Wenn Finsternis das Licht berührt von Luthien-Tasartir (Eine Geschichte, die von dem ständigen Schwarz-Weiß-Denken abweicht) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die ersten Sonnenstrahlen sickerten gerade erst durch die Vorhänge ins Zimmer auf das Gesicht des 17-jährigen, als ein lautes, forderndes Klopfen den Jungen aus dem Schlaf riss. Leise seufzte er und drehte sich, anstatt auf das Hämmern zu achten noch einmal in seinem Bett um. Der Tag hätte so schön werden können... Wieder dieses Klopfen; diesmal begleitet von der tiefen, sonoren Stimme seines Vaters. Leise seufzte er, als dieser schon zum dritten Mal seinen Namen rief und ihm drohte, er würde, wenn der Junge die Tür nicht öffnete, sein Zimmer in Brand stecken. Es hatte keinen Sinn die Stimme weiter zu ignorieren – vor allem, da er seinem Vater zutraute, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Noch immer schlaftrunken kämpfte er sich schließlich aus dem Bett und trat zu besagter Tür, die – so schien es zumindest – bei noch längerer Belastung, aus den Angeln springen würde, öffnete sie und sah augenblicklich in das zornfunkelnde Gesicht seines Erziehungsberechtigten. Er wusste, was jetzt kam. Es war immer wieder das Gleiche. Kaum, dass er in die nachtschwarzen Augen blickte begann es auch schon. Die Standpauke. Warum er so lange gebraucht habe, wollte er wissen. Weil er geschlafen hatte. Diese Antwort brachte das Fass nur noch zum Überlaufen. Während er mehr oder minder interessiert seinem Vater zu hörte, dachte er über den letzten Tag nach; überlegte, ob er seine Hausaufgaben gemacht hatte; sinnierte, was er an diesem Tag machen würde. Zuhören, hatte er nicht nötig. Hätte man es von ihm gefordert, könnte er den Monolog des Mannes inhaltlich ohne Lücken rezitieren: Zuerst warf er ihm vor, dass er zu lange schlief – was stimmte; dann ging er über, dass er sich auf mehr auf seine Studien konzentrieren müsse, wenn er seine Gaben perfektionieren wollte – was auch stimmte und schließlich würde der Vergleich zu seiner Schwester erbracht werden, die in so jungen Jahren, so viel besser war als er – was nur bedingt der Wahrheit entsprach. Sicher, sie konnte Dinge, von denen er in ihrem Alter nur geträumt hatte, doch das hing auch mit ihrer Rasse zusammen. Sie war ein vollwertiger Dämon, er nur ein Halber. Ein ungewolltest Kind – darüber war er sich sehr wohl bewusst – aber ein Notwendiges. Beides ließ ihn sein Vater Morgen für Morgen spüren, wenn er ihn – seiner Meinung nach viel zu früh – aus dem Bett holte, um ihm zuerst besagte Standpauke zu halten und ihn dann vor dem Unterricht, dem schulischen und seiner Meinung nach unwichtigen Unterricht, selbst in einigen Kampfkünsten zu unterweisen. Fehlte eigentlich nur noch... Nais Blick wandte sich zur Treppe, die ein Stockwerk höher führte, als er die helle Stimme seiner Schwester hörte, die immer wieder seinen Namen wiederholend die Stufen hinuntereilte. Der Junge lächelte leicht, als Yanin – sie war ausnahmsweise, nun, eigentlich wie jeden Morgen, in ihrer menschlichen Gestalt – ihm um die Taille fiel und ihm ganz stolz berichtete, was sie heute neues an ihrer Gabe herausgefunden hatte. Ja, alles wie immer. Das Gebrüll des Vaters, das bestimmt bis in den letzten Winkel des vierstöckigen Wohnhauses gedrungen war, hatte mit dem Auftreten seiner geliebten Tochter augenblicklich ein Ende gefunden. Kurz warf er seinem Jungen einen missbilligenden Blick zu, als dieser seine jüngere Schwester hoch hob, bevor er ein „Komm essen“ brummend, die Treppe hinunterstieg; Nai mit Yanin auf dem Arm dicht auf den Fersen. Das Haus war zwar geräumig, jedoch ebenso langläufig. Das Erdgeschoss beherbergte eine geflieste Küche mit Esszimmer und ein kleines, mehr oder weniger geräumiges, Wohnzimmer, von dem man in den Garten kam, sowie ein kleines Badezimmer, das gegenüber der Vorratskammer an die Küche anschloss. Wollte man zu den oberen Stockwerken gelangen musste man