Leben von Yusuke ================================================================================ Kapitel 9: 2.12.1993, Donnerstag -------------------------------- 2.12.1993, Donnerstag Das leichte Schaukeln, das mir die Übelkeit in meinen Körper treibt. Die weißen Punkte, die unaufhörlich vor meinen Augen tanzen. Und eine Wärme, die ich schon lange vergessen hatte. Das Weiß, das mich umgibt. Das unschuldige Lächeln, als ich danach greife. Und dieselbe Kälte durchzuckt meinen Körper, als der Schnee in meiner Hand schmilzt. Das Schaukeln hört auf. Erst jetzt erkenne ich, dass ich getragen werde. Das Gefühl der angenehmen Wärme schlägt in Ekel um. Der Mann drück mich an sich, betritt das kleine Haus. Überall Wärme, zu viel. Alles dreht sich. Panik und Angst, die durch meinen Körper zucken. Unkoordiniert schlage ich meine vor Kälte tauben Arme um mich. Er lässt los. Lässt mich fallen. Ein dumpfer Aufknall. Auf dem Boden sitzend, fühle ich mich kleiner und schwächer als zuvor. Ein besorgter Blick, eine Hand, die nach mir greift. Ängstlich rutsche ich zurück, klammere ich mich an meine Umhängetasche. Flehend sehe ich zu der Tür hinter ihm. Kneife meine Augen zusammen, zähle langsam bis drei. Kraftlos ziehe ich mich an der Wand hoch. Der Raum beginnt sich zu drehen. Ich zwinge meine tauben Beine mich fortzutragen. Immer wieder knicken sie ein. Der Raum wirft sich immer wieder schneller um mich. Ich schließe meine Augen. Meine Füße tragen mich weiter. Verzweifelt taste ich nach der Tür. Bis ich unter meinen zitternden Beinen zusammensacke, direkt in seine Arme. Panisch höre ich meine eigene Stimme. Schrille Schreie und mein zitternder Körper. Er drückt mich von sich weg, gegen die Wand, presst seine Hand gegen meine Lippen. Meine Schreie verstummen. Das Pochen meines Herzens, das meine Ohren einnimmt. Sein sanftes, besorgtes Gesicht. Langsam zieht er seine Hand zurück. Seine Lippen formen Worte, die mich nicht erreichen. Langsam lehnt er sich gegen die andere Wand des Flures. Lasse ihn nicht aus den Augen. Seitenblicke zu der Tür. Wackelnd laufe ich auf sie zu. Umklammere die Klinke, während der Mann seine Hand gegen sie drückt. Er sieht mir in die Augen, schüttelt den Kopf. "Da draußen holst du dir den Tod..." Und wenn schon... Müde fixiere ich sein Gesicht, versuche seine Züge zu deuten. Was erwartet mich hier drin? "...und auch wenn du nicht aus diesen Klamotten rauskommst..." War das eine Anspielung? Aufforderung? "Du tropft meine Wohnung voll!" Erst jetzt bemerke ich meine wasserdurchtränkten Sachen, die Lache, die sich unter mir gebildet hat. Langsam ziehen die Tropfen in den braunen Teppich ein, hinterlassen dunkle Flecken. Seine Hand umschließt meine und vorsichtig zieht er mich durch den langen Flur. Schiebt mich durch eine Tür und setzt mich auf den Toilettendeckel ab. Er wendet sich ab und leise beginnt Wasser zu fließen. Dann spüre ich seinen Handrücken an meiner Wange. Ich schaue überrascht auf. "Du bist ganz kalt." Er beugt sich vor, zieht die nasse Jacke über meine Schultern und schmeißt sie auf den Boden. Er bückt sich, beginnt meine Schuhe aufzuschnüren. Dampf steigt über der Badewanne auf, hüllt den ganzen Raum in schwachen Nebel ein. Die Wärme kitzelt meine Haut und dennoch bleibt die lähmende Kälte. Er stellt meine Stiefel zur Seite, lässt seine Hand in das Wasser gleiten, lässt es weiter laufen, bis die Wanne sich langsam füllt, bis das Wassergeräusch verschwindet. Er dreht sich zu mir, ich weiß es, obwohl ich auf den Boden starre. Spüre seinen Blick auf mir. Er streicht mir über die Haare. Bis er mich ernst ansieht, die Knöpfe meiner Bluse öffnet. Besorgt starrt er auf meinen Oberkörper, wendet sich sofort