Kaltherzig von P-Chi ================================================================================ Kapitel 18: the last sacrifice ------------------------------ „Hazel.“ Die brünette Frau mit der pfirsichfarbenen Haut blieb stehen. Ich beobachtete, wie sie ihr Rückgrat anspannte und sich ganz langsam zu mir umdrehte, die braunen Augen dabei vor Schreck weit aufgerissen. Es schien, als ob sie in den ersten Sekunden nicht wusste, wie sie reagieren sollte, doch dann zuckte sie plötzlich zusammen und stieß einen ersticken Schrei aus. „Oh, Becca! Ich bin so froh, dich zu sehen!“ Ich hob die Augenbrauen in die Höhe, abwartend wie sie auf mein Erscheinen reagierte. „Tatsächlich?“ „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen!“ Ihr erstarrter Gesichtsausdruck und das gestresste Lächeln strafte ihre Worte lügen. Sie freute sich kein bisschen, mir wieder gegenüber zu stehen. „Nachdem sie dich weggebracht hatten, machte ich mir solche Vorwürfe!“ „Weshalb?“, fragte ich ruhig, forschend. Sie blinzelte perplex. „Was?“ „Weshalb die Vorwürfe, wenn ich es doch angeblich gewesen bin, die Tristan und die anderen Krieger in den Tod geschickt hat? Warum seid Ihr nicht wütend, so wie all die anderen?“ Ihre aufgesetzte Miene zerbröckelte langsam, als sie einen unsicheren Schritt nach hinten machte. „Ich ... ich weiß nicht, was du meinst. Du bist meine Freundin, ich könnte dich niemals hassen!“ Ich atmete zittrig aus und versuchte, meine Wut und meine Trauer in Zaum zu halten. „Ich habe keine Freunde.“ Hazels Gesicht wurde aschfahl. „Warum hast du sie betrogen, Hazel? Logan und die Krieger haben dir vertraut!“ In dieser Sekunde, in der sie verstand, dass ich die Wahrheit kannte und keine Anstalten machte Gnade walten zu lassen, machte sie eine hundertachtzig Gradwendung und wollte vor mir fliehen, doch ich war schneller, packte sie an der Kehle und pinnte sie gegen die Höhlenwand. Sie wehrte sich mit erstaunlicher Kraft und rammte mir ihr Knie in den Magen, was mir die Galle hochtrieb, doch ich weigerte mich beharrlich loszulassen und drückte nur noch fester zu. Meine Nägel bohrten sich in ihre Haut, bis ich die ersten Bluttropfen roch. „N-nicht!“, röchelte Hazel flehend. Sie hatte Tränen in den Augen. „Sie hat ... versprochen meine Familie zu ... verschonen, wenn ich ... ihr die Krieger ausliefere.“ „Leonore ist eine Lügnerin“, fauchte ich. „Ihr habt Euch von ihr täuschen lassen.“ Ein lebloses, geradezu wahnsinniges Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr klar wurde, dass ihr Schicksal besiegelt war. „Loagn wird dir niemals vergeben.“ „Ich weiß.“ Mit einem gewaltigen Kraftaufwand drückte ich so fest zu, dass ihr Genick zwischen meinen Fingern zerbrach wie ein Ast. Auch das Geräusch war ein ähnliches, als ihr Kopf abartig nach vorne kippte und ich ihren leblosen Körper zu Boden fallen ließ. Ein heftiges Luftschnappen und die Worte „Was zum Teufel?!“ ließen mich herum wirbeln und zwei meiner ehemaligen Schüler sehen, die wohl gerade um eine Ecke gebogen waren und nun wie angewurzelt vor mir standen; einen Gesichtsausdruck puren Entsetzens aufgesetzt. Luke war so bleich geworden, dass seine Sommersprossen überdeutlich hervortraten. Seine rötlichen Augenbrauen waren so fest zusammen gezogen, dass sich tiefe Furchen auf seiner Stirn bildeten. Neben ihm stand Rin, deren blinde Augen dieses Mal von einem schneeweißen Verband verdeckt waren und die sich die Hände vor den Mund geschlagen hatte. Sie hatte ohne Zweifel gehört, wie ich Hazels letzten Atemzug gestohlen hatte. „Du verfluchter Blutsauger!