Ruby Road von Ling-Chang (Legacy of the Vampire) ================================================================================ Kapitel 1: The morning after ---------------------------- Ich öffnete verschlafen meine Augen. Eigentlich hatte ich nicht aufwachen wollen, doch ein gemeiner kleiner Sonnenstrahl war auf mein Gesicht gefallen und hatte mich aus meinem wohligen Dämmerzustand geweckt. Blinzelnd hob ich die Hand vor meine Augen, um wenigstens ein wenig von meiner Umgebung in mich aufzusaugen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Das hier war eindeutig nicht mein Zimmer. Dem Bett gegenüber stand eine schwarze Designer-Kommode, über der an der Wand ein Stillleben einer Obstschale hing. Von links drang das Sonnenlicht in das Zimmer und ich bemerkte, dass man aus diesen wundervoll großen Fenstern in den roten Morgenhimmel von Emerald Hills schauen konnte. In dieser Nische standen sonst nur noch das riesige Bett ohne Gestell und der Wecker auf dem zylinderförmigen, schwarzen Nachtschränkchen. Als ich mich nach rechts wandte, um diesen fremdartigen Raum neugierig in Augenschein zu nehmen, wäre ich beinahe zurückgezuckt. Neben mir lag ein nackter junger Mann, nicht viel älter als ich – und er war brandheiß. Sein Name fiel mir nicht mehr ein, aber ich wusste sehr genau, was ich gestern Nacht alles mit ihm gemacht hatte. An Schlaf war dabei nicht zu denken gewesen. Innerlich stöhnte ich. Was hatte ich bloß getan?! Ich war also tatsächlich mit einem Wildfremden ins Bett gestiegen und hatte den heftigsten und besten Sex gehabt, hatte mich zudem auch noch entjungfern lassen und das alles nicht von meinem eigentlichen Freund! Jack würde mich umbringen, wenn das herauskam. Ich war fremdgegangen! Einfach so! Zack! Und nicht nur einmal, sondern gleich die ganze Nacht über mehrmals! Es konnte erst eine Stunde her sein, dass wir aufgehört hatten, uns wie wild zu verschlingen. „Oh, Ruby, was hast du bloß getan?“, stöhnte ich leise vor mich hin, während ich mich ganz langsam und vorsichtig aus dem Bett schälte. Es war 07:03h am Samstag, also hatte ich nichts verpasst und meine Mom war eh nie überrascht, wenn ich einmal nicht nach Hause kam. Ich würde also auch keinen Ärger bekommen. Dennoch schämte ich mich fürchterlich: Ich war meinem Freund fremdgegangen! Dabei hatte ich selbst immer über Pops geschimpft, als er neben meiner Mom noch andere Frauen in sein Bett einlud. Und jetzt tat ich es ihm gleich! Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm oder wie hieß dieses dämliche Sprichwort? Das Bett bewegte sich kaum, als ich mich endlich davon erhob. Auch der junge Mann war nicht erwacht. Dennoch hielt ich inne, um ihn zu betrachten. Es konnte kein anderes Wort für ihn geben als „rattenscharf“ – Zumindest hätte Shine aus meiner Clique das jetzt so gesagt. Der Typ war das heißeste Eisen, dass es je in Emerald Hills gegeben hatte und peinlicherweise auch geben wird, denn die 35.000 Seelen Gemeinschaft war nicht gerade der Treffpunkt für angesagte Schönheiten. Sein braunes, mittellanges Haar fiel ihm locker ins Gesicht, seine leicht gebräunte Haut strahlte gesund und die Muskeln traten deutlich definiert durch die Haut – nein, er war kein Bodybuilder oder einer dieser „Pumpatzen“, wie man sie so schön nannte. Das sah man ihm an, denn er strotzte nicht vor Muskeln. Doch sie waren da und ließen ihn noch gesünder wirken. Die schwarze Seidenbettwäsche tat ihm einen Gefallen: Sie rutschte, während er sich im Schlaf bewegte, äußerst unkeusch von seinem Körper und gab den Blick auf eine sündige Stelle frei, die ich letzte Nacht nur zu gut kennengelernt hatte. Mein Gott, hätte ich die Chance, ich würde gleich dort weitermachen wollen, wo wir vor einer Stunde aufgehört hatten! Der junge Mann war ja so was von sexy! Mühsam wandte ich meine vergötternden Augen von der nackten Hüfte des namenlosen Typens und sah an mir hinab: Auch ich war, zugegeben nicht unerwartet, nackt. Erleichtert stellte ich fest, dass die Entscheidung vom Vortag, mich gründlich zu rasieren, eine gute gewesen war. Dann musste ich mich plötzlich zusammenreißen, um nicht verärgert aufzuschreien. Scheiße, der Arsch hat mir einen Knutschfleck auf den Bauch gemacht! Wenn Jack das sieht, ist’s aus und vorbei mit mir! Durch diese Erkenntnis wachgerüttelt, riss ich mich vom nackten Anblick meiner Affäre los und sah mich suchend um. Ich fand meinen bordeauxroten Slip mit schwarzen Rüschen vor der Bettseite, die zum Wohnzimmer hinzeigte: Seiner Bettseite. Also schlich ich mich leise, langsam und vorsichtig an das Bett heran, angelte nach dem String und hastete zwei, drei Schritte weg, um ihn mir dort schnellstens überzuziehen. Währenddessen ließ ich meinen Kopf rotierend nach meinem BH Ausschau halten und atmete erleichtert auf, als ich ihn auf der Armlehne der weißen Couch, die mit dem Rücken zum Bett circa zwei Meter vom Schlafzimmerpodest entfernt stand, entdeckte. Er hatte die gleiche Farbe und Verzierung, daher hob er sich deutlich von seinem Untergrund ab. Beinahe glücklich zog ich auch diesen leise an – ich wollte ja nicht, dass der junge Mann gerade jetzt wach wurde und meine Flucht empört verhinderte. Jetzt, da ich nicht mehr nackt war, beeilte ich mich mit der Suche und fand mein „kleines Schwarzes“ über einen der weißen Sessel der Sitzecke geworfen. Hastig zog ich es mir über, klaubte dann meine schwarzen High Heels von den zwei Stufen, die hinab in diese Sitzecke führten. Ich wagte nicht, sie hier anzuziehen, da in der Wohnung dieses Wildfremden Parkett verlegt worden war und ihm das Klicken meiner Hacken alles andere als Schlaflieder vorsingen würde, also nahm ich sie an den Riemchen und griff nach meiner achtlos auf die Anrichte der Küche geworfenen schwarzen Clutch. Ich überprüfte erst deren Inhalt, immerhin wollte ich ihm keine Beweise meiner Existenz hinterlassen und atmete erleichtert aus, als alles darin war, das ich auch eingesteckt hatte: Identifikationskarte, Nahverkehr-Ticket, Geld, Make-Up, Handy und der Haustürschlüssel zu der Wohnung meiner Familie. Noch einmal warf ich einen zögerlichen Blick in den Raum. Zwischen den weißen Couches stand ein schwarzer Couchtisch und all diese Möbel vergruben ihre Füße in einem weiß-beigen Fusselteppich, der sehr gepflegt und sauber aussah. Unterhalb eines Fensters an der Wand der Bettkopfseite befand sich ungefähr auf Höhe der Sitzecke noch eine schwarze Kommode. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine Tür in die Wand eingelassen: Soweit ich das wusste, sollte dort ein Badezimmer sein. Mein verschwommenes Gedächtnis riet mir davon ab, es zu besuchen, denn der pompöse goldene Luxus, der mich dort vergangene Nacht geblendet hatte, hätte mich auch beinahe abgeturnt. Vielleicht hätte ich doch einige Minuten darin verbringen sollen, damit mein Körper und Kopf sich abgekühlt hätten und der Entschluss gefasst wäre, dass ich die Geschehnisse womöglich hinterher bereuen würde. Doch in meiner jugendlichen Leidenschaft hatte ich mich nicht lange dort aufgehalten, um mich frisch zu machen und war schleunigst meinem Verführer zurück in die Arme gehüpft. Jetzt waren meine Jungfräulichkeit und auch meine Beziehung zu Jack hin. Wobei Letzteres aus meiner Sicht eh schon kaputt gewesen war und das von Anfang an. Er hatte um eine Chance mit mir gebettelt, ich hatte mich dummerweise von meinen Freundinnen überreden lassen und steckte nun mit diesem Versager fest, den ich nicht wirklich leiden konnte. Nach nur einem Tag zusammen hatte er bereits Sex gewollt, was für meine Ohren ein unvorstellbarer Frevel gewesen war. Ich kannte den Kerl kaum und mochte ihn noch nicht einmal sehr – mit ihm zusammen war ich nur, weil er gut aussah, Geld hatte und ein teures Auto fuhr. Das konnte man auch missverstehen, also rückte ich diese Aussage noch etwas zurecht: Das waren seine einzigen guten Punkte, für die ein Mädchen ihn je zum Freund nehmen würde. Sein Charakter war abscheulich. Wahrscheinlich war ich ihm deshalb fremdgegangen. Es tat in gewisser Weise gut, diesen heimlichen Racheplan ausgeführt zu haben, selbst wenn ich es jetzt bereute, dafür meine Unschuld eingebüßt zu haben. „Mach schon, Ruby, geh endlich!“, forderte ich mich auf und drehte mich zur Tür um. Links daneben rahmte die rechteckige Anrichte die schwarz-weiße Designer-Küche ein. An der rechten Wand befand sich ein Raum, der wohl das Schlafzimmer seines nie anwesenden Vaters sein musste. Der Mann schuftete sich irgendwo in New York den Hintern ab und hatte seinen Sohn hier in Emerald Hills zurück gelassen, soweit ich das wusste. Seltsam nur, dass dieser dann auch hier geblieben war, wenn er die Chance auf New York City hatte! Tja, Geschmäcker sind verschieden. Leise tapste ich über die Parkett-Dielen zur Haustür, fand sie glücklicherweise unverschlossen vor und schlüpfte hinaus. Dann eilte ich das Treppenhaus hinab auf die Eingangstür zu. Ich hatte sie gerade erreicht, da blitzte ein Gedanke durch meinen Kopf: Kannst du deine Schuhe überhaupt so nah an seinen Fenstern wieder anziehen? Die sind so laut! Also lief ich barfuß den gepflegten Fußweg des Bonzen-Wohnblocks entlang und konnte mich erst nach der zweiten Ecke davon überzeugen, dass die High Heels nun zum Einsatz kommen durften. Ängstlich beeilte ich mich mit dem Anziehen, der Verfolgungswahn hatte mich gepackt. Hatte er mein Verschwinden schon bemerkt? Ich sprang an der vierten Ecke in den Bus, der zufällig gerade vorbeikam und fuhr mit ihm acht Minuten lang ins Zentrum von Emerald Hills, von dem aus ich noch einmal zehn Minuten zu Fuß nach Hause laufen musste. Während der Fahrt zog meine Schule, die Columbus Senior High School, an mir vorbei, aber auch die deutlich teurere Privatschule, Oak Tree Senior High School. So wie der Schuppen dieses jungen Mannes ausgesehen hatte, war der sicherlich an erster Stelle auf der Schülerliste. So viel Luxus und Reichtum hatte ich noch nie gesehen! Erst jetzt sank diese Tatsache ein wenig ein, doch ich ließ mich nicht von ihr ertränken. Ich würde ihn nie wieder sehen und wenn doch, dann sicherlich nicht mit ihm sprechen oder ihm irgendwie zeigen, dass mir diese Nacht viel bedeutet hätte. Allein der Gedanke an den Sex ließ mich die Luft anhalten. Ich hatte mich nie so leidenschaftlich gefühlt – oder so geliebt –, wie in den Armen dieses Mannes, nur leider befand ich mich in einer Beziehung und er war jemand, den ich um ehrlich zu sein erst seit genau sechs Stunden und fünfundvierzig Minuten kannte. Dass seine Berührungen mir Schauer über den Rücken gejagt hatten und seine Küsse wie Feuer gewesen waren, konnte ich nicht abstreiten. Niemals hätte ich mich jemandem hingegeben, dem ich nicht vertraute und er hatte etwas an sich gehabt, dem ich sofort vertraut hatte. „Das erste Mal tut weh wie Arsch“, hatte Jasmine behauptet, eine weitere meiner Freundinnen. Dass sie mir dadurch nur noch mehr Angst davor eingejagt hatte, wusste sie natürlich nicht. Aber diese Aussage war einer der Gründe gewesen, warum ich Jack nicht an mich herangelassen hatte. Selbst nach knapp acht Monaten. Seine sexuelle Unzufriedenheit machte ihn launisch und aggressiv, aber er wollte mir treu bleiben. Nur war er – wie übrigens jeder andere auch an meiner Schule – der absoluten Meinung, ich sei schon ewig lange keine Jungfrau mehr. Nein, ich hatte nicht das Image einer Schlampe weg, aber auf die Meisten wirkte ich einfach erfahren. Daher war er mit der Zeit immer weniger verständnisvoll gewesen und hatte mich zu etwas drängen wollen, zu dem ich noch nicht bereit gewesen war – zumindest nicht mit ihm. Manchmal hatte er mir seine Lust förmlich aufgezwängt: Kräftig hatte er mir ins Ohrläppchen gebissen oder riesige Knutschflecken auf meinem Hals hinterlassen, unter meinem T-Shirt nach meinem BH-Verschluss getastet und an meinem Hosen- bzw. Rockbund herumgefummelt, weil er seine Hand gern tiefer schieben wollte. Verhindern konnte ich den Übergriff seiner Lust immer nur knapp und die Ausreden dafür gingen mir auch langsam aus. Es wurde wahrscheinlich an der Zeit, dass ich Schluss machte. „Meins hat auch wehgetan! Er war total in Fahrt und ich halb am Heulen. Er tobte sich voll aus und ich lag einfach nur da und ließ es geschehen“, hatte Beryl Jasmine zugestimmt. Sie gehörte ebenfalls zu meiner Clique und nahm kein Blatt vor den Mund. Zu meinem Leidwesen, aber ich hatte mich nie getraut, meinen Freundinnen zu sagen, dass ich noch Jungfrau war, denn wann immer die „Gothic-Tussis“ vom uncoolen Lunchtisch vorbeikamen, kicherten die drei Mädchen los (Olivia am gehässigsten) und riefen den zwei „schwarzen“ Mädchen hinterher: „Öffnet eure Lustgrotten mit einem Jauchzen, Mädels!“ Ich gehörte offiziell zu den Coolen, aber in Wirklichkeit war ich immer uncool gewesen. Bis heute Nacht. Nach einem heftigen Streit mit Jack, der sich mir vor der Damentoilette einer Disco aufgezwängt und den ich vor allen eine Ohrfeige verpasste, weil er „mir nicht romantisch genug“ sei, hatte ich mich von meiner Clique getrennt und war wütend durch den Laden auf den Ausgang zu gestapft. Als ich draußen gewesen und die Nachtluft mir um den Kopf geweht war, hatte ich Luft geholt und, um meinen Abend doch noch zu retten, war in eine Cocktailbar gegangen, in der es die besten Cocktails von Emerald Hills gab. Mein absoluter Lieblingsort in dieser „Stadt“. Am Eingang war ich dann auf eine andere Clique gestoßen, die mir nicht bekannt vorkam, obwohl die jungen Männer und Frauen wohl in meinem Alter gewesen waren. Also schlussfolgerte ich richtig daraus, dass sie von der Oak Tree kamen. Sie nahmen mich in ihre Runde auf. Ich weiß auch schon gar nicht mehr aus welchem Grund, aber sie taten es und ich verbrachte zwei sehr nette Stunden mit den neun Leuten, von denen einer dieser rattenscharfe Mann gewesen war. Wir hatten per Zufall nebeneinander gesessen und seine melodische Stimme hatte mein Gemüt weiter besänftigt. Ich hatte viel gelacht, was für mich eigentlich eher ungewöhnlich war und viel gesprochen. Die Jungs und Mädels waren sehr offen und erzählten mir viel über ihr Leben und ihre Schule. In der Columbus hielten alle die Schüler der Oak Tree für Snobs, einige waren das sicherlich auch, aber die Clique hatte mir ziemlich schnell das Gegenteil bewiesen. Auch sie hatten wild Party gemacht und sich zuckend und windend zum heftigen Beat der HipHop-Lieder bewegt. Sie tranken genau die gleichen Cocktails wie ich, wenn nicht sogar härtere, weswegen sich das Geschwisterpaar unter ihnen relativ bald verabschiedete – stockbesoffen. Irgendwann waren zwei Mädchen und ein Junge gegangen, das muss so um zwei Uhr nachts gewesen sein. Das Mädchen, das Grace hieß, hatte aber die anderen beiden Jungs im Griff und rockte mit denen weiterhin das Haus. Nur der junge Mann neben mir war immer bei mir geblieben. Wir hatten nicht viel geredet. Als heimliche Jungfrau hatte ich vor meinen Freundinnen immer so tun müssen, als wäre ich immun gegen Testosteron, aber dort waren nur er und ich gewesen. Und er kannte mich noch nicht einmal! Also bemühte ich mich nicht darum, viel zu sagen. Stattdessen versicherte ich mich aus den Augenwinkeln immer wieder, dass ihm nicht langweilig wurde. Er ertappte mich ein paar Mal dabei, dass ich ihn anstarrte und immer wandte ich meinen Blick ab, während meine Wangen sich röteten. Alleine mit einem jungen Mann am Rande der Tanzfläche zu sitzen, hatte schon etwas Elektrisierendes. Als er mich wieder einmal beim Schauen erwischte, ergriff er mein Handgelenk und zerrte mich auf die Tanzfläche. Ich war nicht abgeneigt und tanzte mit ihm. Anstatt mich der normalen Distanz zu meinem Umfeld hinzugeben, in den meisten Discos machte ich mir Platz, indem ich einfach etwas weiter am Rand tanzte, blieb ich bei ihm in der Mitte der Fläche. Und er bei mir. Irgendwann waren seine Hände auf meinen Hüften, aber das störte mich nicht so wie bei Jack. Ich genoss die Aufmerksamkeit dieses jungen Mannes und ließ mich auch sehr nahe an ihn heranziehen, sodass ich ihn bei jeder meiner Bewegungen irgendwo streifte. Lachend hatten wir uns irgendwann aus der Menge gekämpft und uns an unserem ehemaligen Platz ausgeruht. Grace und die zwei anderen Jungs waren immer noch bei einem Dreiertanz, also waren sie zu beschäftigt, um sich zu uns zu gesellen. Der junge Mann brachte mir einen weiteren Cocktail. Erst wollte ich ablehnen, ich hatte ihn nicht bezahlt, wusste nicht was darin war und war auch schon ziemlich angeheitert, doch als er mir seinen hinhielt, damit ich anstieß, vergaß ich diese Gedanken schnell. Ich nahm einen Schluck und genoss das spritzige Gefühl von Alkohol und Früchten. Es schmeckte herrlich. Wieder hatten wir beide nur an der Wand gelehnt nebeneinander gestanden und den anderen Leuten zugeschaut, als er sich plötzlich zu mir umwandte, mein Kinn ergriff, es anhob, damit ich ihm in die Augen sehen konnte und mich vorsichtig küsste. Seine Lippen hinterließen auf meinen einen Geschmack nach Erdbeeren und Pfirsichen. Die Mischung gefiel mir und als ich mich nicht wehrte, entwand er mir mein Cocktailglas und stellte es auf einen Stehtisch in der Nähe. Seines stand unerklärlicherweise bereits dort. Aber das interessierte mich schon gar nicht mehr, als er mir bereits wieder näherkam. Seine Lippen waren sanft gewesen und nicht fordernd, sondern lockend, beinahe neckend hatten sie mich in seinen Bann geschlagen. Ich drängte mich in seine Arme, was ihm ein Lachen entlockte und küsste ihn zurück. Vielleicht etwas leidenschaftlicher als zunächst geplant, doch er stimmte mir zu, indem er mich an sich drückte und drängender küsste. Wir hatten uns wahrscheinlich eine gute halbe Stunde nur an den Lippen gehangen, als Grace und die Jungs gekommen waren, uns eine „schöne Nacht“ gewünscht hatten und nach Hause gefahren waren. Die Drei hatten nicht verschmitzt oder hinterhältig gewirkt, anfangs schienen sie ehrlich überrascht, als sie uns so gesehen hatten, doch sie beglückwünschten uns und besonders ihren guten Freund, um dessen Wohl sie sich gesorgt hatten, als der keine Freundin mit sich herumschleppte. Sie hatten wohl gehofft, dass ich diese Stelle einnahm, meinen Posten als seine Freundin bezog, doch was liebend begonnen hatte, hatte uns zu ihm in die Wohnung gebracht und in sein Bett. In seiner Umarmung unter ihm gefangen und stark alkoholisch beeinflusst, ließ ich es einfach geschehen. Die Angst brachte mein Herz zum Rasen und mehr als einmal schämte ich mich für ein entschlüpftes Stöhnen, doch jedes Mal, wenn das geschah, warf er mir einen liebevollen Blick zu und machte sich hungrig weiter über mich her. Ich war bereit für ihn. Nicht für meinen Freund sondern für ihn und das ließ mich stutzig werden. Plötzlich war die Angst wieder da und ich rief: „Stopp!“ Er hörte sofort auf und sah mich fragend an, so als hätte er etwas falsch gemacht. Dabei war ich diejenige, die hier den riesigen Fehler beging! Langsam einatmend, versuchte ich mich zu beruhigen, doch es half nicht, dass er halbnackt über meinem nur noch mit Unterwäsche bekleideten Körper hing und seine Hände meinen Körper streichelten. „Was ist?“, hatte er gefragt. Nicht beleidigt, sondern einfach nur verwundert. Ich suchte nach einer Ausrede und stotterte schließlich: „H-hast du Kondome?“ Er schnaubte und küsste meine empfindsame Stelle hinter meinem Ohr am Halsansatz. Ich stöhnte. „Natürlich.“ Meine Ausrede fiel ins Wasser. Es musste schnell eine Neue her! Genießerisch ließ ich weitere Küsse auf meinem Körper zu und sagte plötzlich: „Und du bist sicher, dass das richtig ist? Wir kennen uns doch kaum!“ Wow. Ich hatte wahrscheinlich einen Draht dazu, romantische Stimmungen zu zerstören. Doch der junge Mann lachte und erwiderte lediglich: „Hast du Angst?“ Kein Spott lag in seiner Stimme. Vielmehr konnte ich in seinen Augen, die nur wenige Zentimeter von meinen entfernt waren, sehen, dass er jederzeit aufhören würde. Das war heiß. Ich fühlte das Vertrauen zu ihm in mir aufsteigen und schluckte, bevor ich sagte: „Ich bin noch Jungfrau.“ Ein klein wenig größer waren seine Augen danach schon, aber das Erstaunen wich ziemlich schnell wieder aus ihnen und er setzte sich auf. Er hatte vorgehabt, aufzuhören, weil ich drauf und dran war, als Jungfrau ein One-Night-Stand durchzustehen. Ich hatte das aber nicht verstanden, zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich hatte gedacht, er fühlte sich von meiner Unerfahrenheit abgestoßen, also setzte ich mich hastig auf und wollte aus dem Bett krabbeln, nur weg von ihm. Doch abermals hielt er mich auf und sah mich an, bevor er mir versicherte: „Ich lasse dich gehen, wenn du willst.“ Und da bemerkte ich, dass er noch ebenso erregt war wie zuvor und mein Herz begann aus einem anderen Grund als Angst, zu rasen. Ich haspelte etwas von „Toilette“, er ließ mich gehen. Wenig später hatte ich mir das Gesicht gewaschen und den Entschluss gefasst, zu bleiben. Wahrscheinlich weil ich mein klopfendes Herz und die sehnsüchtigen Blicke zur Badezimmertür als Liebe auf den ersten Blick verstand. Ich stürmte zurück zu ihm. Er saß immer noch auf dem Bett und wirkte seltsam traurig, so als hätte er gern weitergemacht, weil er mich sehr mochte. All meinen Mut kostete es mich, in meinem String und dem BH vor ihm stehen zu bleiben und so etwas zu sagen wie: „Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich nicht die höchste Qualität bin, dann würde ich gerne bleiben.