messer verletzt. Aufgeregt nimmt sie den angeschnittenen Finger in den Mund, um die Blutung zu stillen. Danach geht sie zum vierten Mal ins Badezimmer, um sich auf den Finger ein Pflaster zu kleben. Auch wenn Marisa ihr Gedächtnis noch nicht zurück hat, scheint eins schon klar zu sein: Kochen ist nicht ihre Stärke. Seufzend kehrt sie in die Küche zurück. Dabei nimmt sie auch noch einpaar weitere Pflaster mit, weil sie langsam keine Lust mehr hat, jedes Mal aufs Neue ins Bad zu stürmen. Ein erneuter Seufzer. Die Blonde hat sich ein Ziel genommen. Mit diesem Festmahl, wenn man es so nennen kann, will sie Youmu schonmal einen kleinen Teil ihrer Dankbarkeit präsentieren. Auch wenn es nicht viel ist ... "Marisa?" Überrascht dreht sich die angesprochene Blonde zu der Stimme um. Sie grinst. "Hallo, Youmu, bist ja wieder da." Youmu ist nach dem Frühstück nach draußen verschwunden mit der Erklärung, sie wolle spatzieren gehen. Nun, sieht sie Marisa verwirrt an. Das bemerkt die Blonde und erklärt: "Ich bin am kochen. Naja, klappt allerdings nicht wie es sein soll." Sie kratzt sich verlegen am Kopf. Dabei erkennt die Silberhaarige die vielen Pflaster an den Finger des Mädchens vor ihr. "Das hättest du nicht machen müssen ...", meint sie leicht gerührt. Marisa stellt sich genau vor Youmu und erklärt strahlend: "Ich meine doch. Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem du so viel für mich gemacht hast." Eine leichte Röte bildet sich auf den Wangen der Silberhaarigen. Zudem zierrt ihr Gesicht ein warmes, schüchternes Lächeln. "... Ich schätze, ich muss mich dann wohl bedanken ... Danke ... Marisa." Ihre blauen Augen starren gebannt auf das goldene Augenpaar der Blonden. Der Wind ist stärker geworden, wirbelt den fallenden Schnee wild hin und her. Zieht den Schnee, der schon auf dem Boden liegt, mit sich. Draußen tobt nun ein Schneesturm. Schon wieder ... In Marisa macht sich dieses Gefühl wieder breit ... Dasselbe Gefühl wie am Vorabend, als sie die schlafende Youmu ins Bett getragen hat. Als sie sie so friedlich liegen sah. Ein warmes, nicht definierbares Gefühl ... Der Verstand der Blonden schaltet sich vollkommen ab, ihre Körperteile entwickeln ein Eigenleben. Ihre Hand hebt leicht das Kinn der Silberhaarigen hoch ... Ihr Gesicht nähert sich dem der Anderen ... Die Augenlieder fallen zu ... Der Schneesturm tobt, lässt keine Sicht auf die Straße zu. Der Wind heult. Marisa hat keine Kontrolle mehr. Sie legt ihre Lippen auf die von Youmu und küsst sie zärtlich. Kapitel 4: Wenn der Schleier sich legt ... ------------------------------------------ Draußen beginnt der Schnee sich vom Wind tragen zu lassen. Sich wild hin und her schubsen zu lassen. Die Böe zieht auch das Weiß des Asphaltes mit sich. Die Atmosphäre ist umgeben von Kälte und Weiß. Für eine Weile verharren die beiden Mädchen in ihrer Position. Bis Youmu realisiert, was geschieht. Sie wird geküsst ... von Marisa ... Marisa küsst sie. Die Blonde ist vollkommen versunken. Nimmt nur noch den süßen Geschmack von Youmus weichen Lippen wahr. Genießt diesen Augenblick. Im Kopf der Silberhaarigen wird Alarm geschlagen. Sie erinnert sich. Ihre Vergangenheit sucht sie wieder heim. Sie bekommt Panik. Sofort verhärtet Youmu ihre Lippen und reißt sich aus Marisas Griff los. Diese erwacht aus ihrer Trance. Sie sieht ihre Retterin vor ihr stehen. Mit verschreckten Augen, roten Wangen ... Ab da begreift sie, was sie gerade getan hat. "... You ... mu ..." Die Angesprochene ist von stiller Panik übermahnt. Sie macht einen Schritt rückwärts. "You-" Ein weiterer Schritt. "-mu ..." Immer mehr Schritte. "... bitte, warte ..." Aber Marisas Worte treffen auf taube Ohren. Youmu wartet nicht. Sondern sie dreht sich um ... und rennt aus dem Haus. Läuft in den Schneesturm. ... und flieht vor dem blonden Mädchen. Marisa bleibt entsetzt stehen. Sieht, wie ihre Retterin in die Kälte rausläuft. In ihrem Kopf arbeitet es auf Hochtouren. Ihr wird bewusst, was sie angerichtet hat. Ihr wird schlecht bei dem Gedanken, wie sehr sie Youmu mit dem Kuss überrumpelt und verletzt haben muss. Sie weiß selber nicht, was sie dazu gebracht hat, die Silberhaarige zu küssen. ... Doch jetzt ist etwas anderes wichtiger ... Bei dem Schneesturm könnte sich das Mädchen verlaufen oder sich etwas antun. Marisas Ziel ist klar. Sie zieht sich etwas Warmes über sich und läuft ebenfalls in den Sturm. Der Schnee verbunden mit dem Wind lässt die Sicht vollkommen weiß erscheinen. Alles verschwindet in im Weiß. Lässt keinen Weg sichtbar werden. "Youmu!" Marisa läuft durch den Sturm. Sie hat ihre Orientierung vollkommen verloren. Weiß nicht, wohin sie geht. "Youmu! Antworte!" Trotzdem geht sie weiter. Ruft weiter den Namen der Silberhaarigen, in der Hoffnung, sie würde antworten. Aber ... sie antwortet nicht ... Vom Sturm und vom Schreien geschwächt bleibt Marisa kurz stehen. Die Blonde ist völlig ratlos. Wo könnte Youmu sein? Wie soll sie sie finden? Marisa verharrt für Sekunden in dieser Position ... ... ... ... Sie marschiert weiter. "Youmu!" ~~ Der Sturm tobt weiter. Lässt keine Sicht zu. Nagt zudem noch an den Kräften jener, die sich in ihm befinden. Bringt Kälte mit sich. Youmu hat sich an einer Mauer nieder gelassen. Sie ist erschöpft vom Laufen und vom Sturm. Sie weiß nicht, wo sie ist. Die Kälte macht sich bei ihr bemerkbar. Sie zittert am ganzen Körper. Sie muss die ganze Zeit an den Kuss denken ... ... und damit auch an ihre Vergangenheit ... Die Silberhaarige kann die Bilder einfach nicht aus ihrem Gedächtnis verbahnen. Sie hat Angst ... vor längst Vergangerem ... Die Angst hat sie blind gemacht. ... Ob Marisa sie wohl sucht ... ... Ganz bestimmt. Nur ... ist Youmu bereit, über das Geschehene hinweg zu sehen? Kann sie Marisa einfach so wieder in die Augen schauen, als wäre nie was passiert? ... Oder sucht die Blonde sie vielleicht gar nicht ... So viele Fragen, die im Kopf der Silberhaarigen spucken. ... "... mu!" Youmu hört eine Stimme aus der Ferne. Inmitten des Schneesturms. "Youmu!" Die Stimme wird immer lauter und klarer. "Youmu, wo bist du?!" Es ist Marisa. Also sucht die Blonde sie doch. Nur ... was wird Youmu machen, wenn sie sie findet? Kann sie Marisa noch als Freundin ansehen? Was soll sie tun? "Youmu! Antworte mir! Wo bist du?!" Marisas Stimme wird immer heiser vom Schreien. Ihr Blick ist verschwommen und unklar. Nur Weiß und Schnee. Sie weiß nicht, wo sie lang geht. Sie ist orientierungslos. Aber sie sucht weiter nach ihrer Retterin. Sie ist besessen von dem Ziel, Youmu wieder nach Hause zu bringen. Ein unangenehmes Kratzen im Hals macht sich bei Marisa bemerkbar. Sie hustet stark. Das Kratzen will aber nicht vergehen ... Ihre Beine sind schwer von der Erschöpfung und Belastung. Die Blonde stolpert. Sie verliert ihr Gleichgewicht und findet sich im Schnee wieder. Zitternd liegt Marisa auf dem Schnee, auf dem sie noch gegangen ist. Wie ein kleines Häufchen Elend. Wie damals, als sie an der Seitengasse saß, kurz nachdem sie ihr Gedächtnis verloren hat. Kalt, einsam ... ohne Ausweg aus dem Trauma ... Dann bemerkt sie etwas ... Etwas, was unmittelbar vor ihren Augen steht. Ein Stein ... ... ein Grabstein ... Ist das ein Zeichen? Ist sie zum Sterben verurteilt? Oder ... ist sie schon längst tot? Mit ihrer verbleibenden Kraft versucht Marisa ihren Arm zu bewegen. Sie berührt zitternd und sanft den Grabstein. Er fühlt sich kalt an ... ... ohne ein Fünkchen Leben ... Marisas Sicht wird etwas klarer ... Der Sturm ist nicht mehr so stark wie vorher ... Aber er lässt den Schnee weiter in der Atmosphäre tanzen und wiegen. Die Blonde erkennt Buchstaben auf dem Stein. Ein Name. Sie liest den Namen der toten Person unter der Erde laut vor: " ... Mo ... na ... Kiri ... same ..." In Marisas Kopf schlägt ein Blitz ein. Dieser Name ... sie hat ihn schonmal gehört ... Mona Kirisame. Woher kennt sie diese Person ... wer ist sie? Marisas Kopf wird wieder von unerträglichen Schmerzen heimgesucht. Sie fasst sich am Kopf ... will die Pein unterdrücken ... Es gelingt ihr nicht ... Sie schreit auf. ... Bilder ... Viele unsortierte, unverständliche Bilder geistern durch den Kopf des blonden Mädchens. Sind das Szenarien ... aus ihrer Vergangenheit? Sie sieht ... ... ein kleines Mädchen mit blonden Haaren, die sich im Spiegel betrachtet. Sie trägt ein wunderschön geschmücktes Kleid. ... in unmittelbarer Nähe steht eine Frau. Ihre Haare sind ebenfalls blond, kurzgeschnitten. Sie ist ... mehr als nur schön ... sie sieht aus wie ... ein Engel. Sie lächelt. Ein verständnisvolles, warmes Lächeln. Vorallem ... mütterlich ... ... In einem anderen Bild liegt die engelsgleiche Frau auf dem schneebedeckten Boden. Sie liegt in einer Blutlache. Zu ihr gekniet hockt das kleine Mädchen ... zerrt verzweifelt an der Jacke der Frau ... weint bitterlich ... ruft immer wieder: "Mama ... Mama, steh auf ... Mama ..." Aber ... die Frau regt sich nicht ... gibt keine Antwort ... ... In wieder einem anderen Bild sitzen fein und elegant gekleidete Männer in einem Kreis. Trinken Sake, unterhalten sich, rauchen Zigarren. Im Hintergrund des Geschehen ... das kleine Mädchen, die inzwischen etwas älter ist. Gekleidet in einer Dienstmädchenuniform, hält ein Tablett in ihren Armen ... Ihr Gesichtsausdruck ... monoton, leblos und ohne jegliche Form von Freude ... ... Dann ... im nächsten Bild ... versteckt sich das Mädchen hinter einer Mauer ... und beobachtet ... wie einer der Männer aus dem Kreis eine Pistole zieht. Und mit dieser Handfeuerwaffe erschießt er den Mann vor ihm ... Kopfschuss. Entsetzt schreit das Mädchen auf, womit sie die Aufmerksamkeit des Mörders auf sich zieht. Er schreitet zu ihr, brüllt sie an: "Was hast du hier zu suchen? Ich hab dir doch gesagt, du sollst im Haus bleiben!" Er packt sie an die Schultern, um sie dann