Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 13: Das falsche Angebot ------------------------------- Das falsche Angebot „Sie haben leicht reden“, sagte Kaiba mürrisch. Jede Art von Zurechtweisung hasste er. Die Erklärungen waren wirklich interessant gewesen, aber er würde sich sicherlich nicht sagen lassen, was er zu tun hatte. Das bestimmte er immer noch selbst. „Das habe ich wahrscheinlich wirklich“, stimmte Unomi ihm ohne zögern zu. „Dein gesunder Menschenverstand sollte dir allerdings sagen, dass ich recht habe. Wenn du es deinem Bruder gleich tust, wirst du keine Ruhe finden.“ „Was wissen sie schon?!“, erwiderte Kaiba verärgert. „Sie habe keine Ahnung, was er mir angetan hat – in welche Situation er mich gebracht hat!“ „Meine Güte, du redest, als ob du ganz unten angekommen wärst“, gab der Lehrer zurück. „Vielleicht bin ich das ja. Wissen Sie es?“, entgegnete er zähneknirschend. Natürlich war er das nicht, aber er wusste, dass im Grunde nicht viel gefehlt hatte. Ohne den Kontakt zu Lana sähe die Sache ganz anders aus. Es ärgerte ihn ungemein, dass der andere nicht erkannte, was für Folgen die Enteignung für ihn hätte haben können. Davon einmal abgesehen hatte es ihn so schon schlimm getroffen. Man musste nicht ganz unten landen, um schlecht dran zu sein. „Ach, du hast also kein Dach über den Kopf und solche Geldsorgen, dass du alles für ein bisschen Bares tun würdest, bist so verzweifelt, dass du trinkst und Drogen nimmst?“, fragte Unomi und hob eine Augenbraue. In Sekundenschnelle hatte er Kaiba wieder zu Boden gedrückt. Sein Gesicht schwebte keine zehn Zentimeter über Kaibas. „Tut mir leid, das wusste ich nicht. Dann habe ich dir wohl das falsche Angebot gemacht. Wie wäre es stattdessen mit diesem hier: Ich zahle dir 500$, zusätzlich biete ich dir bis morgen Früh Obdach und Essen und dafür machst du die Beine breit. Hm, ist das ein besseres Angebot?“ Entsetzt riss Kaiba die Augen auf. Er konnte den Impuls nicht unterdrücken, als Unomi ihm mit einem Finger über die Wange streichelte. Erst als der Lehrer sich lachend von ihm herunterrollte, erkannte er das Funkeln in dessen Augen, als amüsiertes. „Das ist nicht witzig“, knurrte Kaiba, ärgerte sich jedoch genauso sehr über sich selbst, wie über Unomi. Zu allem Überfluss begann jetzt auch noch sein Magen zu knurren. Unomi rang um Fassung. Er unterdrückte das Lachen, seine Mundwinkel zuckten allerdings immer noch. Er räusperte sich grinsend. „Entschuldige, wenn ich dich verärgert habe. Ich wollte dir eigentlich nur zeigen, wie absurd sich das anhört. Ich habe auch mit einem anderen Gesichtsausdruck gerechnet“, gluckste er und wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. Kaiba zwang sich, tief durchzuatmen. Er fand den Witz zwar immer noch nicht lustig, aber in einem musste er dem Lehrer recht geben: Dieses Angebot klang tatsächlich absurd. Das Niederschmetternde an der ganzen Situation war, dass Teile der Ausgangssituation realistisch betrachtet gar nicht so fern lagen. Obdachlosigkeit und akute Geldnöte hätten ihn, wenn es nach Mokuba gegangen wäre, schnell einholen können. „Es war geschmacklos. Es tut mir leid“, entschuldigte Unomi sich ein weiteres Mal. Nun wirkte er wesentlich ernster. „Vielleicht habe ich zu weit gedacht. Eine solche Objektivität ist, nachdem was dir passiert wird, sicherlich zu viel verlangt.“ Einen Moment war Kaiba kurz darauf aufzubrausend, aber er bewahrte Haltung und ging nicht darauf ein. Im zweiten Moment erkannte er, dass es ein Eingeständnis des Lehrers war und er nicht ganz unrecht hatte. Er selbst war unglaublich wütend. Und man sprach nicht umsonst von „blinder Wut“. Kaiba beschloss es dabei zu belassen. In dieser Trainingsstunde hatten sie sich beide Fehltritte geleistet. „Ich gehe Duschen“, erklärte er in seinem üblichen Tonfall. Danach sollte er zu sehen, dass er nach Hause kam. Sein Magen knurrte schon wieder. Unomi lächelte. Er schien verstanden zu haben, dass Kaiba seine Entschuldigung angenommen hatte. „Ich mache mir jetzt etwas zu Essen. Willst du mitessen?