The darkness inside you von Hinata3569 (Die Vergangenheit ruht nie) ================================================================================ Prolog: Die Geburt ------------------ Dunkelheit. Alles was er wahrnahm, war Dunkelheit. Nicht nur dunkel war es, auch eng. Es war, als wäre eingesperrt. Seine Instinkte sagten ihm, dass er sich aus diesem Gefängnis befreien sollte. Aber warum? Zwar war es eng und dunkel, doch es bot ihm auf eine irgendeine Weise Schutz. Warum befahlen ihm seine Instinkte, sich zu befreien? Wartete außerhalb etwa etwas auf ihn? Etwas, was er hier niemals finden konnte? Sollte er vielleicht doch hinaus, aus seinem sicheren Gefängnis? Ich… Ich möchte… es sehen… die Welt… Er spürte, das immer größer werdende Verlangen nach Freiheit in sich aufsteigen. Mit aller Kraft, die in ihm steckte, drückte er sich nach oben. Mit einem Mal spürte er, wie Energie ihn umfloss und alles um ihn herum, begann zu weiß aufzuleuchten. So schnell wie es begonnen hatte, war es vorbei. Nach langem Zögern öffnete er die Augen. Zwar nahm er alles verschwommen wahr, aber konnte er erkennen, dass er sich nicht mehr in diesem engen etwas befand. Die Umgebung hatte sich komplett verändert. Auch das Verhalten seines Körpers änderte sich plötzlich, alles fühlte sich anders an. Seine Brust hob und senkte sich im gleichmäßigen Rhythmus. Durch die Schnauze begann er zu atmen. Augen schlossen und öffneten sich. Plötzlich fiel er. Unsanft landete er auf einem harten Boden, der sich jedoch weich anfühlte. Leicht irritiert versuchte er den Kopf anzuheben, es klappte, jedoch nur durch ungewohnte Anstrengungen, die ihm bisher unbekannt gewesen waren. Etwas trat vor ihn. Nur mit zugekniffenen Augen konnte er erkennen, was vor ihn getreten war und ihn zu mustern begann. Es war groß, deutlich größer als er. Der Schwanz war gelblich gefärbt, so auch das Fell an der Brust. Maul, Schnauze und die obere Kopfhälfte waren umgeben von solch ähnlichem Fell, dieses reichte bis in den Bauchbereich hinunter. An den beiden Vorderbeinen hatte er knapp unter dem Bauchbereich ebenso solches Fell, genau wie an den Hinterbeinen, dort jedoch mittig und deutlich länger als vorne. Der restliche Körper war von orangen-braunem Fell übersät, aber darüber verteilten sich schwarze Streifen, denen man kein bestimmtes Muster zuordnen konnte. „Arina! Sieh dir das an! Unser erstes Junges ist geschlüpft! Aber dieses Fell…“, sprach das Wesen. Neben das Wesen, das gerade gesprochen hatte, trat ein zweites. Sie sahen sich zum verwechseln ähnlich, nur war der Neuankömmling etwas kleiner als das andere. „Was zum… Blaze, was ist mit dem Fell dieses Fukanos?“, fragte der Neuankömmling das größere Wesen, das wohl Blaze zu sein schien. Die beiden Wesen begannen heftig zu diskutieren. Vieles verstand er nicht. Ihm gingen einige Fragen durch den Kopf. Was war ein Fukano? War vielleicht er damit gemeint? Wenn ja, was stimmte mit ihm nicht? Den Kopf anzuheben war für ihn ein zu großer Kraftaufwand. Vorsichtig legte er ihn zu Boden, er wollte nicht noch mehr Kraft verbrauchen. Er schloss die Augen. Die vertraute Dunkelheit, die ihn noch vor wenigen Augenblicken eingeschlossen hatte, umfing ihn wieder. Sie kam ihm so vertraut vor… Schnell öffnete er die Augen wieder, als er spürte etwas Warmes in seiner Nähe spürte. Etwas schwarzes, wohl eine Schnauze, beschnupperte ihn vorsichtig. Unter größten Anstrengungen hob er wieder den Kopf. Als er das getan hatte, ließ die Schnauze von ihm ab und er konnte feststellen, dass sie dem kleineren Wesen gehörte. „Steh auf!“, forderte es ihn auf. Leicht irritiert sah er nach links und rechts. In besagten Richtungen bemerkte er zwei schwarz gefärbte Pfoten, die anscheinend ihm selbst gehörten. Sein Körper hörte nun auf seine Instinkte, die ihm sagten, dass er aufstehen sollte, so wie es das Wesen gesagt hatte. Es dauerte nicht lange, dann war er wieder in der Position, in der er sich als erstes wieder gefunden hatte. Er saß einfach nur da und sah immer wieder auf seine schwarzen Pfoten hinunter. „Gut… Nun hör uns gut zu! Wir beide sind deine Eltern, das heißt, wir werden für dich und deine künftigen Geschwister sorgen!“, begann Blaze und gewann so seine Aufmerksamkeit. „Ich bin dein Vater Blaze und dies neben mir ist deine Mutter Arina. Verstehst du?“, fuhr er fort. Mutter? Vater? Geschwister? Was sollte das sein? „Nein“, kam es plötzlich aus seinem Mund. Über sich selbst überrascht sah er seine ‚Eltern’ an. Diese sahen es wohl als normal, das er sprach, denn überrascht sahen sie nicht gerade aus. So sah er es zumindest. „Du wirst mit der Zeit lernen, es zu verstehen. Nun… geben wir dir erst einmal einen Namen. Ein Name ist etwas, mit dem du angesprochen wirst, du musst also lernen, zu reagieren, wenn jemand diesen ruft“, erklärte Blaze weiter. Nun begann das kleinere der beiden, also Arina, zu reden: „Wir geben dir den Namen Rakyaru. Meinst du, du kannst ihn dir merken?“ Langsam nickte er. Nun hieß er also Rakyaru. In seinen Ohren klang es ungewohnt. Die Zeit würde dies aber sicherlich ändern. „Und nun sagen wir, was du bist, Rakyaru. Du bist ein Fukano, du wirst irgendwann verstehen, was das heißt. Allerdings bist du ungewöhnlich. Ein Fukano wie dich haben wir nie gesehen“, erzählte Arina weiter, nickte danach Blaze zu. Dieser lief auf ihn zu. Vorsichtig schob er ihn dann von seinem Stammplatz hinweg. Zu so etwas wie ein Loch, in dem sich etwas Nasses sammelte. „Sieh hinein. Es wird dir nichts tun, es ist nur Wasser, von dem wir trinken. Darin kannst du dich spiegeln, das heißt, du siehst dein Ebenbild. Ebenbilder sehen genau aus wie du, leben aber nicht“, erklärte ihm sein Vater und nickte ihm zu. Zögernd stellte sich Rakyaru auf seine vier Pfoten und sah über das nasse Etwas, das seine Eltern Wasser nannten. Seine Augen weiteten sich, als er sein Ebenbild sah. So sah er aus? Er sah seinen Eltern ähnlich, nur von den Farben war er komplett anders. Auf dem Kopf hatte er einen Fellbüschel, der grau gefärbt war. So auch sein Brustfell, so wie sein Schwanz. Die Streifen auf seinem schwarzen Rückenfall waren rot gefärbt und seine Augen erstrahlten in einem hellem grau. „Rakyaru, es tut uns Leid, aber wir dürfen nicht für dich sorgen“, sagte seine Mutter plötzlich. Verdattert drehte sich Rakyaru um. Hatte sie nicht noch gerade eben gesagt, dass Blaze und Arina als seine Eltern sich um ihn und seine künftigen Geschwister sorgen würde? Neben seiner Mutter stand ein kleiner Vogel, der größtenteils grün gefärbt war. Es hatte ein kleinen gelben Schnabel und auf dem Kopf eine Art rote Feder. Auch am hinteren Ende, wo eigentlich ein Schwanz sein sollte, befanden sich solche Federn. Seine eigentlichen Pfoten sahen komplett anders aus als die von Rakyaru selbst. Er konnte sie nicht zuordnen, nur konnte er sagen, dass sie mit je drei scharfen Krallen ausgestattet waren. „Warum auf einmal?“, rief Rakyaru verzweifelt, während ihn sein Vater Blaze wieder zu schieben begann. „Frag nicht, Rakyaru. Den Grund erfährst du irgendwann, wenn du alt genug bist“, flüsterte sein Vater ihm zu, klang dabei ein wenig wehmütig. Der Blick des Fukanos verschwamm und etwas Feuchtes sammelte sich in seinen Augen. Zwar wusste er nicht warum, aber hatte seine Eltern schon ins Herz geschlossen, sie verband etwas und nun wollten sie ihn einfach loswerden? Warum nur? Kapitel 1: Das Leben eines Verstoßenen -------------------------------------- Warum? Die Umgebung verschwamm, so schnell rannte er. Für andere wirkte er wohl wie ein schwarzer Blitz, der sich seinen Weg durch Büsche, Wiesen und zwischen Bäumen hindurchsuchte. Hinter ihm hörte man das Knurren des Rudels Magnayen, das ihn schon fast durch den halben Wald gejagt hatte. Warum ich? Zwar war er mit den Gedanken woanders, doch sein Körper tat, was er tun sollte. Die gräulichen Augen suchten die vorbeiziehende Umgebung nach einem geeigneten Versteck ab, doch es ließ sich keines finden. Er spürte, dass sich die Magnayen langsam näherten. Einen Kampf wollte er vermeiden. Schon so hatte er keine guten Chancen, da das Rudel ihm zahlenmäßig überlegen war. Warum ich? Was habe ich denn getan? Überraschend blieb er stehen. Selbst er hatte nicht damit gerechnet, so schnell war es geschehen. Es riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn verwirrt um sich blicken. Er war an einer Lichtung mitten im Wald angelangt. Außer hohem Gras und einem Bach, der hindurch floss, befand sich dort nichts. Es befanden sich einige Damhirplex’, von denen es ihm Wald viele gab, auf der Lichtung und fraßen Gras. Mit einem vorsichtigen Blick in den Wald hinter ihm, versicherte er sich, dass die Magnayen verschwunden waren. Zwar konnte er sie nicht sehen, aber das Knurren und Bellen hallte durch den gesamten Wald. Es hieß also für ihn, schnell handeln und ein sicheres Versteck finden, wo ihn die Magnayen trotz ihres ausgeprägten Geruchssinns nicht finden konnten. Aber das hohe Gras bot ihm keinesfalls einen guten Schutz und in der Herde von Damhirplex konnte er sich auch nicht verstecken, da sie sicherlich schon die Flucht ergreifen würden, wenn sie ihn nur schon aus der Ferne näher kommen sahen. Über die Lichtung laufen und im anderen Teil des Waldes verschwinden, konnte er genauso wenig, da die Lichtung dafür zu groß war. Und hinter ihm waren die Magnayen. Er musste sich einfach entscheiden und er nahm die einfachste Lösung, in einen anderen Teil des Waldes verschwinden. Schnell richtete er seinen Blick wieder nach vorne und machte sich zum loslaufen bereit. Doch etwas versperrte ihm den Durchgang – drei Magnayen des Rudels. Hinter ihm hörte er das Knurren von zwei anderen Magnayen, sie hatten ihn also eingeholt. Nun saß er also in der Falle. „Was wollt ihr von mir?