Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 21: Einbahnstraße ------------------------- Nakatsu hatte sich früh schlafen gelegt. Lange bevor die Sonne hinter ihren dichten Regenwolken untergegangen war, hatte er sich in sein Bett gelegt und versucht zu schlafen. Es war ein unruhiges hin und her wälzen. Mehrmals war er fast eingeschlafen, doch seine Gedanken hörten nicht auf sich um die Dinge zu kreise, die alle passiert waren. Mittlerweile schlief er genauso schlecht wie Lily. In den letzten zwei Wochen war eine Menge geschehen und als Krönung des ganzen war Ronald Knox zurück. Nakatsu kam sich vor wie in einem schlechten Komödientheater. Genervt drückte er sein Gesicht in das Kissen und knurrte. Wieso musste dieser Typ auch zurückkommen? Lily hatte sein Verschwinden angefangen zu verarbeiten und dann kam er zurück. Damit hatte Ronald Knox alles über den Haufen geworfen. Nakatsu war wütend auf diesen Mann. Wenn er nicht sein Vorgesetzter wäre, würde er ihn zusammenschlagen. Zuerst ignorierte er Lily und brachte sie dazu, auszuflippen und zu weinen. Dann kam er bei ihr an und sprach mit ihr, als wäre nie etwas gewesen und bat um Verzeihung. Wollte er ihr wieder wehtun? Warum tat er das? Vor ein paar Stunden war er auch in Lilys Zimmer gewesen. Sie hatte ausgesehen, als wäre sie wieder den Tränen nahe gewesen. Nakatsu verstand all das nicht. Er verstand nicht, wieso dieser Mann sie nicht einfach in Ruhe lassen konnte. Er sollte sich von Lily fern halten. Er sollte sie nicht zum Weinen bringen. Vielleicht ging es ihr dann besser. Aber Lily mochte ihren Mentor und als guter Freund akzeptierte man so etwas, auch wenn man es nicht gerne sah. Nakatsus Hand ballte sich zur Faust bei der Vorstellung, dass Lily wieder seinetwegen weinen musste und er konnte sich gut vorstellen, was er dann mit Ronald Knox anstellen würde. Er würde seine Shampooflaschen vertauschen und seine Haare Lila oder Pink färben. Er würde ihn lächerlich machen und ihn genauso leiden lassen, wie Lily es tat. Vielleicht konnte er auch ein paar Gerüchte über ihn verbreiten, die ihm genauso weh taten. Aber Lily würde ihn dann sicherlich zu Recht stutzen. Aber das war es wert, wenn er dafür sorgen konnte, dass er seine beste Freundin in Ruhe ließ. Ronald Knox sollte einfach seine Finger von Lily lassen. Damit wäre vielen geholfen. Nakatsu seufzte tief in das Kissen und schlug mit den Beinen wütend auf die Matratze. Lily hatte ihm erzählt, was er mit ihr besprochen hatte und auch das Gespräch mit Mr. Humphries später, wo er dabei gewesen war, verlief auf die gleiche Art und Weise. Es ging darum, wieso er gegangen war und das all diese Gerüchte und Lästereien nicht auf seinen Mist gewachsen waren. Nakatsu wollte es nicht glauben und er wusste genau, dass er sich dabei wie ein kleines Kind benahm, das auf sein falsches Recht pochte, aber es ging um seine beste Freundin, die die ganzen zwei Wochen gelitten hatte. So etwas war mit einer einfachen Entschuldigung nicht abgetan. Er sah vom Kissen auf, in dem er sein Gesicht gedrückt hatte und holte tief Luft. Mit einer Handbewegung strich er sich die Haare aus den Augen und schaute auf den Wecker, der auf dem Nachtisch stand. Bald würde er klingeln und ihn zum Aufstehen zwingen. Nakatsu seufzte erneut und dreht sich auf den Rücken. Er starrte die weiße Decke an. Unweigerlich dachte er an den Gerichtstermin zu dem er von einem Shinigami namens Undertaker geschleppt worden war. Es war imponierend gewesen, aber auch furchteinflößend zugleich. Er hatte sich gut vorstellen können, wie es Lily ergangen war, als sie auf dem Stuhl gesessen hatte und die Shinigami sie verhört hatten. Für ihn als uneingeladener Zeuge war es schon hart gewesen, aber als Angeklagte war es sicherlich noch um einiges schlimmer. Nakatsu fragte sich, ob er bei dem Termin von Ronald Knox auch dabei sein sollte. Eine offizielle Einladung hatte er nicht erhalten und er war auch nur durch diesen komischen Shinigami Undertaker dorthin gekommen. Ob dieser ihn auch zu der Verhandlung von Knox zerren würde? Bei dem Gedanken, dass er für diesen Mistkerl aussagen sollte, bekam Nakatsu das kalte Grausen. Er würde niemals im Leben für ihn aussagen, um seine Haut zu retten. Wenn es nach ihm ginge, konnte er wieder zurück nach Timbuktu oder Tibet oder dahin wo der Pfeffer wuchs. Auf jeden Fall würde Nakatsu ihn gerne wieder ins Exil schicken. Aber dann würde Lily sicherlich wieder anfangen zu weinen und das nur, weil sie sich Vorwürfe machte Schuld daran zu sein. Das konnte Nakatsu ihr nicht antun. Genervt griff er zum Kissen neben sich und presste es auf sein Gesicht. Warum musste alles so kompliziert sein? Wieso musste sich im Moment alles um Ronald Knox drehen bei Lily? Konnte sie nicht ein wenig von ihm sprechen oder ihm etwas mehr Aufmerksamkeit schenken? Er war die ganze Zeit für sie da und hörte ihr zu, aber er wollte auch ihre Aufmerksamkeit. Nakatsu gestand sich nur ungern ein, dass es ihn wurmte, dass er eifersüchtig war. Er spielte sogar mit dem Gedanken auch für zwei Wochen wortlos zu verschwinden. Vielleicht würde Lily ihn dann mehr beachten. Aber sollte er sich wirklich auf das Niveau von Ronald Knox begeben? Wütend riss er das Kissen runter und drückte es an seine Brust. So Verzweifelt war er nicht, dass er zu solchen Maßnahmen greifen musste. Er würde Lily auch so beeindrucken können ohne sie zum Weinen zu bringen. Immerhin wollte er als bester Freund für sie da sein, wie ein großer Bruder es tun würde oder der Partner. Was fühlte er eigentlich genau für Lily? Auf der einen Seite wollte er ihr so nahe sein, wie es der Liebste tat, aber auf der anderen Seite wollte er ihre Freundschaft nicht dadurch kaputt machen und wollte ihr dann so nahe sein, wie ein großer Bruder. Nakatsu seufzte auf und schaute zum Fenster. Die Vorhänge verdeckten die Scheiben, konnten aber nicht verhindern, dass die Blitze kurz durch schienen, wenn sie am Himmel aufkamen. Ein lautes Donnern erfüllte die nächtliche Stille und der Regen trommelte gegen die Scheibe. Das Wetter war passend zu seiner Stimmung. Wenigstens konnte der Himmel seine Energie entladen, während es weiterhin in ihm kochte wie in einem Vulkan. Es war nur eine Frage der Zeit bis er explodieren würde. Wenn er genau darüber nachdachte, war er sogar schon explodiert. Nakatsu hatte sich mit Kayden geprügelt vor einem Tag. Lily hatte zum Glück nichts davon mitbekommen und er hatte es gut verheimlichen können. Kayden hatte ihn ganz schön auf die Nase geschlagen. Sie hatte sogar stark geblutet und sie tat immer noch weh, wenn er die Brille höher schob oder sich über das Gesicht rieb. Ein