Vom gleichen Schlag von abgemeldet (~Eine Geschichte um God & Princess~) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Natürlich hatten Wendys Eltern ja gesagt. Sie hatten es vielleicht nicht unbedingt gern getan, doch mit gefasster Haltung und verständnisvollen Mienen, ihren Unwillen unter einer Maske der Nachsicht verbergend. Und deshalb saß Wendy jetzt neben ihm im Auto und fuhr mit ihm zu seiner Schule, um dort ein Fußballspiel zu betrachten, dass er sich inzwischen so weit weg wünschte wie den Pluto. Seine Mutter bremste gerade in der Kurve zum Parkplatz ab, als er aus dem Augenwinkel etwas höchst Unerfreuliches wahrnahm. "Wendy," begann er behutsam, "du wirst jetzt vielleicht ein paar Leute treffen, die dir ein wenig seltsam vorkommen werden, aber du musst dir überhaupt keine Sorgen machen, ok? Sag einfach gar nichts und lass mich reden, ja?" "Aber warum denn..." hörte er sie noch einwenden, doch glücklicherweise ging der Rest ihres Dialogs im Motorengeräusch unter. "Viel Spaß, ihr beiden. Und pass auf Wendy auf, damit sie sich nicht verirrt, ja, Donivan? Die Schule ist groß. Ich hole euch dann nachher hier ab." "Ja. Ja, Mama. Ist gut." Ohne richtig zuzuhören, stolperte er fast aus dem Auto, wo ihm auch schon Terence, Peter und Thomas entgegenkamen. Bei ihrem Anblick musste er sich erstmal innerlich setzen. Terence war offensichtlich zur Feier des Tages zum Friseur gegangen, ein Jammer nur, dass es allem Anschein nach ein Hundefriseur gewesen war, der es mit seinem dackelbraunen Haar nicht eben gut gemeint hatte. Peter trug ein schreiend gelbes T-Shirt der New Zealand Rangers, in dem, dem Verschmutzungsgrad nach zu urteilen, bereits seine sämtlichen älteren Brüder Fußball gespielt hatten. Und Thomas' Sweatshirt mit dem geschmackvollen Aufdruck "HOOLIGAN RULEZ!" setzte dem Ganzen die Krone auf. Wendy erschien mit erstaunter Miene in der Autotür und Peter begrüßte sie sogleich mit dem optimistischen Ausruf: "Yo Mann, das wird ein geiles Spiel heute geben! Gib mir fünf, Mann!" Etwas ilflos sah Wendy ihn an. "Ja.... also... nun... Wendy, das sind... ähm... Klassenkameraden von mir." Viel lieber hätte er gesagt: "Diese Leute? Kenn' ich nicht!" Wendy sah ihn immer noch an. "Aah ja." war alles, was sie sagte. "Und... Terence, Peter, Thomas... das ist Wendy, meine Verlobte." Augenblicklich änderte sich das Verhalten der drei Jungen. Terence fuhr sich wild durch die Haare, nicht ahnend, dass er damit alles nur noch schlimmer machte, Peter zog hastig seine Jacke über und Thomas verschränkte unauffällig die Arme vor der Brust, um die peinliche Aufschrift so gut es ging zu verdecken. Wie aus einer Kehle murmelten die drei: "Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?" - "Freut mich, dich kennenzulernen!" - "Wirst du bei dem Spiel zusehen?" Da endlich lächelte Wendy. "Danke. Ja. Sicher, das werde ich." "Oooh." - "Fein." - "Gut!" "Ihr gewinnt bestimmt," sagte Wendy, "Ihr seht aus, als könntet ihr gut Fußball spielen. Ich bin schon so gespannt auf das Spiel." "...Hm..." - "...Ja..." - "...Danke..." "Du hast nette Klassenkameraden, Donivan," meinte Wendy dann an ihn gewandt, "Warum hast du mir denn nicht eher von ihnen erzählt? Du hast wirklich Glück!" "Ja. Find ich auch. Nicht wahr?" gab er zurück und kam sich sehr ?glücklich' vor. Es war, wie er befürchtet hatte: Sie wirkte hier so fehl am Platz wie ein Osterhase unter dem Weihnachtsbaum. "Ich habe jetzt noch eine halbe Stunde mit den anderen Training," sagte er