“, fragte er und versuchte dabei so ruhig wie möglich zu klingen. Eine Antwort bekam er nicht. Eines der Magnayen hinter ihm sprang plötzlich auf seinen Rücken und versuchte an seinen Nacken zu gelangen. Einfach ergeben würde er sich aber nicht. Er drehte seinen Kopf nach hinten und packte den schwarzen Wolf am Nackenfell. Erschrocken bellte dieser auf und wurde vom Rücken seines Opfers geworfen. Etwas Staub wirbelte auf, als der Körper den Boden berührte und etwa zwei Meter weit rutschte. Etwas überrascht blickten die anderen Magnayen ihren Artgenossen an, dieser erhob sich auch schon wieder. Das Rückenfell der Magnayen stellte sich schlagartig auf und sie entblößten ihre scharfen Zähne. Das Knurren wurde noch lauter und bedrohlicher. Er saß eindeutig in der Falle. Wieder sprang eines der Magnayen auf ihn zu. Um nicht erwischt zu werden, bäumte er sich auf. Doch dann wurde er von dem Magnayen mit der Narbe von hinten angesprungen, womit er nicht gerechnet hatte. Auch die anderen drei Unlicht-Pokémon sprangen nun auf ihn zu und versuchten ihn in seinen Nacken zu beißen. Ihr Opfer wusste sich allerdings zu helfen und ließ sich zu Boden fallen, dann rollte er sich einmal seitlich. Damit war er die meisten Magnayen wieder los, allerdings befand sich noch immer das Magnayen mit der Narbe auf seinem Rücken und machte sich bereit, zuzubeißen. Gerade als sich die Fangzähne des schwarzen Wolfes in den Nacken bohren sollten, wurde seine Beute zur Seite gestoßen. Überrascht fiepte das Biss-Pokémon auf und sprang schnell vom Körper seines Opfers, bevor dieser den Boden wieder berührte. Er rutschte noch ein wenig weiter, bis er zum Stillstand kam. Leicht überrumpelt hob er seinen Kopf schnell und musterte denjenigen, der ihn geschubst hatte. „Was machst du hier?“, rief er demjenigen zu, als er das Wesen erkannte. Die Ohren des Wesens stellten sich aufmerksam auf und es wandte sich ihm zu. „Dir helfen…“, antwortete dieser schließlich. „Aber das ist viel zu gefährlich, verschwinde!“, rief er und rappelte sich wieder auf. Ein Magnayen hatte sich wieder vom Schreck des plötzlichen Auftauchens des Neuankömmlings erholt und sprang ihn an. Leichtfüßig sprang dieser jedoch nach hinten und wandte sich ihm wieder zu. „Die anderen mögen dich nicht akzeptieren und meiden dich, aber ich lasse dich nicht einfach im Stich!“ „Allia, hau ab!“, schrie er und stieß ein Magnayen, das angelaufen kam, zur Seite. „Vergiss es! Du bist mein großer Bruder, Rakyaru!“, rief die kleine Schwester Rakyarus zurück. Sie war ein Arkani wie jedes andere. Sie war zwar kleiner als ihr Bruder, doch was Geschwindigkeit anging, war sie ihm deutlich überlegen. Das junge Arkani bewunderte ihn für die Willensstärke, die er besaß. Niemand den sie kannte, konnte es so lange in der Hölle der Einsamkeit aushalten wie er. Seit er klein war, hatte er sich allein durchs Leben kämpfen müssen. Und doch war er immer noch hier. Er lebte. Auch wenn niemand wollte, dass es ihn gab. Weshalb wusste sie nicht. Zwar sah er anders aus, doch war er immer noch ihr Bruder und ein Arkani durch und durch. Allia akzeptierte als einzige, dass er ihr Bruder war. Ihre anderen drei Geschwister taten so, als gäbe es Rakyaru nicht. Noch immer besaß er ein schwarzes Fell, so schwarz wie die Dunkelheit. Auch die Streifen an seinem Körper warennoch immer rot, seine Augen in einem hellen grau. Das eigentlich gelbe Fell war ebenso grau, nur dass sich ein leichtes blau hineingemischt hatte. „Pass auf!“, warnte Rakyaru Allia und öffnete gleich darauf sein Maul. Aus seinem Rachen schoss ein heißer Flammenstrahl und raste auf zwei der Magnayen, die gerade dabei waren, Allia zu attackieren, zu. Der Strahl aus purem Feuer traf die beiden Pokémon und riss sie mit sich. Etwa fünf Meter weiter fielen sie wieder zu Boden. Ihr schwarzes Rückenfell brannte. Vor Schmerz krümmten sich die beiden im Staub, rollten hin und her und erstickten so die Flammen. Indem Allia vorsichtig Rakyarus Schnauze berührte, dankte sie ihm. So war es zumindest unter Fukanos und Arkanis üblich. Die Geschwister stellten danach ihr Nackenfell auf, entblößten ihre scharfen Zähne und knurrten als Zeichen der Warnung. Das Magnayen mit der Narbe bellte auf und sofort machten sich seine Rudelmitglieder davon. Bevor auch er zurück in den Wald lief, zischte er Rakyaru entgegen: „Verschwinde aus unserem Revier, Abschaum!“ Angesprochener verzog keine Miene, er sah dem Magnayen emotionslos hinterher, bis dieser im Wald verschwunden war. Allia sprang vor sein Sichtfeld und wedelte freudig mit dem Schwanz. „Die haben wir fertig gemacht, nicht wahr, Bruder?“, fragte sie ihn. Er hob seine rechte Vorderpfote so an, dass sie mit dem Gesicht seiner Schwester auf gleicher Höhe war und drückte sie zur Seite. Dann drehte er ihr den Rücken zu. „Allia… Verschwinde!“, sagte er und setzte sich in Bewegung. Der weibliche Feuerhund legte den Kopf schief und folgte ihm. „Rakyaru?“ Sie verstand nicht, was er auf einmal hatte. Das letzte Mal, das sie sich gesehen hatten, war kurz nach seiner Entwicklung zu einem Arkani gewesen. Und dies war auch schon ein paar Jahre her. Allia verstand nicht, wieso ihr Bruder sich nicht freute, sie wieder zu sehen. Als sie beide noch kleiner waren, hatten sie immer heimlich miteinander gespielt. Als jedoch ihr Vater sie dabei entdeckte, war es damit vorbei. Er hatte Allia danach nie aus den Augen gelassen und so hatte sie nie die Chance bekommen, sich heimlich davonzuschleichen. Jahre später, als auch sie endlich selbstständig war, hatte sie ihn als Arkani durch den Wald rennen sehen. Damals hatte sie sich darüber gefreut, ihn gesund zu sehen. Nach diesem kurzen Wiedersehen waren wieder ein paar Jahre vergangen und sie sah ihn gegen diese Magnayen kämpfen, die relativ schnell in die Flucht geschlagen werden konnten. „Ich sagte, du sollst verschwinden!“, sagte er und lief weiter. „Vergiss es! Nach Jahren sehen wir uns wieder und du willst, dass ich verschwinde? Früher hättest du das nicht gesagt. Woran hast du mich eigentlich erkannt?“, verneinte seine jüngere Schwester und trottete ihm weiter hinterher. „Wenn du es unbedingt wissen möchtest… Ich habe dich an deinem Geruch erkannt. Und du mich wahrscheinlich an meinem Fell…“, damit drehte er sich wieder um und lief wieder weiter, in die Richtung, in der die Sonne hinter den Felswänden des Tals verschwand. „Jetzt warte doch mal! Was ist denn mit dir los? Als wir kleiner waren, warst du doch ganz anders!“, versuchte der weibliche Feuerhund ihn aufzuhalten, einfach wegzugehen. Mit einem Mal war Rakyarus Gesicht so nah an ihrem, das sich beinahe ihre Schnauzen berührten. Er hatte die Ohren angelegt, seine scharfen Zähne entblößt und sein Nackenfell stellte sich auf. Ein warnendes Knurren ertönte. Etwas erschreckt machte sich Allia kleiner, legte den Schwanz so wie die Ohren an. In dieser Stellung lief sie vorsichtig rückwärts. „Verschwinde endlich, oder soll ich gewalttätig werden?“, zischte er und bellte warnend auf. Zwar sah man es ihr nicht an, aber dies kränkte Allia. In der Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten, hatte sich ihr älterer Bruder verändert. Kaum mehr war etwas von dem kleinen Fukano, mit dem sie gespielt hatte, übrig. Sie musste einsehen, dass sie besser weggehen sollte. Das tat sie auch, ihr Weg führte in das Waldstück, in das die Magnayen verschwunden waren. Rakyarus Züge normalisierten sich wieder, als Allia in der Dunkelheit des Waldes verschwunden war. Mit einem letzten Blick in Richtung Wald, drehte er sich um und lief wieder los. „Es ist zu deinem besten, Allia…“, murmelte er, dann versank er in seiner Gedankenwelt. Es war immer so. Nie konnte er länger als zehn Tage an einem Ort bleiben, immer wurde er von den Pokémon verscheucht. Dieses Mal war es eben das Rudel Magnayen gewesen, die diese Aufgabe übernommen hatten. Jeder im Tal schien über ihn Bescheid zu wissen. Auch schienen viele zu wissen, warum er dieses seltsame Fell hatte. Nur er nicht. Sein Blick wanderte zu seinen schwarzen Pfoten, die sich regelmäßig hoben und wieder den Boden berührten. Warum hatte gerade er dieses Schicksal? Hätte es nicht auch einerseiner jüngeren Brüder oder jemand ganz anderes sein können? Verärgert über sich selbst schüttelte der schwarze Hund seinen Kopf heftig durch. Er durfte sich nicht selbst bemitleiden. Hatte er das in all den Jahren denn nicht endlich gelernt? Sein Leben war bisher nie wie das eines normalen Pokémons gewesen. Immer wurde er vertrieben und beschimpft. Ungewollt lebte er das Leben eines Einzelgängers. Jeder Tag war für ihn die Hölle der Einsamkeit. Aber er durfte nicht aufgeben. Egal, was die Zukunft noch für Schicksalsschläge für ihn bereithielt, er würde weiter durchs Leben gehen und versuchen, sein Bestes zu geben. Auch wenn es dafür hieß, Pokémon, die ihm Freundschaft anboten, zu verscheuchen. Alle, die ihm zu Nahe kamen, erlitten ein ähnliches Schicksal wie er und er wollte nicht, das Pokémon dasselbe erdulden mussten. Der Wind blies ihm ins Gesicht und er musste gezwungenermaßen die Augen schließen. Als der Wind wieder nachließ, bemerkte er, dass ihn seine Pfoten auf einen kleinen Hügel getragen hatten. Die Sonne kämpfte bereits mit der einbrechenden Nacht um ihren Platz. Doch den Kampf verlor sie. Als der letzte Sonnenstrahl hinter den Felswänden des Tals, seiner Heimat, verschwand, brach immer mehr die Dunkelheit über ihn herein. Rakyaru blieb eine Weile an Ort und Stelle, bis er sich ins Gras niederkauerte und die Augen schloss. Morgen würde ihn das Schicksal wieder seinen Weg weißen. Wie dieser wohl aussah? Kapitel 2: Was bedeutet 'Heimat'? --------------------------------- Rakyaru war bereits wach, bevor die ersten Sonnenstrahlen seine Nase kitzelten. Im Tal war es noch relativ dunkel, aber man merkte bereits, dass hinter den hohen Steinwänden die Sonne aufging. Die nachtaktiven Pokémon legten sich langsam zur Ruhe, doch war das Tal noch immer erfüllt von den Lauten jener Lebewesen. In der Dunkelheit konnte sich das schwarze Arkani am Besten fortbewegen, da ihm sein Fell eine gute Tarnung schuf. So konnte er umherwandern, ohne diese Blicke, die nur Abscheu oder Neugierde in sich trugen, im Rücken zu spüren. Ohne wirkliches Ziel trottete Rakyaru durch