großer dunkelvioletter Fleck zierte seinen linken Oberarm. Nakatsu hatte Kayden unterschätzt, aber trotzdem war er klar als Sieger hervor getreten und hatte das Großmaul zum Schweigen gebracht, auch wenn ihm jetzt einige Körperstellen weh taten. Es hatte aber gut getan und er hatte seine Wut raus lassen können. Kayden war und blieb ein Großmaul. Er hatte es nicht besser verdient. Einige der Worte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte, gingen Nakatsu jedoch nicht aus dem Kopf. Hatte er tatsächlich einen Bruderkomplex? Benahm er sich bei Lily wirklich wie ein großer Bruder und gleichzeitig wie ein eifersüchtiger Freund? War es pervers, wenn man jemanden beschützen wollte und ihn gleichzeitig liebte? Aber er und Lily waren nicht verwandt. Also war es kein Inzest wie Kayden behauptet hatte. Obendrein war er ein Einzelkind. Wie konnte man da einen Bruderkomplex haben? Konnte man sowas als Einzelkind überhaupt bekommen? Nakatsu sah Lily aber gar nicht als kleine Schwester, sondern wirklich nur als beste Freundin. Waren sie überhaupt Freunde? An ihrem ersten Schultag abends hatte er sich bei ihr entschuldigt für sein Verhalten. Sie hatte es akzeptiert und danach war er automatisch bei ihr gewesen. Sie hatten sich ganz einfach unterhalten und waren bei den Mahlzeiten, sowie den Hausaufgaben zusammen. Er hatte es als gutes Zeichen für eine Freundschaft gesehen und Lily als gute Freundin lieb gewonnen. Was wäre, wenn sie es aber ganz anders sah? Was wäre, wenn Lily ihn einfach nur akzeptierte und gar nicht als Freund sah? Nakatsu schüttelte den Kopf und drückte das Kissen an seine Brust. Sie sah ihn mit Sicherheit als Freund. Wenn dies nicht der Fall wäre, hätte sie niemals erlaubt, dass er neben ihr im Bett schlief. Sie würde sich sonst nie bei ihm ausweinen oder mit ihm reden. Lily hätte sonst nicht sein Piercing als nachträgliches Geburtstagsgeschenk bezahlt. Bei dem Gedanken daran, wie weh es getan hatte und wie er ihre Hand dabei halten durfte, klopfte sein Herz ein wenig schneller. Unweigerlich fuhr er mit den Fingern vorsichtig über den silbernen Ring und bewegte ihn vorsichtig hin und her. Es tat noch immer ein wenig weh und immer wieder bildete sich eine Wundkruste. Doch Nakatsu war stolz auf sich, dass er den Mut dazu gehabt hatte. Sein Mentor war nicht begeistert gewesen und machte ihm jetzt so gut es eben ging, und ohne gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen, das Leben zur Hölle. Zu Nakatsus Glück vergaß er schon mal die ein oder andere Strafarbeit. Aber er sollte wirklich das Gespräch mit William T. Spears suchen. So konnte seine Ausbildung nicht weiter gehen. Er konnte sich nicht ständig die aktuellen Sachen von Lily erklären lassen, nur damit er im Unterricht mitkam. Aber es war im Moment einfach keine gute Gelegenheit mit Spears zu sprechen. Er war ohnehin schon schlecht gelaunt wegen den Gerichtsterminen und den Problem, die Kayden und Carry bei Lily verursachten, da wollte er nicht der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Nakatsu wollte einfach nicht seine Wut und miese Laune abbekommen. Wenn er sogar ehrlich war, hatte er auch ein bisschen Angst vor William T. Spears schlechter Laune. Der Mann war aber auch ungenießbar. Es war schlimmer als sonst. Man könnte meinen seine kalten Augen wären ein Eisspieß und drang einem direkt durchs Herz, um einen zu töten. Ein Schauer lief ihm durch Mark und Bein bei der Vorstellung. Laut seufzte Nakatsu und warf das Kissen zur Seite. Er schob die Unterlippe vor und pustete sich Luft in die Stirn, wo sich kleine Schweißperlen gebildet hatten. Es kam ihm vor, als wären in seinem Bett mindestens hundert Grad. Seinem Rücken rann der Schweiß hinunter. Unter diesen Umständen und Bedingungen war erst recht nicht an Schlaf zu denken. Nakatsu schlug die Decke zurück und genoss den kurzen, kühlen Windhauch, der ihm entgegen schlug. Trotz der kühlen Temperaturen, die Zurzeit draußen herrschten, war ihm heiß. Er öffnete das Fenster einen Spalt und ließ frische Luft herein. Das Gewitter draußen war noch immer im vollen Gange. Es war also keine gute Idee sich jetzt draußen auf den Balkon zu stellen und ein wenig frische Luft zu schnappen. Aber duschen konnte er immerhin. Eine lauwarme Dusche würde ihm sicherlich gut tun und danach würde er sich auch gleich frischer fühlen. Nakatsu öffnete den Kleiderschrank und zog frische Sachen heraus. Danach ging er ins sein Badezimmer und legte die frischen Sachen auf eine Ablage ab. Er zog sein verschwitztes Oberteil aus und warf es auf den Boden zu den anderen schmutzigen Sachen, die gewaschen werden wollten. Wenn er den Haufen so sah, fragte er sich, wie viele frische Unterhosen noch in seinem Schrank lagen. Er sollte wirklich dringend in den Waschkeller gehen. Vielleicht konnte er auch Lily um den Gefallen bitten für ihn zu waschen. Nakatsu hatte dazu absolut keine Lust und schob diese Aufgabe gerne vor sich her. Aber wenn er drüber genau nachdachte, würde Lily ihn wahrscheinlich in den Hintern treten, wenn er sie darum bitten würde für ihn die Wäsche mit in den Keller zu nehmen. Sie würde ihn am Piercing packen und daran runter ziehen. Bei dem Gedanken verzog er das Gesicht. Die Schmerzen wollte er sich nicht ausmalen. Es tat ja allein schon weh, wenn er es desinfizierte und leicht bewegte. Wenn Lily daran ziehen würde, würde sicherlich sein Ohr vor Schmerz abfallen. Er schauderte bei der Vorstellung und betrachtete das Helix im Spiegel, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Seine Haare waren vom Schweiß verklebt und erinnerten ihn daran, dass er duschen wollte. Nakatsu trat unter die Dusche und stellte das Wasser auf eine angenehme Temperatur. Er schloss die Augen und genoss es, wie das Wasser an ihm herunter lief. Nakatsu seufzte auf und legte entspannt den Kopf in den Nacken. Die Kühle des Wassers tat gut und gleichzeitig war da die entspannende Wärme, die seinen Kopf frei machte, während ein Blitz den Himmel erhellte gefolgt von einem Donnergrollen. Wenn er bei dem Gewitter nachher noch schlafen konnte, war es ein Wunder. Wie konnte Lily eigentlich bei diesem Wetter schlafen oder war sie wieder wach, weil sie schlecht geträumt hatte? Aber er wollte jetzt an nichts denken. Nicht an Kayden oder Carry und erst Recht nicht an Ronald Knox oder seinen Mentor. Nakatsu stellte sich vor, wie er nach der Abschlussprüfung Urlaub machte. Am besten in der Menschenwelt und an einem Sandstrand mit Meer, nicht an einem kleinen See. Die Wellen, die ans Ufer schlugen und rauschten, während die Sonne auf ihn brannte. Vielleicht mit Lily zusammen. Nakatsu musste sie unbedingt fragen, ob sie mit ihm Urlaub machen würde nach der Abschlussprüfung. Als kleine Belohnung für die harte Zeit sozusagen. Sie würde sicherlich mitmachen und gemeinsam würden sie ihren Urlaub planen. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Die Vorstellung unter einem Wasserfall zu stehen und mit Lily schwimmen zu gehen ließ sein Herz vor Freude kräftig klopfen. Er stellte sich vor, das Wasser aus der Dusche wäre der Wasserfall und Nakatsu seufzte auf bei dem Gedanken auf. Es wäre himmlisch, würde das wahr werden und wenn er Lily dazu persönlich Schwimmunterricht geben musste, würde er es tun. Nakatsu schreckte mit einem Mal aus seinen Gedanken auf, als er glaubte zu hören, wie es an der Tür klopfte. Sofort stellte er das Wasser ab und drehte den Kopf zur Tür. Angestrengt lauschte er über die Geräusche des Unwetters hinweg. Wer klopfte denn so spät in der Nacht an seine Tür? Oder ging sein Wecker nach und es war eigentlich schon längst Zeit zum frühstücken? War es vielleicht sogar sein Mentor, der ihm zu einem Straftraining abholte und sich ausnahmsweise mal daran erinnerte? Oder war es sogar Spears, der vor seiner Tür stand und ihm zum Unterricht zerren wollte, weil seine Uhr falsch ging? Aber würde es dann nicht wieder klopfen? Langsam stieg Nakatsu aus der Dusche und wickelte sich ein Handtuch um die Hüften. Es klopfte wieder. Diesmal war er sich sicher. Er hatte sich nicht verhört. Jemand klopfte eindeutig an seiner Tür. Das Licht fing an zu flackern und war mit einem Mal aus. Ein Fluch auf japanisch verließ seine Lippen und vorsichtig tapste er auf nassen Füßen zum Lichtschalter, darauf bedacht nicht auf den Fliesen auszurutschen. An der Tür klopfte es erneut. „Ja, ja, ich komme ja schon…“, murmelte er und drückte an dem Lichtschalter herum. Das Licht blieb aus. Wieder fluchte Nakatsu auf japanisch und öffnete die Badezimmertür. Das Wasser lief noch an ihm herunter und tropfte an seinen Haaren herab. Auf dem Boden hinterließ er nasse Fußabdrücke. Vorsichtig bewegte er sich durch das Zimmer, um nicht irgendetwas in der Dunkelheit umzustoßen oder gegen zu laufen. Nakatsu ertastete den Griff und öffnete die Tür. In der Dunkelheit konnte er den Umriss einer Gestalt ausmachen. „Nakatsu, darf ich…darf ich reinkommen?“ Es war Lily und Nakatsu danke innerlich dem Gewitter für den Stromausfall. So blieb ihnen beiden die peinliche Situation erspart. „Ähm…klar…komm rein…“, stammelte er und prüfte mit der Hand nach, ob das Handtuch gut saß und nicht im nächsten Moment runter fallen könnte. „Danke“, sagte sie und tastete sich an der Tür entlang. Lily ertastete seine Hand und hielt sich an seinem Arm fest. Doch sie ließ ihn sofort los. „Du bist ja total nass. Was hast du gemacht? Warst du etwa im Regen?“ „Nein, ich war duschen als du geklopft hast.“ „Oh“, brachte sie nur hervor und Nakatsu konnte schwören, dass sie in diesem Moment rot anlief wie eine Tomate. „Findest du zum Sofa?“, fragte er, um schnell das Thema zu wechseln. Er berührte sie an der Schulter, um sie ein wenig zu führen. „Ja“, antwortete sie und trat langsam ein. „Okay…ich…ähm…gehe mir nur eben was anziehen…“ Mit diesen Worten ging er, so schnell es in der Dunkelheit möglich war, davon. Nakatsu hörte, wie Lily die Tür schloss. Sein Handtuch rutschte auf halben Weg von seiner Hüfte und er hielt es schnell fest, ehe es sich ganz verabschiedete. Er tapste zurück ins Badezimmer, wo seine Sachen lagen und schloss die Tür hinter sich. Nichts sehen zu können war schrecklich. Er brauchte Licht! Wieso musste gerade jetzt das Licht ausgehen? Aber auf der anderen Seite war er froh, dass Lily nicht hatte sehen können, wie sein Handtuch verrutscht war. Er nahm das Handtuch von seiner Hüfte und rieb sich damit schnell trocken. Nakatsu wollte Lily nicht alleine in der Dunkelheit lassen. Außerdem war ihre Hand eben eiskalt gewesen, als hätte sie sie in Eiswasser getaucht. Es waren zwar nicht die wärmsten Temperaturen draußen, aber diese Kälte besorgte ihn doch. Nakatsu griff nach der langen Unterhose und zog sie sich schnell über, ebenso das frische Oberteil. Er kniete zu Boden und durchwühlte den Wäschehaufen nach einer Hose, die er noch anziehen konnte. Als er eine gefunden hatte, zog er sie schnell an und hüpfte herum, um sie über seine nassen Waden zu bekommen. Der Stoff klebte unangenehm auf der Haut und die Hose wollte sich nicht überziehen lassen. „Komm schon…“, murmelte er wütend und zog sie ein Stück höher. Er hüpfte noch immer ein wenig herum. Nakatsu wusste, dass es gar nichts brachte, aber aus irgendeinem Grund tat er es wie viele andere auch, wenn sie in eine Hose kommen wollten. Seine Beine verhedderten sich in dem liegengelassenen Handtuch und er fiel zu Boden. Ein weiterer Fluch auf japanisch verließ seine Lippen. Das war schon der dritte innerhalb einer Stunde. Ein neuer Rekord. So oft hatte er noch nie auf japanisch geflucht. Nakatsu musste aufpassen. Er wollte seine zweite Muttersprache nicht nur fürs Fluchen verwenden. „Nakatsu, ist alles in Ordnung bei dir da drin?“, fragte Lily besorgt. „Ja, alles gut. Ich bin nur über das Handtuch gestolpert.“ „Du solltest bei dir echt mal aufräumen im Bad. Dein Wäschehaufen könnte auch mal wieder eine Wäsche vertragen.“ „Ich weiß“, sagte er und knöpfte die Hose zu. „Warum tust du es dann nicht endlich mal?“ „Keine Lust“, antwortete er und rieb sich mit dem Handtuch noch einmal über die nassen Haare. „Aber wenn es dich stört, mach du es doch“, sagte er mit einem Lachen in der Stimme. „Ich glaub, die Dusche war nicht kalt genug für dich. Kann das sein?“ Lilys Stimme hatte einen neckischen Tonfall angenommen. Nakatsu musste grinsen. Er liebte ihre Neckereien untereinander. „Och, die Dusche war ganz angenehm. Kälter hätte sie nicht sein dürfen. Aber danke der Nachfrage.“ Nakatsu warf das Handtuch auf den Wäschehaufen und trat aus dem Badezimmer. „Bin fertig.“ Er ging zum Sofa und setzte sich in der Dunkelheit neben Lily. „Was führt dich denn zu mir?“ „Ich konnte nicht schlafen…“, sagte sie leise. „Wegen dem Gewitter?“ „Nein“ Er konnte hören wie sie den Kopf schüttelte und ihre Haare dabei hin und her flogen. „Hattest du wieder schlecht geträumt?“ Lily schwieg. „Komm mal her“, sagte er und legte einen Arm um ihre Schulter. Lily legte ohne zu zögern den Kopf an seine Brust. Etwas, was sie in den letzten Wochen sehr oft getan hatte. Selbst durch den Pullover, den sie trug, konnte er spüren, wie kalt ihre Haut darunter war. Sie zitterte. „Du bist eiskalt“, sagte er und drückte sie ein wenig enger an sich heran. „Ich weiß…mir wird auch nicht warm…“ Ein Schluchzen war zu hören. „Ich hab alles versucht. Ich war heiß duschen, habe drei heiße Tassen Tee getrunken, habe mich in drei Decken eingewickelt, aber mir ist immer noch kalt…Ich weiß nicht, was ich tun soll…“ „Wirst du etwa krank?