Criminal Minds - Das Leben danach von Flitzkatze ================================================================================ Kapitel 6: Überraschung ----------------------- Wieder im SUV. Der Himmel ist inzwischen bedeckt. Die Hitze ist nicht mehr stechend, viel eher drückend. Eine Hitze, die aufs Gemüt schlägt. Hotch fährt und Morgan macht den Beifahrer, ich sitze hinten in der Mitte, während wir uns durch Chicagos Nachmittagsverkehr schlängeln. Ich beuge mich nach vorne, um mich mit den anderen über das Dröhnen der Klimaanlage hinweg unterhalten zu können. Ich bin schon ewig nicht mehr gefahren. „Warum hat die Familie keine Vermisstenanzeige aufgegeben?“, fragt Hotch in die Runde. „Aus Angst“, schlage ich vor, „Ein Drohbrief vielleicht.“ „Das würde unseren Wiederholungstäter von Hepburn unterscheiden“, wirft Morgan ein. „In den Medien wurde nie veröffentlicht, dass es keine Kontaktaufnahme zu den Familien der Opfer gab“, informiert uns Hotch. „Dann scheiden schon einmal alle Personen aus, die an der Ermittlung des Falles beteiligt waren“, schlussfolgert Morgan. „Vermutlich“, meint Hotch und biegt in die Einfahrt der Familie Leicester ein. Der SUV wirkt auf dem Parkplatz vor der Garage so fremd, wie nur ein Ufo hätte wirken können. Er zerstört die Idylle der bewachsenen Veranda und des weiß gestrichenen Hauses. Wir klingeln. Mary Leicester trägt einen Pulli und eine Jeans, ihre Haare sind frisiert, ihre Fingernägel manikürt und ihr Make-Up dezent. Ihre Augen sind groß und zerbrochen, wie abgestürzte Goldfischgläser, ihre Unterarme knochig. Sie bewohnt das Haus mit ihren beiden Kindern, der vierjährigen Betty und dem zweijährigen Max. Sie bietet uns Tee an, wir lehnen dankend ab und nehmen im Wohnzimmer Platz, zwischen geschmackvollen Vorhängen und Plasma TV. Mary knetet ihre Hände und dreht an ihrem Ehering, während Hotch und Morgan mit ihr sprechen. Ich beschränke mich auf das Beobachten. „Mrs Leicester, unser Beileid zum Verlust Ihres Mannes.“ Hotchs Stimme ist ruhig. „Danke“, sagt sie mit erstickter Stimme und blinzelt ein paar mal hektisch. „Wir müssen wissen, ob der Täter jemals zu Ihnen Kontakt aufgenommen hat“, erklärt Morgan. Mit Verwirrung in ihren großen Augen blickt Mary von Morgan zu Hotch zu Morgan. „Nein“, meint sie. „Hätte er das tun sollen?“ „Nicht zwangsläufig“, erklärt Hotch. „Es erschien uns nur merkwürdig, dass Sie keine Verwisstenanzeige aufgegeben haben.“ Mary versteht. „War... war das ein Fehler?“ „Mrs Leicester, haben Sie nicht bemerkt, dass Ihr Mann nicht von der Arbeit nach Hause kam? Waren Sie nicht verunsichert?“ Morgan ist verwirrt. „Selbstverständlich war ich das!“ Fassungslosigkeit in der Stimme. „Und ich habe auch angebrachte Maßnahmen ergriffen.“ Jetzt Verwirrung, aber auf unserer Seite. „Könnten Sie das näher erklären?“, fragt Hotch. „Dazu müsste ich ausholen“, meint Mary verunsichert. „Wir haben Zeit“, sagt Morgan gönnerhaft. „Vor ungefähr einem Jahr war Ross“, sie muss schlucken, „auf einmal seltsam verschlossen. Er war ernst, einsilbig, kaum mehr zu Hause... Ich wurde unsicher...“ Sie zerrupft ein Taschentuch, das auf dem Couchtisch vor uns liegt, in den Händen. „Ich vermutete...