an die Wand zu stoßen. Sie verletzt sich dabei am Kopf ... ... Der Rest ist Schwarz ... Noch einmal schreit Marisa vor Schmerzen. Dann wird ihr bewusst ... was das für Bilder waren ... Die Kopfschmerzen lösen sich ... Der Blizzard um sie herum legt sich ... Jegliches Weiß, dass die Atmosphäre wie Nebel bedeckte, löst sich. Trägt den Schleier der Verschwommenheit fort. ... und mit ihm der Schleier, der Marisas Kopf bedeckte ... Sie kommt wieder zu Kräften ... Langsam steht die Blonde auf. Youmu schaut auf ihre Umgebung ... Jetzt, wo der Sturm sich gelegt hat, erkennt sie den Ort, an dem sie sich aufhält. Der Friedhof. Sie hat sich an dem Gartenhaus des städtischen Friedhofs niedergelassen. Die Silberhaarige schaut auf die Umgebung hinter sich, während sie sich an der Mauer versteckt hält. Sie sieht Marisa, einige Meter von ihr entfernt, vor einem Grabstein stehen. Youmu richtet ihren Blick wieder geradeaus. Marisa ist zwar heiser, nimmt aber ihre letzten Kräfte ihrer Stimme, um zu rufen: "Youmu! Ich weiß nicht, ob du hier bist oder du mich hören kannst. Ich wollte dir aber noch etwas sagen. Danke für alles, was du für mich gemacht hast. Und es tut mir Leid, was ich dir im Gegenzug angetan habe. Ich habe keine Ahnung, warum ich dich geküsst habe. Ich kann es mir selber nicht erklären. Jedenfalls brauchst du dir keine Gedanken mehr um mich zu machen. Ich habe meine Erinnerungen wieder. Also gibt es keinen Grund mehr für mich, hier zu bleiben. Du hast ja anscheinend schon genug von mir. Vielleicht sehen wir uns wieder ..." Youmu hört genau, was Marisa ihr zuruft. Sie hat ihre Erinnerungen wieder ... Die Silberhaarige würde sich für die Blonde freuen ... wenn da nicht diese andere Aussage wären ... ... Sie will gehen ... ... Einfach gehen ... In Youmu macht sich viele Gefühle breit ... Traurigkeit ... dass Marisa gehen will und sie wieder allein sein wird ... Angst ... dass sie Marisa nie wieder sehen wird ... Selbst wenn Marisa sie überrumpelt hat ... kann und will sie nicht, dass sie wieder aus ihrem Leben verschwindet ... Nicht nur, um nicht mehr die Einsamkeit spüren zu müssen ... ... Da ist etwas anderes ... etwas, was Youmu nicht weiß ... nicht versteht ... nicht begreift ... Dieses etwas ... will, dass Marisa da bleibt und nicht wieder geht. "Youmu ... Leb wohl ..." Nach diesen Worten dreht sich Marisa zum Friedhofstor und geht. ... sie geht ... Nein, das darf sie nicht! Sofort steht Youmu auf und läuft zu der Blonden. "Marisa!" Sofort bleibt Marisa stehen. Nicht nur wegen dem Ruf ... Das silberhaarige Mädchen hat sich von hinten an sie geklammert. Lehnt ihre Stirn an den Rücken der Blonden. "Bitte ... Marisa ...", gibt Youmu von sich zu hören. "Bitte, geh nicht. Bleib hier ... Lass mich nicht allein ..." Marisa ist völlig überrascht. Die Trauer und die Angst, die sie in Youmus Flehen heraus gehört hat ... Jetzt wird es ihr klar ... Nicht nur im Leben der Blonden haben sich schlimme Ereignisse ergeben, sondern auch im Leben ihrer Retterin ... Beide Mädchen ... die unterschiedlicher nicht sein können ... aber doch eines gemeinsam haben ... Beide Mädchen ... wurden auf grausame Weise in die Einsamkeit gedrängt. Und vom Leben bestohlen ... Marisa legt ihre Hände auf die von Youmu, die sie immer noch festhält. Sie flüstert. "Youmu ... ich bleibe ... bei dir." Kapitel 5: Wenn die Sterne in der Nacht sterben ... --------------------------------------------------- Die Nacht ist kalt und bitter. Die Lichter der Laternen bringen Schein in die dunklen Straßen. Langsam und ohne Hast rieselt der Schnee in der Finsternis. Lässt den Anschein erregen, es würden kleine Teilchen von Sternen fallen. Ein lauter Nieser erklingt im Wohnzimmer. Abermals holt sich Marisa ein Taschentuch und putzt sich mit ihr die Nase. Sie ist eingewickelt in eine warme, weiche Decke und wärmt sich am Feuer des Kamins auf. "Du scheinst dich erkältet zu haben ..." Youmu betritt mit zwei Tassen, gefüllt mit heißer Schokolade, das Wohnzimmer. In ihren Worten ist ein Nachklang von Traurigkeit zu hören. Marisa merkt das schnell. Die Silberhaarige gibt sich offensichtlich die Schuld an ihrem jetztigen Zustand. Sofort versucht die Blonde, sie positiv zu stimmen. "Ach, war doch bloß ein Nieser. So ein kleiner Schneesturm macht mir nix aus. Ich bin viel härter als du denkst." Dabei zaubert sich auf ihrem Gesicht ein selbstsicheres Grinsen. Marisas Reaktion überrascht Youmu etwas. Seit sich die beiden Mädchen kennen, hat sie die Blonde noch nie so selbstsicher und munter gesehen. Sie wirkt fast wie ein kleiner Sonnenschein. Das muss wohl die wahre Marisa sein. Jetzt, wo sie ihr Gedächtnis zurück hat. Jetzt, wo sie endlich wieder weiß, wer sie wirklich ist. Youmu setzt sich zu Marisa an den Kamin und reicht ihr eine der beiden Tassen, die das blonde Mädchen dankend annimmt. Der Silberhaarigen kommt ein Gedanke. Das Mädchen neben ihr ... wie munter sie zu sein scheint ... Ist sie am Ende doch nicht so eine einsame, betrübte Seele, wie sie am Anfang vermutet hat? Gehört sie doch zu den Menschen, die jeden Morgen mit einem strahlenden Lachen antritt? ... Wird sie am Ende doch nicht verstehen können, wie es in ihr aussieht ... Der Schnee nimmt von der Anzahl her ab. Immer weniger Flocken fallen vom Himmel auf die Erde. Die Dichte der Wolken nimmt ab. Gibt langsam aber sicher Einblick in den sternbedeckten Himmel. Marisa bemerkt den nachdenklichen Gesichtsausdruck von dem Mädchen neben ihr. Sie nippt vorsichtig an ihrer Tasse. "Was ist los? Du wirkst so bedrückt." Die Frage reißt Youmu aus ihren Gedanken und wieder zurück in die Realität. Sie weiß nicht, was sie antworten soll. Sie überlegt schnell, was sie sagen soll. Sie blickt zum lodernden Feuer, hört das Knistern des Holzes. "Ich ... fragte mich nur ..." Marisa blickt durchdringend zu Youmu. "... wie du gelebt hast ..." Etwas, was sie nicht mehr loslässt. Was sie am aller meisten wissen möchte. Marisas Vergangenheit. "Ich würde gerne wissen, wie du aufgewachsen bist ... wo du her kommst ..." Marisa ist etwas überrascht. Sie soll von sich erzählen. Von ihrem Leben. ... ... selbst wenn es für die Blonde kein so glückliches Thema ist, wie man zu vermuten scheint ... Ihr Blick wandert zur knisternden, wärmenden Flamme. "Soll ich dir wirklich alles erzählen?" "Ja ... bitte ..." Youmus Antwort kommt mehr als Flüstern aus ihrer Kehle. Ihr blauen Augen sind nun vollkommen auf Marisa fixiert. Die Blonde atmet tief ein und wieder aus. "Okay ... dann erzähl ich dir alles ..." ~~ Der Himmel ist hell und unbewölkt. Kein Wind weht. Kein Schnee fällt. Alles ist ruhig und friedlich draußen. "Ich komme jetzt raus!" Eine fröhlich klingende Kinderstimme ertönt aus der Umkleidekabine. Das blonde kleine Mädchen tritt aus der Kabine aus und präsentiert sich voller stolz. Sie hat einen langen, mit weichem Pelz geschmückten, schwarzen Wintermantel an. Wie ein kleines Model gibt sie sich preis. Dreht sich einige Mal um ihre eigene Achse. Vor ihr steht eine wunderschöne, freundlich aussehende, blonde Frau. Sie lächelt begeistert. "Du siehst toll aus, Marisa. Wie ein kleiner Engel." "Bekomme ich diesen Mantel, Mama?" "Natürlich." Marisa macht darauf erfreute Luftsprünge. Ihre Mutter weist die kleine Blonde drauf hin, sich umzuziehen. Mutter und Tochter ... Glücklich, mit einem erfüllten Leben ... Während eines Wintertages ... Ein Tag, der in Marisas Leben viele Veränderungen bringen soll. Auf dem Weg nach Hause ... Die schöne Frau und ihre Tochter gehen die weiße Straße entlang. Keine Flocke fällt vom Himmel. Alles scheint friedlich. Breit grinsend hüpft Marisa, hält dabei die Hand ihrer Mutter fest. Diese lächelt einfach. Freut sich für ihre Tochter. Ein lautes Klirren weckt ihre Aufmerksamkeit. Sie schauen zur anderen Straßenseite. Aus einem Gebäude, dessen Fensterscheibe gerade zerstört wurde, stürmt ein junger Mann heraus. Schwarz gekleidet, Skimaske. Ein Einbrecher. Mit einer großen Tasche und einer Handfeuerwaffe rennt er ins Freie. Dicht gefolgt von einer anderen Person. Ein Zivilist. Er will den Störenfried fassen, rennt hinter ihm her. Der Verbrecher merkt das. Dreht sich um. Richtet seine Pistole auf ihn. Bevor er abdrücken kann, wird er vom Zivilisten zu Boden geworfen. Beide landen auf dem Boden. Dabei löst sich ein Schuss. Die schöne Frau, nimmt die unwissende Marisa in ihre Arme. Stellt sich schützend vor sie. ... ... Stille ... ... Aus heiterem Himmel legt sich die Ruhe in der Atmosphäre. Es bilden sich Wolken. Es fängt an zu schneien. Marisa hat verschreckt die Augen zusammengekniffen. Traut sich jetzt wieder, sie zu öffnen. Ihre Mutter liegt über ihr. Hält sie fest. Aber rührt sich sonst nicht ... "Mama ..." Das kleine Mädchen kann sich aus den Armen ihrer Mutter befreien. Kniet nun vor ihr. "Mama?" Die Frau regt sich nicht. Liegt auf dem kalten Boden. Unter ihr eine Blutlache. "Mama, steh auf." Marisa zerrt am Mantel ihrer Mutter. "Mama, steh doch auf." Zerrt immer heftiger am Mantel. Der Atem des Mädchens stockt. Tränen bahnen sich ihren Weg über ihre Wangen. "Mama! Bitte, steh auf! Lass uns nach Hause gehn! Mama!" ... Aber ... ... sie antwortet nicht ... ... steht nicht auf ... Liegt tot auf der Straße. ... ... Der Schnee fällt weiter. Nimmt keine Rücksicht auf die anderen. Rieselt ohne Ende. Inmitten der Straßen hallt ein verzweifelter Schrei eines Mädchens, die gerade ihre Mutter verloren hat. "MAMAAAAAAAAAAAAAAA!" Dunkle Wolken zierren den Himmel. Lassen keine klare Sicht zu. Alles ist trüb und der Himmel sieht aus, als würde jeden Moment anfangen zu weinen. Einige Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, ist Marisas Leben nicht mehr so, wie es mal war. Kurz nach dem tragischen Moment kam sie ins Waisenhaus. Sie hat vollkommen dicht gemacht. Wagte es nicht, sich den anderen Kindern zu