“, brüllte Luke, drauf und dran sich in einen Werwolf zu verwandeln, doch diese Gelegenheit konnte ich ihm unmöglich geben. Als ich mich rasend schnell auf ihn zubewegte, rechnete ich nicht damit, dass Rin mich abwehren würde, als ich versuchte nach ihm zu fassen. „Luke, lauf!“, wies sie ihn mit schriller Stimme an, doch sie konnte mich kein zweites Mal davon abhalten, den jungen Wolf zu packen und von hinten seinen muskulösen Arm zu umschlingen. Es war wie immer ein Vorteil, eine der stärksten Vampire des Clans zu sein, als ich meinen Griff verstärkte und ihm die Luftzufuhr abschnürte, bis seine Körperspannung erschlaffte und ich ihn ohne großes Bedenken loslassen konnte. „Was hast du mit Luke gemacht?!“, zischte Rin, deren Kopf in meine Richtung gedreht war; witternd. Ihr ausgeprägter Geruchssinn und Gehör ermöglichten es ihr trotz Blindheit, meinen Standpunkt ausfindig zu machen. „Er ist nur bewusstlos, keine Sorge.“ „Warum tust du uns das an?“, fragte sie mit bebender Stimme, als könnte sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Hast du nicht genug angerichtet?!“ Ich hatte mich so nahe an sie herangepirscht, bis ich sie endlich an ihrem Handgelenk packen konnte, welches ich ihr prompt auf den Rücken drehte. Sie jaulte vor Schmerz auf, doch das war vermutlich das einzige, was sie davon abhielt, nach mir zu schlagen. Mit der anderen Hand hielt ich ihren Mund zu, als mir eine Idee kam, wie ich diese Situation zu meinem Vorteil nutzen konnte. „Wenn du mir versprichst, keinen Mucks von dir zu geben, verschone ich dich und Luke.“ Nicht, dass ich vorhatte die beiden zu töten, doch ich wollte sicher stellen, dass sie mir nicht in den Rücken fiel. Langsam nickte sie, woraufhin ich behutsam meine Hand weg nahm und sie mit mir zog. „Ich lasse dich gehen, sobald du etwas für mich erledigt hast.“ „Ich habe keine Grund irgendetwas für dich zu tun, Verräterin! Es ist alles nur deine Schuld!“ Sie klang überzeugt und unendlich wütend, doch ihr Zittern sprach eine andere Sprache. Sie hatte Angst vor mir. Nun, ich konnte es ihr nicht verübeln, nach allem, was man mir nachsagte. Ich erwiderte: „Alle Herzen werden gebrochen, Rin. Ich bin davon nicht ausgenommen.“ Daraufhin wusste keiner mehr von uns etwas darauf zu sagen und wir bewegten uns stillschweigend fort. Ich achtete darauf Wege einzuschlagen, die am seltensten von dem Stamm benutzt wurden und vergeudete dabei mehr Zeit, als mir eigentlich lieb war, doch wenigstens kamen wir unbehelligt im Keller an. Meine beiden Begleiter warteten bereits auf mich. Oleen hielt das Schwert in ihrer Hand, wie einen kostbaren Schatz. Der Geruch von Tristans Blut, das noch immer an der Klinge klebte, ließ mich kurz das Gesicht verziehen. „Warum ist sie hier?“, fragte Wayne missbilligend und deutete auf die junge Wölfin. „Folgt mir und ihr werdet es erfahren“, murmelte ich nur und beeilte mich. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis irgendjemand Hazel und Luke entdeckte und wenn es soweit war, würde die Jagd nach uns beginnen. Wir erreichten eine große Steinwand, deren purer Anblick mir bereits Gänsehaut verursachte, weil ich genau wusste, was sich dahinter befand. „Was nun, Mylady?