Ruby Road von Ling-Chang (Legacy of the Vampire) ================================================================================ Kapitel 2: Legacy of the Vampire -------------------------------- Als ich am Samstagmorgen aufwachte, schlich ein Lächeln über mein Gesicht. Es war lange her, seit ich mich so gut gefühlt hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals ein Mädchen in diesem Kaff treffen würde, das mir so gut gefiel und dem ich noch am selben Tag den Hof machte. Doch mit dieser heißen Ruby Valentine, war es am Vortag anders gekommen, als ich zunächst geplant hatte. Sie war mir im „Heels“ über den Weg gelaufen, in der Bar, in der meine Clique in der Regel einmal alle zwei Wochen einen Abend verbrachte: Es gab gute Cocktails und gute Musik. Das reichte uns normalerweise schon aus, weil es in vielen modernen Discos nur noch schlechten HipHop auf die Ohren gab und als Nachtisch völlig überteuerte Drinks. Ich drehte mich um, um das Mädchen anzusehen, dass mir gestern Nacht nicht nur seelischen Beistand geleistet hatte und zuckte zusammen. In den Falten meiner Seidendecke lag niemand mehr! Ruby war verschwunden! Ich fuhr herum und schaute durch den Raum, nur um verbittert festzustellen, dass sie auch nicht mehr in der Wohnung war: Ihre Kleidung war ebenfalls weg, also musste ich darauf schließen, dass sie mich hatte sitzen lassen. Ich setzte mich auf und fuhr mir enttäuscht durch das braune Haar, während ich innerlich überlegte, was an mir sie nicht gemocht hatte: Waren es die langen Haare? Oder sehe ich ihr zu ausländisch aus? Bin ich zu alt? War ich etwa schlecht im Bett? Womöglich hässlich? Ich tat diese Fragen aber größtenteils ab, einfach weil ich es besser wusste. Sie mochte meine Haare, sie hat sie hinterher um ihre Finger gewickelt. Und über mein ausländisches Aussehen schien sie weder verwundert, noch hat es sie zumindest offensichtlich gestört. Ich bin kaum mehr als zwei Jahre älter als sie – das ist doch nicht viel? War ich hässlich? Eigentlich fand ich mich nicht hässlich. Grace meinte, ich sehe heißer aus als viele andere Jungs. Galt das also als Antwort? Blieb nur noch mein Können im Bett. Ich seufzte. Das musste es gewesen sein. Ich dachte eigentlich immer, ich wäre relativ gut, doch jemanden das Gegenteil so offensichtlich aufzeigen zu sehen, verletzte mich schon in meinem Stolz. „Ah, Zacchary Cole, du bist die Verkörperung der Arroganz. Hast du ernsthaft geglaubt, dass du wegen ein paar Sex-Erfahrungen weißt, was du mit einer Frau tust?“, schimpfte ich leise über mich selbst. Aber irgendwie fand ich es auch seltsam, dass ich mir das alles jetzt selbst zuschrieb. Ich wollte, dass auch sie Schuld hatte nicht nur ich. „Du hast mir doch den ganzen Abend schöne Augen gemacht! Und dieses kurze Kleid war doch eine mehr als offensichtliche Einladung! Von wegen Jungfrau … Das war bestimmt nur eine dumme Lüge!