“ „Ich weiß es nicht…aber mir ist einfach nur schrecklich kalt…“ „Dann ist es ja gut, dass du hier bist. Ich werde dich schon aufwärmen.“ Nakatsu grinste sie an, auch wenn sie es nicht sehen konnte. „Danke…du bist aber auch tierisch warm…Warst du im Backofen?“ „Nein, aber du im Eis so kalt wie du bist.“ Lily brummte. „Was ist? Hab ich was Falsches gesagt?“ „Nein…es ist nur…ich hab geträumt, ich breche in einen See ein im Winter. Jemand hat mich raus gezogen und ins Warme gebracht…“ „Wie ging es weiter?“ „Er…wir…“ Lily hielt inne und es dauerte einen Moment bis sie weiter sprach. „Wir hatten uns dann geküsst…“ Nakatsu brummte. „Konntest du erkennen, wer es war?“ „Nein…“ „Du träumst echt komische Sachen…“ „Ich weiß.“ „Aber mach dir keinen Kopf darüber. Es war nur ein Traum und jetzt kommt mit. Wir gehen in mein Bett und kuscheln uns in die Decke ein. Dann kannst du noch ein bisschen Schlafen und ich wärme dich dabei.“ „Danke“, murmelte sie und stand mit ihm auf, um ins Schlafzimmer zu gehen. „Sag mal, was glaubst du, wo Hinako hingegangen ist?“ „Wie kommst du jetzt darauf?“ „Nur so…Es fiel mir gerade ein. Es hieß doch, sie ist auf einer Fortbildung oder so was.“ „Ja, sicherlich für Schwertkampf. Bestimmt ist sie zurück nach Japan dafür. Dort gibt es eigentlich die besten Schwertkampftechniken.“ „Wann denkst du, kommt sie zurück?“ „Keine Ahnung, es wird aber sicherlich noch dauern.“ Nakatsu stieg ins Bett und zog sich die Decke über, während er es sich bequem machte. Er spürte wie sich die Matratze bewegte als Lily von der anderen Seite ins Bett stieg. Im nächsten Moment war ihr kalter Körper zu spüren und ihre kalten Füße, die sich an ihm wärmte. Nakatsu fröstelte kurz dabei. Was hatte Lily in der Nacht gemacht, dass sie so kalt war? Sie konnte doch nicht nur so kalt sein, weil sie geträumt hatte, sie brach in einen See ein. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich, während er ihr über die Haare strich. „Schlaf noch ein bisschen. Der Wecker wird pünktlich klingeln und uns wecken. Vor dem Gewitter brauchst du auch keine Angst zu haben.“ „Ich habe keine Angst vor Gewitter…“, murmelte sie. „Aber danke.“ „Nicht dafür. Jetzt schlaf aber.“ Nakatsu zögerte kurz, drückte ihr dann aber einen Kuss auf die Stirn. „Du auch“, flüsterte sie und ihre Atmung entspannte sich. Sie wurde leiser und gleichmäßiger. „Ich versuch es…“ Nakatsu schloss die Augen und rutschte noch näher an Lily heran, wenn es möglich war. Sein Herz klopfte. Wie sollte er denn Schlafen, wenn ihn die Person neben ihn aus dem Konzept brachte? Er strich ihr weiter durchs Haar und versuchte seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. „Du bist schon ein Chaot, Lil, aber ich mag dich trotzdem und bin für dich da.“ Er küsste sie erneut auf die Stirn und schloss die Augen. Vielleicht konnte er noch ein wenig Schlaf finden mit Lily an der Seite. Sie machte ihn zwar oft genug Nervös, aber sie gab ihm auch ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit. Nakatsu hoffte, dass er ihr das auch vermitteln konnte, wenigstens ein bisschen. Besonders jetzt, wo es nicht so leicht war mit ihrem ehemaligen Mentor. Er unterdrückte ein Gähnen und genoss diesen Moment, während Lily schon längst wieder im Land der Träume war. Ronald Knox erwachte am nächsten Morgen mit einem Gefühl der Besorgnis und des Unbehagens. Im ersten Moment konnte er sich nicht erklären, woher oder wieso es kam. Er brauchte einige Minuten, in denen er sich im Bett wälzte und die Decke bis zum Kinn hoch zog. Am liebsten wäre er wieder eingeschlafen. Am Besten noch mit einem süßen Mädchen an der Seite. Einem süßen Mädchen wie Lily es war und wie er schon einmal neben ihr wach geworden war. Ronald seufzte wohlig auf bei dem Gedanken und sein Herz pochte bei der Erinnerung. Noch immer quälte er sich mit der Frage, ob er sich absolut sicher sein konnte, verliebt zu sein. Bei den Mönchen war er sich sicher gewesen, aber nun quälte ihn der Zweifel. Was wäre, wenn es nur eine freundschaftliche Liebe war? Dann wäre alles gar nicht so schlimm und er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Er wollte einfach nicht glauben, dass er, ein verschriener Frauenheld der Society, verliebt sei. Er, der fast jeden zweiten Abend mit einer Frau ausging und auf Partys anzutreffen war. Wie konnte da ein einfaches Mädchen in ihm den Wunsch wecken, eine feste Beziehung haben zu wollen? Ronald dachte unweigerlich an das Gespräch vom gestrigen Abend mit Lily. Es war alles andere als gut gelaufen. Aber was hatte er hatte eh nicht erwartet, dass sie ihn sofort in die Arme schloss und alles wieder gut sein würde. Vertrauen zu verdienen brauchte eben Zeit. Er atmete tief ein und aus. Der Gedanke an die Anhörung des Gerichts machte sich in seinem Kopf breit. Wenn der morgen mit diesen Gedanken begann, würde der Tag sicherlich nicht besser werden. Ronald hatte das Gefühl, die Last der Probleme direkt auf seinen Schultern zu führen wie mehrere Säcke Reis, die er bei den Mönchen hatte tragen müssen. Sein Gesicht vergrub er in das Kissen und brummte missgelaunt. Er wollte auch nicht an die Akte denken, die er am Abend zuvor von William erhalten hatte und die noch immer auf seinem Sofa in der Ecke lag. Es grauste ihn davor weiter zu lesen. Das, was er bisher gelesen hatte, hatte ihm eigentlich schon gereicht, aber auf der anderen Seite, wollte er wissen, was passiert war. Seine sonst so gute Laune sank noch tiefer in den Keller. Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich aus dem Bett und ging unter die Dusche, um einen klareren Kopf zu bekommen. Als er im Badezimmer stand, zögerte er in den Spiegel zu sehen. Er sah sicherlich schrecklich aus nach der durchwälzten Nacht. Vielleicht hatte er eine Chance nicht ganz so schlimm und übernächtigt auszusehen, wenn er erst einmal durch die Dusche wach geworden war. Ronald legte seine Brille ab und zog seine Sachen aus, nur um schnell unter die Dusche zu gehen und den Blick in den verhängnisvollen Spiegel zu vermeiden, der ihm unverblümt die Wahrheit zeigen würde, wie er aussah. Das Wasser tat gut und er fühlte sich gleich wacher, aber dennoch würde er eine Tasse Kaffee brauchen bis er richtig munter war. Er musste auch unbedingt mit den anderen sprechen, vielleicht sogar noch mal mit Lily. Am besten, wenn ihr Freund Nakatsu nicht dabei war. Sollte er vielleicht auch mit William wegen des Termins und über das, was er in der Akte gelesen hatte sprechen? Vielleicht