“ Oleen stellte sich warnend hinter Rin, als ich von ihr abließ und an die Wand heran trat. Aufgrund der Feuchtigkeit die hier unten mit eiserner Hand herrschte, hatte sich raues Moos gebildet, über den ich erprobend mit der Handfläche strich, ehe ich begann, es an einer bestimmten Stelle wegzureißen, bis ich das zum Vorschein brachte, nachdem ich gesucht hatte. „Ah!“, hauchte Oleen begreifend, als sie das Wappen unter all dem Schmutz erkannte. „Es ist ein Tor!“ Ich nickte zustimmend. „In der Tat. Der Vampiradel musste diesen Weg bereits vor der Existenz der Werwölfe erbaut haben. Andernfalls könnte ich mir nicht erklären, wie unser Familienwappen hierher kommt und noch dazu unentdeckt vor dem Wolfsstamm blieb.“ „Wohin führt dieses Tor?“, fragte Wayne. Ich schnipste mit den Fingern und deutete auf Rin, die sofort zusammen zuckte. „Hierfür benötigen wir diese junge Dame.“ „Wofür?“, fragte Rin und machte einen Schritt zurück, stolperte jedoch einige Schritte auf uns zu, als sie gegen Oleen stieß und diese sie nach vorne schubste. Ich presste beide Handflächen gegen das Tor und versuchte sicheren Halt in dem sandigen Boden zu finden, als ich mich mit aller Macht dagegen stemmte und das uralte Tor seit Jahrhunderten zum ersten Mal wieder öffnete. Es dröhnte uns laut in den Ohren, als sich die beiden Torflügel langsam öffneten und uns einen Anblick pechschwarzer Finsternis präsentierte. Ein eiskalter Luftzug wehte uns entgegen, klingend wie der Schrei eines Kindes. „Der geheime Eingang zum Kerker des Schlosses“, stellte ich vor, alles andere als Begeistert. „Kein Wunder, dass dieser Zugang vergessen wurde“, bemerkte Wayne. Dem stoischen Kopfgeldjäger, der üblicherweise die Ruhe selbst war, lief ein Schauer über den Rücken. Wer konnte es ihm verdenken? Ich selbst wollte sofort davon laufen, wenn ich nicht vollkommen überzeugt davon gewesen wäre, dass Leonore mir erst Frieden schenken würde, bis sie bekam was sie wollte – meinen Kopf auf einem Serviertablett. Also warum der Königin Umstände machen, wenn ich ihr doch genauso gut einen Besuch abstatten konnte? Ich würde diesen Schwesternkrieg endgültig ein Ende bereiten. Etwas, das ich schon längst hätte tun sollen. Ich hatte also keine andere Wahl, als meine Angst herunter zu schlucken und mich diesem albtraumhaften Kerker zu stellen. Jeder Vampir kannte die grausigen Legenden, die sich darum rankten und wahrscheinlich ohnehin die Meisten davon abhielt etwas anzustellen, wofür sie in diesem schwarzen Loch landen könnten. Ich nahm Oleen das Schwert ab und forderte Rin auf, als Erste durch das Tor zu treten. Sie hatte doch behauptet, dass sie Dinge sehen konnte, die anderen verborgen blieb und in dieser alles verschlingenden Schwärze, die in dem Durchgang herrschte, konnte dies nur von Vorteil sein. „Geh voran, dein fehlendes Augenlicht wird dir den Weg weisen.“ „Ihr wollt mich direkt in die Arme der Vampir treiben.“ Es klang mehr wie eine bittere Feststellung, als eine Frage. Ich schüttelte den Kopf, besann mich aber, dass sie es nicht sehen konnte. „Sobald du uns auf die andere Seite gebracht hast, bist du frei zu gehen.“ „Als ob ich eine andere Wahl hätte.