“, bot er an. Wahrscheinlich hat er mein Magenknurren gehört, dachte Kaiba. An diesem Tag lief anscheinend nichts mit. Andererseits … wenn er zustimmte, musste er sich nicht selbst etwas machen – was so oder so die Auswahl extrem einschränkte – und er bekam schneller etwas. Warum also nicht? „Warum auch nicht“, stimmte er schließlich zu, bevor ihm sein Stolz dazwischen funken konnte. Er wusste, dass er selbst nur eine Kleinigkeit in der Küche zustande bringen würde. „Schön. Du kannst die Küche eigentlich nicht verfehlen, wenn du die Treppe hochkommst“, erklärte Unomi lächelnd. Kaiba nickte nur und ging in die Umkleide. Als Kaiba die Küche betrat, war Unomi schon fleißig am Werkeln. Es sah ganz nach Sushi aus und der andere schien auch etwas davon zu verstehen. „Trinkst du Sake mit?“, fragte Unomi prompt. „Nicht auf leeren Magen“, antwortete Kaiba. Er nahm sich eine Wasserflasche von der Anrichte und schenke sich in das Glas ein, das er von unten mitgebracht hatte. „Du hast heute noch nichts gegessen?“, fragte Unomi und warf ihm einen zweifelnden Blick über die Schulter zu. „Heute Morgen schon. Aber das ist inzwischen knapp sieben Stunden her.“ „Hm“, gab Unomi nur von sich und wendete seine Aufmerksamkeit wieder dem Sushi zu. Kaiba setzte sich an den Küchentisch und füllte seinen Wasserbedarf. „Wo wohnst du jetzt?“, fragte der Lehrer nach einem Moment der Stille. „Warum wollen Sie das wissen?“, stellte Kaiba misstrauisch eine Gegenfrage. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, so wenigen Leuten wie möglich seine neue Adresse zu geben. „Nachdem ich gerade so brillant ins Fettnäpfchen getreten bin, dachte ich mir, dass ich jegliche Missverständnisse, die deine neue Situation betreffen, besser umgehe. Außerdem finde ich, dass wir uns nach dieser glorreichen Trainingsstunde ruhig duzen und mit Vornamen ansprechen können.“ „Ich wohne bei einer Bekannten. Akute Geldnöte habe ich nicht“, sagte Kaiba und hoffte, dass damit das Thema vom Tisch war. Trainingsstunden, die entspannter waren, schienen es ihm wert zu sein, diese Informationsbrocken zu geben. Was er von dem Angebot des Duzens halten sollte, wusste er nicht genau. Die Logik verstand er nicht ganz, aber ein solches Angebot eines Lehrers schlug man nicht einfach aus. „Verstehe – was aber nicht heißt, dass ich dich nicht an das falsche Angebot erinnern werde, wenn du mir zu sehr am Fluchen bist“, erklärte Unomi grinsend. Das hatte Kaiba gar nicht anders erwartete. Vielleicht war es auch gut so. Sich zu beklagen, brachte ihn in seiner Situation keinen Schritt weiter. Einmal ganz davon abgesehen, dass er kein Mitleid wollte. „Kochst du regelmäßig?“, fragte Kaiba, um das Thema zu wechseln. Es war das erste, was ihm einfiel. Und nur weil er Smalltalk hasste, bedeutete das nicht, dass er nicht dazu in der Lage war. „Ja, es macht mir inzwischen richtig Spaß.“ „Inzwischen?“, hakte Kaiba nach, um das Gespräch am Laufen zu halten. Heute war seiner Meinung nach schon viel zu viel über ihn selbst gesprochen worden. „Ja, mein Interesse daran ist aus einem Streit entstanden. Ich habe ich meiner Wettkampfklasse einen ewigen Konkurrenten. Früher habe ich ständig versucht, ihn in allem zu übertreffen und er ist ein verdammt guter Koch. Also habe ich selbst zu kochen begonnen. Inzwischen hat sich unser Verhältnis beruhigt. Wir nehmen beide kaum noch an Turnieren teil und normalerweise begegnen wir uns nicht“, erklärte der Lehrer und fügte leiser hinzu: „Und das ist wahrscheinlich auch gut so.