öffnen. Sprach nicht. Lachte nicht. War vollkommen allein. Das änderte sich nicht, selbst nachdem sie von dem reichen, fein angezogenen Mann adoptiert wurde. Der Leiterin des Waisenhauses erzählte er, er würde sich gut um die kleine Blonde kümmern. Sie behandelt, als wäre sie seine leibliche Tochter. Er nahm sie zu sich. Doch alles, was er gesagt hatte. Alles, was er versprochen hatte. ... Alles war gelogen. Kurz nach der Ankunft, zeigte er sein wahres Gesicht. Er zwang Marisa dazu, eine Dienstmädchenuniform anzuziehen. Zwang sie zur Arbeit in seinem Haus. Alles, was er sagt, muss befolgt werden. Bei Befehlsverweigerung wird er handgreiflich. Schlägt das wehrlose Mädchen mit seinem Gürtel. Fluchtversuche führen auch zu dieser Bestrafung. Marisa kann nichts tun. Nur gehorchen, um keine weiteren blauen Flecken vom Gürtel zu bekommen. Kann nichts anderes tun, als sich das gefallen zu lassen. Wird so ihrer menschlichen Würde beraubt. Und niemand, der ihr hilft. Ihr zur Seite steht. Niemand. Sie bleibt allein. Die dunklen Wolken verziehen sich langsam. Lassen den Sicht zum dunklen Nachthimmel zu. Der Mond wirft sein kaltes, helles Licht auf die Erde. Marisa sitzt in ihrem Zimmer. Vollkommen in Gedanken versunken. Ihr Herr hat ihr befohlen, auf gar keinen Fall das Haus zu verlassen. Er wollte was erledigen, meinte er. Marisas Kopf ist voller Fragen. Warum soll sie das Haus nicht verlassen? Was hat er vor? Und warum war sein Gesichtsausdruck noch grausamer als sonst, als er das Haus verließ? Die Blonde versteht es nicht. Sie ist von Neugier gepackt. Sie will zu gerne wissen, was er vor hat. Sie schaltet die Lichter des Hauses nicht an. Lässt alles in Dunkelheit. Und in dieser Dunkelheit schleicht sich Marisa aus ihrem Zimmer und schließlich aus dem Haus ins Freie. Auf einem großen, freien Platz erblickt sie auch den Herren. Nur der Mond dient auf diesem Platz als einzige Lichtquelle. Bei ihm steht ein weiterer Mann. Er hat einen Koffer bei sich. Marisa versteckt sich hinter einer Mauer. Will unentdeckt alles beobachten. Sie sieht wie sich die beiden Männer unterhalten. Kann aber nichts von ihrer Position aus hören. Dann reicht der Unbekannte seinen Koffer ihrem Herren. Marisa fragt sich, was das zu bedeuten hat. Ist das eine Art Tauschaktion? Was ist in dem Koffer? Ihr Herr nimmt den Koffer an. Sagt danach noch etwas, worauf der Unbekannte schockiert reagiert. Und plötzlich holt ihr Herr eine Pistole auf seinem Jacket. Richtet sie gegen den Kopf des anderen Mannes. ... Und drückt ab. Ein lauter Knall erhallt auf dem Platz. Der Unbekannt fällt. Liegt nun mit blutigem Gesicht auf dem steinigen Boden. Rührt sich nicht mehr. Entsetzt und von Panik übermahnt schreit Marisa auf. Ihr Herr wird aufmerksam. Schaut zur Mauer. Entdeckt das blonde Mädchen. Er wird wütend und stürmt auf sie zu. "Was machst du hier? Ich hab dir doch gesagt, du sollst im Haus bleiben!" Bevor Marisa reagieren kann, hat er sie schon erreicht. Er packt sie fest an den Armen und schubst sie gegen die nächste Wand. Sie prallt mit ihrem Hinterkopf gegen die Mauer. Sinkt zu Boden. Verliert das Bewusstsein. Eine ältere Frau, die vom Lärm geweckt wurde, ist rausgerannt. Wollte nach dem Rechtem sehen. Entdeckt dabei die Leiche auf dem großen Platz. Und bemerkt auf die bewusstlose Marisa. Sie blutet am Kopf. Ihr Herr hat sich aus dem Staub gemacht. Die Dame ruft die Polizei und einen Krankenwagen. Langsam flackern die Augen der Blonden auf. Wird von hellem Licht geblendet. Sie nimmt den Geruch von medizinischen Stoffen war. Sie liegt in einem Zimmer des Krankenhauses. Lag mit einer Gehirnerschütterung mehrere Tag lang im Koma. Nun ist sie wieder wach. Marisa schaut sich um. Erblickt weiße Wände. Findet sich in einem ebenfalls weißem Bett wieder. Bemerkt dann auch schließlich den Mann neben ihr. Ihr Herr. Er sitzt mit verschrenkten Armen auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Schaut sie verachtend an. "Na, meint das Leben es also doch gut mit dir." Marisa wird hellhörig, als sie seine Stimme wahrnimmt. Sein Blick verfinstert sich noch mehr. "Ich warne dich. Wenn du irgendjemanden erzählt, was du gesehen hast, bringe ich dich höchstpersönlich in die Hölle, wo du hingehörst." Marisa versteht nicht, was er sagen will. Ihr Kopf ist vollkommen leer. Von schwarzem Nebel umgeben. "Entschuldigung, aber ..." Ihre Stimme erklingt leise und schwach. "... was soll ich gesehen haben? Wer sind Sie?" Der Herr bemerkt den verwirrten Ausdruck in Marisas goldenen Augen. Er versteht sofort. Und auf seinem Gesicht bildet sich ein kaltes, boshaftes Lächeln. Marisa war wieder eingeschlafen, nach dem Besuch ihres Herrn. Sie erwacht wieder. Bemerkt, dass sie nicht mehr in ihrem Bett liegt. Spürt stattdessen die kalte, eisige Winterluft um sich rum. Sieht den Schnee vom Himmel fallen. Merkt, dass sie selber im Schnee liegt. Marisas Blick ist trüb und unscharf. Erkennt nichts wieder. Bemerkt nur die Silhouette eines Mannes. Hört eine Stimme, die zu ihr sagt: "Nun, ruhe und sterbe so, wie du es verdient hast, Marisa." Und die Silhouette verschwindet. Marisa bleibt allein im Schnee zurück. So sitzt die Blonde allein im Schnee. Lässt die Flocken vom Himmel auf sie fallen. Die Menschen gehen an ihr vorbei. Beachten sie nicht oder ignorieren sie einfach. Niemand steht dem hilflosen Mädchen. Beinahe dem Tod nahe. Ohne Hoffnung. Der Würde und der Stolz beraubt. Auf sich gestellt. Zu nichts mehr fähig ... "Alles in Ordnung?" Und an diesem Tag ... An diesem verschneiten Wintertag ... ... lernt Marisa Youmu kennen. ~~ "So ist das alles passiert." Mit geweiteten blauen Augen schaut Youmu zu Marisa. Sie ahnte nicht, dass hinter der Erscheinung der Blonden so eine Geschichte steckt. Eine Geschichte von ... ... Trauer und Einsamkeit ... ... genau wie ... Der Schnee rieselt weiter und unbeschwert. Die Luft ist kalt und bitter. Die Lichter der Laternen strahlen wie helle Sterne. Marisa schaut mit einem undefinierbaren Blick auf die knisternde Flamme. Sie fühlt in gewisser Weise etwas Erleichterung. Es handeln sich zwar um Erinnerungen, die sie gerne für immer vergessen hätte ... Aber ... Dass die Blonde endlich alles von der Seele gesprochen hat ... ... dass sie sich endlich nach so langer Zeit der Einsamkeit und der Schmerzen wieder jemanden öffnen kann ... Das erleichtert Marisa zutiefst. Sie trinkt einen großzügigen Schluck der Schokolade aus ihrer Tasse. "Naja, die Hauptsache ist doch jetzt, dass ich noch lebe. Und dass alles ein Ende hat. Oder nicht, Youmu?" Sie schaut leicht grinsend zur Silberhaarigen. Auf einen Schlag ändert sich ihr Gesichtsausdruck wieder. Youmu sieht Marisa immernoch mit geweiteten Augen an ... ... weinend ... "Hey, was ist los?" Besorgtheit erklingt aus Marisas Stimme. Hat sie vielleicht was Falsches gesagt? Hat sie die Silberhaarige auf irgendeine Weise verletzt? Was könnte sie gemacht habe, dass sie weint? Youmu versucht zu antworten. "Ich ... ich wusste ... nicht ... ich ahnte nicht ... dass du ..." Sie ahnte nicht, dass Marisas Netz der Einsamkeit so groß ist. Größer, als sie es sich vorgestellt hat. Genau so groß wie ihr Netz. Die Tränen, in der ihre gesamten Gefühle stecken, brechen aus. Bahnen sich alle ihren Weg über ihr Gesicht. Entsetzt lässt Marisa ihre Tasse fallen. Die Tasse kommt auf dem Boden auf. Zerspringt in große Scherbenstücke. Gleichzeitig reagiert Marisa reflexartig. Nähert sich Youmu. Schließt sie in ihre Arme. Will sie beruhigen. Ihr Kraft schenken. Bei ihr sein. Die Silberhaarige nimmt die Wärme der Blonden war. Spürt ihre Besorgnis. Marisa fühlt den zitternden Körper in ihren Armen. Muss selbst gegen die Tränen ankämpfen. "Youmu, bitte, nicht weinen." Youmu hört Marisas Worte. Krallt sich an ihren Hemd fest. Legt ihre Stirn auf ihre Schulter. Marisa bemerkt das. Spürt die Art, wie sich die Silberhaarige an sie klammert. Das Zittern ihres Körpers. Das lässt die Vermutung der Blonden, auf dem Friedhof, bestätigen. "Youmu, du bist genauso einsam wie ich ..." Darauf richtet das jüngere Mädchen wieder aufrecht. Sieht die Blonde aus feuchten, blauen Augen an. Der Schnee rieselt unbeschwert weiter. Vom Himmel auf die Erde. Glitzern wie Sternenstaub. Bringen in Verbindung mit den Laternen Glanz in die dunkle, kalte Nacht. Die beiden Mädchen sehen sich nur an. "Marisa ..." In dem Moment ... ... wo nichts ist ... ... wo alles still ist ... ... hat Youmu nur einen Gedanken ... ... einen Wunsch ... ... welcher genau vor ihr steht. Kapitel 6: Wenn ein Traum wie der Mond scheint ... -------------------------------------------------- Einzelne Flocken. Der Himmel ist umgeben von Schnee. Fallen ohne Hast vom Himmel auf die Erde. Auf die Welt ... ... wo zwei Mädchen auf grausame Weise in die Einsamkeit gedrängt wurden. Auf die Welt ... ... wo sich diese Mädchen gefunden haben. Youmus Wangen sind von den Tränen feucht. Ihre blauen Augen sind auf die Person vor ihr fixiert. Als würde der bloße Anblick Marisas sie in Trance bringen. Die Silberhaarige krallt sich immer noch an dem Hemd der Blonden fest. Sie merkt nichts um sich. Will nichts um sich merken. Will nur Marisa in ihrem Sichtfeld haben. In ihren Gedanken ... Ihr Herz rast. Marisa öffnet ihren Mund. Will sprechen. Will fragen, ob es dem Mädchen vor ihr besser geht. ... wird aber aufgehalten. Youmus Verstand setzt aus. Wird von etwas ihr völlig Unbekannten übermahnt. Verliert die Kontrolle. Lässt ihren Körper eigenständig handeln. Das silberhaarige Mädchen nähert sich ruckartig der Blonden. Schließt die Augen. Legt ihre Lippen auf die von Marisa. Lässt die Lippen zu einem Kuss verbinden. Marisas Augen sind geweitet. Überrascht sieht sie Youmu an. Das kommt völlig überraschend und unerwartet. ... Einige Sekunden verharren sie in dieser Position. Erst dann lösen sich die Lippen