könnten sie gemeinsam einen Weg finden, die Sache mit Carry zu beenden, ohne dass Lily weiter Schaden nehmen würde. Ronald strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht und stellte das Wasser ab. Ein lauter Seufzer verließ seinen Mund und er stieg aus der Dusche. Schnell wickelte er sich ein Handtuch um und trocknete sich ab. Ronald überlegt ernsthaft den heutigen Tag blau zu machen. Bei der Vorstellung zum Arzt zu gehen für den Termin und sich den Anfeindungen zu stellen, verkrampfte sich sein Magen, was nur noch schlimmer wurde, als er daran dachte möglicherweise Carry über den Weg zu laufen. Aber er war nicht der Typ, der sich feige verkroch, wie ein Hase. Er würde sich dem stellen, was auf ihn zukam und es durchstehen. Wenn seine Schülerin Lily das konnte, konnte er es erst recht. Außerdem musste er als Mentor ein gutes Beispiel abgeben. Schnell zog er sich seine Uniform an und wischte mit der Hand den Wasserdampf vom Spiegel. Es war etwas ungewohnt wieder die eng anliegende Kleidung zu tragen im Gegensatz zu der locker sitzenden Kutte der Mönche. Die Krawatte um seinen Hals fühlte sich an, als würde sie ihm die Kehle zuschnüren und Ronald glaubte, fast keine Luft zu kriegen, weshalb er sie ein wenig mehr lockerte als sonst. Um diese Uhrzeit würde er schon längst wieder am Wasserfall stehen und meditieren und eigentlich hatte er sich fest vorgenommen das Tai Chi fortzuführen, aber an diesem Morgen fehlte ihm eindeutig die Motivation dazu. Seine Laune wurde von Sekunde zu Sekunde mieser. Seine Haare lagen nicht so wie er es gerne hätte und seine Gesichtsfarbe war bleich, wie bei einer Leiche. Das frisch gewaschene weiße Hemd hing um eine Kleidergröße zu groß an seinem Oberkörper und die Gürtelschnalle musste auch um zwei Löcher weiter zugeschnürt werden, damit seine Hose richtig hielt. Ronald griff noch schnell zum Rasierer und entfernte die vielen Bartstoppeln, die sich in der Zwischenzeit in seinem Gesicht gebildet hatten. Es tat gut sich wieder anständig pflegen zu können. Mit der Hand fuhr Ronald sich mehrmals über seine glatt rasierten Wangen ehe er sich noch ein leichtes Männerparfüm auflegte. Dennoch änderte dieses gute Gefühl seine Stimmung nicht im Mindesten. Ein Gedanke schoss ihm plötzlich durch den Kopf. Er fragte sich, was er den ganzen Tag über machen sollte bis er wieder arbeiten durfte. Immerhin war er noch suspendiert und ihm fiel nichts ein, was er tun sollte. Ronald verließ missgelaunt das Badezimmer und sein Blick fiel auf die schmutzigen Hemden im Müllsack. Er konnte sich ein leises Knurren nicht verkneifen. William würde es ihm mit Sicherheit vom Gehalt abziehen, dass er einen Satz neuer Hemden brauchte. Wütend verließ Ronald sein Apartment, um in die Mensa zu gehen. Er hatte zwar keinen Hunger, hoffte aber, dass er dort seine Freunde antreffen würde. Seine Hand fuhr noch schnell in die Hosentasche und er konnte die Münzen fühlen, die darin lagen. Hoffentlich war keine allzu lange Schlange vor dem Kaffeeautomaten. Als Ronald in den Flur kam, der zur Mensa führte, hörte er schon das Geschirr klappern und laute Stimmen, die aus der Mensa strömten, sowie der Geruch von frischem Kaffee. Einige Kollegen standen in dem Flur und vor der Tür herum und unterhielten sich. Ronald kam nicht umhin, zu bemerken, dass einige anfingen zu tuscheln und ihm leise Sprüche zuriefen. Er konnte sich gut vorstellen, dass es bei seiner Schülerin nicht so harmlos abgelaufen war und es für sie eine Tortur gewesen sein musste jeden Morgen hier zu essen. Ihm wäre da sicherlich auch der Appetit vergangen. Am Kaffeeautomaten, der einige Meter von der Tür zur Mensa entfernt stand, sah er William T. Spears stehen, der gerade ein paar Münzen in den Automaten warf und auf einen Knopf drückte. Die Maschine brummte und surrte lautstark während der Kaffee in seine Tasse plätscherte. Ronald trat näher heran und begrüßte seinen Vorgesetzten. William sah auf und nahm seine Tasse aus dem Automaten. „Guten Morgen, Mr. Knox“, sagte er und nahm sich von dem kleinen Beistelltischchen etwas Zucker und Milch. Ronald fiel auf, dass William erschöpft und müde aussah. Er musste wohl wieder bis in den Morgenstunden gearbeitet haben oder zumindest die halbe Nacht. Sein Blick fiel zu der Tasse in Williams Hand, in der er mit einem Teelöffel herum rührte. Es war eine blau-grüne Tasse mit einem Schaf darauf, das einen Anzug trug und hinter einem Schreibtisch saß. Auf und vor dem Schreibtisch stapelten sich Papiere und flogen auch fleißig durch die Luft. Auf der einen Seite stand in großen Buchstaben „Cheftasse“ und auf der anderen Seite neben dem Bild stand „Teamwork ist, wenn viele tun was ich sage“. Ronald musste schmunzeln. Anstatt sie im Schrank verstauben zu lassen, benutzte William tatsächlich die Tasse, die ihm die Abteilung zum Geburtstag geschenkt hatte. William schien seinen Blick zu bemerken und folgte ihm. Er sah kurz zur Tasse aus der Dampf aufstieg und sein Mund verzog sich kurz zu einem leichten Schmunzeln, ehe es wieder die emotionslosen Züge annahm. „Haben Sie die Akte schon durchgelesen, Mr. Knox?“, fragte Spears. „Nein, noch nicht ganz. Ich war gestern sehr müde“, antwortete Ronald und warf ein paar Münzen in den Automaten, während William ihn musterte. Er trank einen Schluck aus seiner Tasse. „Was denken Sie über das bisherige?“ Ronald überlegte. Er hatte sich bisher noch gar keine Gedanken drüber gemacht. Im Gegenteil. Erfolgreich hatte er sich verdrängt. Der Automat warf einen billigen Pappbecher aus und das Gerät brummte wieder lautstark. Nur wenige Sekunden später plätscherte der heiße Kaffee heraus. „Also ganz ehrlich?“, fing er an und nahm das Wechselgeld heraus, das er in seine Hosentasche schob. Ronald nahm dem Kaffee und trank vorsichtig einen Schluck. „Ich frage mich, was Carry damit erreichen will. Es ist ja wohl offensichtlich, dass sie es war.“ William nickte zustimmend. „Das weiß ich, aber beweisen können wir es nicht. Aber eins kann ich Ihnen sagen. Sie tut es, weil sie hinter Ihnen her ist.“ Ronald nickte. So etwas hatte er sich schon fast gedacht. Carry war hochgradig eifersüchtig auf Lily, obwohl es dazu kein Anlass gab. Obendrein waren Carry und er nicht mal zusammen. Ungläubig über die Taten schüttelte er den Kopf. „Verrückt…“, murmelte er. „Dennoch müssen wir dringend Beweise finden“, sagte Spears und musterte Ronald eindringlich. „Aber erst mal bringen wir den Termin hinter uns. Das Gericht muss überzeugt werden.