Splitter von Luchsohr ================================================================================ Kapitel 1: Splitter I --------------------- „Du hältst dich wohl für ganz toll.“ Der größte von ihnen hatte sich vor mir aufgebaut und schaute auf mich herab. Sie waren zu dritt und die anderen beiden hielten mich von hinten fest. „Na ja, toll genug, dass du dich nur mit deinen Freunden als Rückendeckung traust, mich anzusprechen.“ Ich reckte ihm herausfordernd das Kinn hin, was angesichts meiner Lage – eine drei zu eins Unterzahl, auf einer leeren Lichtung im Stadtpark – vielleicht nicht das schlauste war. Andererseits hatte ich den Kerl erst letzte Woche besiegt, und eventuell würde ein Bluff ihn ja an seine Niederlage erinnern. Nein, ich verwarf diesen Gedanken. Genau deshalb hat er ja die beiden anderen dabei. „Tja, diesmal läuft es nicht so ab, wie das letzte mal.“ Er trat etwas näher, sodass ich sein Gesicht gegen das Licht der Abendsonne nicht mehr erkennen konnte. „Diesmal hast du die beiden anderen nicht dabei. Ohne deine Beschützer bist du nicht mehr so stark, und ohne sie wärst du wohl auch nie auf die dumme Idee gekommen, dich mit unserem Klub anzulegen. Halte dich einfach aus unseren Angelegenheiten raus, kapiert?“ Ich wollte ihm noch sagen, dass er dumm war, wenn er glaubte, sich mit meinem Klub anlegen zu können, aber als ich dazu ansetzte, entwich mir nur ein Keuchen. Schmerz explodierte in meiner Magengrube, wo mich sein Schlag getroffen hatte. Die Kraft wich aus meinen Gliedern und ich wäre zusammen gesackt, wenn mich nicht diese zwei Typen festgehalten hätten. Trotzdem musste ich lächeln. Er hatte es tatsächlich getan. Er hatte mich, und damit meinen Klub angegriffen. „Was gibt’s denn da zu Grinsen?“, blaffte er mich an. Ein weiterer Hieb traf mich. Und noch einer. Und noch einer. „He, Mike. Hör besser auf. Ich glaub er hat es jetzt verstanden.“ „Was?“ Mike war sichtlich verdutzt darüber, dass ihn jemand aus seiner Raserei zog. „Ja, du hast wohl recht.“ Mein Magen brannte, ein roter Schleier verdunkelte meine Sicht, ich hörte mein Blut pochen, und ich hatte Angst mich zu übergeben. Ich hustete. Zum Glück nur Blut. Trotzdem zogen sich meine Mundwinkel anschließend wieder nach oben. „Ich glaub’s ja nicht!“ Ich hob meinen Kopf um Mike ins Gesicht zu sehen, doch stattdessen vereinnahmte etwas ganz anderes mein eingeschränktes Sichtfeld. Plötzlich lief alles wie in Zeitlupe ab. Seine Faust, die immer größer zu werden schien, war alles was ich durch den blutigen Nebel erkennen konnte. Dafür schien auf der anderen Seite dieses Nebels alles doppelt so schnell zu geschehen, denn in meinem Kopf raste es. Scheiße! Das war zwar nicht das Erste, was mir in den Sinn kam, aber das dominanteste. Hätte ich mich vielleicht doch nicht mit ihnen anlegen sollen? Warum musste ich nur Grinsen? Wo zur Hölle sind Michael und Kayle wenn man sie braucht? Und: das wird erst recht weh... Es war als ob jemand mit einem Hammer auf meinen Schädel einschlug. Weiße und Rote Punkte und Sterne flimmerten vor mir auf. Ich fiel in einen schwarzen Strudel, während die Ohnmacht mich umschloss und merkte nicht einmal, wie ich auf dem Boden aufschlug. Zwischen all dem Schmerz, der allmählich der Betäubung wich, kam mir ein letzter Gedanke. Ich verliere das Bewusstsein? Wie peinlich. Schwer atmend schreckte ich hoch und fuhr in einem Anflug von Panik mit der Hand über mein Gesicht. Erleichtert stellte ich fest, dass meine Nase nicht gebrochen, und