“ Nachdem ich all das gesagt hatte, tat es mir aber schon wieder leid. Ich hatte in ihren Augen und anhand ihres Verhaltens bereits, bevor sie mir von ihrer Unerfahrenheit erzählt hatte, bemerkt, dass sie Jungfrau war. Ich war gegenüber menschlichen Empfindungen etwas sensibler als andere, ich konnte Gedanken ziemlich gut erraten. Sie hatte nicht wie jemand gewirkt, der viel herumgekommen war. Das Kleid war auch bloß in Mode, ich hatte es schon ein paar Mal in einer Disco gesehen. Auch da ließ sich also kein Fehler von ihr finden. Höchstens ihr Verhalten hätte man als etwas anzüglich empfinden können. Die schüchterne Art, mit der sie mich aus ihren Augenwinkeln heraus beobachtet hatte – hatte ich mehr in ihren Augen gelesen, als dort wirklich war? „Du hast dich einfach geirrt, gib’s doch zu, Zac“, meinte ich und schwang meine Beine aus dem Bett. Eigentlich wollte ich nicht duschen, denn das köstliche Gefühl der vergangenen Nacht klebte noch auf meinem Körper. Ihr Geruch, ihr Parfum umschwebte mich. Nicht nur ich roch nach ihr, sondern auch meine Bettwäsche und die Möbel in meiner Wohnung, auf denen ihre Kleidung gelegen hatte. Mein Geruchssinn war immer empfindlicher gewesen als der normaler Menschen. Seit ich meine Umwandlung hinter mir hatte, nahm mein Riechorgan fast Stalker-Eigenschaften an. Langsam stand ich auf und ging die zwei Treppenstufen meines Bettpodests hinab, an der Couch-Senke vorbei auf das Badezimmer zu. Als ich die Tür öffnete, schlug mir auch hier ihr Geruch entgegen. Ich stöhnte. Das Erste, was ich deshalb machte, war das Fenster zu öffnen. Wenn ich zu lange in einem Raum mit ihrem Geruch verbrachte, würde ich mich womöglich noch unsterblich in sie verlieben, weil ich ständig an sie erinnert wurde und ständig an sie denken musste. Ich ging auf die Dusche zu, stellte sie an und mich darunter. Hinfort mit all ihren Gerüchen und Eindrücken! Nachdem ich geduscht hatte, zog ich mir eine Schlabberhose an und putzte mir die Zähne. Dann räumte ich meine Kleidung vom Vorabend weg, eigentlich bedeutete das lediglich, dass ich sie in den Wäschekorb verfrachtete. Erst dann wanderte ich hinüber zum Kühlschrank und nahm den Milchkarton aus der Tür. Während ich aus der Papiertülle trank, klingelte mein Handy und ich spitzte die Ohren. Wo hatte ich das Gerät bloß hingelegt? Als das Klingelzeichen wiederholt wurde, hörte ich den Vibrationsalarm und wusste sofort, wo es war. Es lag nicht weit von mir entfernt auf einem der Barhocker an der Küchenanrichte. Ich ging dorthin und nahm es in die Hand. Mein Daumen schnipste geistesabwesend das Klapphandy auf und ich sah, wer mich anrief. Grace. Von all den Leuten, die ich heute vermeiden wollte. Ich nahm trotzdem ab und grüßte: „Hey, Grace. What’s up?“ „Hey, Zac. Die Frage werfe ich gleich mal zurück!“, frohlockte sie am anderen Ende des Hörers. Natürlich war Grace gleich Feuer und Flamme. Sie hatte mich schon seit einigen Monaten geplagt, dass ich mir eine Freundin anschaffen sollte. Als sie mich nun gestern Abend zusammen mit Ruby gesehen hatte, war ihr Spaß ihr bereits übergegangen. Ich seufzte. Wie sollte ich ihr das alles bloß erklären? „Nicht viel“, gab ich wahrheitsgemäß zurück. Sollte sie doch alles erfahren. Grace grunzte und fragte: „Was? Was ist denn da los? Gib mir die Story, Kumpel.“ „Schön, wir hatten heißen Sex und als ich heute Morgen aufgewacht bin, war sie weg. Das war’s“, versuchte ich es so nüchtern darzustellen wie möglich. Sie sollte nicht denken, dass da mehr als ein billiger One-Night-Stand gelaufen war. Sie schnaubte. „Ruby war weg?! Einfach so?! Schwupp?!“ „Ja“, erwiderte ich genervt und rollte mit den Augen. Sie konnte diese Bewegung nicht sehen, wusste aber anhand meines Tonfalls schon, was ich gerade getan hatte. „War’s so grottig oder wie soll ich das jetzt verstehen?