durch den Flur, der an beide Räume angrenzte und einen kleinen Putzschrank enthielt zu der Holztreppe, die sich von dort aus nach oben schraubte, sodass man, wenn man an der richtigen Stelle neben der Treppe stand und nach oben schaute, bis unter das Dach blicken konnte. Der erste Stock – konnte man ihn denn als solchen bezeichnen – enthielt ein einziges Zimmer. Nais. Stand man vor dessen Tür konnte man sich nur nach links wenden, um eine Etage höher zu kommen, oder sich umdrehen und diese zu verlassen. Der zweite Stock gehörte Yanin, die – neben ihrem Zimmer – auch ein eigenes Bad als ihr Eigen nennen konnte, bevor man, auf die gleiche Weise wie bei Nai erneut ein Stockwerk höher gehen konnte, um auf das Zimmer der Eltern, das Arbeitszimmer des Vaters und eine kleine Bibliothek treffen konnte. Diese Etage war für Nai, wie für seine Schwester Tabu, da beide noch nicht das 6. Dämonenlevel erreicht hatten. Dämonenlevel waren Stufen, die jeder Dämon in seinem Leben durchlaufen musste, bevor er als erwachsener Unterwellter anerkannt wurde. Insgesamt gab es 7 Stadien, die man erreichen konnte, wobei man jede Etappe mit einer Prüfung abschließen musste. Nai war gerade dabei sich für das „Examen“ zum fünften Grad vorzubereiten, während Yanin gerade das dritte Niveau erreicht hatte und nun zielstrebig auf das vierte zusteuerte. Gerade diesem Umstand, dass die kleine Schwester den älteren Bruder einzuholen schien, war es zu verdanken, dass Nai sich seit mittlerweile gut einem halben Jahr allmorgendlich zurechtweisen lassen musste, er sei zu faul. Vielleicht stimmte es; er wusste es nicht. Aber es war ihm eigentlich auch egal. Als Halbdämon hatte er nie wirklich das Bedürfnis gehabt, als „vollwertiger Dämon“ zu gelten. Er war dazu bestimmt, ein Wächter zu werden, das wusste er bereits seit er denken konnte. Ein Wächter für den oder die Auserwählte, die das Juwel der Zeit in sich trug. Diesem Juwel war es zu verdanken, dass in der Altvorderenzeit so häufig zu Kämpfen zwischen Gut und Böse – wie es die Menschen nannten – beziehungsweise zwischen Schwarz und Weiß – wie es die betroffenen Gruppen bezeichneten – gekommen. Ein Stein, so mächtig, dass er dem Besitzer die Macht gab, alles zu seinen Gunsten zu wenden. Ein Stein, an dessen bloßer Gedanke die Wesen, die von ihm wussten, vor Gier um den Verstand kommen ließ. Gerade dieser Umstand brachte die verfeindeten Parteien vor Urzeiten dazu, ein zeitweiliges Bündnis zu schließen, da sie kurz zuvor in ihrer Wut beinahe ihren Planeten ausgelöscht hatten. Es war zur Zeit der ersten intelligenten Menschen, als sich Vertreter der polemischen Gruppen auf neutralem Boden trafen und zur Übereinkunft kamen, den Juwel in einem der Erdbewohner zu verstecken, sodass keiner den Kristall an sich reißen konnte. Zur Sicherung der Vereinbarung wurden die Wächter erschaffen. Gleich an der Zahl, sollten sie über den Auserwählten wachen und leiten, damit er für keine der zwei Fraktionen von Nutzen sein könnte. Die Wächter – halb Mensch, halb anderes Wesen – nannten sich bald daraufhin die „Grauen“, um ihre Unabhängigkeit und Neutralität zu verdeutlichen. Jede Wächterfamilie war seit dem verpflichtet mindestens einen Wächter ins Leben zu setzen, der den Anforderungen – ein Halbwesen, das zum einen Teil Mensch war – der Übereinkunft entsprach. Ein solches Kind war Nai. Lustlos biss der Junge in sein Frühstück, während er seiner Mutter – nein! - Stiefmutter dabei zuschaute, wie sie seine Schwester für das neu erlernte lobte. Er selbst hatte keine Mutter mehr. Sie war bei seiner Geburt gestorben, was nur allzu natürlich für Selbige war. Die Körper der Menschen waren einfach nicht dafür gebaut Dämonen zu gebären. An sich war dies vollkommen widernatürlich, jedoch – wie bereits erwähnt – notwendig, um den Fortbestand der Wächterart zu gewährleisten. Sein Vater, wollte man den bulligen Mann, der ihn gezeugt hatte, denn als solchen bezeichnen, war kein Wächter, da es