wieder ab. Traurig schaue ich selbst auf die blauen Flecken, Striemen und Kratzer. Ob er die Flecken an meinem Hals gesehen hat? Ein Gefühl von Scham treibt mir Tränen in die Augen, mühsam unterdrücke ich sie, während ich meine zu kurzen, nassen Haare mit meinen Fingern vor meinen Hals zu kämmen versuche. Bis er den Knopf meiner Hose öffnet. Unter der Berührung seiner warmen Finger zucke ich zusammen. Er scheint es bemerkt zu haben, sieht mich fragend an. Ich schließe die Augen, habe keine Kraft um mich zu wehren. Der Wasserdampf schwebt im Raum, meine Atmung ist schwer. Er wirft meine Hose und meine Strumpfhose in die Ecke, schaut entsetz auf die blauen Flecken entlang der Innenseite meiner Oberschenkel. Er hält inne, während er auf meinen knappen Slip starrt. Mich schämend drücke ich meine Beine gegeneinander. Ich nehme seine tiefe Stimme wahr. "Du kannst ins Wasser." Irritiert schaue ich hoch, auf ihn, auf das Wasser. Ich versuche aufzustehen, stolpere auf die Wanne zu und spüre wie meine Knie nachgeben und wie er seinen Arm um mich legt. Er hebt mich über den Wannenrand, lässt meinen kalten Körper in das heiße Wasser gleiten. "Gleich wird dir warm." Ein warmes Lächeln und wieder streicht er über meinen Kopf. Verschwindet dann aus dem kleinen Badezimmer. Irritiert schaue ich ihm nach, versuche seine Absichten zu verstehen. Ich schüttele den Kopf, gebe mich ganz der erlösenden Wärme hin. Entspannt atme ich den Duft des Kräuterbadezusatzes ein, berühre den weißen Schaum, der sanft auf meiner Haut kribbelt. Müde schließe ich meine Augen, lasse meinen Kopf sinken. Das Wasser umgibt mich, streichelt meine Wange, brennt auf meinen Lidern. Genieße den schmerzenden Drang zu atmen, halte ihn zurück. Ein dumpfes Geräusch in meinen Ohren, viel zu weit entfernt, dringt es zu mir durch. Meine Sinne schwinden. Verliere das Gefühl meiner nach Luft verlangenden Lungen. Bis ich hochgezogen werde. Laut huste und blicke in sein starres Gesicht. Ich schäme mich, sehe weg, spüre seinen fassungslosen Blick noch immer auf mir, ehe ich doch wieder überfordert zu ihm sehe. Er scheint schockiert. Wieso? Ist es nicht egal? Ohne ein weiteres Wort wendet er sich von mir ab und verlässt den Raum, schließt die Tür hinter sich. Was war das denn? Fragend bleibe ich zurück. Und so gut die Wärme des Wassers tut, so sehr kann ich sie gerade nicht ertragen. Was hab ich schon wieder angestellt? Immer wieder... Schwerfällig ziehe ich meinen Körper hoch, aus dem Wasser, stolpere aus der Wanne. Das erdrückende Gefühl meines nackten Körpers. Ich werfe mir den an der Tür hängenden Bademantel um, ehe mich ein stechender Schmerz durchzuckt, wandert von meinem Fuß durch meinen Körper. Das Blut quillt aus dem Schnitt vermischt sich mit dem Wasser auf meiner Haut. Vorsichtig stütze ich mich wieder an der Wand traue mich kaum, die kleine Scherbe aus dem Schnitt zu ziehen, ehe ich es doch einfach tue, ein wenig des Toilettenpapiers auf die Wunde drücke und erst jetzt sehe ich die Erst jetzt sehe ich die zerbrochene Tasse auf dem Boden, die in ihrem gelblichen Inhalt badet. Ob der für mich war? Ein Gefühl der Einsamkeit breitet sich in mir aus, schenke ihm keine weitere Beachtung, ignoriere es, so wie schon immer. Mühsam richte ich mich wieder auf, sehe direkt in den kleinen Spiegel, der an der Wand hängt. Nicht einmal beschlagen ist er, wahrscheinlich wurde er mit Seife eingerieben. Das hatte ich irgendwann einmal gelesen... Ich kann direkt in mein eigenes Gesicht sehen. Ich wende mich ab. Was hab ich nur wieder getan? Ich rubble eines der Handtücher über meine Haare, wische dann die Pfütze aus Tee weg. Rote Flecken zeichnen sich auf das Handtuch, auf den weißen Fließen. Ich