Mirror von Hikaru_Hyuga ================================================================================ Kapitel 1: Mirror ----------------- Mirror Ciel wusste selbst nicht, warum er Elizabeth zu sich her bestellt hatte. Wieso ließ er ihr nicht ein Packet bringen, so wie er es mit den anderen Menschen machte, die ihn durch die letzten Jahre begleitet hatten? Wieso schickte er ihr nicht einfach so einen bescheuerten Lolli mit einer kleinen Karte, die ihr seinen angeblichen Tod übermitteln würde? War es, weil sie seine Verlobte war? Weil sie ein Recht darauf hatte, dass er sich ordentlich von ihr verabschiedete? Ciel lachte innerlich. Er hatte nie wie ein „Verlobter“ für sie gefühlt und gab keinen besonderen Wert auf diesen lächerlichen Status. Er hörte auf darüber nachzugrübeln, als er seinen Salon erreichte. Paula, Elizabeths Zofe hielt ihrer Herrin die Tür auf, die kaum schnell genug zu ihrem Verlobten gelangen konnte. Ciel hörte ihre hastigen Schritte, seinen Namen und sah nicht mehr, als einen rosa Schweif, als er plötzlich ihre Umarmung spürte, die so heftig war, dass er ein paar Schritte zurückwich und sich ein wenig mit ihr drehte, um ihr den Schwung zu nehmen. „Das tut weh..“, murmelte er, doch Elizabeth hatte keine Ohren dafür. Sie drückte Ciel ein bisschen von sich weg, um ihn ins Gesicht sehen zu können. Ihre Augen leuchteten wie große Smaragde, in denen sich das Licht brach und ihre Wangen waren rosig vor Freude. Es war das Bild eines kleinen Engels, das jeden das Herz hätte berühren können. Nur leider nicht Ciels, der diesen Anblick schon gewohnt war. „Ich hab dich vermisst!“, gestand sie ihm, „Ich hab dich so lange nicht gesehen!“ Bevor er etwas darauf erwidern konnte, drückte sie ihn so plötzlich von sich weg, als würde ein hässliches Ungeziefer auf seiner Schulter sitzen, dass er nicht anders konnte, als sie überrascht anzusehen. Sie sah nicht direkt angeekelt aus, aber es war offensichtlich, dass ihr missfiel, was sie sah. Für einen kurzen Moment hatte Ciel tatsächlich Angst gehabt, dass seine Verlobte spürte, dass er sich verändert hatte, dass seine Aura, sein ganzes Wesen nicht mehr die Gleichen waren. Doch seine Panik sollte sich in den nächsten Sekunden in Luft auflösen. „Was ist mit diesem Outfit?“, fragte sie und drehte dabei ihr Gesicht so weg, als würde sein Aufzug ihre Augen beleidigen, „Das ist nicht süß! Diese dunklen Farben stehen dir nicht!“ Ciel, der vor Verwunderung die Gesichtszüge entglitten waren, sah an sich runter. Auch wenn sein Geschmack nicht der seiner Verlobten auch nur annährend glich, musste er ihr Recht geben. Er trug nicht oft schwarz, eher blau oder grün. Aber egal, was tat das schon zur Sache? Mode war nichts, womit er sich ausgiebig beschäftigte und er hatte das auch in Zukunft nicht vor. Er lächelte über die niedlich kindliche Einfältigkeit seiner mittlerweile auch dreizehnjährigen Verlobten und fühlte sich in die Zeit vor einem Jahr versetzt, als Elizabeth ihn genau wie heute besuchen kam und seine Kleidung nicht niedlich genug fand. „Du hast Recht“, gab er also zu, „Soll ich sie wechseln? So wie damals..“ Elizabeths Gesicht hellte sich auf und Verwunderung spiegelte sich in ihren grünen Augen wider. „So wie damals?“, wiederholte sie ungläubig. Als wolle sie nicht glauben, was sie da eben gehört hatte, denn wenn sich ihre Vermutung nicht bestätigte, würde sie bitter enttäuscht sein… „Ciel, hast du-“ Der Junge ließ sie nicht ausreden und reichte ihr stattdessen seine Hand. „Würdet Ihr mir diesen Tanz gewähren? Lady?“ Tränen, die sich in den Augen dieser Lady gebildet hatten, liefen ihre Wangen herunter. Ciel konnte förmlich das Glück spüren, welches den Körper seiner Verlobten durchströmte. Überglücklich sagte sie: „Sehr gerne!