das hohe Gras. Sein ganzes Leben lang hatte er bisher nie ein wirkliches Ziel gehabt und so schnell würde sich das nicht ändern, so dachte er zumindest. Je länger das Arkani umherlief, desto wacher wurde er, aber auch versank er immer mehr in seine Gedanken. Seit Allia plötzlich aufgetaucht war, um ihm zu helfen, die Magnayen zu verjagen, fragte er sich, ob es nicht besser wäre, wenn er nicht ginge. Das Tal zu verlassen, darüber hatte er schon öfters nachgedacht, aber bisher hatte er diese Idee immer wieder verworfen. Etwas tief in ihm schien ihn auch daran hindern zu wollen, seinen Geburtsort zu verlassen. Aber wenn er das Tal wirklich einmal verlassen würde, wo sollte er dann hin? Sein ganzes Leben hatte er hier verbracht und außerhalb kannte er kein einziges Pokémon. Auch wusste er nicht, was ihn dort draußen erwarten würde. Würden die Pokémon ihn genauso behandeln wie hier? Rakyaru war sich ziemlich sicher, das dem so war. Hier schien ihn doch jeder zu kennen und ihn verscheuchen zu wollen. Woran das lag? Die Antwort auf diese Frage, wieso dies so war, würde er hier nicht erhalten. Er seufzte. Egal, wie lange er noch überlegte, er kam nun endlich, seit einer Ewigkeit, zu einem Entschluss – er würde das Tal verlassen. Das Arkani wandte sich der Felswand zu, die ihm am nächsten war. Er blickte an ihr entlang bis zu dessen höchstem Punkt. Stillschweigend lief er los und sah sich immer wieder um. Wenn er schon das Tal verließ, wollte er nicht unbedingt wieder ein Rudel Magnayen im Nacken sitzen haben. Sein Weg führte ihn wieder durch denselben Wald, durch den er am vorherigen Tag noch gerannt war. Ab und zu hörte er noch ein Noctuh, das sich zum Schlaf bereit machte. Auf seinem Weg begegneten ihm viele Pokémon, die entweder bereits erwacht waren oder sich auf dem nach Weg nach Hause befanden. Wenn sie ihn erblickten, starrten sie ihm entweder nach oder flüchteten aus Angst, angegriffen zu werden. Ihm gefiel diese Aufmerksamkeit nicht. Es hing immer mit seinem Fell zusammen. Er schien nur geboren worden zu seien, um mit solch einer Fellfärbung durch das Leben zu gehen. Das einzige, was er wollte, war ein normales Leben zu führen. Aber in diesem Tal würde er das wohl nie können, deshalb verließ er diesen Ort. Den Ort seiner Geburt. Den Ort, an dem er nichts als Einsamkeit erfahren hatte. Leise knurrend wurde sein Gang schneller. Ich muss hier weg! Weg aus diesem Tal! Fort aus diesem Leben und fort von meiner „Familie“! Die Sonne hüllte das gesamte Tal in helles Licht und das Leben war erwacht. Flug-Pokémon segelten durch die Luft, eine Herde Ponita und Gallopa graste auf einer großen Wiese und einige junge Pokémon spielten am Bach. Der Himmel war blau, kaum Wolken waren zu sehen. Eine angenehme Brise strich durch Rakyarus schwarzes Fell. Den Wald hatte er bereits hinter sich gelassen, nun musste er nur noch eine Wiese überqueren und dann trennte ihn nur noch der Aufstieg der Felswand von einem neuen Leben und der Suche nach einer richtigen Heimat. Auf einem kleinen Hügel, der immer näher kam, während er auf die Felswand zu lief, konnte er zwei Gestalten ausmachen. Unbewusst wurde er wieder schneller, bis er schließlich bemerkte, dass er rannte. Rakyaru ließ sich von seinen Pfoten führen und schloss die Augen. Fragen tauchten in seinen Gedanken auf. Wie sah die Welt hinter den Felswänden aus? Würde er dort auch wirklich eine Heimat finden? Einen Ort, an dem er akzeptiert wurde, wie er ist und wie er aussah? Zweifel an seinem Entschluss fraßen sich in ihn hinein. Energisch schüttelte er diese ab. Entschluss war Entschluss, er wollte es nicht noch einmal überdenken. Als er abrupt stoppte, öffnete er die Augen und vergaß seine Zweifel. Zwei Pokémon standen vor ihm. Zwei, die er hatte nie wieder sehen wollte. Der strenge Blick der beiden bohrte sich in ihn hinein, aber er wich nicht zurück. „Was wollt ihr?“, sprach er die beiden an. Blaze und Alina, seine Eltern standen vor ihm und versperrten ihm den Durchgang. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben, wo er doch am liebsten einfach an ihnen vorbeigehen oder angreifen wollte. Sie hatten ihn nur kurze Zeit nach seiner Geburt verstoßen, sodass er gezwungen war, schon sehr früh lernen zu müssen, allein zu überleben. „Wo willst du hin?“, fragte Alina in ruhigem Tonfall. „Ich werde das Tal verlassen“, antwortete Rakyaru ohne zu zögern. „Allia hatte mit ihrer Vermutung also Recht. Du wirst das Tal nicht verlassen!“, entgegnete Blaze. „Mir ist egal, was ihr sagt“, sagte das schwarze Arkani und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Du wirst tun, was wir dir sagen, wir sind deine Eltern!“, knurrte Alina, anscheinend hatte Rakyaru sie mit seiner Antwort erzürnt. „Eltern? Was sind ‚Eltern’? Ihr sagtet damals, ich würde mit der Zeit begreifen, was dieses Wort bedeutet… Das habe ich bis heute nicht“, erwiderte das Feuer-Pokémon. Ihm war bewusst, was er sagte. Er verletzte seine Eltern damit. „Das spielt hier keine Rolle! Du bleibst hier, in deiner Heimat! Du bist unser Sohn und wir lassen nicht zu, dass unsere Kinder ihrer Heimat den Rücken kehren!“, sagte Blaze und trat näher auf Rakyaru zu. Sohn. Blaze hatte ihn als seinen Sohn bezeichnet. Früher, als junges Fukano, hatte er sich dies so sehr gewünscht. Es hätte ihn so sehr gefreut, dass er vergessen hätte, dass sie ihn verstoßen hatten und würde ihnen vergeben. Seinen Groll gegenüber ihnen hätte er vergessen und sein Leben als Außenseiter wäre ihm egal gewesen. Aber das war vor langer Zeit. Nun war er ausgewachsen, er hatte sich verändert. „Ich bin schon seit meiner Geburt nicht mehr euer Sohn. Ihr habt nicht das Recht, mich als solchen zu bezeichnen, dafür ist es inzwischen zu spät“, antwortete Rakyaru darauf. Ohne weiter auf sie zu achten, lief Rakyaru an Blaze und Alina vorbei. Nach diesen Worten, die sie unbewusst verletzt hatten, sahen sie sich nicht mehr imstande das schwarze Arkani aufzuhalten. Das Gespräch mag nicht besonders lange gedauert haben und doch hatten sie die Veränderung ihres ersten Sohnes deutlich zu spüren bekommen. Zwar hatte Allia, ihre jüngste Tochter, sie vor seiner charakterlichen Veränderung gewarnt, aber sie hatten ihr nicht geglaubt. Und nun traf sie die Realität eiskalt. Das kleine schwarze Fukano, das immer heimlich mit seiner jüngeren Schwester gespielt hatte, war Vergangenheit. Ein von seinem Leben geprägtes Arkani, das in sich hinein zurückgezogen war, hatte diesem Platz gemacht. „Wir hätten uns dem Befehl damals widersetzen sollen, nicht wahr?“, fragte Blaze seine Gefährtin, während sie Rakyaru nachsahen. Den Kopf leicht gesenkt antwortete das weibliche Arkani: „Vielleicht. Aber was wäre dann passiert? Wir müssen wohl akzeptieren, dass er nun so ist. Aber mir fällt es sehr schwer, Blaze…“ „Mir ebenso. Ich frage mich, ob er eines Tages zurückkehren kann“, entgegnete er. „Das ist zu unwahrscheinlich, das weißt du genauso gut wie ich. Wer einmal dieses Tal verlässt, wird es nur unter einer Bedingung wieder finden können, aber diese zu erfüllen… Dies erscheint mir unmöglich“, sagte Alina. „Wir können nur für ihn hoffen. Hoffen, dass er das findet, was er sucht. Aber was sollen wir Allia sagen?“, gab Blaze ihr recht. „Die Wahrheit. Sie ist inzwischen alt genug, wir dürfen sie nicht ewig wie ein kleines Fukano behandeln“, antwortete Allias Mutter. Rakyaru fand sich vor der Felswand wieder. An ihr hochblickend stellte er fest, dass sie deutlich höher war, als wie es aus der Ferne aussah. Mit den Augen suchte er sich einen Pfad, dem er folgen oder Felsvorsprünge auf die er springen konnte. Wie er bemerkte, würde es kein leichter Aufstieg werden, der vielleicht auch tödlich enden könnte. Viele Wege endeten abrupt, die meisten Felsvorsprünge waren entweder zu klein oder zu dünn und könnten so sein Gewicht nicht halten. Seufzend wanderte sein Blick wieder auf den Boden und er trottete auf die Felswand zu. Dort angekommen, setzte er eine Pfote auf das Gestein, blickte noch einmal zurück, um sicherzugehen, dass ihm niemand, vor allem seine Eltern, folgte. Zufrieden damit, dass niemand ihn beobachtete oder in seiner Nähe war, machte sich Rakyaru auf den Aufstieg. Er wusste, dass er vorsichtig sein musste, sonst endete seine ursprüngliche Absicht in einem Fall ohne Erwachen, wenn er auf dem Boden aufschlug. Dieser Gedanke löste zwar ein mulmiges Gefühl in ihm aus, aber er wollte das Tal verlassen und einen anderen Weg, als über die Felswände zu klettern gab es nicht. Während er sich bemühte, nicht hinunterzusehen, obwohl er noch nicht sonderlich weit oben war, erinnerte er sich an etwas aus seiner Kindheit, zu dessen Zeit er noch versuchte, wieder zu seiner Familie zurückzukehren, was aber immer gescheitert war. Sich im hohen Gras versteckt haltend folgte Rakyaru Alina, Blaze und seinen jüngeren Geschwistern heimlich. Inzwischen war er ein Stück gewachsen und kam alleine zu Recht, aber er wollte nicht allein sein. Er wollte gemeinsam mit seinen Geschwistern spielen und akzeptiert werden. Seine Familie war unterwegs zu den Grenzen des Tales, den hohen Felswänden, die nur die Flug-Pokémon bisher überwunden hatten. Allerdings nisteten sie dort nicht, denn wenn die jungen Pokémon aus dem Nest fielen und die Eltern nicht in der Nähe waren, dann endete der Sturz immer mit dem Tod. Bisher hatte er noch nicht begriffen, was ‚Tod’ bedeutete, aber Rakyaru war sicher, dass damit nichts Schönes gemeint war. Als seine Familie abrupt anhielt und sich niederließ, beeilte sich das junge Fukano näher heranzuschleichen, aber immer noch weit genug entfernt, dass man ihn nicht bemerkte. Er spitzte die Ohren, denn wie er bemerkte, begannen seine Eltern den jüngeren Feuer-Pokémon etwas zu erzählen. Die sonst eher unruhigen Pokémon wurden still und lauschten stillschweigend den älteren. „So, nun sind wir da. Das sind Kalun, auch bekannt als ‚Die unüberwindbaren Mauern’. Der Name mag nach nichts besonderem klingen, aber ihr dürft diese Wände nicht unterschätzen!