Sub Iove - Unter freiem Himmel von Ixtli ================================================================================ Opus 91, № 1 ------------ lat. Sub "unter" + Iovis "Jupiter; Gott des Himmels". Sinngemäß: "Unter freiem Himmel" Es gibt viele Arten von Gebäuden, wovon die meisten denjenigen, die sie tagtäglich betreten, eine gewisse Geborgenheit vermitteln sollten. Man sollte das, was immer man auch in dem Gebäude zu erledigen hatte, gerne tun. Und es gab Bähbem Manor, das geduckt und finster dreinschauend wie ein beleidigter Riese inmitten eines weitläufigen, von einem Schmiedeeisernen Zaun umgebenen Gelände hockte und wütend vor sich hin schmollte. Bähbem Manor wollte keinen Besuch von Außerhalb, der vielleicht etwas zu neugierig durch die Zimmer ging und nach eventuell verborgenen Geheimnissen suchte. Dabei hatte es mehr zu bieten, als das unfreundliche Äußere vermuten ließ. Alleine anhand der mühevoll über Generationen hinweg zusammengetragenen Einrichtung und der Tapeten, die die Wände zierten, konnten die Räume auf Bähbem Manor einen in einer bestimmten Art unbewusst zum Handeln lenken. Waren sie klar und ohne besonders dekorative Muster in sämtlichen Räumen, in denen etwas gelehrt wurde, waren sie im Gegensatz dazu heiter und ausgelassen in Zimmern, in denen vor allem die kreativen Sinne angesprochen werden sollten. Wie hier im Musikzimmer. Eines der wenigen Zimmer, in denen sich Makoto wohlfühlte, weil es fast vollkommen ohne die unvermeidliche, nahezu überall anwesende bedrückende Holzvertäfelung auskam. Hier war reichlich Platz für allerlei Muster, die mit ihren tanzenden Windungen und beschwingten Bögen das Auge und den Geist auf Wege führten, die nie zu enden schienen. Das alles war Makoto im Laufe der letzten Wochen aufgefallen. Seit Itsuki ihn das erste Mal noch vor Tagesbeginn aus dem Bett gescheucht und – den damals vor Müdigkeit nicht ganz des Denkens mächtigen Makoto – in dieses Zimmer gedrängt, förmlich hineingeschoben, und ihn zum Flügel hin dirigiert hatte. Und weil er nicht wusste, was er hier vor Unterrichtsbeginn sollte, hatte Makoto das erste Mal den Blick gehoben und ihn antwortsuchend auf die Wand vor sich gerichtet. Die Antwort, die sich ihm dort zwischen verschlungenen Ranken und sich öffnenden Blüten offenbarte, war nicht unbedingt die, die er selbst erwartet oder die Itsuki sich womöglich erhofft hatte – der Flügel steht nicht zur Zierde hier! -, sondern es war schlicht die Erkenntnis, viel zu lange mit gesenktem Blick durch die tunnelartigen Flure des Anwesens und seines Lebens geschlichen zu sein. Dieser Gedanke hatte sich wie ein Grabstein angefühlt, der die ganze Zeit zwar gewackelt hatte, nun aber umgekippt war und auf seiner Brust lag und ihm den Atem raubte. Zuerst war er so klein wie das Lehmpüppchen, das sie vor Jahren in den Ruinen unter Bähbem Manor gefunden und heimlich aufgepäppelt hatten. Und genau wie dieses fremde Wesen war der dunkle Gedanke, der aus dieser Erkenntnis hervorgewachsen war, immer größer geworden und schließlich genauso zerfallen, je beharrlicher ihn Itsuki seitdem hierher drängte. Obwohl Makoto nicht mehr unbedingt gedrängt werden musste. Manchmal war er lange vor Itsuki hier und saß an dem schwarzen Flügel, bis Itsuki irgendwann auch den Raum betrat und sich neben ihm auf der gepolsterten Bank niederließ. Das neblige Licht des gerade