jenen verboten war, Kinder zu zeugen. Das dämonische Blut verringere sich sonst mit jeder neuen Geburt, wodurch sie gegenüber den Weißen immer mehr im Nachteil sein würden. Was für ein Unsinn... Als ob Wächter jemals Interesse daran gehabt hätten, die gegnerische Partei zu bekämpfen. Für sie gab es keine Gegner. Ob sie nun zur Hälfte von Weiß, oder von Schwarz abstammten, war ihnen vollkommen gleich. Sobald sie ein Wächter wurden, waren sie Grau. Nicht mehr und nicht weniger. Das wollten die Radikalen jedoch nicht einsehen, weswegen Gesetze zur Wahrung des Mächtegleichgewichts in der Grauzone aufgestellt worden waren. Zwar sinnfrei, jedoch beließ man es dabei. Kurz schweifte sein Blick auf sein Essen, bevor er sich wieder seiner Schwester zuwandte. Sie würde den nächsten Wächter gebären. So war es schon immer gewesen. Der Bruder, oder die Schwester des Wächters war für den Fortbestand dessen Art verantwortlich. Es war wirklich der einzige Grund, weshalb Nai überhaupt geboren worden war. Für gewöhnlich ließen sich Dämonen nicht dazu herab, sich mit Menschen zu verbinden, aber das war eine andere Sache. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Die knurrende Stimme seines Vaters riss Nai aus seinen Gedanken, sodass er sich zu diesem hinwandte. „Was gibt es?“, fragte er nach, wodurch er einen erneuten missbilligenden Blick seitens des Älteren erntete; jedoch verfehlte er gänzlich seine Wirkung. Nai war dieser Augenausdruck in keiner Weise fremd, weswegen er sich schon lange nichts mehr aus Selbigen machte. Ein Knurren, dann wiederholte der Schwarzhaarige seine Information: „Dein Onkel will, dass du nach der Schule zu ihm kommst. Er hat irgendetwas scheinbar wichtiges“, er wedelte abwertend mit der Hand, um zu verdeutlichen, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass sein Bruder jemals etwas von Belang sagen könnte, bevor er weiter sprach: „Dass er dir erzählen möchte. Wenn er fertig ist, kommst du sofort wieder hierher, klar?“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er hielt nichts von seinem Blutsverwandten; hasste ihn mehr oder weniger, weswegen Nai es vorzog seinem Vater diesmal – nicht, dass er es sonst je tat – nicht zu widersprechen. Seine Antwort bestand aus einem einzigen Nicken, bevor er aufstand, seine Tasche nahm und Anstalten machte das Haus zu verlassen, als er plötzlich einen Druck um die Hüfte spürte. Er musste nicht hinunterschauen, um zu wissen, was die Ursache dieser Behinderung war. Seine kleine Schwester hatte sich – wie jeden Morgen – um ihn geworfen und bettelte nun, er möge sie doch mit in die Schule nehmen. Kurz schaute er hilfesuchend nach seiner Stiefmutter, eine Succubus der edelsten Art, bevor er etwas in die Hocke ging, um der Kleine in Augenhöhe sagen zu können, dass dies nicht möglich war, als er von seinem Vater unterbrochen wurde. Verwundert blickte er auf, als dieser meinte, dass Nai sie ruhig einmal mitnehmen könnte. So würde sie schon einmal ersten Kontakt mit Menschen machen. Dass es von der Bürokratie der Menschen, den Lehrern und dem Schuldirektor allerdings eigentlich nicht möglich war, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Typisch Dämonen. Sie fühlten sich gegenüber der menschlichen Rasse aufgrund ihrer Fähigkeiten überlegen. Sicher waren sie es auch, allerdings schadete zumindest ein wenig Toleranz für gewöhnlich nie... Es seufzte, ehe er zustimmte, worauf Yanin vor Freude jauchzend nach oben eilte, um sich fertig zu machen. Fünf Minuten später standen beide Hand in Hand auf der Straße und blinzelten ins Licht der aufgehenden Sonne. Die Stadt erwachte gerade erst aus ihrem Schlaf, während Nai sich endlich in Bewegung setzte; die tänzelnde kleine Schwester neben sich. Nur vereinzelnd fuhren Autos die Straße entlang, hier und dort wurden Fenster zum Durchlüften aufgeschlagen, in einer Seitengasse sah man, wie ein Mann sich leise durch die Hintertür davonschlich, während auf der Hauptstraße, die