“ Sie schnaubte abfällig und ging durch das Tor, gefolgt von den beiden anderen, schweigenden Vampiren. Ich beobachtete mit wachsendem Unbehagen, wie die drei in eine Dunkelheit eintauchten, die man nur mit einem Grab vergleichen konnte. Ich fuhr zusammen, als Logans zorniges Brüllen durch die gesamte Höhle hallte und mich für einen Augenblick in Angst und Schrecken versetzte, bevor ich mich zur Eile trieb und die beiden Türflügel hinter mir verschloss. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich konnte meine eigene Hand vor Augen nicht erkennen, als ich die ersten zaghaften Schritte ins Innere dieses gewaltigen Schlundes machte. Meine Füße versanken knöcheltief in einer Flüssigkeit, von der ich nicht sagen konnte, ob es sich nur um Wasser, oder bereits um Blut handelte, aber der Wind, von dem ich nicht wusste, woher er kommen mochte, wehte mir den Gestank von verwestem Fleisch ins Gesicht. Mein Geruchssinn litt unter diesem penetranten Geruch, als ich es schaffte, mich wieder der Gruppe anzuschließen. Rin bewegte sich zielstrebig und unbeirrt fort. Es wirkte, als könne sie sich besser hier zurecht finden, als in der Höhle selbst, was nicht zu meiner Beruhigung beitrug. Auch Oleen schien es unangenehm zu sein, sich auf eine Werwölfin verlassen zu müssen, doch sie enthielt sich jegliche Bemerkung und wartete lediglich auf neue Anweisungen meinerseits. Der einzige Grund, weshalb Wayne uns ohne sich zu beschweren begleitete, war ohne Zweifel Rosemary. Nichts anderes könnte ihn je dazu bewegen, sich dieser Gefahr auszusetzen, die eigentlich nur mich betraf. Mein wichtigstes Anliegen war Tristan zu Rächen. Er hatte solch einen niederträchtigen Tod nicht verdient und Leonore würde dafür büßen, ihn mir weggenommen zu haben, bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte, mich für all die schrecklichen Dinge, die ich verbrochen hatte, zu entschuldigen. Wenn er dies ausnutzte, um an seine Geliebte zu kommen, sollte es mir nur Recht sein. Ich wagte es kaum, diesen widerwärtigen Geruch einzuatmen; schmeckte ihn sogar beinahe auf der Zunge, als wir uns immer weiter in den Keller vorwagten. Es war wie ein Labyrinth, speziell dafür geschaffen die Sinne von Vampiren in die Irre zu führen. Alles roch nach Tod, dessen Präsenz mir schwer auf den Schultern lastete. Das Platschen von Wasser, das sich wie ein Echo in den verschiedensten Winkel des Kellers wiederschallte, gaukelte mir ständig vor, verfolgt zu werden. „Wir sind gleich da“, unterrichtete mich Rin und ich wusste nicht, worauf sie diese Behauptung stützte, bis ich die immer lauter werdenden Schreie der gequälten Seelen hörte, die in den Kerkern ihr elendiges Dasein fristeten. Dadurch schafften wir es uns einigermaßen zu orientieren und unbeschadet den Teil dieses unterirdischen Gewirrs zu erreichen, der mit Fackeln und Kerzen beleuchtet wurde. Wachs tropfe die Wände runter und vertrieb den modernden Geruch allmählich, trug jedoch nicht dazu bei, die düstere Atmosphäre weniger gespenstisch zu machen. An einer Wegkreuzung, drehte ich mich zu meiner Gefolgschaft um. „Die Käfige mit den Gefangenen sind in diese Richtung.“ Ich deutete etwas abseits, doch die leidenden Schreie sollten bereits Anhaltspunkt genug für sie sein. „Rin, du kannst wieder gehen.“ „Ich werde nicht gehen, bevor ich sichergestellt habe, dass die Krieger befreit wurden“, erwiderte sie stur. „Mach was du willst. Wayne, Oleen, zeigt ihr den Weg.