zu ihr, "Wenn du möchtest, kannst du ja in der Zwischenzeit..." Fieberhaft suchte er noch nach einem Vorschlag, da fiel Wendy ihm aufgeregt ins Wort: "...die Schule angucken?" "Ja. Ja genau. Das wollte ich sagen. Die Schule angucken. Guck dir die Schule an." Während sie strahlend abrauschte, fühlte er sich, als ob ihm ein schwerer Klotz auf den Kopf gefallen war. Der Klotz war rosa. "Hobson High School" stand klein und schüchtern auf einem wackligen Emailleschild am Eingangstor, die letzten Buchstaben von einer schwarzen Spraydose verunstaltet. Wendy war hellauf begeistert von Donivans Schule. Sie bewunderte die phantasievollen Graffiti an den Schulhauswänden. Sie bestaunte den bunt bestückten Kiosk mit den Mohrenkopfbrötchen. Sie schlich sich in die Schulbücherei und war entzückt, als sie dort einen Band von "Anne auf Green Gables" fand. Sie studierte aufmerksam den Stundenplan und konnte kaum glauben, dass es nirgendwo das Fach Handarbeit gab. Sie störte sich nicht an den Rissen im Verputz oder den Spinnweben in den Ecken. Ihr gefiel der Text eines Rocksongs, den jemand sorglos mit einem Filzstift auf die Toilettentür geschrieben hatte: "We don't need no education We dont need no thought control No dark sarcasm in the classroom Teachers leave them kids alone Hey! Teachers! Leave them kids alone! All in all it's just another brick in the wall. All in all you're just another brick in the wall." Es war die Lebendigkeit, die sie liebte, die vielen verschiedenen Menschen, die durch die Hallen, durch die Gänge und über den Schulhof gingen, liefen oder rannten, kreuz und quer, aus allen Richtungen, jeder in seinem eigenen Tempo und mit seinem eigenen speziellen Ziel. Mädchen und Jungen. Kinder und Jugendliche. Weiße und Maori. Und keiner von ihnen trug eine Uniform. Sie selbst wanderte mit erstaunten Blicken langsam und zögerlich durch diese Schule, die für die meisten hier so ganz und gar alltäglich schien. Niemand beachtete sie sonderlich. Aber aus irgendeinem Grunde fühlte sie sich gerade dadurch mehr in die in die lärmende Menge eingebunden, als sie es an ihrer eigenen Schule jemals gewesen war. Sie wusste nicht genau, wie hoch das Schulgeld war, dass ihre Eltern zahlten, aber dem Anteil an Aufmerksamkeit nach, den die einzelnen Schülerinnen erhielten, musste es sehr hoch sein. Der jährliche Veranstaltungsmarathon der St. Martha's High war enorm, doch diente er ganz und gar nicht - wie sie noch vor einem Jahr so naiv gedacht hatte - zur Unterhaltung, sondern hauptsächlich dazu, die Leistungen der Mädchen zu vergleichen und sie den Eltern zu präsentieren. Jede Aktivität - Weihnachtskonzert, Handarbeitswettbewerb, Sommerpicknick, Kunstausstellung und was es sonst noch alles gab - lief stets nach den gleichen, seit Jahrzehnten festgelegten Regeln ab, die besagten, dass jede Schülerin sich auf die eine oder andere Weise einbringen und ihre Talente zeigen musste. Ihr war das immer steif und langweilig vorgekommen und sie hatte sich oft unwohl gefühlt, doch sie hatte geglaubt, das müsse so sein. Immerhin hatte ihre Mutter ihr schon häufig erzählt, dass es auf ihrer Schule in Wellington damals nicht anders zugegangen war. Und sie kam auch immer mit ihrem Vater und war sehr stolz auf Wendy und lobte sie. Auch heute wären sie gekommen... wenn sie dagewesen wäre. Aber heute war alles anders. Heute war sie selbst diejenige, die nicht gekommen war... weil sie Angst gehabt hatte, einmal nicht gelobt zu werden. Auf einmal fragte sie sich, ob sie ihre Eltern nicht dadurch, dass sie überhaupt nicht hingegangen war, mehr enttäuscht hatte, als sie es durch ein misslungenes Essen gekonnt hätte. Der Gedanke behagte ihr nicht. Er machte sie bedrückt. Sie wollte nicht bedrückt sein. