Leben von Yusuke ================================================================================ Kapitel 6: 16.02.1988 --------------------- 16.02.1988 Ich liege in meinem kleinen Bett am Ende des Raumes. Meinem Zimmer. Es ist dunkel. Ich weiß, dass es draußen schon hell sein muss. Die Uhr verrät es. Schon lange ist nun eine Jalousie vor meinem Fenster. Hält das Licht und somit die furchtbaren Schatten, meine Monster fern. Ich hab sie nie wieder gesehen. Nur das eine Monster. Es kommt wieder, immer wieder. Jede Nacht. Wenn die Frau schläft. Auch die Jalousie kann ihn nicht abhalten. Nichts. Jede Nacht verlangt er dasselbe. Jede Nacht tut er mir weh. Nimmt mir meine Sachen weg. Lässt mich auf dem Boden liegen und jede Nacht weine ich. So lange, bis ich schlafe. Bis ich nichts mehr spüre. Schlafe ich, selbst wenn ich wach bin? Ich spüre nichts. Keine Freude. Nur Schmerzen auch wenn er nicht da ist. Erst gestern war er wieder da. Zweimal in einer Nacht kam er zu mir. Grinsend. Und verschwand und dann kam er wieder lachend. Wieder blieb ich auf dem kalten Boden liegen und er stand bei der Tür, wie immer. Beobachtete er mich. Doch diesmal kam er zurück. Zog mich hoch. In seine Arme. Er hat mich fest an sich gedrückt. Und mir leise Worte ins Ohr geflüstert. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag” Ich merke, wie eine Träne über mein Gesicht läuft. Aber ich denke nichts. Einfach an gar nichts. Und dann geht meine Tür auf. Die Frau steht da. Sie lächelt. Ich wische mir schnell über mein Gesicht. Sie darf nicht wissen, was passiert ist, was die ganze Zeit passiert. Dann wird alles nur noch schlimmer. Sie zieht die Jalousie hoch. Ein unerträgliches Geräusch. Licht kommt in mein Zimmer. Dann kommt sie auf mich zu. Setzt sich auf mein Bett und zieht mich zu sich, in ihre Arme. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag." Erinnerungen an gestern Nacht. Sie kommen wieder. Ich darf nicht weinen. Mir wird schlecht. Und dann erbreche ich mich auf den Boden. Weiße Flüssigkeit verteilt sich langsam über das Holz. Sofort werde ich ins Badezimmer geschickt. Und als ich zurück komme, sieht es aus wie vorhin. Alles ist sauber. Nur sie steht immer noch da. Guckt mich ganz besorgt an. Ich versuche zu lächeln. Ich muss tun, als würde es mir gut gehen. Ich will in die Schule. Ich muss dort hin. Weg von hier. Gleich geht sie zur Arbeit und dann bleibe ich allein mit ihm. Einmal ist das passiert als ich die Grippe hatte und zu Hause bleiben musste. Ich war nie wieder krank… Ich nehme schnell meine Sachen von meinem Drehstuhl und gehe schnell ins Badezimmer. Ich schäme mich auch vor ihr. Und dann spüre ich auch schon eine Hand auf meiner Schulter. "Was hast du vor?" Sie sieht mich streng an und ich muss erklären. "Mich anziehen. Für die Schule." Sie guckt geschockt und schüttelt den Kopf. "Du bist krank. Du bleibst zu Hause." Nein, ich will nicht. Ich kann nicht zu Hause bleiben. Bei ihm. Mit ihm. Allein. Nun schüttele auch ich den Kopf. Wieder versuche ich irgendwie zu lächeln. "Mir geht es gut." Sie guckt mich immer noch komisch an. Ihre Hand liegt immer noch auf meiner Schulter. Ich mag es nicht. Ich will nicht, dass sie mich anfasst, aber sie kann ja nichts dafür. Und ich darf ihr nicht sagen, dass ich das nicht