Reflection von queermatcha (In my heart just keep on bleeding, I can't stand myself too long...) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- „Zimmer 102… Zimmer 102…“ Mit einem Zettel und hilflosem Blick lief Takahiro durch das Gebäude der Musikschule. Es war viel, viel größer, als er es sich vorgestellt hatte – und natürlich hatte er sich prompt verlaufen. Überall in diesen Fluren lag weinroter Teppichboden aus und die Wände waren komplett weiß. Alles in allem erinnerte diese Schule Taka sehr unangenehm an seine alte High School – die er abbrach, weil er es dort einfach nicht mehr ausgehalten hatte. Im Sekretariat war niemand anzutreffen und so hatte Taka sich selbst auf die Suche nach Raum 102 gemacht, in dem gleich seine erste Gesangsstunde stattfinden sollte. Irgendwie waren die Gänge so verlassen und Taka beschlich das Gefühl, er könnte im falschen Gebäude sein. Nicht, dass er noch zu spät kam! Das wäre echt peinlich am ersten Tag. Dann aber hörte er Stimmen. Takahiro lief durch einen kleinen, verglasten Durchgang, der anscheinend in das kleine Nebengebäude führte. Und siehe da; hier wimmelte es nur so von jungen Leuten. Lauter Jugendliche in seinem Alter, die mit Gitarren, Celli oder Trompetenkoffern herumliefen. Leicht lächelte Taka. Würde er also doch noch rechtzeitig kommen! Schnell hüpfte er eine Treppe hinab und blickte sich um. Dann war hier bestimmt irgendwo Raum Nummer 102. Er drehte sich um die eigene Achse und erblickte ein Schild an einer Tür, auf dem „Raum 382 – Gitarrenunterricht“ stand. Okay. Hier waren schonmal die Unterrichtsräume. Taka blickte auf seinen Zettel, da war eine kleine Zeichnung des Gebäudes darauf. Jetzt ergab diese Zeichnung mehr Sinn und Taka machte sich wieder auf die Suche. „Wo ist denn nur dieser blöde Raum?!“ Schon seit geschlagenen zehn Minuten irrte Taka durch das zweite Gebäude – und das war nicht weniger verwirrend. Gerade wollte er sich nach jemandem umsehen, den er nach dem Weg fragen konnte, da stieß er urplötzlich mit jemandem zusammen. Mit einem erstickten Schrei fiel er nach hinten und landete auf seinem Hintern, genau wie derjenige, den er umgerannt hatte. „Oh je, entschuldigung, ich-„, stammelte Taka und hob den Kopf. Sein Blick traf auf tiefbraune Augen, die ihn wütend anblitzen. „Sag mal, kannst du nicht aufpassen?!“ Erschrocken rappelte der junge Sänger sich auf und der andere junge Mann, der wegen ihm zu Boden gegangen war, erhob sich ebenfalls. Er war ein ganzes Stück größer als Taka und funkelte ihn wütend an. „Mach die Augen auf, wenn du hier durch die Gegend rennst!“ Während der Andere sich bückte und eine Gitarrentasche anhob, musterte Taka ihn kurz. Er hatte schwarz gefärbtes Haar und trug sehr lässige Klamotten, so wie der junge Sänger selbst immer. Dann blickte er Taka wieder an und der Brünette zuckte kaum merklich zusammen. „Entschuldigung. Das war wirklich keine Absicht.“, murmelte er eingeschüchtert und blickte zu Boden. „Jaja. Pass einfach auf.“ Der junge Mann mit der Gitarre – der wirkte, als wäre er ungefähr in Takas Alter – lief nach diesem Satz einfach an Taka vorbei. Aber dieser drehte sich, ohne großartig nachzudenken, einfach um. „Bitte warte kurz!“ Der Gitarrist blieb auf der Stelle stehen und drehte sich zu Taka um. Er hatte die Stirn gerunzelt und musterte den Kleineren genervt. „Was denn noch?! Ich habs eilig!“ Kurz schluckte Takahiro. „Kannst… kannst du mir sagen, wo ich Raum 102 finde?“, fragte er dann und kniff ängstlich die Augen zusammen. Er konnte die Reaktion des Anderen nicht sehen, hörte aber, dass dieser laut ausatmete. „Den Flur runter. Rechts abbiegen und einfach gerade aus.