Criminal Minds - Das Leben danach von Flitzkatze ================================================================================ Kapitel 17: Antworten --------------------- „Reid.“ Natürlich ist es Hotch, der sein Büro betritt. In der Hand hält er eine Kaffeetasse und ich frage mich, ob er immer noch oder schon wieder hier ist. Seine Äußerung ist, meiner Meinung nach, jedoch recht interessant. Sein Tonfall sagt: „Ah, du bist endlich hier, Reid.“ Sein Gesichtsausdruck sagt: „Oh fuck, du bist wirklich und wahrhaftig hier, was willst du, Reid?!“ Ich antworte erst einmal nicht und bleibe auf dem Tisch sitzen. Das Einzige, was ich tue, ist, mich in seine Richtung zu drehen, während Hotch an ein Regal geht und einen Schwung Akten hineinlegt. „Was tust du hier?“ Ich spiele 17 verschiedene Antwortmöglichkeiten durch und lande bei der Wahrheit. „Nachdem du mir die letzten zwei Wochen sehr geschickt aus dem Weg gegangen bist, wollte ich mir meine Antworten selbst suchen.“ Ich lächle sogar ein wenig, mit hochgezogenen Augenbrauen, was sehr herausfordernd aussehen muss. „Naja, ich brauchte nicht viel Talent, um dir aus dem Weg zu gehen. Du bist krank geschrieben.“ Ich lächle weiter und werde mich auch in der nächsten halben Stunde nicht vom Thema ablenken lassen. Hotch seufzt. „Und? Hast du deine Antworten gefunden?“ „Ehrlich gesagt, nein“, sage ich und stütze mich mit den Ellenbogen auf die Oberschenkel. „Ehrlich gesagt, wurden sogar noch ein paar Fragen mehr aufgeworfen.“ Hotch sieht sich um und schaut auf den Kassettenspieler. „Dann hast du wohl das Band angehört.“ „Leider konnte ich nirgends finden, was Ford mir über dich erzählen wollte“, erkläre ich heiter. „Nun, prinzipiell kann ich auch nur vermuten, was es war.“ „Vermutungen sind schon nicht schlecht.“ Hotch kämpft mit sich. „Vermutlich wollte er dir mitteilen, dass ich dein Dilaudid gestohlen habe.“ Bumm. Das hat gesessen. „Ähm“, sage ich, aber mehr kommt nicht dabei heraus. Ich runzle die Stirn und versuche, einen Sinn dahinter zu erkennen. „Warum?“ Hotch mustert mich. Oder starrt mich vielmehr an. Es kommt mir vor, als würde er direkt in mein Gehirn sehen, um meine Gedanken zu lesen. Viel gibt es da nicht zu sehen, nur ein großes Fragezeichen. „Ist es Strauss?“, frage ich. „Dachtest du, du müsstest mich vor ihr schützen?“ Hotch schweigt. „Denkst du, dass das klug war? Wenn ich mein Mittel gehabt hätte, dann wäre nichts passiert. Ich hätte mir den Schuss gesetzt und wäre zurückgekommen. Strauss wäre niemals dahinter gekommen. Ich hätte nicht nach draußen gemusst, ich hätte mich nicht noch länger quälen müssen, es wäre alles glatt gelaufen.“ Ich kann es nicht fassen. Wie beschränkt ist Hotch? Und warum muss er immer die Welt verbessern? „Siehst du nicht, wie sinnlos und gefährlich das war? Siehst du denn nicht, dass ich fast am Entzug krepiert wäre? Ford hat mich eiskalt erwischt. Ich hatte keine Chance. Und jetzt rate, warum.“ „Das wollte ich nicht“, wirft Hotch ein. „Das wolltest du nicht? Was wolltest du denn dann? Mir eine Lektion erteilen, mir zeigen, wie leicht ich auffliegen kann, vor Strauss? War das dein Gedanke?“ Mein ganzer Körper bebt. Ich kann es nicht fassen. Hotch schweigt. Das war der wunde Punkt. „Vielen Dank! Ich weiß selbst, dass die Sache nicht ungefährlich ist. Das wusste ich auch ohne deine kleine Scharade. Das einzige, was diese Aktion gebracht hat, waren einige Stunden der Todesangst. Vielen Dank auch. Nur Gideon hatte Verständnis für mich – wahrscheinlich war er von deinem Vorhaben alles andere als begeistert. Er ist der gute Mensch, Hotch.“ Er erwidert immer noch nichts. Ich will ihn schütteln. Ich will ihn betteln sehen. Um Verzeihung, vor mir. „Wenn du mir schon eins reinwürgen willst, warum erzählst du Strauss nicht einfach davon? Warum deckst du mich?“ „Du meinst: Warum decken WIR dich.“ Was soll das wieder heißen? „Du und das Team“, stelle ich fest, oder frage ich nach? „Ja, die auch.“ „Wer noch?“ Ich verstehe nichts mehr. „Strauss.