auch sonst alles an seinem Platz zu sein schien. Trotzdem verbrachte ich noch einige Sekunden keuchend und kerzengerade in meinem Bett, bis ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte. Ein Traum. Es ist nur ein Traum gewesen. Na ja, nicht irgend einer, sondern dieser Traum. Er kam seit etwa einem Monat immer wieder, seit dem Tag, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, und mich das Subsidium-Waisenheim aufgenommen hatte. Nur um ganz sicher zu gehen, dass mein Gesicht noch dasselbe war, wie das bevor ich eingeschlafen war, griff ich nach dem kleinen Spiegel auf dem Nachttisch neben meinem Bett. Immerhin hatte sich die Faust verdammt echt angefühlt, auch wenn sie es nicht war. Zum Glück zeigte auch er nichts unerwartetes, als ich hinein blickte. „Na, ist es nicht noch ein bisschen früh für Eitelkeiten?“ Ich ließ fast den Spiegel fallen und der einzige Grund, warum ich einen spitzen Aufschrei unterdrücken konnte, war der, dass ich die Luft erschrocken einzog. Mein Herz raste, als ich mich zu Maya umdrehte. „Na? Deine Nerven liegen ja blank.“ Ihr breites Grinsen verschwand von ihrem Gesicht. „Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe.“ Der fürsorglichen Ton, den sie anschlug, brachte mich sogar dazu ihr zu Glauben. Trotzdem brachte ich nicht mehr als ein verlegenes Lachen heraus. Maya war meine beste Freundin, und sie war auch das einzige Mädchen in meinem Alter, das im Waisenhaus lebte. Deswegen wurde ich auch im selben Zimmer wie sie untergebracht, was mir die Zeit hier erheblich erleichtert hatte. Wir gingen sogar in die gleiche Klasse auf der Icarus-Schule, auf die wir mit dem Eintritt in die Oberstufe gewechselt hatten. Sie kam aus ihrem Bett gekrabbelt und schlich jetzt zu mir herüber. „Geht es dir nicht gut?“ Ihre Mine war ernsthaft besorgt. Sie setzte sich neben mich auf die Bettkante, nahm mir mit sanfter Gewalt den Spiegel, um den sich mein Griff nun verkrampft hatte, aus der Hand und legte ihn wieder auf den Tisch. „N-Nein,“ antwortete ich. „Ist alles in Ordnung. Ich hab wohl nur schlecht geträumt.“ „Ach wirklich?“ Sie schien nicht überzeugt. „Ja wirklich.“ Allmählich regte mich ihre Überfürsorglichkeit auf. „Okay,“ seufzte sie. Maya blickte mich noch einige Sekunden lang durchdringend an, als könne sie so erkennen ob ich die Wahrheit sagte. Dabei kam sich unsere Gesichter so nahe, dass ich schließlich ihren Atem auf meiner Haut spüren konnte. Verlegen sah ich weg. Hatte sie gesehen, dass ich rot geworden bin? „Ehm... I-ich glaube, es ist noch ein bisschen zu früh um aufzustehen.“ Die Worte kamen nur stotternd über meine Lippen. „Du solltest versuchen noch etwas schlafen.“ Sie sah mich noch etwas weiter an und ich tat so als ob dort auf der Bettdecke etwas unglaublich interessantes war. Schließlich gab sie auf etwas durch Anstarren herauszufinden und stand auf. „Vor allem solltest du versuchen noch etwas zu schlafen.“ Es war dunkel hier drin, und trotz des Betäubungsmittels konnte ich die Enge dieses Raums wahrnehmen. Ja, meine Welt war finster und klein. Aber immerhin war ich hier in relativer Sicherheit. Hier konnte ich mich davon erholen. Von meinen Ausflügen in eine größere und hellere Welt. Denn auch wenn meine Sinne vor jedem dieser Ausflüge fast vollständig benebelt wurden, spürte ich doch den Schmerz, den sie verursachten. Diese Finsternis war meine Zuflucht. Hier konnte ich wenigstens träumen... „Wer hat dir das angetan?