“ Taka hob den Blick und lächelte sehr vorsichtig. „Dankeschön.“ Aber der Schwarzhaarige winkte ab. „Ja ja, ist ja gut.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt, sprang förmlich eine der Treppen nach oben und war verschwunden. Nach dieser Begegnung musste Taka erst einmal tief durch atmen. Das war ja ein ziemlich gestresster Zeitgenosse gewesen! Und natürlich in so einen hatte Taka hinein rennen müssen! Naja, aber wenigstens wusste er nun, wo er hin musste. Schnell drehte er sich um und lief den Flur entlang, so, wie der Schwarzhaarige es ihm beschrieben hatte. „Entschuldigung? Findet hier die erste Stunde des Gesangsunterrichts für Anfänger statt?“ Taka hatte Raum 102 endlich gefunden und direkt eine junge Frau angesprochen, die allem Anschein nach vor der Tür darauf wartete, dass es los ging. „Ja, das tut er.“ , gab sie zurück und strich sich lächelnd eine Strähne ihres braunen Haares hinters Ohr. „Dann bist du wohl auch ein Neuling hier, so wie ich?“ Taka nickte und verbeugte sich ganz leicht. „Ja. Es ist meine erste Stunde hier.“ , gab er leise zur Antwort und sie erwiderte seine Verbeugung. „Hallo. Es ist sehr schön, dich kennen zu lernen. Ich bin Haruna.“ Nun lächelte auch Taka ein wenig. „Ich bin Takahiro. Die Freude ist ganz meinerseits.“ Nach dieser doch sehr verkrampften Begrüßung fiel Schweigen über die beiden Jugendlichen und Taka scharrte leicht mit dem Fuß über den weinroten Teppich. Wieder einmal war er in Gedanken versunken. Wie würde der Unterricht werden? Und wie war überhaupt ihr Lehrer? Oder hatten sie eine Lehrerin? Seine Frage wurde beantwortet, als sich eine Frau dem Raum näherte. Sie hatte zwei junge Männer und ein weiteres junges Mädchen im Schlepptau. „So, da sind wir. Ah, wie ich sehe, sind dort auch schon die anderen Beiden, die noch fehlen.“ Die ältere Dame trug eine Art Kostüm und sah eher aus, als würde sie aus einem Büro kommen; also vermutete Taka, dass sie ihre Lehrerin werden würde. Sie kramte einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche und öffnete Raum Nummer 102. „Alle, die für den Gesangskurs der Anfänger hier sind, möchte ich bitten, einzutreten.“, lächelte sie dann und wies mit ihrer sehr zierlichen Hand in den Raum hinein. Auch vor ihr verbeugte Taka sich kurz, als er an ihr vorbei das Zimmer betrat. Der Raum war groß und sehr hell. Auf einer Art kleinem Podest stand ein Flügel und dahinter befand sich eine große Tafel an der Wand. Vor dem Podest standen ein paar kleine Tische und Stühle – ganz wie in einer Schule eben. Die Wände waren gespickt mit Notenblättern, Plakaten über Instrumente und Informationen über berühmte, internationale klassische Musiker. Der Raum gefiel Taka – ganz genau so hatte er sich eine Musikschule vorgestellt. „Nehmt doch bitte Platz!“, sagte die nette Lehrerin. Erst jetzt fiel Taka auf, dass sie sehr, sehr langes Haar hatte – es war zu einem geflochtenen Zopf gebunden, der ihr bis an die Hüfte reichte. Er nickte leicht und setzte sich dann an den Tisch neben dem, an den Haruna sich gesetzt hatte. Mit ihr hatte er ja schon gesprochen, also lag es nah, sich neben sie zu setzen. Als sie merkte, dass Takahiro neben ihr Platz nahm, lächelte sie ihn wieder leicht an und strich sich erneut eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich heiße euch herzlich im Gesangskurs für Anfänger willkommen. Mein Name ist Chiyo Kawamura und ich werde für die kommenden Monate eure Gesangslehrerin sein.“ Frau Kawamura stand auf dem Podest neben dem Flügel und lächelte ihre Schüler an. „Wie ihr seht, seid ihr eine recht kleine Gruppe. Das hat auch seinen Sinn, denn in kleinen Gruppen lernt es sich besser.