“ Sofort war das leidenschaftliche Glitzern in den Tiefen seiner Augen wieder erwacht und er riss mich zu sich hinab. Er küsste mich zart und steigerte sein Verlangen zunehmend, womit er nicht nur mich wieder in die richtige Laune brachte. „Das erste Mal tut weh wie Arsch“, erinnerte ich mich jetzt, aus den Gedanken wieder in den Bus zurückgekehrt, an Jasmines Kommentar zu ihrer Entjungferung. Meins hatte nicht wehgetan, gar nicht. Er war sehr zärtlich gewesen und schien es zu genießen, wenn ich vor Lust zu zittern begann. Ich schlang meine Arme um mich und versank fast in Dankbarkeit. Shine hatte einmal zu mir gesagt, dass es besser war, sein erstes Mal mit jemandem zu haben, den man respektiert und irgendwie auch liebt, von dem man sich hinterher aber im Guten trennen konnte, anderenfalls würde man das Ereignis für ewig unter den Oberbegriff der „Schlechten Erinnerungen“ abheften. Es stimmte. Sie hatte tatsächlich Recht. Ich war dem jungen Mann dankbar und erinnerte mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht an unsere Leidenschaft. Doch was Shine nicht eingeplant war, war die Reue, die ich nun mit mir herumschleppte: Etwas weggeworfen zu haben, was mir wichtig war, nur wegen eines Augenblicks und einem billigen One-Night-Stand. Denn billig war es tatsächlich, schließlich hatte ich nicht einmal dafür bezahlt. Ob er wohl genauso über diese Nacht dachte? Mein Bus hielt endlich im Zentrum von Emerald Hills und ich verließ den ZOB in Richtung meines Zuhauses. Meine Mom wäre nicht dort, Pops war tot und meine berühmte Schwester, Sapphire Merricks (24 Jahre alt), wohnte bei ihrem Mann und ihrer vier Monate alten Tochter. Seit meine persönliche Designerin ausgezogen war, um irgendwo in Florida ihr Glück zu suchen, war ich die meiste Zeit allein zu Hause. Der „Sunshine State“ hatte Sapphire angezogen wie eine Lampe eine Motte und sie ebenfalls nie wieder losgelassen. Das war vor sechs oder fünf Jahren, kurz nach ihrem High School Diplom. Jetzt war ihre Modemarke „DiamondS“ eine der beliebtesten Jugendbeschäftigungen: Wer hip sein wollte, wer in war, der trug mindestens ein Teil davon. Ich war stolz auf meine Schwester und meine Mom, aber ich war auch einsam. Und Jack machte die Sache nicht besser. Meine Clique war auch nicht viel hilfreicher. Ich verstellte mich in ihr immer nur, um so zu sein, wie mich die Columbus gern hätte. Als Ruby Valentine, das schöne Mädchen mit den Modelmaßen, die zu allen nett und gleichzeitig cool ist. Ich stoppte beim Starbucks um die Ecke und holte mir meine tägliche Dosis Drogen ab: Der „Iced Chai Tea Latte“ war ein absoluter Hit! Als ich ihn trank, bemerkte ich, dass die Frühaufsteher mich alle seltsam ansahen. Na klar, ich musste ziemlich fertig aussehen nach dieser Nacht. Also ging ich am Strohhalm saugend hinaus auf die Straße und machte mich auf den Rückweg. Heute würde ein schöner Tag werden, das wusste ich sofort. Ich fühlte mich gut, sogar etwas zu gut. So gut, dass ich abheben könnte. Die Watte in meinem Kopf würde verschwinden, sobald auch die Nachwirkungen dieses unglaublichen Mannes nachließen. Davon ging ich aus, während ich durch die Wohnblöcke zu dem Hochhaus trödelte, das unsere Wohnung beinhaltete. Moms und meine. Und wie immer wäre es mehr meine als ihre, obwohl sie die Miete bezahlte. Schließlich machte ich sauber, ich wusch die Wäsche und ich kochte. In der Columbus hätten sie mich bei diesem Kommentar alle schief angesehen, weil ich in den Augen der Schüler wohl eine reiche Erbin sein sollte. Geerbt hatte ich nichts, als mein Vater vor zwei Jahren jämmerlich an Krebs verreckte. Über das Erbe war ich sogar froh: Er hinterließ mir schlicht kein Vermächtnis von sich und dafür war ich dankbar. Lächelnd steckte ich den Schlüssel in das Schlüsselloch der Hochhaustür, klaubte die Samstagspost aus dem Briefkasten, stieg die Treppen in den vierten Stock hinauf und betrat unsere Wohnung. Sie war still. Wie ich erwartet hatte, war Mom nicht zu Hause. Die Tür fiel hinter mir mit einer grausamen Finalität ins Schloss: Das hier war nicht die Zweisamkeit von eben, das hier war die Einsamkeit in der Zweisamkeit. Ich schmiss den Schlüsselbund in die Holzschüssel auf der hölzernen Kommode im Eingang und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Kapitel 2: Legacy of the Vampire -------------------------------- Als ich am Samstagmorgen aufwachte, schlich ein Lächeln über mein Gesicht. Es war lange her, seit ich mich so gut gefühlt hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals ein Mädchen in diesem Kaff treffen würde, das mir so gut gefiel und dem ich noch am selben Tag den Hof machte. Doch mit dieser heißen Ruby Valentine, war es am Vortag anders gekommen, als ich zunächst geplant hatte. Sie war mir im „Heels“ über den Weg gelaufen, in der Bar, in der meine Clique in der Regel einmal alle zwei Wochen einen Abend verbrachte: Es gab gute Cocktails und gute Musik. Das reichte uns normalerweise schon aus, weil es in vielen modernen Discos nur noch schlechten HipHop auf die Ohren gab und als Nachtisch völlig überteuerte Drinks. Ich drehte mich um, um das Mädchen anzusehen, dass mir gestern Nacht nicht nur seelischen Beistand geleistet hatte und zuckte zusammen. In den Falten meiner Seidendecke lag niemand mehr! Ruby war verschwunden! Ich fuhr herum und schaute durch den Raum, nur um verbittert festzustellen, dass sie auch nicht mehr in der Wohnung war: Ihre Kleidung war ebenfalls weg, also musste ich darauf schließen, dass sie mich hatte sitzen lassen. Ich setzte mich auf und fuhr mir enttäuscht durch das braune Haar, während ich innerlich überlegte, was an mir sie nicht gemocht hatte: Waren es die langen Haare? Oder sehe ich ihr zu ausländisch aus? Bin ich zu alt? War ich etwa schlecht im Bett? Womöglich hässlich? Ich tat diese Fragen aber größtenteils ab, einfach weil ich es besser wusste. Sie mochte meine Haare, sie hat sie hinterher um ihre Finger gewickelt. Und über mein ausländisches Aussehen schien sie weder verwundert, noch hat es sie zumindest offensichtlich gestört. Ich bin kaum mehr als zwei Jahre älter als sie – das ist doch nicht viel? War ich hässlich? Eigentlich fand ich mich nicht hässlich. Grace meinte, ich sehe heißer aus als viele andere Jungs. Galt das also als Antwort? Blieb nur noch mein Können im Bett. Ich seufzte. Das musste es gewesen sein. Ich dachte eigentlich immer, ich wäre relativ gut, doch jemanden das Gegenteil so offensichtlich aufzeigen zu sehen, verletzte mich schon in meinem Stolz. „Ah, Zacchary Cole, du bist die Verkörperung der Arroganz. Hast du ernsthaft geglaubt, dass du wegen ein paar Sex-Erfahrungen weißt, was du mit einer Frau tust?“, schimpfte ich leise über mich selbst. Aber irgendwie fand ich es auch seltsam, dass ich mir das alles jetzt selbst zuschrieb. Ich wollte, dass auch sie Schuld hatte nicht nur ich. „Du hast mir doch den ganzen Abend schöne Augen gemacht! Und dieses kurze Kleid war doch eine mehr als offensichtliche Einladung! Von wegen Jungfrau … Das war bestimmt nur eine dumme Lüge!“ Nachdem ich all das gesagt hatte, tat es mir aber schon wieder leid. Ich hatte in ihren Augen und anhand ihres Verhaltens bereits, bevor sie mir von ihrer Unerfahrenheit erzählt hatte, bemerkt, dass sie Jungfrau war. Ich war gegenüber menschlichen Empfindungen etwas sensibler als andere, ich konnte Gedanken ziemlich gut erraten. Sie hatte nicht wie jemand gewirkt, der viel herumgekommen war. Das Kleid war auch bloß in Mode, ich hatte es schon ein paar Mal in einer Disco gesehen. Auch da ließ sich also kein Fehler von ihr finden. Höchstens ihr Verhalten hätte man als etwas anzüglich empfinden können. Die schüchterne Art, mit der sie mich aus ihren Augenwinkeln heraus beobachtet hatte – hatte ich mehr in ihren Augen gelesen, als dort wirklich war? „Du hast dich einfach geirrt, gib’s doch zu, Zac“, meinte ich und schwang meine Beine aus dem Bett. Eigentlich wollte ich nicht duschen, denn das köstliche Gefühl der vergangenen Nacht klebte noch auf meinem Körper. Ihr Geruch, ihr Parfum umschwebte mich. Nicht nur ich roch nach ihr, sondern auch meine Bettwäsche und die Möbel in meiner Wohnung, auf denen ihre Kleidung gelegen hatte. Mein Geruchssinn war immer empfindlicher gewesen als der normaler Menschen. Seit ich meine Umwandlung hinter mir hatte, nahm mein Riechorgan fast Stalker-Eigenschaften an. Langsam stand ich auf und ging die zwei Treppenstufen meines Bettpodests hinab, an der Couch-Senke vorbei auf das Badezimmer zu. Als ich die Tür öffnete, schlug mir auch hier ihr Geruch entgegen. Ich stöhnte. Das Erste, was ich deshalb machte, war das Fenster zu öffnen. Wenn ich zu lange in einem Raum mit ihrem Geruch verbrachte, würde ich mich womöglich noch unsterblich in sie verlieben, weil ich ständig an sie erinnert wurde und ständig an sie denken musste. Ich ging auf die Dusche zu, stellte sie an und mich darunter. Hinfort mit all ihren Gerüchen und Eindrücken! Nachdem ich geduscht hatte, zog ich mir eine Schlabberhose an und putzte mir die Zähne. Dann räumte ich meine Kleidung vom Vorabend weg, eigentlich bedeutete das lediglich, dass ich sie in den Wäschekorb verfrachtete. Erst dann wanderte ich hinüber zum Kühlschrank und nahm den Milchkarton aus der Tür. Während ich aus der Papiertülle trank, klingelte mein Handy und ich spitzte die Ohren. Wo hatte ich das Gerät bloß hingelegt? Als das Klingelzeichen wiederholt wurde, hörte ich den Vibrationsalarm und wusste sofort, wo es war. Es lag nicht weit von mir entfernt auf einem der Barhocker an der Küchenanrichte. Ich ging dorthin und nahm es in die Hand. Mein Daumen schnipste geistesabwesend das Klapphandy auf und ich sah, wer mich anrief. Grace. Von all den Leuten, die ich heute vermeiden wollte. Ich nahm trotzdem ab und grüßte: „Hey, Grace. What’s up?“ „Hey, Zac. Die Frage werfe ich gleich mal zurück!“, frohlockte sie am anderen Ende des Hörers. Natürlich war Grace gleich Feuer und Flamme. Sie hatte mich schon seit einigen Monaten geplagt, dass ich mir eine Freundin anschaffen sollte. Als sie mich nun gestern Abend zusammen mit Ruby gesehen hatte, war ihr Spaß ihr bereits übergegangen. Ich seufzte. Wie sollte ich ihr das alles bloß erklären? „Nicht viel“, gab ich wahrheitsgemäß zurück. Sollte sie doch alles erfahren. Grace grunzte und fragte: „Was? Was ist denn da los? Gib mir die Story, Kumpel.“ „Schön, wir hatten heißen Sex und als ich heute Morgen aufgewacht bin, war sie weg. Das war’s“, versuchte ich es so nüchtern darzustellen wie möglich. Sie sollte nicht denken, dass da mehr als ein billiger One-Night-Stand gelaufen war. Sie schnaubte. „Ruby war weg?! Einfach so?! Schwupp?!“ „Ja“, erwiderte ich genervt und rollte mit den Augen. Sie konnte diese Bewegung nicht sehen, wusste aber anhand meines Tonfalls schon, was ich gerade getan hatte. „War’s so grottig oder wie soll ich das jetzt verstehen?“ „Keine Ahnung. Ich bin nicht Ruby“, antwortete ich lediglich, nahm den Milchkarton wieder an den Mund und trank weiter. Innerlich krümmte ich mich aber ob ihres Kommentars. „Komm schon, Zac. Die Frauen, die du bis jetzt hattest, waren im Siebten Himmel, sobald du sie nur angefasst hast. Was ist mit diesem Weib los?“, empörte sie sich an meiner statt. „Ich weiß es nicht, ehrlich nicht. Gestern Nacht schien’s ihr noch zu gefallen. Ich war genauso überrascht wie du, dass sie heute Morgen nicht mehr da war.“ „Ach, scheiße, Mann! Dabei war sie so toll!“, fluchte Grace enttäuscht und ich grinste. Sie war meine beste Freundin und zeigte mehr meiner Gefühle, als ich es normalerweise tat. Manchmal sprach sie mir aus der Seele. Ich zuckte mit den Schultern, um mich locker zu machen und meinte: „Ja, sie war so toll, dass selbst ich mich versucht gefühlt habe.“ „Scheiße, man hat’s im Leben auch nicht leicht als Vampir!“ „Sch, sprich das V-Wort nicht aus, wenn wir nicht unter uns sind! Ich mag es nicht, du weißt das. Wer weiß, ob-“ „Ob jemand dein oder mein Handy abhört, ja, ja, ich weiß schon! Ist mir nur so herausgerutscht, Kumpel“, entschuldigte sie sich. Grace hatte Recht, ich war ein Vampir. Sie war auch Einer. Oder wohl eher Eine. Wir Beide hatten keine Wahl gehabt zwischen einem menschlichen und einem vampirischen Leben: Man wurde als Mensch oder als Vampir geboren. Ein Vampir konnte aber auch durch ein bestimmtes schwarzmagisches Ritual einen Vampir aus einem Menschen erschaffen, nur der so geschaffene war meistens den Menschen näher als seiner neuen Rasse. Grace und ich waren geborene Vampire: Sie war die Tochter des Fürsten von Emerald Hills, ich der Sohn des ehemaligen Fürsten von Haifa – Haifa war meine Heimatstadt. Sie lag im Nordwesten Israels. Nach dem Tod meiner Mutter war mein amerikanischer Vater mit meiner Schwester und mir in die USA zurückgekehrt, um uns vor den Attentätern zu schützen, die auch für das frühzeitige Verscheiden meiner Mutter verantwortlich gewesen waren. Der neue Fürst von Haifa hatte sie uns hinterhergeschickt. Um weniger Aufmerksamkeit auf unsere Familie zu lenken, heiratete meine Zwillingsschwester den Sohn des Fürsten von New York City, sie hieß jetzt Yael Mizrahi und mein Vater wurde Börsenmakler an der Wall Street, nur um in ihrer Nähe zu bleiben. Mich ließ er hier bei meinem Großvater, der sich jetzt irgendwo in Florida am Strand sonnte – und ja, er war auch ein Vampir und ja, er sonnte sich, ohne zu verbrennen. Wir Vampire konnten im Sonnenlicht herumrennen, ohne Schaden zu nehmen; Menschen konnten ja auch nachts umherstreifen, ohne vom Mond zu Asche verbrannt zu werden, oder? Warum konnten wir Nachtwesen dann den Legenden nach nicht auch tagsüber picknicken? Menschliche Logik und dummer Aberglaube! „Man hat’s trotzdem nicht leicht! Du bist so heiß, dass alle, die auf dich stehen, nach einiger Zeit genug von dir haben: Vampirinnen haben neben dir Minderwertigkeitskomplexe und Menschen fürchten sich in ihrem tiefsten Inneren vor dir, wahrscheinlich weil sie merken, dass du anders bist als sie. Zu perfekt. Deshalb hast du nie längere Beziehungen.“ „Danke, dass du mir das vorhältst. Als wüsste ich das nicht selbst!“, gab ich trocken zurück. Damit hatte Grace mich jetzt wirklich getroffen. Ich wusste, dass sie nur die Wahrheit sagte, aber trotzdem tat es weh, dass ich jedes Mal mitansehen musste, wie mich jemand verließ, nur weil ich den Leuten ZU schön war. Ich seufzte. War das womöglich auch der Grund, warum Ruby verschwunden war? „Glaubst du …?“ Grace ließ ihre Vermutung unausgesprochen, doch ich wusste, dass sie das gleiche gedacht hatte wie ich. „Sie wirkte nicht so, als hätte sie vor uns beiden Angst. Sie hatte absolut gar kein Problem damit, als ich sie berührt habe: Keine Symptome wie Gänsehaut und unregelmäßige Herzschläge oder stockender Atem. Und nein, sie ist auch nicht in Ohnmacht gefallen! Da war nur das typische Schwärmen oder Herzklopfen, glaub mir.“ „Bist du sicher, dass sie ein Mensch ist?“, erstaunte sich Grace. Ich schnaubte. „Du hast sie doch auch gerochen, Grace. Ja, sie ist ein Mensch.“ „Ich hab sie gerochen, aber irgendwie habe ich auch gedacht, dass sie vielleicht durch Parfum oder so ihren natürlichen Vampir-Duft verborgen hat.“ „Das kann nicht sein, ich war ihr wirklich nah genug, um das herauszufinden. Sie war eindeutig ein Mensch! Ein sehr gut riechender Mensch, das gebe ich zu, aber sicherlich kein Vampir.“ „Wahrscheinlich hast du Recht, anderenfalls könntest du ja jetzt nicht mehr zaubern, nicht wahr?“, lachte sie und ich lachte mit. Grace dachte an Dinge, an die ich selbst nicht dachte! Als Blutlinien-Bewahrer, also Erbe einer Familie, besaß ich wie jeder gleichgestellte männliche Vampir Zauberkräfte. Ich konnte beispielsweise Dinge schweben lassen und noch vieles mehr. Das konnten aber wirklich nur die Erben einer sehr alten und mächtigen Familie, einer Familie, deren Oberhaupt im Vampir-Rat saß. Ich gehörte dazu. Da ich der einzige männliche Nachkomme meines Vaters war, besaß ich nun die Familienmagie. Daher musste ich verdammt aufpassen: War ich unachtsam, konnte es vorkommen, dass ich mein Legat übertrug. Aber das würde auch nur passieren, wenn ich Sex mit einer Vampirin hatte, egal ob geschützt oder nicht. Diese Frau musste dann meine Ehefrau werden, weil sie mein Familienerbe besaß: Sie konnte es schließlich beim Sex mit einem anderen Vampir an diesen weitergeben und das magische Erbe war für unsere Familie verloren! Um das Erbe zu bewahren, musste ich mit der Frau, die mein Legat übertragen bekommen hatte, einen Sohn zeugen, der die Magie dann von ihr übertragen bekam. Warum es nicht ging, dass ich einfach noch einmal mit ihr Sex hatte und sie mir das Legat zurückübertrug? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es nicht klappte. Ich klemmte das Telefon zwischen Schulter und Ohr ein, legte den Milchkarton wieder an meine Lippen und schnipste mit dem Zeigefinger Richtung Kühlschranktür. Es war ganz normal für mich, dass dann meine Frühstückseier herausgeschossen kamen und sich in die bereitgestellte Pfanne schmissen. Als aber dieses Mal nichts geschah, begann mein Herz wie wild zu rasen. Ich runzelte die Stirn und probierte es noch einmal. Wieder passierte nichts und ich wusste mit Bestimmtheit, dass auch beim dritten Mal kein Spiegelei hervorkam. Dennoch versuchte ich es noch ganze viermal, bevor ich entsetzt die Luft einsog. „Was hast du, Zac?“, fragte Grace am anderen Ende des Hörers. Sie war ja auch noch da! Mein Herz schlug mir aus dem Hals heraus, als ich ihr mit zittriger Stimme berichtete: „Es passiert nichts!“ „Was passiert nicht? Rede mal Klartext, Kumpel“, sagte sie, doch in ihrer Stimme hörte ich bereits das Grauen. Haspelnd erklärte ich es ihr noch einmal, vollkommen in Panik geraten: „Scheiße, Grace! Ich habe keine Magie mehr! Es funktioniert nicht mehr! Ich kann nicht mehr zaubern!“ Meine Stimme war gegen Ende hin immer höher geworden und es fiel mir schwer, die Endungen der Wörter vor Hast nicht zu überschlagen. Mein Großvater würde mich umbringen! Schlimmer noch: Mein Vater würde aus New York City zurückkommen, um mir persönlich einen seiner Vorträge zu halten. „Scheiße! Hast du mit irgendwem sonst in letzter Zeit Sex gehabt?!“, schrie sie mit ebenso panischer Stimme durch den Hörer, doch sie wusste genauso wie ich, dass in meinem Liebesleben in letzter Zeit mehr als nur Flaute geherrscht hatte. „Gestern Abend hat’s noch funktioniert, Grace. Es kann nur Ruby gewesen sein“, murmelte ich, innerlich aber überhaupt nicht ruhig. „Ich hab dir gesagt, sie war eine Vampirin!“, klagte sie mich an, doch ich wollte es nicht wahrhaben. „Erzähl keinen Unsinn, Grace! Das ist vollkommener Quatsch! Ruby war völlig menschlich! Ich hatte doch mit ihr Sex, Weib! Ich muss es doch wissen! Sie roch nicht nur wegen eines dummen Parfums nach Mensch oder weil sie mit ein paar Menschen zusammen war!“ „Wie kann es dann sein, wenn du dir so sicher bist, dass sie kein Vampir war, dass du jetzt nicht mehr zaubern kannst?“, warf sie mir vor und ich wusste keine Antwort darauf. Grace hatte Recht. Niemand anderes außer Ruby konnte mir meine Magie gestohlen haben. Selbst wenn ich in der Vergangenheit einmal krank gewesen war, hatte ich immer noch zaubern können. Das Legat verschwand nur, wenn ich es übertrug. Und das hatte ich. Auf einen Menschen. „Ich habe keine Ahnung! Grace, ehrlich! Ich habe ein wenig von ihrem Blut getrunken, nicht genug dass man es ihr anmerken würde, doch genug um zu wissen, dass sie menschlich ist. Und nein, es sind keine Narben zurückgeblieben!“ „Du hast dein Legat auf einen Menschen übertragen?!“, hauchte sie ungläubig und mein Herz setzte vor Panik aus. Scheiße, alles bloß das nicht! Wie sollte das möglich sein? „Geht das überhaupt?“, fragte ich hoffnungsvoll. Vielleicht hatte ich das Legat ja doch nicht verloren und konnte meine Magie bloß nicht erreichen, weil ich so aufgeregt war. „Was fragst du mich? Ich bin eine Frau, ich hab doch keine Ahnung von euren Männergeschichten. Ich würde das Mädchen noch einmal überprüfen, wenn ich du wäre“, schlug sie mir vor und ich nickte, bevor ich bemerkte, dass sie das ja nicht sehen konnte, also sagte ich: „Das werde ich wohl oder übel tun müssen. Hast du ihre Nummer oder so etwas?“ „Ich dachte, du hättest sie … Ach, scheiße. Hat sie auch das nicht da gelassen?“ „Nein, auch das hat sie nicht“, meinte ich bloß und fühlte mich noch mieser als vorher. Das war das eindeutigste Zeichen, das eine Frau einem Mann nach einem One-Night-Stand geben konnte: Keine Nummer oder Adresse oder so, keine Lust auf ein Wiedersehen. Dann hatte ich mich auch noch von meinem Legat getrennt und es ihr übergeben. Schlimmer geht’s nimmer! „Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass sie tatsächlich eine Vampirin ist, denn anders scheint mir die Übertragung deines Legats nicht plausibel, dann wusste sie entweder, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass du ihr Magie überträgst oder sie hatte keine Ahnung, wer du bist.“ „Ich tippe auf Letzteres“, half ich ihr auf die Sprünge. Grace stimmte mir zu: „Sie kannte uns nicht. Und dich sehr eindeutig auch nicht. Also konnte sie auch zwangsgebunden nicht wissen, dass du die Möglichkeit hast, ihr ein Legat zu übertragen.“ „Korrekt.“ „Also hat sie jetzt unwissend ein Bluterbe übertragen bekommen? Glaubst du, sie weiß, wie sie damit umgehen soll oder was das für sie bedeutet oder was sie in eurer Familie damit angerichtet hat?“, fragte Grace jetzt nachdenklich. Eigentlich wollte ich mich nicht damit beschäftigen, sondern Ruby einfach nur suchen gehen. Ich musste ihr den Schlamassel erklären und irgendwie das Legat meiner Familie retten! Ich konnte erst ruhen, wenn ich sie gefunden hatte und mein Bluterbe in Sicherheit wusste – das verlangte meine Familienehre. Aber, scheiße, ich war erst achtzehn Jahre alt! So früh schon Vater zu werden, wäre der Horror für mich. Deswegen grunzte ich nur zur Antwort. „Scheiße, Zac, hör mir doch mal zu!“, schnauzte sie mich an und ich zuckte zusammen. „Was denn?!“ „Stell dir vor, sie weiß vielleicht gar nicht, dass sie eine Vampirin ist und hat jetzt das Legat einer uralten Familie mitbekommen! Jeder Vampir im Umkreis von einer Meile wird ihre Magie riechen können, Zac! Das Mädchen ist in Lebensgefahr!“, kreischte Grace jetzt und rüttelte mich dadurch wach. „Bist du sicher, dass man nicht bemerken kann, dass man ein Vampir ist?!“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch sie ließ sich nicht. „Zac, es gibt tausende dieser Geschichten! Wenn sie nur zur Hälfte ein Vampir ist, wird sie ihre Wandlung später durchmachen als andere Vampire! Vielleicht riecht sie deshalb noch nach Mensch!“ Mir dämmerte es langsam. Wenn Ruby zur Hälfte ein Vampir war, dann war es logisch, warum ich ihr mein Legat hatte übertragen können, obwohl ich sehr vorsichtig gewesen war. Das erklärte auch, warum sie nach Mensch roch! Sie war ja zur Hälfte ein Mensch! Erst nach ihrer später einsetzenden Umwandlung würde sie riechen wie ein Vampir. Grace hatte mal wieder in allen Punkten Recht: Man konnte einem weiblichen Vampir anriechen, ob sie eine Legatshüterin war und jeder Vampir würde versuchen, sie zu besteigen, um an die Magie heranzukommen. Einige Vampire konnten ziemlich ruppig werden, wenn man ihnen nicht gab, was sie wollten. Und wenn ich noch ein wenig weiter nachdachte, dann war Ruby wirklich in Gefahr, weil sie dank meines Legats nach meiner Familie roch. Hieß das nicht auch zwangsweise, dass man sie für eine von uns erklären und wie meine Mutter umbringen würde? Ich musste verhindern, dass einer der Attentäter auf ihre Spur kam. Gleichzeitig fragte ich mich, ob es vielleicht auch sein könnte, dass mein Legat sie rettete. Der neue Fürst von Haifa könnte sich durch meinen Fehler ganz einfach das Legat meiner Ahnen schnappen, indem er Ruby zum Sex zwang! Das würde dann das Ende meiner Familie als eine der mächtigsten Familien des Vampir-Rates sein! Wer auch immer mein Legat in die Hände bekam, würde der neue, aber rechtmäßige Erbe des Fürstentums sein! „Wenn ich sie nicht schnell finde, ist mein Bluterbe weg und Ruby vielleicht sogar tot!