“ und nahm seine Hand. Da Sebastian seine Abschiedsgeschenke austrug, gab es dieses Mal keine Livemusik. Stattdessen ließ er Maylene ein Grammophon mit einer passenden Platte bringen und machte sie an. Während das junge Paar tanzte, merkte Ciel zufrieden und irgendwie auch erleichtert zugleich, dass er diese Art von Bewegung immer noch verabscheute. Sein Wesen hatte sich zwar vollkommen verändert, aber seine Vorlieben wie Abneigungen nicht. Sie waren geblieben, das beruhigte ihn. Während die Beiden langsam ihre Runden drehten, schauten sie sich immerzu in den Augen. Ciel fiel auf, dass er sich in den letzten Jahren nie wirklich die Zeit genommen hatte, seine Verlobte richtig anzusehen. Für ihn war es eigentlich selbstverständlich gewesen, für jeden war es selbstverständlich, es wäre nicht selbstverständlich, wenn es nicht so wäre, aber die Antwort auf seine Frage kam mit einer Heftigkeit, mit der auch seine Gefühle gekommen sind, als sich plötzlich leuchtend rote Augen in den ihren spiegelten. Der junge Dämon versuchte den Schein nach außen hin zu wahren, lächelte immer noch und versuchte seine Dämonenseite zu unterdrücken und seine Augen wieder blau werden zu lassen. Ihm war klar, dass Elizabeth die plötzliche Veränderung auf jeden Fall bemerkt haben musste. Schließlich hatte er nicht eine Sekunde lang seinen Blick von ihr gewendet und außerdem hatte sie wie zur Bestätigung ihre Augen vor Schreck geweitet. „Ciel..“, fing sie schüchtern an und der Angesprochene erwartete eine Flut von Fragen und Kommentaren, wie „das Rot sei nicht niedlich“, doch nichts dergleichen kam. Sie schwieg. Ciel wusste, dass es so besser war. Wenn sie ihn fragte, wieso sich die Farbe seines Auges geändert hatte, wie sollte er ihr antworten? Dass das Licht plötzlich aus einen anderen Winkel gefallen war und seine Iris rot aussehen ließ? Dass sie halluziniert hatte? Dass sein Auge blutete? Es war besser, wenn sie nicht fragte. Sie ersparte ihm somit die auftretende Erklärungsnot. Doch auf der anderen Seite wollte er, dass sie fragte. Er verstand sich selbst nicht, er wusste nicht, warum er sich mehr Probleme machen wollte, als nötig war, aber er wollte, dass sie fragte, damit… ja, damit was? Was für einen Nutzen hatte er daraus? Die Antwort war einfach: keinen. Aber trotzdem hakte er mit einem einfachen „Was ist?“ nach und spürte auch keine Reue, die Frage gestellt zu haben. Nur etwas Enttäuschung machte sich in ihm breit, als sie leicht den Kopf schüttelte. Sie würde ihm also keine Probleme machen, ihre Neugier zügeln und ihm keine Fragen stellen. Dann ist ja alles prima. Oder? Sie schwiegen eine Weile, drehten sich weiterhin im Kreis und Ciel konnte seinen Gedanken nachhängen. Er schaute ihr tief in die Augen und sein Blick wurde von einem liebevollen erwidert. Irgendwo war ihm klar, dass er diese reine, bedingungslose Liebe, diese Hingabe, dieses Vertrauen nicht verdient hat, doch er wusste auch, dass diese Empfindungen nur von der Tatsache rührten, die er selbst erst vor ein paar Minuten erkannt hat: Elizabeth, nein, Lizzy hatte sich in den ganzen Jahren kein Stück verändert- jedenfalls hat sie im Gegensatz zu ihm keine Veränderung durchgemacht, die nennenswert gewesen wäre. Sie war immer noch das kleine, stets fröhlich, stets freundlich, stets aufgeweckte Mädchen mit dem bezauberndstem Lächeln, das noch so dunkle Wolken vertreiben konnte, wie sie es schon immer gewesen war. Ciel erkannte erschrocken, getroffen und wehleidig zugleich, dass dieses unschuldige Wesen, mit dem er tanzte, ihm mehr glich, als er selbst. Ironie schien an seine Gedanken zu haften; Unglauben, dass er diese wirklich für wahr hielt und Kummer über seinen Verlust. Dieses harte Wesen, das über Leichen seiner Freunde ging, nur um sein Ziel zu erreichen; das Menschen wie Schachfiguren benutzte und einen mächtigen Teufel versklavte, all das war er nicht. Er sollte keine Seele haben, nach der Dämonen gierten, sondern eine, die mit ihrem Glanz die Schatten der Hölle erleuchtete. Er, Ciel Phantomhive, sollte die Erleuchtung der Hölle