anbrechenden Morgens streckte zaghaft leuchtendweiße Knochenfinger durch die noch kahlen, dürren Äste der Bäume und versuchte, das Anwesen zu erreichen und zu durchfluten. Doch ebenso wie die beiden am Flügel Sitzenden, war es viel zu zeitig dran. Das wenige verwaschene Licht, das es durch den Nebel bis an die riesigen Fenster geschafft hatte, fiel erschöpft und kraftlos durch die hohen Glasscheiben des Musikzimmers und erleuchtete dieses diffus. Es war Makoto nicht entgangen, dass Itsuki seine randlose Brille abgenommen hatte und das fragile Teil nun zusammengeklappt in einer Hand hielt. Es gefiel ihm nicht, wenn Itsuki seine Brille abnahm. Das hatte immer etwas beunruhigendes an sich. Von den Blicken, die ohne Brille irgendwie zu ungehindert auf Makoto ruhten, ganz zu schweigen. Unermüdlich und mit einer bewundernswerten Engelsgeduld gesegnet, saß Itsuki nun schon seit Stunden neben Makoto, der mit leerem Blick das aufgeklappte Notenbuch vor sich anschwieg. Seine blassen Finger schwebten nur einige Zentimeter reglos über den elfenbeinernen Tasten. Was lag ihm an Brahms?! Brahms war längst tot, was ein Vorteil für den Komponisten war. So würde er das Desaster, zu dem Makoto wahrscheinlich dessen Stück wieder zerhacken würde, wenigstens nicht mit anhören müssen, aber Itsuki würde es und genau wie Makoto wusste auch er, dass er es nie so fehlerfrei hinbekommen würde wie Itsuki. Egal, wie oft und wie lange sie noch hier in diesem Raum mit dem falschen Himmel über ihnen sitzen würden. Der Grabstein mochte weg sein, doch sein mit Gras überwucherter Sockel war noch immer fest in der Erde verankert. Und Itsuki sah ihn immer noch an. Abwartend. Die ärgerliche Falte studierend, die sich zwischen Makotos Augenbrauen gebildet hatte. Wenn er doch nur nicht so schauen würde. So, als schulde ihm Makoto irgendeine Regung... "Das ist doch sinnlos." Makoto atmete tief aus. Er konnte spielen wie er wollte, ihm fehlte einfach das Einfühlungsvermögen, aus diesen aneinandergereihten Punkten, die wie Krähen auf ihren Stromleitungen saßen, ein harmonisches Stück werden zu lassen, wie es der Komponist sich vorgestellt haben musste. Dafür hatte sich Brahms sicher nicht die Nächte um die Ohren geschlagen, damit Makoto nun einen Sinngemäßen Trauermarsch daraus machte. Krähen konnte man nicht das Singen beibringen. Krähen blieben Krähen. Sie trugen höchsten die Särge zu den Klängen des Trauermarschs zu den Gräbern. Makoto wandte den Kopf und begegnete Itsukis immer noch auf ihm ruhenden Blicken. Er hätte ja wenigstens abstreiten können, dass Makoto eine Krähe war, stattdessen saß er seit Wochen neben ihm und versuchte ihm etwas einzutrichtern, wofür Makoto offensichtlich weder genügend Fingerspitzengefühl, noch die Ausdauer, eben dies zu erlernen, besaß. Mit welcher Begründung tat Itsuki das? Um sich auf seine Kosten zu amüsieren? Und auf einmal gehorchten Makotos Finger. Sie krümmten sich, bis beide Hände Fäuste bildeten, die er erhob und mit einer Geschwindigkeit auf die Klaviatur hinabsausen ließ, dass der gesamte Korpus des Flügels unter dem Schlag wie ein verwundetes Tier aufschrie und vor Schmerzen zu vibrieren schien. Selbst überrascht von den gepeinigten Tönen, die dieser Flügel produzieren konnte, hielt Makoto die Luft an. Endlich zeigte Itsuki eine Regung. Er legte seine Brille auf die Fläche neben das Notenbuch. Kurz und unergründlich