“ „Keine Ahnung. Ich bin nicht Ruby“, antwortete ich lediglich, nahm den Milchkarton wieder an den Mund und trank weiter. Innerlich krümmte ich mich aber ob ihres Kommentars. „Komm schon, Zac. Die Frauen, die du bis jetzt hattest, waren im Siebten Himmel, sobald du sie nur angefasst hast. Was ist mit diesem Weib los?“, empörte sie sich an meiner statt. „Ich weiß es nicht, ehrlich nicht. Gestern Nacht schien’s ihr noch zu gefallen. Ich war genauso überrascht wie du, dass sie heute Morgen nicht mehr da war.“ „Ach, scheiße, Mann! Dabei war sie so toll!“, fluchte Grace enttäuscht und ich grinste. Sie war meine beste Freundin und zeigte mehr meiner Gefühle, als ich es normalerweise tat. Manchmal sprach sie mir aus der Seele. Ich zuckte mit den Schultern, um mich locker zu machen und meinte: „Ja, sie war so toll, dass selbst ich mich versucht gefühlt habe.“ „Scheiße, man hat’s im Leben auch nicht leicht als Vampir!“ „Sch, sprich das V-Wort nicht aus, wenn wir nicht unter uns sind! Ich mag es nicht, du weißt das. Wer weiß, ob-“ „Ob jemand dein oder mein Handy abhört, ja, ja, ich weiß schon! Ist mir nur so herausgerutscht, Kumpel“, entschuldigte sie sich. Grace hatte Recht, ich war ein Vampir. Sie war auch Einer. Oder wohl eher Eine. Wir Beide hatten keine Wahl gehabt zwischen einem menschlichen und einem vampirischen Leben: Man wurde als Mensch oder als Vampir geboren. Ein Vampir konnte aber auch durch ein bestimmtes schwarzmagisches Ritual einen Vampir aus einem Menschen erschaffen, nur der so geschaffene war meistens den Menschen näher als seiner neuen Rasse. Grace und ich waren geborene Vampire: Sie war die Tochter des Fürsten von Emerald Hills, ich der Sohn des ehemaligen Fürsten von Haifa – Haifa war meine Heimatstadt. Sie lag im Nordwesten Israels. Nach dem Tod meiner Mutter war mein amerikanischer Vater mit meiner Schwester und mir in die USA zurückgekehrt, um uns vor den Attentätern zu schützen, die auch für das frühzeitige Verscheiden meiner Mutter verantwortlich gewesen waren. Der neue Fürst von Haifa hatte sie uns hinterhergeschickt. Um weniger Aufmerksamkeit auf unsere Familie zu lenken, heiratete meine Zwillingsschwester den Sohn des Fürsten von New York City, sie hieß jetzt Yael Mizrahi und mein Vater wurde Börsenmakler an der Wall Street, nur um in ihrer Nähe zu bleiben. Mich ließ er hier bei meinem Großvater, der sich jetzt irgendwo in Florida am Strand sonnte – und ja, er war auch ein Vampir und ja, er sonnte sich, ohne zu verbrennen. Wir Vampire konnten im Sonnenlicht herumrennen, ohne Schaden zu nehmen; Menschen konnten ja auch nachts umherstreifen, ohne vom Mond zu Asche verbrannt zu werden, oder? Warum konnten wir Nachtwesen dann den Legenden nach nicht auch tagsüber picknicken? Menschliche Logik und dummer Aberglaube! „Man hat’s trotzdem nicht leicht! Du bist so heiß, dass alle, die auf dich stehen, nach einiger Zeit genug von dir haben: Vampirinnen haben neben dir Minderwertigkeitskomplexe und Menschen fürchten sich in ihrem tiefsten Inneren vor dir, wahrscheinlich weil sie merken, dass du anders bist als sie. Zu perfekt. Deshalb hast du nie längere Beziehungen.“ „Danke, dass du mir das vorhältst. Als wüsste ich das nicht selbst!“, gab ich trocken zurück. Damit hatte Grace mich jetzt wirklich getroffen. Ich wusste, dass sie nur die Wahrheit sagte, aber trotzdem tat es weh, dass ich jedes Mal mitansehen musste, wie mich jemand verließ, nur weil ich den Leuten ZU schön war. Ich seufzte. War das womöglich auch der Grund, warum Ruby verschwunden war? „Glaubst du …?