möchte. Dann kommt er wieder. Bringt mir seine Strafen mit. Und dann ist ihre Stimme wieder zu hören. Sie sieht mich nicht an. Guckt auf die Uhr an ihrem Arm. "Du kommst eh zu spät!" Egal. Einfach weg. So lange sie noch da ist, muss ich hier raus. Und auch wenn ich zu spät komme. "Egal!" Ich reiße mich los und renne ins Badezimmer. Beeile mich. Ich mache so schnell ich kann. Ich trete aus der Tür heraus. Greife nach meiner Schultasche und dann höre ich wie die Tür zugeschlagen wird. Ich renne zum Fenster und sehe, wie sie in ihr Auto steigt und langsam losfährt. Ich bekomme Angst. Langsam gehe ich die Holztreppe hinunter. Vorsichtig, so, dass sie keine Geräusche macht. Doch sie macht welche. Laute, knirschende Geräusche. Sie hasst mich einfach. Und dann renne ich. Reiße die Tür auf und atme die frische Luft ein. Das Licht strahlt mir ins Gesicht und ich will laufen. Weit weg. Und dann werde ich zurück gezogen. In das Haus. Die Tür fällt zu. Ich verliere mich im dunklen Schatten. Er steht hinter mir. Schubst mich zur Seite. Ich falle hin und sitze auf dem Boden. Ich mache die Augen zu. Will nicht sehen, was gleich passiert. Doch es passiert nichts. Ich öffne sie einen Spalt breit. Der Mann zieht seine Schuhe an und setzt seinen alten Hut auf. Dann zieht er mich unsanft hoch, nimmt meine Hand. Er guckt böse. Er öffnet die Tür und geht mit mir heraus. Nun sehe ich wie er freundlich lächelt. Auch mich lächelt er an. Er grüßt alle Leute, die er sieht und spricht mit mir. Wir gehen zu seinem Auto. Ich muss einsteigen. Ich sitze vorne, neben ihm. Bevor er die Tür zu schlägt, schraubt er an der Tür herum. Aber es ändert sich nichts… Dann kommt er herum, steigt selbst ein. Wir fahren los. Ich weiß nicht , wie lange wir fahren. Sehr lange und auch nicht wohin. Ich kenne die Gegend nicht. Ich weiß, dass er nichts Gutes vorhat mit mir. Zu viel Schlimmes hat er mit mir gemacht. Das kann er nicht gutmachen und ich glaube er will es auch gar nicht. Ich bekomme wieder Angst. Und dann stehen wir. Ich sehe auf. Eine rote Ampel. Wir halten davor. Meine Chance zu fliehen? Aber wohin? Ich wollte schon lange weg. Ich hab mich nicht getraut. Aber das könnte die letzte Chance sein, die ich habe. Es muss schnell gehen. Bevor wir losfahren. Ich zähle leise bis drei. Dann drücke ich den Knopf und der Anschnallgurt fliegt heraus. Ich ziehe den Türgriff und lehne mich gegen die Autotür, damit es schneller geht. Doch alles was ich spüre, ist eine kalte Fensterscheibe an meinem Kopf. Leichte Kopfschmerzen. Verzweifelt rüttele ich an dem Griff. Und nichts geschieht. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich lasse den Griff los. Lasse mich zurückfallen. Sehe auf den Boden vor mir. Ich hab es wieder nicht geschafft. Er grinst. Ich sehe ihn nicht an, aber ich weiß, dass er mich auslacht. "Vergiss nicht dich anzuschnallen, Tooru. Wir wollen doch nicht, dass dir etwas passiert." Er lacht wieder, als ich mich wieder anschnalle. Und dann fährt er los. Schon länger sind wir an keinem Haus mehr vorbei gefahren. Und dann bleiben wir auf einem riesigen Platz stehen. Es ist staubig und in der Nähe liegt ein Wald. Wir bleiben sitzen, obwohl wir angekommen sind. Ich traue mich nicht zu fragen. Er stellt das Radio ein und lehnt sich zurück. Er grinst mich