“ Anscheinend hatte Kaiba da genau ein Thema erwischt, über das der andere nicht gerne sprach. Wahrscheinlich hatte er sich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckert, sowie es bei Streitigkeiten, in die man sich zu sehr hineinsteigerte, häufig der Fall war. „Und du kochst sicherlich nicht, oder?“, fragte Unomi und bestätigte mit diesem halben Themawechsel Kaibas Vermutung. Über irgendwelche Wettkämpfe zu sprechen, war wohl gerade nicht angeraten. „Nicht mehr“, sagte Kaiba, ohne richtig darüber nachzudenken. „Nicht mehr?“, echote Unomi erstaunt. Diese Antwort schien ihn zu überraschen. Wenn Kaiba ehrlich war, überraschte sie ihn auch. Im Grunde hatte er nie richtig gekocht … außer … Nicht schon wieder, dachte er genervt, als ihm bewusst wurde, dass ihn anscheinend abermals ein leichter Sentimentalitätsschub überkam. Diese Erkenntnis hinderte ihn allerdings nicht daran, zu erzählen. „Als ich ein Kind war, hatte ich einen …“ Er suchte nach einem besseren Wort für „Babysitter“. „Betreuer, der mit mir recht viel gekocht hat. Er hat mir beigebracht, allerlei Kleinigkeiten zuzubereiten. Ich glaube, er hat sich davon erhofft, dass ich nachts nicht ständig zu ihm kam, wenn ich Hunger hatte.“ Kaiba konnte seinen Redefluss gerade noch stoppen, bevor er verriet, dass er trotzdem immer wieder zu ihm gekommen war, weil er gerne Gesellschaft haben wollte. Davon einmal abgesehen, war es so viel schneller gegangen und es hatte mit Sicherheit auch besser geschmeckt. Unomi lächelte nur. Er schien sich seinen Teil zu denken, war aber taktvoll genug, nicht weiter nachzuhaken. „Sag mal, Seto“, begann er wenig später, als er den Tisch deckte und der Angesprochene war sich sicher, dass jetzt wieder ein Themenwechsel folgen würde. „Seit wann weißt du eigentlich, dass ich schwul bin?“ Kaiba hob eine Augenbraue. Er war versucht zu fragen, woher der andere wusste, dass er wusste, dass der schwul war. Aber im Grunde lag die Antwort auf der Hand. Er hatte sich wahrscheinlich mit seiner ablehnenden Reaktion während der Trainingsstunde verraten. „Noch bevor ich dich kannte“, erklärte Kaiba schlicht. Die Offenheit und Rücksichtnahme des anderen sorgen für ein angenehmes Gesprächsklima, obwohl er nie gedacht hätte, dass er darauf Wert legen würde. „Du hast irgendeine neugierige und Tratsch-süchtige Nachbarin.“ „Mhm. Danke für den Hinweis. Ich kann mir vorstellen, wer das ist“, meinte er, setzte sich aber unbekümmert lächelnd Kaiba gegenüber an den Tisch. Dieser betrachtete das zweite Sake-Schälchen. „Es hörte sich so an, als ob du noch davon wolltest, nachdem du etwas im Magen hast.“ „Ich denke darüber nach“, antwortete Kaiba, obwohl er tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte. Unomi schien gut aufzupassen. Denn das Wasser, das er ihm angeboten hatte, war von derselben Marke, die er bei vergangenen Trainingsstunden bevorzugt getrunken hatte. „Irre ich mich, oder stehst du auf mich?“, fragte Kaiba einem plötzlichen Gedanken folgend, später während des Essens. „Lass es mich so formulieren“, sagte Unomi ruhig. Die unvermittelte Frage schien ihn zu überraschen, nicht aber zu kränken. Lächelnd stützte er seinen Kopf auf der Hand ab. „Ich mag dich und du hast eine gewisse Anziehung auf mich.“ „Ich bin nicht schwul!“, erwiderte Kaiba energisch. Er hatte ein etwas mulmiges Gefühl, weil der andere es so offen eingestand. „Ich weiß und ich mach mir auch keine Hoffnungen“, antworte Unomi ungerührt. „Ich sag’s dir nur, weil ich klare Verhältnisse schaffen möchte und ich mir aufgrund deines Verhaltens sehr sicher bin, dass du nichts gegen Homosexualität hast.“ Damit waren alle Fragen von Kaiba geklärt. Genau genommen war die Sache damit geklärt. Selbst komplizierte Dinge schienen bei Akio Unomi angenehm unkompliziert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)