“ Grace ließ ihre Vermutung unausgesprochen, doch ich wusste, dass sie das gleiche gedacht hatte wie ich. „Sie wirkte nicht so, als hätte sie vor uns beiden Angst. Sie hatte absolut gar kein Problem damit, als ich sie berührt habe: Keine Symptome wie Gänsehaut und unregelmäßige Herzschläge oder stockender Atem. Und nein, sie ist auch nicht in Ohnmacht gefallen! Da war nur das typische Schwärmen oder Herzklopfen, glaub mir.“ „Bist du sicher, dass sie ein Mensch ist?“, erstaunte sich Grace. Ich schnaubte. „Du hast sie doch auch gerochen, Grace. Ja, sie ist ein Mensch.“ „Ich hab sie gerochen, aber irgendwie habe ich auch gedacht, dass sie vielleicht durch Parfum oder so ihren natürlichen Vampir-Duft verborgen hat.“ „Das kann nicht sein, ich war ihr wirklich nah genug, um das herauszufinden. Sie war eindeutig ein Mensch! Ein sehr gut riechender Mensch, das gebe ich zu, aber sicherlich kein Vampir.“ „Wahrscheinlich hast du Recht, anderenfalls könntest du ja jetzt nicht mehr zaubern, nicht wahr?“, lachte sie und ich lachte mit. Grace dachte an Dinge, an die ich selbst nicht dachte! Als Blutlinien-Bewahrer, also Erbe einer Familie, besaß ich wie jeder gleichgestellte männliche Vampir Zauberkräfte. Ich konnte beispielsweise Dinge schweben lassen und noch vieles mehr. Das konnten aber wirklich nur die Erben einer sehr alten und mächtigen Familie, einer Familie, deren Oberhaupt im Vampir-Rat saß. Ich gehörte dazu. Da ich der einzige männliche Nachkomme meines Vaters war, besaß ich nun die Familienmagie. Daher musste ich verdammt aufpassen: War ich unachtsam, konnte es vorkommen, dass ich mein Legat übertrug. Aber das würde auch nur passieren, wenn ich Sex mit einer Vampirin hatte, egal ob geschützt oder nicht. Diese Frau musste dann meine Ehefrau werden, weil sie mein Familienerbe besaß: Sie konnte es schließlich beim Sex mit einem anderen Vampir an diesen weitergeben und das magische Erbe war für unsere Familie verloren! Um das Erbe zu bewahren, musste ich mit der Frau, die mein Legat übertragen bekommen hatte, einen Sohn zeugen, der die Magie dann von ihr übertragen bekam. Warum es nicht ging, dass ich einfach noch einmal mit ihr Sex hatte und sie mir das Legat zurückübertrug? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es nicht klappte. Ich klemmte das Telefon zwischen Schulter und Ohr ein, legte den Milchkarton wieder an meine Lippen und schnipste mit dem Zeigefinger Richtung Kühlschranktür. Es war ganz normal für mich, dass dann meine Frühstückseier herausgeschossen kamen und sich in die bereitgestellte Pfanne schmissen. Als aber dieses Mal nichts geschah, begann mein Herz wie wild zu rasen. Ich runzelte die Stirn und probierte es noch einmal. Wieder passierte nichts und ich wusste mit Bestimmtheit, dass auch beim dritten Mal kein Spiegelei hervorkam. Dennoch versuchte ich es noch ganze viermal, bevor ich entsetzt die Luft einsog. „Was hast du, Zac?“, fragte Grace am anderen Ende des Hörers. Sie war ja auch noch da! Mein Herz schlug mir aus dem Hals heraus, als ich ihr mit zittriger Stimme berichtete: „Es passiert nichts!“ „Was passiert nicht? Rede mal Klartext, Kumpel“, sagte sie, doch in ihrer Stimme hörte ich bereits das Grauen. Haspelnd erklärte ich es ihr noch einmal, vollkommen in Panik geraten: „Scheiße, Grace! Ich habe keine Magie mehr! Es funktioniert nicht mehr! Ich kann nicht mehr zaubern!