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken, so dass ihr brauner Zopf umher flog, und sah sich in der Halle um, mit der verzweifelten Hoffnung, die Atmosphäre von Alice im Wunderland erneut her zaubern zu können. Es wirkte und sie begann, sich wieder auf das Spiel zu freuen. Obwohl sie noch nie ein Fußballspiel gesehen hatte, konnte sie sich die aufgeheizte Stimmung vorstellen, in der es stattfand. Sicherlich würde Donivan gut spielen, schließlich war er sportlich. Sie würde dabei sitzen und ihn anfeuern. Kaum dass er sich umgezogen hatte, stürzte Donivan aus der Umkleidekabine. Unterwegs traf er Snake, er rannte fast in ihn hinein. Anstatt einer Begrüßung keuchte er nur: "Wo ist Sheldon? Mike Sheldon? Aus der 6 F?" "Wer? Wie? Was?" fragte Snake, machte große Augen und war die Ruhe selbst. "Hallo, Donivan! Ich bin schon so gespannt auf euer Spiel. Wir sind alle ganz aufgeregt, und Nicky hat mit Tammy gewettet, und sie haben sich verkracht, obwohl sie das sonst nie tun, weil sie Zwillinge sind, weißt du, und sie meint ihr gewinnt und er meint die andern. Und ich hab ihr zugestimmt, weil ich glaub auch, dass ihr gewinnt und ich hab eine Fahne gemacht, schau mal..." Treuherzig enthüllte er eine Rolle Kreppapier: "Support Donivan Charteris / 2 D!" Er nahm all seine innere Ruhe zusammen, sah Snake fest in die glückseligen Äuglein und wiederholte langsam und deutlich: "Michael Sheldon. Wo ist er? Es ist sehr, sehr wichtig, verstehst du?" "Mike Sheldon? Den hab ich gerade gesehen! Ist das nicht der..." rief Snake entgeistert und wollte schon in Bewunderungsstürme ausbrechen, was er jedoch kurzerhand unterband, indem er ihn am Kragen packte und hinter sich her schleppte. "Ganz recht, der..." erwiderte er im Rennen, "...und weißt du was? Das Spiel fängt in einer Viertelstunde an! Also, wo hast du ihn gesehen?" "Aber Donivan, renn doch nicht so! Warum bist du denn so nervös?" wollte Snake wissen, dem langsam, langsam dämmerte, dass da etwas nicht stimmen konnte, während er mitgeschleift wurde. Er blieb so plötzlich stehen, dass Snake gegen ihn fiel, ließ ihn los und sagte: "Ganz einfach, Snake. Wendy ist hier. Wendy Malika Adlington. Meine Verlobte. Du weißt schon, ich hab dir von ihr erzählt." "Deine Verlobte? Hier?" fragte Snake verblüfft, wobei er sich den Hals rieb, "Das ist ja toll!" "Das ist nicht toll, Snake." meinte er nur und verpasste ihm eine Kopfnuss. "Zeig mir, wo Sheldon ist." Wendy suchte Donivan. Sie hatte sich verirrt, und sie hatte keine Ahnung, wo die Sporthalle war. Aber eben hatte ein Lautsprecher - das gab es bei ihnen auch nicht - verkündet, dass in 15 Minuten das Spiel anfangen würde und da sie gern einen guten Platz haben wollte, musste sie sich beeilen. Außerdem wollte sie Donivan vorher noch Glück wünschen - er war so nervös gewesen, der Arme. Sie wandte sich um, aber das Gewimmel hinter ihr war genauso undurchdringlich wie vor ihr. Sie schien die Einzige zu sein, die die Turnhalle suchte. Mit fahrigem Blick sah sie umher und musste sich die Augen reiben und die Ohren zuhalten. Diese vielen Sinneseindrücke und der Lärm waren so ermüdend. Die Beine taten ihr weh und im Gedränge wurde ihr heiß. Auf einmal sah sie von links eine Gruppe Schüler auf sie zusteuern. Es