“ Ronald nickte zustimmend, dennoch konnte er nicht verhindern, dass sich eine Art Geschwür in seinem Magen ausbreitet und wie ein Fels so schwer darin lag. Das klang nicht gerade positiv. Das hieß wohl, dass Lilys Termin und die Aussage seiner Freunde nicht viel gebracht hatten. Umso mehr lag es nun an ihn das Gericht zu überzeugen. Innerlich packte ihn der Entschluss. So schnell würde er seinen Arbeit nicht verlieren und Lily auch nicht. Er würde es wieder gerade biegen. „Nun gut, Mr. Knox, gehen Sie was essen und zu Ihrem Arzttermin. Alles Weitere besprechen wir später, wie den Termin und wie wir Beweise sammeln können.“ Ronald nickte und William verabschiedete sich mit einem leichten nicken. Er sah seinem Vorgesetzten kurz hinterher ehe er in die Mensa ging. Sein Hunger hielt sich noch immer in Grenzen und so ging er mit dem Becher Kaffee in der Hand zu dem Stammtisch, wo bereits Alan, Eric und Grelle saßen. Von Lily und Nakatsu war keine Spur zu sehen. „Hallo“, begrüßte er seine Freunde und setzte sich auf einen freien Platz. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee, während seine Augen durch die Mensa auf der Suche nach Carry huschten. Sie war nirgendwo zu erblicken. „Ihr werdet nicht glauben, was gestern Abend passiert ist!“, fing Ronald an, nachdem Alan, Eric und Grelle ihn begrüßt hatten. „Lass mich raten. Du hast mit Miss McNeil gesprochen und dafür ordentlich eine kassiert?“, fragte Eric. „Nein!“ „Sie hat dir verziehen?“, riet Alan. „Nein!“ „Du hast gar nicht mit ihr gesprochen?“, fragte Grelle. „Doch, aber ich weiß nicht, ob sie mir verzeiht. Sie sagte, sie wollte drüber nachdenken.“ „Was ist dann passiert?“, fragte Alan und biss von seinem Toast ab. „Ich hatte ein Gespräch mit Spears. Er hat gesehen, wie ich aus Miss McNeils Zimmer kam.“ Ronald trank erneut einen Schluck Kaffee. Der Becher war fast leer. Er würde sich gleich einen neuen aus dem Automaten ziehen müssen. „Oh das klingt ja gar nicht gut“, kommentierte Eric und faltete seine ausgelesene Zeitung zusammen. „So schlimm war es jetzt nicht“, sagte Ronald, während er den Becher leer trank. „Wie war es denn?“ „Er hat mir eine Akte gegeben, wo sämtliche Vorfälle drin stehen und gesagt, dass es gut war, dass ich mit ihr gesprochen habe. William meinte auch, dass es keine gute Entscheidung war, dass er mich weggeschickt hat.“ Die Augen der drei Shinigami am Tisch weiteten sich. „Soll das heißen William hat einen Fehler zugegeben?“, fragte Eric perplex. Ronald nickte. „Ich denke schon.“ „Das ist echt unglaublich“, murmelte Alan. „Mein William macht doch keine Fehler!“, sagte Grelle empört. Schmollend zog er die Unterlippe vor. „Anscheinend doch“, erwiderte Eric, konnte sich ein freches Grinsen nicht verkneifen. Grelle grummelte leise vor sich hin, dass sein William fehlerlos sei, niemals einen Fehler machen würde in der Arbeit und in seinen Entscheidungen. Ronald schilderte kurz das Gespräch, was er mit Lily geführt hatte, nachdem Grelle sich beruhigt hatte. Seine Freunde am Tisch hörten schweigend zu. Während des ganzen Frühstückes suchten Ronalds Augen immer wieder die Mensa nach Lily und Nakatsu ab. Sie waren nicht zu sehen, er konnte aber auch gut verstehen, wieso sie nicht auftauchten. Seine Kollegen beäugten ihn feindselig und gingen ihm aus dem Weg. Selbst jene, mit denen er sich bisher immer gut verstanden hatte, mieden und wechselten kein Wort mit ihm. Aus diesem Grund konnte Ronald gut verstehen, wenn seine Schülerin der Mensa fern blieb. Selbst Carry ließ sich an diesem Morgen nicht blicken, um ihm hinterher zu rennen. Was recht ungewöhnlich war und besorgniserregend zugleich. Ronald fühlte sich schrecklich. Sein Herz pochte und stieß in regelmäßigen Abständen Adrenalin aus. Sein ganzer Körper war angespannt und auf Flucht gepolt. Wie hatte Lily es nur zwei Wochen so aushalten können? War es ihr auch so ergangen, wenn sie an diesem Tisch gesessen hatte? Wenigstens hatte er Alan, Eric und Grelle, die hinter ihm standen, aber er wollte, dass auch Lily ihm glaubte. So ungern er es sich auch eingestand, auch Nakatsu. Denn, wenn die beiden ihm auch glaubten, würde er das Verhalten der Anderen mit Sicherheit besser ertragen können. Immerhin war Lily mit betroffen und wenn sie ihm Glauben schenken würde, konnten sie beide drüber stehen. Denn sie würden beide die Wahrheit wissen, zusammen mit den Anderen. Das würde wirklich so einiges leichter machen, aber solange sie sich nicht blicken ließ, war es ungewiss. „Mach dir keinen Kopf, Ronald. In ein paar Tagen ist die Anhörung und dann wird sich das alles schon wieder klären“, sagte Eric, als hätte er seine trüben Gedanken gelesen. Ronald verzog ungläubig das Gesicht. „Wir werden bei deiner Anhörung dasselbe sagen, wie bei der von Miss McNeil. Wir lassen dich schon nicht im Stich“, versuchte es Alan. „Genau, scher dich nicht drum und lass die anderen reden. Das haben wir ihr auch gesagt“, grinste Grelle ihn an. „Diese Idioten sind nicht besonders einfallsreich mit ihren Sprüchen. Da musst du drüber stehen.“ „Leichter gesagt als getan. So langsam verstehe ich Miss McNeil.“ „Oh, erfreulich zu hören“, sagte jemand hinter ihm und Ronald drehte sich so ruckartig herum, dass sein Hals ein leises Knacken von sich gab. Mit dem Ellenbogen stieß er seinen leeren Kaffeebecher um, der über den Tisch rollte. Lily stand hinter ihm und in Begleitung hatte sie Nakatsu. Sofort schlug sein Herz schneller. Er rückte mit seinem Stuhl ein wenig zur Seite, damit die beiden Lehrlinge Platz haben konnten. Der Stuhl gab ein unerfreuliches Scharren auf dem Boden zu hören, so dass die anderen am Tisch die Gesichter verzogen. Einige Shinigami drehten sich mit den Köpfen kurz zu ihnen herum. „Ähm…wie lange stehen Sie schon da?“, fragte er verlegen. In seinem Hals entstand ein dicker Kloß. „Lange genug“, antwortete sie. „Wie lange?“ „Ungefähr seitdem Sie gesagt haben, Mr. Spears hätte einen Fehler zugeben und die Anweisung zurück genommen.“ „Solange schon?“ Seine Augen weiteten sich. Die Brille rutschte dabei ein wenig von seiner Nase. Nakatsu nickte. „Ja, solange schon.“ Ronald wandte sich an die anderen. „Warum habt ihr nichts gesagt?!“, fuhr er sie empört an, griff nach dem Becher, der über den Tisch gerollt war und richtete seine Brille, wie es William so oft tat. Innerlich hoffte Ronald kurz, dass er sich die Geste nicht angewöhnen würde. „Weil Miss McNeil uns angedeutet hatte leise zu sein“, sagte Grell und grinste listig. „Das ist doch…“, grummelte er und sah seine Freunde beleidigt an. „Sehen Sie es von der Seite, Mr. Knox, wir sind alle informiert und es gibt keine Geheimnisse zwischen uns“, sagte Lily und blickte ihn von der Seite aus an. „Stimmt“, erwiderte er und seine Wut verpuffte. „Heißt das auch, dass Sie wieder mit mir reden und dass Sie mir auch glauben?