“ Wayne, der sich dies nicht zweimal sagen lassen wollte, nickte und ging voraus. Kein Wort des Abschieds oder des Danks. Was hatte ich denn erwartet? „Mylady, sollte ich nicht mit Euch kommen?“, fragte Oleen. „Nein. Sobald ihr die Gefangenen befreit habt, bestehe ich darauf, dass du dich verdeckt hältst, bis die Sonne untergegangen ist und dann verschwindest.“ Die blonde Messerwerferin wollte widersprechen, doch ein Knurren meinerseits genügte, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie nickte und trat einen verbeugenden Schritt zurück. Auffordernd berührte sie Rin am Arm. Die jungenhafte Wölfin neigte den Kopf zur Seite und auch wenn ich überzeugt war, dass sie mich nicht sehen konnte, fühlte ich ihren bohrenden Blick auf meinem Gesicht. „Warum hast du Hazel getötet?“ Ah, sie hatte also die Stimme der Verräterin erkannt. Sie war wirklich gut. Ob sie wohl auch unser Gespräch verfolgt hatte? „Weil ich ein Monster bin“, antwortete ich mit gleichgültigem Gesichtsausdruck, aber mit heftigem Schmerz in der Brust. „Und Töten liegt in der Natur eines Monsters.“ Ohne eine Reaktion ihrerseits abzuwarten, wandte ich mich ab und begab mich auf meinen ganz persönlichen Weg der Verdammnis, der mich wieder zu dem verengten Gang und schließlich zu der steilen Treppe in die Freiheit führte. Oder besser gesagt: Ich geriet von einem Unheil in das Nächste. Es war beängstigend still im Schloss. Ob es sich um Glück handelte, dass ich mich nicht anschleichen musste, würde ich erst noch entscheiden müssen, aber so wie es momentan aussah, würde ich nur in Leonores Nähe kommen, wenn ich den direkten Pfad wählte. Ich bewegte mich wie selbstverständlich durch die großen Marmorgänge, deren deckenhohe Fenster mit einem dicken, schwarzen Vorhang verdeckt waren. Die Porträts, die zuvor auf der rechten Seite gehängt hatten, waren abgenommen worden und auch die Steinbüsten und Kunstwerke, die hier üblicherweise herum lagen, waren nicht zu entdecken. Ich vermutete, dass man sie fort gebracht hatte, bevor die Werwölfe sie angegriffen hatten. Kampfbereit kam ich vor der verschlossenen Türe, die in das Zimmer der Wachen führte, zum Stehen. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meine Kraft zu sammeln und schlug anschließend die Tür mit einem kräftigen Tritt auf. Die Leibwächter der Königin, die tagsüber gezwungen waren wach zu bleiben, um ihre Herrin zu schützen, erblickten mich innerhalb eines kurzen Augenblicks und zogen bereits ihre Waffen, noch bevor ich einen Fuß über die Schwelle setzen konnte. Die Mordlust war ihnen ins Gesicht geschrieben, als sie brüllend auf mich zu stürmten, um mich gnadenlos zu vernichten. Die Wächter waren außergewöhnlich gut und besonders streng im Kampf ausgebildet worden, um in der Mehrheit eventuell gegen einen Reinblütigen bestehen zu können, aber solange ich es schaffte, dass sie mich nicht alle zur gleichen Zeit angriffen, könnte ich noch so lange überleben, bis ich deren Königin fand. Schwerter klirrten als sich unsere Klingen kreuzten, Knochen wurden zerschmettert und Körper wurden aus dem Weg gestoßen. Wir fauchten uns wie die Tiere an und bleckten tollwütig die Zähne. Das blaue Licht, dass ihre Augen ausstrahlten, schien mich zu umzingeln. „Geht mir aus dem Weg“, knurrte ich gepresst, aber die Wächter rührten sich nicht. Sie hatten