Empfindlichkeit? Albernheit? Ehrlichkeit? von yamina-chan ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Gefühle sind etwas seltsames. Eben noch laufe ich gut gelaunt durch die Küche, überlege mir lachend und voller Elan was ich mir zum Frühstück mache und keine zwei Minuten später sitze ich heulend auf meinem Bett. Nicht so wie die Filmstars im Kino, denen stillschweigend eine einzige Träne über das Gesicht läuft während die Hintergrundmusik ihr möglichstes tut um den Zuschauer dazu zu bringen ebenfalls ein paar Tränen zu vergießen. Allerdings auch nicht laut schluchzend wie bei absoluter Verzweiflung. Nein, es ist mehr eine Mischung aus beidem. Tränen sammeln sich in meinen Augen und immer mal wieder tropft eine nach unten. Meine Nase macht aus Solidarität gleich mit und mein Hals fühlt sich von den vielen kleinen Lauten des Jammers die kontinuierlich aus mir heraus brechen schon ganz ausgetrocknet an. Der Grund für diesen plötzlichen Umschwung meiner Gefühlslage ist nicht etwa die Nachricht das ein geliebter Verwandter gestorben ist oder die plötzliche Erkenntnis das der Partner einen betrogen hat. Oh nein. Wie schon erwähnt: das hier ist kein Film. Der Anlass für meine mittlerweile nass getropften Hosenbeine ist eine leere Pralinenschachtel in meinen Händen. Nein, dies ist auch nicht die Verzweiflung einer Schokoladensüchtigen die den unstillbaren Heißhunger auf etwas süßes verspürt. Um meine Tränen zu verstehen muss man zunächst einmal wissen das es sich bei der leeren Schachtel um keine gewöhnliche Schachtel handelt. Pappe, Plastik und das ganze gefüllt mit zwanzig Stücken Nougatschokolade. Jetzt noch ein viel zu teurer Preis für das Produkt und fertig ist die Packung Pralinen. Rein optisch gesehen unterscheidet sie sich in keiner weise von all denn anderen abertausend Schachteln aus dem Supermarkt und niemand würde vermuten das diese Eine so wichtig ist. Ist sie aber. Mir zumindest. 'Warum?' wird sich jetzt der eine oder andere Leser fragen der sich auch beim lesen einer Geschichte darum bemüht mitzudenken und vom Autor versteckte Rätsel zu lösen ehe dieser die Antworten gibt. An all jene: eure Zeit ist um, hier ist des Rätsels Lösung: Diese Schachtel war ein Abschiedsgeschenk. Wer sich damit begnügt ein Rätsel gelöst zu haben, der kann nun ruhigen Gewissens mit dem Lesen aufhören und sich etwas anderem zuwenden. Wer allerdings neugierig ist, der wird sich nun weiter fragen 'Abschiedsgeschenk von wem? Und warum? Und wo besteht jetzt der Zusammenhang zu dem Anfang des Textes?' Geduld. Darauf komme ich jetzt zu sprechen. Die Pralinenschachtel war ein Abschiedsgeschenk von meinen Kollegen an mich. Wir waren nur ein kleines Team, sechs Leute insgesamt und von vornherein war uns allen klar das ich früher oder später würde gehen müssen. Mein Vertrag war befristet und es war ein offenes Geheimnis das diese Frist nicht verlängert werden würde. Die Zeit dort war oft sehr stressig, aber noch öfter hatten wir viel Spaß bei der Arbeit. Auch die Menschen mit denen wir täglich zu tun hatten waren mir ans Herz gewachsen. Als die Zeit des Abschiedes gekommen war erhielt ein Gruppenfoto zur Erinnerung und ein Schachtel mit Pralinen als Dankeschön. Lebewohl zu sagen ist nie leicht und so war es auch in diesem Fall. Das Foto erhielt einen Ehrenplatz und die Pralinen wurden von mir wie edle Kostbarkeiten gehandhabt. Immer wenn ich eine aß dachte ich dabei an all die schönen Momente dich ich mit diesen wunderbaren Menschen gehabt hatte. Obwohl die Schachtel oft tagelang unberührt blieb erreichte ich irgendwann die letzte der Pralinen. Jedes mal hatte ich mich an einer Erinnerung erfreut und noch war ich nicht bereit die letzte Praline zu essen und damit endgültig von meiner alten Arbeitsstelle Abschied zu nehmen. Ich nahm mir also fest vor sie erst zu essen wenn ich eine neue Anstellung gefunden hatte. Quasi als Beginn eines neuen Abschnittes in meinem Leben. -Kitschig, ich weiß. Aber das störte mich nicht. Die neue Anstellung ließ allerdings auf sich warten. Jede ausgesandte Bewerbung blieb letzten Endes erfolglos. Das ist der Hacken an einem sehr speziell ausgerichteten Beruf: es ist nicht leicht etwas neues zu finden. Vielleicht lag es auch einfach an der schieren Anzahl von Menschen die ohne Job sind. So oder so, die Schachtel lag im Schrank und wartete auf den Tag an dem ich sie ein letztes mal hervor holen würde. Wer am Anfang aufgepasst hat wird noch wissen