“ Meine Stimme war gegen Ende hin immer höher geworden und es fiel mir schwer, die Endungen der Wörter vor Hast nicht zu überschlagen. Mein Großvater würde mich umbringen! Schlimmer noch: Mein Vater würde aus New York City zurückkommen, um mir persönlich einen seiner Vorträge zu halten. „Scheiße! Hast du mit irgendwem sonst in letzter Zeit Sex gehabt?!“, schrie sie mit ebenso panischer Stimme durch den Hörer, doch sie wusste genauso wie ich, dass in meinem Liebesleben in letzter Zeit mehr als nur Flaute geherrscht hatte. „Gestern Abend hat’s noch funktioniert, Grace. Es kann nur Ruby gewesen sein“, murmelte ich, innerlich aber überhaupt nicht ruhig. „Ich hab dir gesagt, sie war eine Vampirin!“, klagte sie mich an, doch ich wollte es nicht wahrhaben. „Erzähl keinen Unsinn, Grace! Das ist vollkommener Quatsch! Ruby war völlig menschlich! Ich hatte doch mit ihr Sex, Weib! Ich muss es doch wissen! Sie roch nicht nur wegen eines dummen Parfums nach Mensch oder weil sie mit ein paar Menschen zusammen war!“ „Wie kann es dann sein, wenn du dir so sicher bist, dass sie kein Vampir war, dass du jetzt nicht mehr zaubern kannst?“, warf sie mir vor und ich wusste keine Antwort darauf. Grace hatte Recht. Niemand anderes außer Ruby konnte mir meine Magie gestohlen haben. Selbst wenn ich in der Vergangenheit einmal krank gewesen war, hatte ich immer noch zaubern können. Das Legat verschwand nur, wenn ich es übertrug. Und das hatte ich. Auf einen Menschen. „Ich habe keine Ahnung! Grace, ehrlich! Ich habe ein wenig von ihrem Blut getrunken, nicht genug dass man es ihr anmerken würde, doch genug um zu wissen, dass sie menschlich ist. Und nein, es sind keine Narben zurückgeblieben!“ „Du hast dein Legat auf einen Menschen übertragen?!“, hauchte sie ungläubig und mein Herz setzte vor Panik aus. Scheiße, alles bloß das nicht! Wie sollte das möglich sein? „Geht das überhaupt?“, fragte ich hoffnungsvoll. Vielleicht hatte ich das Legat ja doch nicht verloren und konnte meine Magie bloß nicht erreichen, weil ich so aufgeregt war. „Was fragst du mich? Ich bin eine Frau, ich hab doch keine Ahnung von euren Männergeschichten. Ich würde das Mädchen noch einmal überprüfen, wenn ich du wäre“, schlug sie mir vor und ich nickte, bevor ich bemerkte, dass sie das ja nicht sehen konnte, also sagte ich: „Das werde ich wohl oder übel tun müssen. Hast du ihre Nummer oder so etwas?“ „Ich dachte, du hättest sie … Ach, scheiße. Hat sie auch das nicht da gelassen?“ „Nein, auch das hat sie nicht“, meinte ich bloß und fühlte mich noch mieser als vorher. Das war das eindeutigste Zeichen, das eine Frau einem Mann nach einem One-Night-Stand geben konnte: Keine Nummer oder Adresse oder so, keine Lust auf ein Wiedersehen. Dann hatte ich mich auch noch von meinem Legat getrennt und es ihr übergeben. Schlimmer geht’s nimmer! „Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass sie tatsächlich eine Vampirin ist, denn anders scheint mir die Übertragung deines Legats nicht plausibel, dann wusste sie entweder, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass du ihr Magie überträgst oder sie hatte keine Ahnung, wer du bist.