“ „Ja“, antwortete sie. „Ich hab gestern noch ziemliche lange drüber nachgedacht.“ Innerlich jubelte Ronald vor Freunde auf. Das klang positiv. Hoffnung machte sich in seiner Brust breit. „Mr. Humphries hat gestern Abend noch mit mir geredet und mir alles erzählt.“ Seine Gesichtszüge entglitten. „Was hat er Ihnen erzählt?“ Lily zuckte mit den Schultern. „Na eben alles. Alles, was ich wissen muss.“ „Alles?“, fragte er ungläubig und sah zu Alan, der ihn angrinste. Doch Ronald fragte sich, ob Alan ihr auch verraten hatte, was er durch Zufall rausbekommen hatte. „Ja, alles. Gibt es da ein Problem?“ „Nein…nein…alles ok“, sagte Ronald schnell und sah zu Alan. Er musste wissen, was genau er ihr alles erzählt hatte. Am besten passt er ihn in einem Moment ab, wo sie alleine waren. Hier am Tisch wäre es zu auffällig, wenn er ihn danach fragen würde. „Nakatsu und ich werden dann mal in den Unterricht gehen“, sagte Lily und holte ihn mit den Worten aus seinen Gedanken. Sie verzog das Gesicht. Glücklich sah sie nicht aus. „Nicht unter kriegen lassen“, sagte Grelle und klopfte ihr auf die Schulter, was ihr jedoch nur einen Seufzer und ein mattes Lächeln entlockte. Nakatsu verabschiedete sich ebenfalls. Zusammen gingen die beiden Lehrlinge aus der Mensa. Grelle sah ihnen nach und Ronald bemerkte, dass sein Blick sich auf William verfestigte. Der rothaarige Shinigami gaffte seinen Vorgesetzten förmlich an. Als dieser dann auch aufstand und im Begriff war die Mensa zu verlassen, sprang Grell von seinem Platz auf. Er lief durch die Mensa auf William zu und rief: „Oh mein William, warte auf mich!“ William hatte sich bei dem Lärm sofort umgedreht und stieß Grelle von sich, als er sich an ihn klammerte. Unter lautem Jammern und Bewundern, verließ auch Grelle Sutcliffe die Mensa mit William. Eric schüttelte nur stumm den Kopf dazu. Langsam und gemächlich faltete er seine Zeitung zusammen bevor er ebenfalls auf stand. „Ich muss zum Trainingsplatz“, sagte er auf die fragenden Blicke hin. „Hast du wieder Straftraining mit Kayden?“, fragte Alan. Eric nickte stumm. „Mir gehen langsam die Ideen aus. Der Junge lernt nicht aus den Strafen.“ „Wie wäre es mit Toiletten putzen mit der eigenen Zahnbürste?“, schlug Ronald vor und drehte den Pappbecher in den Händen. Eric schien einen Moment ernsthaft darüber nach zu denken. „Ich werde es mir für den Notfall aufheben, wenn mir gar nichts mehr einfällt.“ Er verabschiedete sich mit einem Lächeln und ging aus der Kantine. Ronald saß nun mit Alan alleine am Tisch. „Du sag mal, Alan…“, fing er langsam an. Er drehte den Becher in der Hand „Was denn?“ „Du hast mit Miss McNeil gesprochen und ihr alles erzählt?“ Alan nickte. „Ja, wieso? Wo ist das Problem?“ Er legte den Kopf schief und sah ihn fragend an. Ronald verdrehte die Augen. War es so schwer darauf zu kommen, was er wissen wollte? Sollte er es vielleicht doch lieber laut heraus schreien, so dass es die ganze Mensa mitbekam? „Ich meine, alles?“, fragte er und betonte dabei das Wort deutlich. „Auch das mit, du weißt schon?“ Alans Gesicht hellte sich auf und er schien die Worte verstanden zu haben. Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein. Das habe ich ihr natürlich nicht erzählt. Aber das habe ich dir auch versprochen, Ronald. Ich dachte nur, es könnte dir vielleicht helfen, wenn noch mal jemand mit ihr spricht.“ Ein Stein fiel Ronald vom Herzen und nickte ihm zu. Erleichtert atmete er auf. „Danke, ich wollte es nur wissen, es klang so…“ „Schon okay“, gab Alan zurück und beide schwiegen. Jetzt musste er nur noch die Anhörung gut überstehen, aber genau das war es, wovor er sich am meisten fürchtete. Ronald betete, dass das Gericht zu Lilys und seinen Gunsten entschied. Immerhin stand so viel auf dem Spiel. Bei diesem Gedanken konnte er spüren, wie sein Blutdruck stieg. „Ich werde auch mal los gehen“, sagte er und stand auf. „William hat mir einen Termin beim Arzt zur Untersuchung für die Anhörung beschafft. Wobei ich nicht weiß, wofür.“ Ronald zuckte mit den Schultern und verabschiedete sich, nicht aber ohne sich vorher ausgiebig zu strecken. „Also bis später.“ Mit langsamen Schritten ging er hinaus. Er fragte sich die ganze Zeit, was er bei dem Arzt sollte. Sein Körper war zwar von blauen Flecken übersät, aber diese stammten alle von seinem Training bei den Mönchen. Erhoffte das Gericht irgendwelche Spuren zu finden, die darauf deuten würden, dass seine Schülerin ihn verletzt hatte, sollte er sie angefallen haben? Ein Seufzer verließ seine Lippen. Wie konnte das Gericht nur so von ihm denken? Er hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Immer wieder hatte er seine Arbeit so getan, wie William es ihn gelehrt hatte. Es hatte nie Probleme gegeben und jetzt das. Nur, weil jemand Gerüchte streute. Es war obendrein eine unsinnige Regelung, dass man mit Schülern nichts anfangen durfte. Egal, ob man ihr Mentor war oder nicht. Es war dabei auch irrrelevant, ob der Schüler schon Zwanzig war und damit volljährig. Aber wenn man der Mentor eines Schülers war und solche Dinge den Umlauf machten, war es umso schlimmer. Wäre er nicht Lilys Mentor und so etwas würde behauptet werden, würde man nur eine Verwarnung erhalten und für ein Jahr suspendiert werden. Ein weiterer Seufzer verließ ihn. Dabei war Ronald nur ein Jahr älter als Lily. Aber wer konnte schon damit rechnen, dass eines seiner Dates so ein Theater veranstalten oder er sich noch in Lily verlieben würde? Ronald konnte ein weiteres Seufzen nicht unterdrücken und bog mit gesenktem Kopf um die Ecke. „Hey, du abgemagerte Leiche, ich rede mit dir!“ Ronald schreckte beim Klang dieser Stimme zusammen. Es gab nur eine Person, die so eine keifende Stimme hatte, dass es ihn in den Ohren schmerzte. Carrys Stimme erinnerte ihn jedes mal an das Geräusch einer Schiefertafel, wenn jemand mit den Nägeln darüber kratzte. Eigentlich wollte er nicht wissen, wen sie wieder drangsalierte, aber er konnte es sich schon fast automatisch denken. Es gab im Moment nur ein Lieblingsopfer von ihr. „Stimmt es, dass du es mit einem Typen aus der Stadt treibst und der in einem Café arbeitet?“, höhnte Carry geradheraus. „Dir reichen wohl die Leute hier nicht mehr aus. Jetzt verkaufst du dich schon für ein paar Getränke. Du scheinst es ja echt nötig zu haben!“ Obwohl ihm die Worte nicht galten, zuckte Ronald zusammen. Das war selbst für Carry unterste Schublade. So viel zu ihren glorreichen Worten, dass Lily von nun an ihre beste Freundin sei. Er hatte von Anfang an nicht geglaubt, dass die beiden beste Freunde wären. Carry packte Lily grob an der Schulter und stieß sie gegen die Wand. „Ich rede mit dir, du kleines Miststück!