waren zwei Jungen und zwei Mädchen in etwa ihrem Alter. Der eine Junge war dick und trug ein gelbes T-Shirt, unter dem sein Bauch aussah wie eine Honigmelone. Sein schwarzes Haar und seine dunklen Augen wiesen auf eine südländische Herkunft hin. Das Mädchen rechts von ihm war braun gebrannt und hatte eine feuerrote Mähne, die ein Kamm allein bestimmt nicht bändigen konnte. Sie trug eine kurze Hose und sah sehr burschikos aus. Der Junge in der Mitte war braunhaarig und seine blauen Augen hatten einen aufrichtigen Blick. Er sieht nett aus, schoss es ihr durch den Kopf. Ihn frage ich. Neben ihm lief noch ein Mädchen her, das ebenfalls dunkelbraunes Haar hatte. Es war gelockt und lang wie ihres, mit dem Unterschied, dass sie es offen trug und nicht in einem festen Zopf. Sie hatte die Hand auf die Schulter des mittleren Jungen gelegt, lächelte und sagte irgend etwas zu ihm. Ob sie seine Verlobte war? Aber nein, dafür sah sie ihm zu ähnlich. Sie war selbst erstaunt, wie piepsig und schüchtern sich ihre Stimme anhörte, als sie auf die vier zuging und höflich fragte: "Entschuldigung, aber könntet ihr mir bitte sagen, wo ich die Sporthalle finde?" "Klar. Immer der Nase nach!" gab der Junge mit den braunen Haaren gutgelaunt Auskunft. Er grinste sie an. "Ich kicke heute auch mit. Drück mir die Daumen, ja?" Sie nickte perplex, vergaß vollkommen, sich zu bedanken und starrte ihm immer noch hinterher, als er mit seinen Freunden längst um die Ecke verschwunden war. Irgendwie erinnerte er sie an Gilbert. Aber dann fiel ihr ein, dass sie Donivan suchte und hastig machte sie sich auf den Weg zur Turnhalle. Da ist er ja, dachte Wendy erleichtert. Dort drüben stand Donivan. Er schien mit einem älteren und einem jüngeren Jungen in ein Gespräch vertieft zu sein. Ob ich da so einfach rein platzen darf? fragte sie sich besorgt. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, denn inzwischen hatte der kleinste Junge sie entdeckt. "Hallo, Wendy," rief er und winkte ihr fröhlich zu. Während sie noch grübelte, woher um alles in der Welt sie ihn kennen sollte, drehte auch Donivan sich um. "Oh... Wendy..." murmelte er. Er machte ein seltsames Gesicht, wirkte hektisch und gereizt. Seine rechte Hand steckte in der Tasche seiner Sporthose, als verstecke er etwas darin. Bildete sie sich das ein, oder war ihre Anwesenheit ihm auf einmal unbehaglich? Der große Junge grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst, als Donivan sich ihm zuwandte und ihm etwas gab, was er in der Tasche gehabt hatte. Ohne etwas zu sagen, trat er dann zurück, hakte sie unter und lief mit ihr in Richtung Sporttrakt. Der kleinere Junge folgte ihnen wie ein Hund. "Danke!" rief der Ältere ihnen noch hinterher, aber Donivan überhörte ihn. Erst als sie an der Sporthalle angekommen waren, schien Donivan sich wieder einigermaßen zu fangen. "Wendy," begann er, als sei nichts gewesen, "das ist Will Conly, ein Freund von mir." Der jüngere Schüler schüttelte ihr freundlich ihre Hand. "Und wer war der andere eben?" fragte sie Donivan neugierig. "Das war... auch ein Freund von mir." hörte sie ihn sagen. Danach folgte eine von diesen wohlbekannten Pausen, wie ihre Mutter sie immer machte, wenn sie mit Gästen sprach, und dann meinte er: "... ... Ich muss jetzt los. Das Spiel fängt an. Setz dich zu Snake, er zeigt dir alles." Er rannte fast davon. (c) by Amber 2003 Textauszug aus "Another Brick In The Wall" (c) Pink Floyd Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)