lächelte er Makoto zu und noch ehe sich das gequälte Instrument beruhigt hatte, hatte er sich mit der Eleganz einer Katze von der Bank erhoben und dabei Makoto, an der Schulter seines Hemdes packend, mit auf die Beine gezogen. Ohne ihm die Chance, zu protestieren, zu lassen, schob ihn Itsuki vor sich her und hinter der Bank hervor, bis sie beide neben dem Flügel standen. Wie kam Itsuki dazu, ihn so zu behandeln? Makotos Frage blieb ein unbeantworteter Gedanke. Sein wütender Gesichtsausdruck wich Unglauben, als ihn Itsuki erneut packte und seine Finger sich fest in Makotos Oberarme krallten. Die Stoffnähte krachten warnend, als Itsuki sein überrumpeltes Gegenüber ein Stück zu sich zog, nur um ihn gleich darauf mit dem so gewonnenen Schwung wieder von sich zu stoßen. Makoto taumelte rückwärts. Sein Fuß stieß gegen etwas festes, verhakte sich und Makoto kam ins Stolpern. Haltsuchend griff er nach dem Korpus des von ihm so schlecht behandelten Instruments. Seine verschwitzten Finger rutschten an dem schwarzlackierten Holz ab, als wolle es ihm nun keine Hilfe sein, doch Makoto blieb auf den Beinen. "Du nimmst das ja ganz schön persönlich", fauchte Makoto und wünschte sich gleich darauf, den Mund gehalten zu haben. Itsuki war schneller bei ihm, als Makoto sich entschuldigen oder standfest genug auf die Beine kommen konnte, so dass ihm das, was ihn als nächstes erwartete, nichts anhaben konnte. Mit einem festen Stoß gegen die Brust ging er nun endgültig zu Boden und schlug so hart auf, dass es ihm einen Moment lang den Atem raubte und kleine schwarze Sternchen vor seinen Augen explodierten. Erschrocken schnappte Makoto nach Luft und fühlte gleich darauf, wie diese wieder aus seinen Lungen gepresst wurde, als sich Itsuki auf ihn stürzte und ihm noch vor dem Ausführen eventueller Absichten aufzustehen, ihm eben diese auf der Stelle zunichte machte. Der Staub, den sie beide aus dem alten abgewetzten Teppich aufgewirbelt hatten, legte sich langsam. Itsuki kniete über dem niedergerungenen Makoto und konnte sich ein winziges triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Unter ihm wand sich Makoto, das Gesicht so wütend verzogen, dass es auf jeden Eindruck gemacht hätte, außer auf Itsuki. Nach einer Weile wurde Makotos Widerstand geringer. Schnell hatte er gemerkt, dass, je verbissener er wieder die Oberhand zu erlangen versuchte, Itsuki ihn nur noch unnachgiebiger zu Boden drückte. Und das gefiel Makoto ganz und gar nicht. Er musste zugeben, Itsukis Kraft und vor allem seine Schnelligkeit unterschätzt zu haben. Seine Handgelenke schmerzten unter dem Druck von Itsukis Händen, die ihn wie Schraubzwingen umklammerten und sie über Makotos Kopf an den Boden fesselten. Itsukis Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch und hinterließen rote Halbmonde in seiner Haut, doch auch das musste irgendwann vorübergehen. Da war sich Makoto sicher. "Ich", Makoto hielt kurz inne und suchte in Itsukis Gesicht nach etwas, das ihm das Weitersprechen leichter machen würde. Ein versöhnliches Aufblitzen in seinen Augen vielleicht, weil er immerhin zuerst zu sprechen angefangen hatte. "Ich weiß ja, deine Mühe wirklich zu schätzen, aber es hat keinen-" Er konnte den Satz nicht beenden, denn Itsuki fiel ihm harsch ins Wort. "Deinen Sarkasmus kannst du steckenlassen." Itsuki spie die Worte aus, so dass Makoto erschrocken