All Your Other Ways von -Moonshine- ================================================================================ Prolog: - Prolog - ------------------ Elizabeth Winston bog in die Einfahrt ihres Elternhauses in North Collingham, Dyke’s End, ein. Aber sie war nicht allein. Und sie saß auch nicht am Steuer des ominösen Fahrzeuges. Ihr Begleiter war ein junger Mann, der - so war ihr Vater, der erbost aus dem Fenster linste, der Meinung -, viel zu alt für sie war. Auch das Aussehen des Mannes gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war durch und durch in schwarz gehüllt, trug enge Lederhosen und eine draufgängerische Lederjacke, darunter blitze eine Kette. George Winston wusste nicht, ob er es schlimmer finden sollte, dass so ein alter Typ seine sechzehnjährige Tochter auf einem Motorrad umherkutschierte und tatsächlich noch die Dreistigkeit besaß, hier, auf seinem Grund und Boden, aufzutauchen, oder dass beide keinen Helm trugen, als sie mit einer Affengeschwindigkeit in die Auffahrt gebogen waren. Er ließ den Vorhang wieder sinken und drehte sich mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu seiner Frau um. Beth Winston war zumeist eine verständnisvolle Frau, die die Launen ihrer Kinder zu kontrollieren und zu ertragen wusste. Aber bei Liz, ihrer zweitältesten, war auch sie ratlos. Das Kind schlug gar nicht nach ihr, oder ihrem Mann, oder sonst jemanden, den sie kannte. Das Mädchen war störrisch und hatte ihre ganz eigenen Ansichten. Und selbst das hätte Beth verkraften können, wenn hinter all dem mehr Sinn gesteckt hätte, als nur Liz's enorme Vorliebe, ihre Eltern und alle um sie herum zu schockieren. Auch sie hatte einen Blick auf den jungen Mann erhaschen können, aber noch viel mehr hatte sie von ihm gehört. Mit drei Töchtern in einem Haus blieb selten ein Geheimnis verborgen. Jason hieß er, war sechs Jahre älter und hatte ein Tattoo, das an seiner Wirbelsäule entlang lief, und einen Ohrring im Ohr. Bei dem Gedanken daran überkam Beth ein Schaudern. Wenn Liz sich mit solchen Leuten abgab, konnte sie gar nicht mehr aufhören, sich Sorgen um ihre Tochter zu machen. Was würde nur aus ihr werden? Beth drehte sich vom Fenster weg und griff in das obere Regal eines der Küchenschränke. Da, wo sie den Scotch für die Notfälle und die Nerven aufbewahrte. Bei dem, was mit Sicherheit nun folgen würde, brauchte sie ihn. Liz hingegen war das vollkommen egal. Im Gegenteil - sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr Auftritt mit sich brachte. Aus den Augenwinkeln sah sie ihren Vater am Fenster stehen, und bestimmt war er nicht erfreut. Heimlich lachte sie sich ins Fäustchen, denn nichts machte ihr mehr Spaß, als ihren Eltern hin und wieder vor Augen zu führen, dass es da draußen auch eine andere Welt gab, andere, verschiedene Menschen, die andere Talente, Interessen und Fähigkeiten hatten. Die anders aussahen und andere Leben führten, und nicht immer nur in dem gleichen Einerlei von Familie, Kinder und Hund lebten. Jegliche Abweichung von diesem Schema war für ihre Eltern eine mittelgroße Katastrophe, aber, so dachte zumindest Liz, auch sie mussten irgendwann verstehen, dass es dort draußen noch etwas Anderes gab. Etwas Größeres. Und sie würde danach streben. Sie verabschiedete sich von Jason und ließ sich von ihm küssen, sich wohl bewusst, dass ihre Eltern das ganze geschockt durch das Fenster beobachteten. In Erwartung auf das Kommende schlenderte sie betont langsam zur Haustür, während Jason hinter ihr seine Maschine aufheulen ließ, noch mal hupte und dann mit Volltempo davonraste, nur noch eine Abgaswolke hinterließ, die für einige kurze Sekunden in der Luft der sonst so beschaulichen, ruhigen Nachbarschaft waberte. Sie winkte dem Nachbarsjungen Gabriel zu, der auf den Stufen seines Elternhauses saß und mit großen, geweiteten Augen dem rotlackierten, glänzenden Motorrad