“, begann Blaze zu erklären. „Wieso nicht?“, fragte die jüngste der Anwesenden, Rakyarus Spielgefährtin Allia. „Pokémon, die wie wir nicht fliegen können, werden niemals diese Felswände überwinden können, dafür ist der Aufstieg viel zu gefährlich“, antwortete Alina ihr sachlich und warf einen kurzen Blick auf die Felswand. Verstehend nickte Allia. „Es gibt auch eine Geschichte zu diesen Felswänden. Allerdings ist eher eine Legende, an die nur die wenigsten glauben und ihr seid noch zu jung, um sie zu hören“, fuhr Blaze fort. „Aber in jeder Legende steckt ein wahrer Kern, diesen allerdings zu finden, gestaltet sich als äußerst schwierig in solch einer Welt, wie diese. Hier geschehen oft unerklärliche Dinge.“ Murren erklang, als es hieß, dass sie noch zu jung seien. Der älteste der Geschwister sagte: „Wir sind nicht mehr so jung, wie bei unserer Geburt, Papa.“ „Du magst Recht haben, aber trotzdem seid ihr noch immer jung. Diese Legende könnt ihr eines Tages von uns erzählt bekommen, aber nicht jetzt“, entgegnete Alina lächelnd. Allia stupste dem älteren Fukano mit der Schnauze in die Seite und forderte ihn auf, still zu sein. Mit einem vorwurfsvollen Blick auf seine Schwester schloss er das Maul, das geöffnet war, um zu widersprechen. „Wir raten euch also ab, dieses Tal jemals verlassen zu wollen. Der einzige Weg ist über die Kalun. Es haben schon viele Pokémon versucht, sie empor zu klettern, aber bisher hat es niemand überlebt.“ Die Fukanos schluckten hörbar. Unbeirrt fuhr Blaze fort: „Wenn ihr es dennoch schafft, so heißt es in einer weiteren Geschichte, so werdet ihr niemals zurückfinden.“ „Warum sollten wir nicht wieder unsere Heimat finden können?“, wieder stellte Alina eine Frage. „Das wissen selbst wir nicht. Einst sollen es unsere Vorfahren gewusst haben, aber dieses Wissen ging im Laufe der Zeit verloren, Alina“, antwortete wieder Allia. Diese Erinnerung spuckte ihm mehrere Stunden durch den Kopf. Kalun, die Wände, die ihn in diesem Tal gefangen hielten. Die Sonne stand bereits hoch, es war Mittag geworden. Das Leben im Tal war im vollen Gange, während er um Atem ringend den Aufstieg der Kalun versuchte. Die Luft war dünner geworden und er hatte, wie er bemerkte schon zwei Drittel erklommen. Für einen Vierbeiner wie ihn, war es sicherlich eine ordentliche Leistung, solche Höhen zu erklimmen. Alles in ihm schmerzte bereits, seine restlichen Kräfte würden nicht mehr lange reichen. Er hatte sich überschätzt und die Kletterei unterschätzt, ein Fehler, den nur Dumme machten. Ich muss es schaffen… Mein Leben hängt davon ab… Wie, als ob dieser Gedanke der Schlüssel gewesen wäre, durchströmte ihn plötzlich neue Energie. Allerdings fühlte sie sich anders an, als die, die er sonst immer spürte. Sein Blick verschleierte sich unbewusst und wie in Trance sprang er auf einen großen Felsvorsprung. Sein Körper agierte wie von allein, während er in eine Art Dämmerzustand versank. Er wusste, dass diese Trance gefährlich war, seine Instinkte warnten ihn vor dieser Kraft, aber er konnte das alles nicht verhindern. Dann wurde alles schwarz Kapitel 3: Neues Land --------------------- Alles um ihn war schwarz. Er erinnerte sich nur, dass er die Kalun überwinden wollte und er bei diesem Versuch bewusstlos geworden war. War er tot? Die Augen nur halb geöffnet sah er sich um. Nichts außer Dunkelheit, fast noch dunkler als sein Fell. Du suchst Antworten auf deine Fragen. Leicht erschrocken hob er den Kopf und schlug die Augen auf. Aber er konnte niemanden entdecken. Hatte er sich diese Stimme eingebildet? Die Kraft, die in dir steckt… Wieder erschrak er sich. Wo kam diese Stimme her? Hörte er diese Stimme, weil er tot war? Dein Schicksal… Es liegt in deinen Pfoten… Verunsichert schlug er den Kopf zur Seite. Was passierte hier? Wie wirst du dich entscheiden? Die Stimme wurde leiser. Noch immer erschrocken spitzte er die Ohren. Eine zweite, ihm komplett fremde Stimme erklang: „Wacht auf!“ Dann verschwamm wieder alles vor ihm… Als Rakyaru die Augen öffnete, war das erste, das er wahrnahm, ein stechender Schmerz in der Brust. Alles war verschwommen, aber er konnte erkennen, dass der Untergrund, auf dem er lag, felsig war. Einige Grasbüschel wuchsen aus dem Boden, obwohl es hier kein Wasser gab. Ein paar Felsen lagen verstreut auf der Ebene. Ebene? Als solches konnte man dies nicht gerade bezeichnen, aber dem schwarzen Arkani fiel in diesem Moment keine bessere Bezeichnung ein, da sein Kopf ein wenig vernebelt schien. Nachdem sein Sichtfeld klarer geworden war, sah sich Rakyaru genauer um. Er stand auf, wanderte ein wenig umher. Wo war er überhaupt? Er erblickte den Rand der kleinen Ebene und lief vorsichtig darauf zu. Genauso vorsichtig blickte er hinunter und erschrak. Sofort erkannte er, wo er sich befand. Auf der höchsten Ebene der Kalun. Tatsächlich befand er sich am höchsten Punkt. Wie hatte er das geschafft? War er nicht bewusstlos geworden, hatte den Halt verloren und war in den Tod gestürzt? „Ihr seid also erwacht?“ Erschrocken fuhr er herum. Sein Blick wanderte zu einem der größeren Felsen, auf dem jemand lag. Ein weißes Pokémon mit einer bläulichen Sichel, die aus seinem Kopf wuchs. Ein Absol, erkannte Rakyaru. Schon einmal hatte er solch ein Pokémon gesehen, aber im Tal gab es nicht viele und man hatte sie nur sehr selten zu Gesicht bekommen. Aber was suchte ein Absol auf dem höchsten Punkt der Felswände? „Es freut mich zu sehen, dass es Euch gut geht. Es wäre ein Verlust, Euch zu verlieren“, fuhr das Absol fort, dabei bedacht höflich zu klingen. Rakyaru schwieg. Was wollte es von ihm? Schon oft hatte er erlebt, dass Pokémon freundlich zu ihm waren, nur um ihn schlussendlich hereinzulegen und sein Leben aushauchen zu wollen. „Eine kluge Entscheidung von Euch, Eurer Heimat den Rücken zu kehren. Ihr habt mir damit Arbeit erspart, dafür werde ich Euch meine Hilfe anbieten.“ Überrascht blinzelte Rakyaru ein paar Mal. Er bekam Hilfe? Das wäre das erste Mal in seinem bisherigen Leben, dass er so etwas bekam. Zwar war er misstrauisch, aber was sollte er schon tun? Vielleicht kannte dieses Absol ja eine gute Stelle, an der man die Kalun leicht hinabklettern konnte. Noch immer fragte er sich, wie er hierher kam. Was war bloß passiert? „Gut. Zeige mir eine Stelle, von der aus man hier leicht herunterkommt!“, schon fast schroff antwortete er. Das Absol schloss die Augen für einen kurzen Moment, es schien nachzudenken. Nachdem es aufgestanden war, öffnete es sie wieder und sprang von dem Felsen. „Folgt mir, ich zeige Euch den Weg. Es ist nicht weit von hier.“ Misstrauisch, aber doch neugierig lief Rakyaru dem Unlicht-Pokémon nach. Wenn es sein musste, würde er sich verteidigen. Zwar war es nicht seine Art, sich zu wehren, aber hier hatte er wenige Fluchtmöglichkeiten, was sollte er also sonst anderes tun? Während er dem fremden Pokémon folgte, merkte er, wie schwer sich seine Läufe anfühlten und wie erschöpft er eigentlich war. Würde er den Abstieg in diesem Zustand überhaupt schaffen, fragte er sich, wahrscheinlich nicht. Es dauerte nicht lange, dann hielt das Absol abrupt an. Den Blick zu Boden gerichtet, sagte es: „Wir sind da. Von hier aus werdet Ihr unbeschadet den Weg auf die andere Seite finden.“ Wie Rakyaru nun bemerkte, klang die Stimme sehr nach einem weiblichen Pokémon. Auch die leicht kühle Art, die er öfters im Tal beobachtet hatte, passte zu dieser Feststellung, so dachte zumindest das schwarze Arkani. Das Pokémon trat zur Seite und ließ den Blick auf ein Loch im Boden zu, das gerade noch so groß war, dass Rakyaru hineinpasste. Skeptisch blickte das Feuer-Pokémon das andere Pokémon an. „Ihr könnt mir vertrauen. Wenn Ihr in dieses Loch springt, werdet Ihr auf der anderen Seite angekommen.“ Weiterhin misstrauisch näherte der Einzelgänger sich dem Loch und blieb davor stehen. Noch einmal sah er das weibliche Pokémon an. Dieses legte sich ruhig zu Boden und erwiderte den Blick. Rakyaru schüttelte es leicht als er in die dunkelblauen Augen sah, die kaum Gefühle zeigten. Sich zusammenreißend sagte er, bevor er in das Loch kletterte: „Falls mir etwas passiert und ich dich irgendwann wieder finden sollte, mache dich auf etwas gefasst, dass du dein Leben lang nicht vergisst!“ „Ihr habt mein Wort, dass Ihr unbeschadet die Grenzen dieses Tals überschreiten könnt“, entgegnete das fremde Absol. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, dann kletterte er vorsichtig in das Loch. Etwas an diesem Absol gefällt mir nicht… Noch sah er den Boden der Kalun, denn er klammerte sich angestrengt an eine Seite des Lochs und streckte den Kopf noch einmal heraus. Doch dann spürte er, wie er langsam zu rutschen begann und der Fels an den Stellen, an denen er sich mit den Pfoten klammerte, zu bröckeln begann. Noch ehe Rakyaru sich versah, stürzte er in das tiefe Loch und die Dunkelheit in dessen Inneren verschluckte ihn. Zufrieden mit ihrer Arbeit blieb das Absol noch eine Weile an Ort und Stelle. „Nun liegt es an Euch, Euren Weg zu finden. Die Vergangenheit beeinflusst Euer Leben immer wieder, aber Ihr wisst von alledem nichts. Werdet Ihr herausfinden können, was damals passierte? Euer Schicksal können nicht einmal die Xatu vorhersehen. Der Weg… Euer Weg… Wie wird er aussehen?“ Sie erhob sich. In der Ferne ertönte das Schlagen von Flügeln und ein zum Großteil grünes Flug-Pokémon erschien am Horizont. Die Augen des Absols verengten sich zu Schlitzen. „Sieht so aus, als wäre ich ertappt worden. Tut mir Leid, Meister, aber Ihr werdet Euch noch gedulden müssen.“ Eine von Gras bewachsene, große Ebene erstreckte sich am Fuße der Kalun. Nur vereinzelte Bäume oder Büsche wuchsen in den Himmel empor und versperrten die Sicht ein wenig. Die Sonne tauchte alles in Licht. Am Stand der Sonne erkannte man leicht, dass es inzwischen Nachmittag war und die Ebene war erfüllt mit Leben. Wie im Tal schlängelte sich ein Bach durch das hohe Gras und bildete ab und zu einen kleinen Teich, an denen man Pokémon trinken oder spielen sehen konnte. Auch einige Felsen lagen herum, die als Schattenspender für einige der Wesen dienten. Mitten im hohen Gras lag ein regungsloser, schwarzer Körper, den man hätte für tot halten können, wenn da nicht das regelmäßige Senken der Brust wäre. Ein an Rücken und Beinen mit schwarzem Fell bedecktes Pokémon stand neben dem Wesen und schnupperte an ihm. Dann hob es den gesenkten Kopf und sagte zu sich selbst: „Hehe, das wird ein Festmahl. Und es gehört allein mir!