“ Kayles Stimme brannte vor Zorn. Dass sein Geschrei auch in meinem Kopf dröhnte und schmerzte, schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. „Hey, Kayle.“ Michael sprach deutlich sanfter, als er versuchte, den vor Wut schäumenden zu beruhigen. „Wie wär’s, wenn du dich erst mal über seinen Gesundheitszustand erkundigen würdest, bevor du ihn mit deinem Gebrüll noch verschlimmerst.“ „Hast ja recht.“ Und an mich gewandt fuhr er fort: „Und, wie geht’s es dir, Ryuka?“ „Halb so schlimm. Der Doc meint, es sei nichts ernstes. Kein Bruch oder so – aber mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen,“ antwortete ich; erleichtert darüber, dass er seine Stimme jetzt etwas gesenkt hatte. „Aber dass du mich einmal bei meinem Namen nennst, war es schon fast wert.“ „Hö, hö, gewöhnt euch nicht zu sehr daran, Prinzessin.“ Er grinste mich an. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich zu diesem Spitznamen gekommen bin, aber ich habe mich damals wohl nicht entschieden genug gewehrt. Inzwischen war er allerdings schon so mit mir verbunden, dass es mich nicht mehr störte. „Geht’s dir wirklich gut?“, wollte Michael noch mal wissen. „Reicht dir mein Wort nicht, Star?“ Star, oder viel eher Grauer Star, war wiederum Michaels Spitzname, denn in seinem schwarzen, kurzgeschnittenen Haar, hatte er auf der linken Seite einen sternförmigen Flecken fast weißen Haars. Eine Weile lang war es still, und es schien als würde Grey – eine weitere Form seines Spitznamens – ernsthaft überlegen, mit einem „Nein“ zu antworten. Dann aber entspannte sich sein Gesicht wieder. „Na gut, dann wäre das geklärt. Nun kommen wir wieder zu Kayles Frage: Wer hat dich verprügelt?“ Ich zuckte zusammen. Technisch gesehen mochte ich ja verprügelt worden sein, trotzdem wollte ich nicht, dass es sich so anhörte, als hätte ich einen Kampf verloren. „Erinnerst du dich noch an die Herausforderung des Kampfsport-Klubs der Rents-Schu...?“ „Ja klar erinnere ich mich,“ unterbrach mich Kayle. „Die haben wohl geglaubt, nur weile unsere Schule gar keinen Kampfsport-Klub hat, könnten sie auch kampflos gewinnen.“ „Jetzt lass ihn doch mal ausreden,“ fuhr Michael Kayle an. „Du bist wie immer viel zu stürmisch.“ Allmählich kamen mir Zweifel, wie gut die Gesellschaft der beiden für meine Genesung war. „Hallo, interessiert euch jetzt, was ich sage, oder nicht?“ Ich sah die beiden einige Sekunden lang durchdringend an. Da keiner von ihnen auch nur einen Muskel unter meinem Blick zu bewegen wagte, sah ich das mal als Antwort an. „Jedenfalls haben die das wohl nicht so leicht verkraftet, dass sie gegen den GutZ-Klub, der offiziell ja gar nichts mir Kampfsport zu tun hat, verloren haben. Der Typ, den ich letzte Woche besiegt hatte, und zwei von denen, die nicht am Wettstreit teilgenommen hatten.“ „Ja, aber warum du?“ fragte Star, während Kayle sichtlich immer ungeduldiger und wütender wurde. Er war wieder entflammt und sann auf einen Vergeltungsschlag. „Tja, Pech, würde ich sagen. Ich hab sie zufällig im Stadtpark getroffen, als sie Dampf an den Mülltonnen ausgelassen haben. Und wie es aussieht, bin ich beliebter als Mülltonnen.“ „Dann wollen wir diesen Typen - wie hieß er noch, Mike oder so? Na, jedenfalls wollen wir diesen Typen dann mal suchen gehen, oder, Grey?“ „Nein.“ Kayles Kinnlade klappte nach unten. „Nein“ stimmte mir auch Michael zu. „Wir haben ihnen doch schon öffentlich gezeigt, dass sie uns unterlegen sind. Was würde es bringen, sie wieder zu schlagen?