Sterben für Anfänger von Yuuka_Ayana (Warum Engel sein nervt) ================================================================================ Prolog: Visit the first ----------------------- „Der blondgelockte Engel schwebte über die Wiese, auf dem Weg zu seinem Schützling um ihm vor dem Bösen zu beschützen.“ Sobald ich so etwas nur höre, kriege ich Ausschlag. Das kann man höchstens einem kleinen Kind erzählen, damit es schlafen kann. Doch selbst die kleinen Kinder sind heute schon nicht mehr so romantisch, wie man das gerne hätte. Wenn sie zu klein sind, um zu verstehen, was man ihnen sagt, sind sie noch romantisch. Doch sobald sie älter sind, ists damit auch schon vorbei. Außerdem ist euer Engelsbild total überzogen. Engel sind nicht blond gelockte Jünglinge und vor allem schweben sie nicht über Wiesen, klar? Ich bin ein Engel, und es tut mir Leid es euch sagen zu müssen, so siehts nun mal nicht aus. Außerdem will ich sagen die Jobbeschreibung ist völlig überzogen; ein Traum ist es keines Falls. Die Bewerber sollten nervenstark, und solche sein, die ihre Freizeit überschätzen. Wir sind Schutzengel und unter anderem für solche Mädchen zuständig, die sich die Arme aufschneiden. Sie bemitleiden sich immer so sehr selbst und versuchen sich dann das Leben zu nehmen. Als ob der Tod so viel besser ist. Die eine versuchte gerade den Schlussstrich zu setzen, deshalb musste ich ihrer Mutter eine unterbewusste Eingebung zukommen lassen, sich gefälligst auf den Weg nach Hause zu machen. Ich war noch zwei Wochen danach heiser. Das Mädchen lebt auch noch, sie bemitleidet sich zwar immer noch selbst, aber tödlich ist es bisher noch nicht ausgegangen. Mein neuer Job ist traurig, süß und verdammt kompliziert. Ein Junge, ein Mann, wie auch immer man ihn bezeichnen will. Er ist 19 und hat Leukämie. Heilbar unter Umständen, nur leider bei ihm nicht. Ich bin ihm als Sterbebegleiterin zugeteilt worden. Wir müssen doppelt besetzen, weil wir leider nicht genug haben. Und nein, ich mache hier keine Schleichwerbung. Kompliziert ist mein Job, weil er mich sehen kann. Wir sind nun Mal keine Geister; unsichtbar sein, wünschen sich nicht nur Neupubertäre, wenn die Pickel sprießen. Das ist das Problem. Außer natürlich für diejenigen unter euch, die sofort die große Liebesgeschichte a lá Romeo und Julia vermuten. Vergesst es. Nein, denn Sterbende und Engel begegnen sich nicht, außer in den letzten Sekunden im Leben. Dieser Junge allerdings hat, wie der brave Romantiker, auf seine Liebe gewartet und nun hat er die Lücke gefunden, um mich an meinem Job zu hindern. Die Unschuld, immer gehandelt als völlige Reinheit, funktioniert eben auch bei den Männern. Aber warum nur ich? Und wie soll ich dem Kerl erklären, was ich von ihm will? Ich kann ihm nicht sagen, dass er stirbt. Dazu tut er mir zu leid. Wenn sie wissen, dass sie sterben, kann man sie auch sofort in den Tunnel zerren. Weil die Angst bis in den Himmel wächst, selbst wenn sich alle geben, als ob sie keine hätten, sobald man mit dem Ende konfrontiert wird, ist es nicht mehr aufzuhalten. Genau deshalb ist es scheiße mit solchen Unschuldsmenschen und Kindern zu arbeiten. In meiner Karriere ist er zum Glück der erste meiner „Klienten“. Kinder hatte ich auch noch keine, das macht mir auch zu viel Angst. „Hey Lena“, begrüßte er mich, als ich mich neben ihm auf die Bank setzte. Ich verkniff mir jede Bemerkung, dass er mich offen ansprechen sollte, wo ich nun mal für jeden unsichtbar war. Er hörte nicht auf mich. Diejenigen, die ihn hörten, dachten er fantasierte, damit er besser mit seinem Schicksal zurechtkam. Dann schien es ihnen nicht so schäbig, wenn sie wieder nach Hause fuhren. „Was war heute los?“ Ich fragte ihn jedes Mal. „Man hat mir Schokopudding ins Zimmer geschmuggelt. Und meine Schwester hat mich besucht.“ „Hat sie ihre Prüfungen geschafft?“ „Ja.“ „Aber?“ „Sie ist arbeitslos.“ „Wieso?“ „Hat sich nirgends beworben.“ „Hm.“ Schweigend lauschte ich auf den Geräuschpegel von der Straße. „Was macht sie jetzt?“ „Sie zieht zu ihrem Freund und zieht ihr Kind groß.“ Erstaunt blickte ich ihn an. „Sie hat ein Baby?“ „Noch nicht“, bemerkte er glucksend. „Wollte sie das?“ „Was?“ „Das Baby“, präzisierte ich. „Nein, aber sie ist gegen Abtreibung.“ Wieder: „Hm.“ „Was ist? Hast du jemanden sterben sehen?“ Warum um alles in der Welt wollte er so etwas wissen? Seine Neigungen wurden morbid. „Nein.“ „Bisher überhaupt schon jemanden?“ Seufzend erwiderte ich: „Ein paar Mal.“ „Wie alt bist du?“ „Was ist das hier? Fröhliches Engelsquiz?“ „Ich hab doch sonst nichts zu tun.“ Die Lippen aufeinander gepresst, starrte ich auf seinen Tropf. „Wann sterbe ich?“ Meine Augen brannten sich in sein Gesicht. „Wenn du mein Schutzengel wärst, wär ich doch schon gesund.“ „Du hast die falschen Vorstellungen. Es passieren Dinge nun mal nicht von heute auf morgen. Das wäre schon irgendwann auffällig.“ „Aber er ist doch für Wunder zuständig. Es würden noch viel mehr an ihn glauben, wenn er es machen würde.“ Ich konnte ihm nicht antworten. Gott ließ sich nicht in seine Geschäfte pfuschen. „Wann sterbe ich jetzt?“, wiederholte er seine Frage. „Wir dürfen so etwas nicht sagen. Sonst werden wir ins Nichts geschickt. Bis er glaubt, er hat uns genug gestraft.“ „Dafür, dass er alle so liebt, hört es sich ziemlich untypisch an.“ „Das Rechtssystem gibt es eben nicht nur auf der Erde. Es ist verboten, darüber zu sprechen.“ Warum hörte er nicht auf mit dem Fragen. Er war doch kein Kind mehr. „Warum?“ „Weil es endgültig ist. Der Mensch stirbt nur noch vor sich hin. Das kann er nicht ertragen.“ „Das sollte er sich vorher überlegen, wenn er schon seine Engel schickt, damit sie nicht ganz alleine sind.“ Also besaß er doch noch Wut. Es war ihm nicht egal, ob er starb. Wenigstens etwas. Aber trotz allem versuchte er mich immer noch auszuquetschen. „Warst du auch mal ein Mensch?“ Ich antworte nicht. Autos und Laster fuhren am Krankenhaus vorbei. Die anderen Patienten gingen mit ihren Angehörigen im Garten spazieren. „Samuel?“ Seine Schwester stand da. Ich verschwand. Er drehte sich zu ihr und wieder in meine Richtung, als er den Luftstoß spürte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)