mit den Augen blinzelte, weil er, wenn er ehrlich war, erwartete, dass ihm Itsuki seine Faust wegen des Frevels an diesem gottverdammten Flügel ins Gesicht rammen würde. Doch nach diesem ersten, beeindruckenden Satz, der Makoto wohl nur einschüchtern sollte, wurde Itsukis Tonfall wieder so, wie ihn Makoto kannte. "Zuerst einmal", fuhr Itsuki leiser und beherrschter fort, "zuerst einmal musst du lernen, Instrumente pfleglich zu behandeln. Und wenn du das verstanden hast, fangen wir damit an, die Frage zu klären, ob du darauf spielen kannst oder nicht." Makoto sah verwirrt zu Itsuki hinauf. Sein Lächeln hatte nun nicht mehr diesen spöttischen Zug, wie noch kurz zuvor, und allmählich wich die Spannung aus Itsukis Körper. Seine Hände ließen ihren Klammergriff um Makotos Handgelenke sein, was ein unglaublich erleichterndes Gefühl war, weil das Blut wieder ungehindert zirkulieren konnte. Und auch seine angewinkelten Beine, die Makoto seitlich in Schach gehalten hatten, lockerten sich. Offensichtlich hatte Itsuki doch noch einen Funken Anstand in sich. Oder er war einfach nur dumm genug, Makotos Stillhalten als seinen eigenen Sieg zu interpretieren. Makotos Mundwinkel bogen sich zu einem selbstgefälligen Schmunzeln. Itsuki erwiderte das Lächeln Makotos, der schon dabei war, sich in Gedanken auszumalen, wie er Itsuki bei Gelegenheit zeigen konnte, wo der sich sein Instrument hinstecken konnte. Und Itsuki konnte jeden einzelnen Gedanken in Makotos Gesicht ablesen. "Du hast es nicht verstanden." Ertappt wich das Lächeln aus Makotos Gesicht. "Sicher habe ich das", stritt er lautstark ab und glaubte selbst nichts von dem, was er Itsuki gerade weiszumachen versuchte. Itsuki schüttelte langsam seinen Kopf, ganz so, als verstünde er Makoto einfach nicht, weil der in einer anderen Sprache redete. Siegessicher verfolgte Makoto wie Itsukis Gesicht einen scheinbar niedergeschlageneren Zug annahm. "Du hast es mal gewusst." Itsukis Stimme war kaum laut genug, um die Distanz zwischen ihnen beiden zu überwinden, so dass Makoto genau hinhören musste, wenn er die Worte verstehen wollte. Itsuki reagierte darauf, in dem er sich weiter zu Makoto hinabbeugte, der, ob er wollte oder nicht, gebannt darauf wartete, was der ihm noch zu sagen hatte. Itsukis Kopf warf einen bedrohlichen Schatten auf Makotos Gesicht. Seine Stimme blieb weiter nichts als ein heiseres Flüstern, das ihm ins Unterbewusstsein kroch und beharrlich etwas in Erinnerung rufen wollte, was Makoto eigentlich gar nicht mehr hören wollte. "Du hast es dir damals einfach abschneiden lassen, weißt du noch?" Einige von Itsukis hinters Ohr gestrichenen Haarsträhnen lösten sich, rutschten über seine Schulter nach vorne und fuhren wie seidige Finger über Makotos Wangen. Makoto hob die Hand und wischte eine Strähne weg, die ihn zu sehr kitzelte. Die die Erinnerung zu sehr kitzelte. "Die wachsen wieder nach." Makoto kannte diesen Satz. Es war der Erste, den er zu Itsuki gesagt hatte, nachdem Lehrer Isshiki ihm den Schlamm aus den Haaren geschnitten hatte. Gott, eigentlich war es der Leichnam des von ihnen aufgezogenen Wesens gewesen, den er ihm aus den Haaren geschnitten und aus dem Gesicht gewischt hatte. Dieses seltsame, singende Wesen, dessen Wunden sie versorgt hatten, um es zurück zu seinen Eltern zu bringen, falls es denn welche gehabt hätte, weil es so war wie er – und auch