das eben jene Schachtel nun leer in meinen Händen liegt. Meine Schwester hat unwissentlich eben jene letzte Praline gegessen die ich zurück ließ. Ich war ebenfalls in der Küche als sie die Schachtel auf der Suche nach einem Stück Schokolade aus dem Schrank nahm und anschließend die Nougatpraline aus der Schachtel. Bemerkt habe ich es nicht. Erst als meine Schwester erwähnte das die Schachtel nun leer sei drehte ich mich um und erkannte entsetzt was für Schokolade meine Schwester gefunden hatte. Um es gleich vorweg zu nehmen: sie hat sich entschuldigt als ich sie aufgebracht informiert habe und mir ist auch klar das sie nicht absichtlich eben jenes Stück genommen hat. Das hindert mich jedoch nicht daran den Berg an Taschentüchern auf dem Boden zu vergrößern indem ich nun schon die zweite Packung öffne und den Inhalt meiner noch immer tropfenden Nase in dem ersten Taschentuch entleere das mir in die Finger kommt. Mein Ärmel ist auch schon ziemlich feucht. 'Das ist albern!', versuche ich mir einzureden. 'Ich bin 23 und sitze hier und heule wegen irgendeinem Stück Schokolade!' 'Mir egal!', antworte ich mir sofort selbst, die Tränen dieses mal mit dem anderen Ärmel abwischend. 'Mir war das Stück wichtig! Das kann auch kein anderes ersetzen!' Das stimmt. Kennt ihr noch den Teil des Deutschunterrichts in dem man den Unterschied zwischen 'Das Gleiche' und 'Das Selbe' lernt? Ein Beispiel in Kurzform: Ein Verdächtiger in einem Krimi kann durchaus das gleiche Messer haben wie der Mörder haben. Die Messer sehen absolut gleich aus, sind aber zwei verschiedene Gegenstände. Hat er jedoch das selbe Messer wie der Mörder handelt es sich um einen einzelnen Gegenstand, eben den der als Beweis dienen wird. So sehe auch ich die Dinge die mir wichtig sind. Wenn ich zum Geburtstag Geld bekomme, dann will ich auch genau dieses Geld für etwas ausgeben das ich mir wirklich wünsche. Die Vorstellung es für gewöhnliche Einkäufe zu verwenden und dann einfach den gleichen Betrag vom nächsten Monatsgehalt für etwas wünschenswertes zu verwenden gefällt mir überhaupt nicht. Ein nachgekauftes Buch das identisch zum verloren gegangenen Original ist wird jenes nie ersetzen können. Es ist einfach nicht das selbe. Und so verhält es sich auch bei der leeren Pralinenschachtel in meinen Händen. Deutlich merke ich wie viel leichter sie jetzt im Vergleich zu jenem Tag ist an dem ich sie bekam. Nichts als Verpackungsmüll ist übrig geblieben. Ich fühle mich um meinen Abschied betrogen! Was bringt mir die leere Schachtel jetzt? Nein, ich will keine neue als Entschädigung! Diese neue Schachtel hätte eine vollkommen neue Geschichte; ihre Rolle wäre die einer Entschuldigung, die Möglichkeit ein Kapitel meines Lebens abzuschließen habe ich damit nicht. Wieder muss ich ein Taschentuch hervor kramen. Irre ich mich oder werden sie immer feuchter? Warum ist eigentlich nie jemand da und nimmt einen in den Arm wenn man in seinem Zimmer sitzt und heult? Nicht jemand der alle paar Sekunden fragt wie man sich jetzt fühlt oder versucht zu trösten. Wenn ich schon heule, dann will ich den Kummer auch aus mir herauslasen und nicht einfach abgelenkt werden. Ich entscheide jetzt wie lange ich mich hier mit Salzwasser zu tropfen lassen will und wann Schluss ist. Im Leben muss man schon oft genug einiges schlucken und ertragen können. Wann habe ich eigentlich das letzte mal so geweint? Vor ein paar Jahren nach dem Tod meines Wellensittichs denke ich. 'Toll', versuche ich erneut die Tränenflut langsam einzudämmen. 'So eine blöde Praline ist doch nicht so viel wert wie ein Leben!' 'Ich heul' ja auch nicht wegen der Praline sondern wegen dem was ich damit verbinde!' kontere ich prompt. Touche. Also doch noch ein paar Tränen mehr. Aber so alleine da zu sitzen und zu heulen ist auch nicht das wahre. Die logische Seite in mir weiß das es eigentlich albern ist wie ich mich benehme, und das ich wenn ich so weiter mache auch mit den Nachwirkungen einer längeren Wien-Periode konfrontiert werde: Kopfschmerzen, Halsweh...die roten Augen sind wohl schon nicht mehr zu vermeiden. Der gefühlsbetonten Seite in mir ist das allerdings ziemlich egal und so wie die Sache aussieht ist diese Seite gerade stärker. Wieder fällt eine Träne runter und während ich mich flüchtig wundere das die Pralinenschachtel noch immer trocken ist kommt mir noch ein anderer Gedanke: Gefühle sind etwas seltsames. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)