Requiem von Cilzia (Night of the Hunter) ================================================================================ How it feels to fly ------------------- „Lass es mir dir zeigen und dir den Schmerz nehmen.“ Das klang verlockend. Als ich schließlich stand hatte ich das Gefühl schwach auf den Beinen zu sein, ich stand, das war ein vertrautes Gefühl, und doch fühlte es sich seltsam fremd an, als wäre mein eigener Körper mir auf einmal fremd. Und obwohl ich mich nicht gut fühlte war mir weder schwindelig, noch verschwamm das Bild vor Augen, wie ich es sonst bei Krankheiten erfahren hatte. Es war eher das genaue Gegenteil. Als ich mich in dem Küchenraum umsah hatte ich den Eindruck trotz des Dämmerlichts mehr Details zu erkennen und in kürzester Zeit mehr von dem Zimmer aufzunehmen, als ich es normalerweise während eines längeren Aufenthaltes getan hätte. Normalerweise wäre mir auch nicht das Paar nackter Füße aufgefallen, das in der fast schwarzen Dunkelheit draußen auf dem Flur hinter der angelehnten Tür hervorschaute, und nur ganz leicht vom Kamin beleuchtet wurde. Wer auch immer das war, war tot. Wieso ich mir dessen so sicher war? Ich nahm keinen Herzschlag war. Nicht das ich mich erinnern könnte jemals auf den Herzschlag meines Gegenübers geachtet hätte wenn ich mit ihnen gesprochen hatte, aber in diesem Augenblick wusste ich einfach, dass ich einen Herzschlag hätte vernehmen müssen. Bis auf das Knacken des Feuers und die regenmäßigen Atemzüge von Maria und mir war es absolut still im Haus. Meine Sinne schienen sehr viel besser zu funktionieren. Ich vermutete, dass es an der Nahetoderfahrung gelegen hatte, die ich durchlebt haben musste, auch wenn ich mich nur an verschwommene, düstere Bilder und gleißenden Schmerz erinnern konnte. Maria ging an mir vorbei zur Tür. Ich fragte mich warum sie hier war, warum sie mich vor dem Tod bewahrt hatte, was auch immer mich in eine tödliche Situation gebracht hatte. Sie musste mich gerettet haben, wie sonst wäre ich hier, und wie sonst hätte ich diese entsetzlichen Schmerzen überleben können? Was war geschehen, in jener Neujahrsnacht? „Welchen Tag haben wir heute?“ „Den fünften deines neuen Lebens“ antwortete sie und in ihrer Stimme klang Zufriedenheit mit. Es fiel mir leicht ihre Stimmung anhand ihrer Stimme zu erkennen. Dann verschwand sie durch die Tür in den dunklen Hausflur. Ich folgte ihr, und erneut erstaunte mich die Klarheit meiner Augen und die neugewonnene Fähigkeit im Dunkeln fast genauso gut zu sehen wie am Tage. „Sollen wir nicht erst das Feuer im Kamin löschen bevor wir das Haus verlassen?“ Mir kam es seltsam vor das Haus so zu verlassen, zum einen war es unüblich den Kamin brennen zu lassen wenn man keine Bediensteten hatte, die danach schauen konnten, und zum anderen musste es schon späte Nacht sein, so dunkel wie es war. Sie zuckte nur mit den Schultern und ließ ihren Blick über den Leichnam zu ihren Füßen gleiten, dann drehte sie sich um, öffnete die Haustür und verschwand hinaus in die kalte Nachtluft. Ich folgte ihr, wollte fragen was hier geschehen war und warum eine Leiche in ihrem Hausflur lag, doch als ich hinaustrat und die Tür hinter mir ins Schloss fiel, stand ich alleine in der Dunkelheit. Ich blickte mich um und fand mich vor der Haustür eines leicht abgelegenen Hauses wieder. Es war das letzte der Straße, rechts von mir nahm ich den dumpfen Geruch der gefrorenen Erde eines Ackers war, links von mir, knapp hundert Meter entfernt stand das nächstgelegene Haus mit hell erleuchteten Fenstern im Erdgeschoss. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich weit und breit nichts. Ich glaubte nicht, dass dies noch ein Vorort von London sein konnte. Die Straße lief in einen Feldweg aus, ich folgte ihm mit meinem Blick und erkannte eine dunkle Gestalt, die sich unter einem Baum am Wegesrand bewegte. Ich war mir gewiss, dass es sich nur um Maria handeln konnte. Ich begann mich zu bewegen. Laufen wäre nicht der richtige Ausdruck dafür gewesen. Ich hatte das Gefühl für die Bewegung einen Fuß vor den anderen zu setzen verloren. Es war als würden meine Füße nicht meinen Gedanken folgen, viel zu schnell reagierten sie. Und ehe ich diesen erschreckenden Gedanken zu Ende spinnen konnte, war ich bereits an Maria vorbeigelaufen. Ich erschrak, doch ein bekanntes Kichern neben mit deutete mir das sie es mir nicht übel nahm. „Ist das schon alles?“ fragte sie – sie klang zu meiner Überraschung vergnügt. Ich verstand erst als sie mich scheinbar leichtfüßig überholte. Sie lief, es waren eindeutig die gleichen Bewegungen, allerdings schienen auch ihre Beine schneller zu reagieren als das man sie bewusst hätte bewegen können. Instinktiv wusste ich, dass mein Körper mit ihrem Tempo mithalten konnte. Es war als verschmolz ich mit der Nacht. Mit dem Wind, mit der Dunkelheit, der allgegenwertigen Luft. Es hatte wirklich wenig mit gehen, laufen, rennen, nicht einmal mit einen Sprint zu tun, so kräftig und reaktionsschnell waren meine Beine jetzt. Es fühlte sich an als würde ich fliegen. Und als würde mich nichts mehr aufhalten können. Das ich darin falsch lag musste ich feststellen, als wir ein Waldgebiet erreichten. Ich musste mich konzentrieren um nicht mit einem der Bäume zusammen zu stoßen, die an mir vorbei sausten, denn ich hatte gehörigen Respekt vor den dickstämmigen Baumriesen, die sich nicht nur über mir, sondern auch tief verwurzelt im Erdreich unter mit erstrecken mussten. Ein Zusammenstoß würde ich einige Knocken kosten, und darauf wollte ich es nicht ankommen lassen. Auch meine felsenfeste Zuversicht, dass ich in Sachen Geschwindigkeit der Fortbewegung ungeschlagen bleiben würde, wurde zusehends zertrümmert. Ich erblickte Maria, die gut zweihundert Meter vor mir aus schnellem Lauf auf der Stelle stehen blieb, kurz einen Baum vor ihr betrachtete und begann diesen hochzuklettern. Das Hochklettern erledigte sie dabei allerdings in einer Geschwindigkeit, bei der mir schon beim zusehen der Magen zusammenzog. Zugegeben, ich hatte einigen Respekt vor Höhen, manche mochten das als Angst bezeichnen, ich hingegen hatte mich bisher immer gut unter Kontrolle halten können, wenn es darum ging Dinge aus einer höheren Perspektive betrachten zu müssen, als der Höhe meiner Augen. Dennoch beschloss ich meine Schritte zu verlangsamen und am Fuß des Baumes zu warten, der unter ihren raschen Bewegungen bebte. Ich blickte nach oben um nachzusehen, was sie dort oben vorhatte, gerade noch rechtzeitig um einen Satz rückwärts zu machen, als sie, und eine nicht unerhebliche Menge von Astwerk und Gestrüpp der Schwerkraft folgten und dort aufschlugen, wo ich vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Ungläubig starrte ich sie an „wir müssen in diese Richtung weiter“ Sie deutete mit einer Hand schräg hinter sich, ihre Augen waren fest und aufmerksam auf mich gerichtet. „Wohin gehen wir?“ fragte ich. „Cambrige“ Mein Gesichtsausdruck musste mein Unbehagen verraten haben, auch wenn mir nicht ganz klar war wie sie überhaupt noch etwas in diesen stockfinsteren Wald erkennen konnte, auch wenn sie nicht die einzige war, denn meine Augen ließen mich ebenfalls nicht im Stich. Sie versicherte mir, dass es ausdrücklich nötig wäre nach Cambridge zu gehen. Dabei mochte ich London, und eigentlich war ich noch nicht bereit meine Heimat zu verlassen. „Wie hast du das gemacht?“ fragte ich, als noch mehr abgestorbenes Laub auf uns herab rieselte. Sie zuckte mit den Schultern. „Du kannst das doch auch,“ war ihre einzige Antwort, als sie sich umdrehte und wieder losrannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)