wieder. Erst dann öffnet die Jüngere ihre Augen wieder. ... und merkt, was sie gerade gemacht hat. Sie schreckt zurück. Auf ihrem Gesicht bildet sich eine puderfeine Röte. "Marisa ... entschuldigung ... ich weiß nicht, was mich geritten hat ..." Marisa blinzelt überrascht. ... ... und fängt an zu kichern ... Nun sieht Youmu die Blonde verwundert an. Warum kichert sie? Macht sie sich etwa lustig über sie? Auf Marisas Gesicht hat sich ein heiteres Grinsen gebildet. "Du bist mir ja eine, Youmu. Ich küsse dich und du läufst weg. Und kaum bist du wieder zu Hause, küsst du mich. Als wolltest du dich an mir rächen." Da begreift die Silberhaarige erst. Stimmt ... Marisa hat ja am morgen Youmu geküsst. Unerwartet und plötzlich. Jetzt hat sie die Blonde geküsst. Auch unerwartet und plötzlich. ... Nun muss Youmu kichern. Hört aber schnell auf. Sieht Marisa an. Erinnert sich, wie sich der Kuss angefühlt hat ... ... es war ... ... es war ... ... unbeschreiblich. ... wundervoll. ... ihr wurde warm ums Herz. Sie hat sowas noch nie erlebt. Sie ist ... ... glücklich. "Marisa?" "Hm?" Youmu schaut zur Seite. Mit einer leichten Röte im Gesicht. Lächelnd ... "Würdest du ... würdest du ... mich vielleicht ... nochmal küssen?" Verwundert weiten sich Marisas goldenen Augen. Was hat das Mädchen vor ihr gerade gefragt? Hat sie sich gerade wirklich nicht verhört? "Äh ... wie? ... ähm ... warum? ..." In den Augen der Blonden sieht ihre Retterin aus, als wäre sie in Gedanken versunken. Würde vor sich hin träumen ... ... und ihr Gesicht verrät ... ... es muss ein wunderschöner Traum sein. "Weil ... ich es dann auch wieder tun kann ..." Jetzt wird Marisa ebenfalls rot. Sie will ... Sie wünscht sich ... Marisa hat es eigentlich schon früher gemerkt. Aber noch nie war es für sie so deutlich und klar wie jetzt: Die Tatsache ... wie süß Youmu ist ... ... wie schön sie ist ... Ihr Herz rast. "Youmu?" "Hm?" "Ich hab eine bessere Idee ..." Langsam nähert sich die Blonde der Silberhaarigen. Legt ihre Hände sanft auf ihre Wangen. Spürt vor ihrem Gesicht den warmen Atem der Jüngeren. "Wir ... tun es ... gemeinsam." Die Lider der beiden Mädchen fallen zu. Verlieren sich. Verbinden ihre weichen Lippen miteinander. ... und lassen sich einfach fallen. Der Schnee in der kalten Luft ... ... vermindert sich. Die dunklen Wolken verziehen sich langsam. Lässt einen klaren Blick auf den Nachthinnel zu. Lässt den hellen Schein des Mondes auf die Erde fallen. Alles ist still. Alles ist friedlich. ... wie in einem unvergänglichen Traum ... Die beiden Mädchen sind vollkommen versunken. Lassen die Zeit an ihnen vorbeiziehen. Spüren die Wärme der anderen ... ... und noch ein anderes Gefühl ... Sehnsucht. ... nach der Nähe der anderen. Langsam lösen sie ihren Kuss. Öffnen ihre Augen. Sehen sich an. ... "Marisa ..." "Youmu ..." ... Sie können ihre Blicke nicht voneinander losreißen. Ihre Hände finden sich ... ... falten sich zusammen ... Keine von beiden ... ... weder Marisa noch Youmu ... ... hätten geahnt, dass ihnen sowas passieren könnte. ... dass sie sich mal so nahe kommen ... ... und es ihnen zudem so sehr gefallen würde. So geborgen haben sie sich seit Jahren nicht mehr gefüllt. Als würden alle ihre Ängste, alle ihre Schmerzen, jegliche Einsamkeit auf einen Schlag verschwinden. Ein wünderschönes Gefühl. "Marisa ... danke." "Wofür?" "Dass du in mein Leben getreten bist." "Ich muss mich bedanken. Danke, dass du in mein Leben getreten bist, Youmu." Ihre Worte kommen flüsternd aus ihren Kehlen. Wollen die Stille nicht weiter gefährden. Sie verbinden ihre Lippen erneut zu einem Kuss. ... ~~ ... Benommen öffnet Marisa ihre Augen. Noch etwas schlaftrunken seufzt sie auf. Schaut sich um. Erblickt vor ihr den Kamin. Merkt, dass sie im Wohnzimmer liegt. Die Blonde versucht das Geschehen vom letzten Abend in Gedanken nochmal aufzurufen. Erinnert sich schnell wieder. Sie und Youmu ... ... sind zusammen im Wohnzimmer eingeschlafen ... ... nachdem sie sich noch einmal geküsst haben. Marisa erinnert sich gerne daran. Es macht sie fröhlich ... ... dem Mädchen, dass sie vor dem Kältetod bewahrt hat, so nahe gekommen zu sein. Das Mädchen, der sie so viel zu verdanken hat. Das Mädchen, an dass sie immer denken muss. Das Mädchen, von der sie sogar letzte Nacht geträumt hat. Es war ein fast schon zauberhafter Traum ... ... genau wie die Bedeutung von ihrem Namen ... ... Youmu ... ... Auf einen Schlag fällt Marisa was auf. Sie richtet sich sofort auf. Schaut noch mal zu ihrer Seite. ... Niemand da ... Aber die Blonde erinnert sich, dass die Silberhaarige neben ihr gelegen hat. Aber jetzt ... ... sie ist weg ... In Marisa macht sich Unbehagenheit breit. Ist Youmu etwa wieder weggelaufen? Ist ihr was zugestoßen? Aus der Mulmigkeit wird langsam Panik. Die legt sich aber wieder, als Marisa Schritte hört. Sie kommen vom Flur. Sofort steht die Blonde auf, um nachzusehen. Versteckt wirft sie einen Blick auf die Gestalt, die sich langsam der Eingangstür nähert. Dem Mädchen fällt ein großer Stein vom Herzen, als sie merkt, dass es sich um Youmu handelt. Aber ... Marisa fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Youmus Blick ... ... es steckt viel Trauer in ihr ... ... und auch etwas Verbittertheit. Sie hat ihren Wintermantel angezogen, ihre Schuhe ... ... und hält in ihrer Hand eine Waffe. Ein Schwert, eine Katana. Was hat die Silberhaarige damit vor? Wohin geht sie? Was geht in ihr vor? Marisa macht sich große Sorgen. Youmu öffnet die Tür, verlässt das Haus. ... Die Blonde überlegt nicht lange, was sie nun tun soll. Sie zieht sich ebenfalls ihren Mantel und Schuhe an und folgt der Silberhaarigen. Kapitel 7: Wenn der Schnee sich rot färbt ... --------------------------------------------- An diesem Tag fallen nur vereinzelt Schneeflocken vom Himmel herab auf die Erde. Die Atmosphäre scheint grau und weiß. Die Luft ist kalt, man kann seinen eigenen Atem sehen. Marisa torkelt Youmu hinterher, ohne das sie was davon mitbekommt. Es ist noch sehr früh am Morgen, keiner ist auf der Straße. Marisa wüsste zu gerne, was das silberhaarige Mädchen vorhat. Warum geht sie zu dieser frühen Stunde raus? Warum mit einer Katana bewaffnet? Was ist mit ihrem Blick? Warum ist er so trüb und leer? Die Blonde begreift es nicht. Am Abend davor, nach ihrem Kuss, schien es Youmu noch wieder gut zu gehen. Sie schien sogar ... sichtlich frei. Doch jetzt ... Youmu hält an. Marisa macht es ihr gleich, versteckt sich zudem hinter einer Tonne, die gerade neben ihr steht. Die Silberhaarige schaut sich um, ob auch wirklich niemand da ist, und geht in die Seitengasse. Marisa schleicht hinter ihr her, presst sich an die Wand und schaut über ihre Schulter. Sie sieht die Retterin vor der Mauer, die als Ende der Gasse steht. In unmittelbarer Nähe wurde ein großer Holzstamm aufgestellt. Auf dem steht in fetten Druckbuchstaben das Wort "Hoffnungszerstörer". Das blonde Mädchen bemerkt, dass sich Youmus Blick wieder verändert hat, jetzt wo sie den Stamm anschaut. In ihren leuchtend blauen Augen liegt eine Kombination aus Hass und Verzweiflung. Was hat das alles nur zu bedeuten? In nur wenigen Minuten ist die Atmosphäre noch eisiger und unerträglicher geworden. Dennoch fallen nur wenige Schneeflocken auf den kalten Asphalt. Die Wolken im Himmel sind grauer als vorher. Youmu zieht das Schwert, was sie mitgenommen hat, aus der Scheide, behält dabei den starren Blick auf den Stamm gerichtet. Marisa beobachtet alles von ihrem Versteck aus. Sie hat ein ungutes Gefühl, eine Art Vorahnung ... Als könnte sie mit Sicherheit sagen, dass das, was jetzt folgen soll, was sie gleich sehen sollte, mit Youmus Vergangenheit zusammenhängt. Dass es mit dem zutun hat, was aus ihr das gemacht hat, was sie jetzt ist. Der Griff um das Schwert festigt sich. Die Silberhaarige holt aus und greift schreiend den Stamm an. Ein tiefer Schnitt zierrt nun den Holzstamm. Wenn das ein Mensch wäre, würde er jetzt schwer blutend am Boden liegen. Aber anscheinend scheint es ihr nicht zu reichen. Immer weiter schlägt Youmu mit dem Schwert auf das Holz ein. Mit jedem Hieb schreit sie sich förmlich die Lunge aus dem Leib. Wird demnach nach kurzer Zeit sehr heiser. Marisa schaut ihrer Retterin zu. Es schmerzt. Es tut ihr im Herzen weh, Youmu so zu sehen. Sie muss sich zusammenreißen, aufgrund dessen, was sie beobachtet, nicht in Tränen auszubrechen. Vorallem jetzt, wo ... Marisa trifft erneut der Schlag. Erschöpft steht Youmu keuchend vor dem massakrierten Stamm ... und weint. Sie denkt aber nicht daran, aufzuhören. Sie setzt zum nächsten Schlag an. Aber ... Sie stolpert und bricht zusammen. "Youmu!" Marisa verlässt geschockt ihr Versteck und rennt zu ihrer Freundin. Die Kälte ist fast nicht zu ertragen. Sowohl der Himmel als auch die Umgebung ist grau. Zwischen dem Schnee fallen nun auch kleine Regentropfen auf die Erde runter. Es wirkt fast, als würde der Himmel weinen. Marisa hält die zu Boden gegangene Youmu fest in ihren Armen. Sie will ihr Kraft schenken. Sie vor jeglicher Pein schützen. Einfach für sie da sein. Die Silberhaarige sieht das Mädchen, was sie festhält, verwundert an. "Marisa ... wieso ..." Marisas Griff festigt sich und sie flüstert: "Ich ... Youmu ... was ist passiert ..." Youmu fängt als Reaktion darauf am ganzen Körper zu zittern an. Ihre Tränen brechen wie zwei Wasserfälle aus. Sie krallt sich an der Blonden fest und lässt alle ihre Gefühle und Emotionen raus. Sie zeigt Marisa all die Schmerzen und die Trauer, die sie erdulden musste. Zeigt ihr das, was sie sonst keinen anderem je anvertrauen konnte. ~~ "Vater! Vater! Ich hab's geschafft!" Mehr als aufgeregt und glücklich läuft das kleine Mädchen mit silbernen, kurzen Haaren und der schwarzen Schleife am Kopf zu ihrem Vater. Sie hält dabei ein großes Holzschwert in ihren Armen. Ihr