an. Und dann warten wir. Bis ein zweites Auto, etwas weiter entfernt von uns, stehen bleibt. Der Mann sieht rüber und nickt. Dann sieht er mich noch mal an. Irgendwie traurig. Und dann beugt er sich rüber und drückt seine Lippen auf meine. Zufrieden wendet er sich ab und steigt aus. Er öffnet meine Tür und zieht an meinem T-Shirt, damit ich mich beeile. Zusammen gehen wir zu dem anderen Auto. Aus diesem steigt auch ein Mann aus. Mit Hut und Sonnenbrille. Die Beiden umarmen sich. Ich werde ignoriert. Sie reden miteinander. Ich höre nicht alles. Zu laut ist der Herzschlag, den ich sogar in meinen Ohren höre. Bis der andere Mann sich runter beugt und mein Kinn schmerzhaft in seine Richtung zieht. Er nickt und beide lachen laut auf. Der Mann, den ich nicht kenne, geht zu seinem Auto, holt einen Koffer heraus und gibt ihn an den Anderen. Er lächelt, während er ihn öffnet und einige Scheine Geld heraus holt. Dann schubst er mich zu dem Andren, der mich gleich an die Hand nimmt. Und wieder sitze ich in einem Auto. In dem Auto des Unbekannten. Er fährt los. Weiter in die falsche Richtung. Nicht zurück nach Hause. Kann diese Richtung falsch sein? Während der Fahrt redet er ein wenig mit mir. Er scheint ganz nett zu sein. Fragt viel nach. Und dann bleiben wir stehen. Es ist schon dunkel und überall sind blinkende Lichter zu sehen. "Willkommen in Tokyo." Wieder nimm er mich an die Hand. Ich gehe mit. Folge ihm in eines der vielen Gebäude, die nebeneinander stehen. Und dann stehe ich in einem Raum, der aussieht, wie der von meinem Direktor. Es scheint ein Büro zu sein. Nur kurz bleiben wir dort drin. Dann geht es weiter. Viele Stockwerke hoch. Es scheint ein Hotel zu sein. Wir gehen an vielen Zimmern vorbei. Alle sind durch einen großen Flur verbunden. Vor einem der Zimmer bleiben wir stehen. Er schließt die Tür auf. Alles was ich sehe, sind rosa Wände und ein großes Bett mit rosa Bettwäsche. Ich trete ein und gucke mich um. Erst jetzt fällt mir das kleine Badezimmer auf. Ich schaue fragend hoch. Zum ersten Mal setzt der Mann seine Sonnenbrille ab. Seine Augen sind furchtbar. Mir wird so kalt. Ich kann ihn nicht länger ansehen, schaue weg. "Gib mir deine Sachen!" Ich schaue erschrocken hoch. Nein, nicht wieder. Ich gehe ein paar Schritte rückwärts, weg von ihm. Schüttele den Kopf. Er lacht laut auf. "Freiwillig oder ich helfe nach." Er grinst wieder. Ich gebe ihm meine Hose und mein T-Shirt. Tränen laufen über mein Gesicht. Aber ich darf mein Unterwäsche anbehalten. Und dann geht er und eine Frau kommt herein. Sie gibt mir neue Sachen. Sie sind viel zu eng. Dann drückt sie mich auf einen der kleinen Hocker, die auch in dem Zimmer stehen. Sie fängt an, meine Haare zu bürsten und dann schneidet sie einfach welche ab. Ich huste, als sie mir Haarspray in die Haare sprüht. Dann pinselt sie noch in meinem Gesicht herum und verschwindet wieder. Ich bleibe allein. Wie so oft. Ich sitze auf diesem großen Bett in Tokyo. Nicht mehr Kyoto. Nun bin ich wirklich nicht mehr ich. Das war ich schon lange nicht mehr. Der Mann hat Tooru zurück gebracht. Einen neuen Tooru. Und dann wirft ein fremder Mann seinen Schatten über mich. Und ich begreife, dass viele Wege in die falsche Richtung führen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)