“ „Ich tippe auf Letzteres“, half ich ihr auf die Sprünge. Grace stimmte mir zu: „Sie kannte uns nicht. Und dich sehr eindeutig auch nicht. Also konnte sie auch zwangsgebunden nicht wissen, dass du die Möglichkeit hast, ihr ein Legat zu übertragen.“ „Korrekt.“ „Also hat sie jetzt unwissend ein Bluterbe übertragen bekommen? Glaubst du, sie weiß, wie sie damit umgehen soll oder was das für sie bedeutet oder was sie in eurer Familie damit angerichtet hat?“, fragte Grace jetzt nachdenklich. Eigentlich wollte ich mich nicht damit beschäftigen, sondern Ruby einfach nur suchen gehen. Ich musste ihr den Schlamassel erklären und irgendwie das Legat meiner Familie retten! Ich konnte erst ruhen, wenn ich sie gefunden hatte und mein Bluterbe in Sicherheit wusste – das verlangte meine Familienehre. Aber, scheiße, ich war erst achtzehn Jahre alt! So früh schon Vater zu werden, wäre der Horror für mich. Deswegen grunzte ich nur zur Antwort. „Scheiße, Zac, hör mir doch mal zu!“, schnauzte sie mich an und ich zuckte zusammen. „Was denn?!“ „Stell dir vor, sie weiß vielleicht gar nicht, dass sie eine Vampirin ist und hat jetzt das Legat einer uralten Familie mitbekommen! Jeder Vampir im Umkreis von einer Meile wird ihre Magie riechen können, Zac! Das Mädchen ist in Lebensgefahr!“, kreischte Grace jetzt und rüttelte mich dadurch wach. „Bist du sicher, dass man nicht bemerken kann, dass man ein Vampir ist?!“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch sie ließ sich nicht. „Zac, es gibt tausende dieser Geschichten! Wenn sie nur zur Hälfte ein Vampir ist, wird sie ihre Wandlung später durchmachen als andere Vampire! Vielleicht riecht sie deshalb noch nach Mensch!“ Mir dämmerte es langsam. Wenn Ruby zur Hälfte ein Vampir war, dann war es logisch, warum ich ihr mein Legat hatte übertragen können, obwohl ich sehr vorsichtig gewesen war. Das erklärte auch, warum sie nach Mensch roch! Sie war ja zur Hälfte ein Mensch! Erst nach ihrer später einsetzenden Umwandlung würde sie riechen wie ein Vampir. Grace hatte mal wieder in allen Punkten Recht: Man konnte einem weiblichen Vampir anriechen, ob sie eine Legatshüterin war und jeder Vampir würde versuchen, sie zu besteigen, um an die Magie heranzukommen. Einige Vampire konnten ziemlich ruppig werden, wenn man ihnen nicht gab, was sie wollten. Und wenn ich noch ein wenig weiter nachdachte, dann war Ruby wirklich in Gefahr, weil sie dank meines Legats nach meiner Familie roch. Hieß das nicht auch zwangsweise, dass man sie für eine von uns erklären und wie meine Mutter umbringen würde? Ich musste verhindern, dass einer der Attentäter auf ihre Spur kam. Gleichzeitig fragte ich mich, ob es vielleicht auch sein könnte, dass mein Legat sie rettete. Der neue Fürst von Haifa könnte sich durch meinen Fehler ganz einfach das Legat meiner Ahnen schnappen, indem er Ruby zum Sex zwang! Das würde dann das Ende meiner Familie als eine der mächtigsten Familien des Vampir-Rates sein! Wer auch immer mein Legat in die Hände bekam, würde der neue, aber rechtmäßige Erbe des Fürstentums sein! „Wenn ich sie nicht schnell finde, ist mein Bluterbe weg und Ruby vielleicht sogar tot!“, realisierte ich und Grace stöhnte. „Ich werde dir suchen helfen! Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Legat-Jäger hinter ihr her sein werden, oder? Sie werden sie finden! Sie haben ihre Leute überall, Zac!“ „Scheiße, erinnerst du dich an irgendwelche Fakten? Irgendetwas, was sie dir erzählt hat?