Vater hat weiße, lange Haare und besitzt einen langen Bart. Mit der Kleidung, die er trägt, macht er den Eindruck eines alten, weisen Kampfmeisters. Tatsächlich ist er ein Schwertkampfmeister und unterrichtet auch seine Tochter. "Vater! Ich kann die Technik jetzt. Soll ich es dir zeigen?", fragt das Mädchen voller Energie und Tatendrang. Der Mann wuschelt ihr kurz durch die Haare und meint: "Kannst du machen, Youmu. Aber später, Yuyuko hat zum Essen gerufen." Danach geht der Meister Richtung Esszimmer. Vergnügt läuft Youmu ihrem Vater hinterher, während sie trällert: "Yuyuko-sama hat Essen gemacht! Yuyuko-sama hat Essen gemacht!" Im Esszimmer wartet die besagte Yuyuko schon auf die beiden. Sie trägt einen langen, blauen Kimono und hat gelockte, rosa Haare. Sie ist wirklich wunderschön anzusehen. Auch wenn sie nur Youmus Stiefmutter ist, da ihre richtige Mutter kurz nach ihrer Geburt verstorben ist, liebt das kleine Mädchen sie über alles, genau wie ihren Vater. Eine glückliche Familie ... ... aber leider nicht für lange ... Einige Tage später ... "... Ich verstehe ... Auf wiederhören ..." Yuyuko hat gerade telefoniert und legt leicht entsetzt den Hörer auf. Das Schicksal hat grausam zugeschlagen. Youmus Vater ist für ein Training in die Berge gefahren. Anscheinend hat er beim Klettern oder wo anders, man weiß es nicht genau, sein Gleichgewicht verloren. Yuyuko bemerkt eine Gestalt im Garten. "Youmu? Bist du noch wach?" Es war eigentlich Schlafenszeit für das Mädchen, aber stattdessen ist sie mit dem Schwert im Garten. Sie scheint trainiert zu haben. Sie schaut zu ihrer Stiefmutter. "Ich konnte nicht schlafen. Also habe ich geübt. Vater soll stolz auf mich sein!" Die Rosahaarige sieht sie betrübt an. Das wird hart, ihr das zu sagen ... Verschweigen kann sie es ihrer Tochter aber auch nicht. "Youmu ... was deinen Vater angeht ..." Youmu horcht auf. Yuyuko muss die traurige Wahrheit verkünden. "Er ... er kommt nicht wieder ... er ist tot." Entsetzen und große Trauer ist in den großen blauen Augen der Silberhaarigen abzulesen. Sie hört zitternd von Yuyuko den Grund seines Todes. Wieso ... ... wieso muss das passieren ... Nach der Nichricht hat das Mädchen sich in ihr Zimmer eingeschlossen und die ganze Nacht lang geweint. Nach einigen Jahren kann das Leben die Silberhharige immernoch nicht in Ruhe lassen. Die Trauer um ihren Vater ist groß. Sie hat den Tod immernoch nicht wirklich überwunden. In der Schule hat sie kaum Freunde. Keiner kann sie leiden. Zudem wird sie von ihren Mitschülern so eingeschüchtert, dass sie Angst hat, zur Schule zu gehen. Sie hat niemanden, an den sie sich wenden kann ... Nur Yuyuko ... Youmu ist gerade 13 Jahre alt geworden. Sie kommt aus dem Schulgebäude, um von einer Nachbarin wieder eine Schreckensnachricht zu bekommen. Sie bringt das geschockte Mädchen ins Krankenhaus. Dort angekommen, stürmt sie ohne Vorwarnung ins Zimmer, wo Yuyuko im schneeweißen Bett liegt. Sie ist zu Hause vor Schwäche zusammengebrochen. Die Ärzte haben eine seltene Krankheit bei ihr festgestellt. Für eine Therapie oder Operation ist es schon zu spät. Verzweifelt rennt Youmu zu ihrer Mutter und fleht: "Yuyuko-sama! Bitte stirb nicht ... bitte ..." Yuyuko sieht in das Tränenüberflutete Gesicht ihrer Tochter. Sie legt ihre Hand auf ihre Wange und lächelt leicht gequält. "Youmu ... mach dir bitte keine Sorgen um mich ... ich werde immer bei dir sein. Selbst wenn ich nicht mehr da bin ..." "Yuyuko-sama ..." "Ich werde dich von oben beobachten und ... und dich beschützen ... ich verspreche es dir ... also weine nicht ..." Alle ihre Kräfte aufgebraucht, fällt Yuyuko in Tiefschlaf. Youmu sieht sie zitternd und mit feuchten Augen an. " ... Mutter ..." Am Tag darauf ist Yuyuko gestorben. Auch wenn sie sagte, dass sie nicht weinen sollte, kann Youmu nichts anderes tun, als ihre Trauer durch Tränen zum Ausdruck zu bringen. Trauer über den Verlust des letzten Menschen, die sie liebt. Trauer über ihre nun entstandene Einsamkeit. Ein Jahr ist vergangen. Es ist ein kalter Wintertag, der Schnee fällt vereinzelt und leicht. Die Luft ist kalt und fast unerträglich. Youmu geht die menschenleere Straße entlang. Der Tod von Yuyuko hat sie schwer getroffen. Sie hat die Schule abgebrochen, sie hatte keine Nerven mehr für die immer heftiger werdenen Schikanen ihrer Mitschüler. Sie hat sich von jeglichen, sozialen Umfeldern distanziert. Das Mädchen fragt sich oft selber, ob sie je wieder froh sein kann. Wenn auch nur für einen Moment ... Youmu geht Gedankenverloren an einer Seitengasse vorbei. Sie seufzt. Wenigstens kann ihr nichts mehr Wichtiges weggenommen werden ... oder ... Vollkommen unerwartet wird die Silberhaarige von hinten gepackt. Ihr Mund wird vom Fremden zugehalten, hindert sie damit, nach Hilfe zu rufen. Sie versucht sich verzweifelt aus dem Griff zu befreien. Aber der Angreifer ist stark und sie hat durch die ganzen Schicksalschläge mehr als die Hälfte ihrer Kraft verloren. Ohne, das sie was dagegen tun kann, zieht der Unbekannte Youmu in die dunkle Gasse. Wenige Augenblicke später ... ... hört man Schreie ... Der Angreifer hat die Flucht ergriffen. Zitternd und jeglicher Kraft beraubt liegt Youmu in der Seitengasse und lässt den Schnee auf sich fallen. Das sowas passiert ... ausgerechnet das ... ausgerechnet jetzt ... Sie versucht aufzustehen. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten und sie spürt starke Schmerzen im Unterleib. Die Silberhaarige schaut runter auf den Schnee, auf dem sie steht. An einigen Stellen hat der Schnee sich rot gefärbt. Sie blutet ... Mit leerem Blick fängt Youmu an, durch die Straßen zu wandern. Ohne jegliche Orientierung, am Ende ihrer Kräfte und Nerven, hinterlässt hinter sich eine Spur aus Blut im Schnee. Einige Zeit lang geht sie so durch die Stadt, sieht keinen, hört keinen ... ... bis sie stolpert ... Ihre Augen erlangen wieder Glanz, als sie sieht, vor was sie zusammengebrochen ist. Yuyukos Grab. Youmu erinnert sich wieder an ihre Worte auf dem Sterbebett. Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dich von oben beobachten und dich beschützen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, die sofort ihre Wangen entlang kullern. Voller Verzweiflung schreit sie dem Grabmal entgegen: "Warum, Yuyuko-sama?! Du hast gesagt, du beschützt mich! Du hast es versprochen!! Wieso hast du nicht dafür gesorgt, dass mir all das erspart bleibt?! Wieso hast du nicht dafür gesorgt, dass mir nichts passiert?! Du hast mich angelogen! Ich hasse dich!!!" ~~ Der Schneeregen scheint nicht weiterziehen zu wollen. Noch immer fallen Regen und Schnee gemeinsam auf die Straßen. Es ist dunkler geworden. Die Kälte besteht immernoch. Marisa sitzt im Wohnzimmer auf der Couch und hält Youmu immernoch in ihren Armen fest umschlossen, die unter Tränen eingeschlafen ist, nachdem sie nach ihrer Rückkehr nach Hause der Blonden alles erzählt hat. Heute ist der Tag, an der der Angreifer von damals sie ... Marisa ist tief in Gedanken versunken. Wie grausam das Schicksal zu jemanden sein kann. Besonders zu so einer in ihren Augen wunderbaren Person wie Youmu. Immer, wo sie denkt, sie ist dem Horror entkommen, verliert sie wieder etwas Wichtiges in ihrem Leben. Wie viel die Welt ihr genommen hat ... Ihre Familie, ihre Fröhligkeit, ihr Mut, ihre Unschuld, ihre Hoffnung, ihre Träume, ihr Glaube ... Alles, was bleibt ... ist Einsamkeit und Schmerzen ... Eine kleine Träne entspringt Marisas Auge. Das silberhaarige Mädchen hat so ein Leben wirklich nicht verdient ... ... Niemals ... Sie schaut in Youmus schlummerndes Gesicht. Sie wirkt so ... befreit ... und erleichtert ... Die Blonde streicht ihrer Retterin leicht über die Wange. Sie ... hat es wohl einfach gebraucht ... Jemanden, dem sie von ihren Leiden erzählen kann, was alles passiert ist. Der Tod ihrer Eltern, die Vergewaltigung ... Einfach eine Schulter, an der sie sich ausweinen kann. Marisa seufzt. Sie steht vorsichtig auf und hebt Youmu in ihren Armen auf. Trägt sie langsam in ihr Zimmer. Dort angekommen, legt die Blonde ihre Freundin auf ihr Bett. Marisa schaut ihr noch lange ins Gesicht. Fährt dabei mit ihren Fingern durch ihre Haare. Sie sind weich. Die Dunkelheit umgibt die Straßen, umhüllt sie wie ein Mantel. Der Regen hat nachgelassen. Nur der Schnee fällt von den dunklen Wolken runter auf die eiskalte Erde. An dieser kalten, leeren Dämmerung flüstert Marisa dem Mädchen, der sie ihr Leben verdankt, ihren Entschluss zu. "Youmu, ich verspreche dir, dass du nie mehr weinen musst. Ich werde bei dir bleiben und dich beschützen." Kapitel 8: Wenn im Schnee ein Lächeln erstrahlt ... --------------------------------------------------- Es fällt kein Schnee vom Himmel. Dennoch ist der Himmel nicht voller Ruhe und Sorglosigkeit. Der Wind heult, die Wolken sind dunkel und es spiegelt eine unerträgliche Düsterkeit aus. Youmu windet sich mehrmals in ihrem Bett. Schweißperlen sind auf ihrer Stirn und sie zittert. Zudem kann man auch kleine Tränen auf ihrem Gesicht erkennen. Sie hat einen furchtbaren Alptraum. Sie sieht Marisa. Die Blonde und auch die Silberhaarige haben an ihrem ganzen Körper Blutflecken. Aber Wunden haben sie äußerlich nicht. Auf Marisas Gesicht hat sich ein gequältes Lächeln gebildet. Mit ihren leuchtenden goldenen Augen sieht sie Youmu an. Dann erscheinen plötzlich um den beiden schwarze Schattenähnliche Gestalten. Sie umschlingen die beiden Mädchen, fesseln sie, gewähren ihnen keine Flucht. Aber ... Nur Youmu wird bloß festgehalten. Die Schlingen um Marisas Körper, Armen und Beinen festigen sich allerdings immer mehr. Ein unerträglicher Schmerz scheint sie zu durchströmen, doch trotz der Qualen ... ... lächelt sie ... Panik bildet sich in Youmu. Sie versucht was zu rufen. Aber aus ihrer Kehle entflieht kein Laut. Kein