einen anderen Befehl erhalten und sie würden ihn auch auf Gedeih und Verderben ausführen. Die schwarzen Umhänge der Vampire verschwammen zu einer Einheit, nahmen die Form eines einzigen großen Schattens an und ich bekam immer mehr Probleme damit, sie abzuwehren. Sie durchlöcherten mich mit ihren Klingen und zielten andauernd auf meine Kehle. Mit einem geschmeidigen Abstoß sprang ich an die Decke und blieb dort kopfüber stehen, wie eine Spinne. Ein einziger Schwung meines Schwertes genügte, um den riesigen Kronleuchter von der Decke zu trennen und damit zwei der Jäger ins Jenseits zu befördern. Scherben und Blut verteilten sich auf dem marmornen Boden. Innerhalb eines Augenaufschlags waren die Übrigen bereits bei mir und widersetzten sich ebenfalls der Schwerkraft. Während ich zwei Vampire mit meinem Schwert und einem Fußtritt aufhalten konnte, schaffte ich es, einem von ihnen das Genick zu zerschmettern. Ab da war es leicht die anderen zu überwältigen und sie durch brennende Kerzenständer anzuzünden, um ihnen den Gnadenstoß zu verpassen und ihnen den Kopf abzutrennen, damit sie auch ja nicht wieder auferstanden. Aus hunderten von Wunden blutend und inmitten eines Leichenmeers stehend, versuchte ich die Schmerzen, die mich körperlich wie seelisch heimsuchten zu verdrängen und konzentriert mich nur noch auf den lodernden Hass, der in mir wie ein Inferno brannte. Das schneidende Geräusch von klatschenden Händen und leisem Gekicher ließ mich aufblicken. Leonore lehnte, gefährlicher denn je, in einem bodenlangen, königsblauen Kleid mit schwarzen Pailletten verziert und einem langen, scharfen Schwert in ihrer Hand, am Türrahmen und verzog ihre Lippen zu einem grausamen Lächeln. „Rebecca, meine Teuerste, du hast dir Zeit gelassen.“ „Wie unhöflich von mir“, antwortete ich zischend und zeigte mit der Spitze meiner Klinge auf sie. „Wie schön! Du hast mein kleines Geschenk erhalten!“, zwitscherte sie mit ehrlichem Entzücken in der Stimme und deutete auf Vaters Schwert in meiner Hand. Ihre Pupillen waren vor Erregung geweitet, als erwarte sie doch tatsächlich ein Lob von mir. „Wie gefällt dir mein Geschenk? Vater hätte es bestimmt gerne in deinem Besitz gesehen.“ „Du hast ihn umgebracht“, sagte ich kalt und wurde ärgerlich über ihre Dreistigkeit. Leonore verdrehte ihre rot glühenden Augen und winkt gelangweilt ab. „So ein Unsinn! Es war reine Notwendigkeit. Er und Mutter hatten den Thron schon zu lange in Anspruch genommen. Ihre Methoden waren ... veraltet. Ich habe unsere Sippe lediglich in ein neues Zeitalter geführt.“ Ich presste die Lippen aufeinander und nickte langsam. Ich durfte nicht vergessen, dass die Hierarchie unter Vampiren sich vollkommen von der der Werwölfe unterschied. Könige, die sich stürzen ließen, hatten nicht das Recht zu herrschen. „Du weißt, weswegen ich gekommen bin?“, fragte ich meine Schwester und ihr Lächeln schwand unter einer Maske aus kindischer Unzufriedenheit. „Durchaus, durchaus! Bedenke jedoch, dass es dir nicht gelingen wird mich zu töten; wir sind uns ebenbürtig. Das waren wir schon immer. Was lässt dich also in dem Irrglauben, du könntest es mit mir aufnehmen?“ „Dieses Mal“, erwiderte ich, „ist es mir ernst.