Schrei der verlorenen Kinder von lovegirlAiko ================================================================================ Kapitel 10: Mai's Wunsch ------------------------ Mai’s Wunsch Die Sonne stand hoch am Himmel. Im Motelzimmer der Männer herrschte Stille. Joe und Stan hatten es sich in ihren Nachtlagern bequem gemacht und schienen zu schlafen. Auch Mai lag im Bett und schlief, während Robin auf seinem Bett lag und in einem Buch las. Mai begann sich zu regen und setzte sich auf. Sie griff stöhnend nach ihrem rechten Knöchel, der bandagiert war. Robin blickte von seinem Buch auf und legte es weg. Er setzte sich zu Mai auf die Bettkante. „Schmerzt der Knöchel?“ fragte er flüsternd. Mai nickte. Robin reichte ihr ein Glas mit Wasser, welches auf dem Nachttisch gestanden hatte. „Hier, trink. Es ist ein leichtes Schmerzmittel darin. Damit werden die Schmerzen erträglicher werden.“ Mai nahm das Glas und trank ein wenig. Mit dem Glas in der Hand starrte sie vor sich hin. Sie schien ganz in Gedanken versunken zu sein. „Möchtest du noch etwas trinken? Sonst sollten wir das Glas besser wieder auf den Nachttisch stellen.“ Mai hob ertappt den Blick und gab Robin das Glas zurück. Dieser stellte es lächelnd zurück. Dann wandte er sich wieder Mai zu. „Du solltest dich noch etwas ausruhen.“ Mai schüttelte leicht den Kopf. „Nein. Ich möchte nicht mehr schlafen. Ich bin hellwach.“ Robin nickte. „Okay. Dann kann ich Gelegenheit nutzen und nach deinem Knöchel sehen.“ Mai nickte. Robin machte sich sogleich daran, den Verband zu lösen. Mai schaute ihm interessiert dabei zu. Die Wunde war sehr tief, doch war es schon soweit verheilt, dass sich Schorf gebildet hatte. Mit fachmännischen Handgriffen begann er die Wunde zu untersuchen. Die Haut um die Wunde herum, war rot. Zu Rot. Robin begann mit einem Lappen eine klare Flüssigkeit auf die Wunde zu träufeln, was Mai die Tränen in die Augen trieb. Sie unterdrückte jeden Schmerzlaut, während Robin wieder begann, den Knöchel zu bandagieren. Als er fertig war, reichte er Mai ein Taschentuch. „Sieht doch schon gut aus. Es verheilt sehr gut.“ Mai wischte die Tränen weg. Dann sah sie Robin an. „Woher kannst du das? Und was war das für eine Flüssigkeit, die du drauf getan hast?“ Robin hob das Fläschchen mit der Flüssigkeit hoch. „Das ist einfaches Weihwasser.“ „Weih…wasser?“ Mai blickte ihn irritiert an. Robin lachte leise. „Bei Verletzungen, die dir ein Dämon zufügt, ist Weihwasser das einzige Heilmittel. Es brennt zwar ungeheuer, aber es verhindert die typischen Folgen einer solchen Verletzung. Auch Verbrennungen, die durch das Höllenfeuer entstanden sind, kann Weihwasser heilen. Und noch viel mehr.“ „Ich verstehe… Okay, ich kapiere überhaupt nichts. Also, Weihwasser. Das gleiche, womit kleine Babys getauft werden? Das ist das einzige Heilmittel gegen Verletzungen, die von Dämonen und dem Höllenfeuer stammen?“ Robin nickte leise lachend. „Ja. Wie schon gesagt, Weihwasser ist sehr vielseitig.“ Mai nickte nachdenklich. „Gehört das zum Grundwissen eines guten Jägers?“ Robin schüttelte den Kopf. „Nein, dies habe ich vor Jahren festgestellt, als ein Mann von einem Dämon angefallen worden war. Dieser hat sich schwer verletzt zu einer Kirche geschleppt und versehentlich eine Schale mit Weihwasser umgestoßen. Die Wunden, an denen so Weihwasser gelangt waren, verursachten zwar zusätzliche Schmerzen, aber dafür schlossen sie sich und man erkannte einen Heilungsprozess.“ Mai runzelte die Stirn. „Verstehe ich das richtig? Wenn man von einem Dämon verletzt wird, dann heilen die Wunden nicht?“ Robin nickte. „Ja. Man hat es schon mit allem versucht. Warum man nie auf Weihwasser gekommen ist, weiß ich auch nicht. Dabei ist das so nahe liegend…“ „Und woher weißt du soviel über so etwas?