wie Itsuki. Makoto senkte seine Blicke, bis er nur noch Itsukis Schultern sehen konnte. Dahinter kroch der Morgen neugierig an die Fenster. Itsukis Gesicht kam wieder in Makotos Blickfeld als der sich noch weiter zu ihm hinabbeugte. "Du hast sie nie wieder wachsen lassen." Itsukis Atem traf auf Makotos fest zusammengepresste Lippen, so nah war er ihm nun. "Ich sitze hier doch nicht, weil du lernen sollst, diese verdammten, verstaubten Stücke fehlerfrei zu spielen." "Warum denn dann? Um mir zu sagen, ich soll meine Haare wieder wachsen lassen?", spottete Makoto prompt, der kurz davor gewesen war, von Itsukis Worten überzeugt zu werden. "Ja, auch das." Itsukis Mundwinkel bogen sich zu einem Lächeln, das eher dem gefletschten Gebiss eines Raubtieres glich, kurz bevor es seine Reißzähne in das warme Fleisch seiner Beute schlug. "Weil er dir mit der Schere nicht nur die Haare geschnitten, sondern sie dir viel tiefer in deinen Kopf gestoßen hatte, wo sie dir wohl alles in winzige Fetzen zerschnitt, womit du einmal einen Haufen Lehm zu einem lebendigen Wesen werden lassen konntest." Makotos Protest verlor sich in Itsukis Kuss, der seine Lippen wie ein plötzlicher Windstoß, der ein Fenster zustieß, traf. Er war nicht vorsichtig, keine sanfte, probierende Berührung von etwas Unbekanntem. Nicht einmal annähernd. Er war ungestüm und begierig, als besäße Makoto etwas, das Itsuki gehörte und das dieser sich nun zurückholen wollte. Itsuki hatte nicht vor, Makoto wieder in den gewohnten Genuss der Überlegenheit kommen zu lassen. Zumindest nicht so schnell. Seine Zähne glitten über das weiche Fleisch von Makotos Lippen. Gerade so locker, dass sie es nicht verletzten, aber immerhin so unnachgiebig, dass Makoto nicht auf die Idee kommen würde, sein Gesicht wegzudrehen. Makoto zog seine Hände unter Itsukis hervor, der bereits damit rechnete, dass er weggestoßen würde. Doch Makoto hob die Arme, die noch etwas taub von der ungewohnten Lage waren, lediglich hoch und schlang sie etwas unbeholfen um Itsukis Rücken. Unter seinen Fingerspitzen spürte er Itsukis Schulterblätter, die sich unter dem Stoff bewegten, als er seine über Makoto gebeugte Haltung aufgab und seinen Körper in eine halb sitzende Position verlagerte. Itsukis Mund löste sich von Makotos Lippen, glitt über sein Kinn und folgte der pulsierenden Vertiefung neben seiner Kehle den Hals hinab. Sein warmer Atem trocknete prickelnd die glänzende Spur, die seine Zungenspitze auf ihrem Weg auf Makotos bleicher Haut hinterließ, während seine Hand die Knopfleiste an Makotos Hemd ertastete. Was wollte Itsuki da? Da war doch nichts, dachte Makoto bitter. Da war nur dieses bedauerliche Herz, das unter dem falschen Himmel schlug und dessen Nachhall von Wänden zurückgeworfen wurde, die ihnen Wiesen und Wälder vorgaukelten und sie dennoch erbarmungslos einsperrten. Makotos kalte Finger verschlangen sich mit Itsukis wärmeren, die sich gerade anschickten, die obersten Knöpfe des Hemdes zu öffnen, und Itsuki küsste einen der zitternden Finger nach dem anderen, bis sich ihr kühler Griff wieder soweit lockerte, dass er ihnen seine Hand entziehen konnte. Er hob den Kopf und begegnete Makotos verunsicherten Blicken. Die Augen, deren blaue Iriden fast vollständig von den schwarzen Pupillen verdrängt worden waren, hatten – das wusste Itsuki, auch ohne dass er es gesehen hatte – jede seiner