“ Ronald konnte sehen, wie Lilys Hand zitterte und jegliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. „Du!“, knurrte Carry. „Du bist schuld daran, dass mein Ronilein mich abweist!“ Ronald bemerkte, dass Carry wie immer perfekt aussah. Von ihrem gepflegten und ordentlich gestylten Haaren bis hin zu ihrem makellosen Make-up und der Uniform mit dem viel zu knappen Rock, der gerade noch so den Regeln entsprach. Wäre ihr Gesicht nicht wutverzerrt, könnte man sie für eine nette Frau halten. Sie musterte Lily von oben nach unten. Ihre Lippen verzogen sich verächtlich. Natürlich war Carry nicht alleine. Sie ging nie irgendwo alleine hin. Ständig wurde sie von ihrer Eskorte begleitet. Durch ihre hohen Absätze waren alle größer als Lily. Ronalds Blick fiel unweigerlich auf seine Schülerin. Er musterte sie ausgiebig und fragte sich, wieso es ihm nicht eher aufgefallen war, dass er sie so sehr mochte. Was hatte ihn nur dazu gebracht, Carry zu einem Date zu bitten? Gedankenverloren schüttelte er den Kopf. Seine Hormone mussten zu der Zeit mal wieder mit ihm durchgegangen sein und sein Hirn eine Pause gemacht haben. Aber wenn er ehrlich war, wusste er es selbst nicht, wieso er es nicht früher bemerkt hatte. Wahrscheinlich hatte er diese Gefühle viel zu sehr verdrängt und ignoriert. Dennoch erklärte es vieles. Seine Reaktionen gegenüber ihren besten Freund Nakatsu, sein übertriebener Beschützerinstinkt und seine Sorge um sie. Eine von Carrys Klonen, die nur wenige Zentimeter von ihr entfernt stand, bemerkte ihn und lenkte sofort Carrys Aufmerksamkeit auf ihn, indem sie sie kurz anstupste. Sofort veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie strahlte übers ganze Gesicht. „Hallo, mein Ronilein!“, rief sie mit schriller Stimme und winkte ihm zu. „Ich habe dich gar nicht bemerkt!“ Ronald ging etwas widerwillig auf Carry zu, aber er konnte Lily jetzt nicht alleine lassen. „Weißt du, Ronilein, ich habe grade mit meiner besten neuen Freundin gesprochen!“ Sie zog Lily an der Schulter zu sich und klopfte ihr imaginären Staub von der Kleidung. „Weißt du, sie hat da irgend so ein Syndrom. Ständig fällt sie Treppen runter, haut sich den Kopf an…“ „Ich habe davon gehört, Carry“, gab Ronald missgelaunt zurück und nahm Lilys Handgelenk. Er zog sie an seine Seite und stellte sich schützend vor sie. Ronald ließ ihr Handgelenk nicht los. Ihre Haut fühlte sich kalt an und sie zitterte. „Aber ich habe auch gehört, Carry, das es dann vorkommt, wenn du in der Nähe bist!“ Die Mädchen hinter Carry zogen scharf die Luft ein, als könnten sie nicht glauben, dass er das gerade wirklich gesagt hatte, aber auch Lily musste kurz nach Luft schnappen. Ronald konnte in Carrys Blick deutlich die Veränderung bemerken. Sie musterte ihn eiskalt. „Komm mir jetzt nicht so, Ronilein. Sie ist doch an allem schuld! Sie ist schuld daran, dass du gehen musstest! Sie ist eine Gefahr für unsere Beziehung!“ Ronald sah kurz zu Lily, griff nach ihrer Hand und drückte diese kurz aufmunternd. Seine Schülerin biss sich auf die Unterlippe und sah zu Boden. Sein Herz hatte kurzzeitig viel zu schnell geschlagen, aber für diesen Höhenflug hatte er jetzt keine Zeit. „Entscheide dich endlich was du willst, Carry“, fing Ronald an. „Du machst eine riesen Szene in der Mensa und schnauzt mich an, ich würde mit meiner Schülerin vögeln und jetzt machst du sie für deine Tat verantwortlich, weil du diejenige bist, die diese Gerüchte in die Welt gesetzt hat! Du schreist rum und beschimpfst mich. Du sagst, du willst nichts mehr mit mir zu tun haben und jetzt, wo ich weg war, machst du Lily für alles verantwortlich, was auf deinem Mist gewachsen ist und machst dich an mich ran, als wäre nie etwas gewesen! Deine Scheinheiligkeit ist zum kotzen und ich bedaure es sehr, mich jemals auf dich eingelassen zu haben! Wenn ich nur deinen Namen höre, kriege ich schon eine Geschlechtskrankheit!“ Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. „Weißt du, das macht alles keinen Sinn! Du findest Lily erbärmlich? Schön! Ich finde es viel erbärmlicher so viel Mascara in den Wimpern zu haben, dass man nicht mal blinzeln kann! Und nur zu deiner Information: Wir haben keine Beziehung! Selbst, wenn du die letzte Frau auf dieser Welt wärst, würde ich dich nicht anpacken!“ Ronald starrte Carry mit funkelnden Augen an und wartete schon auf darauf, dass sie jeden Augenblick wie eine Furie auf ihn losstürmen würde, nur um ihn mit ihren langen Nägeln die Augen auszukratzen. „Schimpfst du mich grad aus und stellst mich bloß?“ Carry blinzelte richtig und Ronald konnte sehen, wie sich ihre Wimpern verklebten. Ein leiser Schmerzlaut entfuhr ihr, während sie versuchte ihre Augen wieder zu öffnen. Man konnte deutlich sehen, wie ihr Gehirn arbeitete, um mit den logischen Fakten fertig zu werden. „Nur ein wenig“, sagte Ronald süffisant und grinste. Carry lächelte zurück. „Dieses Mädchen ist nur ein vorübergehender Zustand und ein trauriger dazu. Sie wird hier niemals bestehen können.“ Sie drehte sich um und ging den Flur entlang davon. Ihre Mode-Mafia bildete hinter ihr eine V-Vormation. „Normalerweise zieht sie nicht so schnell ab“, sagte Lily und atmete tief durch. „Danke.“ „Wahrscheinlich muss sie arbeiten.“ Lily schnaubte. „Glauben Sie mir, die arbeitet nicht.“ Ronald musste kurz lachen. „Wahrscheinlich haben Sie Recht.“ Er wollte sich lieber nicht fragen, wie oft Lily diese Behandlung von Carry hatte ertragen müssen und wie sehnlich sie sich den Tag herbei wünschte, wo alles aufhörte. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er noch immer ihre Hand hielt und sie alleine im Flur waren. Schnell ließ er sie los und trat einen kleinen Schritt zurück. Sein Herz pochte stark gegen seine Brust und in diesem Moment wurde ihm wieder deutlich bewusst, dass er mehr in ihr sah, als bloß eine Schülerin. Er unterdrückte ein enttäuschtes Seufzen. Ob sie jemals mehr für ihn sein würde als bloß eine Kollegin? Ronald wollte nicht daran denken, dass sie seine Gefühle nicht erwidern könnte. Der bloße Gedanke daran, ließ sein Herz schwer wie zehn Zentner Blei werden. Verlegen räusperte er sich, um das Schweigen und die Stille zu durchbrechen. „Sie sollten jetzt aber zum Unterricht gehen, sonst kommen Sie wirklich noch zu spät.“ Lily nickte. „Danke noch mal.“ Ronald nickte und sah ihr noch nach, wie sie durch den Flur lief und im Treppenhaus verschwand. Er schüttelte geistesabwesend den Kopf und fragte sich, wie er sich nur in so eine Lage hatte bringen können, die vielleicht eine Einbahnstraße war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)