Tapetenphysik von _Yang (Jans Endkampf) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Liam, altes Haus! Ich habe endlich meinen ultimativen Gegner gefunden!" Zwei dünne Arme rüttelten an den Schultern des Belgiers, der unbeeindruckt weiterrauchend auf die schmächtige Gestalt hinab blickte. Fehler Nummer eins. Der Zwerg fraß ihn mit Blicken geradezu auf. "Was red ich da – ich meine den Endgegner! DEN Endgegner! Das musst du dir ansehen!" Jans Stimme überschlug sich vor Begeisterung und gewann wieder dieses perfide charismatische Etwas, gegen das man als Normalsterblicher einfach nicht gefeit war. Und Liam konnte schlecht leugnen, dass in ihm nicht zumindest ein Fünkchen Neugier aufgeblitzt war, was der Grund für diese große Begeisterung sein mochte. "Hm-hm", brummte er mittelmäßig begeistert und schüttelte die lästigen Hände von seinen Schultern. Geh woanders spielen, Kleiner. "Rauch endlich deine Scheißzigarette auf oder ich helf dir dabei! Und dann komm mit, Mensch, das wirst du nicht fassen können, das ist dermaßen genial! Sag bloß, du willst dir die einzigartige Gelegenheit entgehen lassen? Mein Endkampf! Das große, tösende Finale! Der Erzrivale aller renovierender Männer!" "Mich interessiert irgendein Dübel an der falschen Stelle einen Dreck", maulte Liam und zog an seiner Zigarette. Wieso hatte er der nervtötenden Kröte seine Hilfe angeboten? Musste irgendein Helferkomplex sein. "Quatsch, wer spricht denn hier von Dübel, Blondi. Dübel! Das Rauchen hat dir wohl das Hirn geteert – her mit der Kippe", Jan wich behände einem sehnigen Arm aus, der ihn gegen die unverputzte Mauer gestoßen hätte, "... dann eben nicht. Aber jetzt komm!" Entschlossen packte er das Handgelenk des anderen, der gerade die Überreste seiner Zigarette austrat, und zerrte ihn hinter sich her. Fehler Nummer zwei. Liam ließ sich zerren. "Dort oben!", rief Jan aus und deutete auf die Decke etwa sechs Meter über ihren Köpfen. Sie befanden sich in einer alten Fabrikhalle, die Jan aufgekauft hatte und die er nun renovieren wollte. Aus welchem Grund auch immer er in eine still gelegte Fabrik einziehen wollte, damit wollte sich der Belgier nicht näher befassen. Wahrscheinlich wieder eine von Jans abstrusen Ideen. Liam legte den Kopf in den Nacken und starrte hinauf und starrte... auf einen einsamen, mannsgroßen Überrest grässlich geblümter Tapete. "Das ist nicht dein Ernst." "Doch." "Was sucht der Fetzen Tapete in einer Fabrik??" "Was weiß ich, ist doch egal, er ist da und ich werde ihn bekämpfen! Ich werde jeden Quadratzentimeter dieser abscheulichen Tapete von der Decke fitzeln!" "Lass sie doch da oben, irgendwie hat das Stil." "Bist du bescheuert?! Der Altoma-Verschnitt sieht absolut grässlich aus!" Jan machte eine schmutzige Geste gen Tapete. "Viel Spaß dabei, ich helf dir nicht." Liam hatte in der Zwischenzeit eine Wagenladung Farbeimer besorgt. Auf seinem von Jan handgeschriebenen Einkaufszettel (der kleinwüchsige Idiot schrieb tatsächlich in unleserlicher Spiegelschrift) hatten Farbeimer in allen möglichen Farbvariationen und zweihundert Luftballons gestanden. Beim Einkauf hatte sich in Liams Gedanken dann eine grobe Vorstellung von dem manifestiert, was Jan damit vorhaben würde. Kindskopf. Außerdem hatte der Belgier noch eine meterhohe Leiter besucht, um dem vorzusorgen, was Jan vorhaben würde. Zwar konnte er auch hier lediglich dessen Pläne erraten, aber immer, wenn er Jan freie Hand ließ, hatte er ein schlechtes Gefühl dabei. Als er die große, staubige Halle betrat, fielen ihm zuerst wirre Zeichnungen und mathematische Berechnungen auf, die wild auf den Boden gekritzelt waren. Zwischen den mit... Lippenstift??... gemalten Krakeleien fanden sich mehrere leere Rollen