“ Er wusste bloß, dass sie Ruby Valentine hieß. Erinnere dich, Zac! Komm schon! Streng dich an! „Wie wär’s mit: Sie geht auf die Columbus Senior High School?!“, schlug Grace vor und ich jauchzte fast. Das war ein gewaltiger Sprung! An der Columbus gab es sicherlich nur eine Ruby Valentine! „Glaubst du, wir können so ohne weiteres auf die Schule wechseln?“, fragte ich, doch Grace schnaubte. „Und ihren Bodyguard spielen? Das geht nicht! Kein Mädchen würde es lange aushalten, unter irgendeiner Kontrolle zu stehen. Sie würde abhauen! Du weißt, wie gefährlich das ist. Und außerdem hat sie dich sitzen lassen, wenn du jetzt vor ihr auftauchst, wird sie wirklich total begeistert sein.“ „Das spielt doch keine Rolle! Wenn wir ihr erklären, was Sache ist, dann –“ „Dann wird sie uns kein einziges Wort glauben!“, unterbrach mich Grace und ich wusste, sie sprach die Wahrheit. „Dann zeigen wir ihr halt einfach, dass es stimmt!“, trotzte ich ihr. Sie stöhnte. „Was willst du ihr zeigen? Lange Eckzähne? Gibt’s in jedem Halloween-Kostümladen! Klasse, super! Echt überzeugend!“ „Na, bitte, dann eben nicht. Schlag du doch was vor!“ „Geht nicht, wir Vampire sind nicht so toll, wie die Legenden alle sagen. Wir sind genauso warm von der Körpertemperatur her wie Menschen, wir essen wie Menschen, wir können in der Sonne leben wie Menschen … Knoblauch, Weihwasser und Kreuze tun uns nichts an!“ „Wir sind auch nicht schneller als Menschen“, führte ich eine weitere schlechte Option auf. Grace grunzte und meinte: „Wir müssen einmal in einem Monat ein kleines bisschen trinken, mehr auch nicht. Du hast das gestern erledigt, ich vorgestern. Das können wir ihr auch nicht zeigen, sonst platzen wir vor Bluthochdruck!“ „Der Spaß mit Verwandlung in eine Fledermaus und Schlaf in Särgen klappt wohl auch nicht“, murrte ich durch den Hörer und ich hörte Grace trocken auflachen. „Also, was gibt’s noch?“ „Wir sind auch keine Leichen! Blut haben wir und einen Herzschlag auch“, murmelte Grace und ich musste ein Lachen unterdrücken. Unsere Situation war nicht witzig! Doch allein daran zu denken, dass Menschen glaubten, Vampire seien gestorben, um so zu sein, wie sie sind, war lachhaft! Wir gehörten bloß einer anderen Rasse an, die ebenso wie die Menschen Kinder bekommen konnten! Und würde man einem Vampir einen Pflock einrammen oder eine silberne Kugel in den Leib schießen, dann würde er sterben, wenn es ein Ort war, der lebenswichtige Organe (oder ähnliches) enthielt. Aber Menschen würden bei so etwas auch sterben! „Wir können auch nicht fliegen“, stellte Grace nach einer längeren Zeit fest und ich bejahte. Seit letzter Nacht konnte ich das auch nicht mehr, wobei mein Fliegen wohl eher Schweben gewesen war. „Wir sind auch keine von den Erbsünden der Mutter befallenen Wesen oder haben irgendwelche Anomalien in unserem Körperbau“, fügte ich irgendwann hinzu und überlegte weiter, was Ruby davon überzeugen konnte, Grace und mir zu glauben, sollten wir ihr unsere verrückten Umstände erklären. „Ich kann keine Wände hochgehen und bin auch nicht bleich. Ich sehe schließlich komplett aus wie ein Mensch! Ich bin vielleicht ein wenig attraktiver oder schöner als ein normales Menschenmädchen, aber mehr bin ich auch nicht“, seufzte Grace und ich wusste, dass sie wirklich nicht mehr viel mehr als das wusste. Auch ich hatte Mühe, mir noch mehr angeschriebene Eigenschaften zu überlegen, die wir vielleicht doch besaßen. Schließlich hörte ich Grace kichern und fragte: „Was hast du?