“, realisierte ich und Grace stöhnte. „Ich werde dir suchen helfen! Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Legat-Jäger hinter ihr her sein werden, oder? Sie werden sie finden! Sie haben ihre Leute überall, Zac!“ „Scheiße, erinnerst du dich an irgendwelche Fakten? Irgendetwas, was sie dir erzählt hat?“ Er wusste bloß, dass sie Ruby Valentine hieß. Erinnere dich, Zac! Komm schon! Streng dich an! „Wie wär’s mit: Sie geht auf die Columbus Senior High School?!“, schlug Grace vor und ich jauchzte fast. Das war ein gewaltiger Sprung! An der Columbus gab es sicherlich nur eine Ruby Valentine! „Glaubst du, wir können so ohne weiteres auf die Schule wechseln?“, fragte ich, doch Grace schnaubte. „Und ihren Bodyguard spielen? Das geht nicht! Kein Mädchen würde es lange aushalten, unter irgendeiner Kontrolle zu stehen. Sie würde abhauen! Du weißt, wie gefährlich das ist. Und außerdem hat sie dich sitzen lassen, wenn du jetzt vor ihr auftauchst, wird sie wirklich total begeistert sein.“ „Das spielt doch keine Rolle! Wenn wir ihr erklären, was Sache ist, dann –“ „Dann wird sie uns kein einziges Wort glauben!“, unterbrach mich Grace und ich wusste, sie sprach die Wahrheit. „Dann zeigen wir ihr halt einfach, dass es stimmt!“, trotzte ich ihr. Sie stöhnte. „Was willst du ihr zeigen? Lange Eckzähne? Gibt’s in jedem Halloween-Kostümladen! Klasse, super! Echt überzeugend!“ „Na, bitte, dann eben nicht. Schlag du doch was vor!“ „Geht nicht, wir Vampire sind nicht so toll, wie die Legenden alle sagen. Wir sind genauso warm von der Körpertemperatur her wie Menschen, wir essen wie Menschen, wir können in der Sonne leben wie Menschen … Knoblauch, Weihwasser und Kreuze tun uns nichts an!“ „Wir sind auch nicht schneller als Menschen“, führte ich eine weitere schlechte Option auf. Grace grunzte und meinte: „Wir müssen einmal in einem Monat ein kleines bisschen trinken, mehr auch nicht. Du hast das gestern erledigt, ich vorgestern. Das können wir ihr auch nicht zeigen, sonst platzen wir vor Bluthochdruck!“ „Der Spaß mit Verwandlung in eine Fledermaus und Schlaf in Särgen klappt wohl auch nicht“, murrte ich durch den Hörer und ich hörte Grace trocken auflachen. „Also, was gibt’s noch?“ „Wir sind auch keine Leichen! Blut haben wir und einen Herzschlag auch“, murmelte Grace und ich musste ein Lachen unterdrücken. Unsere Situation war nicht witzig! Doch allein daran zu denken, dass Menschen glaubten, Vampire seien gestorben, um so zu sein, wie sie sind, war lachhaft! Wir gehörten bloß einer anderen Rasse an, die ebenso wie die Menschen Kinder bekommen konnten! Und würde man einem Vampir einen Pflock einrammen oder eine silberne Kugel in den Leib schießen, dann würde er sterben, wenn es ein Ort war, der lebenswichtige Organe (oder ähnliches) enthielt. Aber Menschen würden bei so etwas auch sterben! „Wir können auch nicht fliegen“, stellte Grace nach einer längeren Zeit fest und ich bejahte. Seit letzter Nacht konnte ich das auch nicht mehr, wobei mein Fliegen wohl eher Schweben gewesen war. „Wir sind auch keine von den Erbsünden der Mutter befallenen Wesen oder haben irgendwelche Anomalien in unserem Körperbau“, fügte ich irgendwann hinzu und überlegte weiter, was Ruby davon überzeugen konnte, Grace und mir zu glauben, sollten wir ihr unsere verrückten Umstände erklären. „Ich kann keine Wände hochgehen und bin auch nicht bleich. Ich sehe schließlich komplett aus wie ein Mensch! Ich bin vielleicht ein wenig attraktiver oder schöner als ein normales Menschenmädchen, aber mehr bin ich auch nicht“, seufzte Grace und ich wusste, dass sie wirklich nicht mehr viel mehr als das wusste. Auch ich hatte Mühe, mir noch mehr angeschriebene Eigenschaften zu überlegen, die wir vielleicht doch besaßen. Schließlich hörte ich Grace kichern und fragte: „Was hast du?“ Sie antwortete, nachdem sie noch eine Weile vor sich hin gelacht hatte. „Sorry, aber ich lese gerade im Internet über uns: Als wesentliches Merkmal wird dem Vampir Unsterblichkeit zugeschrieben, die – kombiniert mit seiner in der Regel übermenschlichen Körperkraft und dem Bluthunger – einen großen Teil des Schreckens des Vampirmythos ausmacht. Darüber hinaus wird Vampiren ein ausgeprägter Sexualtrieb zugesprochen. Vampire sollen eine starke Anziehungskraft auf das von ihnen gewählte Geschlecht ausüben und Verführungskünstler sein. Kenne ich das nicht irgendwoher?“ „Das ist SO nicht witzig, Grace! Ich mag zwar schon eine ganze Menge Frauen „verspeist“ haben und die Frauen finden mich durchaus attraktiv, aber ein richtiger Verführer bin ich nicht! Die Unsterblichkeit kann ich Ruby nicht beweisen!“ „Sorry, sorry! Du hast Recht. Wir Vampire werden in der gleichen Zeitspanne alt wie die Menschen, wenn wir dann ganz viel Blut trinken, können wir uns bis auf den Tag verjüngen, an dem wir unsere Wandlung durchstanden haben“, überlegte Grace. Es stimmte. Das war unsere Unsterblichkeit. Wir konnten uns so jung machen, wie möglich und dann alt werden. Kurz vor unserem Tod machten wir uns dann wieder jung und entkamen so dem Grab. Es war ein immer wiederkehrender Prozess der Verjüngung. Unsere „Opfer“ würden aber nie Vampire werden, wenn wir ihnen nicht mit einem magischen Ritual auf die Sprünge halfen. Kaum ein Vampir besaß magische Kräfte, also gab es dementsprechend nur wenige Geschaffene. „Wie ist es mit fließendem Gewässer?“, schlug Grace vor und ich schnaubte. „Ich habe erst heute Morgen geduscht, also kann ich fließende Gewässer durchaus überqueren und habe auch keinerlei Angst vor Wasser. Ein Spiegelbild habe ich übrigens auch!“ „AH! Ich hab was!“, rief Grace durch den Hörer und ich musste ihn kurzzeitig etwas weiter von meinem Ohr wegnehmen. Mein Trommelfell klingelte, aber mein Herz raste. Endlich hatten wir etwas gefunden! „Was?“, fragte ich hastig und Grace sagte: „Einfacher als alles andere, so einfach, dass es uns voll entgangen ist, Kumpel. Der Heilungsprozess ist bei uns schneller, schon vergessen?“ „Toll, das beweist, dass wir ein bisschen anders sind, aber dass wir Vampire sind können wir ihr nicht beweisen!“, maulte ich enttäuscht zurück und Grace schnaubte. „Zeig ihr deine Eckzähne hinterher und sie wird’s dir mit Sicherheit glauben“, schlug sie mir vor. Ich grinste, während mein Blick auf die Uhr über der Spüle wanderte. Es war elf Uhr morgens, wenn ich mich ein wenig in der Stadt herumtrieb, würde ich vielleicht noch einmal auf sie treffen. Also sagte ich zu meiner Freundin: „Wir treffen uns heute Abend im „Heels“. Sollte sie da nicht sein, müssen wir halt jeden einzelnen Schuppen in diesem Kaff absuchen!“ „Na, klar! Vergiss aber nicht deine menschliche Maske! Die Hausaufgaben über einem Mädchen zu vergessen, ist gar nicht cool, Zac!“, kicherte sie und wir verabschiedeten uns. Als ich auflegte, seufzte ich. Der Tag würde als der mieseste Tag meiner Familiengeschichte in unser Familienbuch eingehen, aber ich hatte einen verfluchten Grund, einem heißen Mädchen hinterherzurennen und irgendwie empfand ich diese Tatsache als echt motivierend. Kapitel 3: Friday's consequences -------------------------------- Mein restliches Wochenende verbrachte ich damit, Jacks Anrufe auf meinem Handy wegzudrücken – oder es einfach gleich auszuschalten –, Hausaufgaben für die nächste Woche zu machen und in den Magazinen zu blättern, die mit der Samstagspost gekommen waren. Meine Schwester hatte uns schon wieder einen Haufen Mode- und Make-Up-Zeitschriften geschickt, in denen bestimmte Seiten mit Post-It-Streifen markiert waren. Wie jedes Mädchen interessierte ich mich sehr für die kommende Mode und war Sapphire mehr als nur dankbar, dass sie mir regelmäßig Prophezeiungen schickte und erläuterte, sodass ich die Styles leicht nachmachen konnte. Am Sonntag sah ich meine Mom, kurz bevor sie wieder zu ihrem Hostessen-Job in einem vier Sterne Hotel irgendwo außerhalb Emerald Hills abdüste. Das war okay für mich, schließlich sorgte sie für unser Überleben, denn Leben war es nicht wirklich. Erst Sonntagmittag trennte ich mich von dem Gedanken, den ganzen Tag allein herumzuhängen. Shine kam vorbei. „Du kommst genau richtig, Shine“, begrüßte ich sie und ihr Lächeln wurde breiter. „Hi, Chica! What’s up?“ „Nicht viel, den Großteil weißt du ja schon“, erwiderte ich lediglich und ihr Grinsen verschwand. Wir suchten uns Kissen und Decken zusammen, kochten uns einen Tee und verfrachteten uns auf mein Bett, wo wir es uns gemütlich machten. Shine runzelte nach einer Weile wieder die Stirn und meinte schließlich: „Das mit Jack war echt scheiße.“ „Ha! Scheiße?! Das war grottig, oberaffen-dämlich, super-mega-mäßig-stimmungskillend!“, steigerte ich ihre Aussage und war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder froh, nur mit Shine allein zu sein. Wenn die anderen Mädchen anwesend waren, tendierte ich dazu, mich gewählter und höflicher auszudrücken, was mich meistens erst in eine solche Zwangslage brachte. „Du kannst ihn nicht mehr ausstehen“, stellte meine Freundin fest. Sie war sehr scharfsinnig und galt auch als die klügste unter uns Mädchen in der Clique. Sie band ihre schwarzen Haare stets zu einem Pferdeschwanz zurück, den sie am unteren Ende mit einem Lockenwickler bearbeitete. Ihre dunkelbraunen Augen umrahmte sie mit Kajal und Wimperntusche und machte sich meistens graue Smokey-Eyes. Sie war ebenfalls sehr stilbewusst und die Erste gewesen, die mit mir gesprochen hatte, als ich vor zwei Jahren an die Columbus Junior High School gekommen war. Kurz danach kamen wir auf die Senior und hatten sogar die gleichen Kurse belegt. „Sollte ich?“, fragte ich und trank meinen Tee schluckweise und vorsichtig pustend. Meine Augen wanderten zu Shine und sahen sie herausfordernd an. „Jack ist für viele Mädchen der Traum, Ru! Reich, schön, beliebt. Wer mit ihm zusammen ist, dem liegt die Columbus zu Füßen. Und dieser Junge hat sich total in dich verschossen. Das fand ich irgendwie romantisch, als ich dir riet, mit ihm auszugehen. Aber als du bereits zwei Tage danach nur noch genervt von ihm warst, wusste ich, dass das ein Fehler war. Der Typ ist nichts für dich! Servier ihn doch ab“, schlug sie mir vor und ihre Augen wirkten ehrlich. Ich seufzte. „Shine, das ist alles nicht so einfach! Jasmine wäre so wütend, wenn ich das täte! Sie hat sich so angestrengt, mich mit ihm zusammen zu bringen!“ „Manchmal frage ich mich, ob du wirklich so dumm bist, wie du ab und zu tust.“ „What?“ „Na ja, mach doch nicht immer dein Glück von Jasmine oder Olivia oder Beryl abhängig! Jack tut dir nicht gut, Ru und ich will, dass diese Beziehung aufhört. Ich sehe dich nur noch heulend oder fuchsteufelswild. Das ist nicht sehr gesund“, sagte sie. Ich stimmte ihr innerlich zu, äußerte aber dennoch meine Zweifel: „Shine, wir sind mit den anderen Sieben aber immer eine tolle Clique gewesen. Wenn ich Jack jetzt fallen lasse, dann stimmt doch nichts mehr zwischen uns. Jack ist dann wütend und sein bester Kumpel Samuel auch, Jasmine würde den Kontakt abbrechen und ihren fremdbestimmten Freund zu ähnlichem raten und Beryl und Olivia hängen doch immer an Jazz. Das weißt du besser als ich! Dann bliebe uns beiden nur noch eine Person: Ethan.“ „Ist Ethan so schlimm?“ „Nein, das meine ich nicht. Aber nur zwei Freunde zu haben, wirkt irgendwie uncool“, erwiderte ich. „Aber dafür sind diese Freundschaften dicker als eine Stahlmauer, Darling. Und außerdem … Wen interessiert’s schon, wenn wir manchmal uncool sind“, antwortete Shine. „Die Schule, die Leute in der Stadt … unsere Clique, vielleicht? Ich will keinen Streit.“ „Den wird’s so oder so geben, ob nun morgen oder in einer Woche, wenn du ihn schon wieder nicht rangelassen hast“, meinte Shine und ich wusste, dass sie Recht hatte. Ich wollte aber nicht, dass alles kaputt ging, was ich mir hier aufgebaut hatte. Nachdem ich vor zwei Jahren hier angekommen war, hatte ich zunächst Angst gehabt, wie man auf mich hier reagierte, doch schon ziemlich bald gehörte ich zu den Coolen dazu, nur weil Shine mich angesprochen hatte und herausgekommen war, dass ich die kleine Schwester von einer Top-Designerin war. Endlich hatte ich das Gefühl, wieder normal sein zu dürfen. In Raleigh, North Carolina, hatte ich furchtbar unter meiner berühmten Schwester gelitten, weil sie mich immer übertrumpfte und alle von mir erwarteten, dass ich mindestens mit ihr gleichzog. Doch ich war einfach nicht Sapphire. Ich mochte in der Schule besser sein als sie, inzwischen hatte ich sogar einen besseren Kleidungsstil und mein Make-Up war gekonnter, doch so originell war und voller Talent steckte ich nicht. Aus mir kam kein Designer hervor. „Was mache ich bloß?“, stöhnte ich und versenkte meinen Kopf in meinen Armen. Shine seufzte als Zustimmung und meinte dann, wie um das Thema zu wechseln: „Hast du wenigstens noch irgendwas im TV gesehen. Hinterher, meine ich.“ „Wieso? Ich hab kein TV gesehen“, antwortete ich rein aus Reflex und zuckte selbst zusammen. Du bist so dumm, Ruby! Dumm, hörst du?! Hoffentlich fragt sie nicht! „Was hast du dann gemacht, nachdem der Abend so mies verlaufen ist?“, hakte Shine nach. Ich seufzte und musste zwangsweise nach einer Ausrede suchen. „Um ehrlich zu sein, war ich hinterher noch in meiner Lieblingsbar. Du weißt schon, dem „Heels“. Da hab ich ein paar Cocktails zum Abkühlen getrunken. Ich war ziemlich fertig“, hielt ich mich so nah wie möglich an der Wahrheit fest. Shine kannte mich zu gut. Sie wusste, dass ich etwas ausließ. „Und?“ „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wen ich da getroffen habe!“, rief ich aus und zog sie näher zu mir heran, bevor ich weitersprach: „Oak Tree Senior High School Schüler!” “Nein!”, quiekte sie. „Doch, doch! Ich schwöre!“, kicherte ich und bemerkte das Glitzern in Shines Augen. Okay, sie wollte die Story haben. Die konnte sie haben! „Es waren Neun, so viele wie wir in der Clique sind. Fünf Jungs und vier Mädchen.“ „Diese Snobs gehen in das „Heels“? Was machen die denn dann den ganzen Abend?“, fragte Shine, während sie versuchte, sich diese Leute vorzustellen. Sie runzelte die Stirn, als sie es nicht schaffte. „Sie haben genauso gefeiert wie wir und sogar härtere Mischungen getrunken als ich“, berichtete ich ihr und sie sah mich skeptisch an. „Ehrlich! Whiskey-Cola oder Vodka-Energy ist nichts dagegen! Die Jungs waren Kampftrinker!“ „Snobs trinken Alkohol?!“, wiederholte Shine meine Geschichte ungläubig. Doch ihr schien der Gedanke auch zu gefallen, denn sie meinte plötzlich: „Oh, warum bin ich nicht mitgekommen?! Ich wünschte, ich hätte es gesehen! Glaubst du, die kommen da noch einmal hin?“ „Bestimmt“, stellte ich fest und wand mich innerlich. Von all den Dingen … Jetzt konnte ich nicht einmal mehr in meine Lieblingsbar gehen, weil ich sonst den rattenscharfen Typen wiedersehen müsste. Er war sicherlich richtig wütend. „Waren sie denn wenigstens ansehnlich?“, bohrte Shine nach und ich lachte. „Mehr als das! Einer von ihnen war „rattenscharf“. Heißer als Jack allemal!“ Hoffentlich fasste sie das jetzt nicht falsch auf und interpretierte ein gewisses romantisches Interesse in meine Worte hinein. Doch Shine war zu begeistert, um darauf einzugehen. „Awesome! Brandheiße Boys von der Oak Tree?! Geht es denn noch cooler?! Reich, klug und schön zugleich und das in einem höheren Maß als Jack?! Moment. Warum geht Jack eigentlich auf die Columbus?“ „Soweit ich das weiß, ist er durch die Aufnahmeprüfung der Oak Tree gefallen“, murmelte ich. „Oh, Gott, ernsthaft?! Wie dämlich muss er da bitte sein?! Die ist doch dafür designt, dass reiche, dumme Snobs sie auf jeden Fall bestehen – selbst ohne lernen vorher.“ „I have absolutely no idea, Shine“, erwiderte ich ebenfalls etwas ungläubig und spottend. „Na ja, auch egal. Wo waren wir? Ach ja! Brandheiße Jungs. Also: Wie viele? Wie partysüchtig? Gute Tänzer? Single?“, plauderte Shine weiter und sah mich erwartungsvoll an. Ich grinste und antwortete ganz langsam, um die Spannung zu steigern. Meine Freundin quengelte, weil ich ihr zu langsam war. „Fünf Jungs waren da, vier waren echt heiß und einer brandheiß.“ „Nein! Mir ist was entgangen, verdammt!“ „Gute Tänzer waren sie alle, hatten auch ziemlich viel Spaß beim Feiern und Tanzen … und Trinken. Hart im Nehmen waren sie schon, würde ich sagen“, versuchte ich mich, zu erinnern. „Single? Waren sie Single?“, drängte Shine mich und ich überlegte. „Zwei davon nicht. Innerhalb der Clique hatten sich zwei Paare gebildet, musst du wissen. Aber die drei anderen Jungs schon.“ „COOL!“, rief Shine aus und ergriff meinen Arm, bevor sie mir ins Ohr flüsterte: „Warum sagst du mir das erst jetzt? Wir hätten gestern noch so schön feiern gehen können! Aber heute ist Sonntag und morgen müssen wir wieder zur Schule!“ „Sorry, Kleine“, erwiderte ich eigentlich überhaupt nicht entschuldigend. War ich froh, dass Shine nicht gestern schon vorbei gekommen war! „Gehen wir nächste Woche ins „Heels“? Bitte, bitte, bitte! Ru! Du musst mich ihnen vorstellen!“ „Shine, so lange bist du noch nicht wieder Single, dass du es so nötig hättest, jetzt wieder einen Freund zu haben! Was ist mit Elias?“, versuchte ich von einem Versprechen abzulenken. „Elias, Schmias, Pias. Mir doch egal! Der ist weg vom Fenster. Er wollte mich nicht mehr und ich bin es leid, ihm nachzulaufen. Wer nicht will, der hat schon!“, tat sie ihren Exfreund ab und bevor ich noch weiter vom Thema ablenken konnte, quasselte sie schon weiter. Immer wieder bat sie mich in der nächsten Stunde, während wir uns etwas zu essen machten und uns vor den Fernseher setzten, sie nächstes Wochenende ins „Heels“ zu begleiten – natürlich ohne die Clique. Für sie war das Thema „Jack“ vorbei, in ihren Augen waren wir bereits auseinander. Doch der miese Trennungsteil würde erst kommen und das machte mir am meisten Angst. Er war so gefrustet von acht Monaten Sex-Entzug, dass er mir gut und gerne auch eine reinwürgen könnte. Da war ich mir sicher. Also stritt ich abwesend ab und konzentrierte mich ganz darauf, wie die Trennung meiner Meinung nach ablaufen sollte. Wann, wo, wie? Alles musste geklärt sein, damit es perfekt ablief und nicht ich die Leidtragende war. Meine Clique wollte ich ja nicht auch noch verlieren. Weil ich ihr anscheinend zu beschäftigt wirkte, meinte Shine plötzlich: „Hast du was zu verbergen?“ Von ihrer Direktheit ehrlich überrascht, zog ich die Augenbrauen in die Höhe und sah Shine erstaunt an. Erst dann brachte ich es fertig, ihr zu antworten. Aber mein Zögern ließ sie natürlich stutzig werden. „Nein, wieso fragst du?“ „Na, weil du irgendwie so wirkst. Ich merke das doch! Du hast mir erzählt, du hast den besten Abend hinter dir, hoffst aber nicht, die Oak Tree Leute wieder zu sehen?! Hallo?! Erde an Ruby?!“, empörte sich Shine und ich seufzte. Wusste ich doch, dass ihr das auffiel. „Hör mal, ich will nicht darüber reden, okay?“, startete ich einen neuen Versuch, mein Geheimnis zu wahren. Shine musste ja nicht alles wissen. Doch sie akzeptierte meine Geheimnistuerei dieses Mal nicht. „Wenn es um Jack geht, dann –“ „Es geht nicht um Jack! Der Abend war wirklich super, selbst mit Jacks Aktion!“, rechtfertigte ich mich, doch meine Freundin ließ nicht nach und bohrte weiter. „Also nicht Jack, ja? Was dann?! Hatten die Jungs alle Mundgeruch? Oder haben sie nur über mathematische Formeln geredet?“ „Quatsch!“, entfuhr es mir und ich ärgerte mich gleich wieder. Jetzt hatte ich ihr doch wieder mehr erzählt, als ich wollte. Ich fürchtete, dass ich dieses Mal nicht so leicht davon kommen würde. Also gab ich innerlich bereits auf. Shine würde weiter nachhaken, bis sie wusste, was los war. „Erzähl!“, forderte sie mich auf und ich ergab mich. „Der brandheiße Junge saß die ganze Zeit neben mir.“ „Oha, da bahnt sich was an“, kommentierte sie meinen Satz und ich lächelte schwach. „Wir haben viel getrunken und gelacht, natürlich auch geredet. Und dann sind wir tanzen gegangen.“ „Klingt normal für mich“, sagte Shine und ich nickte. „Bis dahin! Wir tanzten in der Mitte der Fläche, umgeben von einer Menge Leute, es war voll. Das Tanzen machte Spaß und weil es so eng war, tanzten wir ziemlich nah beieinander“, berichtete ich ihr und meine Freundin hielt die Luft an. Sie liebte solche Geschichten, aber sie würde mein Geheimnis bewahren, da war ich mir sicher. „Und? Weiter! Was ist dann passiert?“, erkundigte sie sich drängend. „Wir haben uns in den Armen gelegen und getanzt. Dann haben wir uns geküsst.“ „Super!“, rief sie aus und jubilierte. Doch das Schlimmste kam erst noch, was sie ja nicht wusste. „Es ging heiß her und Samstagmorgen bin ich neben ihm in seinem Bett aufgewacht. Wir waren beide nackt.“ „Scheiße“, flüsterte sie und merkte zum ersten Mal, was ich ihr die ganze Zeit hatte sagen wollen: Ich steckte in der Klemme. Shine nahm die Hand vor den Mund und sah mich an, bevor sie fragte: „Was hast du dann gemacht?“ „Ich hab mich daran erinnert, dass ich den wahrscheinlich besten Sex gehabt hatte, den ich je in meinem Leben haben werde und mich vom Acker gemacht. Ohne dass der Gute etwas bemerkt hat.“ „Du bist abgehauen?!“, empörte sich Shine. Ich nickte. „Was hätte ich denn sonst machen sollen?! Da bleiben und warten, bis er aufwacht, nur um ihm zu sagen, dass ich schon vergeben bin und das alles ein Ausrutscher war? Das hätte ihn sicherlich gekränkt.“ „Du hättest die Affäre durchziehen können!“, schlug sie mir lachend vor. Sie meinte es nicht ernst. Ich lachte trocken und antwortete: „Um dann als zweigleisig fahrende Schlampe bekannt zu werden? Danke, ich verzichte.“ „Auch wieder wahr. Aber scheiße! Der brandheiße Junge mit Niveau und du? Und du hast ihn sitzen lassen? Ich hätte ihm meine Nummer da gelassen und mich umgehend von allen Hindernissen befreit.