“ Es neigte den Kopf über den Hals des Bewusstlosen und öffnete das Maul so weit wie möglich. „Wenn du es wagen solltest, verabschiede dich von deinem Leben, Shudai!“ Genannter fuhr erschrocken zusammen und sein Kopf schnellte wieder nach oben. Shudai erblickte ein Pokémon, das wie er ein Magnayen war. Nur war dieses etwas größer und hatte einen leichten Blaustich, der zu dem im Vergleich zu Shudais dunklerem Fell passte. Das verstrubbelte Fell verlieh dem Magnayen etwas Verwegenes und unter dem linken Auge fand sich eine Narbe, sowie an Beinen und Bauch. Die Ohren anlegend machte sich Shudai etwas kleiner. „Aber…“, wollte er anfangen, doch schon wurde er vom Größeren unterbrochen. „Du weißt wohl nicht, was du gerade im Begriff warst zu tun. Der Meister hätte dir niemals verziehen, wenn du dieses Arkani getötet hättest!“ Beim Wort Arkani horchte Shudai entgeistert auf. „Das ist…?“ Das leicht bläuliche Magnayen rümpfte leicht die Nase und sagte: „Geh’ einfach zurück zu den anderen. Ich kümmere mich persönlich darum! So wie ich euch Teletanten kenne, würdet ihr es sowieso nur vermasseln.“ Grummelnd erhob sich der Artgenosse, bevor er jedoch loslief bestätigte er: „Wie Ihr wünscht.“ Schließlich verschwand Shudai Richtung Norden und ließ das andere Magnayen mit dem Bewusstlosen allein zurück. Es sah zu dem Körper hinunter und murmelte: „Sieht für mich nach nichts brauchbarem aus. Ist er es überhaupt wert?“ Kaum hatte er fertig gesprochen, begann der Körper sich plötzlich zu regen. Die Ohren des Magnayen zuckten unbewusst und es trat einen Schritt zurück. Seufzend murmelte es: „Kaum ist Shudai weg, schon wacht er auf… Zufall kann das wohl kaum sein.“ Zunächst noch alles verschwommen wahrnehmend wurde Rakyaru immer wacher. Ihm schmerzte jede einzelne Faser seines Körpers, dass, wie er vermutete, vom Sturz herrührte. Eine leise Stimme drang an sein Ohr. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte. Hatte er den Sturz etwa überlebt? Leise stöhnte er auf, dann versuchte er sich zu erheben, was nur unter größter Anstrengung gelang. Als sein Blick schließlich klarer geworden war, konnte er die Gestalt, die in seiner Nähe stand, besser erkennen. Kaum hatte er realisiert, welches Pokémon es war, sträubte sich sein Nackenfell und er begann warnend zu knurren. Das leicht bläuliche Magnayen blieb allerdings ruhig und blickte in Rakyarus graue Augen. „Wirklich nette Begrüßung“, sagte es trocken. Rakyarus Knurren wurde daraufhin nur noch lauter. „Ein schwarzes Arkani wie dich trifft man nicht besonders oft. Mein Name ist Yorusuta“, stellte sich das Magnayen vor. „Wie ist dein Name?“ Als Antwort bellte das Arkani laut auf. „Verschwinde einfach!“ Doch Yorusuta rührte sich nicht vom Fleck. Noch immer ruhig entgegnete er: „Falls du denkst, du kannst mich überwältigen, vergiss das schnell wieder. Mit mir kannst du es noch nicht aufnehmen, vor allem nicht in deinem jetzigen Zustand. Beruhige dich erst einmal, dann beantworte ich deine Fragen.“ Das Feuer-Pokémon verzog das Gesicht. Er musste sich eingestehen, dass dieses Magnayen Recht hatte. Ihm schmerzte wirklich alles, so konnte er mit Mühe gerade einmal ein Karpador oder Barschwa bekämpfen. Seufzend ließ Rakyaru sich wieder ins Gras nieder. „Gut, aber beeil dich. Wo bin ich hier?“ „Das weißt du nicht? Du kommst wohl nicht von hier, so wie ich das verstehe. Dieses Land gehört zu einer Region namens Kanto und diese Ebene nennt man Talias oder auch ‚Vorbote des Frühlings’, denn hier wird es nach dem Winter immer als erstes warm“, antwortete Yorusuta und zeigte das erste Mal in Rakyarus Gegenwart ein Gefühl, Verwunderung. Der Blick des Arkanis schweifte einmal über die Ebene, dann sah er hinter sich. Dort, wo er eigentlich die Kalun vermutet hatte, waren keine Anzeichen von Felswänden. Aber auch sonst waren auf dieser Wiese nichts von den Kalun zu sehen. Wie konnte das sein? Er konnte ja schlecht im bewusstlosen Zustand den Ort gewechselt haben und er hätte bestimmt gemerkt, wenn ihn jemand hierher gebracht hätte. Was zum…? Ein Räuspern holte seine Aufmerksamkeit auf Yorusuta zurück. „Noch irgendwelche Fragen?“ „Gibt es irgendwo noch andere Orte, an denen Pokémon leben?“ „Natürlich, was denkst du denn? Hinter den Bergen im Norden gibt es Unmengen an Pokémon, das hier ist nur ein kleiner Fleck im Vergleich zum Rest, Kleiner!“, antwortete Yorusuta unverwandt. Knurrend entgegnete Rakyaru: „Nenn’ mich nicht Kleiner. Und nun… Verschwinde endlich, ich will meine Ruhe!“ Yorusuta streckte die Nase in die Höhe und antwortete nicht. Das zuvor sitzende Magnayen stand auf und kehrte ihm den Rücken zu. „Sei vorsichtig. Hinter den Bergen gibt es Wesen, die uns Pokémon gefährlich werden können. Vertraue den Menschen auf keinen Fall, glaube mir, es ist besser so. Nun verabschiede ich mich… Kurasa.“ Sofort spitzten sich die Ohren des Arkanis und er sah dem Magnayen verwundert nach. Kurasa? Wer oder was ist das? Auch fragte er sich, was ‚Menschen’ waren. Wenn Yorusuta ihn schon warnte, waren sie wirklich gefährlich und er musste ihnen aus dem Weg gehen. Aber wieso war ihm im Tal nie so etwas wie ein Mensch begegnet, er hatte nicht einmal das Wort gekannt. Wenn dies so weiterging, würde er wohl noch Kopfschmerzen bekommen. Erst diese seltsame Kraft, die ihn durchströmte bis er bewusstlos wurde, danach eine Stimme, die er im Schlaf hörte, dann dieses seltsame Absol, danach fand er sich hier einem genauso seltsamen Magnayen gegenüber und konnte nirgends die Kalun entdecken. Was war nur passiert? Noch eine Weile sah er Yorusuta nach. Ihm war das Magnayen nicht geheuer, auch wenn er ihn kaum kannte. Etwas in Rakyaru schien aber zu meinen, dass man ihm vertrauen konnte. Was sollte er tun? Er wusste es selbst nicht. Langsam erhob sich Rakyaru wieder. Schon solch ein einfaches Unterfangen bereitete ihm Schmerzen, die ihn die Zähne zusammenbeißen ließ. Der Blick des Feuer-Pokémons glitt in den Norden, wo man am Horizont Berge sehen konnte. Sein Blick wurde entschlossen und er lief langsam los. Er hatte es geschafft. Endlich hatte er das Tal verlassen und würde es so schnell nicht wieder betreten. Zwar ließ er damit eine vertraute Gegend zurück, aber dort gehörte er nicht hin. Sein Platz lag irgendwo anders und diesen wollte er finden. Ein Ort, an dem er willkommen war. Irgendwo hinter diesen Bergen, hinter dieser Ebene würde er ihn sicherlich finden. Vielleicht fand er hier sogar heraus, warum er solch eine Fellfärbung besaß. Ausgerechnet er, der niemandem etwas getan hatte, musste ein Leben wie sein jetziges führen. Doch dies war nun Vergangenheit. Schließlich wurde er schneller. Je schneller er wurde, desto stärker wurden die Schmerzen in seinen Läufen, aber es war ihm egal. Seine Miene war ernst, wie immer und doch fand sich etwas Neues darin vor. Neugierde und Entschlossenheit. Die Entschlossenheit, seinen Platz auf dieser Welt zu finden. Neugierde, was ihn hier erwarten würde. Neues Land, neues Leben. Und ein neues Schicksal lag vor ihm. Kapitel 4: Seitan ----------------- Rakyaru fühlte sich kraftlos. Ihn quälten Hunger und Durst, sein Fell war schmutzig und unordentlich. Die letzten Tage war er pausenlos durch das Land gezogen, nur um die Ebene Talias und die Berge hinter sich lassen zu können. Je weiter er von seiner alten Heimat weg kam, dachte er, desto besser wäre es für alle Beteiligten. Nun fand er sich in einem Wald nahe den Bergen wieder und konnte nur durch reine Willenskraft weitergehen. Die Bewohner des Waldes sahen ihm interessiert nach, doch sprachen ihn nicht an. Für das junge Arkani war es seltsam, dass man ihn nicht so beachtete wie im Tal, doch so konnte er wenigstens ungestört seiner Wege gehen. Noch immer ging ihm die Warnung von Yorusuta nicht aus dem Kopf. Er sollte sich vor den Menschen in Acht nehmen… Was waren diese ‚Menschen‘? Waren sie wirklich so gefährlich, dass man ihn sogar vor ihnen warnte? Rakyaru wusste es nicht. Die leicht trockene Nase des Arkanis schnupperte in der Luft, in der Hoffnung, Wasser zu riechen. Tatsächlich konnte Rakyaru einen leichten Hauch von Wasser wahrnehmen. Er ließ sich von seiner Nase führen, kam jedoch nur langsam voran. Das Pokémon wusste, dass man in der Nähe von Wasser meist auch Futter fand, auch wenn es nur Beeren waren. Es dauerte nicht lange, dann fand sich der schwarze Hund an einem kleinen Teich wieder. Sofort begann er begierig zu trinken. Neues Leben durchfuhr seine Glieder und Rakyaru fühlte sich erleichtert. Und wie er vermutet hatte, fanden sich auch einige Sträucher und Bäume vor, an denen Pirsif- und Sinelbeeren wuchsen. Er schlang einige hinunter, bevor er sich ins hohe Gras niederließ und die Sonne, die durch das Blätterwerk drang, schien auf sein schwarzes Fell. Zwar fühlte er sich erschöpft, aber er wollte dennoch nicht schlafen. Noch immer war er nicht sicher, wie man ihn außerhalb des Tales behandeln würde, es könnte jederzeit passieren, dass er wieder angegriffen wurde. Die Ohren aufmerksam aufgerichtet, legte er seinen Kopf zu Boden und genoss die Ruhe. Lange dauerte diese allerdings nicht an, da aus einem nahgelegenen Busch ein gelbes, vierbeiniges Pokémon heraussprang. Sein Fell wirkte sehr stachelig und es hatte ebenso spitze Ohren. Am Hals wurde das Fell weiß und die Beine wirkten wie geschaffen für schnelle und lange Sprints. Es schien völlig außer Atem und als es Rakyaru erblickte, zuckte es zusammen. Dann schien es sich jedoch wieder zu beruhigen, um im nächsten Moment wieder nervös zu werden. „Was liegst du hier herum? Lauf!