“ Robin lächelte. „Eigentlich wollte ich Medizin studieren und Arzt werden. Allerdings kam alles anders. Meine Familie hat schon immer Geister, Dämonen und paranormale Phänomene untersucht und gejagt. Inzwischen ist es Tradition, dass jede Generation einen Jäger hervorbringt. Dies hat den Vorteil, dass ich auf ein ungeheures Wissen zurückgreifen kann. Es hat aber auch Nachteile. Die Dämonen wissen um uns und fürchten uns. Deshalb haben sie immer wieder versucht, uns zu vernichten. Dies wäre ihnen ein paar Mal sogar fast gelungen. Tja, der letzte Anschlag ist jetzt 10 Jahre her. Da war ich elf. Meine Mutter war schwanger gewesen. Sie war so glücklich gewesen. Nach drei Söhnen sollte das vierte Kind nun endlich ihr ersehntes Prinzesschen werden.“ Robin lächelte kurz. „Meine Eltern waren in der Küche, wir Kinder schliefen schon. Ich weiß noch, dass ich vom Meer träumte, als mich der Schrei meiner Mutter aus dem Schlaf riss. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber als ich in die Küche kam, lag da meine Mutter… Alles war voller Blut. Mein Vater kämpfte mit einem Dämon… Ich weiß nicht wie, aber ich schaffte es, meinem Vater zu helfen und gemeinsam schickten wir ihn zurück die Hölle.“ Robin brach mit glasigen Augen ab. Mai rutsche näher an ihn heran und griff nach seiner Hand. Er blickte dankbar auf. „Es stellte sich heraus, dass uns ein Jäger verraten hatte. In dieser Nacht verlor ich nicht nur meine Mutter und meine ungeborene Schwester. Auch meine beiden Brüder fanden wir tot in ihren Betten. Ich hab überlebt, weil ich in der Bibliothek über ein Buch eingeschlafen war. Seit diesem Tag habe ich mir geschworen, jeden, der für diese Nacht verantwortlich ist, zu jagen und eigenhändig dafür büssen zu lassen.“ Er wandte den Kopf zur Seite. Mai drückte seine Hand. „Dieser Verräter… Ist das…“ Ein Nicken. „Ja, der Wahrsager.“ Mai senkte den Kopf. „Dann manipuliert er nicht nur die Leute, sondern ist auch noch ein Mörder. Dieser elende Scharlatan!“ Robin sah sie belustigt an. „Scharlatan? Das ist mal ein passender Name für diesen Verräter.“ Mai lächelte. „Jetzt weiß ich auch, warum Stan dich einen Rachsüchtigen, Medizinbesessenen Geist genannt hat.“ Robin nickte. „Ja. Ich muss zugeben, damit hat er wirklich Recht gehabt. Aber besser leiden kann ich dich dadurch trotzdem nicht, du Stinkstiefel.“ Robin hob die Stimme. „Das beruht auf Gegenseitigkeit, Prinzchen.“ Stan erhob sich von Sofa und streckte sich. „Wie ich sehe, ist unser Dornröschen auch erwacht. Fehlt nur noch der alte Opa.“ „Lass deine dämlichen Spitznamen, Stan. Zufälligerweise haben wir Namen, auf die wir auch hören.“ Joe schälte sich aus seinen Decken. Stan schnaubte. „Klar, so etwas haben wir alle. Aber so schöne Spitznamen nicht.“ antwortete er grinsend. Mai verzog das Gesicht. „Dann geben wir dir jetzt auch einen. Wie wäre es mit Ekelpaket? Oder wandelnde Leiche? Oh, besser nicht. Sonst verwechselt man dich am Ende wirklich noch mit einem Untoten.“ Robin und Joe gaben seltsame Geräusche von sich, als sie versuchten, sich das Lachen zu verkneifen. Stan funkelte Mai finster an. „Hey, Kleine, sei lieber etwas freundlicher, schließlich haben wir dich vor dem Dämon gerettet.“ Mai ließ sich nicht beeindrucken. „Die Kleine hat einen Namen. Solange du mich nicht bei meinem Namen nennst, werde ich sicherlich nicht freundlicher zu dir sein.“ Mai verschränkte die Arme und blickte Stan entschlossen an. Dieser wandte sich ab und verließ das Zimmer. Joe und Robin begannen zu lachen. „Das war mal klasse. Aber ein Rat, Mai: Treib es nicht zu weit. Stan kann richtig ungemütlich werden.“ Mai nickte. „Danke, ich werde es beherzigen.“ Die Sonne versank am Horizont. Im Zimmer der Männer herrschte Schweigen. Niemand sagte ein Wort. Stan lehnte an der Tür und blickte finster in die Runde. Joe und Robin saßen an der Kante von Robins Bett, während Mai aufrecht sitzend in ihrem Bett lag. „Mai, deine Schwester Dina ist verschwunden. Weißt du, wo sie sein könnte?“ Mai blickte auf. „Dina? Sie war im Keller.“ Joe stöhnte auf. „Auch das noch…“ Mais Gesicht war erst irritiert, doch dann wandelte sich ihr Gesichtausdruck und sie wurde kreidebleich. „Der Schrei…“ sagte sie atemlos. Robin nickte. „Wenn ein verlorenes Kind schreit, reißt es alles Lebende um sich herum in den Tod.“ „Und warum lebe ich dann noch? Ich hab sie doch gesehen! Sie stand genau vor mir!