Geräusch. Nichts ... nur Stille ... Die Fesseln werden fester, härter, enger ... ... bis mehrere laute Knackgeräusche erhallen und Marisas Knochen brechen. Die Blonde schreit vor Schmerzen. Youmu öffnet entsetzt den Mund, um auch zu schreien ... ... aber wieder ist nichts zu hören ... Immer mehr Tränen fließen ihre Wange entlang. Sie kann und will das nicht sehen. Wie das Mädchen, das in ihr Leben getreten ist ... ... das Mädchen, das bei ihr geblieben ist ... ... das Mädchen, was ihr zugehört hat, als sie von ihren Leiden erzählte ... ... mit jeder weiteren Sekunde mehr und mehr verletzt und gepeinigt wird. Voller Angst sieht die Silberhaarige in Marisas Gesicht. Die Blonde lächelt wieder ... Als will sie ihr sagen: "Mach dir keine Sorgen. Mir geht's gut ..." Hinter Marisa erscheint ein weiterer Schatten. Sie nimmt die Form von riesigen, schwarzen Scherenklingen an. Die gespreizten Klingen positionieren sich um Marisas Hals. Immer mehr Angst und Panik steigt in Youmu auf. Der nackte Horror ist in ihren Augen zu lesen. ... Die Schere schneidet ... ... und sie sieht Blut ... Mit einem lauten, angsterfüllten Schrei erwacht Youmu aus ihrem Alptraum. Schwer atmend und mit rasendem Herzen sitzt sie nun aufrecht auf ihrem Bett. Es war ein Traum ... Ein furchtbarer Traum ... ... Marisa ... Die Tränen fließen wieder in Strömen. "Youmu!" Die Silberhaarige schaut auf. Auf ihren Schrei hin, ist Marisa zu ihr gerannt. "Was ist-" Weiter kommt die Blonde nicht. Durch den Traum verängstigt und zitternd schlingt Youmu ihre Arme um Marisas Körper. Krallt sich an ihr fest. Will sie nicht wieder gehen lassen. Marisa vernimmt das furchtvolle Schluchzen ihrer Freundin. "Was ist los?" Unter den Tränen entgegnet das silberhaarige Mädchen mit bebender Stimme: "... Schatten ... Schere ... Blut ..." Es fällt ihr zu schwer ... Es fällt ihr zu schwer, zu erzählen, was sie gesehen hat. Mit anzusehen, wie das Mädchen, was ihr inzwischen so viel bedeutet, gefoltert und dann umgebracht wird. Marisa seufzt. Sie streichelt Youmu sanft und beruhigend über den Rücken. "Es war nur ein Traum ..." Ja, es war ein Traum ... Nichts, als ein furchtbarer Traum ... Ein Traum, mit einer Bedeutung. Doch diese Bedeutung soll fürs Erste unter Verschluss bleiben ... ~~ Es ist ruhig draußen, eigentlich zu ruhig. Keine Wetterumschwünge geschehen, weder Schnee, noch Regen. Es ist fast wie die Ruhe vor dem perfekten Sturm ... Eine vergleichbare Stille herrscht am Küchentisch. Keiner der anwesenden Mädchen sagt ein Wort, sondern schauen in Gedanken versunken auf ihre leeren Teller. Marisa erinnert sich an das Versprechen, welches sie ihrer Freundin gegeben hat. Youmu denkt über ihren Alptraum nach und die bestehende Bedeutung. Während Marisa, motiviert durch das Versprechen, bereit ist, dem Mädchen, welches sie mag, zu helfen und zu beschützen, hat Youmu eine Art böse Vorahnung, dass in ferner Zukunft was Schlimmes mit der Blonden passieren könnte. Zeitgleich richten sich die Mädchen auf und schauen die jeweils andere an mit den Worten: "Sag mal ..." Sie kichern. "Du zuerst, Youmu." "Nein, war nicht so wichtig ... und du?" Verlegen und mit puderroten Gesichtern schauen sie zur Seite. Um zu verhindern, dass sich wieder eine unangenehme Stille im Raum ausbreitet, meint Marisa: "Naja ... du kannst mich ruhig für bescheuert halten, aber ... ich hab mich gefragt, ob ... kann man uns eigentlich als ein Paar bezeichnen?" Während sich Marisa vor Verlegenheit am Hinterkopf kratzt, wird die Röte in Youmus Gesicht noch stärker. Sie antwortet leise: "Ich ... ich denke schon ... ja." "Gut ... gut, das freut mich." Das blonde Mädchen fängt an zu grinsen. Eine breites Lächeln, welches nicht nur Freude ausstrahlt, sondern auch Freude verbreitet. Denn Youmu muss sie nur ansehen, und sie vergisst ihre Sorgen. Vergisst ihre Befürchtung, dass der Alptraum ein böses Omen ist. Anstelle der Furcht bleibt nurnoch Freude und Glück. Die Silberhaarige lächelt. Sie steht auf und geht zu ihrer Freundin. Sie kniet sich vor der Anderen hin und legt ihre Stirn auf derren Schulter und ihre Hände auf Schlüsselbeingegend. Sanft flüstert sie gegen Marisas Haut: "Ich bin froh, dass ich dir meine Geschichte erzählt habe ... es ist, als wäre mir eine Last endlich vom Rücken genommen worden ..." Marisa versteht, was das Mädchen vor ihr meint. Ein warmer Ausdruck ist nun in ihrem Gesicht bemerkbar. Sie legt ihre Arme um Youmus schmalen Körper. Nimmt dabei ihren Duft wahr. Niemand sagt was. Die Mädchen spüren die wohltuende Wärme der Anderen. In diesem Moment der Ruhe und des Glücks fällt Marisa eine Idee ein. Sie löst ihre Umarmung und sagt: "Mir ist gerade etwas eingefallen. Etwas, was erledigt werden sollte. Komm mit mir." Verwundert schaut Youmu die Blonde vor ihr an. Nach einer Weile der Überlegung nickt sie. ~~ Noch immer herrscht ruhiges Wetter. Es gibt nichts, was die angenehme Stille um die Atmosphäre herum zerstören könnte. Kein Regentropfen fiel vom Himmel. Keine Schneeflocke suchte ihren Weg auf die Erde. Nur ein sanfter Wind wehte durch die Straßen und Häuser. "Wir sind da." Durch diesen angenehm ruhigen Tag führt Marisa Youmu zu dem Ort, von der sie meint, dass dort was Wichtiges erledigt werden muss. Irritiert schaut die Silberhaarige zuerst den Platz und dann ihre Freundin an. "Der Friedhof? Wieso bringst du mich hierher?" Marisa festigt ihren Griff auf Youmus Hand. Sie traut sich nicht, die Andere in die Augen zu schauen. Nachdenklich und mit einem Ausdruck in der Stimme, der zeigt, dass sie Angst hat, sie hätte was Falsches gemacht, antwortet sie: "Nun ... ich hab mir bloß gedacht ... dass dir vielleicht ein klärendes Gespräch mit ihr ganz gut tun würde ... Ich meine, ich kann dich nicht zwingen, also wenn du nicht willst, dann können wir natürlich wieder gehen." In Gedanken versunken richtet Youmu wieder ihren Blick auf den Friedhof. Auch ihr Griff um Marisas Hand wird fester. "Nein, Marisa ... du hast Recht." An sie gewendet fügt sie hinzu: "Bitte, begleite mich ..." Marisa dreht ihr Gesicht zu Youmu. Lächelnd entgegnet sie: "Klar doch." Hand in Hand betreten sie das Friedhofsgelände. Außer ihnen ist heute niemand anwesend. Mit jedem Schritt wird der Herzschlag der Jüngeren schneller. Sie ist nervös. Das merkt Marisa. Dann schließlich bleiben sie stehen. Sie stehen vor einem Grab. Yuyukos Grab. Die Nervosität in Youmu wird größer. Sie traut sich kaum zu atmen, geschweige denn zu sprechen. "Nur Mut. Du schaffst das", flüstert Marisa ihrer Freundin zu. Wieder bei Sinnen schaut das angesprochene Mädchen sie an und nickt schließlich. Dann richtet sie ihren Blick wieder auf das Grab. Sie atmet tief ein und aus. Versucht sich so zu beruhigen. Dann fängt sie schließlich an zu sprechen. "Hallo, Yuyuko-sama ... es ist lange her ... natürlich, seit ich dich so angeschrien habe, kam ich auch nicht mehr zu Besuch. Genau deshalb bin ich auch jetzt hier ... Ich ... wollte mich für damals entschuldigen ... ich meine, du konntest am Wenigstens was dafür, was mir passiert ist ... Als du noch lebtest, du warst immer so gut zu mir. Als wäre ich deine leibliche Tochter gewesen. Und wie bedanke ich mich dafür?" Bevor sie weitersprechen kann, fällt Youmu vor dem Grab ihrer Stiefmutter auf die Knie und lässt ihren Kopf sinken. Wie vereinzelte kleine Regentropfen fallen ihre Tränen auf die lehmige Erde. "Aus reiner Verzweiflung heraus ... ließ ich dich dafür büßen ... Du hattest es nichtmal verdient. Ich wollte das nicht! Bitte, verzeih mir, Mutter!" Das bisher so ruhige Wetter wandelt sich. Wo vorher noch alles still war, fallen nun vereinzelte kleine Schneeflocken vom Himmel. Wie kleine, sanfte Wesen schweben sie runter auf die Erde. Kein Wind versetzt sie in Schwingungen. Youmu schaut vom Boden rauf auf den Himmel. Für einen Moment hatte sie ein seltsames Gefühl. Etwas Warmes, welches sie zart berührte. Es kommt ihr so vor, als hätte Yuyuko sie gehört und geantwortet. Es war, als hätte sie ihr verziehen. Marisa, die alles schweigend beobachtet hat, legt mitfühlend eine Hand auf die Schulter ihrer Freundin. Dann spürt sie selber etwas Eigenartiges. Eine Art kurzer Stubser auf ihre Schulter von vorne. Als will etwas oder jemand, dass die Blonde nach vorne schaut. Das macht sie schließlich auch. Bei dem, was sie vor sich sieht, weiten sich Marisas Augen. Nun fällt sie auf die Knie. Sie kann nicht glauben, was in ihrem Blickfeld steht. Verwundert wendet sich Youmu an ihre Freundin und fragt, was passiert ist. Marisa fehlen die Worte. Sie kann nur als Antwort ihren Finger nach vorne richten. Die Silberhaarige begutachtet das, auf das Marisa zeigt. Es ist ein Grab. Ein Grab, der unmittelbar neben dem von Yuyuko steht. Der Name, der auf dem Stein gemeizelt war ... Mona Kirisame. "Mama ..." Wie ein leises, heiseres Krächzen kommt dieses Wort aus Marisas Kehle. Überrascht fragt Youmu nochmal nach: "Das ist deine Mutter?" Ihre Freundin nickt nur. Sie streckt ihren Arm nach dem Stein aus. Will die eingemeizelten Buchstaben unter ihren Fingerkuppen spüren. Will prüfen, ob das nicht nur Halluzination ist. Aber es ist keine. Das Grab von Marisas Mutter liegt wirklich neben der von Youmus Stiefmutter. "Das kann kein Zufall sein ...", sagt Marisa schließlich, es ist als ob ... als ob ..." "Sie gemeinsam auf uns aufpassen wollen und uns schließlich zusammen gebracht haben", beendet Youmu den Gedankengang ihrer Freundin. Die Mädchen schauen sich an und fangen schließlich an zu lächeln. Lächeln, die Freude und Glück ausstrahlen. Reine Freude und reines Glück. Der Schnee fällt weiter. Sie fallen vom Himmel und malen Bilder auf dem Boden. Weder Marisa noch Youmu werden es je wissen. Aber an diesem Tag, in diesem Moment ... Da bildeten die Schneeflocken hinter den beiden Grabsteinen Bilder. Kleine Symbole. Und diese