die Beiden gerade passierten, der Hausherr die Wohnung betrat. Schmunzelnd schüttelte Nai den Kopf. Auch wenn der Kampf schon seit Jahren nicht mehr wirklich wütete, versuchten beide Parteien immer noch die Menschen auf ihre Seite zu locken. Es gelang – natürlich – jedoch konnten die Schwarzen mit fortschreitender Zeit immer mehr kleine Siege für sich verbuchen. Menschen waren so einfach zu manipulieren, dass es geradezu lachhaft war. Vor allem reichten schon die kleinen Siege aus um die weiße Seite zu schwächen. Mittlerweile waren selbst die Kirchen, die bis vor einiger Zeit noch die absoluten Machtmonopole der Weißen darstellten nicht mehr frei von Sünde, wie es die Menschen nannten. Anders gesagt, hatte Schwarz diese mit der Zeit infiltriert. Es war gerade zu erschreckend, wie leicht gerade die Kirchenmänner zu verführen waren. Die Tugenden, die sie vermitteln sollten, schienen für sie selbst keinerlei Wert zu haben. Normale Menschen beließen es oft bei kleinen Sünden, wie zeitweises Lügen oder Fremdgehen. Die Kirche war mittlerweile so sehr in ihr Intrigenspiel und dem – man konnte fast schon sagen – Handel mit Todsünden verstrickt, dass Schwarz mit Fug und Recht behaupten konnte, dieses Monopol von Weiß erobert zu haben. Kapitel 2: ----------- Vorne weg... mir gefällt der Schluss nicht... zum Anfang kann ich nichts mehr sagen, weil es schon länger her ist, seit ich mich mit ihm befasst habe. Es wäre trotzdem schön, wenn ihr mir ein Paar Kommentare hinterlassen würdet und... seid bitte nicht zu böse mit mir :S Genug gelabert (Statements vor oder nach Texten hinzupappen sind eigentlich nicht meine Art) Hier bitte schön und Viel Spaß: ___________________________________________________________________________________________________________________________ Froh dem seiner Meinung nach viel zu aufdringlichen Stimmengewirr entkommen zu können, eilte Nai, Yanin an der einen Hand mit sich ziehend, von dem Schulgelände. Es war gekommen, wie er es vorhergesagt hatte. Zuerst die Schüler, die sich interessiert um das Mädchen geschart hatten, dann der erste Lehrer, der ihn zum Direktor geschickt hatte; dann der Direktor der ihm zuerst einen langen Vortrag über Disziplin und Ordnung hielt – Nai hatte zwar keine Ahnung, was seine Schwester mit seinen Noten zu tun hatte, hörte dem Mann jedoch stumm zu – bevor er ihm schließlich, eine Ewigkeit später ein Formular überreichte, das er auszufüllen hatte, wollte er seine Schwester den Tag über mitnehmen dürfen. Dass er es eigentlich nicht wollte, behielt er besser für sich, da er sonst vielleicht Gefahr lief, das Jugendamt, eine seltsame Organisation der Menschen, die sich um das Wohlergehen deren Kinder kümmerte, auf den Hals gehetzt zu bekommen, was sein Vater mit Sicherheit nicht gerne sehen würde. Der Tag war seiner Meinung nach viel zu langsam verlaufen. Mathematik, Englisch, Geschichte, Sozialkunde, eine Doppelstunde Musik. Langweilig. Mathematik konnte er seit er stehen konnte, dafür brauchte er nicht noch die Lehrer. Englisch würde er schwerlich gebrauchen können - es sei denn der oder die Auserwählte, um die er sich zu kümmern hatte, käme aus einem englischsprachigen Land – ansonsten sprach er seine Muttersprache, Geschichte – hier kannte er sogar Details, von denen die Menschen noch nicht einmal träumen würden. Sozialkunde hatte er wirklich nicht nötig, das würden wenn er es überhaupt bei dem auserwählten Menschen brauchte, die Grauen weißer Abstammung übernehmen und Musik – nun, er war nun einmal unmusikalisch. Als er um die dritte Ecke gebogen war, wurde er – er achtete nun mehr auf seine Umgebung, wodurch er auf seine quengelnde Schwester aufmerksam geworden war – langsamer. Nicht zuletzt, da sie nun angekommen waren. Nai hatte, auf Wunsch seines Onkels, nicht den Heimweg angetreten, sondern war mit seiner Schwester zur „grauen Zone“ der Stadt gegangen. Eigentlich unterschied sie sich in keiner Weise von dem Rest der Häuser. Äußerlich. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sowohl reinen Wesen der Dunkelheit, wie auch des Lichts der Zugang strengstens untersagt war, woran sich auch alle hielten.Zur Sicherung dieses Gebotes war jedoch zusätzlich noch eine Art unsichtbare Barriere um den Teil der Stadt gezogen worden, sodass keiner, noch nicht einmal aus Versehen, das Gesetz überschreiten konnte. Für Nai stellte diese Blockade kein Hindernis da, wohl aber für seine Schwester, die nun abrupt stehen blieb. Auch ihr Bruder hielt an und drehte sich zu Yanin um, bevor er in die Hocke ging und sie freundlich anlächelnd bat: „Wartest du hier auf mich? Es wird nicht lange dauern und dann hole ich dir auch später ein Eis.“ Es war wirklich erstaunlich – gerade für Nai -, wie sehr das Wort „Eis“ bei der kleinen Dämonin Wirkung zeigte. Glitzernde Augen blickten ihm entgegen, während sie eifrig nickte und sich, zum Beweis, dass sie hören würde, an die nächste Hauswand stellte. Wieder ein Lächeln Nais, dann verschwand er alleine in den verwinkelten Gassen des Stadtteils. Zögerlich klopfte er an die Tür des Versammlungsraumes. Bereits von hier hörte er die lauten Stimmen der Insassen, die sich offensichtlich stritten. Seit ihm gestattet wurde, an den Versammlungen teilzunehmen – zumindest zuzuhören – hatte er noch nicht einen so großen Streit erlebt. Sicher, durch die unterschiedliche Erziehung gab es immer einige Konflikte zwischen den Halbwesen von Schwarz und Weiß. Aber so etwas... Endlich wurde ihm die Tür geöffnet. Ein bärtiger Halbdämon stand vor ihm, musterte ihn kurz, bevor er ihn hinein winkte. Hatte Nai vor der Tür geglaubt, dass es sich nur um einen etwas ausgearteten Streit handelte, wurde er nun eines besseren belehrt. Normalerweise pflegten die Grauen sich in ihrer menschlichen Gestalt zu treffen, um sich gegenseitig zu verdeutlichen, dass sie niemanden verletzen wollten und würden. Was sich ihm nun jedoch bot, war für ihn einfach nicht nachvollziehbar. Beide Seiten, wenn man es denn so nennen konnte, hatten ihre Wesen vollständig entfaltet und standen sich angespannt gegenüber. Noch war kein Angriff erfolgt, doch die Luft war so geladen, dass es sich nur noch um Minuten handeln konnte. „Was ist hier los?“, fragte Nai fassungslos in die Runde, während er mit den Augen die dämonische Teilseite nach seinem Onkel absuchte. „Die Weißen haben sich der Auserwählten bemächtigt und wollen sie nun alleine großziehen“, knurrte jemand hinter ihm. Als er sich umdrehte, um den Urheber der Stimme zu erblicken, sah er gerade, wie sich der Halbdämon, der ihm die Tür geöffnet hatte, in seine dämonische Gestalt verwandelte. „Diese Heuchler von Grauen haben das gewusst und nichts dagegen unternommen“, grollte er weiter, wobei er sein messerscharfen Zähne in Richtung Besagten fletschte, als diese lauthals protestierten. „Das ist nicht wahr! Die Weißen haben uns nichts davon erzählt. Wir wussten genauso wenig wie ihr, wo sich die Auserwählte aufhielt, bis sich einer der Weißen versprochen hat!“, verteidigte ein junger, blonder Engel seine Gruppe. „Hätten wir dies geduldet, oder sie sogar unterstützt, hätten wir es euch doch niemals mitgeteilt!“ Seine Arme breiteten sich zum Zeichen der Verteidigung aus, wobei er ein geradezu entschuldigendes Gesicht aufsetzte. Als Antwort folgte zustimmendes Gemurmel seitens seiner Genossen, ungläubiges Knurren jedoch von der anderen Seite. Nai blickte ratlos von dem Engel zurück zu dem Wolfsdämon, der hinter ihm stand und wieder zum Engel. Sein Onkel hatte ihm beigebracht, niemals gänzlich auf die dämonische Seite zu schauen, wenn er etwas wissen wollte, sondern sich beide Seiten eines Konflikts anzuschauen, bevor er sich eine Meinung bildete. „Das ist das Wesen der Grauen“, hatte er ihm erklärt. Doch was er nun sah, widersprach all dem. Wieder blickte er sich nach dem Bruder seines Vaters um. Erfolglos. Wo war er nur? Arshiák, so war sein dämonischer Name, war für dieses Jahr der Versammlungsvorsitzende. Diesem Umstand verdankte es Nai auch, dass man ihm überhaupt zuhörte, wenn er etwas zu sagen hatte. „Wo ist mein Onkel?