“ „Eine Affäre“, ergänzt Morgan und Mary scheint erleichtert, das Wort nicht selbst aussprechen zu müssen. „Ich habe ihn darauf angesprochen und mein Verdacht hat sich bestätigt. Wir haben uns ausgeprochen, Ross hat versprochen, die Beziehung zu beenden und ich habe versprochen, ihm zu verzeihen. Alles schien wieder in Ordnung zu sein.“ Ihre Unterlippe zittert und sie braucht einige Sekunden, bis sie sich wieder fasst. Ich denke an den Zettel in Ross Leicesters Hand. „Lügner“. „Dann eine tote Taube. Sie lag auf der Veranda. Die Woche darauf Teer im Briefkasten. Dann rote Farbe am Haus. Wir bekamen es mit der Angst zu tun und engagierten einen Privatdetektiv. Er war äußerst kompetent und fand bald heraus, dass Ross ehemalige Freundin hinter dem Vandalismus steckte. Wir zeigten sie an und die Attacken hörten auf. Ross hat das jedoch keine Ruhe gelassen. Als er an jenem Abend nicht nach Hause kam... Ich wusste es nicht, vielleicht war er zurück zu ihr gegangen.“ Betretenes Schweigen. „Also habe ich wieder den Detektiv engagiert. Es ist meine Schuld. Die Polizei hätte ihn vielleicht gefunden.“ Tränen laufen ihr über die Wangen. „Mrs Leicester, das wissen wir nicht. Das werden wir auch nie mit Bestimmtheit sagen können. Tun Sie sich das nicht an.“ Morgan gelingt es tatsächlich, sie ein wenig zu beruhigen. „Was ist das für ein Detektiv?“, fragt Hotch. Mary sieht auf und wischt sich die Wangen mit dem Taschentuch ab. Sie überlegt. „Er erschien uns vertrauenswürdig, weil er selbst Polizist war, früher... Ein älterer Herr. Warten Sie, ich habe seine Karte...“ Sie steht auf und geht an eine Kommode in der Zimmerecke. Sie zieht die oberste Schulblade auf, sieht hinein und für einen Moment habe ich das Gefühl, sie bricht gleich zusammen. Aber sie fängt sich wieder und bringt Hotch die Karte. Er liest den Namen laut vor. „Henry Ford.“ Wow. Das kommt unerwartet. Sechs Stunden und ein paar Minuten. Mary Leicester ist verunsichert, weil wir so plötzlich aufbrechen, aber so ist das nun einmal – sobald ein neuer Faktor auftaucht, verändert sich das Ergebnis. Hotch will das Profil des Täters herausgeben. Was wir der Presse verschweigen werden: unseren Tatverdächigen. Morgan telefoniert mit Garcia. „Hey, Babygirl. Sag mir, ob die Familien der Opfer oder die Opfer selbst jemals Anzeige erstattet haben, wegen Bagatellen.“ Garcias Teil der Unterhaltung bekommen wir nicht mit. Morgan scheint jedoch wenig erfreut. „Nichts“, sagt er enttäuscht, „Danke, Sonnenschein.“ Er legt auf. „Das war zu erwarten“, meint Hotch. „Privatdetektive engagiert man meistens, wenn man etwas lieber für sich behalten möchte. Die Ergebnisse, zu denen sie kommen, werden meistens unter den Beteiligten ausgemacht“, ergänze ich. Ich engagierter Agent. „Wir werden auch mit den anderen beiden Familien sprechen müssen, vielleicht bildet Ford eine Konstante“, folgert Morgan. Dann herrscht Schweigen. „Diese Mary ist unglaublich stark“, meint Morgan auf einmal. „Sie lässt sich nicht unterkriegen.“ „Sie hat ja auch einen Grund zum Weitermachen“, rutscht es mir schnippisch heraus, und diesmal bereue ich es nicht. Soll er es doch wissen. Wenn er nur endlich die Klappe hält. Es wirkt. Der Rest der Fahrt verläuft in frostiger Stille. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)