“ Joe schüttelte den Kopf. „Diese Frage beschäftigt uns, seit wir dich gerettet haben. Den Schrei hat bisher noch niemand überlebt! Er schwächt Dämonen, kann sogar Geister auslöschen! Nichts ist tödlicher als dieser Schrei.“ Daraufhin wurde wieder geschwiegen. Die Sonne versank ganz und machte der Nacht Platz. Dann brach Mai das Schweigen. „Ich will mitkommen.“ Die Männer starrten sie erst irritiert an. Doch dann schnappte Robin hörbar nach Luft. „Mai, nein! Die Stadt der verlorenen Kinder ist kein Ort für dich! Selbst die erfahrensten Jäger meiden ihn! Dort gibt es nicht nur die verlorenen Kinder. In fast jedem Haus haust ein Poltergeist, der es sich zum Ziel gemacht hat, Eindringlinge zu töten. Dämonen beherrschen die Nacht. Wenn du dort 5 Minuten überlebst, hast du schon gewonnen.“ Mai schüttelte den Kopf. „Das interessiert mich nicht! Ich muss dorthin! Wenn ihr mich nicht mitnehmt, dann geh ich eben alleine!“ Nun ergriff Joe das Wort. „Mai, egal, was du dort willst, es würde deinen Tod bedeuten! Willst du deinen Eltern das wirklich antun? Sie würden innerhalb weniger Tage zwei ihrer Kinder verlieren. Und sie hätten noch nicht einmal etwas, was sie beerdigen könnten! Ist es das, was du willst?“ Mai kletterte wutentbrannt aus dem Bett. „Ihr versteht das nicht! Ich MUSS dahin! Dort liegen alle Antworten auf meine Fragen! Ich kann nicht länger untätig sein. Es gibt keinen anderen Weg.“ Sie wollte zur Tür gehen, doch ihr verletzter Knöchel hielt der Belastung nicht stand und sie knickte ein. Stan griff nach ihrem Arm und zog sie hoch. Als sie halbwegs sicher stand, beugte er sich vor. „Dann erklär es uns, Kleine. Wir sind nicht dumm. Wenn du uns den Grund nennst, werden wir es sicherlich verstehen. Also? Welche Antworten sind dir so wichtig, dass du dein Leben einfach so wegwerfen willst, MAI?“ Stan betonte ihren Namen so stark, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte. Dann senkte sie den Kopf. „Es ist wegen Chloe. Das verlorene Kind, welches ich im Keller gesehen hab, war…“ Mai brach ab. Joe half ihr auf die Sprünge. „War Chloe selbst?“ Mai schüttelte den Kopf. „Nein. Es war ihre beste Freundin. Heather. Sie… sie hat mich Chloe genannt.“ Schweigen. Keiner der Männer wagte auch nur zu atmen. „Bist du sicher?“ fragte Stan überflüssigerweise. Mai nickte und ließ sich auf das Bett sinken. Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Ich…ich hatte am Anfang immer wieder diesen Traum. Wo zwei Erwachsene in Begleitung von zwei Mädchen durch eine Menschenleere Stadt schleichen. Sie trennen sich und gehen in zwei Reihenhäuser, die sich genau gegenüberliegen. Die Frau, die Hayley genannt wird, versucht zu verhindern, dass das Mädchen etwas trinkt, was ihr Gestalten in der Dunkelheit anbieten. Dann hören sie, wie im anderen Haus das andere Mädchen diese Flüssigkeit trinkt. Sie wimmert und bettelt um Hilfe. Dann ist da plötzlich dieser Schrei.“ Mai brach in Tränen aus. Robin kam um das Bett herum und schloss sie in seine Arme. „Inzwischen weiß ich, dass das Mädchen bei Hayley, Chloe war. Und das andere Heather, ihre beste Freundin. Heather hat diese komische, klare Flüssigkeit getrunken und wurde zum verlorenen Kind. So ist es doch, nicht wahr?“ Mai brach schluchzend ab. Robin drückte sie an sich. Joe und Stan ließen die Köpfe hängen. „Es ist nicht viel darüber bekannt, wie ein Kind zu einem verlorenen Kind wird, doch deine Träume könnten die Antwort darauf haben.“ Mai blickte Joe flehend an. „Bitte! Bitte, ich muss zur Stadt der verlorenen Kinder! Nur dort finde ich die Antworten. Warum ich diese Träume habe. Was mit Chloe und ihrer Mutter passiert ist. Vielleicht gibt sogar eine Möglichkeit, die verlorenen Kinder zu retten. Bitte!“ Joe sah zu Stan. Dieser zuckte mit den Schultern. Joes Blick wanderte zu Robin. Dieser schien mit sich zu kämpfen. Er seufzte und nickte. Auch Joe nickte. „Gut, Mai, du darfst mit. Aber nur unter einer Bedingung! Du wirst dort genau das tun, was wir dir sagen! Wie Robin schon treffend beschrieben hat, ist es ein Ort des Todes.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)