“ „Du meinst, ich hätte mit Jack Schluss machen müssen …“ „Ja! Du weißt doch jetzt, dass es besseres auf der Welt gibt als Jack, das Arschloch“, meinte sie. „Shine!“ „Sorry“, entschuldigte sie sich für ihren Ausdruck. Doch sofort schlich sich wieder ein Grinsen auf ihr Gesicht. Die Entschuldigung war nicht ernst gemeint gewesen. Doch es störte mich auch nicht. Ich grinste zurück. In dieser Minute fühlte ich mich endlich so, wie man sich fühlen sollte: lebendig. „Hast du ihm wenigstens deine Nummer da gelassen?“ „Nein, was wäre, wenn er mich mit Jack erwischt und sich betrogen fühlt. Ich wollte ihm nicht grausam Hoffnung machen. Ich fühle mich nicht stark genug, um Jack wegzustoßen. Ich habe ziemlich heftig Angst vor dessen Reaktion“, gab ich zu und grinste schwach. Shine sah mich an und meinte: „Ist doch egal. Du hättest ihm ja sagen können, wenn er dich angerufen hätte, dass du nur kurz ein Hindernis aus dem Weg räumen musst und eurer Beziehung danach nichts mehr im Wege steht!“ „Das ist doch nicht so einfach, Shine!“, tadelte ich sie und sie streckte mir die Zunge heraus. Doch ich meinte, was ich sagte: So einfach war das alles nicht, wie Shine das beschrieb. Jack war nicht mein erster Freund, ich musste mich nur an Logan erinnern. Ich war süße dreizehn gewesen, als ich mit dem Nachbarsjungen aus meiner Straße zusammenkam: Logan hatte mich auf seinen Geburtstag eingeladen, ich war gekommen und er hatte mich als seine Freundin vorgestellt. Das war für mich zwar überraschend gewesen, aber ich hatte dennoch akzeptiert. Welches Mädchen wünschte sich nicht, endlich einen Freund zu haben? So konnte ich vor meinen Freundinnen wenigstens behaupten, dass ich bereits einen Freund hatte: Das ließ mich immerhin erwachsen erscheinen. Jungfrauen ohne eine Beziehungserfahrung waren in den Augen der Gesellschaft kindlich oder spätreif. Logan und ich waren sechs Monate zusammen gewesen, an Weihnachten hatte er mir gesagt, dass er ein anderes Mädchen kennengelernt hatte. Das war kurz nachdem das Mobbing angefangen hatte. Ich glaubte ihm bis heute nicht. Mit Jack war ich nach einem guten Jahr an meiner neuen Schule ein Paar geworden. Erst wollte ich ihn ewig nicht akzeptieren, dann ließ ich mich trotzdem überreden. Ein Jahr und vier Monate schwerste Überzeugungsarbeit hatte er da bereits geleistet und eigentlich musste er das immer noch, selbst nach acht Monaten dieser Beziehung. Allein seine feuchten Lippen, die er sich vor jedem Kuss extra noch mal benetzte, stießen mich ab. „Ach, Ru! Lass dich nicht hängen, Chica!“, versuchte Shine mich aufzumuntern. Ich seufzte und konzentrierte mich auf anderweitige Themen. Meistens klappte es wenigstens insoweit, dass ich mich ablenken konnte. Also begann ich ein anderes Gespräch: „Hast du die Hausaufgaben für World History gemacht?“ „Hatten wir da was auf?“, fragte Shine mich überrascht und ich sah die Panik in ihren Augen aufflackern. Mrs. Hawkins tendierte dazu, Shine beim Hausaufgabenvorlesen dranzunehmen und meine Freundin war ein Geschichtsloser. „Ja? Schon vergessen? Diesen Monsteraufsatz von 2 DIN A 4 Seiten über Napoleon Bonapartes Kriege und inwieweit sie sich vorteilhaft auf Frankreich und seine Umländer auswirkten“, wiederholte ich die Aufgabe, die ich bereits am Vortag gemacht hatte, um mich von meiner intimen Erfahrung abzulenken. Dabei hatte ich übrigens einen Bleistift zerstört: Den Schaft hatte ich so zerkaut, dass Holzspäne geflogen waren. „Nein, sag, dass das nicht wahr ist! Alles, bloß nicht Geschichte!“, bettelte Shine und es stimmte. Man konnte ihr sogar irgendwelche hyper-komplizierten Matheaufgaben aus Trigonometrie geben, die sie dann mit Freude schnell löste, aber zwei Seiten lange Geschichtsaufsätze töteten sie fast. Ich klopfte ihr freundschaftlich-mitleidig auf die Schulter und schlug vor: „Ich gebe dir einfach meine Notizen und du schreibst anhand von ihnen deinen Aufsatz. Wie wäre das?“ „Was ist der Haken? Das ist sicherlich eine beidseitige Transaktion“, durchschaute sie meinen Vorschlag und ich kicherte. „Du hilfst mir bei Trig, Darling“, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß. Shine grinste, bevor sie mich mit ihrem Ellenbogen anrempelte und zwinkernd behauptete: „Du schaffst doch irgendwie alles alleine. Wenn ich dir nicht helfen würde, würdest du dir selbst helfen. Bist du sicher, dass du meine Hilfe nur in Mathe willst?“ „Es würde zehnmal länger dauern, wenn ich mir das alles selbst beibringen würde, also frage ich dich. Das ist für mich weniger zeitaufwendig und daher profitabler“, erwiderte ich bloß. „Klar helfe ich dir. Du bist in unserer Clique die Einzige, die ihre Schullaufbahn nicht mit einem Schulterzucken abgetan hat! Dir muss ich doch helfen!“ Ich lachte. Shine hatte Recht. In unserer Clique hielten sich nicht die intelligentesten Leute unserer Schule auf, dafür gab es ja schließlich die „Intelligenz-Clique“. Unsere war die coolste aller Vereinigungen, aber wer cool war, der hatte besseres als Schule im Kopf. Shine und ich passten dennoch sehr genau darauf auf, dass wir trotzdem immer Hausaufgaben hatten und für die Tests lernten, anderenfalls hätten wir in der Zukunft kein Gerüst, auf dem wir aufbauen konnten. Woher sollten unsere Jobs sonst kommen? Wir hatten beide nicht genug Geld oder zumindest reiche Verwandte, die uns durch unser Leben füttern würden. Jeder von uns müsste irgendwann eine Arbeit ergreifen und selbst für sich sorgen. Na gut, ich hatte meine berühmte Schwester Sapphire, aber die würde sicherlich nur in einer absoluten Notlage für uns aufkommen. Mom weigerte sich schließlich auch, das Geld ihrer Tochter anzunehmen, warum sollte diese sich dann darum bemühen, welches zu schicken? Also setzten Shine und ich uns auf ein Neues an unsere Hausaufgaben: Sie schrieb unter meiner Anleitung und Hilfe einen recht passablen Geschichtsaufsatz, der sogar länger war als zwei Seiten, was uns beide erstaunte und ich ließ mir einmal eine Aufgabe musterhaft erklären, bevor ich den Bogen heraushatte und selbst den Rest erledigte. Shine hatte somit ebenfalls schon einen Teil ihrer Hausaufgaben gemacht und war hinterher auch ziemlich froh darüber. „Puh, das hat länger gedauert, als ich dachte“, kommentierte sie den inhaltlich fehlerfreien Aufsatz stolz und ich lächelte. „Ich musste ja bloß Trig machen. Das war nicht ganz so schlimm.“ „Bist du schon mit den anderen Fächern durch?“, fragte Shine mich und ich nickte. „Alles schon gestern gemacht.“ „Ernsthaft? Du bist also von einer heißen Nacht nachhause gekommen und hast dann in aller Ruhe Hausaufgaben gemacht? Du bist aber romantisch“, meinte sie ironisch. Ich lachte. „Es muss auch solche Leute wie mich geben!“ „Ich hoffe, dass sie nie in der Überzahl sein werden. Die armen Männer, die dann jeden Morgen alleine aufwachen – alleingelassen nach einer heißen Nacht, von der sie sich eigentlich mehr versprochen hatten“, kicherte Shine und ich zuckte die Schultern. Ich wollte nicht schon wieder über dieses Thema reden. Noch konnte ich es ja vermeiden, meine widersprüchlichen Gedanken zu ordnen und mich der Konfrontation mit Jack zu stellen. „Wie spät ist es?“, murmelte meine Freundin mehr zu sich selbst als zu mir und kramte ihr Handy aus ihrer Hosentasche, anstatt auf meinen Nachttischwecker zu schauen. Sie blickte auf die Anzeige und stöhnte. „Schon nach sechs Uhr! Ich muss nach Hause! Muss heute Abend kellnern. Boah, hab ich kein Bock.“ „Schreib mir eine SMS, wenn du zuhause bist, ja?“ „Entspann dich, mich fällt bestimmt kein Notgeiler an und wenn, verpass ich ihm eine! Du weißt schon, Schwarzgurt und so.“ Ich lachte. Der arme Irre, der Shine belästigen wollte. Sie war eines der wenigen Mädchen, die wussten, wie sie sich wehren konnten und mit ihr wollte sich wirklich keiner anlegen. Erst recht nicht, wenn derjenige total betrunken war. Also verabschiedeten wir uns voneinander, indem sie mich aufmunternd ansah und ich ihr viel Glück bei ihren Hausaufgaben wünschte. Sollte sie nicht fertig werden, weil sie abends ja noch arbeiten musste, könnte ich ihr auch noch aushelfen – mein Vorschlag wurde mit einem erleichterten Lächeln quittiert. „Bis morgen, Chica.“ Shine winkte zum Abschied und ging die Treppenstufen zum unteren Stockwerk hinab. Ich schaute ihr noch eine Weile nach, natürlich winkend und ging dann zurück in die Wohnung. Ich räumte die Überreste unserer Verabredung weg und schaltete nebenher im Wohnzimmer den Fernseher an. Es lief nichts Interessantes, weswegen ich ihn gleich nach dem Spülen des Geschirrs wieder ausstellte. Zurück in meinem Zimmer überlegte ich erst, welche Kleidung ich am nächsten Tag zur Schule anziehen würde und entschloss mich, weil es bereits Herbst war, für wärmere Sachen: Eine lange hellblaue Jeans mit einem weißen Top und einem hellbraunen Poncho sowie gleichfarbigen Ballerinas. Diese Häkelkleidung war dank meiner Schwester wieder voll in die Mode eingeführt worden. Zugegeben, ich fand den Poncho dennoch sehr schön. Ich war also nicht unbedingt ein Modeopfer, dass alles toll fand, was gerade IN war. Ich entschied mich innerhalb des Sortiments für Modeartikel auch immer für das, was mir gefiel. Dann kramte ich meine braune Lederhandtasche hervor. Sie war groß genug, um sie in der Schule verwenden zu können: Alle Bücher und Hefte und Stifte und Blocks und andere Utensilien, die man eigentlich ja nicht mitnehmen durfte, wie Make-Up und Handy, passten dort bequem hinein. Außerdem war die Tasche cool und fügte sich wunderbar in mein morgiges Outfit ein. Ich warf einen schnellen Blick auf meinen Stundenplan: Wir hatten wie jede amerikanische Senior High School jeden Tag den gleichen Unterricht, dennoch hatte ich mir die Reihenfolge der Fächer noch nicht eingeprägt, obwohl es schon Herbst war. „Jeden Montag, Mittwoch und Freitag Assembly in der Zero Hour! Das ist total unnötig. Und was für unnötige Sachen die da besprechen! Und dafür muss ich schon um 8:30h da sein? Das regt mich jedes Mal auf, da war Raleigh echt besser“, kommentierte ich das Fach, das mir den Beginn und das Ende der Woche stark versalzte. In der ersten Stunde, die um 8:50h begann (ganze zehn Minuten früher als in Raleigh), hatte ich dann Shines „Lieblingsfach“: World History. Dass wir im Anschluss daran Trigonometrie hatten, fand ich nicht ganz so schlimm wie meine Mitschüler, die regelmäßig in den ersten zwei Stunden verwelkten. Mrs. Hawkins liebte Geschichte und war somit Inbegriff einer Fachwissenschaftlerin: langweilig und monoton. Mrs. Warren in Trig die reinste Katastrophe: Sie hatte die Ahnung und ihre Schüler waren dumm. Bei ihr regnete es nach jedem Test Fs, da schlackerten einem die Ohren! Doch ich kam mit beiden gut zurecht. Das lag mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass ich bei den Lehrern einen guten Ruf genoss. Ich war freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend, erledigte meine Hausaufgaben und schrieb im Unterricht mit – wenigstens versuchte ich mitzukommen, wobei der Mathestoff schon ziemlich heftig war. Dank dieser Tatsache litt ich bei weitem nicht so sehr wie Jazz, die in Trig immer drangenommen wurde, wenn sie keine Ahnung hatte. Und das war übrigens sehr bemitleidenswert, weil sie ungefähr nie peilte, worum es gerade ging. Also kam sie auch ständig dran. Nach einer zwanzigminütigen Pause ging es dann frisch in Englische Literatur, eines der Fächer, bei denen die Schüler regelrecht abschalteten. Sie wählten es, weil sie wussten, dass es Mr. Dearing nicht störte, wenn sie schliefen oder redeten. Als ich auf die Senior kam und noch nicht wusste, dass mein Lehrer einen solchen Ruf mit sich schleppte, hatte ich das Fach in der Hoffnung gewählt, mehr über England zu erfahren: Leider hätte mir Amerikanische Literatur besser gefallen, wie ich später feststellte. Dennoch gehörte dieses Fach zu meinen Lieblingsfächern. Es war einfach und direkt, die Tests leicht und verständlich, wenn man denn gelernt hatte und der Lehrer war sehr nett. Shine und ich konnten uns in diesen Stunden endlich richtig entspannen, denn keiner aus unserer Clique hatte Englische Literatur gewählt aus Angst, noch einmal auf Mrs. Hawkins zu treffen, die dieses Fach ebenfalls unterrichten durfte. Um ein Uhr würde ich dann Physik haben. Mr. Sutherland begann seinen Unterricht immer pünktlich, also durfte nach der Lunchpause niemand trödeln. Ich fragte mich bis heute, warum Jazz, Beryl und Olivia dieses Fach gewählt hatten. Sie waren schließlich alle Matheloser und in Physik traf es sie nicht besser. Biologie oder Chemie wären vielleicht besser für diese Mädchen gewesen. Shine und ich lachten insgeheim immer über die zerfurchten Gesichter, die die Drei zogen, wenn sie mal wieder nichts verstanden. Eigentlich verstanden sie nie was und redeten daher nur miteinander, also hatten wir zwei immer was zu lachen. Da ein Fach immer eine Stunde dauerte und es keine großartigen Pausen zwischendurch gab, fing um zwei Uhr nachmittags das letzte reguläre Unterrichtsfach an: Für mich hieß das Französisch. Viele meiner Freunde hatten Spanisch gewählt, aber Shine war trotzdem immer neben mir. Mrs. Onassis war immer offen für französisch geprägte Aussagen, doch amerikanische Gedanken hatten bei ihr keinen Platz, d.h. Englisch sprechen war unter Strafe verboten. Dank ihr konnte ich Französisch nunmehr fast flüssig, deshalb mochte ich ihren Unterricht sehr gern, der von anderen jedoch immer als spartanisches Boot Camp bezeichnet wurde. Ab drei Uhr nachmittags durfte man also nach Hause gehen, doch ich gehörte diesem Verein nicht an, ich musste hinterher noch bis Vier zum Tanzen. Mrs. Marriott brachte uns von Gesellschaftstänzen über Einzelchoreographien alles bei. Ich war ihr sehr dankbar dafür, denn in der Disco beweisen zu können, was ich drauf habe, gefiel mir. Außerdem würde ich dann nicht kurz vor dem PROM oder so feststellen, dass ich nicht eine Schrittfolge kannte. Im Moment tanzten wir die Choreographien für das Musical der Drama-Gruppe, weil wir dort als (sprachlose) Nebenfiguren auftauchen würden. Das Musical würde beim fünfzigjährigen Bestehen der Schule aufgeführt werden. Es sollte ein riesiges Fest mit allem drum und dran werden, deshalb durfte natürlich auch eine solche Aufführung nicht fehlen. Insgesamt mochte ich meinen Stundenplan sehr, weil ich nicht ein Fach zusammen mit Jack hatte und nur wenig andere mit den anderen Leuten aus der Clique. Außer bei Ethan konnte ich mich nämlich bei keinem darauf verlassen, nach einer Trennung von Jack noch von einer Freundschaft reden zu können. Ethan Taylor war so alt wie ich, eingewanderter Chinese mit einem Super-Brain und dem Talent des Viel-Zu-Schnell-Redens. Shine war diejenige gewesen, die uns Drei zusammen gebracht hatte, bevor wir aus immer noch ungeklärten Gründen plötzlich Mitglieder unserer jetzigen Truppe wurden. Wir hätten uns auch jederzeit von der Clique ablösen können und keinen von uns hätte das gestört, aber wir waren lieber cool und beliebt, als dass wir einen Überlebenskampf in der High School ausführen mussten. Wir hatten schließlich Besseres zu tun. Irgendwann abends kam meine Mom dann von der Arbeit und wir machten uns irgendetwas zu essen. Ich sage hierbei extra irgendetwas, weil es nach-nichts-schmeckendes Konservenfutter war und wir beide zu müde waren, etwas Großes herzurichten. Ich liebte meine Mom, ich respektierte sie für ihr Leben und ihren Optimismus und ihre unbändige Lebenslust. Deshalb war ich auch immer ehrlich mit ihr, um ihr zu zeigen, wie viel sie mir bedeutete. Also erklärte ich ihr die Umstände meiner Beziehung zu Jack. Sie verstand mich natürlich sofort, etwas Ähnliches hatte sie ja bereits mit Pops damals gehabt. Dummerweise arbeitete sie nun für Jacks Vater in seinem Hotel, daher riet sie mir zwar, mit Jack Schluss zu machen, aber ihre Augen baten mich gleichzeitig auch, noch ein wenig auszuhalten: Mom wünschte sich bereits seit einiger Zeit wieder wegzuziehen. Am liebsten dorthin, wo meine Schwester jetzt lebte. Innerlich krümmte ich mich: Würde Jack vielleicht durch seinen Vater Rache an meiner Mutter nehmen und sich somit an mir rächen? War er so ein Arschloch? Dass er eines war, wusste ich, aber war er wirklich so SCHLIMM? In Gedanken vertieft, wünschte ich meiner Mom eine gute Nacht und schlüpfte zurück in mein Zimmer, um noch einmal gründlich über meine Vorgehensweise nachzudenken. Kapitel 4: Monday's fear ------------------------ Es war der gefürchtete Montagmorgen, der mich heute mit genau dem Wetter begrüßte, das meiner Laune angemessen war: Es regnete in Strömen. Heute würde ein gewaltiges Showdown stattfinden – oder auch nicht. Als ich von der Bushaltestelle auf meine High School zu stapfte, wusste ich innerlich schon genau, dass mich bereits gestern Abend der Mut verlassen hatte. Ich würde mich sehr wahrscheinlich nicht heute von Jack trennen. Ich ging den Plattenweg entlang, der zu den sechs Podeststufen vor der Eingangstür führte. Links neben dem Eingang steckte auf zwei Metallbeinen das beleuchtete Schild meiner Schule: Columbus Senior High School, Emerald Hills. Dahinter war der Fahnenmast, an dem auch heute eine vollständig hochgezogene amerikanische Fahne im Wind flackerte. Ich schob die Flügeltüren auf und befand mich sofort in einer vollen Eingangshalle. Die Leute sprangen mir teilweise in letzter Sekunde aus dem Weg, dabei hatten sie das gar nicht nötig, ich wäre auch um sie herumgegangen. Es war kurz vor Beginn der Zero Hour, die in der Regel von 8:30h bis 8:50h dauerte und nur montags, mittwochs und freitags stattfand. In ihr gab es eine so genannte Assembly, in der die Lehrer Disziplin predigten und Neuigkeiten verkündeten. Auch heute würde eine solche Versammlung der Schülerschaft zusammentreten, also machte ich mich auf den Weg zu unserer Musical-Halle, der offiziellen Aula. Dort quetschte ich mich durch die bereits anwesende Menge auf Shine zu, die ich vor der Eingangstür sofort erblickt hatte. Ich fasste sie an der Schulter und sie drehte sich zu mir um, ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht: „Weißt du, worum es heute gehen soll?“ „Wo, hier? Während der Assembly?“, fragte ich und schaute hastig zur Bühne hinauf. „Wenn ich es doch sage“, lachte Shine. Als Antwort auf ihre erste Frage, schüttelte ich den Kopf. „Nein, keine Ahnung.“ „Ich war gerade im Sekretariat und konnte rein durch Zufall mithören, wie unser netter Herr Schulleiter über seine Rede sprach.“ „Rück die News raus!“, forderte ich meine Freundin auf und stellte mich ordentlich neben ihr auf, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Man ließ mir bereitwillig meine Lücke und rückte sogar vereinzelt beiseite. „Angeblich soll es eine Verwarnung an die ältere Schülerschaft geben, die unter der Woche beim Feiern erwischt worden war und deswegen zu spät oder gar nicht zur Schule kam.“ „Meinen die mit „älter“ auch uns?“, fragte ich und Shine nickte. „Auch die Juniors, nicht nur die Seniors. Die Freshmen meinen sie nicht, die sind ja noch zu jung zum Feiern. Wen sie wohl erwischt haben?“ „Du meinst, sie haben patrouilliert und dabei ein paar Schüler entdeckt?“ „Soweit ich weiß, ja. Weit nach Mitternacht auch noch! Und am nächsten Tag war Schule!“, lachte Shine und ich musste ebenfalls grinsen. Was hatten die Schüler wohl für Gesichter gemacht? „Die Armen! Das haben die bestimmt nicht erwartet!“ „Ich habe noch nie so sehr versucht, nicht zu lachen wie im Sekretariat. Ich wäre fast verstorben!“ Eine Weile lachten wir zwei darüber, beruhigten uns aber irgendwann doch. Wieder gelangweilt und ein bisschen übermüdet, weil ich des Nachts immer über meine heimliche Affäre sinnierte, schaute ich mich um und erblickte Jasmine, Beryl und Olivia vier Reihen hinter uns. Ich winkte und sie zwinkerten zurück. Shine drehte sich um, als sie sah, was ich tat, winkte halbherzig und wandte sich dann wieder ab. „Ich fass es nicht, dass du denen noch schöne Augen machst, kurz bevor du diese riesige Bombe platzen lässt.“ „Shine! Sch! Sei leise! Ich will nicht, dass Gerüchte entstehen“, ermahnte ich sie, doch sie zuckte bloß mit den Schultern. Am Ende des Tages würden eh genug über das Scheitern dieser Beziehung reden. Ich seufzte und meinte: „Ich weiß nicht, ob ich das noch tun soll.“ Shine starrte mich sofort scharf an, ihre Augen schmal und berechnend. Mit vorgeschobener Unterlippe ergriff sie meinen Oberarm und zog mich durch die Reihe über den Gang hinaus in den Flur. Ein paar Schüler schauten uns ärgerlich, einige aber auch neugierig hinterher. Ich schüttelte ihre Hand ab und rieb die Stelle, an der sie mich festgehalten hatte. „Spinnst du? Das tat weh! Wehe ich bekomme da einen blauen Fleck!“, meckerte ich sie an. „Zick bloß nicht rum!“, fauchte sie zurück, zog mich etwas weiter von der Tür weg in die nächste Mädchentoilette. Alle Kabinentüren waren offen, deshalb wussten wir beide, dass niemand hier war. Keiner würde uns belauschen. Bevor Shine beginnen konnte, rasselte die Schulklingel und verkündete den Anfang der Zero Hour. „Shine! Lass uns zurückgehen! Wir dürfen nicht unentschuldigt fehlen!“, drängte ich meine Freundin, doch sie schüttelte eingeschnappt den Kopf. Dann erst flüsterte sie hektisch los. „Bist du doof?! Irgendwann passiert in deiner Beziehung irgendetwas, was du nicht wieder rückgängig machen kannst und dann ärgerst du dich, dass du nicht Schluss gemacht hast!“ „Aber jetzt, da ich weiß, dass Sex haben nicht wehtut, kann ich Jack doch –“ „Klar, Sex ist wie Beine-breit-und-rüber-rutschen! Wenn du ihn an dich heranlässt, dann wirst du es dermaßen bereuen, das schwöre ich dir! Du hattest ein- oder zweimal deinen Spaß, bist aber nicht an Jack gewöhnt sondern an den rattenscharfen Fremden von Freitagnacht! Du weißt nicht, wie ruppig Jack vielleicht beim Sex ist! Du liebst ihn nicht einmal und willst trotzdem mit ihm in die Kiste springen? Ru, du bist doch keine Schlampe!“, fauchte Shine wütend und schüttelte mich, als müsse sie mich aufwecken. Das Schlagen einer Tür riss uns beide aus unserem Gespräch und wir fuhren herum. Von all den Leuten, die da im Eingang stehen könnten, war es auch noch eine der Gothic-Tussis. „Wow, ernsthaft? Das ist ja heiß“, kommentierte sie meine Affäre und meine Seite meiner Beziehung. Ich streckte die Hand nach ihr aus, doch Shine reagierte schneller: Sie zog die Schwarzgeschminkte in die Toilette, schlug die Klotür hinter ihr zu und schob das Gothic-Mädchen an die geflieste Wand. „Hör mal, das ist Top-Secret, Darling“, beschwor Shine sie und sie nickte misstrauisch. „Darf ich trotzdem was dazu sagen?