Bewegungen gespannt verfolgt. Nun sahen sie Itsuki an, als schwankten sie zwischen mindestens drei verschiedenen Empfindungen und eine davon war, aufzustehen und das Zimmer zu verlassen, ehe all das passierte, was ihm die anderen beiden zuflüsterten. Erneut küsste Itsuki die halbgeöffneten Lippen, aus denen der Atem verhalten und stockend drang als wolle er ihn unterdrücken, und dieses Mal war der Kuss sanfter. Tief atmete Makoto ein und wieder aus und versuchte, seine verspannte Brustmuskulatur zu lockern. Itsuki lag nun neben ihm, was ihm das Atmen erheblich erleichterte. Seine langen Haare fielen seitlich an Makotos Kopf hinab wie ein Vorhang, der sie beide von dem, was immer auch außen vorgehen mochte, abschirmte, was Makoto mehr als lieb war. Ihre Gesichter lagen im Halbschatten und Makoto hoffte, dass Itsuki nicht bemerken würde, wie sich seine Wangen röteten. Er spürte das verräterische Kribbeln dicht unter der Haut, die sich sonst blass über die Wangenknochen spannte und die sich nun langsam erwärmte, je weiter sich Itsukis Finger vortasteten. Er wollte Itsukis Blicke nicht mehr sehen. Vermutlich wären sie spöttisch gewesen, weil sich Makoto wie der erste Mensch anstellte, der geküsst wurde. Doch Itsuki ließ die Augen geschlossen. Er musste nicht sehen, was er im Begriff zu tun war. Makoto konnte so reglos wie ein auf den Rücken gefallener und erschöpfter Käfer daliegen, der es aufgegeben hatte, mit den Beinen nach Halt zu rudern, sein Herz, das so heftig schlug, dass Itsuki es unter seiner Hand spüren konnte, erzählte etwas anderes. Makotos Finger folgten Itsukis wie Schatten, als er einen der weißschimmernden Knöpfe nach dem anderen öffnete. Er hielt ihn nicht mehr auf, selbst dann nicht, als Itsuki an seinem Hemd zog, bis es aus dem Hosenbund rutschte. Es war kühl im Musikzimmer und Makoto erschauerte, als Itsuki die geöffneten Vorderseiten seines Hemdes zur Seite schob und seinen Oberkörper entblößte. In langsamen Serpentinen fuhr seine Hand über die nackte Haut. Seine Finger strichen sämtliche Erhöhungen und Vertiefungen darauf so sorgfältig nach, als müsse er sich jede einzelne davon genauestens einprägen. Wenn es einen Moment gegeben hatte, an dem Makoto gezweifelt hatte, jetzt war er vorbei. Er war schon vorbei gewesen, als er Itsukis Lippen das zweite Mal auf seinen eigenen gespürt hatte. Seine Hand war nun nicht mehr so kühl und er zitterte auch nicht mehr, als er Itsukis Hand in seine nahm und sie noch etwas zaghaft, aber bestimmt, zu seinem Schritt schob. Itsuki hätte lügen müssen, wenn er nicht doch von Makotos plötzlicher Aktion überrascht gewesen wäre. Makotos Hand, die seine gerade noch zu seinem Hosenbund geschoben hatte, bis er das kühle Metall des Knopfes unter seinen Fingern fühlte, legte sich nun auf Itsukis Wange und zog ihn zu einem Kuss zu sich hinunter, der das erstaunte Lächeln, das seine Mundwinkel nach oben gebogen hatte, bedeckte. Genauso erkundend wie eben noch über Makotos Brust, strichen Itsukis schlanke Finger nun über die sich deutlich unter dem Stoff abzeichnende Wölbung. Makoto konnte sich ein wohliges Seufzen nicht verbeißen als Itsukis Hand sich erst nur leicht über seinen Schritt schob und dann mit stärker werdendem Druck darüber strich. Ehe Makoto ein Wort über die Lippen brachte, hatte Itsuki den Knopf seiner Hose geöffnet und den Reißverschluss heruntergezogen. Flink