“, rief das Pokémon, ein Blitza, zu dem Feuer-Pokémon hinüber. Irritiert musterte der Angesprochene den Neuankömmling. Dieser schien, wie Rakyaru meinte, nicht feindlich gesinnt, und doch schlich sich Misstrauen in seine gemischten Gefühle gegenüber dem Blitza. „Wieso sollte ich auf dich hören?“, fragte Rakyaru leicht knurrend. „Die Menschen kommen! Wenn sie dich sehen, werden die dich bestimmt nicht entkommen lassen!“, entgegnete der Fremde schnaufend. Menschen. Dieses Wort hallte noch einige Male in seinem Kopf. Dann hörte man ein lautes Geräusch, ein Geräusch, welches Rakyaru noch nie im Leben gehört hatte. Äste zerbrachen, Stimmen ertönten. Dann stürzte ein Baum zu Boden. Wie als hätte es nur darauf gewartet, rannte das Elektro-Pokémon davon. Eine unbekannte Panik ergriff von dem schwarzen Hund Besitz und ließ ihn auf seine schmerzenden Pfoten springen. Nun begannen auch seine Ohren durch einen lauten, schrillen Pfiff zu schmerzen. Vor Schmerz jaulte er laut auf. Gleich darauf verstummte der Pfiff und Rakyaru hörte eine männliche Stimme brüllen: „Dort drüben habe ich etwas gehört!“ Schon wollten seine Instinkte ihn dazu zwingen, loszulaufen, jedoch ließen seine geschundenen Läufe dies nicht zu. Nur einen Moment später sah sich das Legendär-Pokémon zwei Gestalten gegenüber, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Waren es diese Menschen, vor denen er gewarnt worden war? „Ist das ein Arkani?“, fragte eines der beiden Wesen, welches einen seltsamen Gegenstand, den Rakyaru nicht kannte, in den Pfoten hielt. Wobei man es schlecht Pfoten nennen konnte. Sie hatten keinerlei Fell und beide waren eher zierlich und bestanden aus je fünf längeren Gliedern. Sofort wusste Rakyaru, dass er es nicht mit Pokémon zu tun hatte. „Klar, aber seit wann sind die schwarz?“, stellte das andere Wesen eine Gegenfrage. „Was weiß ich. Lass es uns einfach fangen, bringt bestimmt viel Geld ein!“, rief wieder der andere und richtete den Gegenstand auf den Hund. Gleich darauf begann dieser zu knurren, öffnete aus Instinkt heraus sein Maul und ließ einen heißen Feuerstrahl auf den Unbekannten niedersausen. Gerade noch rechtzeitig sprang dessen Ziel zur Seite, derweil betätigte das andere Wesen etwas an dem unbekannten Gegenstand und eine Art Spinnennetz schoss auf Rakyaru zu. Der Feuerhund war zu sehr auf den anderen fixiert, als dass er noch rechtzeitig zur Seite springen könnte. Schließlich wurde er von dem Netz eingehüllt. Seine Instinkte gewannen wieder Überhand und er strampelte verzweifelt umher, um sich aus dem Netz zu befreien, aber jeglicher Versuch misslang. An dem Gegenstand, der das Netz abgeschossen wurde, wurde erneut etwas betätigt, durch ein Seil, dass Netz und unbekanntes Gerät miteinander verband, schoss ein starker elektrischer Schlag, der Rakyaru durchzuckte, bis er zu Boden ging. „Das war ja viel leichter als gedacht! Das Viech hat wohl keine Ahnung gehabt, was passiert ist!“, grinste der Angegriffene. „Du nimmst mir die Worte aus dem Mund, Takashi!“, erwiderte der andere. „Am Besten wir verkaufen das Arkani nicht in Kanto, in einer anderen Region bringt der bestimmt noch mehr Geld ein, auch wenn er durch sein seltsames Fell schon einiges einbringen würde. Was meinst du, Neku?“, schlug das Wesen namens Takashi vor. „Gute Idee. Wir sollten jetzt langsam verduften, nicht dass die Ranger uns noch erwischen. Das Blitza von vorhin krallen wir uns irgendwann anders“, stimmte Neku zu. Als Rakyaru versuchte, aufzustehen, durchfuhr ihn erneut ein elektrischer Schlag, der ihm die letzten Kraftreserven raubte. Sein Blick verschwamm und die beiden Gestalten waren nur undeutlich zu erkennen. Wenn dies wirklich Menschen waren, so dachte der Feuerhund, hätte er auf die Warnung von Yorusuta und der des Blitzas hören sollen. Erneut wurde ihm schwarz vor Augen. Es verging einige Zeit, dann kam Rakyaru wieder zu sich. Zunächst konnte er seinen eigenen Körper kaum bewegen, nicht einmal die Lider seiner Augen konnte er anheben. Nun bereute er es, während seiner Wanderschaft kaum Pausen gemacht zu haben. „Wachst du auf?“, hörte Rakyaru jemanden sagen. Mit Mühe öffnete das Legendär-Pokémon seine Augen und fand sich in einem schwach beleuchteten… Ja, wo war er überhaupt? Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war, dass er einen elektrischen Schlag abbekommen hatte. „Hey, bist du wach?“, ertönte dieselbe Stimme wie kurz zuvor. „Ja… Wo bin ich?“, murmelte Rakyaru zur Antwort. „Diese Kerle müssen dich ja ganz schön zugerichtet haben, wenn du nicht einmal weißt, wo du bist. Wir sind momentan, soweit ich mitbekommen habe, auf einem Schiff, zumindest schwankt es ziemlich“, entgegnete die Stimme. Langsam wandte der Feuerhund seinen Kopf in die Richtung, in der er den Besitzer der Stimme vermutete. Tatsächlich saß, von seltsamen Stäben von ihm abgetrennt, ein grünes Pokémon mit einer Knospe auf dem Rücken. Wie er schien es ein Vierbeiner zu sein, aber wirkten nicht wirklich zum Rennen geeignet. Ein Bisaknosp, wie er es schon einmal gesehen hatte, nur das dieses kleiner war, als das Exemplar, das ihm einmal begegnet war. Vermutlich war es noch jung und seine Entwicklung lag noch nicht lange zurück. „Schiff?“, fragte Rakyaru schwach. „Du weißt nicht, was ein Schiff ist? Du bist komisch. Naja, schon vom Aussehen her, scheinst du mir komisch zu sein. Ein Arkani mit schwarzem Fell habe ich noch nie gesehen.“ Als Rakyaru leicht zu knurren begann, verstummte das Pokémon für einen Moment. „Äh… Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen, ein Schiff ist ein Transportmittel für Menschen, womit sie Wasser überqueren können.“ Beim Wort ‚Menschen‘ zuckte das schwarze Pokémon zusammen. Kaum war er diesen ‚Menschen‘ begegnet, schon war er auf einem ‚Schiff‘. Was waren diese Menschen für seltsame Kreaturen? „Wer bist du eigentlich? Mein Name ist Seitan!“, stellte sich das fremde Pokémon vor. „Rakyaru ist mein… Name...“, antwortete der Gefragte darauf. „Kannst du mir sagen, was das für Stäbe sind?“ „Du hast nicht viel Ahnung, oder? Ist aber auch egal. Wie beide befinden uns im Moment in sogenannten Käfigen, damit wollen die Menschen verhindern, dass wir fliehen können. Das sind nämlich Wilderer, in anderen Worten, schlechte Menschen, so wie die meisten, die ich bisher gesehen habe“, sagte Seitan daraufhin und man konnte deutlich das Missfallen in seiner Stimme hören. „In meiner alten… Heimat… gab es so etwas wie Menschen nicht…“ „Was? Das ist mal etwas Neues für mich, ich dachte immer, Menschen gibt es überall! Wo kommst du denn her?“, rief Seitan aufgeregt. „Aus einem Tal, irgendwo in der Nähe der Ebene Talias in… ich glaube, es hieß Kanto“, sagte Rakyaru leise. Es fühlte sich seltsam an, so mit einem Pokémon zu reden. In der Vergangenheit hatte er kaum Worte mit anderen gewechselt und nun fand er in diesem Seitan einen Gesprächspartner, der ihm nicht feindlich gesinnt war. „Ein Tal in der Nähe von Talias? Dort gibt es eigentlich keine Täler, seltsam“, murmelte Seitan kaum verständlich, bis er etwas lauter wurde: „Wir werden übrigens nach Hoenn gebracht, also eine ganz andere Region und sollen dort teuer verkauft werden.“ „Verkaufen?“, erneut war Rakyaru ratlos. „Gegen Geld, mit dem die Menschen handeln, eingetauscht werden. Wir sind für diese Menschen nichts anderes als Wesen ohne Sinn und Verstand, mit denen sie machen können, was sie wollen“, antwortete das Bisaknosp verächtlich. Rakyaru verstand es irgendwie, wie dieses Pokémon fühlte. Er hatte es bisher nur einmal mit Menschen zu tun gehabt und doch hasste er sie schon, was er allerdings erst jetzt so richtig merkte. Das Gefühl des Zornes kannte er schon, hatte es aber nie wirklich wahr genommen. „Wie geht es dir eigentlich? Du siehst ziemlich schwach aus, Rakyaru“, erkundigte sich das Pflanzen-Pokémon. „Es geht schon, ich komme damit klar“, log er daraufhin. Er wollte sich nicht schwach zeigen. Früh hatte er lernen müssen, dass Schwäche zeigen, gefährlich war und diese Lektion würde er so schnell nicht wieder vergessen. Seine Gedanken schweiften ab, in die Zeit im Tal. Die Pokémon außerhalb seines Geburtsortes behandelten ihn anders als die, die er kannte. Seitan erinnerte ihn ein wenig an seine jüngere Schwester, beide hielten ihn anscheinend für ein normales Pokémon. In seiner Kindheit hatte er sich so etwas immer gewünscht. Aber er war nicht normal, und er würde niemals normal sein. Ein stolzes, starkes Arkani war und würde er nie sein. Eine Kämpfernatur war er nie gewesen, er wurde immer von seinen Instinkten kontrolliert und wenn man ihn mit seiner ‚Familie‘ verglich, war er schwach und mitleiderregend. Doch nicht nur das unterschied ihn von seinen Artgenossen, allein sein Fell und die ausdruckslosen Augen ließen Rakyaru schon zum Außenseiter werden. Sein Gedankengang wurde von Seitans Stimme unterbrochen: „Mal ganz ehrlich, Rakyaru, wieso ist dein Fell schwarz? Haben dich diese Menschen angemalt oder hast du dich in irgendwelchen Beeren gewälzt?“ „Ich… ich wurde mit diesem Fell geboren…“, entgegnete der Gefragte langsam und legte den angehobenen Kopf zu Boden. „Scheint ja ein wunder Punkt bei dir zu sein, tut mir Leid, dass ich gefragt habe“, entschuldigte sich das Bisaknosp daraufhin verstehend. „Seitan… Kannst du mir sagen, was ‚Heimat‘ bedeutet?“, fragte Rakyaru leicht geistesabwesend. Das junge Pflanzen-Pokémon legte den Kopf für einen Moment schief, so viel konnte der Feuerhund bei der schwachen Beleuchtung erkennen. „Ich sehe schon, für dich hat dieses Wort eine ganz besondere Bedeutung. Du gefällst mir, Rakyaru, ich hoffe, wir treffen uns nach dieser ganzen Sache noch einmal.“ Seitan lächelte ihn an und Rakyaru spürte, wie sich in seinem Inneren ein warmes, unbekanntes Gefühl auszubreiten begann. „Heimat bedeutet, jemanden zu haben, der sich um einen sorgt. So würde ich es dir zumindest erklären.“ Mit einem Nicken zeigte er, dass er verstanden hatte, was Seitan meinte. „Hey, Rakyaru, wir sind doch jetzt Freunde, oder?“, fragte das Pflanzen-Pokémon gleich darauf in unsicherem Ton. „Freunde?