“, fragte sie zurück und ich seufzte, nickte aber schließlich. „Ich weiß, eure Clique glaubt mir nicht, aber ich hatte auch schon Beziehungen. Und mit jemandem zusammen zu sein, den ich nicht leiden kann, belastet einen wirklich! Du solltest ihn erst gar nicht weiter an dich heranlassen, das tut dir echt nicht gut.“ Shine nickte zustimmend und sah mich herausfordernd an, abwesend sagte sie: „Danke, Frau!“ „Jack ist wirklich in Ordnung! Der würde mir bestimmt nichts tun“, wies ich die Kritik ab. Dass die Zwei jetzt meinen Freund herunterwerteten, tat mir wirklich in der Seele weh, selbst wenn ich ihn eigentlich nicht liebte. Vielleicht fühlte ich mich ja auch in meinem Stolz gekränkt. Also schüttelte ich den Kopf und wandte mich ab. Theatralisch stapfte ich aus der Damentoilette und machte mich auf den Rückweg in die Aula. Durch die einen Spalt weit geöffnete Tür schlüpfte ich in die letzte Reihe zu irgendwelchen wildfremden Freshmen und grinste ihnen entschuldigend zu. Sie machten mir neugierig Platz. Unser Schulleiter schimpfte wirklich gerade über die Unpünktlichkeit und Verantwortungslosigkeit seiner Schüler, also hatte ich genug Zeit, mich umzusehen. Ich erblickte Jack und seinen guten Kumpel Samuel, kurz: Sam. Die Zwei winkten mir zu und ich merkte, wie ich zu einem falschen Lächeln ansetzte. Ich grinste schief zurück und wedelte meine Hand durch die Luft. Das musste ihnen echt reichen. Es dauerte auch nicht mehr lange, dann wanderte eine Anwesenheitsliste durch die Reihen. Da Shine und die Gothic-Tussi noch nicht zurückwaren, trug ich sie freundschaftlich ein und reichte das Papier und den Stift weiter. Die Freshmen rechts von mir lachten leise und ich zwinkerte ihnen zu. Erst dann war die Assembly vorbei und ich wanderte zu meiner Clique hinüber. Jacks Arm wickelte sich sofort um meine Hüfte, ich ließ es geschehen und horchte dabei auf mein Herz. Da es still war, hatte ich vielleicht eine gewisse Männer-Resistenz aufgebaut, dank meines kleinen Seitensprungs. „Na, Darling, what’s up?“, hauchte er in mein Ohr und mir lief ein Kribbeln über den Rücken. In meinen Gedanken erschien das Bild des jungen Mannes, mit dem ich Freitagnacht geschlafen hatte. In dieser Fantasie biss er mir liebevoll ins Ohrläppchen. Ich riss mich von ihm los und antwortete meinem realen Freund: „Nicht viel und bei dir?“ Dann wandte ich mich zu ihm um und schlang ihm prätentiös meine Arme um den Hals. Er hatte eindeutig die falsche Größe dafür, er war nicht groß genug – höchstens wenige Zentimeter größer als ich. Sein Körper passte nicht zu meinem und mit einem Stich stellte ich auch fest, dass sich meiner nicht so wunderbar in die Kuhlen seines Körpers fügten, wie er das Freitagnacht bei meinem Seitensprung getan hatte. Ich schloss die Augen und klammerte mich an meiner Realität fest. Ich wollte meine Freunde nicht verlieren, selbst wenn ich Shine damit verärgerte, weil sie doch bereit war, alles für mich aufzugeben. Aber ich war eindeutig nicht bereit, alles für sie aufzugeben und schon lange nicht für einen wildfremden One-Night-Stand-Partner. „Ich habe am Wochenende eine schöne Partie Football gespielt und gewonnen, obwohl du nicht da warst! Wolltest du nicht eigentlich kommen?“, rügte er mich. Mist, das hatte ich vergessen! Samstag war sein großes Spiel gewesen! „Meine Mom hat mir mal wieder den Haushalt überlassen, sorry, Jack“, entschuldigte ich mich mit einer schwachen Ausrede und fügte dann hastig an: „Ich habe dich auch vermisst, ehrlich.“ „Ich weiß, ich weiß.“ Nichts weißt du! Ich erwischte meinen Geist noch rechtzeitig beim Giften und schaltete diese Funktion schleunigst ab, sie würde mich nur ablenken. Jacks Lippen kamen mir näher und ich erschauderte. Ich riss mich zusammen, presste die Augenlider aufeinander und ließ mich küssen. Der feuchte Kuss war so eklig wie immer, doch ich ließ es mir nicht anmerken. Aber Jack beließ es nicht bei einem kleinen Kuss, er schob mir vor allen Leuten seine Zunge in den Hals. Meine Arme wanderten schon zu seinen Schultern, um ihn wegzustoßen, als ich mich noch einmal dabei erwischte und konzentrierte. Ich ließ auch diesen Kuss über mich ergehen. „Ah, ich bin froh euch so zu sehen“, seufzte Jasmine, alias Jazz, verträumt und erhielt von ihren Freundinnen und Sam gemurmelte Zustimmung. Ich schrie innerlich. „Sei nicht eifersüchtig, Jazz! Ru ist die Einzige für mich! Ich liebe sie!“, erwiderte Jack bloß und ich überwand mich dazu, die Luft tief einzusaugen, so als hätte er mich überrascht. „Oh, Jack! Ich liebe dich auch!“, hauchte ich gekünstelt und hängte mich an seinen Hals. Er lachte kehlig und umarmte mich fest, sodass ich kaum Luft bekam. „Wir kommen zu spät zum Unterricht“, ließ sich Ethan Taylor vernehmen. Sein Räuspern riss mich aus meiner Schauspielerei und ich löste mich gespielt verlegen vom Körper meines Freundes. Zusammen mit Ethan machte ich mich auf den Weg zur ersten Stunde, wo ich auf die beleidigte Shine traf. Klasse! Jetzt war auch noch meine Freundin zickig! Ich seufzte. Der Tag würde wirklich so schlimm werden, wie ich ihn mir ausgemalt hatte. Nach meiner letzten Stunde, Dance, machte ich mich auf den Rückweg. Als ich bei der Bushaltestelle ankam, hielt Jack seinen Wagen am Straßenrand und hupte. Ich schaute hoch und begegnete seinem Blick. Er grinste und rief mir aus dem heruntergefahrenen Fenster zu: „Come on, Ru. Ich bring dich!“ „Die hat’s ja so gut“, schwärmte eine Schülerin hinter mir und ich unterdrückte den wilden Drang, dämlich zu grinsen. Stattdessen sprang ich unter den wütenden Augen meiner Freundin Shine in Jacks Auto und rutschte dort auf den Beifahrersitz. Er küsste mich und dann fuhr er mit quietschenden Reifen los – nicht, dass ich das toll gefunden hätte, deshalb klammerte ich mich an den Haltegriff. Wir düsten Richtung Emerald Hills Zentrum und ich beobachtete, wie die Stadt an uns vorüber zog. Mein Gesicht an die Scheibe gepresst schaute ich in den tristen Himmel auf und erschrak beinahe, als Jack meine Hand ergriff. „Ich bin froh.“ „Worüber?“, lachte ich und sah ihn mit einem fragenden Blick an. Er grinste zurück und antwortete: „In letzter Zeit warst du so komisch. Ich dachte, du hast vielleicht überlegt, mit mir Schluss zu machen. Du hast dich gegen jede Annäherung gewehrt.“ Ich zuckte innerlich zusammen, hielt mein Gesicht nach außen hin aber neutral. Also drückte ich seine Hand und meinte: „Warum denkst du so etwas? Ich würde mich nicht ohne guten Grund von dir trennen, das weißt du!“ „Ich hatte einfach Angst“, tat er seine Gefühle schulterzuckend ab. Für ihn war diese Sache erledigt, weil er meine Warnung gekonnt überhört hatte. Ohne guten Grund würde ich mich von niemandem trennen, aber er gab mir in letzter Zeit viele Gründe, die gebündelt einen guten Grund ergeben könnten, wenn ich nur wollte. Doch ich zögerte, weil ich mehr Angst vor einer Trennung hatte als er und zwar aus ganz anderen Gründen. Ich streichelte seine Hand die ganze Rückfahrt über und lächelte ihm ermutigend zu, wenn er sich zu mir umdrehte. Er entspannte sich von Mal zu Mal mehr. Ich atmete innerlich erleichtert auf. Meine Tarnung hatte gewirkt. „Wir sind da“, riss er mich ziemlich schnell aus meinen Tagträumen und ich sah an der Fassade meines Wohnungsblocks hinauf. Er hatte Recht. Seltsam, dass es mir nicht aufgefallen war! „Danke fürs Vorbeibringen“, flüsterte ich, bevor ich ihn ausführlich küsste. Als ich die Augen öffnete, schaute er mich liebevoll an und ich fühlte einen Stich in meinem Herzen. Ich betrog und belog meinen Freund! Soweit war es also schon mit mir gekommen! „Komm mit hoch“, bot ich ihm an, nicht ohne an Shines Warnung zu denken. Es war mir egal, was meine Freundin sagte, aber ich wollte Jacks Unterstützung nicht verlieren. Die Clique würde hinterher enger zusammenrücken. Innerlich ärgerte ich mich darüber, Shine von meinem Seitensprung erzählt zu haben. Sie wusste einfach zu viel, was sie mir vorhalten konnte. Jack sah mich erstaunt an und meinte dann halb schnurrend: „Bist du sicher?“ Ich zögerte nicht, als er mich küsste. „Sehr sicher, komm mit hoch!“, forderte ich noch einmal und schlüpfte aus dem Auto. Mein Herz raste. Ich würde mit Jack schlafen, wenn es meine Glaubwürdigkeit erhöhte. Drei Minuten später spürte ich den Arm meines Freundes um meine Hüfte, das Auto hatte er ein paar Meter weiter die Straße hinunter abgestellt. „Dann lass uns gehen“, schlug er mir vor und zog mich an meiner Jeansgürtelschlaufe hinter sich her. Ich lachte und schob ihn hoch zur Wohnungstür. Ich bekam kaum den Schlüssel ins Schlüsselloch, weil Jack meinen Hals küsste. Ich schob ihn weg und flüsterte: „Nicht vor den neugierigen Nachbarn!“ „Sorry, du bist bloß so heiß“, murmelte er. Die Tür sprang auf und mein Herz begann zu holpern. Ich würde gleich den größten Fehler meines Lebens begehen, aber ich würde es mit Freuden tun, um meine sensible Jugendlichkeit zu beschützen. Ich zog ihn in die Wohnung, schloss ab, obwohl ich kaum dazu kam. Jack drängte mich in mein Zimmer, dessen Tür nur ein wenig weiter weg war. Das Holz fiel mit einem leisen, aber bestimmten Klicken ins Schloss und ich presste hastig hervor: „Ich hoffe, du hast –“ „Kondome habe ich immer, nur für dich, Darling.“ „Gut“, sagte ich enttäuscht. Irgendwo hatte ich wohl gehofft, meinem Schicksal noch einmal von der Schippe zu springen. Nichts war gut. Aber immerhin nahm ich die Pille. Es würde nichts passieren. Jack entledigte sich seines Hemdes und meines Tops. Bevor ich es noch irgendwie verhindern konnte, lag ich nur noch in Unterwäsche unter ihm und fühlte, wie seine Finger über meine nackte Haut strichen. Ich wollte mich gerade wehren, da durchfuhr mich ein anderer Gedanke. Anstatt Jack dachte sich mein Gehirn den gutaussehenden jungen Mann über mich und ich zerlief fast auf der Stelle. Ich musste also zugeben, dass ich mich in diesen Wildfremden innerhalb von wenigen Stunden verliebt hatte. Was tat ich dann bloß hier? War ich verrückt geworden? Jacks Finger glitten über meine Brust und fuhren die Wölbung nach – in meinem Kopf war es der junge Mann, der mir brennende Küsse auf den Körper drückte. Ich fühlte die Schauer über meinen Rücken jagen und die Gänsehaut an meinen Armen. Ich schlang die Arme um ihn und legte den Kopf in den Nacken, als er mit seiner Nase meinen Hals hinauffuhr. Wieder liefen eiskalte Wogen über mich und ich seufzte zufrieden. Ja, so konnte es gehen. Ich brauchte mir bloß vorstellen, dass nicht Jack hier im Raum war. „Ru, ich will dich zu meiner Frau machen“, brummte Jack mir ins Ohr und riss mich unsanft aus meinen Tagträumen. Von all den Dingen! Machte er mir gerade einen Heiratsantrag?! „B-bitte?“, stotterte ich noch völlig abwesend. Mein Freund grinste und flüsterte mir stolz zu: „Du bist wundervoll, Ru. Ich liebe dich über alles! Hei-“ „Ich liebe dich auch“, unterbrach ich ihn hektisch. Wenn er mir einen Heiratsantrag machte, war ich geliefert! Ich war so jung! Was dachte er sich überhaupt dabei? Er war auch erst 16! Ich würde ablehnen und das würde unsere Beziehung kaputt machen und … Oh mein Gott, warum macht er das? Ich habe noch nie mit ihm geschlafen und höchstens mal mit ihm geknutscht. Das Fummeln, das ich immer unterbrochen habe, bevor es zu schlimm wurde, kann auch nicht der Grund dafür sein, dass er mir jetzt einen Ring an den Finger stecken will! „Ru!“, murmelte Jack und strich mit seinen Fingerkuppen der linken Hand über meinen Bauch abwärts und stockte. „Was ist das?“, fragte er und ich schaute an mir hinab. Meine Augen trafen seine, während sein Zeigefinger auf eine Stelle in der Nähe meines Bauchnabels tippte. Ich schluckte, weil ich sofort wusste, was er meinte. Warum fragte er erst jetzt? „Ein blauer Fleck“, antwortete ich ruhig. Er runzelte die Stirn und erwiderte: „Das sieht aus wie ein Knutschfleck!“ „Das ist ein blauer Fleck, Jack. Ich bin beim Anziehen gestern Morgen gegen den Griff meiner Schranktür gestoßen. Das tat höllisch weh! Kein Wunder also, dass da jetzt ein blauer Fleck ist.“ Noch immer skeptisch, entschied er sich jedoch dafür, nichts weiter zu sagen. Kluger Junge! Ich hätte ihm sonst, ungeduldig wie ich war, meine Meinung gepaukt. Erst dann hakte er die Finger unter meinen String und schob seine freie Hand unter meinen BH auf meine Brust. Das ging mir doch etwas zu schnell! Scheiße, Handy, klingel! Komm schon, rette mich! Mein Betteln wurde sofort erhört. Der Klingelton summte los und riss uns beide aus dieser Situation. „Ignorier es einfach“, beschwor Jack mich und wollte gerade weitermachen, als ich ihn wegschob. Den Klingelton würde ich auf Meilenentfernung erkennen. „Das ist meine Mom“, sagte ich streng und er schaute mich beleidigt an. Ihm gefiel es gar nicht, dass ich schon wieder unterbrochen hatte, was wir bereits begonnen hatten. Ich streichelte seine Wange und schaute ihn, hoffentlich liebevoll, an: „Schatz, wenn sie anruft, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass sie auf dem Weg nach Hause ist. Ich will nicht, dass sie uns erwischt. Es soll doch schön sein.“ „Dann gehst du wohl besser ans Telefon“, ließ er sich überreden und ich schlüpfte mit vor Erleichterung klopfendem Herzen unter ihm hervor. Ich angelte mein Handy aus der Jeans-Tasche und ließ es aufschnappen. Tatsächlich rief da aber jemand mit unterdrückter Rufnummer an. Ich nahm ab. „Mom? Hallo?“ Am anderen Ende der Leitung war ein Dauerpiepton, ein gutes Zeichen dafür, dass niemand mein Gesprächspartner in diesem Telefonat war. Ich wollte fast auflegen, da erinnerte ich mich an Jack, der halbnackt auf meinem Bett saß. Ich würde dort weitermachen müssen, wo wir aufgehört hatten, obwohl ich eindeutig nicht bereit dafür war. Ich machte ein paar „Hm“- und „Uhu“-Töne, damit es wenigstens so aussah, als würde ich telefonieren. Warum hatte mein Handy geklingelt, obwohl Mom gar nicht angerufen hatte? Wieso war es gerade der Klingelton meiner Mom? „Ach so, ja. Du kommst nicht so spät? Ah. Ich soll einkaufen gehen? Was denn zum Beispiel? Uhu, ja. Paprika? Tomaten und Gurken, sonst noch irgendetwas? Einen Salatkopf, Makkaroni-Nudeln eine Packung. Kommt da noch viel? Sonst schreib ich mir das auf. Ob ich das jetzt erledigen kann? Uhu, ach so. Du bist schon bald da. Ja, ich werde schnell im Supermarkt vorbeigehen. Wo ist das Geld? Ah, okay. Klar. Verstanden. Ich hab dich auch lieb. Wir sehen uns. Bye“, murmelte ich in das Handy, um den Piepton zu übertönen, anderenfalls hätte ich ein Problem, weil Jack mir sonst auf die Schliche kam. Ich legte schnell auf und drehte mich mit einer, wie ich hoffte, entschuldigenden Miene um. „Sorry, Babe. Ich muss einkaufen. Mom kommt gleich“, log ich und er schaute mich aus schmalen Augen an. Sie waren nicht misstrauisch, mehr wütend. Er stand auf, packte seine Sachen zusammen und zog sich an, bevor er sagte: „Ru, das ist echt enttäuschend. Jedes Mal passiert irgendetwas. Deine Mom stört uns oder so eine blöde Nachbarin, du hast einen Arzttermin oder musst einkaufen. Manchmal hast du sogar einer Freundin versprochen, vorbei zu kommen! Was sind das für Ausreden. Wenn du es nicht mit mir tun willst, dann sei wenigstens ehrlich! Von wegen blauer Fleck! Verdammt, Ru! Denkst du, ich erkenne keinen Knutschfleck, wenn mir einer über den Weg läuft?“ Am liebsten hätte ich ihm meine Ehrlichkeit ins Gesicht geschrien, doch ich blieb ruhig und erwiderte bloß: „Danke, dass du mir vertraust. Wenn ich dir sage, ich habe etwas vor, dann war es auch immer so. Ich kann nichts dafür, dass Mom früher kommt oder eine Nachbarin klingelt. Mir ist mein Leben außerhalb unserer Beziehung genauso wichtig! Und das ist immer noch ein beschissener blauer Fleck!“ Ich war selbst erstaunt darüber, dass meine Stimme so enttäuscht und anklagend klang. Ich zog mir die Jeans und das Top über und verließ das Zimmer. Um meine Ausrede perfekt zu machen, machte ich einen Abstecher in die Küche, griff dort in die Geld-Kassette und nahm mir einen Zwanzig-Dollar-Schein. Das müsste reichen, um wenigstens einen Teil von der imaginären Einkaufsliste zu bezahlen. Den Rest würde ich mit meinem Taschengeld ausgleichen, damit Mom nichts bemerkte. Ich schickte ihr heimlich eine SMS und forderte sie auf, früher zu kommen, weil ich uns etwas kochen wollte. Jack bekam davon nichts mit, weil er sich im Flur die Jacke überstreifte. „Gehst du?“ „Was soll ich denn sonst tun?“, blaffte er mich an und ich zuckte wahrhaftig zusammen. „Dann mache ich mich wohl ebenfalls fertig“, murmelte ich und verschwand in meinem Zimmer, um genau das zu tun. Innerlich dachte ich aber über diesen seltsamen Anruf nach: Wie konnte ein eingehender Anruf einer unterdrückten Nummer, die nicht meiner Mom gehört, Moms Klingelton benutzen? Das war einfach zu seltsam! Ich löschte die Nachricht an meine Mutter aus dem Ausgangsspeicher meines Handys und ging in den Flur, nur um dort festzustellen, dass Jack einfach abgehauen war. Ich war nicht einmal wütend. Stattdessen erfüllte mich eine Fröhlichkeit wie seit langem nicht mehr. Also verließ ich die Wohnung in Hochstimmung und machte mich auf den Weg zum Supermarkt, der nicht weit von hier im Zentrum von Emerald Hills erbaut worden war. Es kostete mich zehn Minuten Fußweg, dorthin zu gelangen, doch es lohnte sich allemal. Während ich die gut sortierten Reihen ablief und wegen der Klimaanlage fror, bemerkte ich in den Spiegeln, die an der Decke angebracht waren, um Kunden aus allen möglichen Winkeln der Überwachungskamera zu überlassen, dass zwei komplett in Schwarz gekleidete Männer den Laden betraten. Sie hatte Sonnenbrillen auf, obwohl nicht ein Strahl die Erde traf. Es hatte eben erst vor kurzem aufgehört zu regnen. Ich suchte mir die schönsten und größten Tomaten aus, sowie eine saftig grüne Gurke und musste feststellen, dass ich wenig später im gleichen Gang wie die Zwei war. Obwohl sie beide in der Auslage herumwühlten, sahen sie nicht so aus, als würden sie in diesem Markt etwas kaufen wollen. Ich ignorierte meine innere Stimme, die mir seit einer geschlagenen Minute kontinuierlich zuflüsterte, dass ich abhauen sollte und ging auf die Nudeltüten zu, bei denen auch der größere der beiden Männer stand. Ich griff nach der erstbesten Makkaroni-Verpackung und schmiss sie in meinen Korb, nicht ohne den berechnenden Blick des Typen auf mich zu ziehen. Seine Nasenflügel blähten sich auf, als ob er die Luft um sich einsaugen würde. Mir lief ein Schauer über den Rücken und daher verließ ich diese Abteilung schleunigst, um zurück zum Gemüse zu kommen, wo ich noch Paprika und einen Salatkopf einsteckte. Mein Blick war dabei unauffällig an die Decke gerichtet, wo ich beobachtete, dass die Zwei miteinander tuschelten und mir hinterherzeigten. Sie nickten. Ich war wohl genau das, was sie gesucht hatten. Langsam ging ich an den Regalen vorbei und blieb bei den Zeitschriften stehen. So schnell würde ich nicht aus dem Supermarkt verschwinden! In der Vogue fand ich ein paar sehr schöne neue Kleider, die ich nur zu gern einmal anprobiert hätte, würde nicht jedes von ihnen viermal so viel kosten, wie ich im Monat als Taschengeld bekam. Die Kassiererin kam und räumte neben mir ein paar Comic-Hefte in die Auslage, während ich ein paar Seiten weiterblätterte. Diese bescheuerte Vogue war mir zu teuer! Wenn ich die kaufte, würde ich einfach kein Geld mehr zum Feiern oder Essen in der Schulkantine haben. Und zu Ersterem war zu sagen, dass meine Clique fast jedes Wochenende Freitag und Samstag wegging. Meine Augen richteten sich auf die Spiegel an der Decke, in denen ich auch beobachten konnte, was die Kassiererin neben mir tat. Dennoch interessierte mich mehr, dass die zwei dunklen Typen die Kaugummi-Regale unglaublich interessant fanden. Zumindest steckten sie ihre Köpfe in die Auslage. Doch ihre schlechte Verkleidung und ihr auffälliges Verhalten hatten mich misstrauisch gemacht und ich flüsterte der Frau neben mir zu: „Entschuldigen Sie, aber schauen sie mal unauffällig durch die Spiegel. Sehen Sie die zwei Typen dort? Die verfolgen mich!“ Sie schaute hoch und war wirklich sehr vorsichtig, wie sie sich verhielt. Sie tat nebenher so, als würde sie die Magazine auf Augenhöhe zu Recht rücken, während sie unter ihren Wimpern hervor meine Verfolger beobachtete. „Wie gruselig“, piepste sie zurück und ich nickte. „Können Sie mir irgendwie helfen?“, fragte ich sie leise und diesmal war es an ihr, zu nicken. „Ich rufe einfach meinen Chef von hinten.“ „Können Sie das per Handy machen? Ich habe das Gefühl, das endet nicht gut für mich, wenn sie weggehen.“ „Klar!“, flüsterte sie als Antwort und tippte auf dem Touch-Display ihres Handys herum. Wenig später berichtete sie ihrem Vorgesetzten leise, aber eindringlich was sich hier gerade abspielte. Ich war mehr als nur erleichtert, als ich seine Antwort hörte. Er würde kommen und seinen Sekretär gleich mitbringen. Sie grinste mir schräg zu und ich nickte dankbar. Wir mussten nicht lange warten, denn die beiden bulligen Männer kamen eilig aus dem Hinterzimmer des Supermarktes. Sie vermieden es, zu auffällig auf meine Verfolger zu zuhalten und nahmen sogar ein paar Umwege durch irgendwelche Sanitär- bzw. Hygieneabteilungen. Dann verwickelten sie die beiden Herren sehr geschickt in ein Gespräch und ich bat meine Helferin: „Können Sie das noch ein paar Minuten so weitermachen? Dann bezahle ich schnell und rufe meine Freundin an, während ich zum ZOB gehe. Das wird sie sicherlich abschrecken!“ „Wir helfen doch gerne. Sie müssen uns nur sagen, ob wir die Polizei informieren sollen“, antwortete sie und begleitete mich zur Kasse. Natürlich lehnte ich ab, die Polizei zu rufen – vielleicht litt ich ja nur unter Verfolgungswahn. Ich sah in den Spiegeln, dass die Männer diese Bewegung bemerkt hatten und mir folgen wollten, vom Chef und seinem Sekretär aber plaudernd aufgehalten wurden. Ich bezahlte hastig, gab der Kassiererin ein großzügiges Trinkgeld und packte meinen Einkauf in eine Plastiktüte ein. Dann wählte ich Shines Nummer und betete, dass sie mich nicht wegdrückte, weil sie noch sauer auf mich war. Ich hatte Glück. „Ach, was?“, meldete sie sich schnippisch und ich sagte leise: „Hör mir zu, bitte. Ich werde von zwei gruseligen, schwarzen Typen verfolgt, seit ich im Supermarkt bin. Ich mach mich jetzt auf den Rückweg, also telefonier ja mit mir, damit ich zur Not Zeugen oder so habe!