sehen so aus wie zwei lächelnde Gesichter. Kapitel 9: Wenn Ruhe vor dem Sturm herrscht ... ----------------------------------------------- Ein kühler Wind weht durch die Ritzen und engen Gassen der Stadt. Die Dunkelheit der Nacht hat sich wie ein Mantel um die Atmosphäre gelegt. Ein leichter Nebel umhüllt die Umgebung und verschleiert die Sicht auf Alles. Trotz Müdigkeit findet Marisa keinen Schlaf. Nichts hilft ihr beim Einschlafen. Leise seufzend richtet sie sich auf. Sie schaut durch das Fenster auf den Himmel. "... dämmlicher Vollmond ...", flüstert die Blonde nur. Dann richtet sie ihren Blick auf die friedlich schlummernde Person, die neben ihr auf dem Bett liegt. Marisa schmunzelt. Wenigstens ist Youmu nicht so anfällig auf den Vollmond wie sie, denkt sie sich. Das ältere Mädchen berührt zart die Schulter ihrer Freundin. Tastet mit Vorsicht die Fasern ihres Körpers ab. Zeichnet behutsam mit ihrem Finger ein Herz auf die Haut. Dann hüllt Marisa die Schulter in die Decke ein und küsst leicht Youmus Haar. Nach diesen kleinen Gesten steht die Blonde auf. Sie schleicht sich leise aus dem Zimmer und wandert ins Wohnzimmer. Vielleicht hilft ein langweiliger Film ihr beim Einschlafen. Mit diesem Plan in Gedanken setzt sie sich auf die Couch. Sie nimmt die Fernbedienung in die Hand und drückt den roten Knopf zum Einschalten des Fernsehers. Sie erschrickt leicht, als beim Einschalten ein Monster der Kamera entgegen springt. "Ich guck definitv keinen Horrorfilm..." Marisa wechselt mehrmals die Kanäle. Sucht nach etwas, was Müdigkeit hervorruft. Doch fast alle Sender müssen genau jetzt in irgendeiner Weise etwas Aufregendes oder Adrenalinhebendes zeigen. Sei es nun Comedy, Action oder sogar Erotik. Nichts eignet sich zum Entspannen. Marisa ist schon dabei, aufzugeben. Doch dann erwischt sie eines dieser Kanäle, welche rund um die Uhr Nachrichten senden müssen. Jeden Tag so gut wie ein und dasselbe, ohne Veränderung. Perfekt. Nach einer Weile auf den Bildschirm starren, setzt sogar tatsächlich die Müdigkeit ein. Noch bevor Marisa allerdings einschlafen kann, verändert sich die Tonlage des Nachrichtensprechers. Eine Eilmeldung. Wahrscheinlich wieder was von irgendwelchen Anschlägen, ganz weit weg von hier. Die Blonde will wieder versuchen, ins Reich der Träume einzutauchen. Schließt ihre Augen. Doch ein Name zwingt sie wieder in die Wachsamkeit. Ein Name, von der sie dachte, ihn niemals wieder zu hören. Ihre Aufmerksamkeit gilt jetzt der Eilmeldung. "Richard Marl wurde heute des Nachts von der Polizei überrascht und es kam zu einer Verfolgungsjagd bis zu den Müllanlagen der Stadt. Es herrschte schon seit Jahren der Verdacht auf Betäubungsmittel- und Menschenhandel auf ihn. Während der Flucht wurden in der Zwischenzeit die Rauschmittel beschlagnahmt und die Mädchen, die als Sklavinnen verkauft werden sollten, für nähere Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Marl wurde beim Einsatz der Polizei in der Müllanlage getötet. Weitere Details werden nach Beenden der Zeugenbefragung bekanntgegeben." Jeder einzelne Satz, jedes einzelne Bild ... Marisa ist sprachlos. Sie hat alles erwartet, aber nicht das. Wie betäubt schaltet sie den Fernseher wieder aus. Dann herrscht Stille. Und Dunkelheit kehrt ins Wohnzimmer zurück. Der Nebel, der sich über der Stadt verbreitet hat, lichtet sich. Dunkle Wolken verzieren den Himmel. Doch der Mond scheint noch durch die großen, freien Stellen der Wolken. Neben den Straßenlaternen die einzige, natürliche Lichtquelle in der Dunkelheit. Marisa sitzt immernoch auf der Couch im Wohnzimmer. Lässt das gerade Erfahrene durch den Kopf gehen. Wie ein leises Krächzen entflieht ihr nur ein Satz aus der Kehle. "... er ist tot ... und ich bin frei ..." ~~ Ein leichter Schneefall. Die Schneeflocken schweben leicht wie Federn auf die Erde. Vereinzelt und ungestört. Kein Wind lässt sie tanzen. Entsprechend kümmern sich die Menschen nicht weiter um den Schnee und ziehen genauso sorglos durch die Straßen. Marisa sitzt Gedankenverloren in ihrem Zimmer auf dem Bett. Die Nachricht von Richard Marls Tod, welche sie letzte Nacht erfahren durfte, lässt ihr keine Ruhe mehr. Zuviele Gedanken wandern in ihrem Kopf rum. Außer dem leisen Prasseln von Wasserstrahlen nebenan, verursacht durch die Dusche, nimmt sie sonst nichts um sie herum wahr, oder kann sie durch ihre Gedankengänge nicht wahrnehmen. Das Geräusch von prasselnden Regenschauern oder etwas, was dem gleichkommt, hilft der Blonden meistens beim Denken. Vielleicht liegt es an ihrem Namen. Eigentlich kann sie es dabei belassen. Eigentlich kann Marisa es einfach akzeptieren. Der Tod dieses Mannes. Aber es gibt etwas, was ihr keine Ruhe lässt. Etwas, was sie nicht nachvollziehen oder verstehen kann. ... Das Prasseln des Wassers hört auf. Die Dusche ist ausgeschaltet. Nach einigen Minuten der Stille öffnet sich die Tür zum Zimmer. Doch Marisa, in Gedanken versunken, bemerkt es nicht. Auch nicht, dass sich jemand neben sie setzt. "Marisa?" Überrascht schaut die Angesprochene auf. Mit fragendem Blick und noch feuchten Haaren von der Dusche mustert Youmu ihre Freundin. Halbherzig versuchend, ihr Problem runterzuspielen, schmiegt sich Marisa kichernd an die Silberhaarige. "Hmm, du riechst so gut." "Hmm, danke", entgegnet Youmu mit leicht gerötetem Gesicht, "aber ... stimmt was nicht? Du sahst bedrückt aus ..." War klar, dass sie das merkt, denkt sich Marisa, ich kann nichts vor ihr verbergen. Sie kehrt in eine normale Haltung zurück und lässt ihren Blick ins Leere gehen. "Ist was passiert?", fragt die Jüngere besorgt. Das blonde Mädchen seufzt leise. Dann schließlich erzählt sie es ihr. Die Nachricht, die sie aus der Bahn geworfen hat. "Mein Meister, der mich ausgesetzt hat, ... er ist tot." Mit geweiteten Augen starrt Youmu Marisa an. "Was?" "Ja, hab es gestern in den Nachrichten gehört ... die Polizei hat ihn erwischt, er floh ... und fand nur seinen Tod." Völlig emotionslos erklärt sie ihrer Freundin die Umstände von Marls Ableben. Dann stellt Youmu eine schon berechtigte Frage. " Aber das heißt doch, dass du frei bist ... du wurdest gerächt. Freust du dich nicht?" Leise und kurz lacht Marisa auf, bevor sie wieder gedankenversunken antwortet: "Versteh mich nicht falsch, ich freu mich schon ... aber es fehlt was ... ich kann mich nicht zu hundert Prozent freuen, weil irgendwas noch fehlt ..." "Und darüber machst du dir jetzt Gedanken? Was es ist, dass fehlt zu deinem Glück?" Monoton nickt die Blonde. Mit leichten Schuldgefühlen murmelt ihre Freundin vor sich hin: "Tut mir Leid, ich wünschte, ich könnte helfen ..." Nach einer gewissen Zeit des Schweigens richtet Marisa ihren Blick auf Youmu. "Youmu?" Sie schaut auf. Die Blonde nimmt zart die Hand der Anderen. Ihr Gesicht ziert nun ein schiefes Lächeln. Ihre goldenen Augen spiegeln gewisse Emotionen wieder. "Mach dir keine Sorgen, ich komm schon noch drauf, was es sein könnte. Außerdem kannst du doch helfen ..." "Ja? Wie?" "Indem du mich von meinen Sorgen ablenkst." Die Augenlider der Mädchen fallen zu. Lassen wieder ihre Gefühle zueinander ihre Körper übernehmen. Ihre Lippen treffen aufeinander. Wie beim ersten Mal verteilt diese zarte Berührung in Beiden eine wohlfühlende Wärme. Etwas unbeschreiblich Schönes. So sanft wie möglich drückt Marisa ihre Partnerin während des Kusses in die Matratze. Nein, sie will nicht weitergehen. Sie will Youmu nur eine bequemere Position verschaffen. Und im Inneren will die Blonde sehen, wie ihre wunderschönen blauen Augen sie aus der Position heraus anschaut, sollten sie sich wieder voneinander lösen. Doch keiner von beiden möchte es zulassen. Nur leider braucht ein Mensch Luft zum Atmen. Für diese kurze Zeitspannen trennen sie ihre Lippen wieder. Dies nutzt Marisa auch aus, um ihren kleinen, inneren Wunsch zu erfüllen. Was sie sieht, macht sie sprachlos. Youmu schaut sie vollkommen verträumt an. Entgegen ihren Lippen flüstert die Blonde ihr zu, bevor der nächste Kuss entsteht: "Du bist ... so schön ..." Beim zweiten Kuss wurden die Gefühle und die Wärme der Mädchen noch intensiver. Ganz leise entsteht bei beiden die Sorge, ihre Herzen würde ihnen jeden Moment aus dem Körper springen, so stark wie sie schlagen. Doch die Emotionen gewinnen wieder die Oberhand, als Marisa was Neues ausprobiert. Sanft stubst ihre Zungenspitze gegen Youmus Unterlippe. Erbittet so um Eintritt. Kurz schlagen beide Augenpaare auf. Schauen sich an. Wie der Austausch von Gedanken. Die Augenlider fallen wieder zu, während der Mund der Silberhaarigen leicht geöffnet wird. Die Ältere von beiden nutzt die Chance und lässt ihre Zunge behutsam in die Mundhöhle gleiten. Findet schnell das Ziel. Stubst die Zunge ihrer Freundin an und bittet so um einen kleinen Tanz. Sie gibt der Bitte statt. Was folgt ist ein Überfluss an Hitze, Gefühle und Sehnsucht nach der Anderen. All das Ausgelöst durch einen Walzer zwischen zwei Zungen. Fast gleichzeitig entflieht beiden Mädchen ein wohliges, gedämpftes Seufzen. Erst durch Luftmangel müssen sie sich wieder lösen. Sie schauen sich glücklich an. Das Atmen fällt ihnen noch schwer, aber es ist ihnen egal. Sie haben einander. "Danke, Youmu, für deine Hilfe." "Keine Ursache." Der Schnee rieselt weiter. Nichts stört den Frieden und die Ruhe in der Atmosphäre. Die Stille wirkt etwas bedrückend. Fast schon unheimlich. Wie die Ruhe vor dem Sturm oder vor einem Schrecken. Mit einer mittelgroßen Tüte im Arm geht Marisa durch die Straßen. Sie hat sich bereit erklärt, kurz zum Supermarkt zu gehen, um einige Sache zu besorgen. Es ist nicht viel, weshalb das blonde Mädchen darauf bestand, allein zu gehen. Deswegen und weil sie noch ein kleines Geschenk für Youmu holen wollte. Es ist nicht besonderes. Nichts großartiges oder teures. Einfach etwas, was von Herzen kommt. Dieses Etwas ist nicht in der Tüte, sondern sicher in Marisas Manteltasche verstaut, unmittelbar neben einem Handy, welches ihr Youmu gab, damit sie sich bei Notfall erreichen können. Genau aus diesem Handy erklingtin diesem Moment eine Melodie, welches sich die Blonde als Klingelton ausgesucht hat, der unter dem Titel "Love-Colored Magic" gespeichert ist. Marisa weiß sofort, wer sie anruft. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und nimmt den Anruf entgegen. "Hey, Youmu, hast du mich etwa vermisst?" "Nun, schon, und ich wollte wissen, ob alles in Ordnung ist." "Aber natürlich, es ist gerade Mal eine halbe Stunde vergangen. Ich bin schon auf dem Weg nach Hause. Nurnoch rechts abbiegen, der Straße folgen und voilá." Marisa bleibt neben einer dunklen Sackgasse stehen. Sie stellt die Tüte ab, um ihren Arm auszuruhen. Vom anderen Ende der Leitung hört sie Youmu nachdenklich murmeln. Die Blonde hakt nach. "Stimmt was nicht?" "Nein ... ich hab nur ein merkwürdiges Gefühl ..." "Ich bin ja gleich bei dir." "Ich meine es ernst, Marisa. Es ist wie eine böse Vorahnung ..." Marisas Blick wird trüber. Was könnte ihrer Freundin so eine Angst gemacht haben? Sie in so eine Sorge versetzen? Was es auch ist, die Blonde weiß, was zutun ist. Sie nimmt ihre Tüte wieder in die Hand. Geht einige Schritte weiter. "Youmu, mach dir keine Sorgen. Ich bin so schnell wie möglich wieder bei di-" Plötzlich erscheinen Hände von hinten. Der fremde Arm wickelt sich um Marisas Körper. Die andere Hand legt sich grob auf ihren Mund. Will sie so zum Schweigen bringen. Statt vernünftige Wörter kommen nur gedämpfte Hilferufe vom Mädchen. Vor Schreck lässt sie das Handy fallen. Die Leitung besteht noch. Entsprechend dem, was sie hört, fragt Youmu mehrmals, was gerade geschieht. Mit jedem Mal klingt sie immer panischer. Die fremde Gestalt versucht Marisa irgendwohin zu ziehen. Aus Reflex wehrt sich das Mädchen natürlich dagegen. Schlägt um sich. Als sie merkt, dass es nichts bringt, ergreift sie die Hand, mit der ihr der Mund zugehalten wird. Mit aller Kraft schiebt sie die Hand etwas weiter runter. Dann, nach Möglichkeit, beißt sie in das Fleisch des Fremden. Dieser schreit auf. Vom Schmerz betäubt, lässt er Marisa los. Sie muss fest zugebissen haben, denn sie schmeckt Blut. Sie versucht, das Handy zu ergreifen. Doch der Angreifer fängt sich wieder und läuft auf sie zu. Wirft sie zu Boden. Nimmt sie wieder in den Schwitzkasten. Mit einem Klebeband versiegelt er ihre Lippen. Und wieder ertönen nur gedämpfte Schreie aus der Kehle des blonden Mädchens. Während sie weiter versucht, sich aus dem Griff zu befreien, wird sie vom Peiniger in die dunkle Sackgasse geschleift. All dies wurde von einer geschockten Youmu mitangehört. Ihre Vorahnung wurde wahr. Marisa ist was zugestoßen. Und sie ist Zeugin. Vor Entsetzen hat sie ihr Handy fallen lassen. Ausgelöst durch einen Schrei. Nein, nicht der von Marisa, sondern die Stimme der anderen Person. Diesen Schrei hat sie schon einmal gehört. Eine Stimme, die sie niemals vergessen könnte. Eine Stimme, von der sie hoffte, sie nie wieder hören zu müssen. Doch jetzt ist nicht die Zeit dafür. Marisa ist in Gefahr. Wieder bei klarem Verstand, fällt Youmu einen Entschluss. So schnell sie kann, holt sie eines der Schwerter aus dem Schrank ihres Vaters. Im Mantel eingehüllt, in Schuhen und mit dem Schwert bewaffnet, rennt sie raus. Sie folgt jegliche mögliche Wege, die auf Marisas Beschreibung zuvor zutreffen. Sie stößt dabei ein schnelles Gebet gen Himmel. "Bitte ... lass mich nicht zu spät kommen ..." Von der Dunkelheit sicher vor fremden Augen versteckt, hat der Angreifer Marisa bis zur Wand der Sackgasse hinter einigen Müllcontainern gezerrt. Doch die Blonde denkt nicht daran, aufzugeben. Sie schlägt weiter um sich. Kämpft um ihr Leben. Doch spürt sie etwas Kaltes an ihrem Hals. Etwas Kaltes und Scharfes. Das Taschenmesser an Marisas Kehle haltend, flüstert der Fremde ihr ins Ohr: "Wenn dir dein Leben etwas wert ist, bist du jetzt ruhig, verstanden?" Der strenge Geruch von Alkohol steigt dem Mädchen in die Nase. So einer ist das also. Diese Sorte von Mensch ist am unberechenbarsten, soviel weiß sie. Eine falsche Bewegung und Youmu wäre wieder allein. Das ist das Letzte, was Marisa will. Früher wäre es ihr egal gewesen. Aber das ist vorbei. Sie will nicht sterben. Nicht nachdem sie Youmu das Versprechen gab, sie zu beschützen. Widerwillig gibt sie der Drohung des Peinigers nach. Hört auf, sich zu wehren. "Braves Mädchen", säuselt er ihr ins Ohr, wobei Marisa leicht schlecht wird, "jetzt werden wir etwas Spaß haben." Noch bevor das Mädchen sich fragen kann, was er meint, spürt sie seine Hand. Seine Hand auf ihrer Brust. Er massiert sie. Nimmt den Geruch ihrer Haare in sich auf. Aus Scham heraus errötet Marisas Gesicht. Ihre Augen werden glasig, doch sie unterdrückt jegliches Verlangen zu weinen. Sie zittert. Sie will nicht angefasst werden. Nicht so. Nicht von ihm. Aber sie hat keine Wahl ... Ohne Rücksicht auf das Mädchen, drückt der Fremde sie auf den Boden mit dem Gesicht gegen die Wand. So bekommt Marisa einen Blick auf denjenigen, der ihr das antut. Ein junger Mann, Anfang 20, kurze, blonde Haare mit schwarzer Strickmütze, unter seinen grünen Augen sind zwei schwarze Augenringe. Er leckt sich die Lippen. "Geil. Genau wie das Mädel mit den silbernen Haaren." Marisas Augen weiten sich. Voller Schock starrt sie ihn an. Er ist es. Er ist der Mann, der Youmu damals ... Und jetzt würde er ihr das Gleiche antun. Er greift unter ihren Rock. Sucht nach dem Stoff, welches in seinem Bild fehlen sollte. Das Mädchen kneift ihre Augen zu und wartet auf den bevorstehenden Schmerz. Doch bevor er sein Ziel erreichen kann ... "Lass sie sofort in Ruhe!" Marisa spürt, wie seine Hand sich von ihrem Körper entfernt. Verwundert schaut sie auf. Mit unerwartetem Entsetzen richtet sich der Angreifer auf und wagt sonst keine Bewegung zu unternehmen. Seinem Hals gefährlich nah wurde eine Klinge gerichtet. Die Klinge eines Schwertes. Von der Stimme und dem Schwert überzeugt, wer sie gerettet hat, steht Marisa auf. Dann nutzt sie die Unaufmerksamkeit des Mannes und schlägt ihm das Messer aus der Hand, so dass es zu Boden fällt. Sie gewinnt Abstand von ihm. Stellt sich zur zusätzlichen Sicherheit mit einem Fuß auf das Messer. Reißt das Klebeband von ihrem Mund. Sie warnt ihre Retterin mit bebender Stimme: "Youmu, sei vorsichtig. Er ist angetrunken." Das erste, was ihr an Youmu auffällt, ist die Art, wie sie den Peiniger anschaut. Eiskalt. Voller Qual. Angefüllt mit Verachtung und Zorn. Mehr als nachzuvollziehen. Nach all der Zeit trifft sie denjenigen, der sie damals verletzt hat, wieder. Und dieses Mal zieht sie die Fäden. Die Spitze des Schwertes ruht immernoch am Hals der betreffenden Person. Nervös starrt er die Silberhaarige nur an. "Erinnerst du dich wieder an mich?" Ihre Frage ertönt in einer monotonen Klangfarbe, doch steckt voller Hass. Erst jetzt fällt ihm wieder ein, wer sie ist. "Du? E-hey ... wie geht's?" "'Wie geht's?' Ist das alles?", platzt es erzürnt aus Marisa heraus. In Gedanken beschimpft sie ihn zusätzlich als Dreckskerl. "W-was regt ihr e-euch so auf? Ich meine, was hab ich denn getan?", stottert der junge Mann. Youmus Blick verfinstert sich noch mehr. Ihr Griff um die Waffe wird fester. Sie geht einen Schritt weiter auf ihn zu, versuchend die Fassung zu bewahren, dass sie ihn nicht mit dem Schwert den Kopf abschlägt. In Angst um sein Leben kneift er seine Augen zu. Auch Marisas Zorn steigt. Nur benutzt sie Worte als ihre Waffe. "Was du getan hast?! Spiel hier nicht das Unschuldslamm! Und hab wenigstens genug Eier in der Hose, um ihr in die Augen zu schauen! Du hast sie verdammt nochmal vergewaltigt!! Sie ist durch die Hölle gegangen wegen dir!! Und komm jetzt bloß nicht mit so einer dämmlichen Ausrede, dass zum Beispiel der Alkohol deinen Verstand so vernebelt hat, dass du nicht gemerkt hast, dass sie es nicht wollte!" Mit Schock im Gesicht schaut er beide Mädchen an. Glaub zuerst nicht, was die Blonde ihm gerade vor den Kopf geworfen hat. Dann hebt er seine Hände in eine Schutzposition hoch. Schweißgebadet und zitternd meint er: "So ... war das aber nicht geplant ... so wollte ich das nicht ... der Alkohol gab mir ... ein Gefühl von Freude ... das einzige was noch fehlte, war ein schönes Mädchen." Mit einem weiteren Schritt auf ihn zu, flüstert Youmu wütend: "Ist das etwa deine Entschuldigung? Ich sollte dich auf der Stelle umbringen." "Es tut mir Leid! Bitte töte mich nicht!" Er bricht zusammen und geht auf die Knie. Hält immernoch seine Hände in die Höhe. Lässt den Kopf hängen. Verzweifelt, fast schon weinerlich, redet er weiter: "Ich bin ein Loser, bloß Dreck unterm Fingernagel ... Ich muss mir extra Geschichten ausdenken, um das Interesse von Frauen zu kriegen, und das klappt auch nicht sonderlich oft ... Nach einer weiteren Abfuhr sah ich keine andere Möglichkeit mehr, um an das zu kommen, was ich wollte. Und weil es damals so gut klappte, wollte ich es nochmal probieren. Ich flehe dich an, hass mich ruhig, aber bitte, bitte, töte mich nicht. Ich stelle mich sogar der Polizei, wandere ins Gefängnis und all das ... nur bitte ... töte mich nicht ..." Der Schnee rieselt ohne jegliche Hast runter auf die Erde. Es herrscht kein Wind. Kein Sturm. Nichts stört die Ruhe in der Atmosphäre. An einem vergleichbaren Tag wurde Youmu auf furchtbare Weise verletzt. Und jetzt ist der Täter vor ihr. Sie kontrolliert das Geschehen. Hat nun die Macht über das Leben dieses Mannes. Während Marisa das Szenario gespannt verfolgt, kämpft ihre Freundin innerlich mit der Entscheidung. Tod oder Leben? Soll sie ihm ein neues Leben geben? Oder sein Jetztiges nehmen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)