Panzertape und Saugnäpfe. Unmengen Saugnäpfe. Da fiel sein Blick auf Jan. "Das ist nicht dein Ernst." "Ich hab das genau berechnet, das funktioniert!" Mit Schwung setzte Jan seinen ersten mit Saugnäpfen bewehrten Schuh an der Wand an. Ein schmatzendes Geräusch und die Saugnäpfe hielten. "Wo hast du deinen Bachelor in Physik her? Das funktioniert niemals! Lass den Quatsch, ich hab eine Leiter dabei!" "Achwas, Leiter, Leiter, wer benutzt heutzutage noch eine Leiter! Das gebührt keinem ultimativen Endgegner!" Schmatz, der zweite Schuh hatte sich an der Wand festgesaugt. Jan befand sich nun ein einer seltsam anmutenden, waagrechten Lage und stützte sich mit den Händen am Boden ab. "Das Seil hält nicht. Das Rohr sieht morsch aus." "Mal nicht den Teufel an die Wand. Das ist stabil!" Jan zog an dem Seil, das neben seiner Hüfte herab hing, und das Abzugsrohr über ihren Köpfen ächzte leise. Allmählich begannen Liams Nerven zu flattern, dieser Idiot würde sich noch das Genick brechen. Eine Zigarette, aber schnell. "Lass den Scheiß oder ich hol dich da eigenständig runter! Ich hab eine Leiter mitgebracht!" Anstatt ihm eine verbale Antwort zu geben, hängte der Idiot sein gesamtes Körpergewicht an das Seil und begann unter großer Anstrengung einen Fuß von der Wand zu lösen. "Ich hab das genau berechnet", kam es keuchend von dem todesmutigen Helden, "ich muss jedes Mal genug Kraft aufbringen, als wolle ich mit einem Bein über die Hälfte meines Körpergewichts zu mir ziehen." Mit einem vernehmbaren 'Plopp' löste sich der Schuh und Jan baumelte am Seil hängend schwungvoll zur Seite. Dabei rutschte er aus seinem zweiten Schuh und hing nun etwas hilflos in der Luft. Anstatt ruhig auf Liams Hilfe zu warten, begann er zu rudern. "Halt still, du Idiot..." Die Worte des Größeren wurden von heftigem Getöse übertönt, als das Rohr über ihnen hinunter brach, direkt Jans schrecklichem Gelächter entgegen. Er lachte wie ihm Wahn, was nur kurz durch seinen unsanften Aufprall unterbrochen wurde, und dann raubten korrodiertes Metall und jahrzehntealter Staub dem hastig zurückgesprungen Liam die Sicht. "Das ist ein Kampf auf Leben und Tod!", brüllte Jan vergnügt, der knapp dem herunter brechenden Rohr entkommen war, und freudig erregt aufsprang. Staub setzte sich auf ihm nieder und gab ihm ein gespentisches Aussehen. "Gib die Leiter her, jetzt mach ich der Tapete den Garaus." Um seine angekratzten Nerven zu beruhigen, war Liam nach draußen gegangen. Nachdem er kurz nach frischer Luft geschnappt hatte, rauchte er die zweite Zigarette innerhalb von drei Minuten auf. Dieser suizidgefährdete Gnom würde seinem altersschwachen Nervenkostüm noch den Garaus machen. Wenigstens benutzte er jetzt die Leiter. Allzu viel konnte dabei nicht mehr schiefgehen – hoffte er zumindest. Die Hoffnung verflüchtete sich zu einem spöttischen Grinsen der Ironie des Schicksals, als von drinnen wieder jenes wahnwitzige Gelächer ertönte. "Herregud", fluchte Liam sehr unbelgisch und stürmte nach innen. Worauf hatte er sich da nur eingelassen. Als er den Lachenden erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. "God in hemel...", entfuhr ihm leise. Da. HING. Dieser Idiot. Mit seinen Händen. An der TAPETE. DIE SICH GERADE LANGSAM ABLÖSTE! "Halt dich an der Leiter fest!", brüllte er zu dem Irren hinüber, der fröhlich die Beine ins Leere baumeln ließ, und wetzte auf die Leiter zu. Scheiße. Jan war wirklich durchgeknallt. "Meine Tapete und ich kämpfen ein Todesduell! Entweder sie muss gehen oder ich!", brüllte der Held juchzend dem heranstürmenden Hünen entgegen. Unter lautem Ratschen, Jans siegessicherem Schrei und einem geblümten Flattern gingen beide zugrunde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)