schaue auf meinen Fuß, auf die längst vergessene Wunde. Habe ich mich so sehr an den Schmerz gewöhnt? Und dann steht er wieder neben mir, legt die Klamotten, die er trägt beiseite und drückt mich wie vorhin schon auf den Toilettensitz, kniet sich zu mir. Vorsichtig zieht er meinen Fuß zu sich. Er lächelt sanft. "Tollpatsch!" Das Spray brennt und der Verband sitzt zu eng, dennoch bin ich ihm dankbar. Und dennoch kann ich es ihm nicht zeigen. Verstecke alle meine Gefühle, Gedanken unter meiner Maske. Er steht auf und deutet auf die mitgebrachten Sachen. Ein Grinsen ziert seine Lippen. "So eng wie du sie trägst, hab ich aber keine." Er zeigt auf meinen Slip, den ich noch immer trage. Seine Worte schmerzen. Als würde ich ihn freiwillig tragen. Als hätte ich die Entscheidungen in meinem Leben zu fällen. Und dennoch erzwinge ich ein Lächeln. Ich bin es ihm schuldig. Traurig schließe ich meine Augen. Neige meinem Blick dem Boden zu. Das leise Geräusch als sich die Tür schließt. Ich öffne meine Augen. Mein Blick streift über meinen kleinen geschändeten Körper. Eine einzelne Träne, die über meine Wange fließt und durch meine Faust für immer verschwindet. Widerwillig bleibe ich an dem Elend im Spiegel hängen. Schaue in mein heruntergekommenes Selbst. Bis ich mich abwende, die frischen Klamotten des Fremden über meinen Körper streife. Nachdenklich halte ich den Slip in den Händen, bevor ich ihn angewidert in den kleinen Plastikmülleimer neben der Toilette werfe. Ich lege meine Hand an die Türklinke und spüre wie mein Herz fester zu schlagen beginnt. Sofort ziehe ich meine Hand zurück, schwanke ein wenig, da ich meinen anderen Fuß stärker belaste. Ein Gefühl, das ich nicht deuten kann, durchfährt mich. Angst vor dem Fremden? Die Kälte der Wohnung schlägt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Schüchtern sehe ich mich um. Trete ganz aus der Tür, bleibe orientierungslos in dem dunklen Flur stehen. Bis jemand nach meiner Hand greift. Vorsichtig umschließt er sie. Ich schrecke hoch. Sanft zieht er mich mit sich. Er lächelt mich sanft an. "Hab mir schon Sorgen gemacht..." Sorgen? Um mich? Warum? Er wirkt nachdenklich. Derselbe verschlossene Blick wie vorhin im Bad. Er zieht mich weiter in seinen Wohnraum, lässt mich los und setzt sich auf das Sofa, starrt auf den bereits laufenden Fernseher. Verwundert schaut er auf, starrt mich fragend an. Ein leichter Schauer läuft über meinen Rücken, fühle mich ertappt. "Setz dich ruhig." Schüchtern setzte ich mich auf die andere Seite der Couch. Der Raum ist kalt. Er sieht mich wieder an, sein warmes Lächeln. "Dir ist kalt, nicht?" Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt er den Raum. Ignoriert meinen verdutzten Blick. Woher weiß er das? Hatte er nicht vorhin noch meine Hand gehalten... oder ist dort mehr? Er drückt mir eine Tasse in die Hand, stellt eine weitere auf den Eichenholztisch. Sofort fließt die Wärme durch meinen Körper. Sehe wir er den Raum wieder verlässt. Ich setzte die kleine Tasse an meine Lippen, doch noch bevor die Flüssigkeit sie erreicht, setzt ich sie ab. Schaue misstrauisch auf das dampfende Getränk. Halte es dennoch fest umschlossen. Ich hasse mich selbst für mein Misstrauen, während der süße Duft des Tees in meine Nase steigt. Ein heimlicher Blick rüber zu seiner Tasse. Schaue rüber zu der Tür, während ich die Tassen austausche. Gierig schlürfe ich an dem heißen Getränk. Spüre den aufsteigenden Dampf auf meiner Haut. Nachdenklich schaue ich hinein. Mein Gesicht spiegelt sich in der Flüssigkeit. Wann hat mir zuletzt jemand einen Tee gemacht? Sich Sorgen um mich gemacht? Auch wenn ich wieder enttäuscht werde, ich genieße den Moment. Ein warmes Gefühl