“, lächelte sie. „Nun, bevor ich euch erzähle, was auf euch zukommt, würde ich euch gern ein wenig kennen lernen. Kommt bitte einzeln zu mir auf das kleine Podest und stellt euch vor. Sagt uns, wie ihr heiß, wie alt ihr seid und warum ihr euch entschieden habt, diesen Kurs zu besuchen.“ Sie zeigte mit der Hand auf Haruna. „Bitte. Komm doch du zuerst zu mir, junge Dame.“ Haruna nickte und erhob sich. Elegant lief sie nach vorn, stieg die kleine Stufe auf das Podest hinauf. Dann drehte sie sich zur Klasse, hatte die Hände vor dem Schoß übereinander gelegt und verbeugte sich tief. „Mein Name ist Haruna. Ich bin 15 Jahre alt und ich habe diesen Kurs gewählt, weil es mein großer Traum ist, Musicaldarstellerin zu werden.“ Taka lächelte ein wenig. Das war ein schöner Traum, wie er fand. Als nächstes zeigte Frau Kawamura auf ihn und das Herz des Brünetten schlug ihm bis zum Hals. Kurz räusperte er sich, bevor er aufstand. Haruna lief zurück zu ihrem Tisch und Taka hinauf zu der Lehrerin. Dort blickte er schüchtern zu Boden und hatte die Arme ganz eng an seinen Körper gepresst. „I-ich bin Takahiro.“, sagte er leise und die Lehrerin legte ihm beruhigend eine Hand auf den Rücken. „Sprich doch bitte ein wenig lauter. Wir verstehen dich kaum.“, sagte sie und lächelte ihn aufmunternd an. Er nickte. „Also… ich bin Takahiro.“, sagte er, nun etwas lauter. „Und ich bin 16. Ich belege diesen Kurs, weil ich… irgendwann in einer Band singen möchte.“ Frau Kawamura nickte ihm lächelnd zu und Taka verließ das Podest so schnell wieder, dass er beinahe gestürzt wäre. Mit hochrotem Kopf lief er zurück zu seinem Platz, ließ sich darauf fallen und schluckte schwer. Mein Gott, war das peinlich! Noch nicht einmal zehn Minuten hier und schon musste er sich blamieren. Innerlich seufzte Taka. Das war sowas von typisch er… Als nächstes war das zweite Mädchen ihrer Gruppe an der Reihe. Sie stellte sich als Sakura vor, 17 Jahre alt. Sie wollte singen lernen, weil sie sonst nichts konnte, sagte sie. Danach war einer der anderen zwei Jungen dran. Er war groß – bestimmt fast zwei Meter hoch – und hatte schulterlanges, dunkles Haar. Er wirkte sehr still und zurück haltend. „Mein Name ist Nobuhiro.“, sagte er. „Ich bin 20 Jahre alt und studiere Musik an der Meio Universität. Meiner Meinung nach wird der Gesangsunterricht dort zu wenig gefördert und so habe ich mich beschlossen, noch einen zusätzlichen Kurs zu belegen.“ Taka nickte anerkennend. Dieser Nobuhiro schien ja sehr fleißig zu sein. Als letzter war ein junger Mann mit gebleichtem Haar an der Reihe. Er trug zerrissene Jeans, ein AC/DC-Shirt und hatte jeweils ein Piercing an der Lippe und an der Augenbraue. „Ich bin Jun!“, sagte er, als er lässig neben Frau Kawamura Platz genommen hatte, die Hände in den Hosentaschen. „Bin 16. Und ich bin hier, weil meine Eltern unbedingt wollten, dass ich herkomme.“ Nach dieser Aussage schlurfte er zurück an seinen Platz. Es schien ihn nicht zu stören, dass alle Blicke auf ihm ruhten und selbst Frau Kawamura die Stirn runzelte. Aber schnell fing sie sich wieder und klatschte einmal in die Hände. „Nun, es freut mich sehr, dass wir ab heute zusammen arbeiten werden. Als Erstes möchte ich mir einen Eindruck davon verschaffen, was ihr schon so könnt.“ Sie blickte einmal kurz in die Runde. „Takahiro.“, sagte sie und der junge Sänger versteifte sich. „Komm doch bitte noch einmal zu mir.“ Der Brünette nickte und erhob sich. Er lief zurück aufs Podest und Frau Kawamura nahm am Piano Platz. „Kennst du ‚Shima uta‘?“, fragte sie und Taka nickte. Natürlich kannte er das. Sein Vater war Enka-Sänger, da kannte man solche Lieder einfach. „Gut. Kannst du auch den Text?