“ Shine glaubte mir sofort. Sie hatte die Panik in meiner Stimme nicht überhört. „Klar. Also … Hast du die Hausaufgaben in Trig schon gemacht?“ „Die für Freitag? Nein“, sprang ich auf ihren Zug auf und verließ den Laden. Draußen musste ich feststellen, dass auf der anderen Straßenseite noch zwei dieser Typen standen. Ich beeilte mich, den Fußweg zum ZOB hinabzulaufen und tat so, als würde mir der düstere Himmel Angst einjagen. Es sah aber tatsächlich so aus, als würde es bald noch einmal regnen. Nur auf einem Ohr hörte ich, dass Shine unwichtiges Zeugs brabbelte. Ich flüsterte panisch: „Draußen waren noch Zwei. Ihre Schritte sind hinter mir, Shine!“ „Hab keine Angst! Du bist doch schnell! Renn einfach ein wenig!“, antwortete sie ebenso ängstlich und ich tat, was sie mir empfohlen hatte. Dummerweise war rund um den ZOB aber ein ärmlicheres Wohnviertel, in dem es stets ruhig war und in dem keiner sich um den anderen kümmerte. Ich hastete den Fußweg entlang und drehte mich zu meinen Verfolgern um, die hinter mir her sprinteten. Sie verkleinerten ihren Abstand auf mich erheblich – ihre verbissenen Mienen sagten mir alles: Sie würden mich nicht entkommen lassen. Ich rannte so schnell ich konnte, während ich Shine zurief: „Scheiße, Shine! Die Typen holen auf! Die sind schneller, Shine!“ „Renn einfach, Ruby! Renn, los! Ich ruf die Polizei! Du schaffst das!“, schrie sie jetzt panischer als ich. Mein Herz sprang mir fast aus dem Hals und ich keuchte wegen der ungemütlichen Rennhaltung, doch meine Müdigkeit hielt mich nicht davon ab, um mein Leben zu laufen. Wenn diese gruseligen Typen mich einholten, dann würden sie mich vielleicht vergewaltigen oder sogar umbringen! Meine Schritte hallten gespenstisch laut von den düsteren Wohnblöcken zurück und zu meinem Entsetzen hörte ich auch, dass die beiden Männer näher kamen. Ich drehte mich immer häufiger zu ihnen um und rannte dann umso schneller, doch die Zwei waren ziemlich sportlich und schienen meine Anstrengungen locker wett zu machen. Ich keuchte und schmiss nach längerem Überlegen meine Einkaufstüte weg. Sie landete glücklicherweise mitten auf dem Fußweg und die Zwei mussten ausweichen. Ich wusste, dass ich Shine irgendetwas zuschrie, während ich rannte und dass sie vom anderen Ende ebenfalls irgendetwas rief, aber meine Ohren schalteten auf Durchzug, während mein Herz mir fast aus dem Hals sprang, so sehr schlug es. Ich hatte furchtbare Angst und wetzte den Weg entlang, so schnell ich eben konnte, doch das reichte bei weitem nicht aus, um ihnen zu entkommen. Ich bog um die vorletzte Ecke vor dem ZOB, ich musste bloß diesen einen Block laufen und dann wäre ich erst einmal in Sicherheit, weil sich zu viele Leute dort aufhielten. Ich fühlte, wie es mir eiskalt den Rücken hinablief und drehte mich um, nur um die Augen erschrocken aufzureißen: Die Männer hatten mich! Ich wollte noch einen Haken schlagen, doch die Hand, die sich um mein Handgelenk legte, hielt mich wie ein Schraubstock. Ich schrie und fluchte und wehrte mich, während der Mann mir das Handy aus der Hand nahm und es seinem Kumpel zuwarf. Ich trat ihm gegen das Schienbein und versuchte, mein Knie in seinen Schritt zu rammen, doch es klappte nicht. Stattdessen riss er mich herum und presste mich mit dem Gesicht voran gegen die nächste Häuserwand. Handschellen schnappten hinter mir zu und ich wusste, dass sie mich gefangen hielten. „Was wollt ihr?! Wer seid ihr?!“, schimpfte ich und schrie, als der zweite Typ mein Handy auf den Boden warf, bevor er es kaputt trat. Der Erste riss meinen Kopf zurück und umklammerte mich mit seinem anderen Arm. Der Zweite zog ein Taschentuch hervor und tunkte es in eine Flüssigkeit, die er aus einem Flachmann entnahm. Ich wusste, dass ich nicht einatmen durfte, wenn sie mir das Tuch auf Mund und Nase pressten, anderenfalls würde ich ohnmächtig werden, also wappnete ich mich immer noch zeternd. Dann fühlte ich den Stoff auf meinem Gesicht und funkelte die Typen wütend an. Ich hielt die Luft an und atmete nicht. Es geschah nichts, obwohl ich zugab, dass ich dennoch ein wenig von dem Gestank in meiner Nase hatte und mich das Zeugs ein wenig zittrig machte. Nein, Ruby! Nicht aufgeben! Ich hörte Polizeisirenen. Meine Rettung! „Scheiße, die Bullen!“, fluchte der, der mich festhielt und der andere zog das Tuch weg. Er ließ den Stofffetzen und den Flachmann fallen. Ich atmete hastig ein, während die beiden mich in eine Seitenstraße zerrten, in der sie erst eine Weile auf die näherkommenden Geräusche horchten. Immer weiter weg von der Straße und hinein in eine noch dunklere Gasse zogen sie mich dann. Der Erste hob mich sogar hoch, um schneller laufen zu können, weil ich ihn kräftig behinderte, wo ich nur konnte. Irgendwann verblassten die Sirenen in der Ferne und die beiden atmeten triumphierend aus. „Ha! Wir sind ihnen entkommen!“ „Scheiße, Alter. Ich hab das Zeugs verloren!“, fluchte der, der mich ohnmächtig sehen wollte. Erneut tönten die Sirenen in der Ferne und ich wusste, dass die Polizei wieder näherkam. Doch dann grinste einer der Beiden böse, während er sagte: „Die Kleine zum Treffpunkt zu bringen, fällt ins Wasser. Lass uns doch das Legat nehmen. Sie muss nur mit einem unserer Männer schlafen und ist dann wertlos.“ „Oder einer unserer Männer muss mit ihr schlafen“, korrigierte der andere ihn und die beiden lachten fies. Ich schrie, als sie mir die Kleidung vom Leib rissen und mich ungebührlich betatschten. Da hätte ich ja lieber mit Jack geschlafen als mit einem dieser dreckigen Typen! Ich wehrte mich zappelnd und heulte schluchzend, während ich nach Hilfe schrie. Doch ein Knebel setzte meinen Versuchen ein Ende. Es dauerte nicht lange und ich lag völlig nackt auf dem nassen Teer und über mir hockte ein ebenso nackter Wildfremder, der auf dem besten Weg war, mich zu vergewaltigen. Ich schrie und wand mich unter ihm hin und her. Der Typ war wohl der Chef des Duos, denn er befahl dem anderen, mich festzuhalten, was dieser auch pflichtbewusst tat. Das Sausen in meinen Ohren kam ohne Vorwarnung und ich fühlte mich wieder so leicht wie Samstagmorgen. Mein Herz beruhigte sich, während meine Augen sich auf das Gesicht des Mannes über mir fixierten. Dann spürte ich, wie innerlich etwas zerbrach: Es fühlte sich so an, als hätte jemand eine Vase mit Wasser auf den Boden geschmissen. Das Wasser wurde frei und lief über die Fliesen. Ich griff nach dieser lodernden Flüssigkeit, die mich so plötzlich durchfloss und schleuderte sie mit aller Kraft auf die zwei Typen. Ich wusste nicht genau, was geschah, aber als ich wieder zu mir kam, stand ich im Flur meiner Wohnung, völlig angezogen mit Einkaufstüte, und keuchte schwer. Mein Kopf schmerzte und das Rauschen in meinen Ohren verhinderte, dass ich viel hörte außer meinem Herzschlag. Ich beruhigte meinen Atem und somit auch mein Herzrasen und presste mir die Hand auf die Brust. Hatte ich das alles bloß geträumt? Nein, das war alles zu real gewesen. Ich tastete mich dennoch ab und bemerkte, dass mein Handy verschwunden war. Auch als ich es in der Tüte suchte, fand ich es nicht und mit der wahrscheinlichsten Sicherheit wusste ich, dass nichts davon ein Traum gewesen war. Ich hatte diese zwei Typen irgendwie von mir gestoßen, ohne Arme und Hände und Füße. Einfach durch pure Willenskraft? Dann erinnerte ich mich mühsam an den blauen Lichtblitz, den ich zunächst für ein Polizeilicht gehalten hatte. „Das war Magie“, murmelte ich entrückt und zuckte zusammen ob meiner Stimme. Es war die Stimme einer Fremden, melodisch, leicht rauchig und verführerisch, dunkel, gefährlich. Ich drehte mich um, doch außer mir war hier niemand. Meine Mom klang auch anders, deshalb konnte sie es nicht gewesen sein, die das gesagt hatte. Es war also wirklich ich. Aber wie war das möglich? Warum klang ich so anders? Ich zuckte zusammen, als das Haustelefon klingelte. Ich bewegte mich fast automatisch dorthin und nahm den Hörer von der Gabel. Die Schnur wackelte hin und her, während ich sagte: „Ja hallo, hier ist Ruby Valentine?“ „Ru?! Ist alles okay? Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber du hast nicht abgenommen! Ist alles okay? Bist du abgehauen?“, platzte Shines Stimme die Stille meiner Umgebung und ich röchelte. Es war alles echt gewesen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir Tränen über die Wangen liefen, als ich antwortete: „Alles okay, wirklich. Ich hab mich irgendwie losgemacht. Die wollten mich … Mein Handy ist dabei draufgegangen.“ Gott sei Dank war alles in Ordnung. Ich würde Shine nicht sagen, dass sie mich eigentlich hatten vergewaltigen wollen. Ich hatte mir nicht einmal gemerkt, wie die Zwei ausgesehen hatten. Eine Anzeige bei der Polizei war daher überflüssig. „Ist wirklich alles okay? Soll ich vorbeikommen?“, bot sie mir an, doch ich lehnte ab. „Nein, ehrlich. Das war nur ein dummer Streich. Ich ruh mich einfach noch ein bisschen aus und lass den Schrecken verklingen. Sorry, dass ich so eine Panik verbreitet habe.“ „Ach was, das darfst du bei solchen Sachen ruhig!“, wies sie meine Entschuldigung zurück und meinte dann: „Die Männer von heute werden aber auch immer dreister, wenn sie eine Frau haben wollen.“ Ich war froh, dass Shine diese Verfolgung als eine Art Annäherungsversuch eines aufdringlichen oder aber schüchternen Typens abtat. So konnte ich das auch. Also wechselte ich das Thema: „Du hast Recht. Genauso wie diese Gothic-Tussi.“ „Das wusste ich schon, aber du wolltest mir ja nicht glauben“, erwiderte sie schnippisch und spielte den Gesprächsball zurück. Ich grinste schwach, noch immer unter Schock. „Morgen trenne ich mich von Jack. Lass uns hinterher ein neues Handy kaufen und zu Starbucks.“ „Klar, ich bezahle – zumindest bei Starbucks“, lachte Shine. „Sorry wegen heute“, sagte ich noch einmal, doch sie schnaubte bloß. „Vergeben und vergessen, Schätzchen!“ „Danke. Lass uns am Freitag ins „Heels“ und nach dem Rattenscharfen schauen“, schlug ich vor und Shine stimmte mir lauthals zu. „Aber sicher doch!“ Ich verriet ihr nicht, dass ich ihn nicht nur aufsuchte, um ihn noch einmal zu verführen, sondern auch um herauszufinden, ob er etwas mit diesem Lichtblitz zu tun hatte. Ich hatte mich beim Erschaffen dieser Magie schließlich genauso gefühlt wie auf dem Rückweg am Samstag. Vielleicht konnte er mir helfen? Dann wandten sich meine Gedanken aber wichtigeren Dingen zu: Würden mich diese Typen weiterhin verfolgen? Ich durfte nie wieder allein aus dem Haus, also sagte ich: „Shine, holst du mich morgen ab? Ich bin noch ein bisschen …“ „Verängstigt“, schlug sie vor und ich bejahte. Sie stimmte meinem Vorschlag zu und meinte: „Ich bin morgen um 8:30h bei dir, mit dem Auto. Ich klingel! Warte auf mich!“ „Bis morgen!“ „Bye.“ Ich atmete tief ein. Ich steckte riesig in der Klemme. Ich wusste nicht, was ich den Typen angetan hatte und ich wusste auch nicht, wie ich das getan hatte, aber was ich wusste war, dass ich Magie verwendet hatte – obwohl ich bis vor kurzem noch nicht einmal an die Existenz einer solchen Kraft geglaubt hatte, wusste ich jetzt, dass es sie wirklich gab. Nichts anderes hatte der Lichtblitz sein können, der mich dort gerettet hatte. Physikalisch wäre er nämlich unmöglich gewesen. Ich setzte mich verstört auf das Sofa und schaltete den Fernseher an, doch hinsehen tat ich nicht. Meine Gedanken rasten viel zu sehr. Was hatten die Typen noch gesagt? „Die Kleine zum Treffpunkt zu bringen, fällt ins Wasser. Lass uns doch das Legat nehmen. Sie muss nur mit einem unserer Männer schlafen und ist dann wertlos.“ Das Legat. Was war das Legat? Ich schien es zu verlieren, sobald ich mit einem Mann schlief. Und die Männer hatten mich entführen wollen und irgendwohin bringen sollen. Alles wegen des Legats. Was war es? Gab es Magie also wirklich? Kapitel 5: Tuesday's problems ----------------------------- Mein Wecker riss mich am Dienstagmorgen äußerst unsanft aus dem Schlaf. Ich hatte die Nacht fast komplett durchgemacht und war dementsprechend stark übermüdet. Auch Vampire brauchten ihren Schönheitsschlaf, also hatte ich nicht übel Lust, mich einfach noch einmal umzudrehen und das fiese Ding auszuschalten. Doch ich hatte bereits den Montag blau gemacht und wenn ich heute nicht zur Schule ging, dann würde ich für meine nicht abgegebenen Hausaufgaben ein verfluchtes F eingetragen bekommen. Also stand ich auf. Wenig begeistert, versteht sich. Meine Dusche begrüßte mich mit einem Schauer eiskalten Wassers und ich fluchte. Sobald es auf den Winter zuging, spinnte dieses Gerät gehörig. Warm wurde es erst nach ein paar geschlagenen, viel zu langen, Sekunden. Ich duschte ohne Hektik und trocknete mich in aller Ruhe ab. Dann fuhr ich mir mit dem Kamm durch die Haare und föhnte diese ein bisschen an. Sie würden schon noch trocknen, aber so ging es einfach schneller. Aber zu lange wollte ich mich auch nicht mit ihnen aufhalten, also föhnte ich sie halt nur an. Ich ging zu der Tür hinüber, die das Badezimmer mit meinem begehbaren Kleiderschrank verband und atmete die Luft von Leder ein, als ich in den Raum trat. Er war rechteckig und vollständig mit Schränken, Garderoben oder Kästen zugestellt. An der Wand rechts neben der Tür befand sich ein mannshoher Spiegel, die Längsseite entlang gab es hinter weißen, hölzernen Türchen von T-Shirts über Hemden bis hin zu Hosen aller Art alles zu entdecken. Selbstverständlich besaß ich auch richtige Anzüge, die ich in einer Garderobe gegenüber der Badezimmerwand fein säuberlich hinter weißen Vorhängen verstaut hatte. An der linken Längsseite konnte man in Schubladen Dinge wie Krawatten, Krawattennadeln und –klammern, Fliegen, Ringe, Ketten und sonstige Accessoires. Direkt neben der Tür zum Badezimmer befand sich ein Eckschrank, der sämtliche meiner Schuhe beinhaltete. Ich durchschritt den Raum und holte eine Boxershorts hervor, die ich anzog, bevor ich zu meiner Anzuggarderobe hinüberging. Dort holte ich die Uniform der Oak Tree hervor: Eine schwarze, glücklicherweise relativ eng geschnittene Lederhose, ein blütenweißes Hemd mit steifem Kragen, über das man einen schwarzen Pullunder mit Schulabzeichen auf der Brust ziehen musste und ein Blazer, ebenfalls schwarz mit Schulabzeichen. Die rote Schulkrawatte hatte einen schönen Ton, deshalb hatte sich keiner beschwert, als man sie eingeführt hatte – die Schuluniform war erst seit vier Jahren in Gebrauch. Ich hatte die Umstellung nicht mitbekommen, ich begann schließlich gerade erst mein Senior Year und war somit erst im dritten Jahr. Weil die Oak Tree den reichen Gören der Umgebung aber etwas bieten musste, hatte sie halt anstatt Baumwolle Leder verwendet, die Hemden aus Seide und die Pullunder aus Kaschmir anfertigen lassen. Dementsprechend kostete das gute Stück auch eine ganze Stange Geld. Ich schüttelte mich. Mit einem ergebenen Seufzen vollendete ich den Krawattenknoten gekonnt und zog eiligst meine Schuhe an. Grace behauptete stets, dass sie aussahen wie frisch vom Laufsteg. Ich besah mich im Spiegel und grinste. Wenn man die Krawatte wegließ, das Schulabzeichen abkratzen und die obersten Hemdknöpfe öffnen würde, dann würde das ganze gar nicht mehr so streberhaft aussehen, wie es das jetzt tat. Witzigerweise machte es keinem Lehrer etwas aus, wenn man ohne Krawatte kam, also nahm ich das Teil, das ich mir rein aus Gewohnheit wieder angelegt hatte, ab und öffnete mein Hemd wenigstens bis zum Ansatz des Pullunders. Ohne Krawatte sah ich besser aus, befand ich und schmiss das Seidenstück zurück in die Schublade, bevor ich mich zurück ins Badezimmer begab. Dort putzte ich mir die Zähne und frisierte mich zu Ende. Mit einem Blick zur Uhr über der Spüle wusste ich genau, dass ich das Frühstücken vergessen konnte. Ich war ein bisschen zu spät dran – aber auch wirklich nur ein bisschen. Also schnappte ich mir meinen Rucksack, schmiss meine Hausaufgabe in die Tasche und ein paar Stifte sowie Taschenrechner und Lineal dazu und schulterte sie. Gähnend verließ ich das Haus, nachdem ich Handy, Hausschlüssel, Motorradschlüssel, -papiere und Führerschein eingesteckt hatte. Ich wusste sehr genau, dass noch etwas Geld in meinem Blazer steckte. Meine Schuhhacken knallten auf die Stufen im Treppenhaus, doch ich kümmerte mich nicht um die Lärmbelästigung, die ich dadurch erzeugte. Außer meinem Großvater und mir wohnte hier nämlich niemand – genauer genommen war die kleine Wohnung wirklich meine, während mein Opa sich im restlichen Wohnhaus breit gemacht hatte. Also ging ich hinab in die Kelleretage, schlüpfte durch die schwere Eisentür, nachdem ich dort einen Code eingetippt hatte und ging in die Garage. Sie war nicht sehr groß, höchstens zwanzig Meter lang und zehn Meter breit, aber in ihr konnte man die wundervollsten Gefährte unterbringen, was mein Großvater natürlich erledigt hatte. Auf der linken Seite standen seine Ausstellungsstücke, die er nie benutzte, aber stets sehr pflegte: Zwei Ferraris, deren Namen ich mir nicht merken konnte, eine Corvette Sting Ray Concept, ein SLR McLaren und ein Rolls Royce standen dort. Er fuhr lieber seinen Ferrari 599 GTB Fiorano. Ich seufzte. Angeber. Meine Freunde standen hingegen auf der rechten Seite direkt an der Tür. Mein Baby war natürlich die schwarze Honda CBR1000RR Fireblade, die ich am häufigsten benutzte und die mir sehr ans Herz gewachsen war. Daneben stand mein schwarzes BMW 6er Cabrio. Das benutzte ich eigentlich nur, wenn es unbedingt sein musste, beispielsweise wenn es stürmte. „Guten Morgen“, begrüßte ich meine heißgeliebte Blade und strich einmal über ihren Tank. Erst dann zog ich mir die Motorradjacke über und setzte den Helm auf. Ich schwang mich auf den Sitz und kickte den Ständer weg, dann zündete ich den Motor und atmete befriedigt ein, als das Grollen der Blade meinen Morgen versüßte. Ich gab langsam Gas und fuhr bis zum automatischen Garagentor vor, dass sich nicht schnell genug geöffnet hatte. Ich wartete draußen noch, bis es sich wieder geschlossen hatte, bevor ich alle Geschwindigkeitsbegrenzungen und Verkehrsschilder missachtend in meiner persönlichen Rekordzeit auf dem Parkplatz der Oak Tree ankam und dort parkte. Sehr zufrieden mit mir, beeilte ich mich, noch rechtzeitig zu Mathe zu kommen. Calculus brachte mir immer meine Pluspunkte ein, ich war bei Funktions- und Integralrechnung ein kleines Genie, also wollte ich es mir nicht mit meinem Lehrer verscherzen. Ich konnte nur froh sein, dass heute keine Assembly war, denn die gab es nur Montag, Mittwoch und Freitag, anderenfalls wäre ich viel zu spät gekommen. Ich eilte den Gang hinunter, der mich zu meinem Unterrichtsraum brachte und schlüpfte eilig durch die Tür, als ich Mr. Johnson um die Ecke kommen sah. Grace winkte mir zu und ich schmiss mich neben ihr auf meinen Drehstuhl in der letzten Reihe am Gang. Mein Rucksack fiel zu Boden, wo ich ihn ließ, während ich meine Beine ausstreckte und meine beste Freundin ansah. „Und?“, wollte sie von mir aufgeklärt werden, doch ich konnte ihr nicht aufmunternd oder triumphierend zulächeln, weil ich nichts herausgefunden hatte. Dabei war ich seit Samstag nur am Rotieren. Bars, Discos, Freizeitbäder, Sporthallen, ZOBs. Ich hatte sie nicht finden können und an ihrer Schule auftauchen, wollte ich nicht. Sie war nicht umsonst einfach so verschwunden. „Nix und. Fehlanzeige“, murmelte ich zurück, weil Mr. Johnson gerade den Unterricht anfing. Sie stöhnte und seufzte gleichzeitig, dann meinte sie: „Ich kann’s einfach nicht fassen, Zac! Dein Großvater hat drei Leben hinter sich gebracht, bevor er deine Großmutter kennenlernte und in deine Situation kam. Nicht zu sprechen von deinem Vater, der sechs oder sieben Leben gebraucht hat, um in Israel seine große Liebe zu finden und das Legat zu verlieren. Scheiße, Zac! Und du brauchst verfluchte achtzehn Jahre!“ Ich erwiderte nichts, weil ich ihr nur Recht geben konnte und das wollte ich nicht, denn diese ganze Sache verletzte mich schon in meinem Stolz. Seit ich vierzehn war, war ich ein sexuell aktiver Vampir und hatte schon einige Beziehungen, Affären und One-Night-Stands hinter mich gebracht, aber so ein heißes Eisen wie am Freitag war mir noch nie untergekommen. Und gerade dieses verfluchte Mädchen hatte mich auf das Übelste verbrannt, weil ich meine Finger nicht von ihr lassen konnte! Und jetzt steckte ich in der Klemme! Nach dem Vampirgesetz war es meine Pflicht, sie über ihre Umstände aufzuklären und mein Möglichstes zu tun, um einen Verlust des Legats zu verhindern. Außerdem hielt ich es so ganz nebenbei auch noch für richtig, meiner Familie diesen riesigen GAU zu verschweigen aus Angst, dass ich Dinge ins Rollen brachte, die ich nicht aufhalten konnte. „Ich helfe dir, so gut ich kann. Lass uns Freitag noch einmal ins „Heels“ gehen“, schlug mir Grace mitleidig vor und ich schnaubte. „Als ob sie da wieder auftauchen würde! Sie hat mich sitzen lassen, Grace! Und das mit voller Absicht. Die kommt nicht mehr zurück.“ „Da haben Sie Recht, Mr. Cole. Diese Funktion geht tatsächlich ins Unendliche und kommt nicht mehr zurück. Sie ist also keine Asymptote.“ Ich zuckte dermaßen zusammen, dass die Schüler um mich herum hinter vorgehaltener Hand leise lachten. Grace senkte ihren Blick auf das Mathebuch vor ihr und ich grinste meinem Calculus-Lehrer zu, der sich zwinkernd abwandte. Ein Glück, nahm er meine geistige Abwesenheit gelassen. „Also. Wir sehen hier die Messung eines Tanks. Wir möchten aber bloß zwischen diesem Wert und diesem hier wissen, wie viel der Tank dort fasst und wie lange das braucht. Wie soll das also gehen?“, fragte er in die offene Runde. Die Köpfe der Mädchen versanken hinter Büchern, Heften oder vorgehaltenen Händen – an dieser Schule zeigte sich eines der am weitesten verbreiteten Klischees: Mädchen waren gut in Sprachen und schlecht in Naturwissenschaften, während es bei den Jungs genau andersherum war. Obwohl demnach alle jungen Männer in diesem Raum die Lösung wussten, schauten auch sie aus dem Fenster oder schrieben prätentiös von der Tafel ab. Keiner nahm seinen Taschenrechner heraus, um so zu tun, als rechne er. Ich grinste. Ich liebte die Oak Tree – von wegen Streber und reiche Snobs! Meine Hand hob sich und Mr. Johnson verschnaufte sichtlich erleichtert. „Ja, bitte?