darstellen, nicht weil er schmackhaft war, sondern weil er strahlte- welch‘ Ironie! Er, Ciel Phantomhive, sah dem Engel vor ihm so ähnlich, denn ihre Herzen schlugen im gleichen Takt- welch‘ Unglauben! Er, Ciel Phantomhive, wurde all dies genommen; seine eigentliche Seele, sein eigentlicher Charakter, sein eigentliches Selbst- welch‘ Kummer! Wo wäre er heute, wenn seine Ehre, sein Stolz, sein Innerstes nicht vor Jahren mit Blut besudelt worden wäre? Die Antwort konnte er sich geben- denn er sah sie. Er wäre wie sie. Ein freundlicher Junge, der seine Mitmenschen schätzte, immer versuchte den Schwachen zu helfen, obwohl er mit seinem Asthma selbst zu den Schwachen gehörte. Ciel fand den Gedanken amüsant und abstoßend zugleich. So würde er sich niemals geben! Und auch, wenn er sich selbst verloren hat- denn daran zweifelte er nun nicht mehr- gibt es keinen Grund darüber zu trauern. Was man einmal verliert, kehrt nicht zurück. Was bringt es Kummer über den Verlust zu spüren? Aber fühlte er gerade nicht genau das? Oh, wie verdammt menschlich er sich eben verhielt! „Die Musik ist grässlich.“, sagte Lizzy. Anscheinend war sie des Schweigens müde. Ciel, der kein musikalisches Ohr hatte, für den alles immer gleich klang, bemerkte die schiefen Töne nicht. Er sagte bloß: „Vielleicht ist das Grammophon kaputt.“ „Dann sollten wir es reparieren lassen.“, erwiderte sie und hielt in ihrer Bewegung inne. Seine Verlobte ließ seine Hand los und Ciel bemerkte die plötzliche Kälte an seiner warmen Hand. Wie unangenehm. Lizzy wollte gerade die Treppe hochgehen, um das anscheinend defekte Gerät abzustellen, doch der Dämon hinter ihr hielt sie fest. Sie war überrascht- wann hatte ihr Verlobte das letzte Mal von sich aus ihre Nähe gesucht? Sie wurde ruckartig herumgewirbelt, verlor für einen Moment der Panik den Boden unter den Füßen und fand sich plötzlich in den Armen Ciels wider. Überrascht, zu ungewohnt um sich entspannen zu können, hatte sie die Augen geweitet. Der herrliche Duft des Jungen drang an ihre Nase, seine Wärme durchströmte sie, doch sie wollte sich der Illusion nicht einfach hingeben. Wäre das hier wirklich Ciel, würde sie es tun und die unerwartete Umarmung genießen, doch das war er vor drei Jahren bereits nicht mehr. Widerwillig versuchte sie ihn von sich weg zu drücken, doch der Adlige hielt sie eisern fest. Lediglich so viel Freiraum, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, ließ er ihr und das genügte. Mehr wollte sie nicht. „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich, während sie ihm prüfend in die Augen schaute auf der Suche nach Ungereimtheiten. Der Gefragte antwortete nicht, sondern legte mit sanfter Gewalt ihren Kopf zurück auf seine Schulter. Er strich ihr beruhigend über den Rücken, das ihr bedeuten sollte, sich zu entspannen. Ja, Ciel gab es zu. Er liebte Lizzy. Er liebte dieses kleine, niedliche Mädchen. Er liebte sie dafür, dass sie mehr er selbst war, als er. Er wollte ihr das geben, was sie sich wünschte: die Aufmerksamkeit, das Lächeln und die Liebe des Menschen, nach dem sie sich sehnte. Doch genau dieser Mensch ist gestern gestorben und Ciel verstand, warum er Lizzy unbedingt noch einmal sehen wollte. Er wollte sein menschliches Ich bei ihr lassen, sich nicht nur von ihr verabschieden, sondern auch von sich selbst. Der neugeborene Dämon Ciel Phantomhive hatte nicht vor, sie jemals wieder aufzusuchen. Denn ihre Seele blendete ihn, sie war abstoßend. Ekelhaft. Zu hell. Das Pärchen befreite sich langsam aus seiner Starre und Lizzys Blick sagte ihm, dass sie längst vergessen hatte, dass es noch etwas anderes gab außer ihn. Fest sah er ihr in die Augen und beim Klang ihres eigenen Namens schien auch ihr Verstand wieder klarer zu werden. „Elizabeth Esel Cordelia Middleford. Mit sofortiger Wirkung werde ich hiermit unsere Verlobung auflösen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)