schlüpfte seine Hand unter die beiden Stoffschichten und tastete begierig nach dem warmen Körper darunter, der sich ihm entgegen drängte. Makoto hatte die Augen geschlossen und genoss Itsukis liebkosende Hand. Er öffnete sie nur kurz, als er Itsukis Bewegung neben sich spürte, der unvermittelt seine Hand aus Makotos Hose zog und sich aufsetzte. Itsuki beugte sich zu dem irritiert dreinschauenden Makoto hinab, bis sich ihre Münder berührten. "Nein, bleib", flüsterte Itsuki und drückte Makoto, der ihm folgen wollte, wieder sanft zu Boden. Er ließ seine Zunge zwischen Makotos leicht geöffnete Lippen gleiten und sog sacht an dem tiefroten Fleisch. Neben Makoto glitt in dem kunstvoll gedrechselten und auf Hochglanz polierten Bein des Flügels Itsukis schwarze Lacksilhouette an dem ebenso schwarzglänzenden Makoto hinab. Seine fahrig umherwandernde Hand erwischte eine von Itsukis Haarsträhnen und ließ sie durch seine Finger gleiten. Sie fiel auf seine Brust und folgte Stück für Stück Itsukis küssenden Lippen seinen Bauch hinab, die erst an seinem Hosenbund zur Ruhe kamen, den Itsuki mit beiden Händen ergriff und Makoto vorsichtig über die Hüften hinabzog. Nur mit Mühe konnte Makoto den überraschten Laut unterdrücken, der unwillkürlich in seiner Kehle aufstieg, als Itsukis Zunge die Spitze seiner nun vom Stoff befreiten Erektion sanft umkreiste. Mit jeder folgenden Berührung schien sein Körper schier bersten zu wollen. Trunken von Itsukis Tun, seinen weichen Lippen, die sich zärtlich warm um seine Härte schlossen, fiel es ihm schwer, noch etwas anderes wahrzunehmen. Itsuki warf einen verstohlenen Blick hinauf zu Makoto, dessen Brustkorb sich immer schwerer werdend hob und wieder senkte. So gut es ging versuchte Itsuki das eigene Verlangen zu ignorieren, das die quälende Enge in seinem eigenen Schritt langsam immer unerträglicher werden ließ. Er drückte seinen Unterleib gegen Makotos Bein und hoffte, wenigstens so etwas Erleichterung von dem Begehren zu finden, das ihn wie einen Strudel erfasst hatte. Makoto stieß den Atem aus, wie ein Ertrinkender, der gerade noch die Wasseroberfläche erreichen konnte, ehe seine Lungen barsten. Schweigend saß Makoto auf der Bank und wandte dem Flügel den Rücken zu. Seine klammen Finger schlossen den letzten Knopf an seinem zerknitterten Hemd. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er den hellen Fleck, der noch immer still neben dem Flügel auf dem Boden lag. Itsuki hatte die Hände unter seinem Kopf verschränkt. Er war hier einfach liegengeblieben, auch nachdem Makoto aufgestanden war und damit begonnen hatte, seine Kleider zu richten. Kein einziges Wort war zwischen ihnen gefallen. Im ersten Moment hatte Makoto ausgesehen wie ein geschlagener Hund, als Itsuki wieder zu ihm hinauf gerutscht war und sich neben ihn gelegt hatte. Wie hypnotisiert hatte er an Itsuki vorbei zur Decke hinauf gesehen. Er war sämtlichen Versuchen Itsukis, ihn zum Sprechen oder wenigstens einer anderen winzigen Regung zu bewegen, ausgewichen, als fürchtete er sich vor etwas. Dabei hatte Itsuki ihm doch überhaupt keinen Grund gegeben, sich so zu fühlen. Ihn selbst hatte es unglaubliche Mühe gekostet, seinen eigenen Körper wieder so weit zu beruhigen und unter Kontrolle zu bringen, dass er sich alleine auf Makoto hatte konzentrieren können. Und das hatte eben seine Zeit gedauert. Itsukis Brust