“, Rakyaru war sichtlich verwirrt. „Freunde eben. Ähm… Zwei Personen, die sich gut verstehen und sich gegenseitig helfen“, erklärte sein grüner Leidensgenosse. „Wenn das so ist… Dann können wir Freunde sein“, nickte der Feuerhund. „Super! Wir werden zusammen diese Menschen austricksen und fliehen, dann können wir uns solange irgendwo verstecken, bis sie die Suche aufgeben!“, war Seitan begeistert und wurde etwas lauter als beabsichtigt. „Ruhe da unten!“, schrie jemand und die Stimme hallte mehrmals von den Stahlwänden zurück. Rakyarus neuer Freund verzog das Gesicht zu einer Grimasse und streckte die Zunge beleidigend heraus. Bei diesem Anblick musste er lächeln. Gelächelt hatte er schon so lange nicht mehr. War das vielleicht ein Zeichen dafür, dass seine Zukunft besser aussah als seine Vergangenheit? Hoffen war derzeitig das einzige, was Rakyaru tun konnte. Hoffen, dass sie beide hier entkommen konnten. Hoffen, dass er die Antworten auf seine Fragen fand. Und hoffen, dass er den Menschen nie wieder begegnete. Wie er hatte feststellen müssen, war Yorusutas Warnung nicht ohne Grund gewesen. Wieder kochte in ihm Wut auf. Nur eine Begegnung mit diesen seltsamen Wesen und schon wusste er, er hasste sie. „Rakyaru, ruhe dich noch ein wenig aus, du siehst wirklich müde aus“, forderte sein neuer Freund in ernstem Ton. Der Angesprochene nickte. „Du hast wohl recht…“ Gleich darauf gähnte er auf und er schloss die rötlichen Augen. Erst jetzt merkte er, wie das Schiff schaukelte. Sie mussten sich wirklich auf dem Wasser befinden, solch ein Schaukeln konnte nur durch Wellen verursacht werden. Ihm war das im Moment allerdings egal, er wollte den Schlaf nachholen, den er in den letzten Nächten versäumt hatte… Vielleicht… Vielleicht finde ich hier wirklich jemanden, der mich akzeptiert, wie ich bin… Kapitel 5: Begegnung -------------------- Rakyaru schrak auf als er spürte, wie kaltes Wasser auf ihn gespritzt wurde. Seine Augen nahmen die verschwommenen Züge eines Menschen wahr und sogleich verzog sich das Gesicht des Arkanis. „Endlich wach?“, ertönte die Stimme des Menschen. Zur Antwort knurrte Rakyaru nur und entblößte seine scharfen Fänge. „Halt die Klappe“, zischte der Mensch. „Jedenfalls schlaf nicht nochmal ein. Bald kommen einige Interessenten, die dich möglicherweise kaufen und du solltest dann besser wach sein.“ Das Arkani drehte seinen Kopf zur Seite und mied den Augenkontakt mit dem Wilderer. Er hörte noch, wie der Fremde eine Art Grunzen von sich gab und sich entfernte. Kaum war er zehn Meter vom Käfig entfernt, erhob sich Rakyaru und schüttelte den Kopf. Das Wasser löste sich von seinem Fell und flog in nur alle erdenklichen Richtungen davon. Kaum war dies erledigt, begann sich das junge Arkani umzusehen. Sofort erkannte er, wo er sich befand, in einer Höhle. Im Vergleich zu denen, die er bisher gesehen hatte, war sie geradezu riesig und Rakyaru sah noch einige andere Käfige, in denen sich Pokémon befanden, herumstehen. Licht war vorhanden, aber die Quelle, die es ausstrahlte, hatte er noch nie gesehen. Auch waren Menschen anwesend. Und wenn sich Rakyaru nicht verzählt hatte, waren es um die fünfzehn dieser seltsamen Wesen. Dazu kam noch, dass sie bewaffnet waren. Sein Leidensgenosse Seitan hatte ihm einige Dinge erklärt, Dinge, die die Menschen benutzten. Eine solche Sache, die ihm erklärt wurde, waren Waffen. Menschen benutzten sie um zu töten. Sei es nun Ihresgleichen oder andere Wesen. Sie richteten sie auf alles Unbekannte. Wilderer hatten eine spezielle Art von Waffen. Sie sahen aus wie Stöcke, die bei Betätigung eine Art Schalters ein elektrisch aufgeladenes Netz auf das Ziel abfeuerte. Bei erneutem Betätigen des Schalters wurde dem Gefangenen ein Stromschlag verpasst, durch den man bewusstlos wurde. Eines war Rakyaru jedenfalls nach dem Gespräch mit Seitan klar: Menschen waren seltsam. Seltsam, aber gefährlich. Und sie waren es wert, gehasst zu werden. Zu viele… Ich würde nicht alleine mit ihnen fertig werden und dazu kommt, dass ich mich zu schwach für einen Ausbruch fühle. Seitan konnte er nicht entdecken. Das Bisaknosp war wahrscheinlich irgendwo hingebracht worden, wo Rakyaru ihn nicht entdecken konnte. Verächtlich schnaubte das Arkani und begann auf und ab zu laufen. Allerdings nicht für lange, da er schon bald spürte, wie ihn jemand beobachtete. Leise knurrend warf der Feuerhund seinen Kopf in die Richtung, in der er seinen Beobachter zu spüren dachte und traf sogleich auf ein Paar brauner Augen. Rakyaru wusste nicht weshalb, aber er wich solange zurück bis er in den Kontakt mit den stählernen Stangen auf der anderen Seite seines Käfigs in Kontakt kam. Die braunen Augen gehörten zu einem der Menschen. Er war allerdings so sehr verhüllt, dass bis auf braunes Haar und genannte braune Augen nicht viel zu erkennen war. Der Mensch war ähnlich wie die anderen gekleidet, komplett in schwarz und dunkles grau. Genaue Namen für die Kleidungsstücke der Menschen kannte Rakyaru nicht, da alles für ihn einfach noch viel zu neu war. Durch die Entfernung konnte er nicht die Größe seines Beobachters einschätzen, aber hätte man es von ihm verlangt, hätte er gesagt, der Mensch hätte die selbe Größe wie er. Nachdem Rakyaru ihn, es schien, wie Seitan es ihm erzählt hatte, ein ‚Mann‘ oder ‚Junge‘ zu sein, gemustert hatte, stellte er wieder Blickkontakt her. Diese Augen. Er hatte schon viele Blicke auf sich gezogen. Die meisten hielten Verachtung, Angst oder Hass in sich. Aber irgendetwas war anders an diesen Augen. Rakyaru konnte nicht sagen, was es war und das beunruhigte ihn. Der Mensch wusste genau, dass Rakyaru ihn anstarrte und deshalb zu knurren begann, ließ sich von der Geste der Warnung nicht irritieren, sondern beobachtete das schwarze Arkani weiterhin. Nach einer Weile des sturen Starrens drehte sich das Feuer-Pokémon einfach um und starrte auf die Höhlenwand. Ich hasse Menschen. Immer wieder kamen zwei oder drei der Wilderer zu seinem Käfig und versuchten ihn zu provozieren, damit sie ihn für sein schlechtes Verhalten bestrafen konnten, aber Rakyaru starrte nur weiterhin stur die Höhlenwand an. Der Braunhaarige kam allerdings nie. Dafür aber ein Pokémon. Genau wie er besaß sie, es war offensichtlich ein Weibchen, schwarzes Fell. Schnauze und Bauch nahmen allerdings einen orange-roten Farbton an und anstelle von Ohren besaß sie graue Hörner. Die Läufe seines Gegenübers waren geeignet für schnelle Sprints und die Zähne, die er für einen kurzen Moment sah, ideal zum Fleischfressen. Ein Prachtexemplar eines Hundemon, wie Rakyaru feststellte. Ungewollt schlich sich sogleich das gewohnte Misstrauen in seine grauen Augen und der Gefangene starrte einfach nur. Das Hundemon legte zunächst den Kopf ein wenig schief und blinzelte ein paar Mal aufgrund des seltsamen Verhaltens ihres Gegenübers. Schnell verschwand die Verwirrung allerdings und wurde, zu Rakyarus Überraschung, durch ein sanftes Lächeln ersetzt. „Stimmt etwas nicht? Oder warum siehst du mich so an?“, fragte sie ihn und Rakyaru stellte fest, dass ihre Stimme etwas sehr Beruhigendes hatte. Um sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, verfinsterte er seine Miene und starrte weiterhin stumm das Hundemon an. Sie ließ sich aber nicht so leicht abwimmeln. „Mein Name ist Aite. Wie lautet deiner?“ Ihre Frage stieß auf stures Schweigen. „Komm schon, rede mit mir. Ich will mehr über dich wissen.“ Daraufhin verzog er das Gesicht. Diese Masche, dachte er sich. „… Lass mich in Ruhe und verschwinde“, sagte er schließlich. Als Antwort bekam er nur ein Kopfschütteln und das Lächeln verschwand. „Ich wollte nur höflich sein. Aber dann komme ich eben gleich zur Sache: Hast du hier oder auf dem Schiff ein Bisasam gesehen?“ Nur ein Pokémon war ihm begegnet, von Aite abgesehen, und das war Seitan, ein Bisaknosp. Ohne jede Frage war Seitan gemeint, da sich das junge Pflanzen-Pokémon erst vor kurzem entwickelt hatte. „Wenn dem so wäre?“ Das Lächeln kam zurück und Aites Augen schienen ein wenig aufzuleuchten. „Das reicht mir schon als Antwort. Ich danke dir für deine Hilfe und lasse dich wieder alleine.“ Damit schritt das Hundemon auch schon wieder davon und ließ einen etwas überrumpelten Rakyaru zurück. Was. War. Das. Lange blieb er nicht allein, da nur wenige Augenblicke das Hundemon zurückkam. Wieder starrten sie einander nur an und schwiegen. Rakyarus Blick war dieses Mal hart und er versuchte keine Emotionen zu zeigen, Aite schien das aber wenig zu kümmern. „Ich wollte dich nur warnen, dass es hier bald turbulent wird. Das wäre die perfekte Gelegenheit für dich um zu fliehen“, sagte sie gelassen. „Dort hinten findest du den Höhlenausgang, dort findet sich erst einmal Küste vor, aber wenn du dich beeilst, schaffst du es in den Wald ohne gefangen zu werden. Hast du verstanden?“ Langsam nickte das Legendär-Pokémon. „Verstehe.“ Aite lächelte sanft und trat ein wenig zurück, bevor sie wieder zu sprechen begann: „Gut. Pass bitte gut auf dich auf, okay? Ich bin mir sicher, dass wir uns nicht das letzte Mal gesehen haben und wenn wir uns erneut begegnen, möchte ich dich nicht verletzt sehen. Du scheinst mir jemand zu sein, der Ärger anzuziehen scheint. Schon allein dein Aussehen-“, ihren Satz konnte sie nicht zu Ende bringen, da ein kurzer Pfiff sie unterbrach. Kurz sah sie zu etwas oder jemandem, der sich irgendwo hinter Rakyaru befand und blickte dann wieder ihn an. „Tut mir leid, ich muss jetzt los. Vergiss nicht, nutze deine Chance. Auf Wiedersehen!