“ Ich hatte es nie übers Herz gebracht, mit der kaltblütigen Effizienz zu töten, mit denen ich meine Feinde auslöschte, denn sie war schließlich meine Schwester. Der letzte kleine Rest meiner zerbrochenen Familie und es war immer das Einzige gewesen, dass mich davon abgehalten hatte mein trostloses Leben zu beenden, ganz gleichgültig, wie schrecklich Leonore war. Und sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass ich in gewissem Maße abhängig war; nach den Bändern gierte, die unsere Familie zusammen gehalten hatte. Doch nun, da ich wusste, wie sich wahre Liebe anfühlte, war es mir schier unerträglich, diese Frau weiterhin auf Erden wandeln zu lassen. Leonore lachte nicht mehr. Ihr Blick nahm eine ungewohnte Härte an und sie versteifte sich unmerklich. „Wenn das so ist, dann sollten wir unsere Zeit nicht mehr mit sinnlosem Geschwätz vergeuden. Du wirst sterben, Rebecca, genauso wie Mutter und Vater!“ Ihre provozierenden Worte hätten mich nicht wütend machen sollen, immerhin war ich ihre Gemeinheiten bereits gewohnt, doch ich konnte mir einfach nicht helfen. Der Zorn, die Angst, die Verzweiflung – all dies trug dazu bei, meinen rationalen Verstand in den hintersten Teil meines Kopfes zu verbannen und der Bestie in mir freie Bahn zu lassen. Wie eine Furie kreischend griff ich sie an, kollidierte mit ihrem Schwert und wurde brutal zurück gestoßen, aber kaum dass ich wieder auf die Beine kam, war sie schon da und lieferte sich mit mir ein wildes Gefecht. Wir zeigten uns die Fangzähne wie zwei rivalisierende Raubkatzen, bissen nacheinander und versuchten die Schwachstelle der jeweils anderen auszumachen. Ich musste zugeben, dass Leonore stark dazu gelernt hatte. Sie durchtrennte Sehnen und Knochen als wäre ich lediglich eine Stoffpuppe zu Trainingszwecken, aber in mir schlug noch immer das Herz einer Kriegerin und so landete ich auch bei ihr den einen oder anderen Treffer, die jeden anderen Vampire sofort getötet hätte. Mit meiner freien Hand verpasste ich ihr einen Schlag gegen den Unterkiefer, der mit einem grässlichen Krachen zersplitterte. Leonore kreischte auf – sofern es ihr Möglich war – und taumelte zurück. Es dauerte lediglich einige Sekunden der Heilung, die ich ihr gewährte und selbst ausnutzte, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, bevor wir uns wieder aufeinander stürzten und zu Boden rissen. Ich hatte mein Schwert verloren, nahm ich am Rande wahr, als mich die listige Königin mit ihrer freien Hand zu Boden drückte und die andere zu einem vernichtenden Schlag erhob. Ich schaffte es, den Kopf im letzten Augenblick zur Seite zu drehen, ehe ihre Klinge tief in den steinernen Marmor fuhr, anstatt mich zwischen die Augen zu treffen, was definitiv ihre Absicht gewesen war. Ich packte Leonores Handgelenk und schlug mit aller Wucht gegen Elle und Speiche, woraufhin sich ihr Arm verdrehte und in einem grotesken Winkel abstand. Ich nutzte die Gelegenheit ihres Regenerierungsprozesses, um ihr Schwert fortzuschleudern und sie von mir zu werfen. Ich hatte so viel Kraft hinein gelegt, dass ich in der Lage war, mit ihr durch die nächstliegende Wand zu krachen, die direkt auf den Gang führte, wo sich bereits dutzende von anderen Vampirsklaven aufhielten und mit zu Klauen gekrümmten Fingern und geifernden Mäulern sich auf die Gefahr – mich – stürzen wollten. „Bleibt! Wagt es ja nicht, euch in meinen Kampf einzumischen!