“ „Wir versuchen demnach ein Intervall zwischen dem Anfangswert und dem Endwert zu berechnen. Also ziehen wir die Intervallberechnung zu Rate. Das Intervall von x1 bis x2 beginnt beim ersten Strich …“, begann ich meinem Lehrer die Auflösung der Aufgabe zu diktieren. Neben mir schnaubte Grace und senkte kopfschüttelnd den Blick zurück auf ihr Heft, doch ich ignorierte sie und löste mit Leichtigkeit eine Aufgabe, von der Mr. Johnson gehofft hatte, dass sie uns Schülern die Komplexität der Mathematik bewies. Er hatte sich in mir geirrt. Sie war ziemlich einfach. Nach Calculus bekam ich ein paar Kommentare von meinen Klassenkameraden zu hören, die viele nicht der Oak Tree zuschreiben würden. Dinge wie „Intelligenz-Bestie“ oder „Hyper-Streber“ oder „Mr.-Johnsons-Lieblingskind“ waren dagegen reiner Alltag. Grace neben mir lachte sich schon die ganze Zeit schlapp, obwohl ich sie warnend anfunkelte. Wir verließen den Klassenraum und eilten zu unserem nächsten Kurs, Spanisch. Señor Juaréz war ein Strich in der Landschaft und konnte sich selten durchsetzen, aber wer ihm zuhörte, der konnte ziemlich schnell Spanisch flüssig sprechen. Doch ich gehörte in diesem Fach zu den Leuten, die stets nicht aufpassten. Ich konnte Spanisch, daher hatte ich es nicht nötig. Natürlich hätte ich Französisch wählen können, um noch eine Sprache zu lernen, aber ich hatte noch verdammt viele Menschenleben vor mir, in denen ich jederzeit eine neue Sprache lernen konnte, daher ließ ich es jetzt locker angehen. Grace und ich gammelten also in dieser Stunde in der letzten Reihe vor uns hin und manchmal fragte sie mich: „Hast du dort schon gesucht?“ Ich nickte und bejahte mit einer kräftigen Stimme. Schließlich hatte ich alle Ecken in Emerald Hills abgesucht und war schon halb am Verzweifeln. Ich wusste wirklich nicht, wo ich noch schauen sollte. „Hast du in den heruntergekommenen Vierteln geschaut?“, fragte Grace. „Da wohnen vielleicht irgendwelche Penner aber nicht Ruby Valentine.“ „Man kann ja wenigstens nachschauen!“ „Ich hab dort nachgesehen, aber ich komm nicht in die Wohnhäuser und es gibt mindestens sechzehn Familien dort, die Valentine heißen!“, maulte ich zurück, doch dieses Mal fiel es dem Lehrer nicht auf, denn das Geschnatter und Geschrei meiner Mitschüler ließ meine Stimme untergehen. Wäre Grace keine Vampirin mit stark geschärften Sinnen, hätte sie mich wahrscheinlich nicht verstanden, doch ihre Antwort war wie immer schneidend: „Zac! Da klingelt man und fragt, ob eine Ruby zu Hause ist und entschuldigt sich für die Störung! Es geht um mehr als nur eine dämliche Nacht! Deine Familie, dein Legat, dein Leben hängt davon ab, ob du sie findest oder nicht.“ „Ich hab alles abgesucht!“, rechtfertigte ich mich und ließ in meiner Stimme mitschwingen, dass ich auch noch weitersuchen werde. Grace war zufrieden und meinte bloß: „Vergiss nicht, je länger wir brauchen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Typen aufgegriffen wird oder sie in Gefahr ist.“ „Ja, ja“, tat ich gelangweilt ab, obwohl ich gerade das eigentlich nicht war. Innerlich zog sich bei dem Gedanken jedes Mal mein Herz zusammen. Wenn ich mir vorstellte, dass dieses schöne, schüchterne Mädchen von diesen Typen angegriffen wurde, dann wollte ich sie sofort beschützen. Ich konnte es demnach nicht länger leugnen, so wie ich es noch Samstag getan hatte: Ich war in sie verliebt und würde mich nicht davon abhalten lassen, ihr wie ein zahmer Köter hinterher zu rennen. Ich war wirklich nicht mehr zu retten! Mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge begann ich innerlich noch einmal jeden Ort durchzugehen, den ich bis jetzt abgesucht hatte. Gab es vielleicht Hinweise auf ihren Aufenthaltsort? Sollte ich also doch meiner Nase nachgehen und sie erschnüffeln? Obwohl … Das ließ mein Stolz nicht zu. Ich war doch kein Stalker! Sollte ich sie doch an der Columbus aufsuchen? Aber das wäre ihr sicherlich peinlich und dann würde sie mir nicht zuhören. Das wiederum wäre fatal, denn wenn sie fortlief und man uns zuvor beobachtet hatte, dann würde man sie mit mir in Verbindung bringen und herausfinden, zu wem ihr Legat gehörte. Das wäre schlecht für sie. Sehr schlecht. Übermäßig schlecht. Das „Heels“ war mein einziger Anhaltspunkt. Würde ich also wieder die Nächte durch„feiern“? Eigentlich hatte ich darauf überhaupt keine Lust, weil ich jetzt schon richtig müde war und meine Konzentration mit der Zeit nachlassen würde. Wirkte sich das nicht dann schlecht auf meine Aufmerksamkeit aus? Sie würde mir vielleicht dann nicht auffallen, wenn ich nicht aufpasste! Das wäre noch schlechter als übermäßig schlecht! Ich rieb mir mit der Handfläche über die Stirn und grübelte weiter. Währenddessen vergingen Spanisch, Physik und das Lunch. Dass ich am Nachmittag dann noch Englische Literatur und im Anschluss daran World History hatte, förderte meine geistige Abwesenheit nur noch. Meine Kunst-Arbeitsgemeinschaft, die ich mir wegen den College-Zulassungseinschränkungen hatte aufzwingen lassen, schwänzte ich mit der wenig überzeugenden Ausrede, mir sei übel. Die Sekretärin sah mich an, als ob sie mir gerne einen Vogel gezeigt hätte, doch ich rannte schneller aus ihrem Blickfeld, als sie es schaffte ihre Hand zu heben. Auf dem Parkplatz rempelte ich ein paar Freshmen um, die sich fluchend und Fäuste schwingend wieder aufrichteten, doch ich hörte sie kaum, als ich Grace an meiner Blade stehen sah. Sie winkte mir zu. „Da bist du ja!“ „Wie bist du so schnell hierhergekommen?“, rief ich ihr entgegen. Sie zuckte mit den Achseln und sagte lediglich: „Reine Glückssache! Ich habe dafür das Cheerleadern geschwänzt, Schätzchen. Morgen bekomm ich sicherlich einen Monsteranschiss.“ „Toll, ich hab der alten Mrs. Dew nicht gerade eine Super-Ausrede geliefert. Wenn ich morgen also zum Direktor gerufen werde, wissen wir beide, warum.“ „Wo geht’s jetzt hin?“, lenkte sie vom Thema ab und ich verstaute meinen Rucksack, während ich mich auf mein Motorrad schwang. Ich würde Grace nicht nach Hause bringen, aber das verlangte sie auch gar nicht von mir, denn sie besaß ebenfalls eine Fireblade – bloß älter und nicht komplett in schwarz so wie meine sondern mit ein bisschen Silber hier und da. „Ich zieh mich um und mache da weiter, wo ich gestern aufgehört habe.“ „Du ziehst also wieder durch die Stadt, bis der Morgen graut?“ „Klar, mir ist mein Legat und meine Familie wichtig“, meinte ich bloß und sie grinste. „Du weißt schon, dass das bedeutet, dass du sie heiraten und einen Sohn mit ihr zeugen musst, nicht wahr?“ „Daran will ich jetzt noch gar nicht denken. Erst einmal finde ich sie und dann sehen wir weiter. Immerhin will ich die Probleme vom Tisch haben, wenn mein Großvater wiederkommt.“ „Hat der schon angekündigt, wann er gedenkt, sein Gesicht wieder zu zeigen?“ „Nope“, stieß ich aus und setzte meinen Helm auf, nachdem ich mir zuvor die Lederjacke übergeworfen hatte. Das war nun wirklich eine meiner größten Sorgen! Wenn der alte Vampir zurückkam und ich Ruby bis dahin nicht aufgespürt hatte, blühte ihr und mir ein Überlebenskampf. Mich würde er wahrscheinlich auf Anhieb verprügeln und sie zu unangenehmen Dingen zwingen. Meine Aufgabe war es also, sie davor zu beschützen, indem ich sie dazu brachte, sich in mich zu verlieben – und sie dann heiratete. Aber das kam erst später. Der Blutbund musste ausgetauscht werden, damit ich dieses Mädchen an mich binden konnte und sie keine Chance mehr hatte, sich von mir loszusagen. Das klang alles härter, als es war. Ich würde vollkommene Verantwortung für diese Situation übernehmen und ihr immer treu bleiben, das wusste ich. Bis zu ihrem Tod und vielleicht auch noch weiter, denn schließlich konnte ich auch in diesem Moment spüren, wie mein Herz hastig schlug allein beim Gedanken an sie. Grace hörte es sicherlich auch, denn sie klopfte mir auf die Schulter. „Das wird schon, Zac“, stieß sie aufmunternd hervor und vergrub ihre Hände in ihrer Jackentasche. Ich stimmte ihr innerlich nur zaghaft zu. Ganz so optimistisch war ich nun doch nicht, aber ich hoffte, dass sie Recht behielt. „Hoffentlich endet das nicht in so einer Katastrophe wie bei meinen Eltern“, erwiderte ich trocken und Grace zuckte zusammen – aus gutem Grund. Ich sprach selten über meine Mutter oder das, was mit ihr geschehen war und wenn ich es tat, dann meistens nicht aus eigenem Antrieb heraus. Dass ich das dieses Mal nicht tat, erstaunte Grace sichtlich, doch ich hatte nicht vor, auf ihre Antwort zu warten. „Allein der Gedanke daran, dass Ruby am Ende so endet wie meine Mom, gefällt mir nicht. Vater ist immer noch am Boden zerstört und ihm fällt es schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Ich will nicht am Ende noch so aussehen wie er. Das ist doch pathetisch!“ „ZAC!“, ermahnte mich Grace lautstark und ich fuhr zu ihr herum. Sie funkelte mich wütend an. „Sag das nicht nochmal! Ein gebundener Vampir ohne seinen Bindungspartner ist wie eine leere Hülle! Dass dein Vater überhaupt noch lebt, ist allein schon pures Glück. Die meisten Vampire bringen sich sofort nach dem Tod ihrer Geliebten um!“ „Sch!“, wollte ich sie beruhigen, doch sie schüttelte den Kopf und ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. „Dein Vater und dein Großvater! Die beiden sind wirklich bewundernswerte Männer! Nur, weil sie etwas abwegig geworden sind nach dem Tod ihrer Frauen, heißt das nicht, dass sie schwach waren! Dass du dich jetzt über sie lustig machst, zeugt doch von null Geschmack!“, fauchte sie und ich schaute sie aus schuldbewussten Augen an. Ich hatte mich nicht darüber lustig gemacht. Eigentlich wollte ich damit nur sagen, dass ich Ruby beschützen würde, egal was passierte. Doch der letzte Part meiner Aussage war wohl Streitauslöser genug gewesen. Ich wusste natürlich, dass meine Vorgänger wirklich bemerkenswerte Männer gewesen waren, aber ich hoffte innerlich, dass ich nicht auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Vampirwelt auf mich zog. „Scheiße, Grace. Es tut mir leid. Ich muss jetzt los“, brummte ich und schoss auf meiner Fireblade davon. Ich hörte sie noch wütend aufschnauben, doch ich kümmerte mich nicht darum. Meine primäre Aufmerksamkeit lag jetzt auf der Suche nach Ruby. Ich musste sie finden! Ohne sie würde ich natürlich leben könne, aber mein Herz sagte mir, dass das kein schönes Leben werden würde. Kapitel 6: Wednesday's reunion ------------------------------ Meine Augen wanderten zu meinem Nachttischwecker und ich seufzte. Ich hatte verschlafen – und das nicht zu knapp. Es war 11:34h am Mittwoch und ich saß mächtig in der Klemme. Wenn ich mich jetzt beeilte, würde ich gerade eben noch rechtzeitig zum Lunch kommen. Ich hatte drei Stunden verpasst: World History, Trigonometry und English Literature. Nicht zu sprechen von der Assembly, die heute ebenfalls stattgefunden hätte. Warum hatte ich so lange geschlafen? „Jetzt bringt es auch nichts mehr, zur Schule zu gehen“, meinte ich zu mir selbst, setzte mich aber trotzdem auf. Ich starrte eine Weile lustlos in die Luft und dachte über mein Leben nach. Dank meiner Aktion vom Montag hatte ich gestern nicht ein Wort mit dem äußerst beleidigten Jack sprechen können, weil er ein Zusammentreffen gekonnt zu vermeiden wusste. Das ärgerte mich, weil ich ihm nicht sagen konnte, was ich ihm nun einmal zu sagen hatte. „Mit dieser Beziehung ist’s zu Ende, Schatz“, brummte ich in den Raum und grunzte. Ich war also immer noch mit meinem tollen Freund zusammen und fand auch keinen Weg, mich von ihm zu trennen. Außerdem lag mir das Erlebnis vom Montagabend noch immer schwer im Magen: Ich war müde, erschöpft und lustlos, leicht reizbar und nervös. Wahrscheinlich hatte ich auch deshalb verschlafen. „Warum hat Shine mich nicht geweckt?“, maulte ich und rieb mir mit der rechten Handfläche die Stirn. Sie war wärmer als üblich, aber wirklich Fieber hatte ich nicht. Nur Kopfschmerzen, aber die waren auch nicht schlimm. Dies ignorierend griff ich nach meinem Handy und registrierte die zwanzig verpassten Anrufe und fünfzehn SMS‘. Oh, mein Gott! Stalker?! „Und wie unwichtig die alle sind!“, rief ich aus und überflog die Kurznachrichten. Shine hatte mir allein Acht geschrieben, um mich zu wecken und aufzufordern, endlich nach unten zu kommen, damit sie mich noch rechtzeitig zur Schule bringen konnte. Die Neunte war auch von ihr und ließ mich wissen, dass sie ohne mich losgefahren war. Die anderen Sechs waren von den unterschiedlichsten Personen: Meine Mom erklärte mir knapp, dass sie nicht nach Hause kam, weil sie einen Lover gefunden und ein Date mit ihm hatte; Jazz fragte, ob es mir gut ginge – genauso übrigens Olivia, Beryl und Ethan und Jack meldete sich, weil er mich nicht gesehen hatte. Ich lachte amüsiert auf. War er also so enttäuscht gewesen, dass er mich nicht gesehen hatte und somit nicht ignorieren konnte, dass er sich bei mir gemeldet hatte?! Ich gähnte und skippte durch mein Protokoll: Alles Anrufe von Shine. Okay, unwichtig. Sie wollte mich wecken und hatte versagt, weil ich mein Handy auf lautlos gestellt hatte. Schließlich konnte ich mich dazu durchringen, die Nummer der Schule herauszusuchen und im Sekretariat anzurufen. Knapp erklärte ich der Frau, dass es mir nicht gut ginge und ich erst so spät anrief, weil niemand das Anrufen für mich übernommen hatte, als ich gestern bereits erste Krankheitsanzeichen gezeigt hatte, weil einfach niemand außer mir zuhause war. Sie verstand mich, weil sie ja eine ganz liebevolle Frau war und entschuldigte mich nachträglich, obwohl das eigentlich verboten war. Ich dankte ihr und legte auf, dann schleuderte ich das Handy in die nächste Ecke und schwang mich aus dem Bett. Mir war ein bisschen schwindelig, aber das Gefühl verstrich nach einiger Zeit glücklicherweise, also kroch ich zum Kühlschrank und füllte mich mit Apfelsaft ab. Nachdem ich geduscht hatte, erledigte ich bis zum Mittag meine Hausaufgaben und Referate, die ich für die nächsten Wochen haben musste. „Bla, bla, bla. Keine Lust mehr“, beendete ich meine Versuche, mir irgendwelche mathematischen Formeln aus der Nase zu ziehen. Also streckte ich mich und schaute aus dem Fenster. Es hatte geregnet, als ich aufgestanden war, aber jetzt schien die Sonne und spannte einen großen Regenbogen über die dreckigen Häuserfronten der Wohnblöcke meiner Straße. Ich wohnte nun mal im zehn Minutenradius des ZOBs und gehörte somit den ärmeren Familien an. Aber das fand ich nicht schlimm, obwohl Jack regelmäßig das Gesicht verzog, wenn ich sparte oder einfach kein Geld zum Ausgeben hatte. Glücklicherweise hatte er das Geld lockerer sitzen und warf damit regelrecht um sich, nur um mich zu beeindrucken. Das schaffte er damit aber leider nicht. Ich stand auf, schlüpfte in irgendwelche Hotpants und ein T-Shirt, das farblich nicht dazu passte und ging zu meinem Fenster. Der Regenbogen hatte mich angezogen, weil er intensiver war als jeder andere, den ich je zu Gesicht bekommen hatte. Ich öffnete das Fenster und bemerkte, dass die kurzsichtige Macke, die meine Augen aufwiesen, verschwunden war. Ich konnte sogar die Rillen in der Hausmauer auf der anderen Seite der Straße sehen! Wie krank! Ich lehnte mich aus dem Fenster und roch den Regen, der noch immer schwer in der Luft hing. Nein, ich fühlte nicht die Luftfeuchtigkeit und roch die frische Luft, ich roch tatsächlich den Regen. Er roch, wie Wasser schmeckte. Irgendwie wie Regen halt. Schwer zu beschreiben. Ich schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. Ich war doch verrückt! Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und ich musste mir die Hand vor die Augen pressen, so blendete sie mich. Ich fluchte, es tat nicht weh, aber es nervte. Also griff ich nach dem Fenster und wollte es gerade schließen, da stachen mir vier schwarzgekleidete Männer auf, die unten auf der Straße standen. Ich erkannte sie sofort und schmiss das Fenster hastig in den Rahmen, bevor ich eilig alle Schlösser betätigte. Woher wussten diese Typen, wo ich wohnte? Sie waren mir sogar bis hierher gefolgt?! Was tat ich jetzt?! „Scheiße“, rief ich und lief zu meinem Handy. Mein Blick klebte sich auf meine Uhr, während ich Shines Nummer eintippte. Es war Lunchpause, also erreichte ich sie wenig später auch. „Wo bist du, Chica?“, meldete sie sich und ich haspelte los: „Shine, die Typen sind schon wieder hinter mir her!“ „Welche Typen?!“, kam es zurück. Toll! Meine Freundin hatte den Grund meiner Panik bereits wieder verdrängt. Ich antwortete vielleicht etwas zu gereizt: „Die Stalker von neulich aus dem Supermarkt!“ „Ach so, die! Woher wissen die, wo du wohnst?“ „Die müssen mir gefolgt sein. Sie stehen unten auf der Straße und schauen hier hoch!“ „Dann hau ab. Es gibt doch einen Hinterausgang!“, schlug sie mir ein wenig zu teilnahmslos vor. Ich wusste, dass sie nur versuchte, ruhig zu sein, um mir die Panik zu nehmen. Ich stimmte ihr zu und rannte zu meinem Schrank. Ohne jegliches Gefühl von Scham schnappte ich mir die gelben Gummistiefel, die die einzigen Schuhe waren, in denen ich gut laufen konnte. Sie waren auch die einzig Flachen. Alle anderen hatten zumindest kleine Hacken oder waren Flipflops. Sie passten überhaupt nicht zu meinem grasgrünen Top und der violetten Hotpants. Ich zog nicht einmal Socken an! Dann griff ich nach der sonnengelben Strickmütze und stopfte meine braunen Haare in das Häckelnetz, damit ich von hinten nicht mehr so gut erkennbar war. Der dunkelblaue Regenanorack war das letzte Utensil, das ich mir hastig überwarf, bevor ich eine Stoffeinkaufstasche griff und Ausweis, Ticket, Geld und Bankkarte einsteckte. „Ich sehe echt scheiße aus“, kommentierte ich meinen Stil und rannte aus der Wohnung, nachdem ich abgeschlossen hatte und den Schlüssel sicher in der Jackentasche verstaut hatte. Shine schnaubte und sagte: „Ist doch egal. Hau da einfach ab!“ Ich stimmte ihr innerlich zu und drückte mich durch den Hinterausgang, bevor ich durch den Innenhof und das nächste Gebäude lief und dort auf die andere Straße trat. Dann machte ich mich auf den Weg zum ZOB. „Kann ich zu dir?“, fragte ich, obwohl ich genau wusste, dass sie selbst in dieser Situation nein sagen würde, weil ihr ihre Familie peinlich war. Ihre Mutter war eine Künstlerin, die ein bisschen eckzentrisch war und ihr Bruder ein Punk in der Pubertät. Außerdem hatte sie zuhause fast nur Streit und war ungefähr genauso arm dran wie ich, da ihr Vater von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden war und ihrer Familie einen Haufen Schulden hinterlassen hatte. „Kannst du nicht zu Beryl oder Olivia oder Jazz? Zu Jack willst du sicherlich nicht. Geh zu Ethan!“, wich sie mir aus und ich räusperte mich. Meine Freundin ließ mich wie erwartet wieder im Stich. Ich seufzte. „Jazz ist sauer wegen Jack, Beryl und Olivia auch und Jack hat keine Lust mehr auf mich. Wenn ich jetzt zu Ethan gehe, vermutet mein toller Freund doch, dass ich mit ihm fremdgehe. Dann ist Ethan auch gleich schlecht dran. Shine, bitte!“ „Ich sag dir doch, das geht nicht! Ehrlich nicht. Ich will nicht, dass Leute meine Familie mitbekommen“, maulte sie zurück und ich murrte. Langsam war ich wirklich sauer und enttäuscht von ihr, also sagte ich, tapferer als geplant: „Fein, dann nicht. Man sieht sich! Bye!“ Bevor sie mir antworten konnte, legte ich auf und schmiss das Handy in die Einkaufstasche. Ich bemerkte erst jetzt, dass mein Outfit den Leuten erstaunte Blicke abverlangte, wenn sie an mir vorbeigingen. Ich grinste schief und fühlte mich sichtlich unwohl, also beeilte ich mich, während ich immer wieder nach hinten sah, um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Es kam niemand. Die dachten wohl immer noch, ich sei zu Hause. Ich grinste und erreichte ohne Zwischenfälle den ZOB. Dort angekommen, wollte ich mich eigentlich in einen Bus setzen, doch irgendetwas hielt mich davon ab: Wo sollte ich schon hinfahren? Wo sollte ich die Nacht verbringen? Und noch dringender: Was machte ich jetzt den ganzen Tag? Statt also in einen Bus zu steigen, wandte ich mich zur Bahn und setzte mich in den hintersten Waggon Richtung Großstadt in der Nähe. In eine Ecke gequetscht, erlebte ich so den ganzen Tag, verpasste Anrufe und die Essenszeiten, jammerte über meine Unlust und beobachtete Menschen. Einmal stieg ich aus, um mir bei Starbucks einen heißen Chai Latte zu holen. Dann kaufte ich mir in irgendeinem Kiosk eine Vogue, obwohl sie mir eigentlich zu teuer war, blätterte durch das Magazin und hing einer Modelkarriere nach. Das zweite Mal stieg ich aus, um prätentiös shoppen zu gehen und blieb vor einem Elektronikgeschäft stehen, in dessen Schaufenster Fernseher standen. Die Nachrichten liefen stumm, aber das störte mich nicht. Ich erahnte, was die Moderatorin sagte, bevor ich die Wettervorhersage aufsog. Es würde für einige Tage spätsommerlich werden und das ließ mich förmlich aufblühen, denn der Herbst fuhr mir ganz schön in die Beine. Apropos Beine, ich fror mir fast die ganze Zeit meinen Hintern ab, weil ich vergessen hatte, mir eine Strumpfhose unterzuziehen. Kein Wunder also, dass die Leute mich mitleidig ansahen. Für die sah ich wahrscheinlich aus wie eine Irre auf Abwegen. Es wurde schon bald dunkel und ich beschloss, zurück nach Emerald Hills zu fahren, also stieg ich zurück in die Bahn und ließ mich auf einen der Sitze in diesem leeren Abteil fallen. Meinen Kopf lehnte ich ans Fenster, bevor ich die Augen schloss. Dabei muss ich tatsächlich eingeschlafen sein, denn als der Zug einmal ruckelte, wachte ich ruckartig auf und schaute mich blinzelnd um. Ich war allein und immer noch nicht in Emerald Hills. Ich beobachtete, wie die Bahn an der nächsten Station hielt und krümmte mich fast, als ich sah, wer dort stand. Langsam zog ich die Beine an und versenkte meinen Kopf in dem Zwischenraum. Meine Haare taten den Rest, als ich die Häckelmütze abnahm. Sie würden mich sicherlich ausreichend verstecken. Warum passierte auch immer mir so etwas?! Ich wollte meiner Nase kaum glauben, aber als ich in das Zugabteil stieg, umgab mich der Duft, den ich auf Meilenentfernung wiedererkennen würde. Ihr Duft. Ruby Valentine. „Da ist sie“, flüsterte mir Grace zu und ich konnte ihr nur zustimmen. Wären wir zwei jetzt allein mit ihr gewesen, dann hätte sich mein Problem gelöst, doch dummerweise befanden wir uns auf der Rückreise eines verfluchten Klassenausflugs mit einem strengen Lehrer, der es uns nicht erlauben würde, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ich wandte mich in die Richtung, aus der ihr Duft kam und traute meinen Augen nicht. Das stilbewusste Mädchen von Freitag war ersetzt worden durch eine Mischung aus stylischen Klamotten und miesem Abstimmen der Farben aufeinander. Sie hockte zusammengesunken auf einem Sitzplatz und schien uns nicht bemerkt zu haben. Ich ließ mich auf einen Sitz gegenüber fallen und tauschte mit Grace Blicke aus. Sie dachte das gleiche wie ich. Die Jungs und Mädels aus meiner Clique setzten sich um uns herum und mir gegenüber, sodass es nicht auffiel, dass Grace und ich uns einfach mitten in den Zug gesetzt hatten. Glücklicherweise half mein Kurs tatkräftig mit und ließ meinem Lehrer keine andere Wahl, als sich ebenfalls zu uns zu setzen. Es dauerte nicht lange, da kicherten bereits die ersten Mädchen über Ruby und deuteten auf ihr nicht zusammenpassendes Outfit. Doch mein One-Night-Stand schien sich daran nicht zu stören. Sie rührte sich nicht. Durch das Verhalten der Mädchen auf sie aufmerksam gemacht, sprach mein Lehrer sie an: „Wissen Sie, wie spät es ist? Sie sehen nicht so aus, als dürften Sie noch unterwegs sein.