hinterher starrte. Liz öffnete die Tür. Es war bereits Sonntagabend und am nächsten Tag war Schule. Das Abendessen hatte sie verpasst, aber das war keine große Sache, zumindest nicht für sie. Vom Flur aus konnte sie in die Küche und in das Wohnzimmer spähen. Danny, neun Jahre alt und der jüngste ihrer Geschwister, saß im Schlafanzug und mit zerzaustem, feuchtem Haar im Schneidersitz auf dem Boden und starrte fasziniert den Fernseher an. In der Küche hörte Liz ihre Eltern laut flüsternd miteinander diskutieren. Sie dachte kurz darüber nach, ob sie nicht einfach nach oben in ihr Zimmer verschwinden sollte, aber dann trat sie doch in den Raum, um ihre Eltern zu begrüßen. "Hi Mum, Dad." "Du kommst zu spät", polterte George sofort los, wie erwartet. "Und du wirst diesen Kerl nie wieder sehen. Wie alt ist er?! 30?" Beth schüttelte den Kopf. Sie und ihr Mann hatten die Schlacht schon verloren, das wusste sie. Hätte sie doch bloß die Sache selbst in die Hand genommen... Liz setzte ihren trotzigen Gesichtsausdruck auf, wie Beth und George ihn schon tausendfach gesehen hatte. "Er ist 22, Dad. Und du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet zu sein habe." "Du bist sechszehn! Und ob ich es dir vorschreiben kann!", rief ihr Vater erbost und sah aus, als hätte er gerne mit der Faust auf den Tisch gehauen. Aber so etwas machte er nie und würde damit auch heute nicht anfangen. Genervt drehte Liz sich um und stieg die Treppe hoch, die zu ihrem Zimmer führte. Aber da wollte sie nicht hin, sondern zu Judy, ihrer nur zwei Jahre älteren Schwester und zugleich bester Freundin. Das dröhnende „Wir sprechen uns noch!“ ignorierte sie gekonnt. Als sie an Katie's Zimmer vorbeikam, riskierte sie einen Blick hinein. Ihre jüngste Schwester lag im Bett, die Nase in einem Buch verborgen. Sie sah müde aus und hatte einen rosa Schlafanzug an, das Haar war zu einem losen Pferdeschwanz zusammengebunden. "Gute Nacht, Kate." Katie schaute auf und lächelte. "Gute Nacht. Hast du Dad wieder verärgert?" Liz musste lachen. "Ein bisschen. Er kriegt sich schon wieder ein." Judy wartete in ihrem Zimmer auf sie und begrüßte sie mit einem gequälten Lächeln. "Musste das sein?", wollte sie seufzend wissen. "Du weißt doch genau, wie sehr Mum und Dad sich über so was aufregen." Liz zuckte mit den Schultern. Obwohl Judy verantwortungsvoll, anständig und pflichtbewusst war - also alles Eigenschaften, die Liz an ihren Eltern und den meisten anderen Spießern missfielen -, verstand sie sich mit ihr außerordentlich gut. Es machte ihr nichts aus, dass Judy von einem Ehemann und Kindern träumte und dass sie in zwei Jahren, wenn sie ihre A-Level-Prüfungen absolviert hatte, Rechtswissenschaften studieren wollte. Das wohl langweiligste Studienfach in der Geschichte der Menschheit. Schon das Wort - Rechtwissenschaften - ließ Liz beinahe einschlafen. "Das ist nicht meine Schuld. Sie müssen akzeptieren, dass ich ein Recht auf mein eigenes Leben habe." "Du hattest nicht mal einen Helm auf", warf Judy besorgt ein. "So was ist ganz schön gefährlich." Liz rollte mit den Augen. "Gefährlich ist mein zweiter Vorname, Jude." Sie grinste. "Wer nichts wagt, der nicht gewinnt..." "Quatsch. Wer nichts wagt, der seinen Kopf nicht verliert." "Der war schlecht", erwiderte Liz trocken. Judy blieb allerdings ernst. "Lohnt es sich überhaupt?" Sie öffnete eine Schublade und nahm sich ihre Haarbürste heraus, fing an, sich die Haare zu bürsten. Judy hatte dieses dichte, braune Haar, das immer genau so fiel, wie sie es gerade brauchte. "Wie meinst du das?" "Na dieser ganze Ärger mit Mum und Dad wegen Jason. Liebst du ihn etwa?" Liz fing schallend an zu lachen. "Machst du Witze? Ich kenn ihn doch kaum." Judy schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich versteh dich nicht." "Macht nichts. Hauptsache ich versteh mich." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)