“, stellte er schließlich die nächste Frage. Es wunderten ihn selbst, wie ruhig er dabei blieb und wie selbstverständlich er auf eine Antwort wartete. Wieder ein Grollen hinter ihm, diesmal eher unzufrieden, verbittert, als wütend, bevor er aufgefordert wurde, zu folgen. Kaum, dass er den beiden streitenden Parteien den Rücken zugewandt hatte, entfachte die Diskussion aufs Neue. Der Wolfsdämon führte ihn durch einige Flure hindurch zu dem Raum des Sitzungsvorstands, nickte kurz auf die Tür und entfernte sich wieder, um sich an dem Streit zu beteiligen. Als er um die nächste Ecke verschwunden war, drehte sich Nai zu der Tür, verharrte kurz über der Türklinke, betrat dann jedoch den Raum leise, ohne anzuklopfen. Der Raum war schwach beleuchtet. Kerzen erhellten ihn und warfen flackerndes Licht an die Wände, als sie vom Luftzug der Tür erfasst wurden. Kannten Dämonen denn kein elektronisches Licht? Immer auf dem gleichen Niveau zur Zeit des Mittelalters stehen zu bleiben war doch wirklich... lachhaft! Und vor allem so unpraktisch... Vorsichtig blickte er sich um und erkannte schließlich im Halbschatten seinen Onkel, der tief über den Schreibtisch gebeugt irgendwelchem Papierkram nachging. „Du wolltest mich sprechen?“, durchbrach der Junge schließlich die Stille; neugierig, was der Mann ihm zu sagen hatte, auch wenn er schon mehr als nur eine vage Vorstellung hatte, um was es gehen konnte. Es dauerte, bis er ein e Antwort bekam. Der Ältere reagierte noch nicht einmal auf ihn, bis er scheinbar seine Arbeit erledigt hatte. Dann legte er die Feder hin und drehte sich auf seinem Stuhl zu seinem Neffen um. Im Gegensatz zu der altmodischen Einrichtung des Zimmers, besaß Nais Onkel das Aussehen eines Geschäftsmannes. Gepflegt mit charismatischer Ausstrahlung, wenn er lächelte, neu modische Frisur, Anzug. Er sah jung für sein Alter aus, aber das taten alle übermenschliche Wesen ab einem bestimmten Alter. Arshiák zählte bereits 300 Jahre, sah aber aus wie Mitte dreißig. Höchstens! Noch immer hatte er nicht geantwortet, sondern musterte ihn von seinem Arbeitssessel aus mit überschlagenen Beinen wortlos. Für Nai schien eine Ewigkeit zu vergehen, eher der „Geschäftsmann“ vor ihm endlich den Mund öffnete. „Ich brauche deine Hilfe.“ Eigentlich mochte er seine Schwester. Sehr sogar. Sie konnte ja nichts dafür, dass sie von seinem Vater bevorzugt behandelt wurde. Auch rieb sie ihm dies nicht unter die Nase, was er sehr zu schätzen wusste. Aber in diesem Moment hätte er sie am Liebsten einen Kopf kürzer gemacht. Suchend blickte er sich um. Wo war das Mädchen bloß hin gerannt? Nai war gerade von der Unterredung mit seinem Onkel zurückgekehrt und musste nun erbittert feststellen, dass seine ach so liebenswürdige Schwester wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. „Yanin? Yann?“, vorsichtig, fast schon flüsternd rief er ihren Namen. Er wollte nicht die Aufmerksamkeit zufällig vorbeilaufender Menschen auf sich ziehen. Yann war nun mal kein gewöhnlicher Name, weswegen die meisten unmenschlichen Wesen sich Decknamen zulegten, um in der „normalen Gesellschaft nicht allzu sehr aufzufallen. Zugegebenermaßen hatte sein Vater bei der Wahl des Decknamens seiner Schwester nicht sonderlich viel Originalität bewiesen. Nai zögerte kurz, bevor er sich schließlich gezwungenermaßen auf die Suche nach ihr machte. Nicht, dass er sich um diese sonderlich sorgte – er wusste, dass sie durchaus auf sich selbst aufpassen konnte – doch wollte er nicht riskieren, dass womöglich unschuldige Menschen durch Yanns Unbesonnenheit Schaden davon trugen. Es dauerte nicht lange, da roch er den unverwechselbaren Geruch eines verwandelten Dämons. Zwar war er durch seine Halbblütigkeit nicht so sehr mit Gaben gesegnet, wie seine Schwester, doch konnte er ihren