“ Sie antwortete ihm mit einem Schnauben, das jedem Pferd Konkurrenz gemacht hätte. Es war ein verächtliches Lachen sondergleichen. Sofort war es still. Es gab tatsächlich Menschen auf dieser Welt, die sich mit diesem Typen auch noch anlegten! „Es ist elf Uhr nachts! Sagen Sie mir ihren Namen. Als Lehrer ist es meine Pflicht, d-“, setzte er empört und wichtigtuerisch an, wurde jedoch von ihr unterbrochen. Sie sah ihn aus herausfordernden Augen heraus an und schnappte zurück: „Sie nehmen sich selbst ja wohl zu wichtig!“ „Bitte?“, empörte er sich und keuchte vor erstauntem Entsetzen. Sie grinste fies. „Sie haben mich schon verstanden, Sie Heuchler.“ „Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Nennen Sie mir sofort ihren Namen und ihre Schule! Ich werde mich beschweren!“ „Klar, können Sie haben“, erwiderte sie und sagte dann langsam, als würde sie ihm etwas diktieren, „Pretentious Glory, Kiss-my-Ass Senior High School, Mount Everest.“ Die Hälfte meiner Klasse wieherte daraufhin los, während die anderen versuchten, hinter vorgehaltener Hand ein Lachen zu unterdrücken. Grace und ich gehörten zu ersteren. Mein Lehrer sah sie so entrückt an, dass wir seine Gedanken genau erraten konnten: Er war in seinem Leben noch nie dermaßen blamiert worden. „Ihr Alter!“, fauchte er und sie lächelte. „Ich rate Ihnen davon ab, sich näher für mich zu interessieren, das könnte Ihnen nämlich noch teuer zu stehen kommen.“ „Bitte?“, fragte er zurück und sie rollte mit den Augen, als sei er dumm. „Ich schätze Ihr Interesse für mich sehr, aber ich fürchte, ich fühle mich abgeneigt, eine persönlichere Beziehung als jetzt mit Ihnen einzugehen“, patzte sie zurück und mein Lehrer zuckte zusammen. Wir kicherten, konnten das Gespräch aber nicht weiter führen, weil die Bahn-Ansage losdröhnte und verkündete: „Emerald Hills ZOB, Emerald Hills ZOB. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Bitte schauen Sie, ob Sie auch nichts liegen gelassen haben. Wir danken für Ihr Verständnis und freuen uns auf ein Wiedersehen.“ Ich rollte die Augen und stand wie meine Kurskameraden auf. Auch mein Lehrer schien nicht gewillt, sich noch weiter bloßstellen zu lassen. Er sprang mehr als bereit auf und war auch der Erste, der die Bahn verließ. Ich war der Letzte und drehte mich noch einmal um. Sie folgte mir und unsere Augen trafen sich. Ich wusste nicht, warum, aber ich flüsterte ihr zu: „Wenn du jetzt aussteigst, weiß er, dass du auf die Columbus gehst. Dann hast du Morgen ziemlichen Ärger.“ „Egal. Seit Freitag ist mein Leben eh nicht mehr so, wie es sein sollte.“ Ich sah in ihren Augen, dass sie mir diese Tatsache zuschrieb und leider wusste ich auch, dass sie Recht hatte. Sie musste das Legat bemerkt haben. War sie bereits mit diesen Leuten zusammengestoßen, die auch hinter mir her gewesen waren? „Das Legat“, flüsterte ich, während ich mich von ihr abwandte und so tat, als ginge ich meinen Leuten hinterher. Grace ließ sich langsam zurückfallen und wir holten sie bald ein. Dass Ruby nach Luft schnappte, sagte mir sehr eindeutig, dass sie davon wusste. „Also doch!“, rief sie aus und Grace legte den Zeigefinger auf die Lippen. Dann sagte sie: „Warte draußen auf uns. Es gibt da etwas, das du wissen solltest.“ „Warum nicht jetzt?“ „Vor all den Leuten?“, erwiderte ich und ihre Augen wanderten zu meinen Mitschülern. Sie nickte und ließ sich zurückfallen, bis es so aussah, als gehörte sie nicht mehr zu uns. Grace und ich beeilten uns, die Oak Tree Schüler aufzuholen. Mein Lehrer sah uns an und ließ sich zu einem Kommentar verleiten: „Ich hätte nie gedacht, dass ihr zwei ein solches Gör kennt.“ „Ich kenne sie nicht“, wies Grace alle Schuld von sich und ich stöhnte innerlich. Sie ließ mich ins offene Messer laufen! Dummes Weib! „Aber Sie, Mr. Cole?“, stichelte er und ich nickte. „Flüchtig“, lautete meine Antwort und er hob genugtuend die Nase. „Sie sind aber kein guter Einfluss auf die Schüler. Das habe ich von Anfang an gesagt, als Sie mit ihrem Motorrad am ersten Tag vor der Schule vorfuhren.“ Ich rollte die Augen und sagte mit Grace unisono zurück: „Das ist kein Motorrad! Das ist eine Fireblade!“ Er schnaubte und eilte an die Spitze der Gruppe. Die Leute aus meiner Clique warfen mir mitleidige Blicke zu und ich zuckte mit den Schultern. „Ich hau ab, er will mich eh nicht sehen. Sag, ich hätte in der Bahn was liegenlassen.“ „Ich will mitkommen!“, maulte Grace, doch ich schüttelte bloß den Kopf. „Das ist eine Sache zwischen mir und ihr, Grace. Ich hatte von Anfang an vor, alleine mit ihr zu sprechen!“ „Wie konntest du nur!“, jammerte sie, fügte sich aber meinem Wunsch und schloss zu den anderen auf, während ich stehenblieb und auf Ruby wartete. Sie holte mich wenig später ein und hielt neben mir an, als ich keine Anstalten machte, weiterzugehen. Ihre Augen blickten fragend. „Ich glaube, es gibt Einiges, das ich dir erklären sollte.“ „Ich bitte darum“, sagte sie schlicht und grinste. Sie hatte wieder gute Laune. Das war eindeutig die Frau von Freitagabend. Mein Herz schlug automatisch schneller und ich atmete erleichtert ein. Ihr Duft war betörend. Vielleicht betörender als Freitag. Wie konnte das sein? Ich holte noch einmal tief Luft und mir wurde sofort klar, dass Ruby vampirischer roch. Als ich das realisiert hatte, konnte ich auch andere Unterschiede erkennen: Ihre Stimme war melodischer und verführerischer, sie strahlte eine Aura der Attraktivität aus und ihr Körper hatte sich verändert. Sie war dünner aber wohlgeformter als vorher und ihr Gesicht, das Freitag noch menschliche Makel aufgewiesen hatte, war nun vollkommen: Ausgeglichene Lippen, die voller wirkten, eine gerade Nase, sichtbar betonende Wangenknochen, deren Haut leicht rötlich war, geformte Augenbrauen und sanftere Augen. Der Braunton ihrer Iris war nicht mehr so platt sondern plötzlich voller Tiefe. Ihr ganzer Körper war ausbalanciert und sogar ihre Brüste hatten eine schöne Form angenommen. Nicht, dass sie vorher nicht auch schön gewesen wären, aber jetzt passten sie perfekt zu ihr. Himmel! Ich himmelte sie gerade an, also räusperte ich mich verlegen und sagte: „Lass uns zu Starbucks gehen. Ist eh nicht mehr so viel los um diese Zeit.“ „Klar“, meinte sie und folgte mir bereitwillig. Ich spürte ihre Anwesenheit übergenau in meinem Rücken und ließ mich daher zurückfallen, um neben ihr gehen zu können. Sie sah mich kurz an und lächelte – dankbar? Ich erwiderte das Lächeln. „Sorry“, überraschte sie mich plötzlich und ich schaute sie dementsprechend an. Sie grinste schief und erklärte: „Wegen Samstag, meine ich. Ich bin morgens einfach abgehauen.“ „Ach so, das. Ja. Ist mir aufgefallen.“ „Das hatte seinen Grund!“, versuchte sie mir ihr Verhalten zu erklären. Ich nickte. „Das habe ich mir schon fast gedacht. War ich wirklich so schlecht?“ „Du und schlecht?! Himmel, nein! Es lag nicht an dir.“ „Klar“, tat ich diese Standardaussage ab. Es lag nie an mir sondern immer an der Frau. Bis jetzt hatte sich jede so von mir getrennt. Ich stopfte die Hände in die Jackentaschen und eilte ein paar Schritte vor. Sie sollte nicht zwangsweise sehen, wie mir das zugesetzt hatte. „Ich habe einen Freund“, platzte sie hervor und ich blieb abrupt stehen. Sie rempelte mich an, weil sie das nicht erwartet hatte. Dann sah sie mich an, in ihren Augen nichts als ein stummes Flehen. Ich schluckte. „Scheiße! Du bist mit mir fremdgegangen?“, murmelte ich fassungslos zurück. Sie nickte und meinte: „Mein Freund heißt Jack. Wir sind seit acht Monaten zusammen, aber ich habe mich nie getraut, mehr mit ihm zu machen, als zu küssen. Ich bin noch Jungfrau gewesen, als wir Freitag miteinander geschlafen haben. Ich habe dich also nicht belogen.“ „Nicht belogen, das stimmt schon, aber … Oh, Gott! Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Ich habe dir beim Fremdgehen geholfen!“, rief ich aus und rang um Fassung. Sie legte mir die Hand auf den Arm, um mich zu beruhigen, doch ich schüttelte sie ab und sah ihr in die Augen. „Das hätte ich nicht von dir erwartet.“ Der Satz traf ins Schwarze. Sie zuckte zusammen und verzog das Gesicht. Schuldgefühle sprangen an die Oberfläche und ich sah, wie sie trotzig versuchte, Tränen zu unterdrücken. Ich kannte diese Masche bei Frauen. Sie wollten Mitleid. Sie bekamen von mir keins. „Jetzt auch noch weinen?! Kommt gar nicht in die Tüte!“, patzte ich sie an und wischte mit meinem Uniformtaschentuch ihre Tränen weg. Sie wich zurück und sagte dann: „Sorry.“ Dabei sah sie mich nicht an. Ihr Blick war auf den Fußboden gerichtet und schließlich drehte sie sich um und ging. Mein Herz zog sich zusammen und ich seufzte. Ich war ein Narr. Also rannte ich ihr mehr als bereitwillig hinterher. Eben weil ich ein solcher Narr war. „Hör mal, ich weiß, dass das nicht sehr nett ist, aber erwarte von mir kein Mitleid, wenn du mit mir fremdgehst, ohne mir irgendetwas davon zu erzählen!“, versuchte ich mein Verhalten zu erklären. Sie hatte die Hände in ihre Jackentaschen geschoben und blieb abrupt stehen. Dennoch drehte sie sich wider Erwarten nicht um, sondern schaute hinab zu ihren Füßen, mit denen sie abwechselnd ein zerknülltes Blatt Papier hin und her schubste. Ich seufzte. „Ruby, warum hast du mir das nicht gesagt?“, fragte ich sie schließlich in einer hoffentlich beruhigenden Stimmlage. Sie schnaubte und antwortete mir: „Du bist heiß, du bist schön, du bist verführerisch und warst Freitag genau das, was ich brauchte, nachdem ich mal wieder Probleme mit meinem Freund hatte. Du hast dich für mich interessiert, hast mich zu nichts gedrängt, hast mir zugehört, hast mich in eure Clique aufgenommen … Willst du noch mehr Gründe hören?“ „Aber das begründet doch nicht dein Fremdgehen. Das hätte vielleicht eine Freundschaft gestützt!“, rief ich aus und sie schüttelte den Kopf. „Mein Freund ist ein Arschloch und dann treffe ich zufällig in meiner Lieblingsdisco das genaue Gegenteil und du sagst mir, das sei nicht Grund genug?“ „Was willst du mir damit sagen?“, erkundigte ich mich, plötzlich vorsichtig geworden. Sollte sie sich in mich verliebt haben, dann hätte ich ein viel leichteres Spiel bezüglich meiner Legatssicherung! „Dass die Beziehung mit Jack schon kaputt war?! Dass ich Freitag einfach jemanden brauchte, der mich irgendwie – und wirklich nur irgendwie – liebte?! Es hätte nicht zwangsweise du sein müssen“, gab sie zu und verpasste mir eine verbale, schallende Ohrfeige. Ich grunzte und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Wow, das tat weh! „Du hättest also Freitag für jeden die Beine breit gemacht?!“ „Für jeden, der mich so wie du umgarnt hätte“, stimmte sie mir zu und ich atmete langsam ein und aus, um mich zu beruhigen. Diese Frau war der Wahnsinn! Sie war selbst zornig und gemein das sexyeste Wesen der Welt. Und ich entwickelte wohl ungeahnte masochistische Züge: Ich liebte es, wenn sie mir sagte, wie und wo es lang ging. Ich schüttelte meinen Kopf, um ihn frei zu bekommen. Das war doch verrückt! Der Mann schüttelte seinen Kopf aus und ich schaute einfach zu. Was auch immer ihm das brachte, hinterher wirkte er erleichtert. Der Typ hatte eine gewaltige Selbstkontrolle drauf, ohne Zweifel eine der besten, die ich je gesehen hatte. Ich hatte ihn so oft mit meinen Worten geschlagen, dass er eigentlich hätte wütend sein müssen. Doch je länger wir redeten, desto eher beruhigte er sich. Ich fragte mich, wie er das schaffte, während mein Herz von einem Tumult zum nächsten taumelte. Natürlich wollte ich ihn nicht verletzen, aber irgendwie wollte ich ihm auch die Schuld an allem geben. Ich war fies, weil ich schlechte Laune hatte und es mir nicht sehr gut ging. Die Nervosität war nichts gegen die Gereiztheit. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Erkältung und wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. „Auf zum Starbucks?!“, schlug er mir vor und sah unter den Wimpern hervor zu mir hinüber. Meine Atmung stockte, weil er so schön aussah, dass ich sterben wollte. Ich brachte also nur ein schwaches Nicken zustande. Er grinste, so als wüsste er, was er mit mir anstellte. Aber dieses Mal ließ ich mich nicht triezen. Warum auch immer, aber ich wollte mich nicht reizen lassen und es klappte. Er nahm meine Hand, die ich am liebsten wieder losgelassen hätte, weil ich Angst vor Jacks Spionen hatte und zog mich zu meinem oft frequentierten Starbucks. Es war tatsächlich ziemlich leer, weil es ja schon bald Mitternacht sein würde, also kamen wir direkt an die Reihe. Dummerweise hatte der Typ gerade Schicht, der mich am besten kannte. Und der auch meinen Freund Jack kannte. „Hey, Ru!“, begrüßte er mich und ich grinste schief zurück. Frag nicht! Frag nicht! Oh, bitte, frag bloß nicht nach, Daniel! Doch mein Gebet wurde nicht erhört, denn sein Blick huschte zu meinem Begleiter und er erkundigte sich neugierig, während ich die Augen schloss: „Wer ist denn das?“ „Ah, das ist –“, begann ich und kam ins Stocken. Der junge Mann neben mir grinste und sagte: „Zacchary Cole, ein guter Kumpel.“ Ich war ihm mehr als nur dankbar, dass er diese Lüge für mich fortfuhr. Ich nickte also unterstützend und grinste Daniel an. Der glaubte uns aber offensichtlich überhaupt nicht. Wieso auch? Der junge Mann hielt mich schließlich immer noch an der Hand. „Ah, ein guter Kumpel, schon klar. Und mit dem geht man Mittwochabends kurz vor Mitternacht, noch dazu während der Schulzeit zu Starbucks.“ „Äh, ja, genau“, lachte ich nervös und fummelte an meinem Reißverschluss herum. Die Ausrede hatte nicht gewirkt und Daniel vermutete schon in die richtige Richtung. Was taten wir denn jetzt bloß? „Ach, Ruby, Ruby. Keine Panik. Ich bin kein Jack-Fan und kam mit ihm klar, weil du eine gute Freundin von mir bist und er dein Freund ist. Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon nichts ausplaudern.“ Ich hielt die Luft an und warf Zacchary fragende Blicke zu. Wie nahm er es auf, dass Daniel uns für ein Paar hielt und uns eine Affäre nachsagte? Mein Begleiter sagte nichts weiter als: „Eine Hot Chocolate, bitte! Was willst du?“ „Einen Chai Tea Latte“, murmelte ich und sah ihn immer noch unsicher an. Er nickte und bestellte für mich mit. Daniel tippte den Preis in seine Kasse ein und nahm dann von Zacchary das Geld entgegen. Ich beschwerte mich natürlich sofort: „Du musst nicht für mich bezahlen! Ehrlich nicht!“ „Ich bin ein Mann, ich bezahle“, dominierte er mich und warf mir einen endgültigen Blick zu. Ich gab klein bei und ließ mich einladen. Daniel lachte. „Oh, Mann! Dass sich noch einer mit dir darum streitet, dich einladen zu dürfen, hätte ich nie gedacht. Du lässt doch sonst auch immer jeden für dich bezahlen!“ Ich lief tomatenrot an und brummte in mein Haar, während Zacchary leise lachte. Daniel bereitete unsere Getränke zu und reichte sie uns über den Tresen. „Hier, Schatz. Lass es dir gut schmecken!“, wurde seine Geste begleitet. Ich grinste dankbar und nahm meinen Tee entgegen, bevor ich mich ans Fenster des Ladens setzte und daran nippte. Zacchary setzte sich mir gegenüber und stellte seinen Becher vor sich ab. Ich forderte ihn mit meiner Handbewegung dazu auf, davon zu trinken, doch er schüttelte den Kopf und beugte sich zu mir vor: „Kann man ihm trauen?“ „Daniel?“, fragte ich nach und er nickte. Ich zuckte mit den Schultern. „Klar. Ich habe ihn hier kennengelernt, weil ich öfters hier Tea-To-Go kaufe, das heißt, er wird nichts unternehmen, was mir nachträglich erscheint. Er kennt den Rest ja durch mich.“ „Also bekommst du keine Probleme?“ „Nope“, antwortete ich. Außerdem hatte er uns das ja auch gerade erst versprochen, oder? Zacchary wirkte erleichtert, was mich in gewisser Weise erheiterte. Machte er sich Sorgen um mich? Ich wollte erst lächeln, doch das Gespräch vom ZOB holte mich ein und ich wurde schlagartig ernst. „Zacchary, hör mal –“, setzte ich wieder an, doch er wischte meinen Satz mit einer Handbewegung beiseite und sagte: „Zac reicht vollkommen. Und wir reden jetzt nicht darüber, wieso du fremdgegangen bist, okay?“ Ich nickte, beinahe zu eindeutig erleichtert darüber. Mir war es nur recht, mich nicht erklären zu müssen. Zac beugte sich wieder vor und flüsterte: „Wir sind hier, weil du etwas wissen solltest, korrekt?“ „Korrekt“, erwiderte ich und er nickte ernst. Dann nahm er endlich einen Schluck aus seinem Pappbecher. Ich beobachtete ihn und versuchte auszumachen, was er mir vielleicht sagen wollte. Doch ich fand nichts. Also wandte ich mich meinem Tee zu und wärmte meine Finger daran. Mein Blick ruhte dabei auf Daniel, der sich hinter der Theke auf einen Barhocker gesetzt hatte und in einer Zeitschrift blätterte. „Also. Ich erklär es dir nur einmal, deswegen musst du gut aufpassen.“ Ich nickte und sah ihn bereitwillig an. Er fixierte mich aus seinen Augen heraus und schien eine Bestätigung zu suchen. Er fand sie wohl, denn er sagte: „Freitagabend, als wir … du weißt schon, da habe ich dir leider mein Legat übertragen.“ „Ach, so einfach geht das?! Zack! Übertragen?!“, murmelte ich erstaunt und er schüttelte den Kopf. „Ich muss beim Sex unachtsam sein, um mein Legat zu verlieren. Und das war ich Freitag. Daher konnte dieser Transfer überhaupt erst stattfinden.“ „Du sagst also, dass du vorher … genauso wie ich jetzt … zaubern konntest?“ „Es ist nicht direkt zaubern, eher so etwas wie Magie ausüben.“ „Und das ist nicht das Gleiche?“, erwiderte ich schnippisch und er schnaubte belustigt. Dann erhob er sich, griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her aus dem Laden. Daniel winkte uns zwinkernd nach und ich hob zum Abschied meinen Becher. Zac neigte leicht den Kopf. Dann gingen wir Hand in Hand die Straßen zum ZOB entlang. Ich ließ mich führen – nach Hause konnte ich eh nicht wegen diesen komischen Typen. Apropos! „Mich verfolgen seit Montag so düstere Typen. Vier Stück!“, warf ich Zac vor und er fuhr zu mir herum. „Also doch!“ Er hatte es also schon geahnt. Wir beeilten uns und kamen schon bald am ZOB an. Dort warteten wir weitere zehn Minuten auf den Nachtbus. Ich fragte meinen Begleiter immer wieder, was nun Sache war, doch er blieb stumm. Auch im Bus sagte er kein Wort und ich murrte beleidigt, während mein Blick an den Häuserfassaden hing, an denen wir vorbeifuhren. An der Fabrikstraße verließen wir das Gefährt und eilten durch die dunklen Straßen, jeder mit seinem Becher in der Hand. Zacs Blick huschte unaufhörlich umher. Er war unruhig und das machte mich nervös, doch ich sagte nichts, denn ich wusste, wie es sich anfühlte, von diesen seltsamen Typen verfolgt zu werden. Mein Begleiter zog mich auf den Eingang des Gebäudes zu, das ich erst letzten Samstag so überhastet verlassen hatte und ich erinnerte mich voller Scham an den Luxus, der dort auf uns wartete und auch an meine furchtbaren Klamotten. Deswegen verlangsamte ich meinen Schritt, was mir einen verwirrten Blick von Seiten Zaccharys einbrachte, doch ich sagte bloß: „Ich sehe echt scheiße aus.“ Er lachte und antwortete mir, obwohl seine Augen immer noch suchend umherwanderten, heiter: „Na und? Das sehen wir alle einmal!“ „Aber meine Kleidung!“, wollte ich aufbegehren und wedelte mit der Hand umher, die nicht seine hielt. Deshalb schwappte auch mein Chai Tea über den Deckel und ich fluchte. Er war nicht mehr heiß, aber dennoch hinterließ das Getränk einen Teefleck auf meiner Hotpants. Zac lachte immer noch. „Ist doch egal, ich leih dir einfach was von mir und dann musst du dich auch nicht mehr schämen … Was du ja tust, dank deines seltsamen Geschmacks.“ „Das ist nicht mein Geschmack! Ich bin in Panik geraten, als vor meinem Wohnungsblock diese seltsamen Typen standen, die mich schon Montag attackiert haben! Da habe ich einfach nach irgendwas gegriffen und –“, maulte ich, doch Zac unterbrach mich bestimmt: „Erklär mir das oben genauer!“ Dann tippte er einen Zahlencode in das Türschloss ein, bevor er eine Karte in den Schlitz schob und noch einmal einen anderen Code wählte. Erst jetzt schnappte die Tür leise auf und wir traten hindurch. Er verstaute seine Karte und zog die Tür hinter uns zu – er war sogar so vorsichtig, das manuelle Schloss mit einem Schlüssel zu betätigen und den Riegel vorzulegen. Das hatte er Samstag aber nicht getan, erinnerte ich mich und schaute zu ihm hoch. Sein Blick hing noch an der Straße außerhalb, daher konnte ich ihn lang genug beobachten, um zu realisieren, dass er sehr nervös war. Seine Muskeln waren bis aufs Äußerste angespannt und ich schluckte. Wenn selbst er Angst hatte, was hatte ich dann diese Woche für ein Glück gehabt? „Alles in Ordnung?“, rang ich mich dazu durch, zu fragen. Er fuhr zu mir herum und lächelte beruhigend, doch seine Augen lächelten nicht mit. Mit einem letzten Blick zog er mich das Treppenhaus hoch. Als wir oben ankamen, wandte er sich an die Tür rechts von uns – so wie Freitag auch, dabei gab es auch links eine. Wir schlüpften in die Wohnung, die er noch einmal extra verriegelte, bevor er erleichtert ausatmete und seine Uniformjacke auf die Barhocker rechts von uns schleuderte. Ich legte meinen Anorak vorsichtig dazu und stand nun wieder schüchtern genau dort, von wo ich Samstag verzweifelt hatte entkommen wollen. Mir entfuhr ein Seufzer und Zac drehte sich zu mir um. Seine erhobene Augenbraue verbarg nicht das schelmische Glitzern in seinen Augen. Ah! Kein Wunder, dass er mir gefällt! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)