Leben von Yusuke ================================================================================ Kapitel 1: 16.02.1981 --------------------- 16.02.1981 Ich sitze hier im Kindergarten, spiele mit meinen Freunden. Bestimmt werde ich gleich wieder abgeholt. Spiele ich doch so gerne mit ihnen. Aber heute freue ich mich riesig auf zu Hause, auf Mama und Papa. Mama hat bestimmt mein Lieblingsessen gekocht und danach gibt es Torte, Geburtstagstorte, meine Geburtstagstorte. Ich habe heute nämlich Geburtstag. Bin jetzt stolze 5 Jahre alt. Vielleicht kommt Papa sogar früher von der Arbeit. Das wäre schön. Aber jetzt sollte ich schnell weiter spielen, die anderen gucken schon ganz böse, weil ich wieder so lange brauche. Manchmal versinke ich einfach in eine andere Welt. Aber jetzt ist Zeit zum Spielen. Fragend schaue ich wieder zu der Erzieherin auf, die wieder viel zu schnell in das Telefon spricht um zu verstehen, was sie sagt. Viele Wörter, die sie sagt, kenne ich gar nicht. Das finde ich blöd. Immer reden Erwachsene unter sich und lassen uns Kleinere außen vor. Die Anderen sind auch nicht mehr da. Alle wurden schon abgeholt. Ich dachte, dass ich heute der Erste bin, der geht. Mama muss was super tolles geplant haben um mich zu überraschen. Ich merke, wie ich lächeln muss. Langsam nähert sich die Erzieherin, sieht mich an. "Ich kann deine Eltern einfach nicht erreichen…" "Die sind auf super geheimer Geburtstagsaktion." "Aber die wissen doch, dass das letzte Kind um 16 Uhr abgeholt werden muss." Irgendwie habe ich das Gefühl sie spricht nicht mit mir, sondern mit sich selbst. "Was mach ich denn jetzt mit dir?" Ich antworte nicht, hat sie doch schon wieder nicht wirklich mit mir geredet. Sie setzt sich auf einen der kleinen Stühle an den Basteltisch, guckt ein wenig böse. Bestimmt, weil sie länger bleiben muss. Mir egal. Ich freu mich jetzt einfach riesig auf meine Überraschung. Kann gar nicht mehr still sitzen. Langsam habe ich keine Lust mehr zu warten. Ich glaube, es wird sogar langsam dunkel. Die Erzieherin sitz immer noch an der gleichen Stelle, ist gar nicht so nett, wie heute morgen, als noch viele andere da waren. Und dann klingelt auch noch ihr Handy. Jetzt telefoniert die auch schon wieder, wieso spielt sie denn nicht mit mir, ich hab immerhin Geburtstag. Und dieser Ton, den ihr Handy macht ist furchtbar. Meine Ohren tun weh. Sie redet total leise, ich versteh kein Wort, und sie guckt ganz komisch. Ich hab keine Lust mehr, mir ist langweilig, ich spiele jetzt etwas. Puzzle. Ich gehe zu dem kleinen Tisch, nehme die blaue Verpackung und mache sie auf. Das war viel zu einfach. Bin schon wieder fertig. "Komm wir fahren jetzt nach Hause." Sie nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Haus, macht das Licht aus und schließt ab. Dann sitze ich in ihrem Auto. Sie sagt nichts. Draußen ist es stockdunkel. Ich hab ein wenig Angst, aber ich sage nichts. Bin ja kein Feigling. Dann sehe ich ganz viel Licht. Immer näher fahren wir darauf zu. Dann sehe ich, dass das Polizeiautos sind, zwei. Und noch ein Auto. Ganz kaputt. Liegt da beim Baum. Ob es wohl darein gefahren ist? Sieht aus wie der Actionfilm, den ich gestern gesehen habe. Irgendwie cool. Wir fahren weiter. Sie hält sich ihre Hand vor den Mund. Ob sie gähnen muss? Aber ihre Augen sehen gar nicht müde aus. Kann sie mit einer Hand überhaupt fahren? "Gleich machen wir einen Unfall." Sie sieht mich ganz komisch an, nimmt dann die andere Hand wieder an das Lenkrad. Dann stehen wir plötzlich vor einem kleinen Haus. Ich kenne es nicht. Und die Gegend auch nicht. Ob hier meine Überraschung steckt? Also wusste die Kindergärtnerin auch Bescheid. Da muss echt was tolles in dem Haus sein. Ich renne darauf zu, lache fröhlich. "Mama, ich bin da. Ist Papa auch schon da? Ich weiß, dass ihr mich überraschen wollt, Kommt raus." Dann hält mich Jemand an der Hand, als ich mich umdrehe schaue ich in das Gesicht der Frau. Sie hockt sich zu mir runter, ich kann in ihr Gesicht schauen ohne hoch zu gucken. Ich fühle mich richtig groß. Toll. "Tooru…" Sie hat meinen Namen gesagt, jetzt muss sie mit mir sprechen, das freut mich. War das Teil der Überraschung? Zuerst ignorieren und dann BÄM alle haben mich wieder lieb. Ich lächele sie freundlich an. Aber sie nicht. Sie guckt anders. So wie die meisten Erwachsenen, die man auf der Straße sieht. Sie starren nach vorne, aber sie, sie starrt mich an. Und dann spricht sie wieder. "…deine Eltern sind nicht hier." "Verstecken die sich? Muss ich suchen? Das ist jetzt aber fies, ich musste schon so lange warten." "Nein, sie verstecken sich nicht, Tooru" "Wo sind sie dann?" Ich versteh gar nichts mehr. Erwachsene sind komisch. Die sprechen ihre ganz eigene Sprache. "Sie… sie sind jetzt da oben." Sie zeigt mit dem Finger nach oben, da wo die Wolken sind. Ich glaube sie ist krank, Mama und Papa können doch nicht fliegen. "Auf dem Dach?" "Nein, Tooru, im Himmel." "Ist das mein Geschenk, ein Flugzeug?" "Nein, Tooru, versteh doch." Immer sagt sie meinen Namen so komisch, immer wieder und was soll ich verstehen, sie sagt doch all diese komischen Dinge. Sie streckt ihre Hände nach mir aus, sie bleiben auf meinen Schultern und dann zieht sie mich zu sich, nimmt mich in ihre Arme, drückt mich feste an sich. "Sie sind tot. Hörst du, sie kommen nicht mehr wieder, nie wieder." Ich fange an zu zappeln, will dass sie mich loslässt. Sie lässt los. Ich gucke sie jetzt wütend an. Schon wieder diese dummen Wörter, die ich nicht kenne. 'Tot', was bedeutet das? Etwa… das sie nicht zurückkehren? Leise spricht sie wieder. "Sie kommen nicht mehr…" "NEIN" Nein, das glaube ich ihr nicht sie will mich bloß reinlegen, damit die Überraschung besser wird. Ich laufe durch den kleinen Vorgarten schreie laut "MAMA" "PAPA" "MAMA" "KOMMT HER" "KOMMT RAUS" "BITTE" Keiner kommt, nichts rührt sich, Stille, endlose Stille, nur meine Schreie, so weit weg. Ich stolpere über meine Füße, falle auf den nassen Rasen. Hat es geregnet? Ich fange an zu weinen. Bleibe liegen. Warte darauf, dass Mama angelaufen kommt, um zu gucken ob ich mir wehgetan habe. Warte auf die tiefe Stimme meines Vaters, der mich aufmuntert. Nichts. Und so weine ich leise… flehe in den Himmel "Mama" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)