Duft, den er schon seit ihrer Geburt kannte, von jedem anderen blind unterscheiden. Gerade, wenn sie verwandelt war, war sie um so besser zu finden. Eigentlich hätte er Erleichterung verspüren sollen, sie zumindest schnell wiederzufinden, doch dass sie verwandelt schien, konnte nichts gutes bedeuten. Sie war zwar noch ein Kind, doch wusste sie wie jedes Nicht-menschliche Wesen, wie gefährlich es werden konnte, sollte ein Mensch von der Existenz ihrer Rasse erfahren. Die Homo sapiens sapiens waren von jeher ignorant und alles andere als aufgeschlossen gegenüber Andersartigem gewesen. Es lag in ihrer Natur, jene Dinge, die für sie unerklärlich – unbegreiflich – waren, zu zerstören. Es war die Angst die den Menschen die Dummheit verlieh, alte Völker, Schätze, selbst ihre eigene Rasse Stück für Stück zu zerstören.Je länger die Zeitalter ihrer Macht wurden, desto „weiser“ wurden sie. Zumindest dachten sie es. Statt Hexen und Zauberer, Dämonen und andere Fabelwesen, bekämpften sie nun sich selbst. Schon lange hatten sie ihren glauben an das Übernatürliche verloren. Für sie musste alles rational sein, damit sie es als existent anerkennen konnten. War es das nicht, verschlossen sie ihre Augen davor. Den großen Rassen der Anderswesen schadete dieser Unglauben der Menschen nichts, den kleineren jedoch... Vor langer Zeit hatten die kleinen Wesen Bündnisse mit den Menschen geschmiedet, die sie an dieses schwache Volk banden. Je mehr die Menschheit den Glauben an sie verlor, desto schwächer wurden die kleinen Völker der Fabelwesen. Dämonen, Teufel, Engel und Götter hatten dagegen weniger zu fürchten. Sie hatten die Kirchen bereits vor langer Zeit als Ort ihrer Schlachten ausgewählt. Solange die Kirchen bestanden, würden auch die mächtigen Völker von Licht und Schatten bestehen. Lange hatten sie sich in Sicherheit gewähnt, doch mittlerweile schwand selbst die Macht der großen Kirchen. Schon lange hatten sie kaum mehr Einfluss auf die Geschicke der Menschen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis aller Zauber die Welt für immer verlassen würde. Nai bog um die nächste Ecke. Es brachte nichts über den Untergang der magischen Welt zu sprechen. Sie war seit jeher an den Glauben gebunden. Solange dieser bestand, würden sie noch existieren. Das Schwinden dessen und der Vergehen der eigenen Rasse war unumgänglich. Man konnte es nicht verhindern. Man durfte es nicht. Mehr Schaden als Nutzen würde aus einem solchen Eingreifen in den natürlichen Verlauf der Dinge entstehen. Als er um die nächste Ecke bog, sah er sie endlich. Zusammengekrümmt saß sie an eine Hauswand gelehnt. In ihrem Gesicht lag unaussprechlicher Schmerz. Um sie herum standen menschenähnliche Geschöpfe in weißen Gewändern. „Lasst sie in Ruhe!“, ein Knurren entfuhr seiner Kehle, das die Gestalten herumwirbeln ließ. Es waren Engel – so schien es zumindest. Kein anderes Volk wagte es, sich gegen Dämonen zu stellen. Nai hatte sich bereits gänzlicher seiner dämonischen Gestalt hingegeben. Ein langer Schwanz, einer Peitsche gleich, glitt unruhig um seine nun bocksbeinigen, doch muskulösen Beine. Das Gesicht war das eines war das eines Widders. Hörner zierten sein Haupt, während seine langen Ohren unruhig zuckten.Die Abrundung seines Aussehens waren schwarze fledermausartige Schwingen, die zwischen seinen Schulterblättern hervor kamen. Die Spannweite betrug für jede der Flügel etwas mehr als die Hälfte seiner Körpergröße. In der Hand hielt er einen Speer. Trotz des bedrohlichen Aussehens, war dieser weder zum Angriff, noch zur Verteidigung geschaffen. Graue kämpften nicht. Sie schlichteten und wenn sie dabei versagten, waren sie es nicht wert, weiter zu leben. „Wenn ihr das Mädchen anfasst, übertretet ihr die Gesetze der 3 Völker. Sie entstammt einer Linie aus Wächtern, lasst sie gehen!