“ Sie antwortete, nachdem sie noch eine Weile vor sich hin gelacht hatte. „Sorry, aber ich lese gerade im Internet über uns: Als wesentliches Merkmal wird dem Vampir Unsterblichkeit zugeschrieben, die – kombiniert mit seiner in der Regel übermenschlichen Körperkraft und dem Bluthunger – einen großen Teil des Schreckens des Vampirmythos ausmacht. Darüber hinaus wird Vampiren ein ausgeprägter Sexualtrieb zugesprochen. Vampire sollen eine starke Anziehungskraft auf das von ihnen gewählte Geschlecht ausüben und Verführungskünstler sein. Kenne ich das nicht irgendwoher?“ „Das ist SO nicht witzig, Grace! Ich mag zwar schon eine ganze Menge Frauen „verspeist“ haben und die Frauen finden mich durchaus attraktiv, aber ein richtiger Verführer bin ich nicht! Die Unsterblichkeit kann ich Ruby nicht beweisen!“ „Sorry, sorry! Du hast Recht. Wir Vampire werden in der gleichen Zeitspanne alt wie die Menschen, wenn wir dann ganz viel Blut trinken, können wir uns bis auf den Tag verjüngen, an dem wir unsere Wandlung durchstanden haben“, überlegte Grace. Es stimmte. Das war unsere Unsterblichkeit. Wir konnten uns so jung machen, wie möglich und dann alt werden. Kurz vor unserem Tod machten wir uns dann wieder jung und entkamen so dem Grab. Es war ein immer wiederkehrender Prozess der Verjüngung. Unsere „Opfer“ würden aber nie Vampire werden, wenn wir ihnen nicht mit einem magischen Ritual auf die Sprünge halfen. Kaum ein Vampir besaß magische Kräfte, also gab es dementsprechend nur wenige Geschaffene. „Wie ist es mit fließendem Gewässer?“, schlug Grace vor und ich schnaubte. „Ich habe erst heute Morgen geduscht, also kann ich fließende Gewässer durchaus überqueren und habe auch keinerlei Angst vor Wasser. Ein Spiegelbild habe ich übrigens auch!“ „AH! Ich hab was!“, rief Grace durch den Hörer und ich musste ihn kurzzeitig etwas weiter von meinem Ohr wegnehmen. Mein Trommelfell klingelte, aber mein Herz raste. Endlich hatten wir etwas gefunden! „Was?“, fragte ich hastig und Grace sagte: „Einfacher als alles andere, so einfach, dass es uns voll entgangen ist, Kumpel. Der Heilungsprozess ist bei uns schneller, schon vergessen?“ „Toll, das beweist, dass wir ein bisschen anders sind, aber dass wir Vampire sind können wir ihr nicht beweisen!“, maulte ich enttäuscht zurück und Grace schnaubte. „Zeig ihr deine Eckzähne hinterher und sie wird’s dir mit Sicherheit glauben“, schlug sie mir vor. Ich grinste, während mein Blick auf die Uhr über der Spüle wanderte. Es war elf Uhr morgens, wenn ich mich ein wenig in der Stadt herumtrieb, würde ich vielleicht noch einmal auf sie treffen. Also sagte ich zu meiner Freundin: „Wir treffen uns heute Abend im „Heels“. Sollte sie da nicht sein, müssen wir halt jeden einzelnen Schuppen in diesem Kaff absuchen!“ „Na, klar! Vergiss aber nicht deine menschliche Maske! Die Hausaufgaben über einem Mädchen zu vergessen, ist gar nicht cool, Zac!“, kicherte sie und wir verabschiedeten uns. Als ich auflegte, seufzte ich. Der Tag würde als der mieseste Tag meiner Familiengeschichte in unser Familienbuch eingehen, aber ich hatte einen verfluchten Grund, einem heißen Mädchen hinterherzurennen und irgendwie empfand ich diese Tatsache als echt motivierend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)