erbebte stockend unter dem lautlosen Lachen, das ihn erfasste. Makoto wandte sein Gesicht Itsuki zu. Was tat er noch hier? Eigentlich wollte er aufstehen und gehen, statt Itsuki lachen zu sehen. Er spürte wieder das bekannte Kribbeln auf seinen Wangen und löste seine Blicke beschämt von Itsuki. Unwillkürlich griff er nach dem silbrig schimmernden Gegenstand, der neben dem Notenbuch lag, und hielt ihn einen Moment reglos in der Hand. Itsuki sah auf, als Makotos Schatten auf ihn fiel. Er lächelte ihm zu, doch Makoto hielt seine Blicke vehement Richtung Teppich gesenkt. Langsam ging er neben Itsuki in die Hocke. Seine geschlossene Hand reckte sich ihm entgegen und als sich seine Finger streckten hielt er in der Handfläche Itsukis Brille. "Danke." Itsuki nahm seine Brille. Makotos Hand hatte das sonst kühle Metall ungewohnt erwärmt. Er bog die beiden Bügel nach außen, setzte sich die Brille auf die Nase und blinzelte scheinbar überrascht ein paar Mal mit den Lidern. "Jetzt weiß ich, was gefehlt hat", versuchte er zu scherzen, doch Makoto wich weiter seinen Blicken aus und reagierte nicht. Er war wieder aufgestanden und hatte Itsuki den Rücken zugewandt. Vorsichtig, als könne er jemanden in dem riesigen Gemäuer aufwecken, ging er zur Tür und verließ den Raum. Mit einem leisen metallischen Schnappen fiel die Tür hinter Makoto ins Schloss und Itsuki blieb alleine im Musikzimmer zurück. Der Nebel, der sich bis eben noch gegen die Fenster gedrückt hatte, hatte sich etwas aufgelöst, so dass nun trübe Sonnenstrahlen durch das Glas fielen. Die Fensterkreuze, die sie auf den Boden malten, krochen schleppend langsam auf Itsuki zu, dessen Hände wieder unter seinem Hinterkopf ruhten. Was hatte er Makoto nur getan? Itsuki seufzte leise. Seine Blicke wanderten an den Wänden bis zur stuckverzierten Decke hinauf und hielten dort inne. Die Decke. Es war nicht so, dass er sie das erste Mal sah, aber es war das erste Mal, dass er sie so wahrnahm und das ging wohl nur aus dieser Position. Makoto hatte das gewusst. Deshalb war er liegengeblieben. Und deshalb war er Itsuki ausgewichen, als er sich neben ihm niedergelassen hatte, um Makoto nicht das Gefühl zu geben, dass das Geschehene willkürlich passiert war, weil es das natürlich nicht war. Aber Itsuki hatte sich geirrt; Makoto hatte sich nicht so gefühlt. Er hatte es nur anders gesehen. Er hatte den blauen Himmel vor sich gehabt, den ein mittlerweile vergessener Künstler an die Decke des Musikzimmers gemalt hatte, während Itsuki nur den nach Staub riechenden Teppich mit dem verwaschenen Muster, das die Blumen, die einmal prächtig gewesen sein mussten, darauf jetzt verdorrt wirken ließ, wahrgenommen hatte. Makotos Augen dagegen waren dem Himmel zugewandt gewesen, der sich über sie spannte. Seit mindestens einem Jahrhundert, schätzte Itsuki. Und er war blau wie er nur im Frühling oder an einem klaren, sonnigen Herbsttag war. Frisch und satt, mit dicken Wolken, die wie weiße Barken über ein kristallblaues Meer glitten. Eine Illusion nur, die ihnen vorspielte, was in Wirklichkeit in seiner Schönheit kaum zu erfassen war. Nur eine Illusion, eine aufgemalte Freiheit, aber erträglicher als der abgewetzte Teppich. "Ja, jetzt weiß ich, was gefehlt hat", murmelte Itsuki vor sich. Und dieses Mal klang es nicht wie ein Scherz.           Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)