“ „Aber dass können wir doch nicht auf unserer Prinzessin sitzen lassen! Das ist ein nicht hinnehmbarer Fleck auf der GutZ-Weste!“ „Pass auf, Kayle.“ Michael sprach so, als ob er einem Kind etwas erklären würde. Einem sehr ungeduldigen Kind. „Ich habe da etwas anderes im Sinn. Ich denke, wir können das getrost deinem Bruder überlassen.“ Kayles Gesicht zeigte gemischte Gefühle. Einerseits wusste er sehr wohl, dass es das beste war, seinen Bruder den Rest erledigen zu lassen und er wusste wohl auch, dass Maxwell die Sache übernehmen würde. Andererseits hasste er es, sich auf seinen Bruder zu verlassen. „Mh, aber mein Bruder hat doch jetzt wichtigeres zu tun! Du weißt schon, jetzt wo er Schülerratsvorsitzender ist.“ Sein Einwand war berechtigt, auch wenn Kayle nicht ganz ehrlich war, vermutlich nicht einmal zu sich selbst. „Der Vorsitzende wird davon eh erfahren, und sich darum kümmern,“ entgegnete Michael. „Es ist besser, wenn wir ihn direkt darum bitten. Auch wenn er die GutZ jetzt verlassen hat, liegt der Klub ihm noch sehr am Herzen. Kein Wunder, er war ja auch Gründungsmitglied und bis vor einem Jahr noch der Klubleiter. Jedenfalls wird er sich umso mehr aufregen, wenn er es nicht durch uns erfährt.“ „Tja, vermutlich hast du Recht,“ willigte Kayle ein. „Aber nur vielleicht.“ Irgendwie fühlte ich mich bei dieser Unterhaltung langsam als Außenseiter. Michael kannte Maxwell noch aus seinem ersten Jahr in der Oberstufe und, dass Kayle seinen Bruder kannte verstand sich von selbst. Ich allerdings kannte den Vorsitzenden nur vom Sehen, und alles was ich über ihn wusste, war, dass er der beliebteste Schüler der Icarus-Schule war. „Hey, Ryuka. Wir müssen dann mal los.“ „Mh, was?“ Ich schaute verwirrt auf die Uhr. Fast halb zehn. Ich hatte gar nicht gemerkt wie spät es war. Gut, so verwunderlich war es nicht, ich hatte ja schließlich auch den halben Tag ohnmächtig verbracht. „Ja klar, haut ruhig ab.“ Grinsend scheuchte ich sie aus dem Waisenhaus, darauf bedacht keines der kleineren Kinder zu wecken. „Ja, wir sehen uns dann morgen in der Schule!“ Jetzt, da meine Freunde weg waren, und Stille im Waisenhaus einkehrte, wanderten meine Gedanken zu dem Traum, den ich gehabt hatte. Ich hatte es während des Tumults, den Michael und Kayle immer verursachten, beinahe vergessen, aber nun beschäftigte es mich wieder. Dieser immer wiederkehrende Traum. Der Traum von einem Leben als Mädchen. Er kam mir schon eine ganze Weile. Seit etwa einem Monat, um genau zu sein. Ich erinnerte mich, dass ich auch ganz ähnlich gedacht hatte, während ich geträumt hatte. Doch nun schien es lächerlich, nicht erkannt zu haben, dass ich geschlafen hatte. Man merkt eben immer erst hinterher, ob man geträumt hat... Aber da war noch etwas anderes. Ich war mit einem unguten Gefühl aus diesem Traum erwacht, als ob da noch mehr gewesen wäre, als dieses alberne Gespräch mit Maya. Ich seufzte. So sehr ich es auch versuchte den Grund für meine Beunruhigung zu finden, ich hatte ihn vergessen. Ich strengte mich noch mal an, doch auch nach intensiver und minutenlanger Suche, konnte ich nichts ausmachen. Ich raufte mir die Haare und ein wütender Schrei kam mir über die Lippen. Ich schaffte es noch gerade so, ihn soweit zu dämpfen, dass niemand wach wurde. Hoffte ich jedenfalls. Genervt von dieser Energieverschwendung sprang ich ins Bett. Und meine Laune verschlechterte sich nochmals, als ich daran dachte, was mir im Schlaf noch alles widerfahren würde. Hosted by Animexx e.V. 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