“ Die Verabschiedung war hastig gesprochen und kaum war Aite fertig, rannte sie auch schon davon, vorbei an seinem Käfig und zu irgendetwas, dass ihr wichtig zu sein schien, wenn er den Blick der Hündin richtig beurteilt hatte. Rakyaru blinzelte einige Male und schüttelte dann nur noch den Kopf. Dieses Hundemon war, zumindest seiner Meinung nach, seltsam. Aber im Moment hatte das keine große Bedeutung, da ihm einfach nur alles seltsam vorkam. Schon allein die Warnung an sich war merkwürdig. Es sollte turbulent werden? Weshalb? Aber Aite hatte ihm wenigstens einen wichtigen Tipp gegeben, er würde eine Chance zur Flucht bekommen. Zum ersten Mal seit langem lächelte Rakyaru wieder. Alles, was er jetzt noch brauchte, war Geduld. Der Feuerhund kauerte sich auf den Käfigboden nieder und begann zu warten. Ein greller Lichtblitz ließ Rakyaru zusammenzucken. Mehrere wutentbrannte Schreie der Menschen ertönten. Kurz darauf die aufgeregten Rufe von Pokémon. Sofort sprang Rakyaru auf und eilte zur gegenüber liegenden Seite seines Käfigs, ein leichtes Grinsen im Gesicht tragend. Aite hatte ihn nicht enttäuscht. Es mochte eine halbe Ewigkeit, wie es ihm vorkam, vergangen sein, aber Aite hatte nicht gelogen. Er bekam seine Chance. Im Durcheinander von umherlaufenden Menschen und Pokémon konnte Rakyaru das Hundemon entdecken. Sie wurde von jemandem begleitet und das verpasste dem Arkani einen Schock. Es war ein Mensch. Derselbe braunhaarige Mensch, der ihn noch Stunden zuvor so eindringlich angestarrt hatte. Wieso wurde Aite von einem Menschen begleitet? Ungewollt entblößte er seine scharfen Zähne und gab ein leises Knurren von sich. Sie ist auf der Seite der Menschen! Hätte er das gewusst, hätte er niemals die Frage über Seitan beachtet. Ein Pokémon als Verbündeter der Menschen? Wie konnte man jemanden unterstützen, von dem man unterdrückt wurde? Trotz seines Vorsatzes sich während allem ruhig zu verhalten, rief er Aites Namen und sogleich richtete sich die Aufmerksamkeit von einigen Wilderern auf ihn. Auch der Braunhaarige starrte ihn an und er schien irgendetwas zu dem Hundemon zu sagen, da Aite sogleich in einer beeindruckenden Geschwindigkeit davon sprintete. Einige der Wilderer näherte sich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck seinem Käfig. Wenn sie schon aufgeflogen waren, dann wollten sie zumindest mit ihrem wertvollsten Besitz die Flucht ergreifen. Die Wut auf Aite, der er fehlerhafte Weise zu vertrauen angefangen hatte, übermannte Rakyaru und er richtete sie auf die Menschen, die sich ihm näherten. Blind vor Wut warf der Feuerhund seinen ganzen Körper gegen die Eisenstangen, die allerdings nicht nachgaben und ihn nur dumpf zu Boden fallen ließen. Schmerzen waren die Folgen seiner Dummheit, aber wenigstens kamen die Wilderer nicht näher. Sie starrten nur noch. Das schwarze Arkani hatte sich die ganze Zeit, in der es in Gefangenschaft war, kein bisschen gewehrt und doch begann es sich nun aus purer Wut heraus gegen die Käfigstangen zu werfen. „Was geht denn mit dem Viech ab?“ „Das Arkani ist verrückt. Einfach nur verrückt!“ „Fast schon unheimlich.“ „Kommt es mir nur so vor oder wirkt das Fell noch dunkler als zuvor?“ Die Wilderer sprachen durcheinander, einige flohen aus der Höhle, damit sie nicht von der bald kommenden Polizei verhaftet wurden, und andere standen wie festgewurzelt vor dem Käfig des wutentbrannten Arkani. Während sich Panik unter den Verbrechern breit machte, bemerkten sie nicht, wie immer der gefangenen Pokémon entflohen und die Käfige nach und nach zerstört wurden. Nach kürzester Zeit war Rakyaru der letzte, der in seinem Käfig festsaß und randalierte. Durch die verbleibenden Wilderer kämpfte sich der Braunhaarige seinen Weg durch und stand schließlich vor dem Käfig. Im Gegensatz zu seinen Kollegen wirkte er vollkommen gelassen und beobachtete das Arkani. Einer der letzten Verbrecher packte den Braunhaarigen an der rechten Schulter. „Hau ab, Kleiner, du wirst sonst noch von dem Biest zerfleischt.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, sackte er allerdings bewusstlos zu Boden. „Gut gemacht, Tsuyo“ lobte der Braunhaarige das zweibeinige Pokémon, das nun über dem Bewusstlosen stand. Nun begriffen die Wilderer, wieso sie entdeckt worden waren. Es gab einen Verräter in ihren Reihen. Sirenen erklangen in der Ferne. Die Polizei näherte sich ihrem Versteck. Panisch ergriffen nun auch die letzten die Flucht ohne sich auch nur nach ihren bewusstlosen Kollegen, die bewusstlos geschlagen worden waren, zu kümmern. Selbstgefällig begann das zweibeinige Pokémon zu grinsen und lachte sogar ein wenig als es den fliehenden Verbrechern nachsah. Das zweibeinige Pokémon hatte einen zum größten Teil grauen, steinharten Körper. Nur ein Teil des Kopfes, der Rücken und der kurze Schwanz waren blau und der Hinterkopf war mit drei beeindruckenden Stacheln besetzt, Hände wie auch Beine besaßen kurze Krallen. Der gesamte Körper war auf Kraft und Flinkheit ausgelegt, wie bei es bei jedem Koknodon vor Urzeiten der Fall gewesen war. „Die sind gerannt als hätten ihre Haare Feuer gefangen!“, lachte das Koknodon und sprang von dem einen auf das andere Bein. Der letzte noch bewusstlose Mensch lächelte ein wenig und richtete seine Aufmerksamkeit auf das tobende Arkani. „Tsuyo, du weißt ja, was zu tun ist.“ Das Koknodon hörte augenblicklich auf zu lachen und nickte wissend. Der Mensch trat einige Meter zurück und Tsuyo, das Koknodon, positionierte sich vor dem Käfig. Beim Anblick des wütenden Feuer-Pokèmons verzog Tsuyo das Gesicht. „Beruhige dich mal wieder. Wenn du so weitermachst, verletze ich uns beide noch“, rief das Gestein-Pokémon, wurde aber vollkommen ignoriert. In diesem Moment trottete Aite in Begleitung von Seitan herüber und beide Neuankömmlinge wirkten etwas verwirrt über das tobende Legendär-Pokémon. Tsuyo wandte sich vom dem Feuerhund ab und drehte sich dafür dem anderen zu. „Aite, ist das wirklich das richtige Pokémon?“ Das Hundemon nickte. „Ja, er hat sich nur entwickelt. Das ist wirklich das Bisasam, nach dem wir gesucht haben.“ „Und am liebsten wäre ich gar nicht erst gefunden worden!“, empörte sich Seitan. Aite seufzte, zuckte beim Erklang ihres Namen auf. Rakyaru schien wieder zu Sinne gekommen zu sein und starrte das Hades-Pokémon wütend an. „Du stehst auf der Seite der Menschen?!“ Tsuyo warf seiner Freundin einen Blick zu und seufzte. Er wandte sich wieder dem Käfig zu und verpasste den Eisenstang einen harten Schlag. Diese gaben augenblicklich nach und gaben einen Weg nach draußen frei. Seitan begann regelrecht zu strahlen. „Wir sind frei! Lass uns von hier abhauen!“ Sofort bauten sich Tsuyo und Aite vor dem Bisaknosp auf und starrten das Pflanzen-Pokémon an. Genau in diesem Moment meldete sich auch wieder der Braunhaarige zu Wort: „Du hast gute Arbeit geleistet, Tsuyo, aber ich denke, für heute reicht es für dich.“ Während er sprach, holte er eine rot-weiße Kugel hervor. Das Koknodon gab ein Grummeln von sich, ehe es von einem roten Licht umhüllt wurde und vor Rakyarus Augen verschwand. Sogleich richtete sich seine Wut auf den übrig gebliebenen Menschen. Hass lag in seinem Blick und der Braunhaarige schien für einen Moment zu erstarren. Dieser Moment wurde von Rakyaru gewählt, er sprang den Menschen an. Noch bevor er ihn allerdings berühren konnte, wurde das Arkani zur Seite gestoßen und er hörte Seitan empört aufschreien. Rakyaru landete unsanft auf dem Steinboden der Höhle und sofort wanderte sein Blick zu Aite, die knurrend vor dem Braunhaarigen stand. „Wage es nicht Masao auch nur ein Haar zu krümmen!“ Von dem Hundemon, das er zuvor kennen gelernt hatte, war nichts übrig. In ihren Augen blitzte ihr Wille auf. Der Wille zum beschützen. Jeder hätte sofort gewusst, dass Aite nun auch töten würde. Seitan eilte an seine Seite und fragte besorgt: „Alles in Ordnung?“ Langsam rappelte er sich wieder und nickte seinem ersten richtigen Freund zu. Die grauen Augen wanderten wieder zu dem Zweibeiner und es wurde Blickkontakt zwischen den beiden hergestellt. Wieder diese beunruhigenden Augen. Seine Wut war wie weggeblasen und er konnte nur starren. Masao. Sein Name ist Masao Ito. Woher wusste er das plötzlich? Der Name war ihm einfach durch den Kopf geschossen und er wusste sofort, dass der Name des Braunhaarigen war. Plötzlich wusste er, wie der Mensch aussah, dass er normalerweise nicht in schwarz vermummt war. Aber woher wusste er das? „Verschwinde von hier. Die Polizei wird gleich hier sein und traue ihnen nicht zu, dass sie ein Pokémon wie dich einfach laufen lassen“, ertönte plötzlich Masaos Stimme. Die Stimme riss ihn sofort aus seinen Gedanken. Aite stand noch immer schützend vor dem vermummten jungen Mann und Seitan sah besorgt zu ihm auf. Er begann zu lauschen. Tatsächlich schienen die Sirenen immer näher zu kommen, bestimmt war das diese Polizei, was auch immer das sein sollte. Widerwillig musste Rakyaru ihm wohl glauben. Menschen schienen sehr gierige Wesen zu sein, die es auf Pokémon wie ihn abgesehen haben. Nur… Weshalb ließ dieser Masao ihn dann gehen? Er schüttelte den Kopf. Nun war nicht die Zeit um sich über so etwas Gedanken zu machen. „Aite, lass sie gehen. Es ist offensichtlich das Bisaknosp bei seinem neuen Freund bleiben möchte“, wandte er sich nun an das Hundemon, welches ohne zu zögern an die Seite ihres Verbündeten trat. Seitan warf Masao einen dankbaren Blick zu und setzte sich Richtung Höhlenausgang in Bewegung. Kurz wandte er sich noch einmal zu Rakyaru um, welcher sogleich dem Pflanzen-Pokémon folgte. „Gehen wir, Seitan.“ Aite trat noch einmal hervor. „Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Pass auf dich auf, schwarzes Arkani. Wir werden uns wiedersehen.“ Rakyaru würdigte sie keines weiteren Blickes und lief in steigendem Tempo mit Seitan aus der Höhle. Nach Tagen in Gefangenschaft bei den Menschen war er endlich wieder frei und hatte die Möglichkeit, seine neue Heimat zu suchen. Er wusste, er würde noch vielen Menschen in dieser Umgebung begegnen, aber er würde sich niemals dem Willen eines dieser Wesen nachgeben, nicht wie es bei Aite oder dem Koknodon der Fall war. Ich bin mein eigener Herr. Und das wird auch immer so bleiben. Ein mulmiges Gefühl stieg ihm bei diesem Gedanken auf. War er wirklich sein eigener Herr oder vielleicht doch nur die Puppe in irgendeinem kranken Spiel? Er würde die Antwort schon noch finden, dass wusste er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)