“ „Wie. Strauss. Ich-“ Was zur Hölle? „Also wirklich“, meint Hotch verächtlich, „Hast du so eine Befragung schon einmal erlebt? Diese hier ist ein Witz. Wenn das nicht Strauss wäre, die da interviewt, würde das ganze Theater sofort angezweifelt werden – sie geht kaum in die Details. Sie will nichts Konkretes über den Vorfall im Keller wissen. Sie kratzt ein wenig pro forma an der Oberfläche, und das wars.“ „Sie weiß davon?“, frage ich geschockt und sehe mich schon meinen Tisch räumen. „Und wie sie davon weiß“, schnaubt Hotch. „Jeder weiß es. Ich, Gideon, das gesamte Team, Garcia weiß es, wahrscheinlich wissen es sogar der Bote und die Putzfrau. Mein Gott, Reid.“ Wenn ich mich nicht täusche, wird Hotch gerade wütend. Ich höre auf, nachzudenken. Ich komme längst nicht mehr mit. „Warum hat niemand was getan?“, frage ich verwirrt. Ich fühle mich in die Ecke gedrängt. „Warum hat niemand was getan“, wiederholt Hotch. Er setzt sich in seinen Bürostuhl und schüttelt den Kopf. „Dass du ein Drogenproblem hast, wussten wir beinahe sofort. Alle. Und wir dachten, dass sich das von selbst einpendelt – leider hat es das auch, in eine völlig falsche Richtung. Du hast anscheinend nichts dagegen unternommen. Du warst dauernd voller Hass, auf die Welt und auf dich selbst, und von der Leistung her weit, weit unter deinen Standards. Deine Ausfälle haben die Atmosphäre im Team verpestet, und das hat Strauss auf den Plan gerufen. Ich konnte sie nicht lange belügen, sie ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie hat mir daraufhin mitgeteilt, dass sie gezwungen sein wird, dir zu kündigen, wenn du deine Situation nicht in den Griff bekommst. Ich habe dir eine Frist gesetzt. Es hat sich nichts geändert. Rein gar nichts, und das, obwohl wir immer wieder versucht haben, auf dich einzuwirken.“ Morgans Therapiegespräche. Hotchs Warnungen. Ich Idiot. „Also haben wir uns zu diesem radikalen Schritt entschlossen. Strauss würde das Team überwachen. Ich würde dir die Drogen stehlen. Gideon würde dir die Dosis zurückgeben. Es war von vorneherein riskant, und mit Ford konnte niemand rechnen. Was geschehen ist, ist unverzeihlich – jedoch ein Resultat von mehreren Zufällen, die zusammenkamen. Einige davon haben wir verursacht. Wenn du jetzt wütend bist, ist das also berechtigt.“ Ich kann kaum atmen. Das Einzige, was mich tröstet, ist Hotchs Gesichtsausdruck – voller Reue. Diese Erkenntnis. Strauss, die mich unter Druck setzt. Hotch, der mich ans Messer liefert. Gideon, der mir meinen eigenen Wert vermitteln soll. Ich glaube es nicht. „Und damit wolltet ihr mir eine Lektion erteilen. So subtil, dass ich eure Verschwörung nicht erkenne“, sage ich und meine Stimme klingt hohl. „Nein!“, ruft Hotch und schlägt mir der Faust auf den Tisch. Ich zucke ein wenig zusammen. „Nein, du hast es immer noch nicht verstanden! Die ganze ‚Verschwörung‘, wie du sie nennst, war dazu gemacht, um von dir aufgedeckt zu werden! Das Problem ist, dass du es nicht getan hast!“ „Was? Ich-“ Was zur Hölle will er von mir? Hotch atmet schwer und starrt mich fassungslos an. „Die Sache ist die. Doktor Spencer Reid hätte den Hinterhalt sofort bemerkt. Denn seine Denkleistung ist die stärkste, die es innerhalb des FBI gibt. Der Dr. Reid, den wir kennen, hätte sich niemals so aufs Kreuz legen lassen.“ Ich. Verstehe. „Reid. Hör auf, dich zu zerstören. Du richtest dich zu Grunde.“ Ich sitze wie gelähmt da, zu Boden geschmettert von der Erkenntnis, die sich gerade breit macht. Ich habe auf ganzer Linie versagt. Und Hotch hat recht. Dr. Reid wäre dahinter gekommen. Alles erscheint mir jetzt so offensichtlich. Strauss, die das Flugzeug betritt und haltlose Behauptungen verstreut. Das Team, das sich ihrem Willen einfach fügt. Hotch, der mir auf dem Weg zur Männertoilette begegnet, um dann alleine in das Büro zurückzukehren, in dem meine Tasche steht. Gideon, dem ich rein zufällig im Krankenhaus begegne. Es war so offensichtlich. Ich habe es nicht entdeckt – weil es mich einfach nicht interessiert hat. „Niemand in der Chefetage wird etwas erfahren, das war von vorneherein eine Abmachung zwischen Strauss und dem Team. Die Sache existiert nicht. Nimm dir frei und mach eine Therapie. Und komm dann wieder.“ Hotch lässt mich mit seiner Kaffeetasse allein. Ich klammere mich an die Tischkante. Spencer weint Freudentränen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)