um meine Schultern, erschreckt schaue ich mich um. Er, der eine Decke um mich legt. Ich lächele schüchtern. "Hey du kannst ja lachen!" Überrascht wende ich mich ab. Höre sein Lachen hinter mir. Und auch ich lächle meiner Tasse entgegen. Ich lächele wirklich. Mein aufrichtiges, ehrlich gemeintes Lächeln. Nicht von Zynismus zerfressen wehleidiges Grinsen. Die Wärme breitet sich in meinem Körper aus. Er setz sich zu mir. Trinkt von seinem Tee. Wieder fühle ich mich schuldig, dennoch genieße ich den Geschmack auf meiner Zunge. Die Hitze, die meine Kehle hinunterfließt. Das leichte Flimmern des Fernsehers, das mich müde macht. Mit einem einfachen Gefühl der Normalität, versinke ich in meine Gedanken. ...Und dann hab ich eine Tasse in meiner Hand. Eine Tasse mit Tee. Heller Rauch kommt aus der Tasse. Und meine Haut wird nass. Sie geht wieder. Nur er ist da. Starrt mich an. Ich weiß ich muss trinken, damit sie sich freut. Ich will nicht. Es ist noch zu heiß. Er guck böse, immer böser. Und ich verbrenne meine Zunge, trinke alles auf einmal aus und trotzdem kommt er näher, immer näher... Schwer atmend wache ich auf. Spüre die weichen Kissen unter mir. Meine Panik steigt. Verzweifelt kneife ich meine Augen zusammen, versuche etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Werfe die erdrückende Wärme der Decke beiseite. Reibe schmerzhaft über meine Arme. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit und ich erkenne, dass ich allein bin. Erleichtert lasse ich mich zurückfallen. Doch nach kurzer Zeit, erhebe ich mich. Verlasse den Raum und schleiche mich ins Wohnzimmer. Dort liegt er. Schlafend auf der Couch. Ich lächele. Er hat mir sein Bett überlassen, obwohl er mich nicht kennt. Gehe weiter leicht humpelnd auf ihn zu, bleibe vor ihm stehen. Lächelnd will ich ihm die Strähnen seiner Haare aus dem Gesicht streichen, doch noch bevor ich seine Haut berühre, ziehe ich meine Hand zurück. Starre angewidert auf sie. Fühle mich schmutzig. So will ich ihn nicht berühren und ihn beschmutzen. Ich wende mich traurig ab. Gehe zu der Heizung, auf der meine alte Kleidung liegt. Ziehe mich um, falte seine Sache zusammen und lege sie auf den Tisch. Verwundert suche ich meine kleine Tasche und Panik durchzuckt mich. Hat er sie genommen, ihren Inhalt gesehen? Mein Kopf beginnt zu schmerzen und stolpere aus dem Raum. Bis ich sie sehe. Auf dem Boden stehend, dort wo ich sie gestern fallen gelassen habe. Glücklich klammere ich mich an sie. Und denke an das Ende des Monats. Ich krame die Geldbörse, die ich gestern geklaut habe aus der Tasche. Sofort schüttele ich den Gedanken ab, wie ich sie bekommen hatte. Gierig öffne ich sie und schaue auf die vielen Bankkarten, mit denen ich nichts anfangen kann. Und dann starre ich geschockt auf den 5000-Yen-Schein, den ich aus dem Portemonnaie ziehe. Mehr ist nicht drin. Verzweifelt sinke ich auf meine Knie. Tränen laufen über meine Wangen. So viel war ich ihm Wert? Und wieder laufen Bilder der letzten Monate durch meinen Kopf. Ich, die Männer, das Betteln nach Geld. Hatte ich doch gehofft, dass er mir mehr Geld geben würde... Seufzend stehe ich unter leichten Schmerzen auf, gehe auf die Tür zu. Und dann sehe ich auf den schmutzigen Teppich, höre ein leises Schnarchen aus dem Wohnraum. Ein letztes Mal gehe ich zurück. Lege ihm das einzige Geld auf den Tisch, denke an den befleckten Teppich, die beschmutzten Klamotten, das Szenario im Bad und den Tee. Ich lege ihm einen Zettel hin. Schreibe mit zittriger Hand ein einziges Wort auf diesen. "Danke." Traurig sehe ich auf ihn und verlasse den Raum, sein Haus und in Richtung der ewigen Kälte des Winters... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)