“ Als er geendet hatte, fixierte Nai die Wesen vor ihm mit entschlossenem Blick. Kein Zeichen der Schwäche, des Wanken seines Entschlusses, den Dämon vor der Gruppe von Engeln zu retten, zeigte sich in seinen animalischen Zügen. „Wer bist du, dass du es wagst, dich zwischen die Wahrer des Friedens und ihre zu Maß-regelnden zu stellen?“ Ein blonder junger Mann, der wie es schien die Gruppe anführte trat vor. Seine Züge waren ebenso entschlossen, wie die Nais. „Dies ist weißes Gebiet. Ihr Grauen habt keine Macht hier. Das Dämonenkind war so töricht sich über die Grenze zu begeben und dafür wird sie bezahlen. Ob sie zu einer Wächterfamilie gehört spielt keine Rolle. Mehr noch! Ihr solltet euch schämen, euren Wächtern nicht frühzeitig die Gesetze der 3 Völker beizubringen. Geh zurück zu deinem Volk Schwarzgrauer, eher dich das gleiche Schicksal ereilt.“ Ein kalter Glanz spiegelte sich in den Augen des Weißen. Er würde sich nicht von seiner Entscheidung, Yanin zu bestrafen abbringen lassen. Zumindest nicht leicht. „Sie war mit mir unterwegs und gehört zu meinem Haus!“ So leicht wollte sich Nai nicht geschlagen geben. Yann musste heil wieder nach Hause kommen. Sie hatte bereits genug Qualen erlitten – er sah es in ihren Augen, die ihn nun verzweifelt fixierten. „Sie wird ihre Strafe erhalten, seid gewiss, doch obliegt es den Wächtern, ihre Angehörigen zu züchtigen“, fuhr der Junge schließlich fort. Unbewusst um griff er den Stab seiner Waffe fester. Er würde seine Schwester herausholen! Schweigen folgte seinen Worten. Was hätten sie auch sagen sollen. Die Gesetze waren eindeutig und auf Nais Seite. Wächter unterstanden nur sich selbst. Für sie galt die Grenze zwischen Schwarz und Weiß nicht. Natürlich geschah es nur sehr selten, dass ein Wächter von seinem Recht, die andere Seite zu betreten Gebrauch machte und im Laufe der Jahrhunderte war man darüber überein gekommen, dass – sollte es doch einmal passieren – besagter von seiner Familie zurechtgewiesen wurde. Strafen waren dabei keine Seltenheit. Zu groß war die Angst, es könnten sich die Völker vermischen. Doch die Todesstrafe, wie es bei normalen Abkömmlingen der verschiedenen Völker war, durfte nicht über sie verhängt werden, sollten sie die Grenzen einer Zone überschreiten. „Wie kann ich mir sicher sein, dass du kein Betrüger bist, der einem normalen Dämon aus der Klemme helfen möchte?“ Wieder hatte der Blonde das Wort ergriffen. Das war einfach. So oft hatte Nai Streitschlichtungen beigewohnt, hatte geübt, wie er in dieser oder jener Situation zu reagieren hatte, ohne einen Kampf heraufzubeschwören. Die Angelegenheiten von Schwarz und Weiß gehen uns nichts an, doch das Wohl unserer Wächterfamilien sollte jedem am Herzen liegen. Selbst denen, die zu der anderen Seite gehören. Das Gleichgewicht der Mächte muss gewahrt werden.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. Es waren die Worte, die alle Grauen als Erkennungszeichen aussprachen. Dämonen oder Engeln kamen die Worte nur schwer über die Lippen. An einem Gleichgewicht waren sie nur scheinbar interessiert. Insgeheim trachtete jeder danach, die Oberhand zu gewinnen. Es war egal, ob man Schwarz oder Weiß war. Der Wille zur Macht an sich, war neutral. Es sind die Mentalitäten, die diesen Willen zu Gutem oder Bösen führt. Der Wunsch zu schützen ging auf beiden Seiten mit dem Machtwillen einher. Ob man die Dämonen oder die Engel als diejenigen ansah, die den falschen Weg zu ihrem gemeinsamen Ziel einschlugen, war dabei Ansichtssache. Endlich rührte sich der Engel aus seiner Starre. In seinem Gesicht spiegelte Unwille, doch letztendlich gab er seinen Untergebenen ein Zeichen, Yann in Ruhe zu lassen. „Solltet wir sie noch einmal hier sehen, werden wir trotz allem nicht mehr so nachsichtig sein“, zischte er dem Jugendlichen zu, bevor er in der Gasse, aus der Nai gekommen war, verschwand. Kurz wartete der Angesprochene, angespannt auf die Schritte der Männer hörend, dann eilte er zu seiner kleinen Schwester, die noch immer auf dem Boden an der Wand kauerte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)