“, befahl Leonore mit einem zornigen Zischen, denn ob man es glauben konnte oder nicht, auch meine Schwester besaß ihren Stolz. Man konnte es den Vampiren kaum ansehen, doch sie waren erleichtert, sich nicht in diesen aussichtslosen Kampf zwischen zwei Reinblütern einmischen zu müssen, dem sie bestimmt nicht lebendig oder mit allen Gliedmaßen entkommen wären. In einem für uns völlig ungewohnt schnellem Tempo atmend, starrten meine Schwester und ich uns an. Es war frustrierend, dass wir kaum genügend Zeit hatten unseren Gegner ernsthaft zu verletzten, bevor sich die Wunden bereits wieder schlossen. Es bereitete mir Kopfzerbrechen, dass allein unsere zerfetzte und blutige Kleidung auf einen Kampf um Leben und Tod hindeuteten. Ansonsten wirkten wir unversehrt. Die Männer und Frauen um uns herum stießen allesamt ein Zischen aus, das sich in der Menge wie das Summen eines Bienenschwarms anhörte. Das vergossene Blut der Wächter, denen ich das Leben genommen hatte, erreichte endlich ihre feinen Nasen und lockte in ihnen den Dämon hervor. „Stimmt etwas nicht, liebste Schwester?“, fragte Leonore höhnisch und leckte sich Blut von der Hand ab, wie eine Katze. „Möchtest du nicht doch lieber aufgeben? Deine Schande ist zwar unwiderruflich, aber ich verspreche dir dafür, dass ich dich schnell töten werde.“ „In deinen Träumen, Leonore. Du wirst es bereuen, mir die einzigen Personen genommen zu haben, die ich je geliebt habe.“ Mein Blick fiel auf den dicken Vorhang hinter ihr und eine hirnrissige Idee kam mir. „Das ist wohl nun das Ende, findest du nicht auch?“ Eine steile Linie bildete sich zwischen ihren weißen Augenbrauen. „Wovon sprichst du?“ Ich blinzelte meine aufsteigenden Tränen fort und machte mich zum Absprung bereit. „Leb wohl, Schwester.“ Leonores Augen weiteten sich vor Schreck als ihr klar wurde, was ich vorhatte, doch da war es bereits zu spät. Auf die verhangenen Fenster hinter ihr zurasend, hatte ich sie innerhalb eines Wimpernschlags gepackt und gemeinsam schmetternden wir durch klirrendes Glas, das uns wie tausend kleine Rasierklingen um die Ohren flog. Trotz des Vorhangs, den wir mitgerissen hatten, bot dieser keinen Schutz, als wir von den tödlichen Sonnenstrahlen getroffen wurden und auf den taufeuchten Rasen fielen. Leonore und ich schrien; konnten das überwältige Brennen auf unserer Haut nicht ertragen. Stinkender Ruß stieg von uns auf, woraufhin unsere Körper nach und nach zu glühender Asche zerfiel. Mein seidiges Haar hatte Feuer gefangen. Kreischend verkrümmte ich mich, in dem Irrglauben, es könnte mir die Schmerzen nehmen, doch in Wirklichkeit wurde es nur noch schlimmer. Es war so unerträglich, dass ich noch nicht einmal das Bewusstsein verlieren konnte und miterleben musste, wie Leonores Kopf neben mir tot zur Seite kippte; ihre Augen nur noch schwarze Höhlen und ihr ganzer Körper ein verkohltes Skelett, das so brüchig war, dass Teile davon von einer sanften Frühlingsbrise fortgeweht wurden. Das war also mein Schicksal, dachte ich entsetzt, doch der Gedanke wurde von einer weiteren Welle des Schmerzes weggespült, die mir selbst die Stimme zum Schreien raubte. In meinen Ohren klangen noch die verzweifelten Rufe der verrückt gewordenen Vampire, dann landete plötzlich etwas Schweres auf mir, das mir die Luft aus den Lungen drückte und mich erblinden ließ, und ich wusste, das war mein Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)