“ Erneut nickte Taka. „Dann werde ich dir jetzt den Takt und die Melodie vorgeben und ich möchte, dass du es für uns singst. Ganz locker, keine Sorge, solltest du dich mal versingen.“ Kurz schluckte Takahiro und nickte dann. Er war unglaublich nervös, weil er der Erste war, der vorsingen musste. Aber eigentlich war er dafür ja hier, also atmete er noch ein tief ein und aus. Es konnte losgehen! Frau Kawamura setzte ein und spielte leichthändig ein kleines Intro. Dann nickte sie Takahiro zu, er wartete einen Takt ab und fing dann an, zu singen. Der Text dieses Liedes saß bei ihm perfekt, er hatte es früher schon sehr oft gesungen. Nach einer Weile schloss er die Augen und bemerkte gar nicht, dass Frau Kawamura ihn beim singen lächelnd musterte. Nachdem er zwei Mal den Refrain gesungen hatte, beendete sie ihr Spiel. „Vielen Dank. Du kannst dich wieder setzen.“ Takas Herz klopfte richtig schnell, aber er war mit sich zufrieden. Mit einem schüchternen Lächeln setzte er sich zurück zu Haruna, die ihn anblickte. „Du singst richtig schön.“, sagte sie leise und Taka errötete ein wenig. „Dankeschön.“, gab er zurück und freute sich aufrichtig über das Lob. Als nächstes war Sakura dran. Sie hatte eine recht dunkle Stimme für ein so junges Mädchen, aber sie sang nicht schlecht. Jun sang gelinde gesagt grauenhaft – und man merkte ihm an, dass er keinen Spaß daran hatte. Aber anscheinend wollte er den Kurs trotzdem durchziehen und deswegen sagte die Lehrerin nichts weiter dazu. Er hatte ja schließlich auch dafür bezahlt. Nobuhiros Stimme war großartig. Man hörte ihm an, dass er schon einige Stunden klassischen Gesangsunterricht genommen hatte. Taka wunderte sich, dass er im Kurs für die Anfänger war, aber er hatte sicherlich seine Gründe dafür. Als Letzte war dann Haruna an der Reihe. Sie stellte sich zu Frau Kawamura und sang dann mit so reiner, klarer Stimme, dass Taka richtig gebannt lauschte. Natürlich waren auch bei ihr noch so einige schiefe Töne heraus zu hören, aber sie klang so gut, dass Taka sich sicher war, dass aus ihr irgendwann eine großartige Sängerin werden würde. Deswegen überwand er auch seine Schüchternheit und lobte sie, als sie sich zurück neben ihn setzte. „Deine Stimme ist toll.“, sagte er und sie wurde knallrot. „Danke, Takahiro-san.“, sagte sie, lächelte verlegen und strich sich wieder ihr Haar hinters Ohr. Auch Taka lächelte. Irgendwie… mochte er sie schon richtig. Vielleicht konnten sie ja Freunde werden. Sie verfolgten ja auch ungefähr den selben Traum. Den Rest ihrer Stunde verbrachten sie damit, Frau Kawamura zu zu hören. Sie sagte, nachdem sie jetzt alle gehört hatte, konnte sie ihren Unterricht auf ihr Niveau zurecht schneiden und sich besser vorbereiten. Sie teilte den Lehrplan aus, eine Liste, auf der stand, was sie in diesem Semester alles behandeln und üben würden. Taka war begeistert. Genau so hatte er sich das alles vorgestellt. „Morgen legen wir dann mit den ersten Atemübungen los.“, sagte Frau Kawamura dann, als sie alles erklärt hatte. „Ich freue mich schon, euch dann wieder zu sehen. Ihr könnt jetzt gehen.“ Sie packten alle ihre Zettel ein und verließen dann das Klassenzimmer. „Auf Wiedersehen, Takahiro-san. Bis Morgen.“, sagte Haruna nett lächelnd zu Taka, verbeugte sich ganz leicht und lief dann in Richtung des Westausganges davon. Taka hingegen wollte den Ostausgang nehmen, weil er von dort ja gekommen war und sich in dieser Straße auch die U-Bahn-Station befand, zu der er musste. Er kam wieder an der Stelle vorbei, an der er den Schwarzhaarigen angerempelt hatte. Und irgendwie bekam er dessen dunkle Augen die ganze Fahrt nach Hause über nicht aus dem Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)